Berufsmobilität und Lebensform. Sind berufliche ... - ifb
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Berufsmobilität <strong>und</strong> <strong>Lebensform</strong> 9<br />
2000). Sesshaftigkeit dagegen wird konnotiert mit Stagnation.<br />
Das Wort der „Mobilen Gesellschaft“ legt heute nahe, dass die Biographien gestaltungsoffener<br />
geworden sind. Bewegung wird zum Zustand, die Erzeugung von Regelmäßigkeit, gerade<br />
in Familien, zu einer der wichtigsten Gestaltungsaufgaben. Die Frage ist jedoch, ob mit steigender<br />
Mobilität individuelle Freiheitsgrade zunehmen oder ob nicht Entscheidungszwänge<br />
<strong>und</strong> damit auch Restriktionen in den Vordergr<strong>und</strong> treten. Anzeichen dieser Art mehren sich,<br />
seit Mobilität eine zusätzliche Bedeutung erhalten hat. Mobilität als Imperativ: Sei mobil! Insbesondere<br />
im Rahmen der Berufskarriere ist ein gewisser Zwang entstanden, mobil sein zu<br />
müssen. Mobilität rückt damit ein Stück weit in die Nähe von Abhängigkeit, Verfügbarkeit<br />
<strong>und</strong> Fremdbestimmtheit.<br />
Die Forderung der Wirtschaft nach mobilen Menschen bleibt nicht ohne soziale Folgen. Die<br />
Auswirkungen auf Familie <strong>und</strong> Elternschaft sind nur eine, wenn auch sehr bedeutsame, dieser<br />
Folgen. Nachhaltig verändert wird auch das Zusammenspiel von Identität <strong>und</strong> Raum. Die Zugehörigkeit<br />
von Individuen zu einer sozialen Gruppe wird immer weniger abhängig von einem<br />
bestimmten Territorium <strong>und</strong> von der regionalen Herkunft. Soziale Gemeinschaftsbildung<br />
löst sich von der Basis räumlicher Nähe <strong>und</strong> erfolgt zunehmend ortungeb<strong>und</strong>en (vgl. Noller<br />
2000). Räumlich geb<strong>und</strong>ene Identität wird gesprengt <strong>und</strong> rekonfiguriert sich fortan über Geschlecht,<br />
Beziehungswahl, individuelle Vorlieben <strong>und</strong> <strong>berufliche</strong> Positionen. Für eine wachsende<br />
Zahl mobiler Menschen verliert Lokalität, im Sinne örtlicher Fixierung, an sozialrelevanter<br />
Bedeutung. In diesem Prozess der gesellschaftlichen Neuformierung des Raumes werden,<br />
an Raum <strong>und</strong> Räumlichkeit geb<strong>und</strong>ene, einst hochintegrierte Sozialräume wie Haushalt,<br />
Nachbarschaft, Kommune <strong>und</strong> Nationalstaat aufgebrochen. Es entstehen Handlungsfelder in<br />
unterschiedlichen <strong>und</strong> wandelbaren physischen Begrenzungen. Soziale Beziehungen sind<br />
stärker durch Ab- als durch Anwesenheit charakterisiert <strong>und</strong> werden zunehmend ohne face-toface<br />
Kontakt aufrechterhalten. Auf der Ebene der <strong>Lebensform</strong> entstehen neue Gestaltungsmodi<br />
der Regulierung von Nähe <strong>und</strong> Distanz, von An- <strong>und</strong> Abwesenheit.<br />
Beruflich bedingte Mobilitätserfordernisse bestanden für die meisten Menschen bis Mitte des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht. Erst mit der sich beschleunigenden Industrialisierung entstanden für<br />
größere Teile der Bevölkerung solche Umstände. Wohnortwechsel in die rasch wachsenden<br />
Städte <strong>und</strong> tägliches Pendeln zwischen Wohn- <strong>und</strong> Arbeitsort über Gemeindegrenzen hinweg<br />
wurden, wie die Daten der Volkszählungen 1900 <strong>und</strong> 1910 zeigen, zu Massenphänomenen.<br />
Auch wöchentliches Pendeln war in manchen Regionen weit verbreitet. Beispielsweise war<br />
um 1900 jeder vierte Beschäftigte unter den Bergleuten im Saargebiet Wochenendpendler<br />
(Mallmann 1981, zitiert bei Ott <strong>und</strong> Gerlinger 1992, 33). Berufliche Mobilität hat viele Formen,<br />
mit je unterschiedlichen Folgen für Gesellschaft <strong>und</strong> Individuum. Eine Zeit lang, vornehmlich<br />
zwischen den 1950er <strong>und</strong> 70er Jahren, war Berufsmobilität oftmals gleichbedeutend<br />
mit Umzugsmobilität. Der Mann zog um, Frau <strong>und</strong> Kinder zogen mit. Das war solange kein<br />
großes Problem, als Frauen keine eigene <strong>berufliche</strong> Karriere anstrebten. Aber die Zeiten haben<br />
sich verändert. Aus diversen Studien (vgl. Kap. 2.2) ist bekannt, dass mitziehende Partner<br />
oft zu den Mobilitätsverlierern gehören, indem ihre eigene Berufskarriere Schaden nimmt.<br />
Paare mit zwei beruflich orientierten Partnern gehören daher nicht selten zu den Mobilitätsverweigerern<br />
oder zu denen, die andere Mobilitätsformen als Umzug wählen. Wochenend-