Berufsmobilität und Lebensform. Sind berufliche ... - ifb
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28 ifb - Materialien 8-2001 • durch eine Veränderung der Position innerhalb der gegebenen Macht- und Prestigeverteilung (soziale Mobilität), • durch eine Akzentuierung besonders macht- oder prestigehaltiger Positionen im Rollenset des Akteurs (Rollenakzentuierung), • durch eine Neubewertung der Maßstäbe, nach denen das Subsystem benachteiligt ist (Entstehung von Subkulturen bzw. kultureller Wandel) oder schließlich dadurch, dass • spannungserzeugende Zustände zugunsten von weniger spannungserzeugenden Zuständen aufgegeben werden (Migration) (vgl. Hoffmann-Nowotny 1970; Franz 1984 65f.; Nauck 1988, 20; Wagner 1989, 35f.). Wagner (1989) merkt zur Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny kritisch an, dass die Determinanten der Migration noch zu wenig spezifiziert seien, vor allem die Güter und sozialen Werte, an denen die Individuen partizipieren. Auch sollten nach Wagner die Bedingungen, unter denen letztendlich Migration als Mittel der Spannungsreduktion gewählt wird, noch genauer benannt werden. 2.2.4 Mikrotheorien Die Frage nach den Faktoren, die Migration beim einzelnen Individuum letztendlich auslösen, muss bei einer Betrachtung auf makrotheoretischer Ebene unbeantwortet bleiben, da die Frage nach individuellen Beweggründen nicht gestellt wird. Diese Lücke versuchen Mikrotheorien zu schließen. Erste mikrotheoretische Ansätze Der Übergang von der Makro- auf die Mikroebene erfolgte durch die Arbeiten von Sjaastad (1962) und Speare (1971). Kern der Ansätze ist ein einfaches Kosten-Nutzen-Modell, das besagt, dass Personen dann wandern, wenn sie erwarten, dass der langfristige Nutzen eines Wohnortwechsels größer ist, als die damit verbundenen Kosten. Wanderung wird hier also als individuelle Investition in Humankapital begriffen. Vertreter dieser Ansätze betonen, dass auch nicht-monetäre Kosten, wie z.B. die Aufgabe des Freundes- und Bekanntenkreises, bei der Migrationsentscheidung eine Rolle spielen. In die Operationalisierung der Modelle zur Berechnung der individuellen Wanderungswahrscheinlichkeit gehen letztlich aber nur monetäre Größen ein. Der Nutzen einer Migration berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Einkommen am Herkunftsort und dem zu erwartenden Einkommen am Zielort, abzüglich der Transportkosten. Wie schon bei den Makroansätzen liegen auch hier sehr vereinfachte Modelle zugrunde, die von einem „homo oeconomicus“ ausgehen, der ständig die Vor- und Nachteile eines Wohnungswechsels abwägt und dabei immer seinen Nutzen zu maximieren versucht. Erweiterungen Eine erste Erweiterung erfuhren die oben genannten Modelle durch Wolperts Konzept der Place-Utility (1965), das inzwischen zu den Klassikern der Migrationsforschung gehört. Im Gegensatz zu Sjaastadt oder Speare geht Wolpert von anderen - realistischeren - Annahmen aus: Jeder Ort hat für eine Person einen bestimmten Nutzen als Wohnort, wobei sich dieser
Berufsmobilität und Lebensform 29 Nutzen aus dem Vergleich und der subjektiven Bewertung der Attraktivität eines Ortes mit anderen möglichen Wohnorten ermessen lässt. Ein Umzug wird erst dann erwogen, wenn ein anderer Ort eine bestimmte Nutzenschwelle über- oder der aktuelle Wohnort diese unterschreitet. Die Höhe der Schwelle variiert individuell, vor allem nach Stellung im Lebenszyklus, aber z.B. auch nach Schichtzugehörigkeit. Wird die subjektive Nutzenschwelle unterschritten, bieten sich dem Individuum verschiedene Lösungsmöglichkeiten an, wovon Wanderung eine, aber nicht die wahrscheinlichste ist. Das Individuum kann neben Migration auch seine Anspruchshaltung verändern und den neuen Gegebenheiten anpassen oder versuchen, seine Umgebung so zu verändern, dass seine Ansprüche wieder befriedigt sind. Wolpert unterstellt ferner, dass die Individuen nicht den optimalen, sondern einen zufriedenstellenden Wohnstandort suchen. In diesem Ansatz wird zum ersten Mal hervorgehoben, dass bei der Untersuchung von Migration auch diejenigen, die nicht wandern, in die Analyse mit einbezogen werden müssen (vgl. Kalter 1997, 45f). Der Ansatz von Beshers (1967), der ebenfalls aus entscheidungstheoretischer Perspektive argumentiert, entfernt sich völlig vom Kosten-Nutzen-Ansatz und richtet sein Hauptaugenmerk auf die externen Beschränkungen der Wohnortwahlen von Familien. Entscheidungseinheiten sind bei ihm nicht Individuen, sondern Familien, wobei geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Zwänge bestehen, die die Entscheidung beeinflussen. Auf Seite des Mannes spielen berufliche Zwänge eine wichtige Rolle, auf Seiten der Frau dagegen haushaltsbezogene Aspekte, wie die Anzahl und das Alter der Kinder. Damit sind nach Beshers die Berufserfordernisse des Mannes für die großräumige Wohnortwahl ausschlaggebend, während die Präferenzen der Frau kleinräumig wirksam werden. „Thus the wife’s constraints operate within bounds set by the husband’s constraints; the wife influence is greatest at the small scale“ (Beshers, 1967, 136). Beshers Konzept ist sehr vom vorherrschenden Familientyp seiner Zeit geprägt, er unterstellt die klassische Rollenteilung, in der der Mann als alleiniger Ernährer der Familie agiert und die Frau - nicht berufstätig - für Kinder und Haushalt verantwortlich ist. Das Konzept kann deshalb nur unter Einschränkungen auf die aktuelle Situation übertragen werden, d.h. die beruflichen Zwänge als Auslöser für Migration sind sicher immer noch aktuell, während sich aufgrund der geänderten Stellung der Frau auch ihre Rolle im Entscheidungsprozess geändert haben dürfte. Neuere Ansätze: Werterwartungstheorien In den neueren Ansätzen zur Erklärung von Migration kommt häufig die Werterwartungstheorie zum Tragen (vgl. z.B. Esser 1980; De Jong und Fawcett 1981, Gardner 1981). Es handelt sich bei diesem Ansatz um eine allgemeine Entscheidungs- und Handlungstheorie, die u.a. auch auf das Gebiet der Migrationsforschung angewandt wurde. Die Grundidee ist, dass ein Individuum in einer entsprechenden Situation aus mehreren Handlungsalternativen diejenige auswählt, von der es subjektiv den größten Nutzen erwartet. Übertragen auf Migrationsentscheidungen heißt dies, dass ein Individuum zwischen mehreren Wohnortalternativen diejenige wählt, die ihm den höchsten erwarteten Nettonutzen bringt. Als Spezialfall kann auch die Alternative zwischen Wanderung oder dem Verbleib am Wohnort modelliert werden. Der Entscheidungsprozess lässt sich damit wie folgt skizzieren: Die Ansprüche und Erwartungen eines Individuums an seinen aktuellen Wohnort stimmen nicht mehr mit seiner Wahrnehmung
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• durch eine Veränderung der Position innerhalb der gegebenen Macht- <strong>und</strong> Prestigeverteilung<br />
(soziale Mobilität),<br />
• durch eine Akzentuierung besonders macht- oder prestigehaltiger Positionen im Rollenset<br />
des Akteurs (Rollenakzentuierung),<br />
• durch eine Neubewertung der Maßstäbe, nach denen das Subsystem benachteiligt ist<br />
(Entstehung von Subkulturen bzw. kultureller Wandel) oder schließlich dadurch, dass<br />
• spannungserzeugende Zustände zugunsten von weniger spannungserzeugenden Zuständen<br />
aufgegeben werden (Migration) (vgl. Hoffmann-Nowotny 1970; Franz 1984 65f.;<br />
Nauck 1988, 20; Wagner 1989, 35f.).<br />
Wagner (1989) merkt zur Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny kritisch an, dass die Determinanten<br />
der Migration noch zu wenig spezifiziert seien, vor allem die Güter <strong>und</strong> sozialen<br />
Werte, an denen die Individuen partizipieren. Auch sollten nach Wagner die Bedingungen,<br />
unter denen letztendlich Migration als Mittel der Spannungsreduktion gewählt wird, noch genauer<br />
benannt werden.<br />
2.2.4 Mikrotheorien<br />
Die Frage nach den Faktoren, die Migration beim einzelnen Individuum letztendlich auslösen,<br />
muss bei einer Betrachtung auf makrotheoretischer Ebene unbeantwortet bleiben, da die Frage<br />
nach individuellen Beweggründen nicht gestellt wird. Diese Lücke versuchen Mikrotheorien<br />
zu schließen.<br />
Erste mikrotheoretische Ansätze<br />
Der Übergang von der Makro- auf die Mikroebene erfolgte durch die Arbeiten von Sjaastad<br />
(1962) <strong>und</strong> Speare (1971). Kern der Ansätze ist ein einfaches Kosten-Nutzen-Modell, das besagt,<br />
dass Personen dann wandern, wenn sie erwarten, dass der langfristige Nutzen eines<br />
Wohnortwechsels größer ist, als die damit verb<strong>und</strong>enen Kosten. Wanderung wird hier also als<br />
individuelle Investition in Humankapital begriffen. Vertreter dieser Ansätze betonen, dass<br />
auch nicht-monetäre Kosten, wie z.B. die Aufgabe des Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreises, bei<br />
der Migrationsentscheidung eine Rolle spielen. In die Operationalisierung der Modelle zur<br />
Berechnung der individuellen Wanderungswahrscheinlichkeit gehen letztlich aber nur monetäre<br />
Größen ein. Der Nutzen einer Migration berechnet sich aus der Differenz zwischen dem<br />
Einkommen am Herkunftsort <strong>und</strong> dem zu erwartenden Einkommen am Zielort, abzüglich der<br />
Transportkosten. Wie schon bei den Makroansätzen liegen auch hier sehr vereinfachte Modelle<br />
zugr<strong>und</strong>e, die von einem „homo oeconomicus“ ausgehen, der ständig die Vor- <strong>und</strong> Nachteile<br />
eines Wohnungswechsels abwägt <strong>und</strong> dabei immer seinen Nutzen zu maximieren versucht.<br />
Erweiterungen<br />
Eine erste Erweiterung erfuhren die oben genannten Modelle durch Wolperts Konzept der<br />
Place-Utility (1965), das inzwischen zu den Klassikern der Migrationsforschung gehört. Im<br />
Gegensatz zu Sjaastadt oder Speare geht Wolpert von anderen - realistischeren - Annahmen<br />
aus: Jeder Ort hat für eine Person einen bestimmten Nutzen als Wohnort, wobei sich dieser