Berufsmobilität und Lebensform. Sind berufliche ... - ifb
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<strong>ifb</strong> - Materialien 8-2001<br />
2 Berufsmobilität <strong>und</strong> <strong>Lebensform</strong>: Zum Stand der Forschung<br />
2.1 Zum Wandel der Familie – Familiensoziologische Anmerkungen<br />
Bei einer allgemeinen Deutung des Wandels der Familie in Deutschland während der letzten<br />
vierzig Jahre sprechen SoziologInnen meist von der Individualisierung der Lebensführung<br />
<strong>und</strong> der Pluralisierung der <strong>Lebensform</strong>en. Individualisierung bezieht sich auf den Vorgang,<br />
dass die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten im Lebenslauf im Vergleich zu den strukturell<br />
vorgegebenen Zwängen zugenommen haben, das gilt v.a. für das Privatleben. Die Zunahme<br />
an Gestaltungsmöglichkeiten bedeutet nicht, dass alles möglich wäre, aber es bedeutet,<br />
dass mehr Optionen bestehen als in der Vergangenheit. Diese Zunahme an Handlungsoptionen<br />
hat jedoch ihren Preis. Größere Autonomie geht mit einem Mehr an Entscheidungszwängen<br />
sowie an Kontingenz einher, Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang von „Riskanten<br />
Freiheiten“. Die Entscheidung für die eine oder andere Option erfolgt in der Regel im<br />
Rahmen institutionell vorgegebener Spielräume nach subjektiven Kosten-Nutzen-<br />
Erwägungen, wobei diejenige Option gewählt wird, die den größten Nutzen stiftet bzw. die<br />
geringsten Kosten verursacht. In die Kosten- <strong>und</strong> Nutzenbilanz fließen materielle <strong>und</strong> nichtmaterielle<br />
Vor- <strong>und</strong> Nachteile ein.<br />
Pluralisierung meint, dass die Zahl der verschiedenartigen <strong>Lebensform</strong>en größer geworden<br />
ist. Diese Interpretation beschreibt die Entwicklung seit Mitte der 1960er Jahre weitgehend<br />
zutreffend - sofern nicht verkürzend nur auf äußere Strukturmerkmale des Haushalts (Haushaltsgröße,<br />
Zahl der Generationen, Familienstand) abgestellt wird, wie dies in vielen familiensoziologischen<br />
Studien der Fall ist (z.B. Wagner <strong>und</strong> Franzmann 2000). Zugenommen hat<br />
weniger die morphologische Vielfalt der <strong>Lebensform</strong>en, als vielmehr die Vielfalt der Binnendifferenzierungen<br />
bei äußerlich gleichen Strukturformen (Macklin 1987, Schneider 1994, Lüscher<br />
1997). Pluralisierung ist dabei nicht nur Folge der gesellschaftlichen Individualisierung,<br />
im Sinne der erwähnten Zunahme an Handlungsoptionen, sie ist gleichzeitig auch Ausdruck<br />
der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere auch der Veränderungen des<br />
Arbeitsmarkts, der mit seiner widersprüchlichen <strong>und</strong> oft gegen die Interessen der Familie gerichteten<br />
Dynamik die Menschen zu flexiblen, individuell angepassten Lösungen zwingt.<br />
Vielfalt entsteht hier also nicht infolge freier Wahl der besten gewünschten Alternative, sondern<br />
ist Ergebnis bedingt freier Entscheidungen, die als Wahl der günstigsten unter mehreren<br />
nicht gewünschten Alternativen erfolgt.<br />
Wir leben heute in einer Zeit, in der explizite <strong>und</strong> kollektiv gültige Regeln <strong>und</strong> Maßstäbe,<br />
einst unhinterfragte Selbstverständlichkeiten, aus sich heraus nicht mehr gelten. Jeder Einzelne<br />
sieht sich heute vor die Aufgabe gestellt, seine private Welt selbst zu gestalten. Die Schaffung<br />
von Werten, Grenzen <strong>und</strong> Routinen obliegt zunehmend dem Individuum oder, in der<br />
Familie, den einzelnen Mitgliedern. Die Notwendigkeit zur Selbstkonstruktion erzeugt in einer<br />
Zeit, in der die durch die Berufswelt diktierten Sachzwänge zunehmen, egalitäre Geschlechterrollen<br />
etabliert <strong>und</strong> Kinder als Personen mit eigenen Ansprüchen anerkannt sind,<br />
eine neue Art von Familie, die Verhandlungsfamilie. Dieser Familientypus besitzt im Vergleich<br />
zu den traditionellen Modellen eine neue Qualität. Er ist offener <strong>und</strong> bedürfnisorien-