EDITORIAL KOMMENTAR ZUM THEMA • Kondom und ... - GfV

EDITORIAL KOMMENTAR ZUM THEMA • Kondom und ... - GfV EDITORIAL KOMMENTAR ZUM THEMA • Kondom und ... - GfV

19.12.2013 Aufrufe

VIROLOGISCHES INSTITUT · KLINISCHE UND MOLEKULARE VIROLOGIE NATIONALES REFERENZZENTRUM FÜR RETROVIREN · UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN 22008 Für den Inhalt der Artikel sind die Autoren allein verantwortlich. Ziel dieses Bulletins ist es, Ärzte, Gesundheitsbehörden und Patienten über aktuelle Entwicklungen in der Retrovirus-Forschung zu informieren. Viermal im Jahr wird in kurzer Form der aktuelle Forschungsstand zu verschiedenen Themen wiedergegeben. Für Verbesserungsvorschläge und Anregungen sind wir sehr dankbar. Die Redaktion HIV-PRÄVENTION EDITORIAL KOMMENTAR ZUM THEMAKondom und Prävention (bei MSM); Dr. Dr. Stefan Nagel, Düsseldorf DIAGNOSTIK • HIV-Tests, HIV-Viruslast und HIV-Prävention? Dr. Monika Gröne, Dr. Klaus Korn, Erlangen • Die Anonyme AIDS- und STI-Beratungsstelle: Das Angebot HIV-AK- Schnelltest; Norbert Kellermann MA, Gesundheitsamt Nürnberg HIV-PRÄVENTION EDITORIAL Wir möchten in dieser Ausgabe zum Thema HIV-Prävention informieren. Besonders nach den Misserfolgen bei Impfstoffen und Mikrobiziden wird wieder vermehrt über alternative Ansätze diskutiert. Zu den Schlüsselelementen der deutschen Bekämpfungsstrategie gegen HIV/AIDS gehören: 1. Aufklärung und Prävention 2. Universeller Zugang zu Therapie und HIV-Testung 3. Förderung der Solidarität mit Menschen mit HIV/AIDS in der Gesellschaft 4. Koordination und Kooperation unterschiedlicher Gruppen und Organisationen 5. Überwachung der Epidemiologie der Neuinfektionen sowie Beobachtung von Risikoverhalten 6. Biomedizinische und sozialwissenschaftliche Forschung 7. Evaluierung und Qualitätssicherung von staatlichen und nicht staatlichen Präventionsmaßnahmen (Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung, März 2007). Die HIV-Bekämpfung wird dabei immer häufiger eingebunden in Aktionen gegen andere sexuell übertragbare Erkrankungen. Der Einsatz von Kondomen wird dabei in den Aufklärungskampagnen als wesentliche Präventivmaßnahme propagiert, da er gegen HIV und andere sexuell übertragbare Erkrankungen schützt. Bei Treffen von Betroffenen gewinnt man jedoch den Eindruck, dass in der Hauptrisikogruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, diese Botschaft immer weniger Akzeptanz findet. Da es für die Förderung der Solidarität wichtig ist zu verstehen, warum das so ist, haben wir Herrn Dr. Nagel gebeten, für uns einen kritischen Kommentar zu Kondomen in der HIV-Prävention zu verfassen. Eher erschwerend für die Übermittlung der Präventionsbotschaft »safer Sex« ist zudem die Schweizer Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) FORSCHUNG • Identifizierung antiviral wirkender Peptide aus menschlichen Körperflüssigkeiten; Prof. Frank Kirchhoff, Prof. Jan Münch, Ulm

VIROLOGISCHES INSTITUT · KLINISCHE UND MOLEKULARE VIROLOGIE<br />

NATIONALES REFERENZZENTRUM FÜR RETROVIREN · UNIVERSITÄTSKLINIKUM ERLANGEN<br />

22008<br />

Für den Inhalt der Artikel sind die Autoren<br />

allein verantwortlich.<br />

Ziel dieses Bulletins ist es, Ärzte, Ges<strong>und</strong>heitsbehörden<br />

<strong>und</strong> Patienten über aktuelle<br />

Entwicklungen in der Retrovirus-Forschung<br />

zu informieren. Viermal im Jahr wird in<br />

kurzer Form der aktuelle Forschungsstand<br />

zu verschiedenen Themen wiedergegeben.<br />

Für Verbesserungsvorschläge <strong>und</strong> Anregungen<br />

sind wir sehr dankbar.<br />

Die Redaktion<br />

HIV-PRÄVENTION<br />

<strong>EDITORIAL</strong><br />

<strong>KOMMENTAR</strong> <strong>ZUM</strong> <strong>THEMA</strong><br />

• <strong>Kondom</strong> <strong>und</strong> Prävention (bei MSM);<br />

Dr. Dr. Stefan Nagel, Düsseldorf<br />

DIAGNOSTIK<br />

• HIV-Tests, HIV-Viruslast <strong>und</strong><br />

HIV-Prävention? Dr. Monika Gröne,<br />

Dr. Klaus Korn, Erlangen<br />

• Die Anonyme AIDS- <strong>und</strong> STI-Beratungsstelle:<br />

Das Angebot HIV-AK-<br />

Schnelltest; Norbert Kellermann MA,<br />

Ges<strong>und</strong>heitsamt Nürnberg<br />

HIV-PRÄVENTION<br />

<strong>EDITORIAL</strong><br />

Wir möchten in dieser Ausgabe zum Thema HIV-Prävention informieren. Besonders<br />

nach den Misserfolgen bei Impfstoffen <strong>und</strong> Mikrobiziden wird wieder vermehrt über alternative<br />

Ansätze diskutiert. Zu den Schlüsselelementen der deutschen Bekämpfungsstrategie<br />

gegen HIV/AIDS gehören:<br />

1. Aufklärung <strong>und</strong> Prävention<br />

2. Universeller Zugang zu Therapie <strong>und</strong> HIV-Testung<br />

3. Förderung der Solidarität mit Menschen mit HIV/AIDS in der Gesellschaft<br />

4. Koordination <strong>und</strong> Kooperation unterschiedlicher Gruppen <strong>und</strong> Organisationen<br />

5. Überwachung der Epidemiologie der Neuinfektionen sowie Beobachtung von<br />

Risikoverhalten<br />

6. Biomedizinische <strong>und</strong> sozialwissenschaftliche Forschung<br />

7. Evaluierung <strong>und</strong> Qualitätssicherung von staatlichen <strong>und</strong> nicht staatlichen Präventionsmaßnahmen<br />

(Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie<br />

der B<strong>und</strong>esregierung, März 2007).<br />

Die HIV-Bekämpfung wird dabei immer häufiger eingeb<strong>und</strong>en in Aktionen gegen andere<br />

sexuell übertragbare Erkrankungen. Der Einsatz von <strong>Kondom</strong>en wird dabei in den Aufklärungskampagnen<br />

als wesentliche Präventivmaßnahme propagiert, da er gegen HIV <strong>und</strong><br />

andere sexuell übertragbare Erkrankungen schützt. Bei Treffen von Betroffenen gewinnt<br />

man jedoch den Eindruck, dass in der Hauptrisikogruppe der Männer, die Sex mit Männern<br />

haben, diese Botschaft immer weniger Akzeptanz findet. Da es für die Förderung<br />

der Solidarität wichtig ist zu verstehen, warum das so ist, haben wir Herrn Dr. Nagel gebeten,<br />

für uns einen kritischen Kommentar zu <strong>Kondom</strong>en in der HIV-Prävention zu verfassen.<br />

Eher erschwerend für die Übermittlung der Präventionsbotschaft »safer Sex« ist zudem<br />

die Schweizer Empfehlung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF)<br />

FORSCHUNG<br />

• Identifizierung antiviral wirkender<br />

Peptide aus menschlichen Körperflüssigkeiten;<br />

Prof. Frank Kirchhoff,<br />

Prof. Jan Münch, Ulm


Gelegenheit für weitere<br />

Diskussionen bieten<br />

folgende Veranstaltungen<br />

5. – 6. September 2008<br />

Köln, Renaissance Hotel<br />

18. Deutscher Workshop der<br />

DAGNÄ e.V.<br />

Online-Anmeldung:<br />

http://www.dagnae.de/Fortbildung/<br />

Workshop_2b/WS08/anmeldung.htm<br />

12. – 13. September 2008<br />

Berlin, Rotes Rathaus<br />

HIV im Dialog<br />

Anmeldung erwünscht unter:<br />

info@hiv-im-dialog.de<br />

Literaturhinweise<br />

HIV vaccine failure prompts Merck to halt trial.<br />

Nature. 2007 Sep 27; 449(7161): 390.<br />

Klasse PJ., Shattock R., Moore JP., Antiretroviral<br />

drug-based microbicides to prevent HIV-1 sexual<br />

transmission. Ann Rev Med. 2008; 59: 455-71.<br />

Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie<br />

der B<strong>und</strong>esregierung,März 2007<br />

www.bmz.de/de/service/infothek/buerger/themen/<br />

HIVBReg.pdf<br />

anzusehen, die unter bestimmten Voraussetzungen das Restrisiko einer Übertragung bei<br />

diskordanten Paaren bei erfolgreicher Therapie als sehr gering einschätzt. Eine persönliche<br />

Stellungnahme hierzu von zwei Autoren aus dem Nationalen Referenzzentrum für<br />

Retroviren finden Sie in dem Beitrag »HIV-Tests, HIV-Viruslast <strong>und</strong> HIV-Prävention?« zusammen<br />

mit einer Darstellung der verschiedenen Facetten der HIV-Diagnostik vom<br />

Schnelltest bis zur Viruslastmessung. Erfreulicherweise haben wir auch Herrn Kellermann<br />

vom Ges<strong>und</strong>heitsamt Nürnberg dafür gewinnen können, über seine Erfahrungen in der<br />

HIV-Prävention <strong>und</strong> HIV-Testung durch Ges<strong>und</strong>heitsämter zu berichten.<br />

Darüber hinaus haben Prof. Frank Kirchhoff <strong>und</strong> Prof. Jan Münch ihre Arbeiten zu<br />

antiviral wirkenden Peptiden für uns zusammengefasst. Beide haben bis 2001 am Virologischen<br />

Institut in Erlangen gearbeitet <strong>und</strong> sind dann an das Institut für Virologie in Ulm<br />

gewechselt. Bereits in Erlangen begannen ihre Arbeiten zur Identifizierung von antiviralen<br />

Peptiden in Hämofiltraten. Inzwischen konnten sie einen natürlichen Entry-Inhibitor<br />

(VIRIP) aus Hämofiltraten sowie einen infektionsverstärkenden Faktor in der Samenflüssigkeit<br />

(SEVI) identifizieren <strong>und</strong> charakterisieren – Arbeiten, die evtl. zukünftig für die<br />

Prävention <strong>und</strong> Therapie von HIV eine entscheidende Rolle spielen können. Diese Ergebnisse<br />

konnten letztes Jahr in der international hoch angesehenen Zeitschrift »Cell« veröffentlicht<br />

werden. Diese Zeitschrift hat im Jahr 2007 einen Journal Impaktfaktor von<br />

29,887 (im Vergleich dazu das »Journal of Virology«: 5,332). Der Journal Impaktfaktor<br />

gibt an, welche durchschnittliche Zitierungsrate die Artikel einer Zeitschrift in einem bestimmten<br />

Jahr erzielt haben. Der Indikator ist damit kennzeichnend für die »relative Bedeutung«<br />

einer Zeitschrift innerhalb eines Fachgebiets. Es ist der Ausdauer der Wissenschaftler<br />

zu verdanken, dass diese Ergebnisse möglich wurden, auch wenn es teilweise schwierig<br />

war, die Finanzierungen für das Projekt aufrechtzuerhalten. Es ist zu hoffen, dass Drittmittelgeber<br />

wie EU <strong>und</strong> BMBF zukünftig auch solche innovativen Projekte fördern.<br />

<strong>Kondom</strong> <strong>und</strong> Prävention (bei MSM)<br />

<strong>KOMMENTAR</strong><br />

Nach wie vor muss der Gebrauch von <strong>Kondom</strong>en<br />

als Goldstandard in der Primär-, Sek<strong>und</strong>är-<br />

<strong>und</strong> Tertiärprävention der HIV-Infektion<br />

angesehen werden. Daran ändern auch<br />

die Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission<br />

für Aids-Fragen (EKAF) nichts, die<br />

sich zudem speziell an heterosexuelle Paare<br />

mit Kinderwunsch wenden. Einschränkend<br />

sollte man sich allerdings in der gesamten Debatte<br />

im Klaren darüber sein, dass auch <strong>Kondom</strong>e<br />

keinen h<strong>und</strong>ertprozentigen Schutz vor<br />

einer HIV-Infektion bieten. Das relativiert<br />

nicht die Sinnhaftigkeit ihrer Anwendung,<br />

vermeidet aber ein Schwarz-Weiß-Denken<br />

beim Vergleich mit anderen Methoden der<br />

HIV-Prävention (wie zum Beispiel dem Risikomanagement).<br />

Ebenso ist zur Kenntnis zu nehmen, dass<br />

der Gebrauch von <strong>Kondom</strong>en in bestimmten<br />

Subpopulationen von Risikogruppen bei<br />

langjähriger Anwendung oder in bestimmten<br />

Beziehungssituationen faktisch inzwischen<br />

deutlich reduziert <strong>und</strong> teilweise auch nur<br />

noch schwer vermittelbar ist. So benutzen<br />

viele HIV-positive Männer bei sexuellen Kontakten<br />

untereinander immer seltener <strong>Kondom</strong>e<br />

(»positives Serosorting«), nicht zuletzt<br />

wenn sie bei einer erfolgreich angewandten<br />

antiretroviralen Kombinationstherapie von<br />

einer praktisch gegen Null tendierenden Infektionsgefahr<br />

ausgehen, <strong>und</strong> das oft unabhängig<br />

davon, wie »evidence based« diese<br />

eher auf Erfahrungswerten <strong>und</strong> theoretischen<br />

Überlegungen beruhende Annahme wirklich<br />

ist (deshalb muss sie allerdings nicht falsch<br />

sein). Sexualpartner, die sich beide ihres negativen<br />

HIV-Status sicher wähnen, neigen zu<br />

einem ähnlichen Verhalten (»negatives Serosorting«).<br />

Da diese Vorannahme aber in aller<br />

Regel noch viel unabgesicherter ist als die<br />

Frage der Übertragungsrisiken bei medizinisch<br />

gut eingestellten HIV-Positiven, besteht<br />

in dieser Gruppe bei oft jahrelang zurückliegendem<br />

negativen oder überhaupt nicht vorhandenen<br />

Testergebnis ein enorm hohes Infektionsrisiko.<br />

Es dürfte inzwischen deutlich<br />

über dem der wissentlich HIV-Positiven liegen.<br />

Außerdem entsteht bei jeder Art von<br />

Serosorting unterschwellig der Eindruck, dass<br />

nur noch im Falle eines unterschiedlichen<br />

HIV-Status die Verwendung von <strong>Kondom</strong>en<br />

notwendig sei.<br />

In heterosexuellen Kontakten – seien es<br />

flüchtige oder längerfristige – glauben viele<br />

Menschen ohnehin, gar nicht vom Problem<br />

einer möglichen Übertragung betroffen zu<br />

sein. In erotischen Beziehungen, die stark mit<br />

Vorstellungen von Nähe <strong>und</strong> Liebe verknüpft<br />

sind, egal ob hetero- oder homosexuell, lassen<br />

sich Menschen zudem häufig dazu<br />

verführen, das <strong>Kondom</strong> als Störfaktor zu eliminieren<br />

oder sein Weglassen gar als Liebesbeweis<br />

zu interpretieren. Gängige Monogamiewünsche<br />

<strong>und</strong> -normen tun das ihre, um<br />

die real dennoch stattfindende Promiskuität<br />

zu verleugnen oder sie zumindest nicht durch<br />

Wieder- oder Neueinführung des <strong>Kondom</strong>gebrauchs<br />

für den Partner kenntlich zu machen.<br />

Viele Menschen, insbesondere Männer, die bei<br />

sexuellen Kontakten untereinander nun<br />

schon seit etwa fünf<strong>und</strong>zwanzig Jahren zu<br />

safer Sex angehalten sind <strong>und</strong> ihn auch weitgehend<br />

praktiziert haben, leiden gehäuft an<br />

einer <strong>Kondom</strong>müdigkeit, die zu punktueller<br />

oder dauerhafter Ablehnung führen kann.<br />

www.virologie.uni-erlangen.de<br />

2


Veränderte individuelle Risikokalkulationen<br />

im Hinblick auf die Akzeptanz chronischer Erkrankungen<br />

bei zunehmendem Lebensalter<br />

tun ein übriges, um die Abwägung zwischen<br />

Lustgewinn <strong>und</strong> Gefahrenminderung zuungunsten<br />

des <strong>Kondom</strong>s ausfallen zu lassen.<br />

Hintergr<strong>und</strong> für all diese ohne Anspruch<br />

auf Vollständigkeit beschriebenen »Versager«<br />

in Sachen safer Sex ist die bei fast jedem<br />

Menschen relevante Einschränkung des sexuellen<br />

Erlebens <strong>und</strong> sexueller Lustgefühle, die<br />

mit dem <strong>Kondom</strong>gebrauch verknüpft ist. Dazu<br />

genügt das Wissen um die Verwendung<br />

des <strong>Kondom</strong>s beim Sex, <strong>und</strong> das oft noch, bevor<br />

es real überhaupt in die sexuellen Handlungen<br />

einbezogen wird, <strong>und</strong> unabhängig<br />

davon, ob körperliche oder mechanische<br />

Schwierigkeiten auftreten. Die »künstliche«<br />

Vermeidung von Schleimhaut- <strong>und</strong> Schleimhaut-Sperma-Kontakten<br />

wirkt sich mehr oder<br />

weniger bewusst fast immer ungünstig auf<br />

die emotionale Befriedigung bei <strong>und</strong> nach<br />

dem sexuellen Kontakt aus, selbst wenn die<br />

rationalen Gründe, die für die <strong>Kondom</strong>verwendung<br />

sprechen, eingesehen werden. Im<br />

Hinblick auf die Motivation zum <strong>Kondom</strong>gebrauch<br />

können diese sich aber oft nicht gegen<br />

tief verankerte erotische Sehnsüchte<br />

durchsetzen, <strong>und</strong> zwar um so weniger, je länger<br />

der Zwang zum <strong>Kondom</strong>gebrauch besteht<br />

<strong>und</strong> je »schwächer« die entsprechenden Begründungen<br />

dafür erscheinen. Daraus resultiert<br />

bei älteren <strong>und</strong> gut informierten Menschen<br />

eine retardierende Anwendung von<br />

Safer-Sex-Regeln, <strong>und</strong> daraus resultieren die<br />

endlosen Debatten über Risikowahrscheinlichkeiten.<br />

Gerade die enormen Erfolge in der<br />

HIV-Behandlung haben dazu beigetragen, die<br />

Argumente für den <strong>Kondom</strong>gebrauch zu relativieren.<br />

Daran ändert auch der Tatbestand<br />

nichts, dass die HIV-Infektion weiterhin nicht<br />

heilbar ist <strong>und</strong> ihre Behandlung mit Risiken<br />

<strong>und</strong> Nebenwirkungen verknüpft ist, die nachhaltig<br />

<strong>und</strong> empfindlich die Lebensqualität<br />

einschränken <strong>und</strong> auf die Länge der Zeit vermutlich<br />

ziemlich gefährlich sind.<br />

Es scheint mir unter den gegebenen Umständen<br />

nicht ratsam, auf die beschriebene<br />

Sachlage allein mit einer vermehrten Propagierung<br />

des <strong>Kondom</strong>gebrauchs zu reagieren –<br />

womöglich gar versehen mit repressiven Drohungen.<br />

Das könnte das Gegenteil von dem<br />

bewirken, was es bewirken soll, nämlich zu<br />

einer Zunahme des unterschwelligen Widerstandes<br />

gegen das <strong>Kondom</strong> führen. Und<br />

das ist insbesondere dann zu befürchten,<br />

wenn Menschen sich in der Gestaltung ihres<br />

intimsten Lebensbereiches gegängelt, kontrolliert<br />

oder gar mit juristischen oder sozialen<br />

Strafen bewehrt sehen, von der Frage der<br />

tatsächlichen Durchführbarkeit solcher Maßnahmen<br />

ganz abgesehen. Zusätzlich bedenklich<br />

erscheint mir die Entwertung von Menschen,<br />

die unsafen Sex praktizieren. Solche<br />

Menschen als irrationale Selbst- <strong>und</strong> Fremdschädiger<br />

darzustellen <strong>und</strong> in Täter-Opfer-<br />

Schemata zu pressen, wird der Ebenbürtigkeit<br />

<strong>und</strong> der in aller Regel auch bestehenden Einverständigkeit<br />

von Menschen in sexuellen<br />

Situationen nicht gerecht. Darüber hinaus<br />

führt es zur Ausgrenzung HIV-Positiver sowie<br />

zu Verantwortungs- <strong>und</strong> Sorglosigkeit bei<br />

vermeintlich oder tatsächlich HIV-Negativen.<br />

Vor allem aber führt es bei Betroffenen zu einem<br />

massiven Verlust von Vertrauen in das<br />

medizinische Behandlungssystem, das sich<br />

unter diesen Umständen vom Helfer zum Gegner<br />

<strong>und</strong> Kontrolleur wandeln würde, vor welchem<br />

man – angesichts der zu befürchtenden<br />

Sanktionen – lieber verheimlicht, was man in<br />

Wirklichkeit (erotisch) tut. Eine solche Situation<br />

konnte im Rahmen der bisherigen Präventionskonzepte<br />

<strong>und</strong> -bemühungen verhindert<br />

werden. Dass angesichts steigender<br />

Neuinfektionszahlen die bisherigen Konzepte<br />

in Frage gestellt werden <strong>und</strong> in Frage gestellt<br />

werden müssen, sollte nicht dazu führen, ihre<br />

Erfolge zu übersehen oder gar zu gefährden,<br />

indem nun leichtfertig zu Maßnahmen<br />

gegriffen wird, die bisher aus guten Gründen<br />

vermieden wurden.<br />

Gerade angesichts der Erfolge im medizinischen<br />

<strong>und</strong> sozialen Umgang mit der HIV-Infektion<br />

sollte weiterhin auf Kooperation statt<br />

auf Konfrontation mit den Betroffenen gesetzt<br />

werden, also auf Kooperation auch mit<br />

Menschen, die unsafen Sex praktizieren, seien<br />

sie nun HIV-positiv oder vermeintlich oder<br />

tatsächlich HIV-negativ. Dazu bedarf es neben<br />

dem schlichten Verweis auf das <strong>Kondom</strong> differenzierterer<br />

Botschaften, zum Beispiel in<br />

puncto Risikomanagement <strong>und</strong> Risikoakzeptanz.<br />

Die Sorge, bei Relativierung des <strong>Kondom</strong>gebrauchs<br />

in den Präventionsaussagen<br />

womöglich einen Dammbruch <strong>und</strong> in die Höhe<br />

schnellende Infektionszahlen zu erzeugen, ist<br />

nachvollziehbar. Aus Angst vor einem solchen<br />

Dammbruch jedoch weiterhin ausschließlich<br />

auf <strong>Kondom</strong>gebrauch zu setzen oder gar dazu<br />

zu verpflichten, birgt aus den genannten<br />

Gründen dasselbe Risiko, die Infektionszahlen<br />

in die Höhe schnellen zu lassen, selbst wenn<br />

die erste reaktive Intuition eine andere Vorannahme<br />

nahezulegen scheint.<br />

Wie auch immer wir uns als Gesellschaft<br />

entscheiden, wir veranstalten in den nächsten<br />

Jahren in der HIV-Prävention ein gigantisches<br />

Menschenexperiment, dessen Variablen wir<br />

nur in sehr geringem Umfang zu kontrollieren<br />

vermögen <strong>und</strong> das weitreichende Auswirkungen,<br />

nicht zuletzt auf das Vorgehen in anderen<br />

Ländern <strong>und</strong> auf anderen Kontinenten,<br />

haben wird. Die Verantwortung, die alle an<br />

der HIV-Prävention Beteiligten übernehmen,<br />

ist groß <strong>und</strong> in ihren Dimensionen kaum zu<br />

überschätzen.<br />

Dr. Dr. Stefan Nagel<br />

Facharzt für Psychosomatische Medizin<br />

<strong>und</strong> Psychotherapie<br />

Psychotherapie · Psychoanalyse<br />

Bruhnstraße 5 · 40225 Düsseldorf<br />

arztpraxis@drdrstefannagel.de<br />

3 www.virologie.uni-erlangen.de


HIV-Tests, HIV-Viruslast <strong>und</strong> HIV-Prävention?<br />

DIAGNOSTIK<br />

HIV weltweit<br />

Die weltweite AIDS-Epidemie hat auch 2007<br />

weiterhin ihren Schwerpunkt in Afrika südlich<br />

der Sahara. Hier sind alle Bevölkerungsgruppen<br />

betroffen <strong>und</strong> die Epidemie wird als<br />

generalisiert bezeichnet. In anderen Regionen<br />

der Welt konzentriert sich die Epidemie auf<br />

Hoch-Risikogruppen wie intravenöse Drogenkonsumenten,<br />

Prostituierte, Männer, die Sex<br />

mit Männern haben (MSM), sowie die direkten<br />

Sexualpartner dieser Risikogruppen (siehe<br />

Bulletin 1/2008). Wie die UN in einer Deklaration<br />

im April 2008 berichtete, konnten<br />

beim Zugang zu antiretroviralen Medikamenten<br />

<strong>und</strong> der Verhinderung der Mutter-Kind-<br />

Transmission Fortschritte verzeichnet werden.<br />

So erhielten beispielsweise 2007 35 % der<br />

HIV-infizierten Mütter eine antiretrovirale<br />

Therapie, während es 2005 nur 14 % waren.<br />

Das Wissen über HIV ist jedoch mit 40 % bei<br />

jungen Männern <strong>und</strong> 36 % bei jungen Frauen<br />

(15 – 24 Jahre) noch weit entfernt von dem<br />

gesteckten Ziel von 95 %. Auch ist nach diesem<br />

Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki<br />

Moon die Zahl der Neuinfektionen mit 2,5<br />

Millionen im Jahr 2007 zweieinhalbmal so<br />

hoch gewesen wie die Zahl der Menschen, die<br />

2007 erstmals Zugang zu antiretroviraler Therapie<br />

erhalten haben (1 Million Infizierte).<br />

Dies unterstreicht die Bedeutung der Prävention,<br />

um die humanitären <strong>und</strong> ökonomischen<br />

Folgen der HIV-Infektion in den Griff zu bekommen<br />

(United Nations, General Assembly,<br />

A/62/780 Declaration of Commitment on HIV/<br />

AIDS and Political Declaration on HIV/AIDS:<br />

midway to the Millenium Development Goals).<br />

HIV in Deutschland<br />

Während für das Jahr 2001 insgesamt 1.443<br />

HIV-Erstdiagnosen in Deutschland gemeldet<br />

wurden, stieg die Zahl über 1.973 im Jahr<br />

2003 <strong>und</strong> 2.486 im Jahr 2005 kontinuierlich<br />

auf 2.752 im Jahr 2007 an. Es ist also seit dem<br />

niedrigsten Stand 2001 fast eine Verdoppelung<br />

der Zahl der Erstdiagnosen innerhalb von<br />

6 Jahren zu verzeichnen. Der aktuelle Anstieg<br />

ist im Wesentlichen auf eine steigende Inzidenz<br />

bei MSM zurückzuführen (UNAIDS, Germany,<br />

2008 Country progress report Januar<br />

2006 – Dezember 2007). Die Allgemeinbevölkerung<br />

ist dagegen bisher vergleichsweise wenig<br />

von HIV-Infektionen betroffen; hier liegt<br />

die Prävalenz unter 0,1 %. Studien zum Verhalten<br />

bei MSM zeigen, dass das Wissen über<br />

HIV-Übertragung <strong>und</strong> Prävention in dieser<br />

Gruppe zwar durchaus vorhanden ist, dennoch<br />

wird aber eine steigende Zahl von Sexualpartnern<br />

<strong>und</strong> ein höherer Anteil ungeschützten<br />

Analverkehrs bei Partnern mit unbekanntem<br />

Serostatus beobachtet. Parallel steigt auch<br />

die Zahl anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen<br />

wie Syphilis unter MSM deutlich an.<br />

Möglichkeiten der HIV-Prävention<br />

Wir möchten von den vielen Möglichkeiten<br />

der Prävention, wie sie in Tabelle1 zusammengefasst<br />

sind, in diesem Beitrag nur auf die Risiken<br />

<strong>und</strong> Möglichkeiten von HIV-Tests <strong>und</strong><br />

den Zusammenhang zwischen HIV-Viruslast<br />

<strong>und</strong> Transmissionswahrscheinlichkeit eingehen.<br />

Tabelle 1: Präventionsmöglichkeiten von HIV-<br />

Neuinfektionen (Fauci, Clin Inf Dis, 2007)<br />

Verhaltensassoziiert<br />

• Bildung <strong>und</strong> Aufklärung zur Verhaltensänderungen<br />

• Verwendung von <strong>Kondom</strong>en <strong>und</strong> anderen<br />

Barrieremethoden<br />

• Behandlung <strong>und</strong> Prävention von i.v.-<br />

Drogenkonsum<br />

• Nadel-Austauschprogramme<br />

Virusassoziiert<br />

• Vermeidung der Mutter-Kind-Transmission<br />

• Mikrobizide<br />

• Beschneidung von Männern<br />

• Breites HIV-Testangebot<br />

• Behandlung sexuell übertragbarer Erkrankungen<br />

(STD) <strong>und</strong> anderer Koinfektionen<br />

• Reduktion der Viruslast, um die Transmissionsrate<br />

zu reduzieren<br />

• Prophylaktische antivirale Therapie (Präexpositionsprophylaxe)<br />

• Impfung<br />

HIV-Screening in den USA<br />

HIV-Tests sollten möglichst universal <strong>und</strong><br />

anonym angeboten werden. Mit der Klärung<br />

des Infektionsstatus sollte immer ein Gespräch<br />

zur Aufklärung <strong>und</strong> Beratung der Betroffenen<br />

verb<strong>und</strong>en sein. In den USA wurde<br />

2006 ein Screening-Programm initiiert mit<br />

dem Ziel, dass jeder Amerikaner zwischen 16<br />

<strong>und</strong> 64 Jahren mindestens einmal im Leben<br />

auf HIV getestet wird. Darüber hinaus wird<br />

bei Personen mit bekannt hohem Infektionsrisiko<br />

eine jährliche Testung angestrebt. Die<br />

Situation in den USA ist dadurch gekennzeichnet,<br />

dass 40 % der Patienten innerhalb<br />

eines Jahres nach dem ersten HIV-Test bereits<br />

AIDS entwickeln <strong>und</strong> somit ein erheblicher<br />

Teil der Infektionen erst sehr spät diagnostiziert<br />

wird. Nach Studien in den USA wissen<br />

besonders schwarze Männer, die Sex mit<br />

Männern haben, nicht, dass sie HIV positiv<br />

sind (Fenton, Clin Inf Dis 2007). Von diesem<br />

Screening-Programm erhofft man sich zum<br />

einen eine Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten<br />

durch Diagnose der Infektion<br />

in einem früheren Stadium, zum anderen<br />

aber auch eine Senkung der Übertragungsrate<br />

von HIV.<br />

HIV-Suchtest, HIV-Schnelltests<br />

Die klassischen HIV-Suchtests weisen Antikörper<br />

gegen HIV nach. Neuere Suchtests der<br />

4. Generation kombinieren den Nachweis von<br />

Antikörpern gegen HIV-1 <strong>und</strong> HIV-2 mit einem<br />

HIV-Antigentest, so dass eine möglichst<br />

frühe Erfassung der Infektion möglich wird.<br />

Die Tests sind zumeist automatisiert, was eine<br />

kostengünstige <strong>und</strong> routinierte Durchführung<br />

in medizinischen Labors ermöglicht. Die<br />

Tests haben eine Sensitivität (Anteil der Infizierten,<br />

die im Test als positiv erkannt werden)<br />

von mindestens 99,5 % <strong>und</strong> eine Spezifität<br />

(Anteil der nicht Infizierten, die im Test<br />

negativ sind) von meist über 99,8 %. Trotz<br />

dieser guten Kennzahlen muss man davon<br />

ausgehen, dass in Bevölkerungsgruppen, in<br />

denen die HIV-Infektion selten ist, ein großer<br />

Teil der reaktiven (positiven) Ergebnisse in<br />

Suchtests falsch positiv ist, also nicht auf eine<br />

HIV-Infektion zurückgeht, sondern durch<br />

unspezifische Störfaktoren bedingt ist. Speziallabors<br />

stellen daher sicher, dass ein reaktives<br />

Testergebnis erst mit einer anderen Methode<br />

bestätigt wird, bevor der Patient eine<br />

Mitteilung erhält. In den USA finden – insbesondere<br />

im Rahmen des oben erwähnten universellen<br />

Screeningprogramms – HIV-Schnelltests<br />

mittlerweile eine breite Anwendung.<br />

Sechs solcher Tests wurden inzwischen von<br />

der Food and Drug Administration zugelassen.<br />

Sie funktionieren ähnlich wie ein ELISA.<br />

Als Probenmaterial kann neben Serum bzw.<br />

Plasma auch Vollblut <strong>und</strong> teilweise sogar<br />

Speichel verwendet werden. Waschschritte<br />

<strong>und</strong> Geräteausstattung sind nicht notwendig,<br />

www.virologie.uni-erlangen.de<br />

4


Tabelle 2: Positiver Vorhersagewert (Anteil der reaktiven Testergebnisse, bei denen tatsächlich eine<br />

HIV-Infektion vorliegt) von HIV-Schnelltesten in Abhängigkeit von der Testspezifität <strong>und</strong> der HIV-<br />

Prävalenz in der Testpopulation. (Branson, Clin Infect Dis 2007m Quelle CDC 2004)<br />

(Prävalenz in Deutschland in der Allgemeinbevölkerung < 0,1 %)<br />

HIV-Prävalenz Spezifität 99,9 % Spezifität 99,7 %<br />

1 falsch positives Ergebnis 3 falsch positive Ergebnisse<br />

bei 1000 HIV-Negativen bei 1000 HIV-Negativen<br />

10 % 99 % 97 %<br />

5% 98% 95%<br />

2% 95% 87%<br />

1% 91% 77%<br />

0,5% 83% 63%<br />

0,3% 75% 50%<br />

0,1% 50% 25%<br />

so dass die Tests auch außerhalb von Labors<br />

als Point of Care-Tests durchgeführt werden<br />

können. Die Durchführungszeit ist mit 5 – 20<br />

Minuten kürzer als die »normaler« HIV-Suchtests,<br />

die zwischen 30 Minuten <strong>und</strong> etwa 2<br />

St<strong>und</strong>en liegt. Der wesentliche Vorteil der<br />

Schnelltests in puncto Zeitaufwand liegt allerdings<br />

darin, dass bei Durchführung vor Ort<br />

die Weiterleitung der Probe ins Labor entfällt<br />

<strong>und</strong> das Testergebnis unmittelbar mitgeteilt<br />

werden kann, während bei einem im Labor<br />

durchgeführten Test praktisch immer ein<br />

zweiter Besuch notwendig ist, bei dem das<br />

Testergebnis mitgeteilt wird. Ein Nachteil der<br />

Schnelltests ist, dass diese 3- bis 5-mal teurer<br />

als konventionelle Tests sind <strong>und</strong> auch<br />

einen höheren Personalaufwand pro Probe<br />

erfordern. Ein anderes Problem bei Schnelltests<br />

ergibt sich aus der unmittelbaren Ergebnismitteilung,<br />

wenn das Testergebnis nicht<br />

negativ ist. Auch wenn die Spezifität der<br />

Schnelltests inzwischen meist genauso gut ist<br />

wie die von automatisierten Tests (siehe<br />

oben), liegt bei der geringen HIV-Prävalenz,<br />

wie sie in Deutschland in der Allgemeinbevölkerung<br />

vorliegt (


aus Kostengründen die Proben gesammelt<br />

<strong>und</strong> in größeren Testserien abgearbeitet werden,<br />

liegt die Zeit vom Eingang der Proben bis<br />

zum Bef<strong>und</strong> je nach Labor <strong>und</strong> Test bei durchschnittlich<br />

etwa 5 Tagen. Der Personalaufwand<br />

ist relativ hoch <strong>und</strong> die reinen Testkosten<br />

sind 5- bis 10-mal höher als für einen<br />

ELISA-Test. Damit ist dieser Test weit entfernt<br />

von einer Point of Care-Anwendung.<br />

Viruslast <strong>und</strong> Transmissionswahrscheinlichkeit<br />

Sexuelle Übertragung<br />

Sinkt die HIV-Viruslast, nimmt auch die Übertragungswahrscheinlichkeit<br />

der HIV-Infektion<br />

ab. So zeigte eine Studie in Uganda, die die<br />

sexuelle Übertragung bei heterosexuellen diskordanten<br />

Paaren (ein Partner HIV-negativ,<br />

der andere HIV-positiv) über einen Zeitraum<br />

von ca. 2 Jahren beobachtet hat, dass die Übertragungs-Wahrscheinlichkeit<br />

pro sexuellem<br />

Kontakt bei den 44 Paaren mit hoher Viruslast<br />

(>38.000 Kopien/ml) um den Faktor 23<br />

höher war als bei den 42 Paaren mit niedriger<br />

Viruslast (230.000<br />

Kopien/ml) die Übertragungsrate bei mehr als<br />

20 % lag, betrug sie bei einer Viruslast unter<br />

400 Kopien/ml nur 1 % (Cooper et al., J AIDS<br />

2002). Die Viruslast sollte daher bei Schwangeren<br />

möglichst unter die Nachweisgrenze gesenkt<br />

werden (siehe Bulletin 1/2008). Auch die<br />

Übertragungswahrscheinlichkeit bei Nadelstichverletzungen<br />

hängt von der Viruslast des<br />

Indexpatienten ab <strong>und</strong> liegt ohne medikamentöse<br />

Prophylaxe bei durchschnittlich 0,3 %.<br />

Neben der Viruslast spielen Verletzungstiefe,<br />

Dauer des Kontaktes, das Zeitintervall zwischen<br />

Verletzung <strong>und</strong> Reinigung <strong>und</strong> die prophylaktischen<br />

Maßnahmen eine Rolle. Eine<br />

postexpositionelle Prophylaxe sollte spätestens<br />

innerhalb von 72 St<strong>und</strong>en nach der Exposition<br />

einsetzen <strong>und</strong> dann für etwa 4 Wochen<br />

durchgeführt werden. Eine präventive<br />

Maßnahme zur Vermeidung von Nadelstichverletzungen<br />

ist der Einsatz von verletzungssicheren<br />

Instrumenten, denn Nadelstichverletzungen<br />

sind mit 1 pro Jahr <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />

kein seltenes Ereignis (Wicker et al., Deutsches<br />

Ärzteblatt 2007). Konventionelle Instrumente<br />

dürfen nach den aktuellen »Technischen Regeln<br />

für Biologische Arbeitsstoffe 250« nur<br />

noch verwendet werden, wenn der Infektionsstatus<br />

des Patienten bekannt <strong>und</strong> insbesondere<br />

für HIV, HBV <strong>und</strong> HCV negativ ist. Bei<br />

http://www.soas.ac.uk/gallery/positivebodies/our-positive-bodies.html<br />

Abb. S. 4 bis 6:<br />

Bilder von Betroffenen<br />

aus Indien,<br />

Kenia <strong>und</strong> Thailand;<br />

Brunei Gallery,<br />

School of Oriental<br />

and African Studies,<br />

University of London,<br />

Trust for Indigenous<br />

Culture and Health<br />

(TICAH) –<br />

siehe WEB-Adresse<br />

der Sicherheit von zellulären Blutprodukten<br />

<strong>und</strong> gefrorenem Frischplasma setzt man seit<br />

Mai 2003 neben dem Antikörper-Screening<br />

für jede Einzelprobe auch auf den HIV-1-RNA-<br />

Nachweis mit Nukleinsäure-Amplifikationstechniken.<br />

Die Viruslastmessungen werden in<br />

Pools durchgeführt <strong>und</strong> müssen mindestens<br />

eine Konzentration von HIV-1-RNA von<br />

10.000UI/ml (Referenzpräparat: WHO-Standard<br />

für HIV-1-RNA (97/656); 105 IU/ml), auf<br />

die Einzelspende bezogen, nachweisen können.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, durch ein Blutprodukt<br />

in Deutschland mit HIV infiziert zu<br />

werden, schätzt man inzwischen auf deutlich<br />

weniger als 1:1.000.000 ein.<br />

Schweizer Empfehlungen <strong>und</strong> Risikoeinschätzung<br />

Im Februar dieses Jahres wurde von der Eidgenössischen<br />

Kommission für AIDS-Fragen<br />

(EKAF) in der Schweizerischen Ärztezeitung<br />

folgende Empfehlung publiziert: Eine HIV-infizierte<br />

Person ohne andere STD unter einer<br />

antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig<br />

supprimierter Virämie (im Folgenden:<br />

»wirksame ART«) ist sexuell nicht infektiös,<br />

d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte<br />

nicht weiter, solange folgende Bedingungen<br />

erfüllt sind:<br />

• die antiretrovirale Therapie (ART) wird<br />

durch den HIV-infizierten Menschen<br />

eingehalten <strong>und</strong> durch den behandelnden<br />

Arzt kontrolliert;<br />

• die Viruslast (VL) liegt seit mindestens<br />

sechs Monaten unter der Nachweisgrenze<br />

(d.h. die Virämie ist supprimiert);<br />

• es bestehen keine Infektionen mit anderen<br />

sexuell übertragbaren Erregern (STD).<br />

Diese Empfehlung hat sicherlich ihre Berechtigung<br />

z.B. bei der Beratung von HIV-diskordanten<br />

Paaren mit Kinderwunsch. Auch trägt<br />

sie der Tatsache Rechung, dass angesichts der<br />

zahlreichen Fehlschläge in der Entwicklung<br />

von Impfstoffen gegen HIV die antiretrovirale<br />

Therapie auch einen wesentlichen Beitrag<br />

zur Verhinderung der Weiterverbreitung von<br />

HIV leisten kann. Sehr kritisch stehen wir jedoch<br />

der z.T. sehr unreflektierten Verbreitung<br />

dieser Empfehlung gegenüber, da diese durchaus<br />

geeignet ist, die Akzeptanz anderer wichtiger<br />

Präventionsmaßnahmen, insbesondere<br />

der Verwendung von <strong>Kondom</strong>en, zu unterminieren.<br />

So basieren die Studienergebnisse, die<br />

diesen Empfehlungen zugr<strong>und</strong>e liegen, rein<br />

auf Daten von heterosexuellen Paaren. Zum<br />

anderen wird die Aussage »Viruslast mindestens<br />

sechs Monate unter der Nachweisgrenze«<br />

in der Regel auf nur zwei bis drei Messungen<br />

beruhen, denn üblicherweise wird die<br />

Viruslast nur alle drei Monate kontrolliert.<br />

Außerdem ist auch bei nicht nachweisbarer<br />

Viruslast im Plasma immer noch ein geringes<br />

Restrisiko vorhanden. So definieren die Autoren<br />

der Empfehlung »sexuell nicht infektiös«<br />

als eine Transmissions-Wahrscheinlichkeit von<br />

1:100.000 oder weniger. Allerdings ergeben<br />

sich auch bei einem solchen für das einzelne<br />

Ereignis sehr geringen Risiko durch die Häu-<br />

www.virologie.uni-erlangen.de<br />

6


figkeit der sexuellen Kontakte über die Zeit<br />

u.U. deutlich höhere Infektions-Wahrscheinlichkeiten.<br />

Rein rechnerisch ergibt sich bei einem<br />

Infektionsrisiko von 1:100.000 pro sexuellem<br />

Kontakt bei 1000 Kontakten (das wären<br />

8 Jahre lang 10 Kontakte/Monat) <strong>und</strong> 50 HIVdiskordanten<br />

Paaren eine Wahrscheinlichkeit<br />

von 39 %, dass sich innerhalb dieser Zeit bei<br />

einem der 50 Paare der HIV-negative Partner<br />

infiziert. Da neben dieser reinen Wahrscheinlichkeitsrechnung<br />

noch andere Faktoren wie<br />

die Verlässlichkeit der kontinuierlichen Therapie,<br />

evtl. doch vorhandene, unerkannte andere<br />

Erkrankungen, Gelegenheitspartner u.a. eine<br />

Rolle spielen, könnte das tatsächliche<br />

Risiko auch höher sein. Schließlich wird durch<br />

die Fixierung auf das Thema HIV-Übertragung<br />

unter Umständen auch der Schutz vor anderen,<br />

teilweise viel häufigeren sexuell übertragenen<br />

Erkrankungen (Chlamydien, Gonorrhö,<br />

HPV-Infektionen u.a.) vernachlässigt.<br />

Zusammenfassung<br />

Der HIV-Schnelltest hat auch in Deutschland<br />

Einzug gehalten. Vorteilen stehen Nachteile<br />

gegenüber. Sinnvolle Einsatzbereiche für<br />

Schnelltests liegen vor allem dort, wo schnelle<br />

Resultate für den Einsatz einer Transmissionsprophylaxe<br />

wichtig sind wie bei Entbindungen<br />

oder Nadelstichverletzungen. Außerdem<br />

vermeidet der Einsatz von Schnelltests nicht<br />

abgeholte anonyme HIV-Testergebnisse. Ob<br />

der vermehrte Einsatz von HIV-Tests in<br />

Deutschland präventive Wirkung haben kann,<br />

gilt aber als umstritten.<br />

Die breite Anwendung der antiretroviralen<br />

Therapie hat neben den individuellen Effekten<br />

auf den Ges<strong>und</strong>heitszustand des Behandelten<br />

auch einen präventiven Einfluss auf<br />

die Transmissionsrate von HIV. Es bleibt jedoch<br />

besonders bei der sexuellen Übertragung<br />

ein unkalkulierbares Restrisiko, da die<br />

Viruslast zum Zeitpunkt des Risikokontakts<br />

oft unbekannt bleibt. Außerdem finden HIV-<br />

Übertragungen häufig bei sexuellen Kontakten<br />

zwischen Gelegenheitspartnern statt, wo<br />

weder Infektionsstatus noch Viruslast bekannt<br />

sind. Eine falsche Sicherheit kann die<br />

Frequenz von unsicheren Praktiken erhöhen<br />

<strong>und</strong> damit in paradoxer Weise die Rate der<br />

HIV-Transmission sogar erhöhen (Cohen, Clin<br />

Inf Dis, 2007). Die tragische Konsequenz ist<br />

eine zwar behandelbare, aber nicht heilbare<br />

chronische Infektion. Ziel sollte sein, dass<br />

durch Kombination verschiedener Präventionsstrategien<br />

(siehe Tabelle1) das Infektionsrisiko<br />

so weit wie möglich reduziert wird.<br />

Denn jede einzelne HIV-Infektion ist eine Infektion<br />

zuviel.<br />

Dr. Monika Gröne, Dr. Klaus Korn<br />

Nationales Referenzzentrum für Retroviren<br />

Virologisches Institut<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

monika.groene@viro.med.uni-erlangen.de<br />

klaus.korn@viro.med.uni-erlangen.de<br />

Literaturhinweise<br />

Branson BM., State of the art for diagnosis of HIV<br />

infection. Clin Infect Dis. 2007; 45 Suppl 4: S221-5.<br />

Cohen MS., Preventing sexual transmission of<br />

HIV. Clin Infect Dis. 2007; 45 Suppl 4: S287-92.<br />

Cooper ER., Combination antiretroviral strategies<br />

for the treatment of pregnant HIV-1-infected<br />

women and prevention of perinatal HIV-1-transmission.<br />

J Acquir Immune Defic Syndr. 2002; 29(5):<br />

484-94.<br />

Fauci AS., Pathogenesis of HIV disease: opportunities<br />

for new prevention interventions. Clin Infect<br />

Dis. 2007; 45 Suppl 4: S206-12.<br />

Fenton KA., Changing epidemiology of HIV/AIDS<br />

in the United States: implications for enhancing<br />

and promoting HIV testing strategies. Clin Infect<br />

Dis. 2007; 45 Suppl 4: S213-20.<br />

Gray RH., et al., Probability of HIV-1-transmission<br />

per coital act in monogamous, heterosexual,<br />

HIV-1-discordant couples in Rakai, Uganda. Lancet.<br />

2001, 357(9263): 1149-53.<br />

Wawer MJ., et al., Rates of HIV-1 transmission<br />

per coital act, by stage of HIV-1 infection, in Rakai,<br />

Uganda. J Infect Dis. 2005;191(9):1403-9.<br />

Wicker S. et al., Gefährdung durch Nadelstichverletzungen,<br />

Deutsches Ärzteblatt, 2007, 45, 104,<br />

2102-3106.<br />

Hinweise ins Internet<br />

United Nation, General Assembly, A/62/780<br />

Declaration of Commitment on HIV/AIDS and Political<br />

Declaration on HIV/AIDS: midways to the Millenium<br />

Development Goals)<br />

http://data.unaids.org/pub/Report/2008/20080429_<br />

sg_progress_report_en.pdf<br />

2008 Progress Report Germany<br />

http://data.unaids.org/pub/Report/2008/germany_<br />

2008_country_progress_report_en.pdf<br />

Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe<br />

250<br />

http://www.baua.de/nn_15116/de/Themen-von-A-Z/<br />

Biologische-Arbeitsstoffe/TRBA/pdf/TRBA-250.pdf?<br />

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil.<br />

Ralph Grassmann<br />

* 23. August 1957 † 1. Juli 2008<br />

Das Nationale Referenzzentrum für Retroviren<br />

hat einen angesehenen Wissenschaftler <strong>und</strong><br />

w<strong>und</strong>erbaren Kollegen <strong>und</strong> Mitarbeiter verloren.<br />

Ralph Grassmann leitete seit 1990 die<br />

HTLV(Humanes T-Zelleukämie-Virus)-Arbeitsgruppe<br />

am Virologischen Institut in Erlangen.<br />

Wir sind traurig, dass er nicht mehr bei uns ist.<br />

7 www.virologie.uni-erlangen.de


DIAGNOSTIK<br />

Die Anonyme AIDS- <strong>und</strong> STI-Beratungsstelle am Ges<strong>und</strong>heitsamt<br />

der Stadt Nürnberg: Das Angebot HIV-AK-Schnelltest<br />

Im September 1987 wurde die Anonyme<br />

AIDS-Beratungsstelle (AAB) im Rahmen der<br />

Initiative von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern, den HIV-<br />

Antikörpertest flächendeckend in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland anzubieten, gegründet.<br />

Das Angebot, sich anonym <strong>und</strong><br />

kostenlos nach einem möglichen Risiko über<br />

den eigenen Infektionsstatus zu informieren,<br />

besteht seit 21 Jahren an der Mehrzahl der<br />

Ges<strong>und</strong>heitsämter in Bayern <strong>und</strong> in den meisten<br />

anderen B<strong>und</strong>esländern. Natürlich ist die<br />

personelle Ausstattung <strong>und</strong> die Frequentierung<br />

der Beratungsstellen von der jeweiligen<br />

Region abhängig. Die AAB Nürnberg ist nach<br />

München die zweitgrößte AIDS-Beratungsstelle<br />

in Bayern <strong>und</strong> führt durchschnittlich<br />

knapp 2.000 Tests pro Jahr durch. In den letzten<br />

10 Jahren war ein kontinuierlicher Anstieg<br />

der Beratungszahlen von ca. 4 % – 5 %<br />

pro Jahr zu verzeichnen. Die Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter orientieren sich in ihrer<br />

Arbeit an den Standards der AIDS-Beratung,<br />

wie sie zum Beispiel beim Verband der AIDS-<br />

Koordinatoren NRW – im Internet unter<br />

http://www.vak-nrw.de/ – nachzulesen sind.<br />

Kennzeichnend für die AIDS-Beratung, im<br />

Gegensatz zu anderen Testangeboten, sind<br />

folgende Punkte:<br />

• Anonymität<br />

• Freiwilligkeit<br />

• Kostenfreiheit<br />

• Schweigepflicht (StGB § 203, Abs 1f)<br />

• Vertraulichkeit<br />

Die Beratungsstellen haben für ihre Arbeit<br />

folgende Beratungsstandards festgelegt:<br />

Beratung ist bzw. bietet<br />

• orientiert am individuellen Lebensstil <strong>und</strong><br />

den persönlichen Lebensbedingungen<br />

• ohne Wertung des Risikoverhaltens<br />

• Testangebot <strong>und</strong> Ergebnismitteilung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich innerhalb eines Beratungskontextes<br />

• nur persönliche Ergebnismitteilung, keine<br />

telefonische Ergebnismitteilung<br />

• zuverlässige KooperationspartnerInnen<br />

zu den Fachgebieten HIV/AIDS (Schwerpunktpraxen)<br />

<strong>und</strong> STI (z.B. als gemeinsame<br />

Beratungsstelle am Ges<strong>und</strong>heitsamt<br />

der Stadt Nürnberg)<br />

• Unterstützung bei der Suche nach weiteren<br />

Hilfsangeboten<br />

• Dokumentation der Beratungstätigkeit<br />

Das Team der Anonymen AIDS–STI-Beratungsstelle in Nürnberg<br />

Das Infektionsschutzgesetz eröffnet<br />

Möglichkeiten<br />

Mit Einführung des Infektionsschutzgesetzes<br />

(IfSG) 2001 ergaben sich gegenüber dem B<strong>und</strong>esseuchengesetz<br />

für sexuell übertragbare Infektionen<br />

Neuerungen. Analog den Standards<br />

bei der AIDS-Beratung setzte man auf Anonymität,<br />

Beratung <strong>und</strong> aufsuchende Arbeit.<br />

Demnach lag es nahe, die beiden Beratungsstellen<br />

am Ges<strong>und</strong>heitsamt zu einer gemeinsamen<br />

AIDS- <strong>und</strong> STI(sexually transmitted infections)-Beratungsstelle<br />

zusammenzulegen.<br />

So konnte die AIDS-STI-Beratung nun zusätzlich<br />

zum HIV-Antikörper-Test auch Untersuchungen<br />

auf verschiedene sexuell übertragbare<br />

Infektionen wie Syphilis, Hepatitis B,<br />

Gonorrhoe u.a. anonym <strong>und</strong> kostenfrei anbieten.<br />

Zu den bisherigen Aktivitäten aus dem<br />

Bereich der Prävention, die in erster Linie an<br />

Jugendliche gerichtet waren, kam die aufsuchende<br />

Arbeit durch eine eigene Streetworkerin<br />

bei Menschen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Lebensbedingungen<br />

ein besonderes Risiko für<br />

sexuell übertragbare Infektionen haben.<br />

Beratung <strong>und</strong> Blutentnahme erfolgen in<br />

der Beratungsstelle des Ges<strong>und</strong>heitsamtes.<br />

Die Diagnostik wird für alle bayerischen Ges<strong>und</strong>heitsämter<br />

kostenlos im Landesamtes für<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Lebensmittelsicherheit (LGL)<br />

in Oberschleißheim durchgeführt. Durch den<br />

notwendigen Transport der Blutproben <strong>und</strong><br />

die Übermittlung der Ergebnisse auf dem<br />

Postweg vom LGL an uns dauert es durchschnittlich<br />

7 – 10 Tage, bis das Ergebnis mitgeteilt<br />

werden kann. Da wir gr<strong>und</strong>sätzlich auf<br />

einer persönlichen Ergebnismitteilung bestehen,<br />

bedeutet dies, dass alle Klienten frühestens<br />

nach einer Woche nochmals zur Ergebniseröffnung<br />

in die Beratungsstelle kommen<br />

müssen. Zwischen 15 % <strong>und</strong> 20 % der Beratenen<br />

verzichten – möglicherweise auch wegen<br />

der langen Wartezeit – darauf, ihr Ergebnis<br />

zu erfahren.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat die Beratungsstelle<br />

beschlossen, ab Mitte Mai 2008 neben dem<br />

anonymen <strong>und</strong> kostenfreien HIV-Test-Angebot<br />

zunächst im Rahmen einer Probephase<br />

den HIV-Schnelltest als Alternative in unser<br />

Angebot aufzunehmen. Ermutigt haben uns<br />

dabei die positiven Erfahrungen der Münchner<br />

AIDS Hilfe <strong>und</strong> des Vereins »AIDS Aufklärung<br />

e.V.« in Frankfurt hinsichtlich der Sicherheit<br />

des Schnelltests in der täglichen<br />

Praxis.<br />

Der Schnelltest – Probleme <strong>und</strong> Vorteile<br />

Da auch der HIV-Schnelltest Antikörper gegen<br />

das Virus nachweist, ändert sich natürlich<br />

nichts am »diagnostischen Fenster«, das<br />

weiterhin offen steht. Damit kann auch der<br />

Schnelltest erst 12 Wochen nach einem möglichen<br />

Risiko mit großer Sicherheit eine Infektion<br />

ausschließen. In der Beratung ist besonders<br />

sorgfältig mit diesem Testverfahren<br />

umzugehen, damit nicht falsche Sicherheit<br />

erzeugt oder kurzfristige Motive bedient werden.<br />

Letzteres zum Beispiel, wenn der Sexualpartner<br />

noch kurz vor dem Geschlechtsverkehr<br />

auf sein Infektionsrisiko hin geprüft<br />

werden soll. Eine zweite Schwierigkeit muss<br />

bedacht werden: Der statistische prädiktive<br />

Wert des Tests sinkt mit der Prävalenz von HIV<br />

www.virologie.uni-erlangen.de<br />

8


in einem gegebenen Populationsausschnitt.<br />

So ist die Wahrscheinlichkeit für ein falsch<br />

positives Ergebnis bei einem heterosexuellen<br />

Klienten im Vergleich zu einem homosexuellen<br />

Klienten leicht erhöht. Aufgr<strong>und</strong> der hohen<br />

Sensitivität ergeben sich aber keine Einschränkungen<br />

hinsichtlich der Verlässlichkeit<br />

des Tests bei einem negativen Ergebnis. Für<br />

die Beratungssituation bedeutet dies allerdings,<br />

dass ein reaktives Resultat im Schnelltest<br />

im konventionellen Verfahren in jedem<br />

Fall durch eine weitere Labordiagnostik bestätigt<br />

werden muss. Im Labor kann dann ein<br />

falsch positives Ergebnis durch Bestätigungstests<br />

ausgeschieden werden.<br />

Der entscheidende Vorteil des Schnelltests<br />

liegt, nomen est omen, in der Möglichkeit, ein<br />

Testergebnis binnen 15 Minuten mitteilen zu<br />

können <strong>und</strong> den Klienten so die quälend lange<br />

Wartezeit zu ersparen. Anders als es beispielsweise<br />

Bernard Branson (Branson, 2007)<br />

in seinem Artikel für die USA betont, glauben<br />

wir nicht, dass der Schnelltest neue Infektionen<br />

verhindert, weil mehr Menschen über<br />

ihren Infektionsstatus schneller informiert<br />

werden können <strong>und</strong> dadurch ihr Verhalten<br />

hin zu safer sex beeinflusst wird. Wie groß<br />

der Anteil der Menschen in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Deutschland ist, die nicht über ihre HIV-<br />

Infektion informiert sind <strong>und</strong> wie groß der<br />

Zeitraum zwischen dem Infektionsrisiko <strong>und</strong><br />

dem späteren positiven HIV-Testergebnis ist,<br />

versucht derzeit das Robert-Koch-Institut in<br />

seiner »Inzidenz-Studie« zu eruieren. (vgl: Dr.<br />

Jörg Bätzing-Feigenbaum, 2008). An dieser<br />

Studie, deren Ergebnisse allerdings erst 2010<br />

vorliegen werden, ist auch die AIDS-STI-Beratungsstelle<br />

am Ges<strong>und</strong>heitsamt der Stadt<br />

Nürnberg beteiligt.<br />

Abendsprechst<strong>und</strong>e in der Beratungsstelle<br />

Um auch Menschen mit ungünstigen Arbeitszeiten<br />

die Möglichkeit zu eröffnen, unsere<br />

Beratungsstelle aufzusuchen, bieten wir ab<br />

Juli 2008 an jedem ersten Donnerstag im Monat<br />

eine Abendsprechst<strong>und</strong>e an, bei der die<br />

AIDS-STI-Beratungsstelle bis 20.00 Uhr geöffnet<br />

ist. Da hierbei für viele sicherlich auch<br />

eine Ergebnisabholung während der normalen<br />

Öffnungszeiten nicht möglich sein wird<br />

<strong>und</strong> die Wartezeit bis zur nächsten Abendsprechst<strong>und</strong>e<br />

mit vier Wochen unzumutbar<br />

ist, ist der Schnelltest in dieser Abendsprechst<strong>und</strong>e<br />

für uns das Angebot der Wahl. Allerdings<br />

besteht, wie bei fast allen Dingen, auch<br />

beim Schnelltest ein kleiner Wermutstropfen:<br />

Der Schnelltest kann nicht umsonst angeboten<br />

werden, er kostet 26,00 €.<br />

Zusammenfassung:<br />

In den 21 Jahren HIV-Test-Beratung am Ges<strong>und</strong>heitsamt<br />

der Stadt Nürnberg konnte seit<br />

2001 durch den Zusammenschluss mit der<br />

STI-Beratung (Beratungsstelle zu sexuell<br />

übertragbaren Infektionen) das Angebot erweitert<br />

<strong>und</strong> noch spezifischer auf Menschen<br />

zugeschnitten werden, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Lebenssituation<br />

ein größeres Risiko für sexuell<br />

übertragbare Infektionen tragen. Der HIV-<br />

Antikörper-Schnelltest bietet nun, bei Beachtung<br />

der notwendigen Sorgfalt, erweiterte<br />

Möglichkeiten, noch mehr Menschen auf unser<br />

Angebot aufmerksam zu machen <strong>und</strong> die<br />

Durchführung einer HIV-Diagnostik für die<br />

Klienten erheblich komfortabler zu gestalten.<br />

Norbert Kellermann MA<br />

Anonyme AIDS-STI-Beratungsstelle<br />

am Ges<strong>und</strong>heitsamt der Stadt Nürnberg<br />

norbert.kellermann@stadt.nuernberg.de<br />

Literatur<br />

Bätzing-Feigenbaum, Jörg, Dr., 2008: Zur Bestimmung<br />

der Inzidenz von HIV-Infektionen in Deutschland.<br />

Epidemiologisches Bulletin 1/2008, S.1ff.<br />

Branson, Bernard M., 2007: State of the Art for<br />

Diagnosis of HIV Infection. CID 2007; 45 (Suppl. 4)<br />

S.221ff.<br />

Anonyme AIDS-STI-Beratungsstelle<br />

am Ges<strong>und</strong>heitsamt der Stadt Nürnberg<br />

Burgstraße 4 · 90403 Nürnberg<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag 8.00 –11.00 u.13.30 –15.30 Uhr<br />

Donnerstag 9.00 –11.00 u.13.30 –17.00 Uhr<br />

<strong>und</strong> jeden ersten Donnerstag im Monat<br />

13.30 –20.00 Uhr<br />

Telefon: 0911 / 231- 2133<br />

http://www.ges<strong>und</strong>heit.nuernberg.de/<br />

FORSCHUNG<br />

Identifizierung antiviral wirkender Peptide aus menschlichen<br />

Körperflüssigkeiten<br />

Seit der Identifizierung von HIV-1 als Erreger<br />

der Immunschwächekrankheit AIDS vor 25<br />

Jahren sind zahlreiche körpereigene Verbindungen<br />

beschrieben worden, welche die HIV-<br />

Infektion zumindest in vitro in Zellkultur hemmen<br />

oder verstärken können. Dazu gehören<br />

viele Zytokine, deren Einfluss auf die HIV-Vermehrung<br />

eher unspezifisch ist. Im Gegensatz<br />

dazu blockieren die Chemokine RANTES <strong>und</strong><br />

SDF-1α spezifisch den Viruseintritt in die Zielzelle<br />

durch die Bindung an die Chemokinrezeptoren<br />

CCR5 bzw. CXCR4, die als HIV-Korezeptoren<br />

dienen. Defensine sind kationische<br />

Peptide, welche als Teil der angeborenen Immunantwort<br />

Bakterien <strong>und</strong> Viren bekämpfen.<br />

Sie können HIV-Partikel durch die Interaktion<br />

mit der Virusmembran inaktivieren. Des Weiteren<br />

wurde gezeigt, dass hohe Konzentrationen<br />

von Lactoferrin, der Serin-Protease SLPI<br />

oder Lysozym die HIV-Infektion über unbekannte<br />

Mechanismen blockieren. Allerdings<br />

ist es weitgehend unklar, welche Rolle diese<br />

Verbindungen bei der HIV-Infektion <strong>und</strong> Vermehrung<br />

in infizierten Individuen spielen.<br />

Hämofiltrat als Quelle antiviraler<br />

Verbindungen<br />

Hämofiltrat (HF) ist ein wässriges Abfallprodukt,<br />

welches in Dialysezentren bei der Blutwäsche<br />

nierenkranker Patienten in sehr<br />

großen Mengen anfällt. In einem als Hämofiltration<br />

bezeichneten Verfahren wird mit<br />

Hilfe eines Druckgradienten über eine semipermeable<br />

Membran mit einer Porengröße<br />

von etwa 30 kDa ein Filtrat des Plasmawassers<br />

gebildet, das neben toxischen Verbindungen<br />

auch alle Peptide <strong>und</strong> Proteine mit einer Größe<br />

unter 30 kDa enthält, die im menschlichen<br />

Blut zirkulieren. Dieses Gemisch umfasst Zytokine,<br />

Peptid-Hormone, Defensine <strong>und</strong> viele<br />

weitere Verbindungen <strong>und</strong> ist somit eine hervorragende<br />

Quelle zur Identifizierung antiviral<br />

wirkender körpereigener Substanzen.<br />

Herr Prof. Dr. Wolf-Georg Forssmann von<br />

ViroPharmaceuticals in Hannover hat innovative<br />

large scale chromatographische Verfahren<br />

entwickelt, die es ermöglichen, Peptide<br />

<strong>und</strong> Proteine aus tausenden Litern HF zu isolieren.<br />

Eine typische HF-Peptidbibliothek besteht<br />

aus etwa 300 Fraktionen, die insgesamt<br />

mehr als 1 Million verschiedene Peptide <strong>und</strong><br />

kleine Proteine in hoch konzentrierter <strong>und</strong><br />

bioaktiver Form enthalten (Schulz-Knappe et<br />

al., J.Chromatogr. 1997). Die relativen Konzentrationen<br />

dieser Verbindungen entsprechen im<br />

Wesentlichen denen im menschlichen Blutplasma.<br />

Das Screening dieser Peptidbibliothek<br />

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HIV-1<br />

gp120<br />

V3<br />

V1/2<br />

gp41<br />

CD4<br />

D1<br />

D2<br />

D3<br />

D4<br />

D1<br />

D2<br />

D3<br />

D4<br />

D1 D2 D3<br />

D4<br />

D1 D2 D3<br />

D4<br />

Helical<br />

Domains<br />

coreceptor<br />

CD4 Binding<br />

Exposure of<br />

CoR Binding<br />

Site<br />

Coreceptor<br />

Binding<br />

Fusion Peptide<br />

Insertion<br />

Hairpin Formation<br />

and Membrane<br />

Fusion<br />

VIRIP bindet das HIV-1-FP <strong>und</strong> hemmt<br />

die Verankerung des Virus in der Zelle.<br />

Abb. 1: HIV-1-Eintritt <strong>und</strong> VIRIP-Wirkmechanismus. Nach Bindung des CD4-Rezeptors <strong>und</strong> des Korezeptors werden Konformationsänderungen im Transmembranprotein<br />

gp41 induziert. Diese führen zur Insertion des gp41-Fusionspeptid (FP) in die Zytoplasmamembran der Zelle. VIRIP-Bindung an das FP verhindert<br />

die Verankerung des Viruspartikels <strong>und</strong> dadurch die Infektion. Modifiziert nach Doms and Trono. 2000. Genes Dev. 2000. 14:2677-88.<br />

sollte somit die Identifizierung der physiologisch<br />

relevantesten körpereigenen antiviralen<br />

Verbindungen ermöglichen.<br />

Isolierung von HCC-1(9-74) als Inhibitor<br />

CCR5-troper HI-Viren<br />

In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe<br />

von Marc Parmentier (Brüssel) <strong>und</strong> ViroPharmaceuticals<br />

wurde eine HF Peptidbibliothek<br />

in einem Kalzium-Mobilisierungs-Assay nach<br />

Interaktionspartnern für den Chemokinrezeptor<br />

CCR5 durchsucht. Aus einer Fraktion, die<br />

zur CCR-5-spezifischen Ca2+ Ionen-Ausschüttung<br />

führte, wurde eine N-terminal verkürzte<br />

Variante des bereits bekannten Hämofiltrat<br />

C-C-Chemokins 1 isoliert (HCC-1) (Schulz-<br />

Knappe et al., J Exp Med. 1996; Detheux et al.,<br />

J Exp Med. 2000). Es konnte gezeigt werden,<br />

dass das isolierte HCC-1 (9-74) mit ähnlicher<br />

Effizienz wie RANTES, ein bekannter CCR5-<br />

Agonist, an den Chemokinrezeptor CCR5 bindet<br />

<strong>und</strong> die Infektion CCR5-troper HI-Virusvarianten<br />

hemmt (Münch et al., AAC 2002).<br />

Das Vorläufer-Chemokin HCC-1 (1-74) selbst<br />

zeigt kaum biologische Aktivität <strong>und</strong> wird<br />

durch Urokinase oder Plasmin in die aktive<br />

verkürzte Form HCC-1 (9-74) umgewandelt.<br />

Die Tatsache, dass nicht die bereits bekannten<br />

CCR5-Agonisten RANTES, MIP1α oder MIP1β<br />

aus der komplexen Peptidbank isoliert wurden,<br />

sondern HCC-1(9-74), deutet auf eine<br />

wichtige physiologische Rolle dieses Chemokins<br />

hin.<br />

VIRIP – Der Prototyp Verankerungs-<br />

Inhibitor<br />

Zur Identifizierung weiterer Hemmstoffe wurden<br />

Fraktionen einer HF-Bibliothek in Puffer<br />

gelöst, zu peripheren Blutmonozyten gegeben<br />

<strong>und</strong> diese mit HIV-1 infiziert. Eine Fraktion<br />

hemmte die HIV-Vermehrung sehr effizient.<br />

Nach zwei chromatographischen Aufreini-<br />

A<br />

Abb. 2:<br />

A): NMR-Struktur des VIRIP-FP-Komplexes<br />

als Oberflächenplot (links) oder<br />

Stäbchenmodell (rechts).<br />

Weiß = HIV-1-gp41-Fusionspeptid;<br />

farbig = VIRIP-Derivat 165.<br />

B): Antivirale Aktivität optimierter<br />

VIRIP-Derivate. P4-CCR5-Zellen wurden<br />

in Gegenwart von VIRIP (blaue Linie) oder<br />

VIRIP-Derivaten (6 gelb-, orange- bis braunfarbige<br />

Linien) <strong>und</strong> T20 (rote Linie) infiziert.<br />

Drei Tage später wurde die Infektionseffizienz<br />

in einem Lumineszenztest bestimmt.<br />

B<br />

Infektion (%)<br />

100<br />

VIRIP<br />

VIR-164<br />

VIR -165<br />

LEAIPMSIPPEVKFNKPFVF<br />

LEAIPCSIPPCVFFNKPFVF<br />

LEAIPCSIPPCFAFNKPFVF<br />

VIR-175<br />

LEAIPMSIPPEFLFGKPFVF<br />

VIR-353<br />

LEAIPCSIPpCFLFNKPFVF<br />

VIR-449<br />

LEAIPMGIPpEVIFNKPFVF<br />

10 1 1<br />

VIR-576<br />

LEAIPCSIPPEFLFGKPFVFx2<br />

0 10 1 10 2 10 3 10 4 10 5<br />

Peptide (nM)<br />

T20<br />

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10


A<br />

B<br />

PAP248-286, frisch gelöst<br />

PAP248-286, Fibrillen = SEVI<br />

Abb. 3:<br />

A): Elektronenmikroskopische<br />

Aufnahmen von frisch in PBS<br />

gelöstem (links) oder geschütteltem<br />

(rechts) PAP 248-286<br />

(10 mg/ml in PBS).<br />

Nach Inkubation bilden sich<br />

fibrilläre Strukturen aus, die<br />

als »Semen derived enhancer<br />

of virus infection« (SEVI)<br />

bezeichnet werden.<br />

B): SEVI verstärkt die HIV-<br />

Infektion. UV-mikroskopische<br />

Aufnahmen HIV-1-infizierter<br />

CEMx-Zellen. Nach Infektion<br />

mit HIV-1 exprimieren CEMx-<br />

Zellen ein unter UV-Bestrahlung<br />

grün fluoreszierendes Protein.<br />

nicht infiziert HIV-1 HIV-1 + SEVI<br />

gungen <strong>und</strong> HIV-Hemmtests konnte das aktive<br />

Peptid isoliert <strong>und</strong> identifiziert werden. Es<br />

handelte sich um ein zwanzig Aminosäurereste<br />

umfassendes Fragment des Serin-Protease-Inhibitors<br />

α1-Antitrypsin. Das synthetisch<br />

hergestellte Peptid, bezeichnet als VIRIP<br />

(VIRus Inhibitory Peptide), hemmte die Infektion<br />

aller untersuchten HIV-Subtypen sowie<br />

multiresistenter Virusvarianten über einen<br />

neuartigen Wirkmechanismus: die Bindung an<br />

eine als Fusionspeptid (FP) bezeichnete Sequenz<br />

im HIV-1-Transmembranprotein gp41<br />

(Abb. 1). Das FP im HIV-Hüllprotein verankert<br />

das Viruspartikel in der Membran der Zielzelle<br />

<strong>und</strong> ist essentiell für die HIV-Infektion. Die<br />

NMR-Struktur des FP/VIRIP-Komplexes (Abb.<br />

2A) <strong>und</strong> weitere Analysen zeigten, dass VIRIP<br />

direkt an das FP bindet <strong>und</strong> dadurch die Verankerung<br />

des Virus an der Zelle verhindert<br />

(Münch et al., Cell 2007a). Die Identifizierung<br />

des FP als neues antivirales Target ist einerseits<br />

von großem Interesse, weil dieser Bereich<br />

hoch konserviert ist <strong>und</strong> Mutationen kaum<br />

toleriert werden. Somit ist die Entwicklung<br />

von Resistenzen gegenüber VIRIP erschwert.<br />

Wichtig ist weiterhin, dass FPs auch von einer<br />

Reihe weiterer Viren wie Influenza-, Hepatitis<br />

B-, SARS-Corona- oder Ebola-Virus kodiert<br />

werden. Die Entdeckung von FP-Inhibitoren<br />

könnte somit zur Entwicklung einer neuen<br />

Wirkstoffklasse führen.<br />

Weiterentwicklung von VIRIP<br />

Aufgr<strong>und</strong> der für eine therapeutische Anwendung<br />

zu geringen antiviralen Wirksamkeit<br />

von VIRIP (IC50 etwa 10 – 30 μM), wurde in<br />

einer SAR(structure activity relationship)-<br />

Studie versucht, die Aktivität zu optimieren.<br />

Dazu wurden in einem mehrstufigen Prozess<br />

insgesamt mehr als 600 VIRIP-Analoga, die<br />

sich in Länge, Ladung, Aminosäure-Zusammensetzung<br />

<strong>und</strong> weiteren Modifikationen unterschieden,<br />

synthetisiert <strong>und</strong> im HIV-Hemmtest<br />

untersucht. Einige Derivate zeigten eine<br />

etwa 100-fach erhöhte antivirale Aktivität<br />

(Abb. 2B). Präklinische Untersuchungen dieser<br />

Derivate, die von ViroPharmaceuticals GmbH<br />

in Hannover durchgeführt wurden, führten<br />

zur Auswahl eines VIRIP-Analogs, dessen<br />

Wirksamkeit in einer klinischen Phase I/II-<br />

Studie in HIV/AIDS-Patienten unter der Leitung<br />

von Prof. Dr. Reinhold E. Schmidt (Hannover)<br />

getestet werden soll.<br />

Amyloidogene Peptide im Sperma<br />

verstärken die HIV-Infektion<br />

Weltweit erfolgt die Mehrzahl aller HIV-Infektionen<br />

durch die Übertragung von Virusinfiziertem<br />

Sperma beim Geschlechtsverkehr.<br />

Um herauszufinden, welche Faktoren im<br />

Sperma die HIV-Infektion beeinflussen, wurde<br />

eine Peptidbank aus Samenflüssigkeit<br />

hergestellt <strong>und</strong> nach antiviralen Verbindungen<br />

gescreent. Überraschenderweise fanden<br />

wir keine inhibitorischen, sondern verstärkende<br />

Fraktionen. Diese enthielten Peptid-<br />

Fragmente eines in großen Mengen vorhandenen<br />

Spermamarkers, der sogenannten<br />

Sauren Prostata Phosphatase (PAP). Frisch<br />

gelöste, synthetisch hergestellte PAP-Fragmente<br />

hatten keinen Einfluss auf die HIV-Infektion,<br />

wurden jedoch überraschenderweise<br />

nach Lagerung aktiv. Wir fanden heraus, dass<br />

es sich bei den PAP-Fragmenten um amyloidogene<br />

Peptide handelt, die Fibrillen-artige<br />

Strukturen ausbilden (Abb. 3A <strong>und</strong> 3B). Diese<br />

Aggregate, als Semen-Enhancer of Virus Infection<br />

oder kurz »SEVI« bezeichnet, binden<br />

HIV-Partikel mit hoher Effizienz <strong>und</strong> verstärken<br />

deren Anheftung an die Zielzellen (Abb.<br />

3 <strong>und</strong> 4). Physiologisch relevante Konzentrationen<br />

an SEVI steigerten die Infektiosität<br />

von HIV um mehrere Größenordnungen<br />

(Münch et al., Cell 2007b). Wir konnten auch<br />

zeigen, dass menschliches Sperma selbst die<br />

Infektiosität von HIV-Partikeln erheblich steigert<br />

<strong>und</strong> Beweise dafür erbringen, dass SEVI<br />

erheblich zu diesem Effekt beiträgt.<br />

Die hohe Effizienz von SEVI, die großen<br />

Mengen des Vorläufer-Eiweißes im Sperma<br />

<strong>und</strong> die Tatsache, dass die Virusmenge, die<br />

beim sexuellem Verkehr übertragen wird,<br />

normalerweise subinfektiös ist, machen es<br />

wahrscheinlich, dass SEVI-Aggregate eine relevante<br />

Rolle bei der Ausbreitung von HIV in<br />

der menschlichen Population spielen. Unsere<br />

Ergebnisse zu SEVI verbessern nicht nur das<br />

Verständnis für die sexuelle Übertragung von<br />

HIV, sondern könnten auch neue Möglichkeiten<br />

eröffnen, diese zu verhindern. Derzeit arbeiten<br />

wir an der Entwicklung von Substanzen,<br />

welche die Ausbildung der Fibrillen oder<br />

ihre verstärkende Wirkung blockieren. Wenn<br />

dies gelänge, hätte man wahrscheinlich ein<br />

Mittel, das Risiko der sexuellen Übertragung<br />

von HIV <strong>und</strong> anderen sexuell übertragbaren<br />

Viren deutlich zu reduzieren.<br />

Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />

Unsere Strategie, in Peptidbibliotheken aus<br />

humanen Körperflüssigkeiten nach Inhibitoren<br />

(<strong>und</strong> Aktivatoren) von HIV-1 zu suchen,<br />

hat sich mit der Isolierung von HCC-1(9-74),<br />

VIRIP <strong>und</strong> SEVI als erfolgreich erwiesen. Des<br />

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Weiteren konnten wir aus Plazenta ein die<br />

HSV-2-Infektion blockierendes Hämoglobin-<br />

Fragment (HERVIP), sowie aus Hämofiltrat<br />

einen weiteren HIV-Hemmstoff (X4tor), der<br />

spezifisch die Infektion X4-troper HIV-1-Varianten<br />

verhindert, isolieren (Manuskripte in<br />

Vorbereitung). Zur Identifizierung weiterer<br />

Inhibitoren <strong>und</strong> Aktivatoren von HIV-1, HCV<br />

<strong>und</strong> HSV-2 werden gegenwärtig Peptidbibliotheken<br />

aus Muttermilch <strong>und</strong> Speichel getestet.<br />

Die ersten Ergebnisse sind sehr erfolgversprechend.<br />

Danksagung<br />

Wir danken insbesondere Prof. Dr. Wolf-Georg<br />

Forssmann <strong>und</strong> seinen Mitarbeitern PD Dr.<br />

Ludger Ständker <strong>und</strong> PD Dr. Knut Adermann<br />

für die jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

sowie allen beteiligten Wissenschaftlern<br />

<strong>und</strong> Mitgliedern der AG Kirchhoff/Münch.<br />

Weiterhin danken wir dem Land Niedersachsen,<br />

der VW Stiftung, der DFG, der Wilhelm-<br />

Sander-Stiftung <strong>und</strong> dem NIH für die finanzielle<br />

Unterstützung.<br />

Prof. Frank Kirchhoff (r.), Prof. Jan Münch (l.)<br />

Institut für Virologie, Ulm<br />

Frank.Kirchhoff@uniklinik-ulm.de<br />

Jan.Muench@uniklinik-ulm.de<br />

Abb. 4: Bindung von HIV-beladenen<br />

SEVI-Fibrillen an Zellen. Die Zielzellen<br />

sind blau, SEVI-Fibrillen weiß <strong>und</strong><br />

HIV-1-Partikel rot eingefärbt.<br />

Fast alle Viruspartikel sind mit SEVI<br />

assoziiert.<br />

Zur Verfügung gestellt von Walther<br />

Mothes, Joseph Luna <strong>und</strong> Pradeep Uchil<br />

(Yale, New Haven, USA).<br />

Literaturverzeichnis<br />

Detheux M., Natural proteolytic processing of<br />

hemofiltrate CC chemokine 1 generates a potent CC<br />

chemokine receptor (CCR)1 and CCR5 agonist with<br />

anti-HIV properties. J Exp Med. 2000; 192: 1501-8.<br />

Münch J., Hemofiltrate CC chemokine 1[9-74]<br />

causes effective internalization of CCR5 and is a<br />

potent inhibitor of R5-tropic human immunodeficiency<br />

virus type 1 strains in primary T cells and<br />

macrophages. Antimicrob Agents Chemother. 2002;<br />

46: 982-90.<br />

Münch J., Discovery and optimization of a natural<br />

HIV-1 entry inhibitor targeting the gp41 fusion<br />

peptide. Cell. 2007a; 129: 263-75.<br />

Münch J., Semen-derived amyloid fibrils drastically<br />

enhance HIV infection. Cell. 2007b; 131:<br />

1059-71<br />

Schulz-Knappe P. et al., HCC-1, a novel chemokine<br />

from human plasma, J Exp Med. 1996; 183:<br />

295-9.<br />

Schulz-Knappe P. et al., Peptide bank generated<br />

by large-scale preparation of circulating human<br />

peptides, J. Chromatogr. 1997; 776: 125–132.<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Virologisches Institut<br />

Klinische <strong>und</strong> Molekulare Virologie<br />

Universitätsklinikum Erlangen<br />

Sprecher des NRZ: Prof. Bernhard Fleckenstein<br />

Stellv. Sprecher des NRZ: Dr. Klaus Korn<br />

Koordinator des NRZ: Dr. Hauke Walter<br />

Schlossgarten 4 · D-91 054 Erlangen<br />

Tel.: 09131/85-2-4010<br />

Fax: 09131 / 85 - 2 - 21 01<br />

E-mail: nrzretro@viro.med.uni-erlangen.de<br />

http://www.virologie.uni-erlangen.de<br />

Redaktion:<br />

Verantwortliche Redakteurin Dr. Monika Gröne<br />

Tel.: 09131 / 852 57 90<br />

E-mail: magroene@viro.med.uni-erlangen.de<br />

Manuskriptbearbeitung: Dr. Klaus Korn<br />

Grafische Gestaltung:<br />

Grafikstudio Hoffmann, Dresden<br />

Druck: Druckerei Mayer, Erlangen<br />

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