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Kurzbeschreibung 3 humorvolle Kurzgeschichten über zwischenmenschliche Beziehungen. Vorurteile, Missverständnisse, Liebe, familiäre Beziehungen und (scheinbar) starke Frauen. 51 Buchseiten Unterhaltsames, mit 14 Bildern zum Träumen für den Nachmittagskaffee oder eine Zugfahrt lang. - Was macht ein Kindernichtversteher in einem Kindergarten? - Rostet alte Liebe wirklich nicht? - Bleibt man für seine Eltern immer Kind? Aus den Rezensionen: Zwischenmenschlich, lebendig, nachdenklich ... unbedingt lesen! Eine kurzweilige Lektüre mit alltäglichen Themen, die alle betreffen und eine Sprache, die lebendig daherkommt. Viel Spaß damit. Erhältlich bei Amazon!

Kurzbeschreibung
3 humorvolle Kurzgeschichten über zwischenmenschliche Beziehungen. Vorurteile, Missverständnisse, Liebe, familiäre Beziehungen und (scheinbar) starke Frauen. 51 Buchseiten Unterhaltsames, mit 14 Bildern zum Träumen für den Nachmittagskaffee oder eine Zugfahrt lang.

- Was macht ein Kindernichtversteher in einem Kindergarten?
- Rostet alte Liebe wirklich nicht?
- Bleibt man für seine Eltern immer Kind?

Aus den Rezensionen:
Zwischenmenschlich, lebendig, nachdenklich ... unbedingt lesen! Eine kurzweilige Lektüre mit alltäglichen Themen, die alle betreffen und eine Sprache, die lebendig daherkommt. Viel Spaß damit.

Erhältlich bei Amazon!

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3 Mal <strong>Zwischenmenschlich</strong><br />

3 humorvolle Kurzgeschichten<br />

von<br />

Ute Smola<br />

Bebilderte Geschenkausgabe -<br />

14 Abbildungen


Impressum<br />

Text Copyright © 2012 Dr. Ute Smola<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

E-Mail derAutorin:info@usmola.de<br />

Fotos<br />

aboutpixel.de / brick wall © Markus Gann<br />

aboutpixel.de / double jump © Stefan Zimmer<br />

andere © Fotolia.com<br />

Bildbearbeitung<br />

Copyright © 2012 Dr. Ute Smola


Meinen geliebten Eltern für Ihre Liebe und Unterstützung.


INHALTSVERZEICHNISS<br />

DIE AUTORIN<br />

ÜBER SICH:<br />

PROLOG: MUSS ES DENN EIN ROMAN SEIN?<br />

DER KINDERNICHTVERSTEHER<br />

VORBEI<br />

VATER, MUTTER, KIND<br />

DANKSAGUNG


Die Autorin über sich:<br />

Ich wurde 1962 in Frankfurt am Main geboren und bin dort<br />

mit den Gefahren eines Großstadtindianers aufgewachsen.<br />

Als Leistungssportlerin im Schwimmsport geriet ich häufig in<br />

gefährliche Fischschwärme und wurde von Wasserflöhen<br />

drangsaliert. Da mich die Großstadtwildnis faszinierte und ich<br />

mich schon sehr früh fragte, wie überlebe ich nach dem Super<br />

Gau, habe ich in Gießen Naturwissenschaften studiert und<br />

dort im Fachbereich Biologie promoviert. Danach war ich viele<br />

Jahre im In- und Ausland wissenschaftlich<br />

tätig und kann zahlreiche<br />

Fach-Publikationen<br />

aufweisen.<br />

Nachdem ich aber dem Klon Schaf Dolly begegnete und<br />

selbst etliche internationale Generationen von Mäusen auf


dem Gewissen hatte, regte sich in mir das schlechte Gewissen<br />

und ich sah mich nach einem anständigen Beruf um. Also<br />

machte ich den Gabelstapler-Führerschein und begann zu<br />

schreiben.<br />

Weil mein Wettkampfgeist nahezu ungebrochen ist, liebe<br />

ich die Teilnahme an Schreibwettbewerben, für die ich immer<br />

neue Kurzgeschichten schreibe. Meine 3 Liebsten aus 2012<br />

habe ich für dieses ebook herausgesucht.<br />

Wenn ich nicht gerade mit meinem Lieblingsprojekt beschäftigt<br />

bin: .Verstrickunq - Marlowes erster Fall", Deutschlands<br />

erster interaktiver Krimi im Netz (http://www.diekriminalisten.de),<br />

das ich gemeinsam mit der Autorin Indira<br />

Wirths-Kosub<br />

leite, arbeite ich an einem Thriller mit Lokalkolorit.<br />

Homepage der Autorin: http://www.ute-smola.de<br />

Facebook: http://www.facebook.com/ute<br />

.smola


Prolog: Muss es denn ein Roman sein?<br />

"Muss es denn ein Roman sein?" fragte mich meine Freundin<br />

oft. Du schreibst so tolle Kurzgeschichten, warum lässt Du<br />

die nicht endlich mal veröffentlichen? Warum muss Dein Debüt<br />

unbedingt ein Roman sein? Heutzutage hat ohnehin kaum<br />

noch einer Zeit lange Romane zu lesen, das sagt sogar Dein<br />

heiß geliebter Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki. Häppchenkost<br />

ist angesagt, du liegst voll im Trend."<br />

Meine Freundin hat immer recht. Also hab ich meine 3 besten<br />

Kurzgeschichten aus 2012 herausgesucht. Sie passen alle<br />

unter das Thema "<strong>Zwischenmenschlich</strong>e Beziehungen", ein<br />

Thema, dass uns schließlich alle beschäftigt. Lange brauchte<br />

ich dann auch nicht zu überlegen, denn für die Schublade<br />

diese Geschichten wirklich zu schade.<br />

Ich hoffe, Sie sind da meiner Meinung und wünsche<br />

viel Spaß beim Lesen!<br />

sind<br />

Ihnen<br />

Runkel, 10.12.2012<br />

Ute Smo/a


Der Kindernichtversteher<br />

"Ausgerechnet! Das können Sie doch nicht im Ernst von mir<br />

verlangen!" Kopfschüttelnd, mit offenem Mund starrte Florian<br />

Blumenrot die junge Mitarbeiterin des Job-Centers an. "Ich<br />

habe doch nicht mein Studium geschmissen, um trotzdem<br />

fremder Leute Kinder zu erziehen. In vier Semester Pädagogik-Studium<br />

habe ich genügend Praktika absolviert, um zu<br />

wissen, dass ich ein Kindernichtversteher bin."<br />

Lisa Schmitt schaute sich ihren neuen Kandidaten belustigt<br />

an. Florian sah gut aus, sogar sehr gut und war intelligent,<br />

also kurz ein Mann vor dem man sich in Acht nehmen muss.<br />

Und Lisas Art war es, diesen Männern die unpassendsten Ein-<br />

Euro-Jobs zu vermitteln. Hier hatte sie die Macht, endlich waren<br />

diese tollen Typen Wachs in ihren Händen. Das war ihre<br />

persönliche kleine Rache dafür, dass sich keiner ihrer<br />

Traummänner mit ihrer Durchschnittlichkeit abgefunden hatte.<br />

Jetzt war Florian Blumenrot an der Reihe.<br />

"Nun", konterte Lisa lakonisch, "sie sind verpflichtet jede<br />

nicht sittenwidrige Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung<br />

anzunehmen oder ihr Hartz IV wird um 30% gekürzt.<br />

Das wollen wir doch nicht, oder?"<br />

"Was sie wollen, Frau Schmitt, das weiß ich beim besten<br />

Willen nicht, aber ich will überleben" .<br />

"Schön, sie nehmen also an."


"Weil sie mir die Pistole auf die Brust setzen. Gut ich probiere<br />

es, wenn ich dann kurz vor dem Nervenzusammenbruch<br />

stehe, hören sie wieder von mir."<br />

Für Lisa war die Vermittlung<br />

von Florian an den Ganztagskindergarten<br />

"Zur Tigerente" ein doppelter Spaß, denn dort<br />

war ihr fast fünfjähriger Sohn Kevin untergebracht. Mein persönlicher<br />

Berichterstatter im Falle Blumenrot, dachte sie, wie<br />

praktisch. Der Dreikäsehoch-Spion hieß eigentlich Mark-<br />

Kevin, ein Einfall ihres Ex-Ehemanns Max, der meinte einer<br />

der beiden Namen passe schon zum Charakter seines Sohnes.<br />

Tatsächlich entwickelte sich der Kleine ziemlich rasch zu<br />

einem Kevin und ihr Max, dem das alles zuviel wurde, reichte<br />

die Scheidung wegen "Entfremdung" ein. Ein paar Wochen<br />

später lernte Lisa die "Entfremdung" kennen: Mandy, Model,<br />

Anfang zwanzig, langes glänzendes hellblondes Haar, gerade<br />

so schlank, dass sie nicht magersüchtig wirkte. Max brachte<br />

sie mit, als er noch einige seiner Sachen abgeholte. Interessanterweise<br />

stellte Lisa in dem kurzen Gespräch fest, dass<br />

Intelligenz und Blond sich bei Mandy tatsächlich ausschlossen.<br />

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte Lisa eine .Good-<br />

Looking-Guy"-Phobie<br />

entwickelt.<br />

Den ganzen Heimweg über ärgerte sich Florian über die<br />

dumme Schnepfe vom Amt. "Hausaufgaben hilfe wäre noch<br />

gegangen, halt was mit größeren Kindern, mit denen man<br />

schon was anfangen kann", überlegte er. "Na schön, ehe ich


denen einen Grund liefere, mein bisschen Arbeitslosengeld<br />

noch zu kürzen, schau ich mir das Ganze morgen mal an und<br />

stell mich notfalls so dumm, dass die mich heimschicken!"<br />

Am Montag darauf nahmen die beiden Kindergarten-<br />

Tanten Kristine und Ilona, sowie Steffi, die Praktikantin, "Onkel<br />

Florian" in Empfang. In der Dreiviertelstunde, bevor der Kiga<br />

öffnete, führten sie ihn herum. Es gab einen Speiseraum, zwei<br />

kleinere Ruheräume mit Matratzen und Schlafsäcken, zwei<br />

recht große Spielräume, einen Spielplatz draußen und, nach<br />

Geschlechtern getrennt, Toiletten mit Waschgelegenheit und<br />

je einer Dusche. Danach wurde Florian noch in die Interna<br />

eingeweiht. Prima, dachte sich Florian, jetzt weiß ich schon<br />

wer von den Zwergen welche Macken hat. Nur, dass etliche<br />

noch nicht stubenrein waren, gefiel ihm ganz und gar nicht.<br />

Inzwischen war die gesamte Kinderschar eingetroffen. Sie<br />

hatten sich mit Steffis Hilfe ihrer Jacken entledigt und warteten<br />

nun im vorderen Spielraum auf die Überraschung. Um die<br />

Wartezeit abzukürzen spielte Steffi mit ihnen "Stille Post", so<br />

dass bei der Rasselbande ziemlich bald Ruhe aufkam. Nach<br />

einer endlosen Weile kam die Dienstälteste, Tante Kristine,<br />

herein und bat um Aufmerksamkeit für die neue Verstärkung<br />

im Team. Dann folgten Schwester lIona und Florian.


"Sagt hallo zu Florian, er wird uns in der nächsten Zeit begleiten",<br />

sagte Schwester Ilona. Schweigen, unterdrücktes<br />

Kichern, Murmeln ...<br />

"Aber die neue Tante ist ja ein Onkel" rief ein dünnes<br />

Stimmchen,<br />

Rufen.<br />

gefolgt von lauterem Brummeln und einzelnen Ja-<br />

Florian fackelte nicht lange: "Ich freu mich euch kennenzulernen,<br />

sagt ganz einfach Flo zu mir."<br />

Die Meute kicherte erneut und stimmte in das Flohlied ein:<br />

.Oh, oh du armer Floh, hast sechs Beine und du hüpfst nur so.<br />

Oh, oh du armer Floh, hast sechs Beine und du hüpfst nur so."<br />

Florian lacht: "Ich hab zwar nur zwei Beine, aber hüpfen<br />

kann ich auch." Dann sprang er wie ein Gummiball.<br />

"Kommt,


zeigt mir, ob ihr das auch könnt!" Hüpfend hatte er im Sturm<br />

die Tigerenten-Kinder erobert. Ausgelassen johlend fing die<br />

Menge an zu springen, schließlich hüpften auch Steffi, Ilona<br />

und Kristine.<br />

Ganz außer Atem stellten sie dann die Stühle zur Vorstellungsrunde<br />

zusammen, in der die Kinder ihrem neuen "Onkel"<br />

von ihrem Leben und ihren Wochenenderiebnissen berichteten.<br />

Viele hatten ein normales Familienleben, bei einigen so<br />

normal, dass die Wochenenden ereignislos verliefen. Andere<br />

Kinder, aus alleinerziehenden Familien, trafen am Wochenende<br />

den Papa, einige wenige die Mama. Als die Runde an<br />

Kevin war, wurde Florian hellhörig. Kevin lebte bei seiner Mama<br />

und verbracht auch die Wochenenden dort, erzählte er,<br />

weil sein Papa auf einer langen Weltreise war - ganz weit, bis<br />

zum Mond. Nun, Kevin war weder ein notorischer Lügner,<br />

noch mit einem Übermaß an Phantasie begabt. Er war lediglich<br />

einmal Zeuge, als seine Mutter zu seiner Oma sagte: "Ich<br />

könnte ihn auf den Mond schicken." Damals war er zweidreiviertel<br />

und er wusste endlich, dass sein Vater ihn lieb hatte,<br />

aber als Sternenreisender nicht zu seinem dritten Geburtstag<br />

kommen konnte.<br />

Na, die Mama würde ich zu gerne einmal kennenlernen,<br />

dachte Flo. Ist Kevins Vater tot, oder hat er sich aus dem<br />

Staub gemacht, oder ..., oder ..., oder ...? So ein Astronautenvater<br />

machte Flo schon seit jeher zu einem Detektiv. Seine


Kolleginnen konnten ihm beim "Fall Kevin" nicht weiterhelfen,<br />

denn die Mutter hatte nicht mehr zum Verbleiben des Vaters<br />

sagen wollen als: .Kevins Vater ist Tabuthema und ich wünsche,<br />

dass das so bleibt." Also hoffte er, die Mutter einmal<br />

beim Abholen oder Bringen abzupassen. Doch darauf musste<br />

er noch einige Zeit warten, denn Annas Mutter, die in der<br />

Nachbarschaft von Kevin lebt, brachte die befreundeten Kinder<br />

und holte sie am Nachmittag wieder ab.<br />

Wie erwartet wurde Flo zur bevorzugten Bezugsperson für<br />

die Kinder ohne Väter oder für die mit ungeliebten Vätern. Gar<br />

nicht allzu selten bot ein Knirps sich als Hochzeitsvermittler für<br />

seine Mama an. Heimlich natürlich. Und obwohl Floh es nie<br />

zugeben konnte, ihm machte der Job so richtig viel Spaß. Zusammen<br />

mit Steffi organisierten er kleine Ausflüge, wie malen<br />

im Kunstmuseum, einen Spaziergang auf dem WaIdlehrpfad,<br />

den Besuch eines Bauernhofs, ...<br />

Mit der Zeit taute auch Kevin auf. Zuerst war dies auf seinen<br />

Bildern zu bemerken. Auf allen waren jetzt Kevin und Flo.<br />

Immer häufiger suchte Kevin die Nähe von Florian und wandelte<br />

sich von Kevin zu einem Mark.<br />

Lisa Schmitt war sehr erstaunt über Kevins Verwandlung.<br />

Verblüfft musste sie feststellen, dass der von ihr vermittelte<br />

Kindergarten-Onkel so gar nicht zu ihrem "Good-Looking-<br />

Guy"-Vorurteil passte. Inzwischen schenkte Kevin alle Bilder,


auf denen er und Floh zu sehen waren, seiner Mutter. Lisa<br />

war völlig fassungslos. Noch nie hatte Kevin einen Mann so<br />

vergöttert. Nun, jetzt sind erst einmalOsterferien, dann wird<br />

die Liebe zu Onkel Flo wohl abkühlen, dachte sie.<br />

Wie üblich verbrachten Kevin und seine Mutter die Ferien<br />

auf dem Land bei Oma Erika, Lisas Mutter. Den Opa hat er<br />

nie kennengelernt, als er starb war Kevin noch zu klein. Er hat<br />

aber ein Bild von ihm, wie Opa ihn, gerade ein paar Wochen<br />

alt, auf dem Arm hielt.<br />

"Oma, wie erkenn ich denn den Opa, wenn ich in den Himmel<br />

komme?"<br />

"Mach dir keine Sorgen Kevin, der Opa bewacht dich die<br />

ganze Zeit von oben, damit dir nichts Böses geschieht. Er<br />

weiß genau wie du ausschaust<br />

nehmen."<br />

und wird dich in seine Arme<br />

"Und wie erkenn ich den Papa, wenn er vom Mond zurück<br />

ist? Oder hat er mich da auch die ganze Zeit beobachtet?<br />

Nee, neeehh, der muss dort oben doch arbeiten. Wie erkennt<br />

er mich dann?"<br />

Das ganze Gespräch über kaute Lisa auf ihren Lippen und<br />

verdrückte sich schließlich auf die Toilette. Tränen trocknen,<br />

Gesicht waschen, Haare frisieren, Kleidung zurechtrücken,<br />

durchatmen, Meeresstrand vorstellen ... Dieses Leben hatte<br />

sie sich doch so ganz anders vorgestellt. Vater, Mutter, Kind.


In den Ferien malte Kevin Omas Haus und wie Mama, Oma<br />

und er davorstehen. Opa sitzt auf einer Wolke und schaut den<br />

dreien zu. Anfangs taucht auf diesen Bildern eine weitere Gestalt<br />

auf: Flo. Er steht zwischen Mama und ihm und sie halten<br />

einander an den Händen. Oma steht ein wenig abseits und<br />

fotografiert die Szene. Doch nach ein paar Tagen war Flo vergessen.<br />

"Mama, ich vermisse<br />

Was kann ich machen?<br />

Max wirklich nicht, aber Kevin tut das.<br />

Ich fühle mich so schuldig, weil Kevin


keinen Vater hat. Vielleicht ist Max gegangen, weil ich ihm<br />

eine schlechte Frau war?"<br />

"Ach Lisa, er hatte doch seine "Entfremdung", selbst wenn<br />

du ihm zehnmal am Tag die Füße geküsst hättest, der wollte<br />

Frischfleisch ohne Säugling." Lisas Mutter brachte immer alles<br />

auf den Punkt.<br />

Am Abend klingelte das Telefon, Oma ging ran. Nach kurzem,<br />

aber heftigem Wortaustausch rief sie nach Lisa und hielt<br />

die Sprechmuschel zu, als sie sagte: "Eure Durchlaucht, Herr<br />

der Entfremdung, wünscht Dich zu sprechen. Mach keine<br />

Dummheiten."<br />

"Ach, Mama", antwortete<br />

Lisa und nahm den Hörer entgegen.<br />

"Hallo?"<br />

"Es tut mir so leid, was passiert ist. Ich wollte schon viel<br />

früher anrufen, aber Deine Telefonnummern hast Du ja gewechselt.<br />

Da blieb dann nur noch euer Osterbesuch bei der<br />

Oma."<br />

"Komm zur Sache Max, was willst Du?"<br />

.Lisa, ich möchte Dich sehen, Dich und Kevin, ich hab ihn<br />

seit dreieinhalb<br />

Jahren nicht gesehen."<br />

"Stimmt, du hast auch nie Anstalten gemacht, um das zu<br />

ändern. Er glaube du bist Astronaut und eroberst ferne Galaxien,<br />

viel zu weit von der Erde entfernt."


"So kannst du das nicht stehenlassen, ich lebe in der gleichen<br />

Stadt wie ihr und die Tram oder das Auto brauchen keine<br />

Lichtjahre."<br />

"Okay. Als was wirst du deine Entfremdung vorstellen?<br />

Betthäschen,<br />

neue Stiefmutter?"<br />

"Ach, dass ist doch schon lange vorbei, ich war dann so<br />

durch den Wind, dass ich einen Therapeuten aufgesucht habe.<br />

Jetzt kann ich mir vorstellen, wie Du dich vor dreieinhalb<br />

Jahren gefühlt hast. Bitte lass uns treffen, ich muss Dir so vieles<br />

sagen."<br />

"Na schön, komm morgen Nachmittag zum Kaffee."<br />

"Die Oma wird mir den Kopf abreißen."<br />

"Nur, wenn ich nicht schneller bin. Und keine großen Geschenke<br />

und nichts Süßes für Kevin! Ich werde ihm erzählen,<br />

dass Du von deiner weiten Reise zurück bist und uns besuchst."<br />

Niemand hatte bemerkt, dass Kevin gelauscht hat. So war<br />

es kein Wunder, dass Lisa und Oma den Jungen am nächsten<br />

Morgen, um sechs Uhr, bereits angezogen vorfanden. Er war<br />

sehr nervös, wollte aber nichts sagen. Er hat mich belauscht,<br />

dachte Lisa voller Schrecken.<br />

Am Nachmittag klingelte es. Max, dachte Lisa und ihr Herz<br />

klopfte bis zum Hals, sie öffnete und erstarrte, denn sie hätte


ihn fast nicht erkannt. Seine Körpermitte war längst kein<br />

Bauchansatz mehr, dies war ein überdimensionierter Trommelbauch.<br />

.Oh, wie ich sehe, konnte Mandy wenigstens<br />

kochen", sagte<br />

Lisa, "auch sonst hast du dich sehr verändert." Lisa überkam<br />

eine leichte Triumph-Stimmung, denn Max sah ziemlich<br />

heruntergekommen aus. Zerbeulte Hosen, vermutlich schläft<br />

er darin, ein viel zu kleines Sakko über dem zerknitterten<br />

Hemd. Seine Haare muss man schon bald suchen, waren dafür<br />

aber fettig-strähnig. Am schlimmsten aber war sein Gesicht,<br />

dicke Tränensäcke hingen bis auf die zerfurchten Wangen,<br />

die Stirn zerknautscht wie die eines Mopses, Trauerfalten<br />

rund um den Mund, aus dem eine deutliche Alkoholfahne<br />

kam.<br />

"Seit wann trinkst Du wieder?" fragte Lisa. Max zog stumm<br />

die Achseln hoch. Sie ließ Max vor der Türe stehen und rief<br />

Oma zu sich.<br />

"Ich will nicht, dass Kevin ihn so sieht, mach dir selbst ein<br />

Bild." Ein Blick genügte.<br />

"Ihr geht besser ins Cafe. Kevin spielt im Garten, ich sag<br />

ihm, dass eine alte Schulfreundin<br />

muss."<br />

dich dringend um Rat fragen<br />

Genau in diesem Moment kam Kevin an die Tür. "Ist das<br />

ein Bettler? Nein? Was will er denn?"


Schweren<br />

er hat viel Pech gehabt."<br />

Herzens sagte Lisa: "Kevin, das ist Dein Vater,<br />

"Das glaube ich nicht. Der Mann sieht komisch aus und er<br />

hat mir auch keinen Stein vom Mond mitgebracht!"<br />

sich traurig um, winkte nochmals kurz und ging.<br />

Max drehte<br />

Die wenigen Ferientage vergingen wie im Flug, Lisa unternahm<br />

viel mit ihrem Sohn und oft kam auch Oma mit. Am<br />

Abend vor der Heimfahrt malte Kevin ein Geschenk für die<br />

Oma, damit sie nicht so traurig ist, wenn sie wieder in die<br />

Stadt fahren mussten. Wie üblich standen Mama, Kevin und<br />

Oma vor dem Haus und auf der Wolke wacht Opa, jetzt stand<br />

aber ein Mann hinter Kevin und hat ihm beide Hände auf die<br />

Schulter gelegt.<br />

"Das ist Flo, mein Freund aus dem Kindergarten."<br />

Einige Tage nach den Ferien kam Kevin ganz aufgeregt zu<br />

Flo gelaufen: "Guten Morgen Flo, heut Nachmittag holt mich<br />

die Mama mal ab, wir gehn Tschoppen. Ich bin aus allem<br />

rausgewachsen und brauch neue Anziehsachen. Und dann<br />

gehen wir bei MD Hamburger essen!"<br />

Gespannt wartet Florian auf Kevins Mutter. Gegen fünfzehn<br />

Uhr kam eine junge attraktive Frau herein, im lässigen<br />

Jeanslook und langen dunkelblonden<br />

Haaren.


.Oh herrjemine, das darf doch nicht wahr sein", dachte Florian<br />

und musste gleich dreimal hinsehen. "Das ist doch die<br />

Schnepfe vom Amt."<br />

"Hallo Herr Blumenrot, sie scheinen sich ja hier sehr gut<br />

eingelebt zu haben. Glauben sie immer noch daran, dass sie<br />

ein Kindernichtversteher sind? Kevin und Anna schwärmen<br />

jedenfalls in den hellsten Tönen von ihnen."<br />

"Danke Frau Schmitt, dieser Job macht mir sehr viel Spaß.<br />

Ich bin froh, wenn keine Ferien oder Wochenenden sind."<br />

Kevin stieß seine Mutter mit dem Ellbogen in die Seite.<br />

.Aua, was ...?"<br />

"Lad ihn ein, bitte, bitte lad ihn ein." Verwundert<br />

Flos Blick zwischen<br />

Mutter und Sohn.<br />

wanderte<br />

"Also gut. Mark-Kevin feiert am siebenundzwanzigsten April<br />

seinen fünften Geburtstag. Er liegt mir schon seit Tagen in<br />

den Ohren, dass ich sie unbedingt einladen soll. Sie können ja<br />

praktisch alles: Jonglieren, zaubern, den besten Kakao und<br />

die besten Waffel zubereiten, haben ein Talent zum Vorlesen,<br />

ihnen fällt immer ein tolles Spiel ein wenn es langweilig wird<br />

und, und, und ... "<br />

Florian lachte laut. "Nun, als ich noch Kind war, hab ich<br />

immer geträumt Superman zu sein. Wenn ich das jetzt höre<br />

bin ich schon scharf am Ziel."


Lisa und Kevin stimmten in das Lachen mit ein, dann verabschiedeten<br />

sie sich. Auf dem Weg in die Einkaufsmeile<br />

machte sich Lisa so ihre Gedanken und kam zu dem Schluss,<br />

dass ihr erstes Urteil recht vorschnell war. Dieser Flo war -<br />

auf den zweiten Blick - sehr sympathisch.<br />

"Mal schauen, vielleicht sollte ich Kevin öfter mal vom Kiga<br />

abholen", überlegte sie. "Dann könnte ich gleich Anna mitnehmen<br />

und Annas Mutter etwas entlasten."<br />

Kevins Geburtstag, zu dem alle seine Freunde und natürlich<br />

Oma und Flo eingeladen waren, wurde eine ganz ausgelassene<br />

Motto-Party: Indianer-Geburtstag. Lisa hat bei einem<br />

Kindergeburtstags-Veranstalter ein geräumiges Tipi, einen<br />

grusligen Marterpfahl und zwei engelsruhige Ponys mit<br />

Führer gemietet. Zwei Kinderanimateure hatten jede Menge<br />

Spielideen und organisierten den Ablauf. Zunächst wurden<br />

Kinder mit Schminke und selbstgebasteltem Federschmuck zu<br />

richtigen kleinen Indianern. Danach hieß es zwei Stunden abtauchen<br />

in die Welt von Winnetou. Es gab sogar eine Feuerstelle<br />

über der die Kinder Stockbrot garten und Würstchen<br />

wurden gegrillt.


Nach dem Spektakel waren die Kinder ein wenig erschöpft<br />

und Floh brachte ihnen bei, wie man Traumfänger herstellt.<br />

Dann kam die Geburtstagstorte, eine riesige Schokoladentorte,<br />

die Kevin über alles liebte, mit einer großen 5, seinem Namen<br />

drumherum und fünf brennenden Kerzen, die Kevin alle<br />

gleichzeitig auspustete.<br />

"Ich hab mir gewünscht. ..", begann Kevin.<br />

.Psst", sagte die Oma, "nicht verraten, sonst geht dein<br />

Wunsch nicht in Erfüllung.<br />

Okay."<br />

"<br />

Später kamen die Eltern um ihre Sprösslinge abzuholen.<br />

Sie stießen mit Kinderbowle auf Kevins Geburtstag an und<br />

freuten sich über die selig strahlenden<br />

Kindergesichter.


Als alle gegangen waren hätte Flo gerne noch mit Lisa auf<br />

die gelungene Party angestoßen, doch sie war verständlicherweise<br />

zu erschöpft.<br />

"Wir holen das nach Flo." Inzwischen<br />

angekommen.<br />

Party-Stress verbindet.<br />

waren sie beim "Du"<br />

Einige Wochen später, als Abholzeit war, kam Lisa zu Floh.<br />

Sie war völlig aufgelöst und sprach ohne Luft zu holen.<br />

.Florian, ich weiß nicht weiter, ich muss plötzlich nächstes<br />

Wochenende zu einer Fortbildung. Meine Mutter liegt zu Hause<br />

mit einem Bänderriss, Annas Mutter ist zur Kur, Annas Vater<br />

hat Bereitschaftsdienst, da kann Kevin höchstens übernachten,<br />

Kevins Vater ist unzuverlässig und leider völlig dem<br />

Alkohol verfallen. Zu allerletzt: bei der Minijob-Zentrale hab ich<br />

auch nichts Passendes finden können! Jetzt wollte ich fragen,<br />

ob du nicht, ich meine Kevin liebt dich ja total, nur ein Wochenende,<br />

du kannst im Gästezimmer schlafen, ist nur für<br />

zwei Nächte, also von Freitagnachmittag bis Sonntagspätnachmittag.<br />

Abrechnen können wir das als kurzfristige Beschäftigung<br />

auf Minijob-Basis. Oder", Lisas Stimme wurde<br />

leiser, damit sie außer Flo niemand hörte und ihr beschämter<br />

Blick senkte sich, "als Nachbarschaftshilfe, dann hast du keine<br />

Abgaben." Inzwischen war Lisa schon ganz rot angelaufen<br />

und schnappte endlich nach Luft.


"So ein wenig Farbe im Gesicht steht ihr wirklich gut", dachte<br />

Flo. "Nun, ich habe am Wochenende<br />

schon etwas vor." Lisas<br />

Farbe schien sofort verflogen.<br />

"Aber wenn du mir erlaubst Kevin mitzunehmen, ich mache<br />

Aufnahmen mit meiner Band, nichts unanständiges, nur gute<br />

Musik, dann mache ich das gerne, natürlich kann ich das Geld<br />

gut gebrauchen, aber ich mag Kevin wirklich gerne, ich würde<br />

nicht für jedes Kind eine Extra-Betreuung annehmen." Jetzt<br />

japste er nach Luft und dachte: "Nein, im Sprechenohneluftzu<br />

holen werde ich diese Frau wohl nie besiegen."<br />

Sie hatte jetzt ein sehr breites Lächeln auf den Lippen:<br />

"Versuch nicht mich im Schnellsprechen einzuholen, ich trainiere<br />

seit meiner Kindheit! Eine richtige Bandprobe und Aufnahmen,<br />

das wird ja ein richtiges Abenteuer für Kevin." Luftholen.<br />

"Wann hast du denn Zeit für eine kleine "Einweisung",<br />

meiste kennst du ja schon von Kevins Geburtstag."<br />

das<br />

"Wenn du magst, gleich jetzt, unter der Bedingung, dass wir<br />

heute nachträglich auf Kevins Geburtstag anstoßen."<br />

"Na schön, wenn's denn sein muss", antwortet<br />

aber ihre Lippen lächelten.<br />

sie gequält,<br />

Kevin hatte Anna versprochen mit ihr und ihrer Tagesmutter<br />

auf den Spielplatz zu gehen. Er war mächtig traurig, dass er


nicht bei Mama und Flo bleiben konnte, aber versprochen<br />

versprochen.<br />

Und Kevin war ein Ehrenmann!<br />

ist<br />

Tatsächlich gab es nur wenig zu besprechen. Lisa brühte<br />

einen Tee auf und öffnete eine Packung Ginger Cookies.<br />

"Ich hoffe du magst die?"<br />

"Wir stoßen also mit Tee an? Das ist ungewöhnlich.<br />

Du nie Alkohol?"<br />

Trinkst<br />

"Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Max ist Alkoholiker<br />

und hat mich die besten Jahre meines Lebens gekostet. So<br />

etwas prägt."<br />

Flo hätte gerne noch mehr über Max erfahren, doch er hörte,<br />

dass Lisas Stimme zittrig wurde und wusste, dass er besser<br />

nicht weiter in der Wunde bohrte. Man tauschte noch ein<br />

paar Belanglosigkeiten und sprach natürlich über Kevin.<br />

.Lisa, willst Du nicht versuchen Kevin mit seinem ersten<br />

Vornamen anzusprechen. Ich meine langsam umgewöhnen.<br />

Und nur wenn er will. Er wird es später leichter haben." Dann<br />

holte er eine Mappe mit verschiedenen<br />

aus seiner Tasche heraus.<br />

Zeitungsausschnitten<br />

Die Süddeutsche schrieb: "Kevin wird in der Schule<br />

schlechter benotet als Maximilian - allein wegen seines Namens."


Der Spiegel war noch deutlicher: "Kevin ist kein Name,<br />

sondern eine Diagnose."<br />

Und in der Zeit sogar: "Die Grundschullehrer ordneten die<br />

kleinen Mandys und Kevins ganz bewusst einem bildungsfernen<br />

Unterschichtmilieu zu, sagt Kaiser. Dabei ist .Kevin" offenbar<br />

zum Synonym für Problemschüler<br />

geworden."<br />

Und nun der Oberbegriff aus dem Stern: "Die Soziologie hat<br />

für das Unvermögen einer größer werdenden Bevölkerungsgruppe,<br />

ihrem Nachwuchs menschliche Namen zu geben, bereits<br />

einen Begriff geprägt: Kevinismus<br />

Iismus)."<br />

(bei Mädchen: Chanta-<br />

"Ich weiß, ich hab das auch schon mal gegooglet! War ja<br />

vor kurzem mal wieder in aller Mund, so mitten im Sommerloch.<br />

Natürlich will ich, dass er den besten Start in die Schule<br />

hat und nicht, dass wegen .Kevin allein zuhause" später seine<br />

Chancen verbaut sind. Allerdings hatte ich bei der Namensgebung<br />

genauso wenig mitzureden, wie bei der Zeugung.<br />

Denk jetzt bitte nichts Falsches. Ich liebe Kevin über alles."<br />

"Ich denke, wir lassen ihn das selbst entscheiden, ich hab<br />

ja das ganze Wochenende um ihn von Mark Twain und anderen<br />

berühmten Marks zu überzeugen. So, ich muss jetzt los,<br />

sonst sucht sich meine Band einen neuen Gitarristen!" Lisa<br />

saß noch eine Weile auf der Couch, nippte an dem mittlerweile<br />

kalten Tee und dachte über Florian nach. Sie fühlte sich so


geborgen in seiner Gegenwart und schämte sich jetzt für ihre<br />

Ein-Euro-Job Streiche. Ach, was soll's er sieht ohnehin viel zu<br />

gut aus, spielt in einer Band Gitarre und an jedem Finger<br />

hängt bestimmt ein Mädchen.<br />

Florian schritt beschwingt zur Bus Station. Schade, ich wäre<br />

gerne noch geblieben. Er musste lachen, als ihm ihre erste<br />

Begegnung einfiel. Wer hätte gedacht, dass ich mit Schnepfen<br />

auskommen kann und diese samt Sprössling sogar sehr süß<br />

finde.<br />

Das Männerwochenende war ein voller Erfolg. Als Lisa am<br />

Sonntag gegen Abend zuhause ankam, lief Ihr Mark-Kevin<br />

gleich entgegen.<br />

"Mama, Mama wir hatten soviel Spaß, kann Flo nicht immer<br />

bei uns wohnen? Ich hab mit Flos Freunden Musik gemacht,<br />

ich durfte trommeln und Fußball haben wir gespielt, dann waren<br />

wir müde und ich hab mit Gänseblümchen zählen geübt.<br />

Und Burger haben wir gemacht, wie die von MD, nur ham unsre<br />

viel besser geschmeckt. Abends hat Flo mir Geschichten<br />

von Mark Twain vorgelesen, die sind ganz toll. Ich will jetzt<br />

auch viel lieber Mark heißen, für Kevin bin ich schon zu groß,<br />

der im Film war ja noch ein Baby. Und wenn ich groß bin<br />

schreib ich auch solche Geschichten über Tom und Huck. Flo<br />

hat heute sogar für dich mitgekocht, und ..."


Da hat ihn Lisa so fest umarmt, dass er nicht mehr weiterreden<br />

konnte und zwinkerte Flo zu: "Das Sprechenohneluftzuholen<br />

liegt bei uns in der Familie. Kevin, ähh Mark, ist dabei<br />

mich zu übertrumpfen, ich habe nur Angst, dass er das Luftholen<br />

eines Tages ganz vergisst."<br />

Sie aßen Spaghetti mit rotem Pesto, für Mark gab es natürlich<br />

Ketchup. Flo hatte außerdem noch einen quietschbunten<br />

Salat gezaubert, bei dem sogar Mark zulangte. Beim Abwasch<br />

erzählte Lisa von ihrem langweiligen Seminar, dass sie die<br />

ganze Zeit an Mark denken musste und wie froh sie war, dass<br />

sie ihn bei Flo gut aufgehoben wusste.<br />

"Immerhin ein fast fertig studierter Pädagoge" ulkte sie.<br />

Nachdem Flo Mark noch eine Geschichte vorgelesen hatte,<br />

der Kleine hatte fest drauf bestanden, verabschiedete sich<br />

Flo von Lisa mit einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange.<br />

Bei Lisa gingen die Alarmglocken los. Wie gerne hätte sie<br />

ihn darauf hingewiesen, dass das hier kein Date war, aber<br />

dafür hätte sie sprechen müssen und irgendwie hatte diese<br />

ganze Vertrautheit ihre Kehle angetrocknet.<br />

Am nächsten Freitag brachte Mark zwei Konzertkarten für<br />

das Park Festival am Samstag mit. "Da spielt Flo mit seiner<br />

Band am Nachmittag. Wir sollen unbedingt kommen, wenn du<br />

nicht magst, geh ich alleine. Ich bin ja schon groß."


"Klar, das bist du. Aber ich komme gerne mit, wenn du mich<br />

mitnimmst", schmunzelte Lisa.<br />

Nach dem Auftritt, der Lisa wirklich überwältigt hatte, stürmte<br />

eine junge Frau, mit langem wehendem blonden Haar, auf<br />

die Bühne und umarmte Flo stürmisch.<br />

"Ich werde darüber nicht nachdenken", sagte sie sich. "Und<br />

ich werde auf keinen Fall zu weinen anfangen. Ich weiß nicht,<br />

warum ich geglaubt habe diesmal wäre es anders. Mich in ihn<br />

zu verlieben. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?"<br />

Gerade als sie Marks Hand nahm, um das Konzert zu verlassen<br />

kam, kam Flo mit seiner Blondine auf die beiden zu.<br />

"Na, wie war unser Auftritt? Darf ich euch meine ältere Zwillingschwester<br />

Fijona vorstellen? Sie konnte es nicht erwarten


und war fast eine Stunde vor mir auf der Welt." Fijona knuffte<br />

Flo kräftig in die Seite: "Ein Mann von Welt verrät das Alter<br />

einer Dame nicht ", und lachte, worauf alle mitlachen mussten.<br />

"Ihr wart noch besser als bei den Proben," schrie Mark, um<br />

das Lachkonzert zu übertönen. "Hat deine Schwester eine<br />

andere Mama als du?"<br />

"Nein, wir beide mussten uns den Platz in Mamas Bauch<br />

teilen."<br />

.Uiii, das war bestimmt ganz schön eng." Wieder lachten alle.<br />

"So, jetzt wird gefeiert und ihr kommt alle mit."<br />

"Wohin geht's?", fragten Lisa und Mark gleichzeitig.<br />

"Zu uns nach Hause, wenn wir hier vor Ort einen Gig haben,<br />

lässt es sich meine Mutter nicht nehmen eine Party für<br />

die Band zu veranstalten, wir müssen alle unsere besten<br />

Freunde und großen Hunger mitbringen", erklärte Flo. Der<br />

große Hunger war wirklich nicht übertrieben, im Partykeller<br />

hatte die Zwillings-Mutter ein riesiges Buffet aufgebaut.


Flo sah Lisas staunende Augen und sagte: "Mamas Beruf<br />

ist auch ihr Hobby. Sie hat einen Partyservice. Fijona ist dort<br />

jetzt eingestiegen und wenn das mit dem Kindergarten nicht<br />

mein Hobby geworden wäre, würde vermutlich auch ich jetzt<br />

Schnittchen garnieren. Kommt mal mit rüber, ich stell euch<br />

meine alten Herrschaften einmal vor." Die Eltern von Flo standen<br />

mit wachendem Auge in der Nähe des Büfetts und sorgten<br />

für ständigen Nachschub.<br />

"Darf ich euch Lisa und Mark-Kevin vorstellen. Er heißt<br />

jetzt Mark."<br />

"Schön, dass sie mitgekommen sind, jetzt lernen wir sie<br />

endlich einmal kennen. Florian schwärmt uns schon die ganze<br />

Zeit von ihnen vor."<br />

"Mama!"


"So etwas hört eine Frau gerne, außerdem ist es wahr."<br />

Lisa lief rot an und hoffte, dass es in der Dunkelheit des<br />

Partykellers keiner bemerkte, als sie aber zu Flo rüber schaute,<br />

bemerkte sie sein ebenfalls puterrotes Gesicht.<br />

"Ihr benehmt euch ja wie die Teenager! Ich bin Felicitas und<br />

das ist Frank, mein Mann. Und ich glaube das erklärt dann<br />

auch die Namenswahl für meine Sprösslinge. Schön euch<br />

kennenzulernen ."<br />

Sie drückte Lisa und Mark fest an ihre Brust. Es war, als<br />

kannten sie sich schon eine Ewigkeit. Dann unterhielten sie<br />

sich noch eine Weile sehr angeregt, bis es Bettzeit war für<br />

Mark.<br />

"Sonst verschläft er morgen noch den Kindergarten und<br />

macht mir den ganzen Tag Vorwürfe,"<br />

aber ein Lachen auf den Augen.<br />

sagte Lisa ernst, hatte<br />

"Ihr seid meine Gäste und ich bring euch auch nach Hause.<br />

Papa, gibst du mir den Schlüssel von deinem Rolls Royce?"<br />

Die verblüffte Lisa musste lachen, als sie von Flo zu einem<br />

alten klapprigen Fiat 500 gelotst wurden.<br />

"Das ist Papas bestes Stück. Wenn ich mit dem einen Unfall<br />

bauen würde, wäre ich einen Kopf kürzer", schmunzelte<br />

er.


Mark war so müde, dass er sogar auf die Geschichte<br />

verzichtete,<br />

die ihm Flo vorlesen wollte.<br />

"Musst Du nicht zurück zu euren Gästen?" fragte Lisa.<br />

"Ehrlich gesagt fühle ich mich im Moment hier wohler", antwortete<br />

Florian. "Hast Du einen Tee für mich?"<br />

Erst saßen sie schweigend und schlürften heißen Tee,<br />

dann war der Gig das Thema des Abends.<br />

Als Flo aufbrechen wollte sagte er: "Ob Du es glaubst oder<br />

nicht. Ich bin schrecklich schüchtern Frauen gegenüber. Vor<br />

allem wenn ich diese Frau sehr, sehr, sehr gerne mag. Aber<br />

ich würde dich jetzt so gerne küssen. Darf ich?"<br />

Lisa nickte. Es wurde ein sanfter, zärtlicher Kuss, zart wie<br />

Watte und Lisa spürte wie ihre Knie weich wurden.


Vorbei<br />

Den ganzen Tag über war Julia unruhig. Sie wollte es sich<br />

nicht eingestehen, aber es war eindeutig, dass sie ihrem<br />

"Date" am heutigen Abend nicht gerade freudig entgegensah.<br />

Obwohl Julia die ganze Zeit versuchte an etwas anderes zu<br />

denken, gelang ihr dies nicht. Ihre brennendste Frage war,<br />

was sie fühlen würde, wenn sie Daniel nach all dieser langen<br />

Zeit wieder gegenüberstand. Jetzt, nach zehn Jahren, befürchtete<br />

sie, dass sich nicht nur nostalgische Gefühle regen<br />

könnten. Sie dachte an ihr letztes Treffen mit ihm, vor zehn<br />

Jahren. Das war nachdem sie ihn fünf Jahre zuvor verließ.<br />

Damals wohnte sie im Frankfurter Westend und hatte ein fast<br />

intaktes Leben im Rückhalt: mit einer intensiven, aber komplizierten<br />

Liebesgeschichte und einem Beruf der sie ausfüllte.<br />

Zumindest gab es damals genügend Gesprächsstoff, damit<br />

keine peinlichen Momente aufkommen konnten, in denen totgesagte<br />

Gefühle aufkeimten. Seine Umarmungen damals zur<br />

Begrüßung wirkten seltsam steif. Seine Bemühungen ihre Beziehung<br />

aufzuarbeiten, die er doch ach so perfekt fand, verlangten<br />

ihr mehr Nähe ab, als sie bereit war zu geben. Vor<br />

allem seine penetrant bohrende Frage, warum sie einfach so<br />

von ihm gegangen war, erschütterte unerwartet ihren gedanklichen<br />

Panzer. Also rief sie damals immer wieder ihr Mantra in<br />

Gedanken auf, das sie eigens für dieses Wiedersehen gewählt<br />

hatte: "Ich liebe einen neuen Mann und ich bin glück-


lieh." Zumindest für die wenigen Stunden ihres Treffens wirkte<br />

ihr magischer Spruch und sie behielt die Fassung.<br />

Heute ist die Situation leider nicht so günstig für mich, überlegte<br />

sie. Die große Liebe war letztlich an den überschäumenden<br />

Komplikationen gescheitert und seither war ihr schon<br />

ein one-night-stand zu viel Nähe, Freunde hatte sie gegen<br />

Bekannte eingetauscht und beruflich stand sie erstmals vor<br />

dem Aus. Was kann mir heute genügend Halt geben, verdammt,<br />

warum hab ich in dieses Treffen überhaupt eingewilligt?<br />

Sogleich musste sie über sich selbst lachen, denn an<br />

dem heutigen Treffen war sie nicht ganz unschuldig. Daniel<br />

hat sich angekündigt, er sei auf der Durchreise. Ein paar Sätze<br />

weiter hatte er sie mal wieder so geschickt manipuliert,<br />

dass sie eingewilligte am Abend in die hundert Kilometer entfernte<br />

Großstadt zu kommen. Typisch Daniel, warum kann er<br />

mich noch immer so steuern? Typisch ich, warum gehe ich<br />

denn darauf ein? Er will mich sehen, also sollte er zu doch mir<br />

kommen? Jeder andere Mann würde das tun, aber Daniel hatte<br />

schon immer seine eigene Definition von Männlichkeit. Ihre<br />

Fragen konnte Julia sich nicht beantworten. Doch es lag eine<br />

lange Autofahrt vor ihr, bei der sie genügend Zeit zum Nachdenken<br />

hat. Sicher findet sie mit der Antwort auch ihr heutiges<br />

Mantra.<br />

Obwohl sie viel zu früh dran war, fuhr sie zu schnell. Es war<br />

ihre Art sich abzureagieren.<br />

Warum bist Du damals gegangen,


schoss es ihr in den Sinn. Ich war sterbensunglücklich, kam<br />

prompt die Antwort, schneller als sie es erwartet hatte. Ich<br />

wurde völlig auf .Daniels Lebensgefährtin" reduziert, hatte<br />

kein eigenes Leben und keine eigenen Freunde mehr. Mein<br />

Kopf war auf unglücklich programmiert, aber die Notwendigkeit<br />

das Ganze zu beenden hatte ich erst gesehen, als bereits<br />

mein Körper rebellierte. Schon hatte sie ihr Mantra: "Mein Leben<br />

ohne Daniel ist glücklicher." Sie drosselte ihre Geschwindigkeit.<br />

Wär ja der Gipfel, wenn ich wegen dem noch ein Ticket<br />

kriege, lachte sie entspannt.<br />

Julias Beruhigung ließ nach, je näher sie ihrem Ziel kam.<br />

Sie spürte ein flaues Gefühl in der Magengegend, aber der<br />

Kopf war klar. Sie wollten sich in der Fußgängerzone, an der<br />

Kirche, treffen und dann in ihrem ehemaligen Stammlokal etwas<br />

trinken. Bei dieser Vorstellung wurde es Julia ganz<br />

schlecht. Sie bog in das Parkhaus an der Fußgängerzone und<br />

lief die paar Schritte zur Kirche. Zu dumm, dass ich mit dem<br />

Auto hier bin, so zwei, drei Bierchen wären für meine Verfassung<br />

nicht schlecht, dachte sie, als sie sah, dass es noch fast<br />

eine Dreiviertelstunde bis zur vereinbarten Zeit dauerte. Alkohol<br />

macht willensschwach, fiel ihr prompt ein und sie bummelte<br />

zum nächsten Cafe, kaufte sich einen Latte macchiato to-go<br />

und machte gemütlich einen Schaufensterbummel in der kleinen<br />

Einkaufsstraße.


Wie erwartet kam Daniel eine halbe Stunde später als verabredet.<br />

Belustigt bemerkte Julia seinen Bauchansatz und die<br />

sich lichtenden Haare. Mit den Jahren wurde er seinem Vater<br />

immer ähnlicher.<br />

Er begrüßt sie charmant: "Na Julia, Du liegst ja gut im Futter",<br />

und lachte etwas schadenfroh.<br />

Im einstigen Stammlokal angelangt bestellte er sofort ein<br />

Weizenbier, Julia eine Apfelsaftschorle. Sie schaute sich verblüfft<br />

um. Fast fünfzehn Jahre war sie nicht mehr hier gewesen,<br />

doch es hatte sich nichts verändert. Die runde Theke<br />

mitten im Lokal, die abgenutzten Barhocker und die Nischen<br />

mit den Eckbänken. Ja, sogar die Wände schienen seither<br />

keinen Anstrich mehr bekommen zu haben. Jedes einzelne<br />

Bild kannte sie noch genau. Vielleicht waren weniger Menschen<br />

da als früher, aber es war ja noch früh am Tag.<br />

"Trinkst du keinen Alkohol mehr? Ich hab schon ein paar<br />

Gläser Wein intus, wir haben auf meinen neuen Vertrag angestoßen."<br />

Wieder typisch, bei ihm hat sich Alkohol und Autofahren<br />

noch nie ausgeschlossen. Sie kam aber nicht dazu etwas<br />

zu sagen, denn Daniel hatte das Wort und was er einmal<br />

hat, behält er.<br />

"Was machst du eigentlich, wenn dein Vertrag ausläuft? Ich<br />

geh ja jetzt nach Bremerhaven. Man hat mir die Leitung einer<br />

größeren Filiale angetragen. Hmm, ans Meer, da hab ich ja


nie hingewollt und ein Haus hab ich, direkt am Meer, du magst<br />

das Meer ja, aber mich zieht's eher in die Berge, doch der<br />

Posten ist einfach grandios. Ach, und ich werde Anja heiraten,<br />

du wolltest mich ja nie heiraten, warum eigentlich nicht, naja,<br />

sie erwartet ein Baby, ungeplant. Da muss ich jetzt zu stehen.<br />

Ich wollte ja nie Kinder, aber du wärst so gerne Mutter geworden.<br />

Na, ein paar Jährchen hast du ja noch, bei Männern ist<br />

das ja was anderes. Warum hast dir bloß die Haare abgeschnitten,<br />

du weißt doch ich mag dich mit langen Haaren lieber,<br />

lass sie bitte wieder wachsen! Überhaupt, alle Männer<br />

mögen lange Haare. Anja hat sich jetzt auch die Haare wachsen<br />

sehen. Willste mal ein Bild von ihr sehen? Ist in meiner<br />

Jacke an der Garderobe. Ich geh grad mal Pinkeln, bring das<br />

Foto dann gleich mit."<br />

Julia kam nicht zum Denken und wollte jetzt nicht mehr<br />

denken. Sie ließ sich einen doppelten Schnaps einschenken,<br />

den sie in einem Zug austrank, zahlte die Rechnung zusammen<br />

und schrieb für Daniel einen Zettel: Sorry Daniel, hab<br />

einen Anruf bekommen, meiner Freundin geht es sehr<br />

schlecht. Muss sofort los, Julia, bevor sie fluchtartig das Lokal<br />

verließ.


Vater, Mutter, Kind<br />

Kathi jubilierte: "Ich habe es geschafft, endlich geschafft.<br />

Jetzt bin ich mein eigener Chef. ,Kathis CompuCorner'. Ich<br />

habe eine Coaching-Firma für firmeninterne Webseiten-<br />

Betreuung."<br />

Es war unglaublich, bereits drei Tage vor dem geplanten<br />

Stichtag konnte sie online gehen. Ihre Zeit als Website-<br />

Programmiererin<br />

machten sich einmal mehr bezahlt.<br />

Kathi, die eigentlich Katharina Glöckner heißt, war Ende<br />

zwanzig, von zierlicher Statur und nicht besonders groß, gerade<br />

mal eins sechzig, doch durch ihre Souveränität wirkte sie<br />

auf andere Menschen größer. Ihre langen rotbraunen Haare<br />

trug sie am liebsten offen. Nur bei der Arbeit band sie die Haare<br />

zu einem Pferdeschwanz oder drehte sich einen lockeren<br />

Knoten. Sie war fast immer ungeschminkt, auch bei der Arbeit,<br />

nur für Verkaufsgespräche griff sie sparsam in den Schminktopf.<br />

Je nach zu verhandelndem Auftrag schlüpfte sie dann<br />

sogar in ein Kostüm. Die meisten allerdings kannten sie nur in<br />

Jeans und Shirt.<br />

Schon seit ihrer Ausbildung zur Mediengestalterin arbeitete<br />

Kathi konsequent auf ihren Traum der Selbständigkeit hin.<br />

Dafür hatte sie bereits während ihrer Ausbildung begonnen,<br />

an der Hagener Fernuniversität, als Teilzeitstudentin, Informatik<br />

zu studieren. Die Abschlussarbeit ihrer Mediengestalter-


Ausbildung befasste sich mit der Erstellung und dem Design<br />

von Internetseiten. Das war ein zentrales Thema für ihre künftige<br />

Firma. Kathis Ausbildungsfirma, die Webdesir GmbH,<br />

übernahm sie, als Beste der Auszubildenden, mit Freuden.<br />

Sie war zuständig für die Gestaltung von Webseiten und Internetauftritten<br />

der Kunden, was ihr die nötige Routine und<br />

den notwendigen Einblick in die Geschäftsabläufe für ihr persönliches<br />

Projekt verschaffte.<br />

Kathi begann ihre Bachelorarbeit mit fünfundzwanzig. In<br />

zwei Jahren legte sie, so ganz nebenbei, eine herausragende<br />

Arbeit über die ,Konzeption und Realisierung flashbasierter<br />

Internetauftritte' vor. Wieder eine ideale Thematik für ihr künftiges<br />

Firmenprojekt. Scheinbar nebenher erreichte sie dann<br />

mit siebenundzwanzig den Bachelor of Science in Informatik<br />

mit Auszeichnung und - ebenfalls scheinbar nebenher - hatte<br />

sie sich in der Branche einen Namen als Ausnahmetalent gemacht.<br />

Bei Webdesir wurde sie ein paar Mal befördert. Dort<br />

verdiente sie auch gutes Geld - bis, bis gestern ... Kathi hatte<br />

gekündigt, die Zeit war gekommen, sie wollte beruflich endlich<br />

auf eigenen Beinen stehen.<br />

Nach ihrem Studien-Abschluss hatte Kathi abends endlich<br />

wieder einen Freiraum und sie begann an ihrem eigenen Internetauftritt<br />

zu arbeiten. Drei Jahre ließ sie sich Zeit, um ihre<br />

Präsenz zu gestalten, der Starttag ihrer Firma sollte ihr dreißigster<br />

Geburtstag<br />

sein. Wenn sie ehrlich war, hatte sie die-


sen Zeitraum auch gebraucht. Während sie Kunden zielsicher<br />

zu einer ansprechenden Homepage verhalf, fiel es ihr schwer,<br />

sich für die eigene Firma auf ein Webdesign festzulegen. Ihre<br />

Kollegen konnte sie nicht um Hilfe bitten, denn bei Webdesir<br />

hielt sie ihre Pläne streng geheim.<br />

"Jetzt brauche ich keine Hilfe mehr", sagte sie laut, obwohl<br />

es niemanden gab, der sie hörte. "Ich gehe online, aber die<br />

Geschäftseröffnung soll mein dreißigster bleiben." Also programmierte<br />

sie noch einige ,Kommt bald!' und ,Eröffnung am<br />

11. April 2012' auf die Internetseiten, stellte das Ganze Online<br />

und packte ihre große Reisetasche.<br />

"Zeit für einen kleinen Urlaub", dachte sich Kathi. Ihren Geburtstag<br />

wollte sie ohnehin mit ihren Eltern feiern, denn der<br />

Tribut ihrer Arbeit war, dass sie kaum noch Freunde hatte und


jeder Versuch einer Partnerschaft war an Kathis Arbeitswut<br />

gescheitert. Sie tröstete sich stets mit einem Satz ihrer Mama:<br />

"Für die Liebe gibt es immer eine Zeit mein Schatz. Wenn es<br />

jetzt nicht sein soll, dann kommt sie ein wenig später zu dir."<br />

Dann spürte sie auch Mamas Kuss auf ihrer Stirn.<br />

Gut zwei Stunden brauchte sie meistens für die Strecke von<br />

Stuttgart nach Konstanz, wo ihre Eltern in einem Haus am<br />

Stadtrand lebten. Sie freute sich schon auf die rasante Fahrt<br />

mit ihrem heißgeliebten Mini Cooper, der mit seinen 211 PS<br />

locker an so mancher Limousine vorbeizieht.<br />

"Frühling ist genau die richtige Zeit für den Bodensee", ging<br />

es<br />

Kathi durch den Kopf. "Dann ist es dort am schönsten. Auf


der Insel Mainau blühen die Frühjahrsblumen und das diesjährige<br />

Jahresmotto: ,Sehnsucht nach Sonne - Insel des Südens'<br />

klang wie immer vielversprechend", überlegte Kathi weiter und<br />

bestellte kurzerhand für ihren Geburtstag einen Tisch für drei<br />

im bekannten Mainau-Restaurant ,Die Schweden schenke' .<br />

Jetzt musste sie sich nur noch in die Kind-Stimmung versetzen.<br />

Für die Fahrt hatte sie sich daher von ihrer Lieblings-<br />

Managementtrainerin Vera F. Birkenbihl die CD ,Selbst-<br />

Management' besorgt. Das Cover versprach ,Sie lassen unnötigen<br />

Stress hinter sich, Sie ärgern sich seltener, Sie kommen<br />

besser mit ihren Mitmenschen aus'.<br />

"Da sollte daheim dann nichts mehr schiefgehen", dachte<br />

sie, schnappte sich ihre Tasche, legte ihr MacBook darauf und<br />

griff die Schlüssel. Dann begab sie sich auf die Reise. Als sie<br />

daheim ankam war sie mental auf ihre Eltern vorbereitet,<br />

glaubte sie jedenfalls. Erst einmal staunte sie, was daheim<br />

schon alles im Garten blühte. Das war das Revier von Papa.<br />

Mamas Refugium war das Haus, im Garten durfte sie höchstens<br />

Unkraut jäten und bei kleineren Pflanzarbeiten helfen. Ihr<br />

anfängliches Lächeln bekam einen bitteren Zug.<br />

"Mama möchte Hyazinthen, Papa pflanzt Tulpen. Das Auto<br />

fährt Papa, fürs Auto saubermachen gibt's die Mama. Mama<br />

schreibt den Einkaufszettel, Papa kutschiert zum Supermarkt.<br />

Mama möchte in die Bodensee-Therme, Papa spielt lieber<br />

Solitär auf seinem PC ..."


"Halt! Bevor ich reingehe probiere ich erst einmal das Birkenbihlsche<br />

Minuten-Lächel-Training", sagte sie sich. "Da<br />

werde ich schon auf andere Gedanken kommen." Mit dieser<br />

Methode soll das Gehirn ausgetrickst werden, es bekommt<br />

das Signal ,Kathi lacht' und schüttet Freude-Hormone aus.<br />

Also zog sie die Mundwinkel hoch und versuchte zu grinsen.<br />

"Hallo Schatz, schön dass du da bist", das war ihre Mama.<br />

"Was schneidest du denn für scheußliche Grimassen? Ist dir<br />

schlecht? Ich freu mich ja so, dass Du schon vor Deinem Geburtstag<br />

kommen konntest, hast Du Urlaub?"<br />

"Ja", log Kathi, denn sie hatte ihren Eltern die Kündigung<br />

verschwiegen. Die Bombe platzt erst an meinem Geburtstag,<br />

hatte sie sich vorgenommen.<br />

"Du bist doch hoffentlich mit diesem Hasenkasten keine Autobahn<br />

gefahren", meldete sich der Papa und wies auf den<br />

Mini. "Kauf dir endlich ein größeres Auto, das ist doch viel sicherer.<br />

Du verdienst ja mehr als genug!"<br />

Wenn das so weitergeht, habe ich nach den drei Tagen hier<br />

eine Gesichtsmuskulatur, wie ein Feldhamster, dachte sie.


"Ich bring gerade die Sachen rein und mach dann einen<br />

Spaziergang,<br />

ich bin ganz steif von der Sitzerei", sagte Kathi.<br />

.Tja Kind, du brauchst für dein Auto ja einen Schuhanzieher.<br />

Hast du erst mal ein größeres,<br />

mehr aussteigen!"<br />

dann willst du gar nicht<br />

"Prima Papa, dann schlaf ich im Auto und ihr könnt mein<br />

Zimmer vermieten", giftete Kathi los und begann sicherheitshalber<br />

wieder zu grinsen.<br />

.Herrje, bist du empfindlich geworden, ich meins doch nur<br />

gut", brummte der Papa, schnappte sich Kathis Tasche und<br />

ging ins Haus.


Kathi machte auf ihrem Spaziergang einen Abstecher und<br />

besuchte spontan ihre Schulfreundin Steffi und ihren Mann<br />

Rob. Ihr wollte sie von ihren Plänen berichten, denn sie<br />

schätzte Steffis scharfen analytischen<br />

Verstand.<br />

.Oh Kathi, schön dass du mal wieder vorbeischaust",<br />

Steffis Begrüßung.<br />

war<br />

"Leider kann ich dich nicht reinbitten, die Waschmaschine<br />

ist ausgelaufen, jetzt ist der Service da, die Kinder wollen ,helfen'<br />

und ich versuche sie verzweifelt davon abzuhalten in der<br />

riesigen Pfütze rumzupanschen. Und Rob hat seine Grippe<br />

genommen, er ruft alle naselang, will dies, will das", berichtet<br />

Steffi ohne Luft zu holen.<br />

Kathi war baff, damit hatte sie nicht gerechnet. Als sie ihre<br />

Fassung wieder erlangt hatte, sagte sie: "Ich hab Zeit. Ich<br />

nehme dir die Zwillinge ab. Mach Lea und Leo fertig, ich geh<br />

mit ihnen ins Sea Life Centre."<br />

Nach einem anstrengenden Nachmittag mit den beiden<br />

vierjährigen, die sich fast ausschließlich für die Eselpinguine<br />

interessierten,<br />

lieferte sie die beiden wieder bei Steffi ab.<br />

"Eins kann ich dir sagen", war Kathis Begrüßung, "wenn ich<br />

heut Nacht nicht wie ein Stein schlafe, brauch ich einen Neurologen."<br />

Steffi lächelte wissend und bedankte sich.


"An Deinem Geburtstag komme ich zum Kaffee - alleine,<br />

versprochen. "<br />

Den nächsten Tag verbrachte Kathi mit Mama in der Therme<br />

Konstanz. Sie genossen die schon kräftige Frühjahressonne<br />

im großen Thermal-Außenbecken, aßen zu Mittag auf<br />

der Sonnenterrasse des Thermen-Restaurants ,seelig', es war<br />

Urlaub pur. Besonders freute sich Kathi, dass ihre Mama zusehends<br />

aufblühte.<br />

Den Tag darauf wollte Kathi ins ,LAGO Shopping Center',<br />

um sich einige neue Business-Outfits für Kundengespräche<br />

aussuchen. Wie gerne hätte sie ihre Mama mitgenommen,<br />

denn die hatte einen stilsicheren Geschmack und sah immer<br />

sofort, was ihrem Schatz gut steht. Doch die Mama war am<br />

Geburtstagskuchen backen, obwohl Kathi darauf bestanden<br />

hatte dieses Jahr etwas beim Konditor zu kaufen.<br />

"Ach, das ist doch nicht das Selbe Schatz, so etwas selbst<br />

Gebackenes<br />

kommt von Herzen und das schmeckt man."<br />

Enttäuscht fuhr Kathi allein in das Einkaufszentrum, ihre<br />

Einkaufsstimmung war verpufft. Daher fragte sie kurzerhand<br />

bei ,Douglas' nach, ob sie spontan noch einen Kosmetiktermin<br />

bekommen konnte. Sie hatte Glück, eine andere Kundin war<br />

erkrankt und Kathi konnte sich gleich in den Behandlungsstuhl<br />

legen.


"Für eine Stunde bin ich versorgt",<br />

die Augen.<br />

dachte sie und schloss<br />

Anschließend bummelte sie durch die Boutiquen, aß in der<br />

Mittagszeit im Delis Sushi, nahm am Nachmittag im ,mocca&more'<br />

einen Türkischen Mokka, verließ das LAGO und<br />

marschierte zum Hafen. Dort gönnte sie sich ein großes Eis<br />

und nahm auf einer Bank Platz, denn die Füße taten ihr allmählich<br />

weh. Sie war einfach nichts mehr gewöhnt, außer<br />

dreizehn Stunden am Tag vor dem Computer zu sitzen.<br />

Der Abend vor der großen Enthüllung verlief ereignislos<br />

und so verzog Kathi sich mit ihrem MacBook in ihr Zimmer.<br />

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle ihre Internetseiten<br />

noch genauso aussahen, wie vor zwei Tagen, legte sie<br />

sich die Birkenbihl CD auf und löschte das Licht.<br />

An ihrem Geburtstagsmorgen war sie vor Aufregung bereits<br />

um fünf putzmunter aus dem Bett gesprungen und machte<br />

sich am Notebook zu schaffen. Sie entfernte die ,Kommt bald!'<br />

und ,Eröffnung am 11. April 2012'-Meldungen und schon war<br />

ihr eigenes Geschäft eröffnet.<br />

Dann bereitete sie den Frühstückstisch vor, denn ihre EItern<br />

standen, seit sie in Rente waren, nie vor acht auf, doch<br />

Kathi konnte es jetzt kaum noch abwarten. Sie holte Brötchen<br />

und Croissants vom Bäcker, schnitt im Garten noch ein paar


Tulpen für den Geburtstags-Frühstückstisch, dann hörte sie<br />

ihre Eltern die Treppe herunterkommen.<br />

"Alles Gute zu deinem dreißigsten Schatz", sagte Mama<br />

und gab ihr einen dicken Kuss. "Das hast du ja schön gemacht,<br />

ich fühle mich ein bisschen, als hätte ich heute Geburtstag."<br />

"Herzlichen Glückwunsch Kleines", brummte Papa und gab<br />

ihr flüchtig ein Küsschen auf die Wange. Schweigend frühstückten<br />

sie, anschließend kündigte Kathi eine Überraschung<br />

an und lotste die Eltern in ihr Zimmer.<br />

.Taadaa, darf ich vorstellen: mein Geschäft. Ich biete<br />

Dienstleistungen für Kunden, die ihre eigene Internetseite<br />

selbst betreuen wollen", gab sie ihre Geschäftsidee eIternfreundlich<br />

wieder.


"Kleines, glaubst du das lohnt sich, von diesen Firmen gibt<br />

es doch eh schon genug", sprach Papa.<br />

"Schatz, wann willst du das noch machen, du arbeitest<br />

doch eh schon zu viel", fragte die Mama.<br />

"Ja Papa, es lohnt sich und nein Mama, das wird keine<br />

Mehrarbeit, denn ich habe bei Webdesir gekündigt. Und um<br />

euch den Wind aus den Segeln zu nehmen: ich habe einen<br />

langfristigen Marketingplan erarbeitet, ein Portfolio erstellt,<br />

dann alles von der IHK und der Bank absegnen lassen."<br />

"Trotzdem Schatz", meldete sich Mama. "Du hast bei deiner<br />

Firma doch sehr gut verdient und du musst doch auch mal an<br />

deine Rente denken."<br />

"Da wirst du wohl sehr lange auf ein neues größeres Auto<br />

warten müssen", warf Papa ein.<br />

"Mama, ich war bei einer Existenzgründungsberatung, Rente,<br />

Flauten, sogar ein mögliches Scheitern, das wurde alles<br />

besprochen, durchgerechnet, mögliche Alternativen in Erwägung<br />

gezogen, und, und, und ...lch bin alles, aber eins sicher<br />

nicht: leichtsinnig. Und Papa, bitte versteh doch endlich, ich<br />

liiieeebe meinen Mini."<br />

Schweigend fuhren sie zur Insel Mainau, schweigend aßen<br />

sie dort zu Mittag, die Stimmung änderte sich auch nicht, als<br />

Steffi zum Kaffee kam. Kathi wollte eigentlich auch ihr ,Kathis


CompuCorner' vorstellen, doch die Pleite am Morgen hatte ihr<br />

gelangt. So war es ein sehr schweigsamer Geburtstags-<br />

Kaffeetisch. Die schlechte Stimmung hätte selbst ein gefühlskalter<br />

Goldfisch gespürt, so war es kein Wunder, dass sich<br />

Steffi unter einigen fadenscheinigen Begründungen wieder<br />

verdrückte. Gleich danach warf Kathi ihre Sachen in die Reisetasche<br />

und wollte sich verabschieden.<br />

"Schatz, du musst doch morgen nicht zur Arbeit, da kannst<br />

du doch wenigstens<br />

bis morgen bleiben", wollte Mama wissen.<br />

"Ja Kind", warf Papa ein, "dann kommst du nicht in die<br />

Dunkelheit."<br />

Kathi lachte: "Schön dass ihr der Situation dann doch noch<br />

etwas Gutes abgewinnen könnt. Aber leider muss ich arbeiten,<br />

mein erster Auftrag ist bereits eingegangen!"


Danksagung<br />

Mein besonderer Dank gilt meiner Lektorin und Freundin<br />

Indira Wirths-Kosub fürs Probelesen und das erste Feedback<br />

zum Manuskript. Die gemeinsame Arbeit hat mir viel Freude<br />

gemacht.<br />

Bei der Autorin Karla Schmidt bedanke ich mich für Ihre<br />

zahlreichen Korrekturen und Anregungen, durch die diese<br />

Texte noch lebendiger wurden.<br />

Meiner Familie danke ich für ihre Geduld und Rücksichtnahme<br />

während der Fertigstellung<br />

dieses ebooks.


Inhaltsverzeichniss<br />

DIE AUTORIN<br />

ÜBER SICH:<br />

PROLOG: MUSS ES DENN EIN ROMAN SEIN?<br />

DER KINDERNICHTVERSTEHER<br />

VORBEI<br />

VATER, MUTTER, KIND<br />

DANKSAGUNG

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