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Neue Szene Augsburg 2010-12

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TOO GOOD TO BE WRAPPED.<br />

JIM BEAM FEIERT ZUM 215. MAL WEIHNACHTEN UND<br />

WÜNSCHT ALLEN FREUNDEN EIN FROHES FEST.


30<br />

zoom<br />

Immer Ärger mit den Stillen Tagen<br />

Während Horst Seehofer am Volkstrauertrag auf dem<br />

Presseball tanzt, gehen in <strong>Augsburg</strong>s Gastronomiebetrieben<br />

um Mitternacht die Lichter aus!<br />

Der Streit um die Stillen Tage im November<br />

hält an – geschürt durch<br />

schwer nachvollziehbare Entscheidungen<br />

und zweifelhafte Ausnahmegenehmigungen.<br />

Im Jahr 2005 war der<br />

<strong>Neue</strong>n <strong>Szene</strong> das Thema “Stille Tage”<br />

gleich zwei große Artikel Wert. Kein<br />

Wunder, hatte sich bis dahin die Ordnungsmacht<br />

offensichtlich nicht großartig<br />

dafür interessiert, solange nicht am Karfreitag<br />

die Schaumpartys Überhand nahmen. Mit der<br />

neuen Sperrzeitregelung ging dann der Schlamassel<br />

los, plötzlich war nicht mehr die Sperrstunde<br />

ausschlaggebend, sondern Schlag<br />

Mitternacht mussten die Lichter an- und die<br />

Musik ausgehen. Toleranz war auch nicht<br />

mehr angesagt, im November 2004 kontrollierten<br />

am Totensonntag massive Polizeikräfte<br />

über 30 Lokale in <strong>Augsburg</strong> und schlossen<br />

rund die Hälfte davon, darunter Yum Club,<br />

Kerosin, Peaches und Parklounge. Damals<br />

hielt man das Ganze noch für einen “Racheakt”<br />

des damaligen zweiten Bürgermeisters<br />

Klaus Kirchner, der, erhitzt vom “Glühweinstreit”<br />

(auch wieder so eine <strong>Augsburg</strong>er Spezialität<br />

wie Stöpsel und Dönerverbot),<br />

angeblich den Wirten eins auswischen wollte.<br />

Doch die Aufregung hat sich auch sechs Jahre<br />

später nicht gelegt, nach wie vor stöhnen<br />

die Gastronomen im November unter insgesamt<br />

vier “Stillen Tagen” (Allerheiligen,<br />

Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag)<br />

und erregen sich die Gemüter über den<br />

Presseball, der dieses Jahr bereits zum zweiten<br />

Mal nach 2005 in der Nacht zum Volkstrauertag<br />

stattfand und somit um 24 Uhr<br />

beendet hätte sein müssen. Dass dem nicht<br />

so war, verkündete die veranstaltende <strong>Augsburg</strong>er<br />

Allgemeine am nächsten Tag mit den<br />

fröhlichen Worten: “Gefeiert wurde bis in den<br />

frühen Morgen. Die letzten Gäste verließen<br />

das tim erst gegen fünf Uhr.”<br />

Geld oder Strahlkraft?<br />

Zugegeben, ganz glücklich scheint auch das<br />

große <strong>Augsburg</strong>er Pressehaus nicht mit dem<br />

Termin zu sein, doch hat man wegen Landesausstellung<br />

und Herbstferien keinen anderen<br />

gefunden. Die Ausnahmegenehmigung<br />

zu bekommen, war allerdings<br />

kein Problem, wie Presseball-Projektleiter Kai<br />

Löbert berichtet: “Wir haben der Stadt die<br />

Situation geschildert und die Genehmigung<br />

der Veranstaltung beantragt.” Interessant<br />

ist dabei die Begründung, von Löbert: „Der<br />

Presseball der <strong>Augsburg</strong>er Allgemeinen ist<br />

die größte Benefizgala in Schwaben und<br />

gleichzeitig ein herausragendes kulturelles<br />

und gesellschaftliches Ereignis mit einer<br />

Stahlkraft weit über <strong>Augsburg</strong> hinaus. Dieser<br />

Charakter der Veranstaltung rechtfertigt<br />

aus unserer Sicht eine<br />

Ausnahmegenehmigung“.<br />

Das ist natürlich Ansichtssache. Ein Konzert<br />

von Marilyn Manson am Totensonntag hätte<br />

schließlich ebenfalls einiges an “Strahlkraft”,<br />

vermutlich sogar noch mehr als die oft nicht<br />

mehr ganz taufrischen Stars des Presseballs.<br />

Und wer will beurteilen, und vor allem nach<br />

welchen Maßstäben, was nun ein “herausragendes<br />

kulturelles und gesellschaftliches Ereignis”<br />

ist? Wenn David Garrett geigt und<br />

Seehofer tanzt? Oder reicht schon ein DJ aus<br />

New York und ein Stadtrat von den Grünen?<br />

Tatsächlich widerspricht <strong>Augsburg</strong>s Umweltreferent<br />

Rainer Schaal, der zurzeit die Amtsgeschäfte<br />

von Ordnungsreferent Walter<br />

Böhm übernommen hat, der Strahlkrafttheorie<br />

aufs Schärfste: “Dem ist nicht so. Das wäre<br />

auch nicht fair. Ausschlaggebend ist der karitative<br />

Zweck, natürlich verbunden mit einer<br />

hochwertigen Gestaltung.” Und die<br />

Promis? Das Image der Stadt? “Das darf keine<br />

Begründung sein, wir können ja nicht sagen,<br />

Frau Holland und die Großen aus der<br />

Gesellschaft dürfen feiern und Wirt A oder B<br />

und seine Gäste nicht”, so Schaal.<br />

Das Ordnungsamt reagierte am Volkstrauertag<br />

bereits dementsprechend und zeigte sich<br />

nachsichtig mit spendenwilligen Wirten. So<br />

öffneten zwei Clubs spontan doch ihre Türen<br />

und gaben einen Anteil ihrer Einnahmen<br />

ab, das Schwarze Schaf überwies z.B. 1.000<br />

Euro für ein Medienprojekt des Jugendbegegnungshauses<br />

Madison in Kriegshaber.<br />

Eine moderne Form des Ablasshandels quasi,<br />

nicht ganz zeitgemäß, aber eigentlich<br />

kann keiner was dagegen sagen. Blöd nur<br />

für die Gastronomen, die davon nichts mitbekommen<br />

haben. “Wenn wir das gewusst<br />

hätten, hätten wir’s auch so gemacht”, so<br />

Andi von der Mahagoni Bar.<br />

Und wenn jetzt bei der nächsten Gelegenheit<br />

die spendenwilligen Clubs die Telefone<br />

im Ordnungsamt heißlaufen lassen? “Davon<br />

ist mir nichts bekannt und dann schauen wir<br />

erst mal, wer mit welcher Veranstaltung für<br />

was Geld sammeln will”, so Umweltreferent<br />

Schaal, der betont: “Es geht immer um die<br />

konkrete Beurteilung einer konkreten Veranstaltung,<br />

pauschalisieren lässt sich das<br />

nicht.”


zoom 31<br />

Fotos: Adrian Beck<br />

Bei all dem Hin und Her wird eines ziemlich<br />

deutlich: Es steht schon lange keine Bevölkerungsmehrheit<br />

mehr hinter den Stillen Tagen<br />

und die Regelungen sind längst<br />

aufgeweicht. Grund genug also, das nervige<br />

Durcheinander schiedlich friedlich zu beenden,<br />

müsste man meinen. Doch die Politik<br />

- vornehmlich natürlich die Parteien mit dem<br />

C, die angesichts dramatischer Stimmverluste<br />

gerade wieder ihre religiösen Wurzeln<br />

entdecken - traut sich nicht ran. Man verweist<br />

stattdessen auf jahrzehntealte Gesetze<br />

- und vergnügt sich auf dem Presseball.<br />

Den dreckigen Rest müssen Wirte, Ordnungsamt,<br />

Polizei und Gäste unter sich auskarteln.<br />

Der verflixte ernste Charakter<br />

Und das Auskarteln ist gar nicht so leicht,<br />

Schuld daran ist vor allem der Gesetzestext:<br />

“An stillen Tagen sind öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen<br />

nur dann erlaubt,<br />

wenn der diesen Tagen entsprechende ernste<br />

Charakter gewahrt ist.” Wie dieser “ernste<br />

Charakter” definiert wird, hängt indes<br />

vom jeweiligen Kontrolleur bzw. dessen Vorgesetzten<br />

ab. Kaum ein Wirt, der nicht von<br />

Auseinandersetzungen mit den Ordnungsbehörden<br />

über Musik berichten kann. Keine<br />

leichte Situation, für beide Beteiligte. “Das<br />

kennt jeder Gastronom”, so Andi von der<br />

Mahagoni Bar, “man stellt Tische auf die<br />

Tanzfläche und lässt leise Musik laufen. Wie<br />

der Beamte das dann beurteilt, ist seine Sache.<br />

Und niemand will Ärger mit der Polizei<br />

oder dem Ordnungsamt.”<br />

Problem sind aber nicht nur die Wirte, die<br />

den November mit seinen Einnahmeausfällen<br />

schon längst zum “Totenmonat” erklärt<br />

haben. “Ich habe mittlerweile sogar Verständnis<br />

für die Stillen Tage, das liegt vielleicht<br />

auch am Alter, und man hat sich ja<br />

auch damit arrangiert. Aber bei den Gästen<br />

kommt das nach wie vor überhaupt nicht<br />

an”, so Andi. Die Mahagoni Bar hat es dieses<br />

Jahr mit früherem Einlass probiert. “Das<br />

wurde ganz schlecht angenommen und die<br />

Leute werden dann eher sauer auf den Wirt,<br />

vor allem natürlich, wenn bekannt wird, dass<br />

andere Clubs trotzdem geöffnet haben.”<br />

Sein Appell geht also auch an die Gäste,<br />

sich über die Lage zu informieren, denn die<br />

Wirte müssen mal wieder Ordnungshüter<br />

spielen, wie beim sogenannten “Nichtraucherschutzgesetz”.<br />

Richter über die Kunst spielt dann wiederum<br />

das Ordnungsamt, womit Streit vorprogrammiert<br />

ist. So geschehen zum Beispiel beim<br />

Konzert der Neoklassikband Qntal in der<br />

Nacht zum Totensonntag 2008 in der Kantine.<br />

Qntal kombinieren mittelalterliche Lyrik<br />

mit elektronischen Klängen und Originalaufnahmen<br />

historischer Instrumente, gesungen<br />

wird klassisch im Mezzosopran und auf Altund<br />

Mittelhochdeutsch sowie Latein. Klingt<br />

ernsthaft? Nicht ernsthaft genug offenbar,<br />

das Ordnungsamt entschied auf 250 Euro<br />

Strafe. Das ist nicht die Welt, wie auch Sebastian<br />

von der Kantine zugibt, „aber dass unser<br />

Konto regelmäßig im November im Minus<br />

ist, das ist schon happig“.<br />

„Die momentane Situation ist absolut unbefriedigend.<br />

Das kann’s einfach nicht sein,<br />

der Staat gibt’s vor und dann regelt das jede<br />

Kommune unterschiedlich. Und kontrolliert<br />

werden hauptsächlich die großen Clubs, da<br />

genügt ja schon ein Blick auf die Homepage.<br />

In vielen Kneipen wird einfach weitergefeiert“,<br />

so der Kantine-Mitbetreiber, der<br />

für eine einheitliche Lösung in Abstimmung<br />

mit dem Ordnungsamt plädiert. Dafür wäre<br />

allerdings auch eine Verständigung der<br />

Clubbetreiber untereinander nötig, die, zumindest<br />

zum größten Teil, eher als Einzelkämpfer<br />

auftreten.<br />

Keine Hilfe von oben<br />

Aus Kirchenkreisen ist auf jeden Fall kein<br />

Entgegenkommen zu erwarten, zumindest<br />

nicht von offizieller katholischer Seite. Doch<br />

verweist Peter C. Düren, theologischer Referent<br />

im Bischöflichen Ordinariat <strong>Augsburg</strong>,<br />

darauf, dass das Feiertagsgesetz nicht<br />

von “den Christen” oder “der Kirche” aufgestellt<br />

worden ist, sondern vom Staat. Trotzdem<br />

hat er nichts dagegen: “Die Stillen Tage<br />

sind Termine, die mithelfen, zu verhindern,<br />

dass die Bürger eines Staates das Wesentliche<br />

des Menschseins aus den Augen verlieren<br />

- und das sind eben nicht Konsum und<br />

Spaß”, so der Theologe.<br />

Ob allerdings Verbote dazu angetan sind,<br />

aufgeklärte Bürger dazu zu bewegen, “das<br />

Wesentliche des Menschseins nicht aus den<br />

Augen zu verlieren”? Wenn selbst die Jungs<br />

von der C-Partei fröhlich das Tanzbein<br />

schwingen an Tagen, die sie doch zur Einkehr<br />

nutzen sollten? Doch zum Presseball<br />

äußert sich Düren nur ausweichend: “Es ist<br />

fraglich, ob es sinnvoll ist, allgemeine Regeln<br />

durch sich wiederholende Ausnahmen<br />

auszuhöhlen.”<br />

Damit allerdings hat er Recht, fraglich ist<br />

die ganze Geschichte von vorne bis hinten.<br />

(flo)


36<br />

zoom<br />

“Hey,<br />

Seit dem 7. November begibt sich der Journalist<br />

und Autor Henryk M. Broder zusammen mit<br />

dem Historiker Hamed Abdel-Samad immer<br />

sonntags um 23.35 Uhr auf ”Deutschland-Safari”<br />

(ARD). Die beiden haben dabei unter ande-<br />

H<br />

rem eine KZ-Gedenkstätte besucht und<br />

Currywurst gegessen, waren in Burka und Lederhose<br />

auf dem Oktoberfest und fanden den<br />

“Jurassic Park” der DDR. Was vielleicht die wenigsten<br />

wissen, Broder wohnt auch in <strong>Augsburg</strong>!<br />

Marcus Ertle traf ihn exklusiv zum Interview.<br />

is’<br />

err Broder, Sie haben mit Hamed Abdel-Samad<br />

eine skurrile Deutschlandsafari<br />

gemacht. Gleich eine typisch<br />

deutsche Frage: Haben die Deutschen Humor?<br />

Henryk M. Broder: Ja, im Prinzip schon, nur<br />

manchmal wissen sie nicht, dass sie Humor<br />

haben. Nehmen wir Christian Wulff oder Antje<br />

Vollmer, die finde ich eigentlich immer sehr<br />

komisch. Ich finde überhaupt, dass die Deutschen<br />

viel besser sind als ihr Ruf, sie haben<br />

mehr Humor, als ihnen zugetraut wird. Was ich<br />

an den Deutschen vor allem so nett finde, ist,<br />

dass sie so eine freundliche Ignoranz haben,<br />

man kann hier eigentlich alles machen, was<br />

man will. Zum Beispiel mit der Burka durch die<br />

Stadt laufen... Oder neulich, da sah ich eine<br />

Frau über den Kurfürstendamm gehen, die<br />

unter ihrem Pelzmantel nichts anhatte. Der einzige,<br />

der sich nach ihr umschaute, war ich, alle<br />

andere haben sie ignoriert. Eine sehr angenehme<br />

Eigenschaft, man wird hier in Ruhe gelassen,<br />

meistens.<br />

Thema Frau: Sie wollten anfangs mit Barbara<br />

Schöneberger die Sendung machen, warum?<br />

Jud<br />

Henryk M. Broder: Schauen Sie sich Barbara<br />

an, da erübrigt sich jede Antwort, sie hat phantastische<br />

Argumente, die für sie sprechen. Aber<br />

meine Frau war dagegen, das hätte einen großen<br />

Konflikt provoziert, dem wollte ich aus dem<br />

Weg gehen.<br />

Wer wäre dann in Burka aufs Oktoberfest gegangen,<br />

Sie oder Barbara Schöneberger?<br />

Henryk M. Broder: Ich, Barbara Schöneberger<br />

mit der Burka zu verhüllen, wäre eine Sünde.<br />

Der Volvo, mit dem Sie und Hamed Abdel-<br />

Samad unterwegs waren, hat auf dem Armaturenbrett<br />

ein Schwein sitzen, einen<br />

Davidstern an der Fahrertür und das Bild vom<br />

Mohammedkarikaturisten auf dem Dach.<br />

Wurden Sie bei soviel Provokation auch mal<br />

beschimpft oder verprügelt?<br />

Henryk M. Broder: Nein, weder noch, es gab<br />

nur eine einzige merkwürdige Reaktion, das<br />

war in Duisburg-Marxloh, da standen ein paar<br />

Jungs mit Migrationshintergrund umher, haben<br />

den Davidstern gesehen und wollten dann<br />

wissen ”Hey, is’ das n Judenauto?” Aber es<br />

hatte keine weiteren Konsequenzen, ansonsten<br />

überall ein freundliches Winken und Lachen<br />

und Anfragen, ob die Leute mal ne Runde mitfahren<br />

können.<br />

Haben Sie sich nicht einen kleinen Eklat erhofft?<br />

Henryk M. Broder: Ich habe eigentlich mit einem<br />

Eklat gerechnet, als wir durch das Oktoberfest<br />

gelaufen sind, Hamed in Lederhosen,<br />

ich in Burka - und da gab’s auch keinen Eklat.<br />

Am Ende wurde es sozusagen präventiv ungemütlich,<br />

als die Festleitung uns bat, zu gehen,<br />

weil man Angst hatte, es könnte sich jemand<br />

durch die Burka beleidigt fühlen, was nicht<br />

der Fall war. Da hat sich die Festleitung vorsorglich<br />

feige verhalten.


zoom 37<br />

Der in <strong>Augsburg</strong> wohnhafte Journalist Henryk M. Broder fuhr 30.000 km durch<br />

die Republik und erlebte dabei eine skurrile “Deutschlandsafari”<br />

das n Judenauto?”<br />

Vielleicht hatten die Angst davor, dass Sie mit<br />

der Burka auf Bierbänken tanzen.<br />

Henryk M. Broder: Das mach ich das nächste<br />

Mal.<br />

Henryk M. Broder: Ich glaube, die schönste <strong>Szene</strong><br />

war, als wir mit dem Tretroller nach Verdun<br />

gefahren sind, das war auch körperlich richtig<br />

anstrengend.<br />

Zwei Mann auf einem Tretroller?<br />

Henryk M. Broder: Nein, nein, wir hatten schon<br />

eine exklusive Ausstattung, jeder hatte einen<br />

eigenen.<br />

Eine weitere makabere <strong>Szene</strong> ist die nach dem<br />

Besuch der Kantine in der KZ-Gedenkstätte<br />

Dachau, als sie sagen: “Das darf nie wieder<br />

passieren, ich habe viel zuviel gegessen!”<br />

Henryk M. Broder: Das ist doch lustig, oder? Ich<br />

freue mich, dass Sie das so sehen, denn es ist<br />

eine ziemlich subtile Pointe, die nicht alle begreifen,<br />

also diese Assoziation zu „Nie wieder<br />

1933“ wird nicht von allen geschlagen.<br />

enauto<br />

Den provokantesten Auftritt haben Sie wohl<br />

als lebendige Stele während der Gedenkfeier<br />

zum fünfjährigen Bestehen des Holocaustmahnmals<br />

in Berlin - was haben Sie sich dabei<br />

gedacht?<br />

Henryk M. Broder: Das hat eine Vorgeschichte.<br />

Ich war immer gegen das Mahnmal, ich finde es<br />

vollkommen daneben und war sehr irritiert, als<br />

ich gehört habe, dass sie zum fünfjährigen Bestehen<br />

des Mahnmals eine Party geben. Und<br />

diese Party hieß dann Bürgerfest. Man könnte<br />

verkürzt sagen: Die feiern den Holocaust. Ich<br />

finde, dafür war Mutter Broder nicht im Lager,<br />

damit die eine Party veranstalten... Und die Party<br />

war noch schlimmer, als ich es befürchtet hatte.<br />

Eine Selbstgefälligkeit nach der anderen, die<br />

klopften sich reihum auf die Schultern und lobten<br />

gegenseitig ihre Courage.<br />

Sie sprechen in dem Zusammenhang auch von<br />

„Gelegenheits-Antifaschisten“. Was genau<br />

verstehen Sie darunter?<br />

Henryk M. Broder: Das sind Leute, die heute<br />

noch die Nationalsozialisten bekämpfen, die<br />

sozusagen den nachgeholten, verspäteten Widerstand<br />

leisten, 65 Jahre später. Das kostet<br />

nix, ist vollkommen wohlfeil, bringt kein Risiko<br />

mit sich und ist garantiert von Erfolg gekrönt.<br />

Das unterscheidet ja den guten Menschen vom<br />

Gutmenschen, der gute Mensch tut etwas für<br />

andere und der Gutmensch tut etwas fürs eigene<br />

Wohlbefinden. Schauen Sie sich mal an,<br />

was jetzt zum Jahrestag der Reichskristallnacht<br />

alles los war, man hat nachträglich jeden<br />

Juden einzeln gerettet. Dieselben Leute, die<br />

sich große Sorgen um die Reichskristallnacht<br />

1938 machen, nehmen nicht zur Kenntnis, was<br />

Irans Präsident Ahmadinedschad jeden zweiten<br />

Tag sagt. Also mit den lebenden Juden<br />

meint man es nicht so gut wie mit den Toten,<br />

die toten Juden müssen offenbar noch mal vor<br />

dem Totsein gerettet werden, das ist ein interessanter<br />

biodynamischer Vorgang.<br />

Plaudern Sie mal aus dem Nähkästchen, wer<br />

von den drei folgenden Personen wird wohl<br />

Der Streit um die Stillen Tage im November hält an – geschürt durch schwer nachvollziehbare<br />

am ehrlichsten empört über ihre Serie sein:<br />

Entscheidungen<br />

Haben Sie eine persönliche<br />

und<br />

Lieblingsszene?<br />

zweifelhafte<br />

Claudia<br />

Ausnahmegenehmigungen<br />

Roth, Iris Berben oder Michel Friedman?<br />

Henryk M. Broder: Ich weiß nicht, wer die Sendung<br />

überhaupt gesehen hat, aber es ist schon<br />

eine sehr gute Auswahl. Also ich glaube so: Claudia<br />

Roth wird das, falls sie es gesehen hat, nicht<br />

verstanden haben, Iris Berben wird es nicht gut<br />

gefunden haben, weil sie nicht dabei ist und<br />

Michel Friedman mag mich dermaßen, dass er<br />

darüber kein Wort verlieren möchte. Aber diese<br />

üblichen Verdächtigen, Sie können die Reihe<br />

auch ruhig mit einem meiner großen Favoriten,<br />

Roger Willemsen, fortsetzen, sind alle nicht ehrlich<br />

empört. Wenn sie empört sind, dann sind<br />

sie taktisch empört oder aufgrund mangelnder<br />

Einsicht, entweder sie kapieren’s nicht oder sie<br />

finden es scheiße, weil sie nicht dabei sind, dazwischen<br />

gibt es wenig. Es gab aber immerhin<br />

vier empörte Reaktionen, die meine Ehre gerettet<br />

haben. Einen Verriss bei IRIB, der deutschen<br />

Station des iranischen Hörfunks, dann zwei<br />

Verrisse bei der Jungen Welt, was auch okay ist,<br />

denn das ist das Hauptorgan der Stasi-Zurückgebliebenen,<br />

und einen Verriss einer durchgeknallten,<br />

benebelten, leicht grenzdebilen<br />

Hausfrau aus dem hinteren Kandertal in einem<br />

Internetblatt einer marxistischen Splittergruppe.<br />

Es handelt sich übrigens<br />

um eine jüdische Dame, die mit jeder ihrer Stellungnahmen<br />

erfolgreich das Vorurteil widerlegt,<br />

dass Juden besonders intelligent sind, sie macht<br />

das besonders gründlich. Ich nenne ihren Namen<br />

aber nicht; der schlimmste jüdische Fluch<br />

ist: ”Es soll Deiner nicht gedacht werden” - einen<br />

Namen nicht zu nennen, ist eine Freikarte<br />

in die Hölle.<br />

Wie gefiel es Ihnen bei den Ex-Stasi-Offizieren,<br />

die Maueropfer mit S-Bahnsurfern verglichen<br />

haben ?<br />

Henryk M. Broder: War nett, wie im Mausoleum<br />

oder im DDR-Jurassic-Park. Ich bewundere<br />

die Unschuld dieser Leute, nach allem was<br />

passiert ist und nach deren Berufsleben. Allerdings<br />

gab es nichts zu essen und nichts zu<br />

trinken.<br />

Keine Lebensart.<br />

Henryk M. Broder: Überhaupt keine Lebensart!<br />

Wir beiden Orientalen, Hamed und ich,<br />

legen natürlich auf Essen und Trinken großen<br />

Wert und damit hatten die bei uns eigentlich<br />

schon ausgeschissen. So geht man nicht mit<br />

Gästen um!<br />

Haben Sie eigentlich Angst, dass Ihnen die<br />

provozierenden Themen mal ausgehen<br />

könnten?<br />

Henryk M. Broder: Nö, an Stoffmangel habe ich<br />

noch nie gelitten, heute sind es die Linken,<br />

morgen ist es der Islam und übermorgen sind es<br />

vielleicht die Maulwürfe auf Island. Es gibt immer<br />

was.<br />

Sie sind ein Chronist?<br />

Henryk M. Broder: Ja, ein Buchhalter.<br />

Die „Deutschland-Safari“ ist aber schon satirisch.<br />

Henryk M. Broder: Je nachdem, wie man es<br />

definiert, es ist ja nicht nur satirisch, es ist eine<br />

Form der Reportage, mit Überraschungselementen.<br />

Wobei Reporter sich normalerweise nicht als<br />

Betonstele verkleiden und als solche zum Holocaustmahnmal<br />

gehen.<br />

Henryk M. Broder: Ja, aber wenn’s der Wahrheitsfindung<br />

nützt?<br />

Gibt es überhaupt etwas, worüber Sie sich<br />

niemals lustig machen würden?<br />

Henryk M. Broder: Ich würde mich nie über arme<br />

Leute lustig machen, auch nie über Behinderte.<br />

Ich finde, wenn man sich über etwas lustig<br />

macht oder jemanden verarscht, dann muss man<br />

immer von unten nach oben treten, nie von oben<br />

nach unten, das ist billig. Über Schwangere,<br />

Fürsorgeempfänger, Blinde, was auch immer,<br />

”Wenn mir jemand irgendwann sagt, ich wäre<br />

langweilig, dann würde mich das in eine tiefe<br />

Sinnkrise stürzen”<br />

Kranke oder Tiere, darüber macht man sich nicht<br />

lustig. Aber das ist meine Grenze, andere sehen<br />

es anders.<br />

Wie geht es eigentlich Wilma, dem Filmhund?<br />

Henryk M. Broder: Wilma geht’s sehr gut, wir<br />

haben nur ein Problem mit unserem zweiten<br />

Hund, dem müssen wir die Augen zuhalten,<br />

wenn die Sendung läuft, damit er nicht eifersüchtig<br />

wird.<br />

Was ist das Schlimmste, das Ihnen als Provokateur<br />

- das sind Sie ja - passieren kann?<br />

Henryk M. Broder:<br />

Wenn mir jemand<br />

irgendwann sagt,<br />

ich wäre langweilig,<br />

dann würde<br />

mich das in eine<br />

tiefe Sinnkrise<br />

stürzen, weil das<br />

noch keiner gesagt<br />

hat. Und<br />

wenn das jemals<br />

passiert, dann geh<br />

ich zum Therapeuten.<br />

”Entweder Broder- eine Deutschland-<br />

Safari” ist auch als Buch erhältlich.


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