Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2012-02
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de
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Backstage<br />
31<br />
"Ich fühle mich wie<br />
das Phantom vom<br />
Kö..."<br />
die 1960er, als ein paar Meter weiter im Café Königsbau noch<br />
die Rock&Roll-Bands "Tornado 5", "French Combo", "Royal<br />
For" oder "Roy Black and his Cannons" spielten. "Dort, wo<br />
heute der K&L Rupert drin ist", erklärt er mir.<br />
"Mama ist am Ball!", dröhnt auf der anderen Seite der Theke<br />
eine Frau los, die eher wie ein Schwergewichtsboxer als eine<br />
normale, gutsituierte Mama ausschaut. Dann höre ich noch<br />
mit einem Ohr: "In vier Wochen habe ich die dicke Kohle und<br />
dann können mich alle am Arsch lecken!" Je mehr der weibliche<br />
Kleiderschrank mit Händen wie Windmühlenflügel herumwirbelt,<br />
umso mehr schrumpfen die brabbelnden Männer<br />
neben ihr zusammen. Sie schiebt ihren Monsterbusen über<br />
die Theke wie eine Planierraupe, die vorhat, sämtliche Gäste<br />
in ihrer Umgebung in ein Massengrab zu schieben. Ich<br />
schlüpfe schnell in meine Jacke, um diesen weiblichen<br />
Fleischwolf hinter mir zu lassen.<br />
Es regnet vor der "Wallschanze". Ich mache einen Bogen um<br />
die "Breze" herum und lande in einer Kneipe, von der mir<br />
noch nie klar war, dass es sie am Königsplatz gibt, im "Ossi-<br />
Frosch". Hier kostet die Amaretto-Goiss 3,50 Euro. Unter der<br />
Theke blinken im Lichterschlauch grüne und rote Birnchen<br />
grell durch die leeren Gläser. Sehr stimmungsvoll. Auf einer<br />
Hand von Claudia, die schon über dreißig Jahre in den wildesten<br />
Lokalen wie "Tom Dooley", "Lady Bam" oder "Kö Inn"<br />
am Kö bedient hat, krabbelt ein Skorpion. Ein Tattoo. Hier<br />
bekomme ich langsam dieses gewisse Gänsehaut-Feeling.<br />
Claudia macht mir einen leckeren Ramazotti mit Eis und Zitrone.<br />
Sie ist wie eine Rockerbraut ausgestattet und kommt<br />
aus Hamburg. "Ich helfe hier nur aus", erfahre ich von ihr.<br />
"Bald mach ich mit meiner Partnerin in der Jakobervorstadt<br />
ein neues Lokal auf." "Welches?" "Wir werden es Hexenhaus<br />
nennen, mal keinen englischen Namen. Wir sind ja auch zwei<br />
Hexen."<br />
“Manchmal gewinnen, manchmal verlieren”<br />
Ein Mann mit einer exotischen Kappe auf dem Kopf kommt<br />
herein. Er wechselt einen Zehner in Eurostücke um und<br />
klemmt sich an die buntflackernden Spielautomaten. In ein<br />
paar Minuten verliert er alles. Claudia stellt ihm ein Spezi hin.<br />
"Manchmal gewinnen, manchmal verlieren", hakt der Spieler<br />
seinen Verlust schulterzuckend ohne große Dramatik ab.<br />
Claudia mit dem roten wippenden Pferdeschwanz, der engen<br />
Jeans und der weit geöffneten Bluse unterhält sich mit einem<br />
jüngeren Stammgast. Neben dem sitzt eine attraktive Blondine,<br />
die von einem Kapuzenmann mit ein paar geflüsterten<br />
Worten aus dem Lokal geholt wird. Drogen? Sex? Oder? Der<br />
junge Typ haut ganz schön auf den Erlebnisputz, denk ich<br />
mir, als ich mit meinem linken Ohr heimlich zuhöre. Die beiden<br />
unterhalten sich erst über Spielautomaten. Dann über<br />
Nutten. Dann über Nutten bei Spielautomaten. "Also, ich war<br />
da an einer Daddelkiste gestanden und da kommt diese Alte,<br />
kniet sich vor mir hin und während ich spiele, bläst die mir<br />
einen." "Wahnsinn", sagt Claudia und will wissen: "Hat’s dir<br />
wenigstens Glück gebracht?" "Mir schon, aber ihr nicht",<br />
grinst der junge Typ und nuckelt am Röhrchen in seinem Colaweizen.<br />
"Wieso?", will Claudia wissen. "Ihr ist das Gebiss<br />
herausgefallen!" Ich höre wieder weg, zahle und ziehe eine<br />
halbe Stunde vor Mitternacht eine Reporterrunde um den Kö.<br />
Der Pförtner in der LEW-Burg berichtet, dass es „heute noch<br />
arg stürmt und sicher viel Notdienst gebraucht wird, wenn<br />
die Äste auf die Elektroleitungen fallen."<br />
Der Regen nimmt zu. Das farbige Licht der Neonleuchten<br />
glänzt auf dem nassen Teer. Ich bin nun in Stimmung, doch<br />
noch einen waghalsigen Abstecher in die "Brezn" zu machen.<br />
An einer Ecke im Lokal stehen Betrunkene. Okay, war ja klar.<br />
Zwei nette Mädels stehen hinter der Bar. Eine, die Sara, hat<br />
heute ihren ersten Tag und darf mich bedienen. Sie hat einen<br />
schulterfreien Pulli und sexy Hotpants. Unglaublich, aus den<br />
Lautsprechern höre ich die Doors mit der ewiglangen Depro-<br />
Ballade "The End." Passt genau. Bunte Lichter wandern über<br />
die Wände.<br />
Die meisten Barhocker sind noch leer. Ein Rothaariger labert<br />
im Vollsuff was von "doofer Fotze", weil die neue Bedienung<br />
seiner Meinung nach zu lange braucht, um sein Weizen einzufüllen.<br />
Die routinierte Kollegin von der Sara sagt nur: "So<br />
was hörst du hier besser einfach nicht. Immer lächeln! Das<br />
gibt mehr Trinkgeld." Eine Dicke mit Brille knutscht erbarmungslos<br />
mit einem, der fast schon vom Hocker fällt. Die besoffene<br />
Ecke fordert gemeinsam mit viel Gebrüll neuen<br />
Sound: "Andrea Berg! Andrea Berg!" Ich hätte es hier noch<br />
länger ausgehalten, weil später sicher noch mehr das wilde<br />
Leben toben würde, aber Andrea Berg war das Signal für<br />
meine Flucht.<br />
In zehn Minuten ist es Mitternacht, sehe ich auf der beleuchteten<br />
Uhr vor dem weißen Info-Container zum Kö-<br />
Umbau. Ich marschiere im Regen an der sich drehenden und<br />
beleuchteten Litfasssäule vorbei durch die Nacht zur Ampel<br />
beim "Café Ihle am Kö" mit dem roten Schriftbogen. Für das<br />
"Phantom der Oper" wirbt ein beleuchtetes Plakat. Ich fühle<br />
mich wie das Phantom vom Kö.<br />
Die Ampel zeigt rot für Fußgänger. Auf beiden Straßenseiten<br />
bilden sich kleine Gruppen Jugendlicher, die mit und ohne<br />
Schirm recht gutgelaunt unterwegs sind. Ein dumpfer Plumps<br />
lässt mich vermuten, dass ein vorbeifahrendes Auto vielleicht<br />
ein Gepäckstück vom Dach verloren hat. Richtig. Ein Auto hält<br />
beim Taxistand. Jemand rennt auf der Straße nach hinten.<br />
Jetzt sehe ich durch den dichten Regenschleier erst, was wirklich<br />
passiert ist: Ein Mensch liegt bewegungslos auf der<br />
Straße. Leute laufen hinzu. Ein Busfahrer mit orange-reflektierender<br />
Weste postiert sich und lenkt den Verkehr an dem<br />
umgefahrenen Körper vorbei.<br />
Hoffentlich ist das Unfallopfer nicht tot, denke ich mir. Krankenwagen<br />
kommt mit Sirene. Polizei mit Blaulicht taucht auf.<br />
"Er atmet noch", erklärt ein Sanitäter den Umstehenden.<br />
Seine Kollegen bringen die Trage herbei. Zwei Polizisten befragen<br />
die Zuschauer. Das Unfallopfer wird auf die Trage gelegt<br />
und ist ein paar Sekunden später im Krankenwagen. "Der<br />
war doch stockbesoffen", höre ich einen Zuschauer sagen.<br />
Der Regen wird noch stärker. Er dringt schon leicht durch<br />
meine Jacke. Aus einem Abfallkorb schaut ein zerknickter Regenschirm<br />
heraus. Sicher kaputt, sage ich mir. Ich ziehe ihn<br />
trotzdem heraus. Na also, er öffnet sich zur Hälfte. Das<br />
reicht. Ich verlasse den Königsplatz mit der Lebensweisheit:<br />
Es muss nicht alles ganz kaputt sein, was auf den ersten Blick<br />
so ausschaut...