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Mirko, was willst du?

Isa ist studierte Fotodesignerin, arbeitet aber meistens wie eine schlichte Fotografin. Im Radio hört sie den Namen eines Kulturredakteurs, mit dem sie als Studentin eine wundervolle Nacht erlebte. Sie ruft ihn an. Bloß zum Spaß. Trifft sich aber mit ihm. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein Trost für mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und versuche mich in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war ich geboren. Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste nicht, dass ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch meine Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät begann ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte ich mir schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur oder bei meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest. Sie ließ mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren. „Was soll das, Mirko? Warum tust du das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren und wir tanzen auch nicht mehr wei­ter. Nicht nur die Welt um uns ist eine andere geworden, auch unsere eigenen Welten sind andere, als sie es damals waren. Es kann heute nichts geben, was deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte ich.

Isa ist studierte Fotodesignerin, arbeitet aber meistens wie eine schlichte Fotografin. Im Radio hört sie den Namen eines Kulturredakteurs, mit dem sie als Studentin eine wundervolle Nacht erlebte. Sie ruft ihn an. Bloß zum Spaß. Trifft sich aber mit ihm. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein Trost für mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und versuche mich in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war ich geboren. Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste nicht, dass ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch meine Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät begann ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte ich mir schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur oder bei meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest. Sie ließ mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren. „Was soll das, Mirko? Warum tust du das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren und wir tanzen auch nicht mehr wei­ter. Nicht nur die Welt um uns ist eine andere geworden, auch unsere eigenen Welten sind andere, als sie es damals waren. Es kann heute nichts geben, was deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte ich.

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Carmen Sevilla<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>?<br />

Isa kann nur Pfannkuchen<br />

Erzählung<br />

Es gibt nichts Schöneres, als geliebt zu werden, geliebt<br />

um seiner selbst willen oder vielmehr trotz seiner selbst.<br />

Victor Hugo<br />

Isa ist studierte Fotodesignerin, arbeitet aber meistens wie eine schlichte<br />

Fotografin. Im Radio hört sie den Namen eines Kulturredakteurs, mit dem sie<br />

als Studentin eine wundervolle Nacht erlebte. Sie ruft ihn an. Bloß zum Spaß.<br />

Trifft sich aber mit ihm. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein<br />

Trost für mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und<br />

versuche mich in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war<br />

ich geboren. Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste<br />

nicht, dass ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch<br />

meine Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät<br />

begann ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte<br />

ich mir schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur<br />

oder bei meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest.<br />

Sie ließ mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren.<br />

„Was soll das, <strong>Mirko</strong>? Warum tust <strong>du</strong> das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren<br />

und wir tanzen auch nicht mehr weiter. Nicht nur die Welt um uns ist eine<br />

andere geworden, auch unsere eigenen Welten sind andere, als sie es damals<br />

waren. Es kann heute nichts geben, <strong>was</strong> deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte<br />

ich. „Du hast schon Recht, Isa. Meine Welt ist bei meiner Frau und ihr gehört<br />

mein Herz. Als <strong>du</strong> anriefst, merkte ich jedoch, dass es so nicht ganz stimmt.<br />

Das Empfinden, <strong>was</strong> <strong>du</strong> in mir geweckt hast, lässt sich nicht vergessen wie ein<br />

belangloses Ereignis. An die meisten Feiern und Partys werde ich mich nicht<br />

mehr erinnern, aber am Abend des 30. April fällst <strong>du</strong> mir fast jedes mal ein. Es<br />

klingt lächerlich, aber <strong>du</strong> warst eine Nacht die Fee für mich. Den Platz hast <strong>du</strong><br />

in meinen Emotionen und Träumen.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. „Ich will dich nicht aus<br />

deinen Träumen reißen, <strong>Mirko</strong>, doch es war ein Abend, und der ist zu Ende, seit<br />

fast zwanzig Jahren. Das wirst <strong>du</strong> auch in deinen Träumen nicht übersehen<br />

können. Ich denke eher, <strong>du</strong> träumst von et<strong>was</strong>, das es niemals gab.“ meinte<br />

ich. „Das kann schon sein.“ räumte <strong>Mirko</strong> ein, „Was immer <strong>du</strong> im andern<br />

siehst, sind letztlich doch nur deine Bilder. Aber <strong>du</strong> hast es wachgerufen, hast<br />

dies Bild in mir angesprochen, ein Bild, das ich bislang nicht kannte und es<br />

gehört bis heute zum Schönsten, <strong>was</strong> ich denken kann.“ <strong>Mirko</strong> ganz<br />

vergessen? Das ging nicht, auch wenn Isa es manchmal wünschte. Turbulent<br />

entwickelte sich die Beziehung für beide. Letztendlich gab es für Isa die ihr<br />

zustehende Anerkennung und et<strong>was</strong>, das ihr noch mehr bedeutete.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 1 von 27


<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Inhalt<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>?......................................................................4<br />

Gerufen.......................................................................................... 4<br />

Isa die Künstlerin........................................................................... 4<br />

Erste Ausstellung............................................................................5<br />

<strong>Mirko</strong> Schneider..............................................................................6<br />

Fee für eine Nacht.......................................................................... 7<br />

<strong>Mirko</strong>s Besuch................................................................................ 8<br />

Sanne Bergmann............................................................................ 9<br />

Sannes Tod und neue Liebe.......................................................... 10<br />

<strong>Mirko</strong>s Fotografie..........................................................................11<br />

Ausstellungen in Berlin und New York..........................................12<br />

Preise........................................................................................... 13<br />

<strong>Mirko</strong>s Abschied...........................................................................14<br />

Vorlesung..................................................................................... 15<br />

Frau Doktor Isa Hooger................................................................ 16<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>?.................................................................... 16<br />

Berlin Besuch................................................................................18<br />

Was machen wir jetzt?................................................................. 20<br />

Dem Braten in die Seele schauen.................................................20<br />

Pfannkuchen.................................................................................22<br />

Das Buch......................................................................................22<br />

Feier mit <strong>Mirko</strong>............................................................................. 23<br />

Gemeinsame Nacht.......................................................................24<br />

Ruf der Liebe................................................................................ 25<br />

Neue Heimat Berlin.......................................................................25<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 2 von 27


<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>?<br />

Gerufen<br />

Die einen ruft der Muezzin zum Gebet, die anderen rufen die Glocken zur heiligen<br />

Messe. Mich ruft niemand, auch nicht zum Frühstück. Wir lassen uns gerne<br />

rufen und folgen dem Ruf auf eine Professur oder dem heimlichen Rufen, wenn<br />

wir es denn hören. Wer dich ruft, sagt immer, dass er dich braucht. Was kann<br />

es für dich Schöneres geben, als zu hören, dass <strong>du</strong> gebraucht wirst. Jeder Ruf<br />

beinhaltet gleichzeitig Anerkennung, und <strong>was</strong> brauchst <strong>du</strong> mehr als die? Der<br />

Rufer ist ärgerlich oder enttäuscht, wenn er nicht gehört wird, oder die Gerufenen<br />

seinem Ruf nicht folgen, weil sie ihn missachten. Manchmal kannst <strong>du</strong> den<br />

Rufer nicht erkennen oder lässt dich von deinen eigenen Emotionen rufen,<br />

dann ruft es dich, und <strong>du</strong> fühlst dich berufen. Unsere Kommunikation besteht<br />

also nicht nur aus miteinander reden und sich über seine Mimik mitteilen, sondern<br />

auch aus gegenseitigem Rufen. Und wenn <strong>du</strong> allein bist, fehlt dir nicht nur<br />

jemand, der mit dir spricht, sondern auch jemand, der dich rufen könnte. Es<br />

geht ja nicht nur darum, dass er dich zum Frühstück ruft, er könnte auch et<strong>was</strong><br />

in dir wachrufen und <strong>du</strong> könntest deinen Ruf nach Liebe an ihn richten.<br />

Das Rufen stellt eine intensivere, dringlichere Form der Kommunikation dar als<br />

Reden, Sprechen, Sagen und Erzählen. Wer Hilfe braucht, der ruft. Ob ich auch<br />

nach Hilfe rufen sollte? Nur ich weiß nicht, wer mich retten könnte.<br />

Isa die Künstlerin<br />

Fotodesignerin war ich. Die meisten Aufnahmen wurden bei mir im Studio gemacht,<br />

aber oft wurde ich auch gerufen, um vor Ort Dinge oder Menschen zu<br />

fotografieren. Ich folgte dem, nur zufrieden war ich damit nicht. Ich war Künstlerin<br />

und keine Handwerkerin. Ich war nicht Fotografin, doch wer sich für arrivierter<br />

oder intellektueller hielt, ließ seine Fotos bei mir machen und nicht beim<br />

Hochzeitsfotografen. Mein künstlerisches Können und meine Kreativität legte<br />

ich in die Aufnahmen. Viel zu schade, die Fotos waren zwar nicht billig, aber sie<br />

hätten in eine Ausstellung gehört. Damals, während des Studiums gab es öfter<br />

Ausstellungen. Eine Serie von mir bekam einen Preis. Ein Verlag interessierte<br />

sich für sie, und ich entwickelte die Serie weiter. Sie wurde veröffentlicht. Ein<br />

wunderschönes Buch, ich konnte es mir immer wieder anschauen, kannte auf<br />

den Bildern jedes Pixel und konnte es interpretieren. Die potentiellen Käufer<br />

sahen das nicht so und ließen mein Werk in den Buchhandlungen liegen. Vielleicht<br />

hätte ich mehr zu den Bildern schreiben sollen, damit die Betrachter die<br />

einzelnen Fotografien besser verstehen, und sie ihr Interesse ansprechen<br />

konnten. Aber dass der Verlag eine Neuauflage des Verlustgeschäftes wagen<br />

würde, nur auf mein Versprechen hin, dass es mit mehr Text besser verkäuflich<br />

sei, hielt ich selbst für lächerlich. Das Buch musste in Kultursen<strong>du</strong>ngen im Radio<br />

und Fernsehen besprochen werden, dann ließe es sich verkaufen. Aber ich<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 3 von 27


war ein Nobody, für den sich niemand interessierte, eine herkömmliche Fotografin<br />

eben. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein Trost für<br />

mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und versuche mich<br />

in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war ich geboren.<br />

Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste nicht, dass<br />

ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch meine<br />

Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät begann<br />

ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte ich mir<br />

schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur oder bei<br />

meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest. Sie ließ<br />

mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren. Meine Fotos wirken auf<br />

andere meistens eher melancholisch. Ich suche schon, <strong>was</strong> nicht laut schreit<br />

und blecherne Freude verherrlicht. Das Ersthafte und auch die Traurigkeit, die<br />

jeder in sich trägt, wenn meine Bilder davon sprechen können, erzählen sie mir<br />

mehr. Die Bilder von mir, die ich liebte, wären als Cover einer Illustrierte nicht<br />

geeignet. Wir, zwei Mitarbeiter und ich, gestalteten das Layout einer kleinen<br />

Illustrierte. Meine liebste Arbeit war es. Man ließ uns größte Freiheit und wir<br />

konnten viel Kreativität einbringen. Die schönste Illustrierte, fand ich.<br />

Reaktionen gab es aber nur vom Chef der Redaktion, von außen wurde uns<br />

kein Lob zuteil, man nahm uns einfach nicht zur Kenntnis.<br />

Erste Ausstellung<br />

Eine Bekannte, die am Museum arbeitete, berichtete mir, dass sie eine Ausstellung<br />

zur Geschichte der Fotografie von den Anfängen bis Heute planten. Fast<br />

ausschließlich Kopien würden sie zeigen, die meisten Originale könnten sie<br />

nicht bezahlen. Ob ich nicht von mir zwei oder drei Bilder zur Verfügung stellen<br />

könne als Beispiel praktizierter Fotokunst von heute. Natürlich, nur niemand<br />

würde meine Fotos beachten, und so geschah es auch. Völlig traf es jedoch<br />

nicht zu. Die Kuratorin eines kleinen Museums hatte zum ersten mal von mir<br />

erfahren, rief mich an und fragte, ob sie eventuell eine Ausstellung mit meinen<br />

Fotos machen dürften, und ob sie sich die vorher mal anschauen könne. Wahrscheinlich<br />

wussten sie nicht, <strong>was</strong> sie sonst hätten machen sollen und <strong>was</strong> sie<br />

hätten bezahlen können. Eine erste Ausstellung nur mit meinen Bildern. Aber<br />

das Museum kannte kaum jemand. Deshalb verfassten sie selbst unterschiedliche<br />

Rezensionen von Ausstellungen und boten sie Zeitungen unter der Zusicherung,<br />

sie zu veröffentlichen, exklusiv kostenlos an. So ersparten sie sich<br />

andere Werbekosten. In drei Zeitungen wurde meine Kunst gepriesen. Es kam<br />

mir irreal vor. Ich wusste nicht, <strong>was</strong> ich davon halten sollte. Ganz ernst nahm<br />

ich es nicht. Auch wenn wir die Rezensionen eingerahmt bei uns im Studio aufhängten,<br />

kostete es mich doch immer ein Lächeln. Isa Hooger, die begnadete<br />

Fotokünstlerin. Völlig lächerlich war es aber nicht. Die Feuilletons wurden ja<br />

nicht nur von der Bevölkerung gelesen, sondern von allen Kulturredaktionen<br />

und die Rezensionen waren qualitativ hochwertig. Eine promovierte Kulturwissenschaftlerin<br />

hatte sie verfasst, und nicht ein Journalist hatte sich irgendet<strong>was</strong><br />

zusammen gestümpert. Ich bekam öfter Anfragen von außerhalb und<br />

brauchte dringend eine Internetseite, auf der man mein Schaffen bewundern<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 4 von 27


konnte. Ich war zwar noch nie im Fernsehen oder in Kultursen<strong>du</strong>ngen im Radio<br />

genannt worden, wurde aber öfter zu Diskussionen oder Referaten eingeladen.<br />

<strong>Mirko</strong> Schneider<br />

Im Radio hörte ich von einer Ausstellung in Berlin. Die Sen<strong>du</strong>ng war relativ<br />

ausführlich, und als Redakteur wurde ein <strong>Mirko</strong> Schneider genannt. Den Namen<br />

hatte ich doch schon mal gehört. Wahrscheinlich war er als Redakteur einer anderen<br />

Sen<strong>du</strong>ng genannt worden, die ich auch gehört hatte. Aber nein, irgendet<strong>was</strong><br />

sagte mir, dass es so nicht war, aber wer war <strong>Mirko</strong> Schneider dann?<br />

Hatte Sanne ihn vielleicht gekannt? Sie war ja selbst auch Journalistin gewesen.<br />

Der Weg erschien mir auch nicht erfolgversprechend. Wer war das nur,<br />

dieser <strong>Mirko</strong> Schneider? Woher konnte ich den Namen kennen? Lange versuchte<br />

ich in meinen Hirnwin<strong>du</strong>ngen zu forschen. Ergebnislos. Was tat ich da nur?<br />

Überlegte krampfhaft, ob ich eine Person mit dem Namen <strong>Mirko</strong> Schneider kennen<br />

würde, so eine Verschwen<strong>du</strong>ng von Zeit und Gehirnkapazität. Nur die Frage<br />

nach diesem Herrn Schneider ließ sich nicht einfach abschalten. Wie bei einem<br />

Ohrwurm, der dich unablässig quält, schien es sich bei der Frage, wer <strong>Mirko</strong><br />

Schneider sei, um einen Gedächtniswurm zu handeln. Irgendwann verebbte<br />

er jedoch genauso wie die Ohrwürmer auch. Sophie, meine Mitarbeiterin, hatte<br />

Geburtstag. Zum Geburtstag luden wir uns immer zu Fèten ein. Da ging es<br />

dann allerdings nicht beschaulich, melancholisch zu. Ich war auch keineswegs<br />

ein Mensch, der häufig oder sogar ständig derartige Zustände suchte. Wenn<br />

Sophie Geburtstag hatte, wollte ich mich freuen, war laut und lustig und wollte<br />

tanzen. „Ah, <strong>Mirko</strong>!“ schrie ich plötzlich auf. Man lachte, und niemand wusste,<br />

<strong>was</strong> es zu bedeuten hatte. <strong>Mirko</strong> Schneider hatte ich bei einer Fète an der Uni<br />

kennengelernt. Wir fanden uns sehr lustig, flirteten miteinander, tanzten oft<br />

und küssten uns auch. Es war ein Abend, der mich glücklich empfinden ließ,<br />

aber das war es auch. Am anderen Morgen war er vorbei und <strong>Mirko</strong> Schneider<br />

kannte ich nicht mehr. Ich staunte selbst, dass es mir wieder eingefallen war.<br />

Er war mir schon sympathisch, und Flirten und Tanzen machten Spaß. So war<br />

es für einen Abend gewesen, aber dass ich <strong>Mirko</strong>s Namen behalten könnte,<br />

hätte ich nicht gedacht. Ob er meinen Namen auch wohl noch kannte? Mit Sicherheit<br />

nicht. Den ganzen Abend bei Sophie musste ich an die Fète von damals<br />

denken. Ich hatte mich als freier empfunden. Lust und Scherz und Albernheiten<br />

waren echter und mir leichter zugänglich als heute. Ich dachte sehr<br />

gern an meine Studienzeit zurück, nur diese Gedanken waren nicht darin enthalten.<br />

Jetzt gehörten auch sie dazu. <strong>Mirko</strong> Schneider, ich hatte ihn wiedergefunden.<br />

Ob ich's doch mal versuchen sollte, ihn nach Isa Hooger zu fragen?<br />

Aber warum? Selbst wenn er sich erinnern sollte, könnten wir uns zwei Sätze<br />

von der Fète erzählen, und das wär's. Es ließ mich aber nicht los. Vielleicht<br />

konnte ich diesen Wiederentdeckungsprozess jetzt nicht einfach konsequenzenlos<br />

abschließen. Wäre ich enttäuscht, wenn er sich nicht erinnerte? Nein, es<br />

wäre ja wahrscheinlich so. Ich rief im Sender an und wurde <strong>du</strong>rchgestellt. „Guten<br />

Tag, Frau Hooger, <strong>was</strong> kann ich für sie tun?“ fragte er. Das war <strong>Mirko</strong>. Ich<br />

kannte sogar seine Stimme wieder. „Es ist mir leicht unangenehm, aber ich<br />

wollte sie eigentlich nur fragen, ob sie sich an mich erinnern.“ ich darauf.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 5 von 27


„Nein, helfen sie mir.“ sagte er. „Isa Hooger, wir haben uns mal an einem<br />

Abend in der Uni bei einer Fète kennengelernt. Ich habe deinen Namen jetzt im<br />

Radio gehört, und war mir sicher, dass ich ihn kennen würde. Nach längerer<br />

Gedächtnisübung viel es mir dann auch wieder ein.“ erklärte ich ihm. Einen<br />

Moment herrschte Stille, dann rief er „Isa! Komm sofort her, und lass uns zusammen<br />

tanzen. Ich mochte dich sehr, Isa, und habe mich am nächsten Tag<br />

verwünscht, dass wir kein Treffen vereinbart oder unsere Adressen ausgetauscht<br />

hatten. Ich war sogar an der Hochschule und habe dich gesucht. Dass<br />

mir bei Isa Hooger nicht sofort alles klar war, verstehe ich nicht. Aber wir leben<br />

heute eben in anderen Welten. Trotzdem wäre mir nichts lieber, als wenn ich<br />

dich wiedersehen könnte.“ sagte <strong>Mirko</strong> Schneider. Ich fragte ihn, <strong>was</strong> er sich<br />

davon verspreche, oder ob wir wieder tanzen gehen sollten? „Alles, Isa, alles<br />

<strong>was</strong> <strong>du</strong> möchtest. Meine schönen Gefühle für dich sind immer offen geblieben.<br />

Mir tut es gut, dich wiedersehen zu können, und ich hoffe, <strong>du</strong> hast auch eine<br />

schöne Erinnerung an unseren Abend.“ Wo sollten wir uns treffen? In Berlin<br />

wäre ihm lieber, aber übernachten müsse ich in einem Hotel, bei ihm ginge das<br />

nicht.<br />

Fee für eine Nacht<br />

<strong>Mirko</strong> war verheiratet und hatte schon zwei größere Kinder. Warum ich nicht<br />

trotzdem bei ihnen übernachten konnte, verstand ich nicht. Als sich herausstellte,<br />

dass seine Frau gar nicht wusste, dass er sich mit mir traf, sondern ihr<br />

gesagt hatte, dass es sich um et<strong>was</strong> Berufliches für den Sender handle, wurde<br />

mir einiges klar und ich war verärgert. „Was soll das, <strong>Mirko</strong>? Warum tust <strong>du</strong><br />

das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren und wir tanzen auch nicht mehr weiter.<br />

Nicht nur die Welt um uns ist eine andere geworden, auch unsere eigenen<br />

Welten sind andere, als sie es damals waren. Es kann heute nichts geben, <strong>was</strong><br />

deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte ich. „Du hast schon Recht, Isa. Meine<br />

Welt ist bei meiner Frau und ihr gehört mein Herz. Als <strong>du</strong> anriefst, merkte ich<br />

jedoch, dass es so nicht ganz stimmt. Das Empfinden, <strong>was</strong> <strong>du</strong> in mir geweckt<br />

hast, lässt sich nicht vergessen wie ein belangloses Ereignis. An die meisten<br />

Feiern und Partys werde ich mich nicht mehr erinnern, aber am Abend des 30.<br />

April fällst <strong>du</strong> mir fast jedes mal ein. Es klingt lächerlich, aber <strong>du</strong> warst eine<br />

Nacht die Fee für mich. Den Platz hast <strong>du</strong> in meinen Emotionen und Träumen.“<br />

erklärte <strong>Mirko</strong>. „Ich will dich nicht aus deinen Träumen reißen, <strong>Mirko</strong>, doch es<br />

war ein Abend, und der ist zu Ende, seit fast zwanzig Jahren. Das wirst <strong>du</strong><br />

auch in deinen Träumen nicht übersehen können. Ich denke eher, <strong>du</strong> träumst<br />

von et<strong>was</strong>, das es niemals gab.“ meinte ich. „Das kann schon sein.“ räumte<br />

<strong>Mirko</strong> ein, „Was immer <strong>du</strong> im andern siehst, sind letztlich doch nur deine Bilder.<br />

Aber <strong>du</strong> hast es wachgerufen, hast dies Bild in mir angesprochen, ein Bild, das<br />

ich bislang nicht kannte und es gehört bis heute zum Schönsten, <strong>was</strong> ich denken<br />

kann.“ „Ist das ein Kompliment für mich? Ich glaube schon. Beschreib' mir<br />

doch das Bild, vielleicht lässt es mich von mir et<strong>was</strong> erkennen, <strong>was</strong> mir bislang<br />

selbst verborgen war.“ bat ich <strong>Mirko</strong>. Er lächelte und wollte mir einen Kuss geben.<br />

„<strong>Mirko</strong>, nein, es ist heut' kein Tanz in den Mai mehr. Erzähl' es mir.“ wehrte<br />

ich ab. „Isa, wenn ich mein Bild beschreibe, wird es in dir ein anderes erzeu-<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 6 von 27


gen. Ich kannte viele Mädchen, hatte eine Freundin, doch <strong>du</strong> erschienst mir<br />

völlig anders. Verkörpertest das Idealbild einer Frau für mich. Warst lebenslustig,<br />

klug und tiefgründig humorvoll, warst offen, gefühlvoll und wecktest <strong>du</strong>rch<br />

die Küsse mein Begehren. Eine leuchtende Blume, <strong>du</strong> schwebtest über allem<br />

und warst doch so nah bei mir. Du warst die zauberhafte Fee und bist es stets<br />

geblieben. Seitdem muss eine Frau für mich vor allem klug sein, doch nie<br />

konnte ich das andre von dir auch erkennen.“ beschrieb <strong>Mirko</strong> sein Bild. „Ja, ja,<br />

<strong>du</strong> hast schon Recht. Ich komme ja auch von einem anderen Stern.“ reagierte<br />

ich scherzhaft, „Nur leider schwebe ich nicht ständig in lustbetonten<br />

Maiennächten. Nach deinem Bild von mir wirst <strong>du</strong> in meinen Fotos vergebens<br />

suchen.“ Ich sollte von mir erzählen, in einer Buchhandlung erstanden wir<br />

mein Buch und ich erläuterte es ihm. <strong>Mirko</strong> wollte meine Bilder sehen. „Schau<br />

sie dir an auf meiner Homepage.“ riet ich ihm. Nein, <strong>Mirko</strong> wollte alles sehen.<br />

„Da musst <strong>du</strong> zu mir kommen. Du kannst sogar bei mir übernachten, nur<br />

musst <strong>du</strong> mir versichern, keine irgendwie gearteten Avancen zu versuchen.“<br />

lud ich ihn ein.<br />

<strong>Mirko</strong>s Besuch<br />

Er könne meine Bilder gar nicht einordnen. Natürlich seien sie Portraits, aber<br />

passten nicht in eine ihm bekannte gängige Stilrichtung. „Weißt <strong>du</strong> wie wir das<br />

machen?“ schlug ich ihm vor, „Du hast in Berlin doch sicher so gute Connections,<br />

dass <strong>du</strong> eine Ausstellung in der Nationalgalerie organisieren könntest.<br />

Dann werden wir ja in den vielfältigen Rezensionen und Besprechungen erfahren,<br />

um welchen Stil es sich bei meinen Bildern handelt.“ <strong>Mirko</strong> schmunzelte<br />

und wollte et<strong>was</strong> über meine bisherigen Ausstellungen wissen. „Wenn <strong>du</strong> nichts<br />

tust, dann brauchst <strong>du</strong> dich auch nicht zu wundern. Mehr Anerkennung hätten<br />

deine Fotografien auf jeden Fall verdient. Ich bin natürlich nicht objektiv, aber<br />

sie zeigen mir eine bewundernswerte Seite von dir, die ich damals so nicht sah.<br />

Vielleicht kulminiert auch deine Tiefe, Klugheit und Einstellung zum Leben in<br />

deinen Bildern, nur muss der Betrachter es auch erkennen und erkennen wollen.<br />

Die Primitivität des Blickes ist sehr verbreitet und wird oft <strong>du</strong>rch intellektuelles<br />

Bramarbasieren zu übertünchen versucht.“ war <strong>Mirko</strong>s Ansicht. „Du hast<br />

ja Recht. Im Grunde mache ich nichts. Mein Marketing ist nicht existent. Dabei<br />

hätte ich schon Möglichkeiten. Nach der Ausstellung und den Rezensionen habe<br />

ich es einfach mal versucht, Mitglied im Bund Freischaffender Foto-Designer zu<br />

werden, und es hat wider mein Erwarten geklappt. Nur ich habe bislang nichts<br />

daraus gemacht, habe die Möglichkeiten, die sich daraus entwickeln ließen<br />

nicht genutzt. Nicht wenig naiv bin ich offensichtlich. Emotional empfinde ich<br />

mich als gut, und denke man müsse das auch erkennen. Ich möchte mich nicht<br />

aufdrängen, möchte gerufen werden. Kannst <strong>du</strong> das nachempfinden? Wahrscheinlich<br />

nicht.“ erklärte ich. „Doch, doch, sehr gut. Die Königin braucht sich<br />

nicht anzubieten wie sauer Bier.“ sagte es und lachte. „Aber ich kenne schon<br />

einige Galerien, die deine Bilder bestimmt ausstellen würden. Eine Möglichkeit<br />

wüsste ich sogar in New York, und als Mitglied im BFF giltst <strong>du</strong> überall als arrivierte<br />

Künstlerin. Wenn man dich in New York sehen wollte, wer sollte dich<br />

dann hier nicht sehen wollen? Man müsste nur et<strong>was</strong> mehr über dich schrei-<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 7 von 27


en.“ meinte <strong>Mirko</strong>. Ich überlegte, nein, jetzt nicht, vielleicht würde ich es ihm<br />

später einmal zeigen.<br />

Am Abend sprachen wir über <strong>Mirko</strong>. Er hatte Kulturwissenschaften und Germanistik<br />

studiert. „Beim Sender ist es mit dem Rufen noch viel schlimmer, da wird<br />

dich niemals jemand rufen. Durch Neid, Missgunst, Ränkespiel und Intrigen<br />

musst <strong>du</strong> dich kämpfen, um das tun zu können, wozu <strong>du</strong> dich für berufen<br />

hältst. Jetzt bin ich nicht mehr antastbar und habe mit alldem nichts mehr zu<br />

tun, nur wenn <strong>du</strong> es erlebst, wird dir deutlich, wie Menschen Emotionales,<br />

selbst <strong>was</strong> aus früher Kindheit zu stammen scheint, oft nicht vergessen, und<br />

jederzeit zu Neuauflagen fähig sind. Warum sollte ich dich vergessen können,<br />

<strong>du</strong> hast mich schließlich emotional sehr tief berührt.“ erzählte <strong>Mirko</strong>. „Und <strong>du</strong><br />

ziehst auch den Umkehrschluss, nicht wahr? Weil ich dich nicht vergessen<br />

habe, musst <strong>du</strong> mich emotional auch sehr tief berührt haben, oder?“ wollte ich<br />

lächelnd von ihm wissen. „Nein, Isa, daran habe ich nicht gedacht. Doch wenn<br />

dein Gehirn es für so wichtig hielt, es dauerhaft zu speichern, muss es<br />

emotional schon positiv besetzt gewesen sein.“ meinte <strong>Mirko</strong>, „Ich habe bei<br />

Helen, meiner Frau, nie an dein Bild gedacht, niemals versucht, sie mit dir zu<br />

vergleichen, aber klug und intellektuell das ist sie schon. Das stammt von dir.<br />

Nur kluge Frauen konnten seitdem noch mein Interesse wecken.“ erklärte<br />

<strong>Mirko</strong> und erkundigte sich nach meinem Freund oder Mann.<br />

Sanne Bergmann<br />

„<strong>Mirko</strong>, so et<strong>was</strong> habe ich nicht. Kein Freund, kein Mann.“ antwortete ich. „Sag<br />

mehr, Isa. Kein Bedürfnis oder fühlst <strong>du</strong> dich allen überlegen?“ wollte <strong>Mirko</strong><br />

wissen. Ich überlegte, <strong>was</strong> ich ihm sagen sollte. „Du kannst es oberflächlich sehen.<br />

Jeder sucht sich einen Sexualpartner. Das brauchst <strong>du</strong> vielleicht auch,<br />

aber der Mensch in dir sucht et<strong>was</strong> anderes. Du <strong>willst</strong> nicht allein sein, suchst<br />

den Kontakt, <strong>willst</strong> Liebe. Es fiel mir nicht leicht, mich auf andere tiefer einzulassen.<br />

Es war schön, kurzes Glück zu erleben, so wie an unserem Abend. Das<br />

schien mir zu reichen. Mein Freund war meine Kamera. Die habe ich schon in<br />

Kindertagen geliebt. Sie war mein Teddy, ich habe mit meiner Liebsten, die immer<br />

für mich arbeitete, die Bilder machte, gesprochen, und meine Emotionen<br />

konzentrierten sich auch später auf sie und meine Bilder. Sie sollte mir die Beziehungen<br />

zu meiner Welt vermitteln. Trotz meiner Freundin empfand ich<br />

manchmal Einsamkeit. Ich wollt' nicht mehr allein sein. Mit einem Freund, der<br />

mich bewunderte, ähnlich wie <strong>du</strong>, habe ich ein Jahr zusammengelebt. Er konnte<br />

mir nicht geben, wonach es mich verlangte. Er war sehr nett, doch Liebe<br />

kam nicht auf. Trotz Partner war ich genauso einsam wie zuvor.“ erläuterte ich.<br />

„Dann hast <strong>du</strong> dich von ihm getrennt und dich doch mit deiner Kamera begnügt.“<br />

suchte <strong>Mirko</strong> meine Biografie zu vervollständigen. „Ja, das habe ich gedacht.<br />

So würde mein weiteres Leben aussehen. Ich könne nicht lieben, weil<br />

ich selbst keine echte Liebe erfahren hätte, sondern nur einen oberflächlichen<br />

Schein davon.“<br />

„Dann wurde ich von Sanne Bergmann – ist dir ein Begriff, nicht wahr? - gebe-<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 8 von 27


ten, bei einem Vortrag Fotos von ihr zu machen. Sie brauche neue Fotos für die<br />

Presse und sonst auch noch. Schon bei der Vorbesprechung herrschte eine ungewöhnliche<br />

Atmosphäre. Ich kannte sie ja gar nicht, hatte sie noch nie gesehen,<br />

aber es war gleich vertraulich, als ob ich mit einer guten Bekannten, mit<br />

meiner Schwester spräche. Ich meinte, sie gleich beim ersten Kontakt tief zu<br />

erkennen. Wir scherzten und sprachen wie zwei Verbündete. Als wir zwei Tage<br />

später gemeinsam auf der Couch saßen, um die Fotos auszuwählen, war ich<br />

nicht ganz in dieser Welt. Als ob ich Musik hörte. Jedes Wort, das Sannes Mund<br />

verließ, schien mir wie eine aufgehende Blüte zwischen ihren Lippen hervor zu<br />

quellen. Unabsichtlich waren wir ganz dicht zusammen gerutscht. Ein Rausch,<br />

ich kam mir vor wie in Ekstase. Luft holen musste ich, brauchte eine<br />

Unterbrechung. Wir gingen uns einen Kaffee machen. An der<br />

Espressomaschine standen wir voreinander und mein rechter Arm streckte<br />

ganz von allein seine Finger nach Sannes Wange aus. Sie hätte ja sagen<br />

können, dass sie so et<strong>was</strong> nicht möchte, aber daran konnte ich gar nicht<br />

denken. Sanne lächelte und zeigte nach kurzer Zeit mit fragendem Blick auf<br />

ihre Lippen. Ich verstand, und vorsichtig touchierten sich unsere Lippen. Wir<br />

spielten damit und ich befeuchtete meine Lippen mit der Zunge. Sanne<br />

schnippte mit ihrem Finger darüber und ich ließ meine Zunge auch über ihre<br />

Lippen gleiten. Was wir da taten, wusst' ich nicht, nur spürte ich, wie es mich<br />

tief ergriff. Das Spiel mit Lippen und Zungen wollte nicht enden. Ich war Sanne<br />

so nah und wollte doch noch näher sein. Unsere Küsse wurden intensiver, und<br />

leidenschaftlich verschlangen wir uns. Der Kaffee war längst wieder kalt. Wen<br />

störte das? Wir saßen glücklich beieinander auf der Couch. „Ich habe noch nie<br />

eine andere Frau geküsst.“ meinte ich erstaunt lächelnd zu Sanne. „Was spiel<br />

das für eine Rolle, ob Frau, ob Mann es geht nur um uns beide.“ erklärte sie.<br />

Sanne hatte bislang auch noch nie mit einer anderen Frau et<strong>was</strong> zu tun<br />

gehabt. Ja, <strong>Mirko</strong>, wir haben uns geliebt, acht Jahre lang.“ erzählte ich. „Und<br />

dann ist eure Liebe doch zerbrochen?“ fragte <strong>Mirko</strong>. „So ist es, der Tod hat sie<br />

mit seiner schwarzen Hand zerbrochen und dabei meine Seele auch gleich mit<br />

zerrissen. Aber lass es für jetzt genug sein. Weiter möchte ich darüber im<br />

Moment nicht reden.“ antwortete ich.<br />

Sannes Tod und neue Liebe<br />

Warum wir lachten, als <strong>Mirko</strong> reinkam, weiß ich nicht. „Es gefällt mir gut, dich<br />

rufen zu hören: „Das Frühstück ist fertig.“. Das könnte ich <strong>du</strong>rchaus jeden<br />

Morgen ertragen.“ verkündete <strong>Mirko</strong> schmunzelnd. „Mein Lieber, wenn wir zusammen<br />

lebten, erwartete ich selbstverständlich, dass <strong>du</strong> es wärst, der mich<br />

zum Frühstück riefe.“ machte ich ihm deutlich. „Du meinst, die Liebste hätte<br />

Anspruch darauf, die Gerufene zu sein. Nur wenn ich mit dir zusammenlebte,<br />

würde ich gar nicht aufstehen wollen, glaube ich.“ meinte <strong>Mirko</strong>. „Mein Lieber,<br />

spinn dir nichts zusammen. Deine Träume bewegen sich auf falschen Gleisen.“<br />

korrigierte ich ihn. „Du wirst eine Frau lieben wollen, oder ist <strong>du</strong>rch Sanne für<br />

dich auf immer alles blockiert?“ fragte <strong>Mirko</strong>. „Das weiß ich nicht, ob ich einen<br />

Mann oder eine Frau lieben würde, das ist abstrakt. Ich weiß nur, dass ich Sanne<br />

geliebt habe, unendlich. Ich habe nicht geweint, ich habe geschrien wie ein<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 9 von 27


kleines Kind, als Sanne mich verlassen hatte. Richtig <strong>du</strong>rchgedreht bin ich. Sophie<br />

und Leo waren hier, als ich vom Krankenhaus kam, wo ich mich von der<br />

toten Sanne verabschiedet hatte. Sie haben einen Arzt gerufen. Ich habe wirklich<br />

gedacht, ich könne das nicht überleben. Bei der Beerdigung bin ich wie<br />

eine versteinerte Mumie mitgegangen. Ich hatte Angst, wenn irgendwelche<br />

Emotionen aufkämen, könnte ich wieder ausrasten. Ich wollte Sanne folgen,<br />

wo sie auch immer sei. Das war bestimmt der Todestrieb. Ja, ein Leben ohne<br />

Sanne war für mich nicht mehr vorstellbar und wertlos. Ich war beim Therapeuten,<br />

und trotzdem war sie immer da. Die Trauer ist ein Teufel, die dich befällt,<br />

wann immer sie es will. Es hat sehr lange gedauert, bis ich wieder ein<br />

halbwegs normales Leben führen konnte. Aber die Zeit mit Sanne war mein Leben<br />

und wird es immer bleiben. Das kann es nicht mehr wieder geben, eine<br />

Wiederholung ist nicht möglich.“ verdeutlichte ich <strong>Mirko</strong>. „Dein Zusammensein<br />

mit einem anderen Menschen, deine Liebe, das war Sanne, und das ist jetzt<br />

damit für dich vorbei?“ fragte er nach. „Das weiß ich nicht. Ich glaube nicht.<br />

Sanne ist ein Teil meines Lebens. Sie wird immer in mir sein. Doch <strong>was</strong> sie in<br />

mir geweckt und erfüllt hat, das Bedürfnis nach tiefer Liebe ist auch immer da.<br />

So wie es war, kann es nie wieder sein. Ich weiß nicht, wie es sein könnte,<br />

doch das wusste ich ja vor Sanne auch nicht.“ antwortete ich ihm.<br />

<strong>Mirko</strong>s Fotografie<br />

„Die Bilder von Sanne sind mir ja geblieben. Wenn ich mich einsam fühle,<br />

schaue ich sie mir an, träume und weine. Mein Weltschmerz, verstehst <strong>du</strong>.<br />

Aber ich habe ein wundervolles Vermächtnis von ihr. Ich habe es noch nie jemandem<br />

gezeigt. Es ist mir eine heilige Ikone. Sanne hat es für mich geschrieben.<br />

Sie wollte es veröffentlichen, hatte nur noch keine Möglichkeit dazu gefunden.<br />

Willst <strong>du</strong> es mal sehen? Möchtest <strong>du</strong> es lesen?“ fragte ich <strong>Mirko</strong>. Er<br />

nickte nur. Dann las er lange. „Giselle Hooger“ sagte er mit einem Lächeln, als<br />

er fertig war. „Wundervoll, besser kann man dich nicht beschreiben. Sie hat natürlich<br />

viel mehr gesehen als ich. Jetzt muss ich mir deine Bilder noch einmal<br />

anschauen. Hast <strong>du</strong> dich mit Giselle Freund beschäftigt?“ fragte <strong>Mirko</strong>. „Ja intensiv<br />

und das sehr früh. Sie bildete das Portal zur Fotografie für mich. Vorher<br />

hatte ich fast nur Praktisches zur Technik gelesen. Das war natürlich äußerst<br />

wichtig, zumal dort immer auch et<strong>was</strong> zum Bildaufbau und Sichtweisen vermittelt<br />

wird. Wo<strong>du</strong>rch ich auf Giselle Freund gestoßen bin, weiß ich nicht, ich weiß<br />

nur, dass ich mir in der Bibliothek ein Buch über sie besorgt habe, und dann<br />

gab es kein Halten mehr. Ich erfuhr von ihrer Kindheit und verachtete meine<br />

Eltern. Meine Mutter hat sogar geweint über meine Vorwürfe und Anschuldigungen.<br />

Das hatte ich noch nie gesehen und es befriedigte mich. Da war ich in<br />

der Pubertät, war ärgerlich, dass mein zu Hause nicht dem von Giselle Freund<br />

entsprach. So ein Unfug. Sein Elternhaus zu kritisieren, weil es nicht das ist,<br />

<strong>was</strong> man sich wünschte. Aber das war bei mir ja immer so. Als kleines Kind<br />

musste ich schon wohl feststellen, dass irgendet<strong>was</strong> nicht richtig lief. Ein süßes<br />

Püppchen hatte sich die Mami gewünscht und hatte einen Ausbund an Aufsässigkeit,<br />

Trotz und Widerspenstigkeit erhalten. Giselle Freunds Leben ließ mich<br />

meine Wunschidentität entwickeln. Zusätzliches Interesse erhielt sie auch da-<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 10 von 27


<strong>du</strong>rch, dass ich begann, mich mit dem Nationalsozialismus und der Zeit davor<br />

in Deutschland zu beschäftigen. Ja, in meiner Fotowelt spielt Giselle Freund<br />

schon eine Schlüsselrolle, auch wenn ich nicht im Entferntesten in ihren Sphären<br />

lebe.“ erläuterte ich. „Würdest <strong>du</strong> mich auch mal fotografieren?“ fragte <strong>Mirko</strong>.<br />

„Natürlich, warum nicht? Aber dann müsstest <strong>du</strong> rauchen. Bei Giselle<br />

Freund haben die Männer alle eine Kippe im Schnabel oder zwischen den Fingern.“<br />

scherzte ich. „Nein, nein, das stimmt nicht. Mitterand hält, glaube ich,<br />

ein Buch in der Hand.“ <strong>Mirko</strong> darauf. „Du hast ja Recht, James Joyce raucht,<br />

glaube ich, auch nicht. Nur war es damals ja so, dass sich die Männer sicher<br />

fühlten, wenn sie sich an einer Zigarette festhalten konnten. Womit würdest <strong>du</strong><br />

dich denn sicher fühlen?“ wollte ich von ihm wissen. Er überlegte grinsend und<br />

meinte: „Das weiß ich wirklich nicht. Mir fällt nichts ein. Vielleicht mit Kuli und<br />

'nem Blatt Papier?“ „O. k., dann machen wir das so. Ins Studio gehen wir<br />

sowieso nicht.“ erklärte ich. Alles wurde hergerichtet. Kamera, Leuchten und<br />

Schirm hatte ich auch zu Hause. Da fotografierte ich die Leute sowieso lieber.<br />

„Nein, nein, so geht das nicht. Du musst schon richtig schreiben, nicht den<br />

Stift in der Hand halten und mich anlächeln. Denk dir et<strong>was</strong> aus, schreib einen<br />

Aufsatz über dein Wochenenderlebnis.“ schlug ich vor. Nach anfänglichem<br />

Zögern machte <strong>Mirko</strong> es. Ich nahm ihn auf beim Überlegen und Schreiben und<br />

wenn er aufblickte, um Fragen von mir zu beantworten. Wir schauten uns die<br />

Fotos auf dem Schirm an. „Isa, jetzt muss ich dir einen Kuss geben, und <strong>du</strong><br />

darfst es mir nicht verbieten.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. Ich strich ihm über seine Hand.<br />

„Ein Süßer bist <strong>du</strong> auch nach zwanzig Jahren noch geblieben, will mir<br />

scheinen.“ reagierte ich. Zum Abschied gab es auch Umarmung mit Kuss.<br />

Ausstellungen in Berlin und New York<br />

Empfand ich et<strong>was</strong> für <strong>Mirko</strong>? Sollte da mehr sein als die angenehme Erinnerung?<br />

Die hatte ich bei Sophie auf der Fète empfunden. Jetzt hatten wir uns<br />

zweimal getroffen. Mit der Fète hatte es kaum noch zu tun gehabt, aber wir<br />

waren schon offen und vertraulich zu einander gewesen. Der neue <strong>Mirko</strong> war<br />

mir <strong>du</strong>rchaus sympathisch, doch mehr auch nicht. Aber er hatte mir Anerkennung<br />

vermittelt und nicht nur, weil er mich für eine wundervolle Frau hielt. Das<br />

war vielleicht auch ganz nett, doch ziemlich unerheblich. Er hatte meine Bilder<br />

gewürdigt, und <strong>Mirko</strong> war schließlich nicht irgendwer. Ein Lob für mich aus bislang<br />

wohl qualifiziertestem Munde. Das tat mir gut und festigte mein Selbstbewusstsein.<br />

Er wollte ja auch et<strong>was</strong> für mich tun. Ob er das einhielt, oder ob es<br />

in seiner Alltagshektik unterging? Nein <strong>Mirko</strong> hielt Wort. Eine sehr angesehene<br />

Berliner Galerie sei eventuell bereit, meine Bilder auszustellen. Er brauche einige<br />

Kopien und sagte auch wovon. Vor allem sei aber Sannes Essay wichtig.<br />

Wenn man mich dort gezeigt hätte, stünden mir die Türen aller anderen Galerien<br />

offen. Jetzt musste ich mein liebevoll gehütetes, persönliches Erbstück doch<br />

den Massen offenbaren, aber Sanne hatte es ja auch für die Öffentlichkeit geschrieben.<br />

Nur war es das einzige Erinnerungsstück, das Sanne direkt für mich<br />

und über mich gemacht hatte. Ich wurde zu einer Vorbesprechung eingeladen<br />

und sollte möglichst viel Material mitbringen, damit man sichten und auswählen<br />

könne. Vor der Vernissage musste ich noch einmal wegen letzter Bespre-<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 11 von 27


chungen nach Berlin, und dann kam der große Tag. Sagen konnte ich zu meiner<br />

Kunst ja schon Gehaltvolles. Schließlich verfügte ich über umfänglichen<br />

theoretischen Background und hatte gelernt, ihn eloquent anzubringen. Wer<br />

Walter Benjamin und Norbert Elias im Zusammenhang mit seinen Bildern zitiert,<br />

kann wohl nicht die Fotografin vom Lande sein. <strong>Mirko</strong> wollte seine Umarmung<br />

gar nicht wieder lösen. „Isa, <strong>du</strong> bist göttlich.“ entfuhr es ihm. „Deine<br />

Einführung war bestimmt genauso gut, wie die Bilder selbst.“ Wichtig war es<br />

mir schon. Schließlich sollten die Betrachter ja wissen, wonach sie in den Bildern<br />

zu suchen hätten. Dickes Lob in den Rezensionen von zwei Feuilletons.<br />

Meine Fotos gäben einer alten Sichtweise eine neue zeitgemäße, heutige Gestalt.<br />

Eine neue Stilrichtung in zeitgemäßer Bildsprache hatte ich also entwickelt.<br />

Das war doch schon <strong>was</strong>, oder? Beide hatten vieles von Sanne abgekupfert.<br />

Die Hintergründe hätten sie auch selbst nicht gehabt. Die Finissage war<br />

ein lustiges Fest. Die Ausstellung galt als Erfolg, und <strong>Mirko</strong> meinte, jetzt wäre<br />

New York an der Reihe. Ich konnte ja nicht öfter in die USA reisen, um alles<br />

abzuklären. Das war auch kein Problem. Man wollte die Ausstellung von Berlin<br />

übernehmen. Ich konnte mich zwar englisch unterhalten, aber Sannes Text ins<br />

Englische Übersetzen und meine Einführung auf Englisch machen, dazu reichte<br />

es bei mir nicht. Eine Bekannte, die ein Jahr in den USA gelebt hatte, erklärte<br />

sich bereit, es zu übertragen. Sie sprach perfekt English, aber verstand die<br />

Texte auf deutsch leider nicht. Mehrere Nachmittage haben wir mit ihren Lexika<br />

zusammengesessen und uns dabei totgelacht. Zur Vernissage musste ich<br />

und wollte ich ja auch nach New York. Jetzt hatte ich meine Ausstellung in New<br />

York, nur war es mit der Berliner Galerie nicht zu vergleichen. Ich glaube, meine<br />

Zuhörer verstanden auch den Inhalt meiner Einführung nicht. Zumindest<br />

ließen ihre primitiven Fragen das vermuten. Einen Namen hatte diese Galerie<br />

mit Sicherheit nicht. Aber wer würde das schon in Deutschland wissen. War ich<br />

jetzt eine angesehene Künstlerin? Bestimmt. <strong>Mirko</strong> hatte Recht. Ich konnte<br />

jetzt im Prinzip überall ausstellen. Vorbehalte und Zweifel an meiner künstlerischen<br />

Qualität existierten nicht.<br />

Preise<br />

Fast immer befanden sich meine Bilder jetzt irgendwo in einer Ausstellung, ich<br />

reiste zu den Vernissagen und erhielt Anerkennung für mein Schaffen. Nur die<br />

schlichte Fotografin war ich längst nicht mehr, das tat mir schon sehr gut.<br />

Überall erfuhr ich Bestätigung für mein Können. Zufrieden war ich, doch ob<br />

sich emotional et<strong>was</strong> für mich geändert hatte, wagte ich zu bezweifeln. Natürlich<br />

hatte ich erreicht, <strong>was</strong> ich erreichen wollte. Die Anerkennung tat mir gut,<br />

nur dass sie mich zu einem glücklicheren Menschen machte, das konnte ich so<br />

nicht erkennen. Alle suchen sie die Anerkennung für ihr Werk und ihre Taten,<br />

nur kann sie auch ein Rausch sein, der schon morgen nicht mehr zählt. Bestand<br />

die Anerkennung zwischen Sanne und mir etwa darin, dass wir gegenseitig<br />

unsere Werke bewunderten? So ein Schwachsinn. Mich verlangte es danach,<br />

Sanne glücklich zu sehen, nur weil sie Sanne war, sonst nichts. Anerkennung<br />

um deiner selbst willen zu erfahren, Liebe erhalten und geben, das verändert<br />

dich, lässt dich zu einem anderen Menschen werden.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 12 von 27


<strong>Mirko</strong> sah es so, dass die permanenten kleinen Ausstellungen auf die Dauer<br />

nicht viel brächten, mir keinen Namen verschafften. Ich müsse mich an Wettbewerben<br />

beteiligen und Preise gewinnen, das schaffe mir Bekanntheit. Alle<br />

möglichen Wettbewerbe hatte er schon herausgesucht und nannte Bilder von<br />

mir, die er für geeignet hielt. Ich müsse es mir überlegen, erklärte ich, und<br />

würde mich wieder melden. Warum war ich nicht sofort begeistert? Das war ich<br />

schon, eine künstlerische Fotografin, die auch Anerkennung für ihr Schaffen<br />

wollte. Aber das war ich nicht nur. Ich wusste, dass ich so mein Glück nicht finden<br />

konnte. Meine Homepage fand ich mittlerweile ziemlich toll, mit Sannes<br />

Text auf deutsch und englisch und meine Ausstellungen waren natürlich alle<br />

aufgeführt. Auch auf der BFF Page war ich mit einer Serie vertreten. Ein völliger<br />

Nobody war ich keinesfalls mehr. „<strong>Mirko</strong>, <strong>du</strong> hast dir viel Mühe gemacht,<br />

aber ich weiß nicht, ob ich so et<strong>was</strong> will.“ erklärte ich ihm. Er versuchte mir zu<br />

verdeutlichen, wie wichtig es für mich sei und dass es ohne ein Preis keinen<br />

weiteren Aufstieg gebe. „Ich brauche das, glaube ich, nicht, <strong>Mirko</strong>.“ erklärte ich<br />

nur lapidar. Er konnte es nicht fassen und redete weiter auf mich ein. „<strong>Mirko</strong>,<br />

<strong>du</strong> hast gehört, ich will es nicht und dabei bleibt es.“ sagte ich strikt. <strong>Mirko</strong><br />

regte sich auf. Hielt alles für die Katz <strong>was</strong> wir bisher gemacht hätten und wurde<br />

sogar richtig böse. „So rede ich nicht mit dir. Mach's gut, <strong>Mirko</strong>“ beendete ich<br />

das Gespräch.<br />

<strong>Mirko</strong>s Abschied<br />

Das Telefon hatte ich noch in der Hand, mein Mund stand offen. Was hatte ich<br />

da getan. „<strong>Mirko</strong>!“ entfuhr es mir halb weinerlich. Für Preise wollte ich mich<br />

nicht bewerben, aber doch <strong>Mirko</strong> nicht verlieren. Natürlich hatte er mir viel geholfen.<br />

Dafür müsste ich ihm dankbar sein. Das hatte ich ihm nie gesagt. Ich<br />

hatte mich sicher schon mal anerkennend geäußert, aber mir war es immer<br />

vorgekommen, als ob es unser gemeinsames Ding sei, unser gemeinsames, in<br />

dem wir beide verbunden waren. Bewusst gemacht, welche Beziehung da zwischen<br />

uns bestand, hatte ich mir nie. Jetzt hat ich Zeit, darüber nachzudenken.<br />

Von Liebe und Dergleichen war nie mehr ein Wort gefallen, aber äußerst nahe<br />

waren wir uns schon. Unser Vertrauen ineinander war selbstverständlich und<br />

grenzenlos. Als Verbündete erlebten wir uns, und unsere Anerkennung galt der<br />

Person des anderen, nicht seinen Taten. Aber <strong>was</strong> war denn unsere Beziehung,<br />

wenn wir nichts Gemeinsames mehr unternehmen würden? Sollte ich jetzt<br />

plötzlich von Liebe sprechen? Nein, nein, das hatte ich auch nie direkt empfunden.<br />

Aber <strong>was</strong> war es dann, <strong>was</strong> uns verbunden hatte? Sollte ich ihn nicht anrufen<br />

und alles wieder zu glätten versuchen? Sollten wir uns treffen, damit ich<br />

<strong>Mirko</strong> meine Motive genau erklären könnte. Er würde mir sicher zuhören, und<br />

sie nicht so barsch überfahren wie am Telefon. Aber da war auch et<strong>was</strong> in mir,<br />

das es nicht mochte, jetzt mit ihm zu sprechen. Außerdem wäre es ja auch an<br />

ihm, sich zu entschuldigen. Wenn ihm emotional an unseren gemeinsamen Aktivitäten<br />

genauso viel läge wie mir, würde er das ja auch nicht einfach zerbrechen<br />

lassen. Er würde sich melden, da war ich mir ganz sicher.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 13 von 27


Das geschah aber nicht. <strong>Mirko</strong> meldete sich nicht in den nächsten Tagen, nicht<br />

in der nächsten Woche und nicht im nächsten Monat. Er meldete sich überhaupt<br />

nicht mehr. Ich konnte das nicht verstehen, war maßlos enttäuscht und<br />

wollte auch nichts mehr von ihm wissen, als er schon so lange nicht angerufen<br />

hatte. Was hätt' ich ihm auch sagen sollen, <strong>was</strong> ich von ihm wollte, wenn es<br />

nichts gab, das wir gemeinsam planten. Meine Emotionen sprachen anders. Sie<br />

schienen schon et<strong>was</strong> von ihm zu wollen, nur ließen sie mich nicht wissen,<br />

<strong>was</strong>. Vielleicht nahm man in zwanzig Jahren ja mal wieder Kontakt auf, erinnerte<br />

sich mühsam aneinander und lud sich zum Tanz in den Mai ein. Eine sonderbare,<br />

sehr schöne Zeit. Sie hatte vieles in meinem Leben verändert und war<br />

dann so unsäglich geendet. Traurigkeit umfing mich. Ich hatte et<strong>was</strong> Bedeutsames<br />

verloren, und konnte nicht einmal genau beschreiben, <strong>was</strong> es war.<br />

Vorlesung<br />

Eine alte Professorin von der Uni rief mich an. Sie habe meinen Namen gelesen<br />

und sich an mich erinnert. Sie wolle mal hören, wie es mir ginge. Na so et<strong>was</strong>.<br />

Mir geht’s gut. Was verbarg sich denn dahinter. Man freue sich ja immer, wenn<br />

man höre, dass ehemalige Studentinnen oder Studenten es zu et<strong>was</strong> gebracht<br />

hätten. Ich sollte doch mal von mir erzählen. Ich hatte es also zu et<strong>was</strong> gebracht,<br />

na schön. Ich erzählte ihr von Ausstellungen und riet ihr, sich doch mal<br />

meine Homepage anzusehen. „Frau Hooger, das ist ja fabelhaft.“ meldete sie<br />

sich einige Tage später, „Sie müssen unbedingt ihre Bilder bei uns ausstellen.<br />

Was sie geschrieben haben, hat mir äußerst gut gefallen, es wäre schade,<br />

wenn unsere Studenten das nicht zu hören bekämen.“ „Soll ich eine Einführung<br />

in die Ausstellung geben?“ fragte ich. „Ja, es wäre sehr schön, wenn sie das ein<br />

wenig ausbauen und in unserem akademischen Rahmen als Vorlesung gestalten<br />

könnten.“ meinte sie. Oh, Schreck. Dafür reichte es nicht. Ich konnte auch<br />

nicht sagen: „Nein, das kann ich nicht.“ und sagte zu. Ich konnte ja nicht nur<br />

mein Bekanntes wiederholen, vom 'Homo Clausus', vom unbehausten Menschen,<br />

von Giselle Freund und dergleichen erzählen, ich brauchte neue Gedanken,<br />

die ich bislang noch nicht formuliert hatte. Über die in der In<strong>du</strong>striegesellschaft<br />

destruierte Persönlichkeit des Menschen, der sich nicht mehr als einheitlich<br />

empfinde, nicht mehr um seine wahren Bedürfnisse wisse und seine Gefühle<br />

nicht mehr erkennen und wahrnehmen könne. Der entfremdete Mensch, hinter<br />

dessen Maske sollten meine Fotos schauen. Über die Traurigkeit, die man<br />

erlebt, aber nicht wahrnehmen darf. Ihr wollte ich einen größere Passage widmen.<br />

Ich bekam es schon hin und war erstaunt über mich selbst. Ich konnte<br />

nur hoffen, dass die Studenten das auch so sehen würden. „Frau Hooger ihr<br />

Vortrag hat mir sehr gut gefallen, wissenschaftlich fundiert und zeigte ganz<br />

neue Aspekte auf. Wir brauchen sie hier, das müssen sie vermitteln. Nein, jetzt<br />

im Ernst, hätten sie nicht Lust für ein Semester ein Seminar zu übernehmen?“<br />

fragte die Professorin. Hoffentlich äußerte sich mein innerliches Lachen nicht in<br />

meiner Mimik. Ich würde gerne, aber es ließ sich zeitlich nicht arrangieren, erklärte<br />

ich, aber das würde mich wirklich überfordern. Zu Hause ließ ich alles<br />

nochmal ablaufen. Warum empfand ich es eigentlich als Überforderung? Zur<br />

Zeit meines Examens wären solche Gedanken nicht aufgekommen, nur da<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 14 von 27


auchte man mich für so et<strong>was</strong> ja nicht. Dass ich mich heute nicht mehr traute,<br />

lag nur daran, das ich so fern der Uni war. Falsch war das allemal, dass ich<br />

mich so privatisiert hatte. Ich stand nicht mit Leuten wie Walter Benjamin in<br />

Kontakt, obwohl mir die theoretisch Betätigung fehlte. In die Ausarbeitung der<br />

Vorlesung hatte ich mich auch emotional sehr vertieft. Was tun? Sollte ich die<br />

Professorin anrufen und ihr doch zusagen. Nein, dazu sah ich mich nicht in der<br />

Lage. Doch, ich wollte sie anrufen und fragen, <strong>was</strong> sie unter den neuen Aspekten<br />

verstanden hätte. Das schizoid anmutende Verhalten des Menschen in der<br />

In<strong>du</strong>striegesellschaft sei es gewesen und meine Absicht die wahren Bedürfnisse<br />

und Gefühle der Menschen <strong>du</strong>rch meine Fotografie entdecken zu wollen. Auch<br />

meine Aussagen zur Tristesse und Traurigkeit hätten ihr sehr gut gefallen. Es<br />

sei schade, dass ich dies nicht weiter ausbauen könne. Wir sprachen noch weiter,<br />

und ich erklärte, dass ich zu meinem Bedauern dem Wissenschaftsbetrieb<br />

sehr fern sei. Ich solle doch promovieren, schlug sie vor, dann sei ich zwangsläufig<br />

integriert. Ich promovieren? Warum eigentlich nicht? Damals hatte ich<br />

das schon überlegt, konnte es aber nicht abwarten, in die Praxis zu kommen.<br />

Nach mehrfachen Gesprächen mit der Professorin hatten wir ein Thema<br />

gefunden. Dann musste alles genehmigt werden. Jetzt schrieb ich an meiner<br />

Dissertation.<br />

Frau Doktor Isa Hooger<br />

Als Promotionsstudentin musste ich auch ein Doktorandenseminar besuchen<br />

und Übungen abhalten. Für's Studio hatte ich gar keine Zeit mehr, zudem hing<br />

ja auch mein Herz an der Promotion und weniger am Studio. Was sollten wir<br />

tun? Jemanden zusätzlich einstellen? Das konnten wir nicht bezahlen. Sophie<br />

und Leo waren gut, wir hatten ja auch alles zusammen gemacht, aber die Leute<br />

wollten eben von Frau Hooger persönlich fotografiert werden. Es war einfach<br />

zu viel. Diese Ausstellungen in den kleinen Galerien wurden grundsätzlich gestrichen.<br />

Ich brauchte sie für mich nicht mehr und finanziell brachten sie sowieso<br />

nichts. Ich konnte auch nicht die Preise erhöhen, weil ich in einer kleinen<br />

Galerie in Augsburg ausgestellt hatte. Ich würde die stressige Zeit <strong>du</strong>rchstehen<br />

müssen. Wenn ich an meiner Arbeit saß, war sowieso aller Stress vergessen.<br />

Sie schien mir das zu geben, wonach mein Herz gerufen hatte. Nach fast drei<br />

Jahren war es soweit. Die Arbeit war fertig und sie war gut. Vorm Rigorosum<br />

war ich doch nervös, obwohl ich mich eigentlich hätte sicher fühlen können,<br />

aber man wusste ja nie, ob nicht jemandem deine Nase nicht gefiele. Jedoch<br />

alles war lieb und nett, ein interessierter Diskussionszirkel über meine Dissertation<br />

und meine Arbeit als Fotokünstlerin. Ich hatte es geschafft und war stolz<br />

wie der König von Preußen. Natürlich haben wir im Studio getanzt, aber die<br />

richtige Feier sollte es erst geben, wenn mir die Doktorwürde verliehen sei. Es<br />

zog sich ein wenig, aber dann hatte ich es in der Hand. „Frau Doktor Isa Hooger“.<br />

Die Promotion war schon nicht billig gewesen und jetzt brauchten wir<br />

auch noch für alles neue Formulare. Vor allem unser Firmenschild musste erneuert<br />

werden. Wer zu uns kam, sollte schließlich wissen, dass er von der Frau<br />

Doktor abgelichtet wurde. Auch preislich änderte sich et<strong>was</strong>. Bei Sophie und<br />

Leo gab's Fotos zu den alten Preisen, bei mir musste schon et<strong>was</strong> draufgelegt<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 15 von 27


werden. Da<strong>du</strong>rch konnte ich meine Kontakte zur Uni auch besser pflegen und<br />

hielt regelmäßig ein Seminar ab. So gefiel ich mir. Das war in meinen Träumen<br />

niemals vorgekommen. Ich hätte es für irreal gehalten.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>?<br />

Persönliche Beziehungen? Damit war eigentlich alles in Ordnung. Man mochte<br />

mich, an der Uni war ich anerkannt und vor allem bei mir selbst. Die Tage waren<br />

glücklich. Wenn ich Sannes Bilder sah, war es eine schöne Erinnerung,<br />

aber ich fing nicht mehr an zu weinen. <strong>Mirko</strong> Schneider sei heute im Studio<br />

aufgetaucht, erklärte mir Sophie, als ich nach Hause kam. Er wolle mich anrufen<br />

sagte sie. Oh, je, <strong>was</strong> wollte der denn jetzt? Er sei in der Nähe gewesen<br />

und wolle mich gern wiedersehen, sagte er. „Warum?“ fragte ich nur. Es sei in<br />

ihm nicht abgeschlossen, und er würde gern nochmal mit mir darüber reden.<br />

„In mir ist es aber abgeschlossen, <strong>Mirko</strong>, und ich habe keine Lust daran, das<br />

alles wieder aufzuwühlen.“ erklärte ich ihm. „Was gibt es aufzuwühlen, Isa?<br />

Unser letztes missratenes Gespräch, sonst war's doch herrlich zwischen uns.“<br />

meinte <strong>Mirko</strong>. „Du hast viel für mich getan, hast mir geholfen. Ich habe mich,<br />

glaube ich, nie dafür bedankt. Das möchte ich ausdrücklich nachholen. Aber<br />

das ist es auch, <strong>Mirko</strong>.“ machte ich ihm klar. „Isa, <strong>was</strong> soll das denn? Aus dir<br />

spricht Kälte und Verärgerung. Das bist <strong>du</strong> doch nicht. So haben wir nie<br />

miteinander gesprochen. Lass uns doch, bitte, vernünftig reden.“ bat <strong>Mirko</strong>.<br />

„Was soll das denn, <strong>Mirko</strong>? Die Zeit ist vorbei für mich, wir können sie nicht<br />

wiederbeleben und ich habe auch überhaupt kein Interesse daran.“ sagte ich<br />

ihm. „Du schickst mich nach Hause, ohne dass ich dich sehen konnte. Du tust<br />

mir weh damit, Isa.“ erklärte er. Oh, nein, jetzt fing er auch noch an, zu<br />

betteln. „Na gut, komm her, wenn es deine Seele tröstet.“ bot ich ihm an.<br />

„Was ist das denn, Dr. Isa Hooger?“ erkundigte sich <strong>Mirko</strong> nach meinem Klingelschild.<br />

„Na ja, <strong>du</strong> sprichst jetzt nicht nur mit der schlichten Fotografin, sondern<br />

auch der Wissenschaftlerin, denk, bitte, bei dem, <strong>was</strong> <strong>du</strong> sagst, daran.“<br />

reagierte ich und lachte. Von meiner Promotion wollte <strong>Mirko</strong> natürlich alles genau<br />

wissen. „Hast <strong>du</strong> meine Dissertation denn nicht gelesen? Du kannst sie auf<br />

meiner Homepage herunterladen, aber da schaust <strong>du</strong> wohl nie mehr drauf.“<br />

meinte ich scherzhaft. „Isa, <strong>du</strong> bist wirklich zauberhaft. Immer sorgst <strong>du</strong> für<br />

neue Wunder.“ reagierte <strong>Mirko</strong>, „Das machst <strong>du</strong> ganz allein. Auch wenn <strong>du</strong> dich<br />

damals für keinen Preis bewerben wolltest, <strong>du</strong> findest selbst deinen Weg, und<br />

der ist besser.“ „Das dauert aber lange. Vier Jahre hast <strong>du</strong> gebraucht, um das<br />

jetzt einzusehen?“ sagte ich. Aber ich wollte doch gar nicht davon anfangen.<br />

Jetzt war es doch unüberlegt passiert. „Nein, nein, das ist nicht wahr. Fast direkt<br />

nach unserem Gespräch kam ich mir wie ein Idiot vor. Auch wenn ich deine<br />

Gründe nicht verstanden hätte, ich habe sie ja nicht einmal gehört. Habe<br />

dich gar nicht gefragt, mich benommen wie ein Verrückter.“ erklärte <strong>Mirko</strong>.<br />

„Und warum hast <strong>du</strong> dann nicht mal angerufen?“ fragte ich. „Ich habe mich<br />

entsetzlich geschämt, habe es immer aufgeschoben und habe dann gedacht, es<br />

hätte dir gereicht. Mit so einem wie mir wolltest <strong>du</strong> nichts mehr zu tun haben,<br />

sonst hättest <strong>du</strong> dich ja auch gemeldet. Und ich war wütend auf mich selbst<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 16 von 27


und entsetzlich traurig.“ antwortete <strong>Mirko</strong>. Der Vorwurf des Vertrauensbruches<br />

also völlig unbegründet? Ich starrte ins Leere und sinnierte über den Stellenwert<br />

der Torheit, zu der Menschen in Beziehungsfragen fähig sind. Aber vielleicht<br />

war es ja auch das Schicksal, das es gewollt hatte, sonst sähe es für<br />

mich heute sicher anders aus. „Und bist immer noch beim Sender. Ich höre<br />

zwar nur selten Radio, aber dein Name kam da nicht mehr vor.“ erkundigte ich<br />

mich. Kurator sei er jetzt bei einem Museum. Das gefiele ihm hervorragend. Er<br />

habe mich immer beneidet. „Ich wäre so gern auch praktisch künstlerisch tätig<br />

gewesen. Doch das wurde mir alles schon in meiner Jugend ausgetrieben. Mein<br />

Klavierlehrer zum Beispiel war ein pädagogischer Rüpel, der mir immer nur sagen<br />

konnte wie schlecht ich sei. Bei meinen Malversuchen kam auch nicht viel<br />

herum. Vielleicht fehlte mir einfach nur das entsprechende Selbstwertgefühl,<br />

die Selbstsicherheit.“ erzählte <strong>Mirko</strong>. „Habe ich das denn gehabt?“ fragte ich<br />

mich laut selbst. „Nein, darum ging es gar nicht. Zumindest in Kindheit und Jugend<br />

nicht. Ich habe meine Fotos für mich gemacht, wie andere sie bewertet<br />

hätten, hat mich niemals interessiert. Später im Studium natürlich schon,<br />

Selbstbewusstsein als Kind habe ich im Kampf mit meiner Mutter trainiert.“<br />

erklärte ich und lachte. <strong>Mirko</strong> erzählte von seinem Museum, und dass er seinen<br />

Job für eine ideale Kombination aus Praxis und Theorie halte. Und warum er<br />

dann nicht eine Ausstellung mit den Bildern der begnadeten Künstlerin und<br />

Wissenschaftlerin Dr. Isa Hooger kuratiere, wollte ich von <strong>Mirko</strong> wissen. „Da<br />

brauchst <strong>du</strong> ein Thema, bei dem <strong>du</strong> viel von dir unterbringen kannst. Eine reine<br />

Indivi<strong>du</strong>alausstellung, die kannst <strong>du</strong> mit Edward Hopper machen, aber mit Dr.<br />

Isa Hooger zur Zeit noch nicht.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. Ich sollte mir sein Museum<br />

anschauen. Wir vereinbarten ein Wochenende. Bei der Verabschie<strong>du</strong>ng meinte<br />

<strong>Mirko</strong> beiläufig, dass ich aber auch wieder im Hotel übernachten müsse. Seine<br />

Wohnung sei ganz klein, er sei arm, müsse alles an seine Frau und die Kinder<br />

abliefern. Ich fragte noch, ob sie nicht mehr zusammen seien. Nein, sie hätten<br />

sich getrennt, erklärte <strong>Mirko</strong> lapidar, bevor er ging. Mir verschlug es die<br />

Sprache. Konnte man ihm also doch nicht trauen. Jetzt hatte er keine Frau<br />

mehr, und da war ich ihm eingefallen. 'Zufällig in der Nähe sein' alles nur Fake.<br />

Dass er böse wurde, weil ich nicht tat, <strong>was</strong> er sich vorgestellt hatte, gefiel mir<br />

damals schon überhaupt nicht. Jetzt war ihm offensichtlich eigefallen: „Nimm<br />

dir doch die Isa. Die ist doch auch nicht schlecht.“ Ich würde keinesfalls zu ihm<br />

nach Berlin fahren.<br />

Berlin Besuch<br />

Ich rief ihn an, um es ihm mitzuteilen und beschwerte mich. Im Nachhinein<br />

empfände ich sein Verhalten als demütigend. „Isa, wie kannst <strong>du</strong> nur? Das ist<br />

doch alles nicht wahr. Du hast es dir so ausgedacht, nur es ist fern jeder Wirklichkeit.<br />

Anscheinend ist aus unserem guten gegenseitigen Verstehen der<br />

Wunsch nach Missverständnissen geworden. Ich habe nicht davon gesprochen,<br />

weil ich dich mit meiner privaten Beziehungskrise nicht langweilen wollte. Ich<br />

wollte mich nicht bei dir ausweinen. Und wenn ich an Beziehungen zu einer<br />

Frau denken sollte, <strong>was</strong> ich zur Zeit nicht tue, kämst <strong>du</strong> dabei gar nicht in Betracht.<br />

Für mich bist <strong>du</strong> mit Sanne verbunden, und eventuell irgendwann mit<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 17 von 27


einer Nachfolgerin. Isa, las doch, bitte, das positive Bild von mir, das <strong>du</strong> hattest<br />

wieder leuchten. Wenn <strong>du</strong> so et<strong>was</strong> von mir vermutest, dann schmerzt<br />

mich das.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. Also doch nach Berlin fahren.<br />

Ganz stolz führte <strong>Mirko</strong> mir alles vor, als ob es sein persönlich erworbener Besitz<br />

sei. Mit ihm schauten wir uns die aktuelle Ausstellung an. Bilder aus einer<br />

Privatsammlung. Unschätzbare Werte wurden gezeigt. Sie zierten zwar sonst<br />

nicht ein Privathaus, sondern wurden als Dauerleihgaben in verschiedenen Museen<br />

gezeigt. Die Erben des Sammlers, waren an einem eigenen Museum oder<br />

der Gesamtunterbringung als Teil eines anderen Museums interessiert. Diese<br />

Ausstellung galt für sie daher auch als Test. Er müsse noch ein paar Kleinigkeiten<br />

klären, dann sei er frei. Ich solle mir doch solange im Shop oder im Café<br />

die Zeit vertreiben. Was wir tun wollten, wusste er gar nicht, darüber hatte er<br />

sich keine Gedanken gemacht. Wir steuerten einfach auf einen nahegelegenen<br />

Stadteilpark zu und gingen spazieren. Ob ich auch sehen wolle, wie er jetzt leben<br />

müsse, fragte er. „Nein, ich werde mir schon eine ordentliche Wohnung besorgen<br />

und kann sie auch bezahlen. Das jetzt war nur eine Unterkunftsmöglichkeit,<br />

die sich gerade anbot. Ich wusste ja auch noch nicht, wie viel ich abzugeben<br />

hatte. Ich will ja zahlen, mich keineswegs drücken, aber ich komme<br />

mir vor, als ob ich die Familie allein finanzierte. Warum Helen noch arbeitet,<br />

verstehe ich nicht. Wenn sie's nicht täte, bekäme sie ja sogar noch mehr.“ erzählte<br />

<strong>Mirko</strong>. „Und warum habt ihr euch getrennt?“ fragte ich. „Deinetwegen.“<br />

antwortete <strong>Mirko</strong> und lachte, „Nein, direkt hatte es überhaupt nichts mit dir zu<br />

tun, aber indirekt ganz gewiss.“ „Das musst <strong>du</strong> mir aber erklären, wieso ich<br />

deine Ehe zerstört haben soll.“ forderte ich <strong>Mirko</strong> auf. „Das ist ein wenig kompliziert<br />

und voll verstehe ich es selbst nicht. Bevor wir uns damals trafen, hatte<br />

ich das Bild von dem Fètenabend im Kopf und ein amouröses Verhältnis konnte<br />

ich mir schon vorstellen. Nach unseren ersten Sätzen waren derartige Gedanken<br />

bei mir aber verschwunden. Trotzdem war ich von dir fasziniert, nicht als<br />

potentielle Freundin, sondern als Mensch, wie <strong>du</strong> sagtest. Mein Interesse an dir<br />

und vor allem an unseren Gemeinsamkeiten nahm zu und hatte mich auch<br />

emotional tief erfasst. Man sagt ja, die Menschen seien nicht monogam. Sexuell<br />

trifft das sicher zu, aber im Bereich des Sozialen kann ich das nicht nachempfinden.<br />

Die Männer, die angeblich mehrere Frauen gleichzeitig lieben, kann<br />

ich nicht verstehen. Die Liebe zu jemandem dominiert mich doch emotional,<br />

und wenn das eine Frau ist, kann da nicht eine andere gleichzeitig sein. Bei dir<br />

war es ja gar nicht die Liebe zu einer anderen Frau, es war unser gemeinsames<br />

Handeln, <strong>was</strong> mich emotional dominierte. Natürlich hing es mit dir zusammen.<br />

Unsere Beziehung in unseren gemeinsamen Aktivitäten erfreute mich und ließ<br />

mich glücklich sein. Das war es, <strong>was</strong> mich primär emotional bewegte. Wenn <strong>du</strong><br />

mir et<strong>was</strong> am Telefon erzählt hattest, war ich glücklich.“ berichtete <strong>Mirko</strong>. „Und<br />

<strong>was</strong> hatte das mit deiner Frau zu tun?“ erkundigte ich mich. „Ja, wie gesagt,<br />

meine Glücksvorstellungen gehörten unserer Gemeinsamkeit, obwohl sie ja mit<br />

einer Mann/Frau Beziehung und Liebe nichts zu tun hatte. Dass <strong>du</strong> eine Frau<br />

geliebt hattest, und wie <strong>du</strong> es beschriebst, wahrscheinlich wieder tun würdest,<br />

das alles störte nicht im Geringsten. Dich als potentielle Freundin zu sehen,<br />

brauchte ich mir nicht verbieten, und trotzdem gehörte dir mein Herz. Die Beziehung<br />

zu Helen bewegte mich immer weniger und mir kam es vor, als ob,<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 18 von 27


ihre emotionale Bin<strong>du</strong>ng an mich auch immer schwächer wurde. Wahrscheinlich<br />

förderte es sich gegenseitig. Wir beide hatten schon längst nichts mehr<br />

miteinander zu tun, aber das Erlebte wirkte fort und war nicht einfach rückgängig<br />

zu machen. Unsere Gemeinsamkeit hatte mir ein anderes Lebensgefühl<br />

vermittelt und danach sehnte ich mich und nicht nach Helen. Großen Streit hat<br />

es zwischen Helen und mir nicht gegeben, es war einfach leer, da war nichts<br />

mehr. Und das sahen wir schließlich beide so. Bevor wir uns noch jahrelang<br />

quälten, wollten wir Schluss machen. So hat es sich abgespielt.“ erzählte <strong>Mirko</strong>.<br />

„Und hast <strong>du</strong> gefunden, wonach <strong>du</strong> dich sehnst?“ fragte ich grinsend. „Isa,<br />

das Schönste ist die Sehnsucht, wenn <strong>du</strong>'s erreicht hast, gibt es sie nicht<br />

mehr.“ erklärte <strong>Mirko</strong> und lachte. „Ich weiß es nicht, Isa. Aber tragen wir nicht<br />

alle irgendeine Form von Sehnsucht in uns, von der wir meistens gar nicht wissen,<br />

worauf sie sich bezieht? Sind deine Träume immer an Konkretem ausgerichtet?<br />

Schaust <strong>du</strong> nicht manchmal einfach in die Ferne, weißt nicht einmal,<br />

woran <strong>du</strong> denkst? Lustig bist da dann nicht, doch <strong>was</strong> <strong>du</strong> möchtest weißt <strong>du</strong><br />

auch nicht.“ meinte <strong>Mirko</strong>. Unsere Blicke trafen sich. Ich überlegte ob er Ähnliches<br />

bei mir gelesen haben könnte. Nein, es waren schon seine eigenen Gedanken.<br />

Zustimmung sollte ihm mein Lächeln zeigen.<br />

Was machen wir jetzt?<br />

Zum Abendessen hatte ich den armen <strong>Mirko</strong> zu mir ins Hotelrestaurant eingeladen.<br />

Er konnte aber auch trinken, weil der arme <strong>Mirko</strong> mit dem Taxi nach<br />

Hause fuhr. Wir wollten uns einen Wein aussuchen, der uns gut gefiel, auch<br />

wenn er nicht ganz billig war. Es war nicht erst der Wein, der unsere Zungen<br />

löste, ich hatte Lust, einen schönen Abend zu verbringen und mich zu freuen.<br />

Warum? Mir war danach. Worauf wir diesen teuren Wein tranken, wussten wir<br />

zunächst nicht. Wir schlugen alles vor und entschieden dann, ob es des Weines<br />

würdig sei. Mein Doktortitel und <strong>Mirko</strong>s Kurator waren es allemal, aber es gab<br />

auch eine Reihe von Petitessen, die wir zwar vorschlugen, aber gar nicht damit<br />

rechneten, dass sie als würdig genug hätten angesehen werden können. Wir<br />

sagten es nur, um Spaß damit zu haben. Wir hatten Lust daran, und freuten<br />

uns, den anderen zum Lachen zu bringen. Nach zwei Flaschen Wein erklärte<br />

ich: „Herr Schneider, ich bin leider völlig beschwipst. Ihre Gesellschaft werde<br />

ich jetzt verlassen und die meines Bettes suchen.“ Langer Abschied. Wahrscheinlich<br />

gefiel mir die Umarmung so gut, weil ich mich dabei an <strong>Mirko</strong> abstützen<br />

konnte. Am Sonntag besuchte ich <strong>Mirko</strong> nochmal im Museum. Ich saß<br />

ihm in seinem Büro am Schreibtisch gegenüber. „Und, <strong>was</strong> machen wir jetzt?“<br />

fragte ich lächelnd provokant. „Eine Ausstellung, <strong>was</strong> sonst.“ lautete <strong>Mirko</strong>s Reaktion.<br />

„Ich mache keine Ausstellungen mehr. Das lohnt sich nicht.“ ich darauf.<br />

„Was ist denn eigentlich mit deiner Dissertation? Du musstest sie doch veröffentlichen,<br />

wird die denn verkauft?“ fragte <strong>Mirko</strong>. „Du kannst sie kostenlos bei<br />

mir herunterladen und in UBs kannst <strong>du</strong> sie ausleihen, warum sollte man sie<br />

kaufen?“ erklärte ich. „Wahrscheinlich ist sie auch für den Durchschnittsleser<br />

unleserlich oder erweckt zumindest keinen Anreiz, sie zu lesen.“ meinte <strong>Mirko</strong>.<br />

„Halt dich, bitte, ein bisschen zurück und ließ sie erst mal.“ scherzte ich. Das<br />

wollte er tun und sich dann melden. Die Verabschie<strong>du</strong>ng gestaltete sich sehr<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 19 von 27


herzlich und ich konnte nicht umhin, ihm lächelnd über sein Wänglein zu streicheln.<br />

Ich war glücklich auf der Rückfahrt. Der Besuch bei <strong>Mirko</strong> stimmte mich freudig.<br />

Er hatte das für sich benannt, <strong>was</strong> ich auch empfunden hatte, mir nur<br />

nicht so direkt eingestehen wollte. In der Zeit mit <strong>Mirko</strong> damals hatte ich mich<br />

als glücklicher empfunden, obwohl er ja nicht mein Freund, geschweige denn<br />

mein Liebster war. Wir hatten es nicht erklärt und wollten es auch nicht, aber<br />

die Praxis unserer Beziehung trug viele Züge davon. Doch <strong>was</strong> sollten die Gedanken<br />

jetzt. Ich brauchte das nicht mehr und wollte es nicht aufwärmen. Meine<br />

Tage waren glücklich so, und dabei sollte es bleiben.<br />

Dem Braten in die Seele schauen<br />

Nach einigen Tagen rief <strong>Mirko</strong> an und entschuldigte sich, dass es so lange gedauert<br />

habe. „Isa, das kann man ja nicht in einer Stunde mal eben überfliegen,<br />

<strong>was</strong> <strong>du</strong> geschrieben hast. Ich habe immer nur gestaunt. Dass es in UBs vergilbt,<br />

dafür ist es eindeutig zu schade, nur welcher Rechtsanwalt oder Studienrat<br />

wird sich schon so damit quälen wollen. Ich bin kein Lektor, aber ich habe<br />

doch schon manches Buch rezensiert. Völlig klar ist es mir auch nicht, wie genau<br />

man deine Dissertation gut lesbar und so attraktiv gestalten müsste, dass<br />

man sie einem angesehenen Verlag anbieten könnte. Wir müssten uns mal gemeinsam<br />

Gedanken darüber machen.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. Ach, <strong>Mirko</strong>! Du solltest<br />

sie doch nur lesen und mir sagen, dass sie gut wäre. Allerdings, sie als Buch in<br />

den Buchhandlungen stehen zu sehen und sie vielleicht sogar in einer Kultursen<strong>du</strong>ng<br />

besprochen hören, verführerisch war das schon. Aber war das überhaupt<br />

realistisch? Und vor allem wäre es dann nicht mit <strong>Mirko</strong> vorbei gewesen.<br />

Ich würde wieder zwangsläufig mehr mit ihm zu tun haben müssen. Das alles<br />

lief mir schnellstens <strong>du</strong>rch die Gedanken. Entschieden hatte ich mich im Grunde<br />

nicht, sagte aber: „Wo sollen wir uns treffen? Schlag et<strong>was</strong> vor.“ Er könne<br />

am Wochenende schlecht fort, dafür aber in der Regel montags. Er wollte also<br />

am Sonntagabend anreisen, und am Montag sollten wir mit unserer Besprechung<br />

beginnen.<br />

„Hat sie dir einen Erkenntnisgewinn gebracht?“ fragte ich <strong>Mirko</strong> zu meiner Dissertation.<br />

„Und ob.“ meinte er, „Man ließt das Dr., na ja, wer hat das nicht<br />

schon. Das all die Feld-, Wald- und Wiesenärzte es haben ist eine Schande.<br />

Was sind das schon für Wissenschaftler? Aber <strong>was</strong> <strong>du</strong> geschrieben hast, sollte<br />

eigentlich jeder wissen, der sich eine Fotografie, nein ein Bild anschaut. Alles<br />

nur voll ausgebildete Berufsbetrachter hätten wir dann. Es ist eine wundervolle<br />

Grundlage zur Geschichte und zur Soziologie der visuellen Wahrnehmung und<br />

Darstellung. Und dann dieses Bild des Menschen in der heutigen technologisierten<br />

Gesellschaft und wie er sich darstellt und gesehen werden will. Es ist<br />

auch keineswegs alles nur schwer verständlich. Manche Sätze fand ich wundervoll.<br />

Man könnte sie direkt als Aphorismen bezeichnen. Ja, Isa, ich bin begeistert.“<br />

„Ich muss mal eben beim Ofen nachschauen, ich habe uns nämlich eine<br />

Quiche gemacht. Ja,“ sagte ich <strong>Mirko</strong> fixierend in gefasst ernstem Ton, „<strong>du</strong><br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 20 von 27


siehst dich auch einer begnadeten Cuisinière gegenüber.“ und lachte los. „Das<br />

Gegenteil ist der Fall. Nix kann ich. Nur die Quiche bekomme ich hin.“ erklärte<br />

ich. „Und <strong>was</strong> machst <strong>du</strong> dann mit den ganzen Kochbüchern?“ fragte <strong>Mirko</strong>, der<br />

mir in die Küche gefolgt war. „Die sind von Sanne. Statt der Bücher hätte sie<br />

mir lieber ein wenig von ihren Künsten vermitteln sollen. Ich habe auch nichts<br />

von ihr gelernt Die zauberte mit den Gewürzen in einer anderen Liga als die<br />

herkömmlichen Essenszubereiter. Sie lebte darin, konnte, glaube ich, dem Braten<br />

in die Seele schauen.“ erklärte ich. „Wie bei Leuten mit dem grünen Daumen,<br />

die Planzen verstehen können und mit ihnen sprechen.“ ergänzte <strong>Mirko</strong>.<br />

„Du musst dich völlig darauf einlassen, dich ganz hinein vertiefen. Aber intensive<br />

Anstrengung und starkes Wollen reichen alleine, glaube ich, trotzdem nicht.<br />

Es muss auch ein Gespür, ein Feeling dafür vorhanden sein, wenn <strong>du</strong> mehr sehen<br />

und erkennen <strong>willst</strong> als andere.“ erklärte ich. „Wie beim Fotografieren zum<br />

Beispiel.“ erläuterte <strong>Mirko</strong>, „Und mit anderen Menschen, wie sieht es da aus?<br />

Anstrengung, Wollen und Gespür verleihen dir die Fähigkeit, den anderen tief<br />

zu erkennen, dich in ihn hinein zu denken?“ wollte <strong>Mirko</strong> schelmisch wissen<br />

und ich lachte auch. „<strong>Mirko</strong>, den Wein habe ich vergessen, eine Sekunde. Beim<br />

Menschen wird es noch tausendmal komplizierter sein, obwohl wir alle täglich<br />

es gebrauchen. Zur Kommunikation gehört viel mehr als einfühlsames Sichaufeinander-einlassen.<br />

Hunderte von kleinen Beigaben und Adjuvanzien aus<br />

Denken, Wissen, Emotionen und Erfahrung mischen bei jedem mit. Da<br />

brauchst <strong>du</strong> dich nicht zu wundern, wenn <strong>du</strong> mit deinen Eischätzungen,<br />

Ansichten und der Erklärung deiner Emotionen oft völlig daneben liegst.“<br />

lautete mein Kommentar. „Aha, das ist sehr abstrakt. Kannst <strong>du</strong> das auch mal<br />

konkretisieren? Am Beispiel unserer Beziehung vielleicht?“ bat <strong>Mirko</strong><br />

schelmisch. „Nein, <strong>Mirko</strong>, das geht nicht. Das ist so wie es ist. Ich schau dir in<br />

die Seele wie Sanne dem Braten. Das muss dir reichen, oder ist dein<br />

Wissensdrang damit nicht gestillt?“ erklärte ich. <strong>Mirko</strong> schmunzelte und sein<br />

Blick bot mehrere Interpretationsmöglichkeiten, liebevoll waren sie aber alle.<br />

Pfannkuchen<br />

„Ich möchte immer mit dir frühstücken, Isa.“ sagte <strong>Mirko</strong> und ich wartete gespannt<br />

auf weitere Erläuterungen. „Du kannst sagen, <strong>was</strong> <strong>du</strong> <strong>willst</strong>, so empfinde<br />

ich es eben. Es ist ein wundervoller Tagesbeginn. Als erstes deine Stimme<br />

hören, mit dir gemeinsam am Tisch sitzen, zusammen den Kaffee trinken, die<br />

ersten Worte miteinander wechseln. Es ist ein schönes Erlebnis. Was könnte ich<br />

mir mehr wünschen, als dass jeder Tag damit beginnen möge.“ Der Liebe.<br />

„<strong>Mirko</strong>, ich empfinde es auch sehr angenehm, vor allem angenehmer als allein<br />

am Frühstückstisch zu sitzen. Wir wollen es genießen, wenn es sich ergibt.<br />

Weitere Träumereien tun uns beiden nicht gut.“ meinte ich dazu. Dann beschäftigten<br />

wir uns mit dem Buch in spe. „Pfannkuchen kann ich auch. Soll ich<br />

den machen, oder möchtest <strong>du</strong> doch lieber essen gehen?“ fragte ich zum Mittag.<br />

<strong>Mirko</strong> lachte. „Was könnte es Köstlicheres geben als Isas selbstgebackenen<br />

Pfannkuchen?“ meinte er. Wir wollten es zusammen machen. „Ich bin kein<br />

begnadeter Kochkünstler, wie Sanne vielleicht, und für deine Quiche brauchte<br />

ich auch ein Rezept, aber sonst bekomme ich schon einiges auf die Reihe.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 21 von 27


Sonntags habe ich zum Beispiel immer gekocht. Helen war auch keine begeisterte<br />

Köchin.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. „Ich möchte schon ganz gerne Kochen können.<br />

Deine Fee müsste mit mit dem Finger schnippsen, und dann könnte sie es,<br />

aber leider liegt davor so vieles, <strong>was</strong> mir nicht behagt.“ meinte ich. „Die Mühen<br />

der Ebenen.“ kommentierte <strong>Mirko</strong>. „Nein, <strong>Mirko</strong>, das passt nicht. Die kommen,<br />

wenn <strong>du</strong> die Mühen der Gebirge überwunden hast.“ korrigierte ich ihn. „Die haben<br />

wir vorher mit deiner Arbeit.“ meinte <strong>Mirko</strong>. „Also alles nur Mühen? Vorher<br />

mit der Arbeit und dann mit dem Essen? Das mag ich aber nicht. Mir gefällt<br />

beides.“ erklärte ich lächelnd. <strong>Mirko</strong> schmunzelte und der erste Pfannkuchen<br />

war fertig.<br />

Das Buch<br />

Wir hatten uns schon einige Vorstellungen zur Grundstruktur und den generellen<br />

Veränderungserfordernissen überlegt, da meinte <strong>Mirko</strong>, dass es eigentlich<br />

doch ganz sinnvoll wäre, wenn wir die Vorstellungen der Verlage kennen würden.<br />

Drei Verlage, die derartige Bücher veröffentlichen könnten, kamen in Betracht.<br />

Ich wollte mich darum kümmern, rief an und bat um einen Termin. Am<br />

Telefon musste ich näher erläutern, worum es sich bei dem Buch handeln solle.<br />

Dann erhielt ich den gewünschten Termin. Der Verlagsleiter blätterte kurz<br />

<strong>du</strong>rch, und ich erklärte, worum es mir ginge. Er schickte mich zum Cheflektor,<br />

der könne mir nähere Hinweise geben. Herr Schellhove schaute sich das<br />

Inhaltsverzeichnis an und hielt mir dann einen langen Vortrag. Er hatte<br />

offensichtlich seine eigenen Vorstellungen von fotografischer Kunst. „Herr<br />

Schellhove,“ unterbrach ich ihn, „Ich möchte meine Arbeit veröffentlichen. Ich<br />

bin bereit sie völlig zu überarbeiten, aber ein anderes Buch wollte ich nicht<br />

verfassen. Schreiben sie ihre Vorstellungen auf und veröffentlichen sie die<br />

dann selbst.“ Damit war unser Gespräch beendet. Ich wollte mich vom Chef<br />

verabschieden, und er bat mich noch mal rein. „Sie haben sich nicht gut<br />

verstanden, das ist schade.“ sagte er. Ich erläuterte ihm, <strong>was</strong> sich abgespielt<br />

hatte. „Ach wo, sie sollen selbstverständlich keine andere Arbeit schreiben.<br />

Frau Dr. Hooger, sie schaffen das doch allein. Ich gebe ihnen mal zwei Bücher<br />

mit, an denen sie unsere Struktur erkennen können, und von einem kann ich<br />

ihnen sogar die Kopie des Manuskriptes überlassen. Reichen sie's einfach ein,<br />

wenn sie so weit sind. Zusagen kann ich ihnen jetzt natürlich noch nicht<br />

machen und bevor wir et<strong>was</strong> tun, müssen wir auch sicher sein, dass sie es<br />

nicht gleichzeitig einem anderen Verlag angeboten haben.“ erklärt der<br />

Verlagsleiter, bevor wir uns verabschieden. Jetzt musste alles in ein anderes<br />

Schriftsystem übertragen werden. <strong>Mirko</strong> hatte es im Museum und brachte es<br />

am nächsten Montag mit. Wir schauten uns das Skript an und so wollten wir<br />

meine Arbeit gestalten. Jetzt konnte ich mit dem Schreiben beginnen. Die<br />

ersten Tage waren qualvoll. Ich musste mich an das neue Schreibsystem<br />

gewöhnen, und zu entscheiden, wo ich <strong>was</strong> fürs Publikum umformulieren<br />

musste, fiel mir nicht leicht. <strong>Mirko</strong> kam immer Montags zum Korrektur lesen<br />

und wir suchten gemeinsam nach griffigen Überschriften. Zwischen<br />

Kapitelüberschrift und Text hatten wir immer einen Sinnspruch untergebracht.<br />

Jeden Sonntag kam er und fuhr Montagsabends wieder nach Berlin. Ein netter<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 22 von 27


Sonntagabend und ein arbeitsreicher Montag. Wir beide zusammen, jede<br />

Woche. Ein altes Ehepaar oder eher Bruder und Schwester? Würden wir<br />

überhaupt wieder aufhören können, gemeinsam zu arbeiten, wenn das Buch<br />

fertig wäre? Wahrscheinlich käme <strong>Mirko</strong> auch weiterhin Sonntagsabends und<br />

zu meinem Leben gehörte es auch dazu. Ich ging gern am Mittwoch zur Uni,<br />

aber die Arbeit mit <strong>Mirko</strong> war von anderer Qualität und hatte einen anderen<br />

sinnlichen Gehalt. Mit zwei Kindern, die sich in den gemeinsamen Bau einer<br />

Burg aus Spielklötzchen vertieft haben, war es eher zu vergleichen,<br />

konzentriert mit selbstverständlichem tiefsten Vertrauen in den anderen. Es<br />

würde ja mein Buch sein, für das er arbeitete, aber der Gedanke kam nicht auf.<br />

Es war unser Projekt, für das er alles selbstverständlich auf sich nahm.<br />

Nach etwa dreiviertel Jahr waren wir fertig und mit unserer Arbeit zufrieden.<br />

Jeder Kunstbeflissene, zumindest jeder Fotograf müsse diese Buch besitzen,<br />

meinten wir. Wenn der Verlag es ablehnen sollte, könnten wir es gut anderen<br />

anbieten. Aber das brauchten wir nicht. Es sollte veröffentlicht werden, nur<br />

musste ich noch zu einigen Besprechungen mit der jetzt zuständigen Lektorin.<br />

Zur Leipziger Buchmesse erschien es und prangte in den Regalen. Eine Lesung<br />

mit Diskussion hatte ich, auf die 3sat Couch kam ich natürlich nicht. Arte hätte<br />

mein Buch doch wenigstens mal erwähnen können, aber auch da Fehlanzeige.<br />

Dafür erhielt es in allen Fotografie und Design Zeitschriften positive Erwähnung.<br />

Das Buch begann sich zu verkaufen.<br />

Feier mit <strong>Mirko</strong><br />

Jetzt mussten wir auch bei uns feiern. Natürlich sollte es eine große Fète mit<br />

allen Freunden und Bekannten geben, aber ich musste auch eine Abschlussfeier<br />

mit <strong>Mirko</strong> machen. Das ging nicht am Montag, dazu musste er sich schon<br />

ein Wochenende frei nehmen. Wir tanzten und waren glücklich. „<strong>Mirko</strong>, wir haben<br />

nie über Liebe und Beziehung gesprochen. Wir haben es uns verboten,<br />

aber es gibt niemanden, dem ich mich so nah fühle wie dir, und mit dem ich so<br />

tief verbunden bin. Ich denke, für dich ist es nicht anders. Wir haben gearbeitet<br />

und gelebt, als wenn wir selbstverständlich zusammengehörten und ich<br />

glaube, so ist es auch. Du bist ein Teil von mir geworden, von meiner Welt, von<br />

meinen Empfin<strong>du</strong>ngen. Wie sollte ich mich ohne dich erklären. Manches hat<br />

sich bei uns ritualisiert. Wir haben da<strong>du</strong>rch, dass wir unsere Gefühle für einander<br />

nicht benennen <strong>du</strong>rften, sie vielleicht gar nicht mehr erkannt. Übel, nicht<br />

wahr? Dass so et<strong>was</strong> nicht richtig sein kann, weißt <strong>du</strong> ja schließlich auch. Lass<br />

uns doch offen und wahrhaftig sein. Mich drängt es, dir sagen zu dürfen, <strong>was</strong><br />

ich für dich empfinde, und nichts erwarte ich so sehr als deine Worte. Das ist<br />

die Vorstellung von dem, <strong>was</strong> ich mir wünsche.“ erklärte ich <strong>Mirko</strong>. Seine Lippen<br />

formten ein leicht verlegenes Lächeln, aber seine Augen starrten mich an,<br />

als ob er gerade eine Erscheinung hätte. <strong>Mirko</strong> sagte nichts, sondern starrte<br />

nur. Bestimmt konnte er nicht so schnell entwirren, <strong>was</strong> in seinem Kopf alles<br />

<strong>du</strong>rcheinander raste. Wir hatten uns immer in unserem erprobten Verhaltensspektrum<br />

bewegt, jetzt plötzlich sollte <strong>du</strong>rch wenige Worte von mir alles anders<br />

werden. Er sollte nicht nur offen sagen dürfen, <strong>was</strong> er empfand, er hatte<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 23 von 27


es ja nie zu empfinden gewagt, zumindest hatte es sein Bewusstsein nicht erreicht.<br />

Er blickte nur und sinnierte. „<strong>Mirko</strong>, wo bist <strong>du</strong>?“ versuchte ich ihn zu<br />

wecken. „Isa, <strong>was</strong> <strong>du</strong> gesagt hast,“ begann er, und seine Augen befeuchteten<br />

sich, „berührt mich so tief, dass ich gar nicht sprechen kann. Nimm mich doch<br />

einfach mal in den Arm.“ „<strong>Mirko</strong>, mein Liebster.“ sagte ich, um es einfach mal<br />

ausgesprochen zu haben und es mich sagen zu hören. Er schaute auf und lächelte.<br />

Unsere Gesichter waren ganz dicht voreinander. Unser Innerstes verstand,<br />

<strong>was</strong> unsere Augen uns sagten und wir fielen uns um den Hals. Wir lösten<br />

uns und betasteten das Gesicht des anderen, das wir so oft und intensiv<br />

betrachtet, aber nie berührend erkundet hatten. Neue Liebe war es ja im Grunde<br />

nicht, wir hatten sie uns nur eingestanden, benannt und <strong>du</strong>rften sie jetzt<br />

praktizieren. Trotzdem erschien es uns wie ein Wunder. Nach unserem Handeln<br />

mussten wir füreinander Fabelwesen sein, zumindest aber kostbarste Edelsteine,<br />

die wir nur staunend sanft befühlen <strong>du</strong>rften. Die Zeit der Verdrängung und<br />

Verleugnung war beendet als ob sich uns das Tor einer Schatzkammer oder<br />

vielleicht sogar zum Paradies geöffnet hätte. Wir hatten uns ja gegenseitig<br />

stets erlebt, nur alle Zärtlichkeiten galt es jetzt noch nachzuholen. Und selbstverständlich<br />

auch, wie Liebe sich im Wort vermitteln kann. Das hatte aber vorher<br />

auch nicht ganz gefehlt, nur war die Botschaft stets verschlüsselt.<br />

Gemeinsame Nacht<br />

Ob eine Nacht dafür ausreichen würde? Wohl kaum. „Ich würde gern mit dir<br />

die Nacht verbringen, aber mit Sex das möchte ich noch nicht. Da kenne ich<br />

mich nicht, da bin ich nicht so weit.“ erklärte ich. <strong>Mirko</strong> war erstaunt, dass ich<br />

überhaupt mit ihm ins Bett gehen wolle. Sex, so et<strong>was</strong> Unbedeutendes. „<strong>Mirko</strong>,<br />

mein ganzer Mensch liebt dich, nicht nur mein Herz oder meine Seele. Die gibt’s<br />

nicht losgelöst von mir.“ erklärte ich ihm. Ich war selig, empfand mich befreit.<br />

Jetzt kam es mir wie eine Fessel vor, die ständig unser Zusammensein<br />

beengt hatte. Weil meine Ratio mir erklärt hatte, wie es sein und nicht sein<br />

dürfe, hatte ich meine Emotionen geleugnet und an die Kette zu legen versucht.<br />

Wir lagen im Bett, lachten, schmusten und kitzelten uns wie die Kinder.<br />

Ganz vorsichtig waren wir, wollten keinesfalls et<strong>was</strong> tun, <strong>was</strong> dem anderen<br />

eventuell nicht behagen oder sein Befremden erregen könnte. „<strong>Mirko</strong>, ich muss<br />

noch et<strong>was</strong> ganz Ernstes klären, sonst bin ich nicht völlig frei.“ sagte ich, „Vergessen<br />

wollte ich es, weil es schon so lange her ist und auch nie mehr wieder<br />

vorkam, aber es geht nicht weg, bevor ich nicht mit dir darüber gesprochen<br />

habe. Ich hätte es längst klären sollen, doch nie schien mir der Zeitpunkt geeignet,<br />

aber zu unserer Liebe möchte ich mein Rätsel gelöst haben. In unserem<br />

letzten hässlichen Gespräch damals hast <strong>du</strong> dir meinen Kopf zerbrochen<br />

und mir gesagt, <strong>was</strong> ich zu tun und zu denken hätte. So hatte ich dich nie erlebt<br />

und wenn ich es erleben sollte, ich könnt' es nicht ertragen.“ „Ja, Isa, <strong>du</strong><br />

hast völlig Recht. Verrückt gewesen sein muss ich an diesem Tag. So war ich<br />

nicht und bin ich nicht. Ich habe mich für mein eigenes Verhalten vor mir<br />

selbst geschämt. Auch wenn ich sehr enttäuscht war, dich als die Gewinnerin<br />

aller Preise gesehen hatte, und <strong>du</strong> sagtest 'nein', ist meine Reaktion mit nichts<br />

zu entschuldigen. Du brauchst keine Angst zu haben, Isa, ich werd' mir nie-<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 24 von 27


mals anmaßen, zu wissen <strong>was</strong> für dich das Beste sei. So wirst <strong>du</strong> mich auf keinen<br />

Fall wieder erleben, meine allerliebste Isa. Verzeih mir nochmal nach den<br />

vielen Jahren.“ erklärte <strong>Mirko</strong> und wir hielten uns ganz lang umarmt. Konnte es<br />

et<strong>was</strong> Aufregenderes geben, als gemeinsam mit <strong>Mirko</strong> im Bett zu liegen? Wie<br />

sollte da Müdigkeit aufkommen. Morpheus Arme konnten uns in dieser Nacht<br />

nicht erreichen. Sich Drücken, Streicheln und Betasten, die Haut des anderen<br />

spüren und sie küssen, Ekstasen der Sinnlichkeit, gierig schienen wir danach<br />

und suchten dies Erlebnis immer und immer wieder. Tiefstes Verlangen schien<br />

sich zu erfüllen, als ob wir jahrelang darauf gewartet hätten, es selbst nur<br />

nicht wussten. Körperliche Lust, die war es sicher, doch es ergriff uns auch, als<br />

ob wir unsere Liebe in anderer Form, noch stärker, näher, umfänglicher erlebten.<br />

Mein Bewusstsein war nicht nur <strong>du</strong>mm bezüglich meiner Emotionen, ihm<br />

schienen auch jegliche Informationen darüber zu fehlen, <strong>was</strong> mein Körper wollte.<br />

In der Morgendämmerung schliefen wir doch miteinander. Ich wollte einfach<br />

und konnte nicht verstehen, wieso.<br />

Ruf der Liebe<br />

<strong>Mirko</strong> war als erster wach geworden, kam wieder zu mir ins Bett und flüsterte<br />

mir mich weckend ins Ohr, das Frühstück sei fertig. Ich zog ihn wieder ins Bett.<br />

Die Nacht, ich wollte sie nochmal erleben. Wie schade, dass es so et<strong>was</strong> nicht<br />

gibt. Wie gern hätt' ich die Uhr nochmal zurück gestellt. „Was machen wir denn<br />

jetzt, <strong>Mirko</strong>?“ fragte ich einfach mal. „Ich weiß es auch nicht, Isa. Natürlich<br />

möcht' ich immer bei dir sein. Dann müsste ich meinen Job aufgeben, und für<br />

dich sieht es ja nicht anders aus. Es geht nicht. Die Welt will unsere Liebe<br />

nicht.“ äußerte sich <strong>Mirko</strong>. „Das haben schon viele gedacht und sich deshalb<br />

umgebracht. Ich erwarte von dir, dass <strong>du</strong> dich im Landwehrkanal ersäufst, weil<br />

deine Geliebte, ach, so fern von dir für dich nicht zu erreichen ist. <strong>Mirko</strong>, die<br />

Welt will Liebe, Liebe, Liebe und alles andre folgt dem nach. Auch von dir erwartet<br />

sie, dass <strong>du</strong> dem Ruf der Liebe folgst.“ war meine Reaktion. „Soll ich<br />

dann hier eine Galerie mit einer Dauerausstellung deiner Bilder aufmachen?“<br />

wollte <strong>Mirko</strong> von mir wissen. „Die Liebe ruft uns nur zusammen, an welchem<br />

Ort, das sagt sie nicht dabei. Den dürfen wir uns selbst wählen, doch dabei<br />

nicht übersehen, dass die Liebe das Entscheidende ist und nicht andere Kriterien.<br />

Wir werden in Ruhe darüber nachzudenken haben.“ meinte ich. Nach unserer<br />

Liebesnacht wollte ich gern im Bett frühstücken, doch es war schon alles<br />

wieder kalt geworden. Außerdem war der Mittag schon vorbei. Ich stand auf,<br />

und wir wollten uns mit diversen Gerichten so et<strong>was</strong> wie einen Brunch zusammenbrutzeln.<br />

Meine Pfannkuchen gab's natürlich auch. So et<strong>was</strong> Verrücktes,<br />

ich hatte <strong>Mirko</strong> doch die ganze Zeit geliebt, aber jetzt schien ich frisch verliebt<br />

zu sein. Wollte tanzen, singen, jubilieren. Als wir das Buch erstellten, habe ich<br />

mich immer sehr darauf gefreut, dass <strong>Mirko</strong> kam. Jetzt war ich verrückt. Über<br />

mein Bedürfnis nach idiotischen kindlichen Verhaltensweisen konnte ich selbst<br />

nur staunen und lachen. Dieses andauernde leichte Hochgefühl, das nur Liebe<br />

dir schenken kann, hatte mich erst jetzt erreicht, nachdem wir uns unsere Liebe<br />

auch offiziell erklärt hatten.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 25 von 27


Neue Heimat Berlin<br />

Die Liebe rief mich auf die Dauer nach Berlin. Et<strong>was</strong> Vergleichbares zu <strong>Mirko</strong>s<br />

Beschäftigung als Kurator wäre hier auf absehbare Zeit nicht zu finden. Für<br />

mich würden sich allerdings auch nicht alle Blütenträume gleich erfüllen. Durch<br />

intensive Vermittlung war es mir schließlich doch gelungen, die Zusage für ein<br />

Seminar an der HDK zu erhalten. Meine soziologischen Bezüge hatten den Ausschlag<br />

gegeben. Letztendlich beruhte das auf Giselle Freunds Impetus. Ihr hatte<br />

ich so vieles zu verdanken. Allerdings vorläufig nur für ein Semester. Trotzdem<br />

war ich stolz. Für mein Studio brauchte ich professionelle Beratung, sonst<br />

hätte ich in Berlin keine Chance. Ich war jetzt öfter in Berlin und <strong>Mirko</strong> hatte<br />

natürlich längst eine passable Wohnung. Mein Herz war gerettet worden, ohne<br />

dass es nach Hilfe gerufen hatte. Aber vielleicht hatte ich es ja auch selbst<br />

nicht gehört. Die Rufe nach Liebe sind schon intensiv aber meistens nicht sehr<br />

laut und dein Bewusstsein ist oft zu stupide, sie wahrzunehmen und richtig<br />

verstehen zu können. Die Frage, wer wen zum Frühstück ruft, muss allerdings<br />

offen bleiben, weil wir uns meistens gegenseitig wecken, keiner aufstehen will<br />

und wir mit Dringenderem beschäftigt sind, als den Frühstückstisch zu decken.<br />

FIN<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 26 von 27


Es gibt nichts Schöneres, als geliebt zu werden, geliebt<br />

um seiner selbst willen oder vielmehr trotz seiner selbst.<br />

Victor Hugo<br />

Isa ist studierte Fotodesignerin, arbeitet aber meistens wie eine schlichte<br />

Fotografin. Im Radio hört sie den Namen eines Kulturredakteurs, mit dem sie<br />

als Studentin eine wundervolle Nacht erlebte. Sie ruft ihn an. Bloß zum Spaß.<br />

Trifft sich aber mit ihm. Meine eigenen Bilder kannte ja niemand. Sie sind ein<br />

Trost für mich selbst, ich erzähle mich in ihnen, meine eigene Welt, und<br />

versuche mich in den Fotografien zu erkennen. In eine wundervolle Welt war<br />

ich geboren. Meine Eltern waren in die Jahre gekommene Yuppies. Ich wüsste<br />

nicht, dass ich ihr extrovertiertes, aufgeblasenes Leben je geliebt hätte. Auch<br />

meine Mutter liebte ich nicht, ich sah sie viel zu selten, und in der Pubertät<br />

begann ich sie zu hassen. Meine eigene, eine gehaltvollere, tiefere Welt wollte<br />

ich mir schaffen. Verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, in der Natur<br />

oder bei meiner Freundin und hielt mich gleichzeitig an meiner Kamera fest.<br />

Sie ließ mich mit der Welt auf meine Art kommunizieren.<br />

„Was soll das, <strong>Mirko</strong>? Warum tust <strong>du</strong> das? Es ist nicht mehr vor zwanzig Jahren<br />

und wir tanzen auch nicht mehr weiter. Nicht nur die Welt um uns ist eine<br />

andere geworden, auch unsere eigenen Welten sind andere, als sie es damals<br />

waren. Es kann heute nichts geben, <strong>was</strong> deine Frau nicht wissen dürfte.“ sagte<br />

ich. „Du hast schon Recht, Isa. Meine Welt ist bei meiner Frau und ihr gehört<br />

mein Herz. Als <strong>du</strong> anriefst, merkte ich jedoch, dass es so nicht ganz stimmt.<br />

Das Empfinden, <strong>was</strong> <strong>du</strong> in mir geweckt hast, lässt sich nicht vergessen wie ein<br />

belangloses Ereignis. An die meisten Feiern und Partys werde ich mich nicht<br />

mehr erinnern, aber am Abend des 30. April fällst <strong>du</strong> mir fast jedes mal ein. Es<br />

klingt lächerlich, aber <strong>du</strong> warst eine Nacht die Fee für mich. Den Platz hast <strong>du</strong><br />

in meinen Emotionen und Träumen.“ erklärte <strong>Mirko</strong>. „Ich will dich nicht aus<br />

deinen Träumen reißen, <strong>Mirko</strong>, doch es war ein Abend, und der ist zu Ende, seit<br />

fast zwanzig Jahren. Das wirst <strong>du</strong> auch in deinen Träumen nicht übersehen<br />

können. Ich denke eher, <strong>du</strong> träumst von et<strong>was</strong>, das es niemals gab.“ meinte<br />

ich. „Das kann schon sein.“ räumte <strong>Mirko</strong> ein, „Was immer <strong>du</strong> im andern<br />

siehst, sind letztlich doch nur deine Bilder. Aber <strong>du</strong> hast es wachgerufen, hast<br />

dies Bild in mir angesprochen, ein Bild, das ich bislang nicht kannte und es<br />

gehört bis heute zum Schönsten, <strong>was</strong> ich denken kann.“ <strong>Mirko</strong> ganz<br />

vergessen? Das ging nicht, auch wenn Isa es manchmal wünschte. Turbulent<br />

entwickelte sich die Beziehung für beide. Letztendlich gab es für Isa die ihr<br />

zustehende Anerkennung und et<strong>was</strong>, das ihr noch mehr bedeutete.<br />

<strong>Mirko</strong>, <strong>was</strong> <strong>willst</strong> <strong>du</strong>? – Seite 27 von 27

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