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Sehnsucht nach Sarahs Augen

„Wenn sie dann völlig abweisend gewesen wären, hätte sich ja alles geklärt. Aber so haben sie ja nicht reagiert.“ erläuterte Herr Heinrichs mir. „Ich habe mich auch hinterher gefragt, warum ich das nicht getan habe. Das wäre meine übliche Reaktion gewesen. Ich brauche und suche nämlich gar keinen Mann, und so etwas sind sie ja offensichtlich. Aber sie sind ein sympathischer Mann, auch wenn sie vorhaben ihre Frau zu betrügen. Vielleicht ist das ja auch so eine männliche Macke, dass man seine Frau wenigstens einmal betrogen haben muss.“ antwortete ich ihm. „Mögen sie Männer wegen ihrer der von ihnen so bezeichneten 'männlichen Macken' nicht? Aber ich plane auch nicht meine Frau zu betrügen, ich habe nur versucht, ihnen möglichst offen zu sagen, wie es für mich ist. Ich plane überhaupt nichts. Ich komme mir eher so vor, als ob etwas mit mir geschieht. Sich irgendetwas in mir einen Scherz daraus macht, mit meinen Gefühlen zu spielen, und mich massiv zu verwirren.“ versuchte Herr Heinrichs erläuternd auf mich einzugehen. Wenn du zwischendurch allzu große Sehnsucht nach meinen Augen hast, können wir uns ja wieder mal zum Essen verabreden. Trotz aller Unklarheiten fände ich es passender, wenn du mich Sarah nennen würdest, und ich deinen Vornamen auch wüsste, Herr Richter, wir haben ja mittlerweile einiges nicht gerichtsnotorische untereinander ausgetauscht.“ ging ich auf ihn ein. „Ich heiße schlicht Frank, wie Millionen andere Boys in meinem Alter.“ Zu Hause im Spiegel schaute ich mir erst mal meine Augen an. Hatte ich große Augen, schöne Augen, ließen sie etwas erkennen, sagten sie etwas aus? Ich sah sie ja jeden Morgen groß im Spiegel, aber auch jetzt konnte ich keine Ant­wort finden. Für mich selbst waren sie ganz normal blass bläulich, und ansons­ten empfand ich alles als sehr üblich. Ich glaube eher, dass die Augen als leicht strahlend empfunden werden, wenn man lächelt. Dann gefiel ich mir selbst auch trotz meiner Falten am besten. Was veranlasste mich dazu, auf diesen Mann so zu reagieren?

„Wenn sie dann völlig abweisend gewesen wären, hätte sich ja alles geklärt. Aber so haben sie ja nicht reagiert.“ erläuterte Herr Heinrichs mir. „Ich habe mich auch hinterher gefragt, warum ich das nicht getan habe. Das wäre meine übliche Reaktion gewesen. Ich brauche und suche nämlich gar keinen Mann, und so etwas sind sie ja offensichtlich. Aber sie sind ein sympathischer Mann, auch wenn sie vorhaben ihre Frau zu betrügen. Vielleicht ist das ja auch so eine männliche Macke, dass man seine Frau wenigstens einmal betrogen haben muss.“ antwortete ich ihm. „Mögen sie Männer wegen ihrer der von ihnen so bezeichneten 'männlichen Macken' nicht? Aber ich plane auch nicht meine Frau zu betrügen, ich habe nur versucht, ihnen möglichst offen zu sagen, wie es für mich ist. Ich plane überhaupt nichts. Ich komme mir eher so vor, als ob etwas mit mir geschieht. Sich irgendetwas in mir einen Scherz daraus macht, mit meinen Gefühlen zu spielen, und mich massiv zu verwirren.“ versuchte Herr Heinrichs erläuternd auf mich einzugehen. Wenn du zwischendurch allzu große Sehnsucht nach meinen Augen hast, können wir uns ja wieder mal zum Essen verabreden. Trotz aller Unklarheiten fände ich es passender, wenn du mich Sarah nennen würdest, und ich deinen Vornamen auch wüsste, Herr Richter, wir haben ja mittlerweile einiges nicht gerichtsnotorische untereinander ausgetauscht.“ ging ich auf ihn ein. „Ich heiße schlicht Frank, wie Millionen andere Boys in meinem Alter.“ Zu Hause im Spiegel schaute ich mir erst mal meine Augen an. Hatte ich große Augen, schöne Augen, ließen sie etwas erkennen, sagten sie etwas aus? Ich sah sie ja jeden Morgen groß im Spiegel, aber auch jetzt konnte ich keine Ant­wort finden. Für mich selbst waren sie ganz normal blass bläulich, und ansons­ten empfand ich alles als sehr üblich. Ich glaube eher, dass die Augen als leicht strahlend empfunden werden, wenn man lächelt. Dann gefiel ich mir selbst auch trotz meiner Falten am besten. Was veranlasste mich dazu, auf diesen Mann so zu reagieren?

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Carmen Sevilla<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong><br />

Frank und die Frau mit Frühlingszauber<br />

Erzählung<br />

Lorsque vos yeux me parlent,<br />

c'est mon cœur qui vous écoute<br />

Michel Vaner<br />

„Wenn sie dann völlig abweisend gewesen wären, hätte sich ja alles geklärt.<br />

Aber so haben sie ja nicht reagiert.“ erläuterte Herr Heinrichs mir. „Ich habe<br />

mich auch hinterher gefragt, warum ich das nicht getan habe. Das wäre meine<br />

übliche Reaktion gewesen. Ich brauche und suche nämlich gar keinen Mann,<br />

und so etwas sind sie ja offensichtlich. Aber sie sind ein sympathischer Mann,<br />

auch wenn sie vorhaben ihre Frau zu betrügen. Vielleicht ist das ja auch so<br />

eine männliche Macke, dass man seine Frau wenigstens einmal betrogen haben<br />

muss.“ antwortete ich ihm. „Mögen sie Männer wegen ihrer der von ihnen so<br />

bezeichneten 'männlichen Macken' nicht? Aber ich plane auch nicht meine Frau<br />

zu betrügen, ich habe nur versucht, ihnen möglichst offen zu sagen, wie es für<br />

mich ist. Ich plane überhaupt nichts. Ich komme mir eher so vor, als ob etwas<br />

mit mir geschieht. Sich irgendetwas in mir einen Scherz daraus macht, mit<br />

meinen Gefühlen zu spielen, und mich massiv zu verwirren.“ versuchte Herr<br />

Heinrichs erläuternd auf mich einzugehen. „Seien sie mir nicht böse, auch<br />

wenn ich manchmal ein wenig schroff reagiere. Ich mag sie, sie gefallen mir,<br />

aber sie müssen sich zwangsläufig zunächst mal ein wenig mehr Klarheit für<br />

sich selbst verschaffen. Wie soll das denn funktionieren, sie lieben ihre Frau,<br />

und träumen von mir? Oder stellen sie sich vor, wenn sie so große <strong>Sehnsucht</strong><br />

<strong>nach</strong> mir haben, wäre es ja nicht ausgeschlossen, dass sich aus unserem<br />

gemeinsamen Abendessen eventuell mehr entwickeln könnte, und sie sagen zu<br />

ihrer Frau: 'Du,' wie heißt sie? 'du Claudia ich habe da so eine Freundin, wir<br />

gehen öfter essen, und ficken dann anschließend miteinander'. Soll das so<br />

laufen? Versuche dir darüber klar zu werden, was mit dir ist, und was du willst.<br />

Dann können wir eventuell weiter sehen. Wenn du zwischendurch allzu große<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> meinen <strong>Augen</strong> hast, können wir uns ja wieder mal zum Essen<br />

verabreden. Trotz aller Unklarheiten fände ich es passender, wenn du mich<br />

Sarah nennen würdest, und ich deinen Vornamen auch wüsste, Herr Richter,<br />

wir haben ja mittlerweile einiges nicht gerichtsnotorische untereinander<br />

ausgetauscht.“ ging ich auf ihn ein. „Ich heiße schlicht Frank, wie Millionen<br />

andere Boys in meinem Alter.“ antwortete er, und sah mich mit versonnen süßsauren<br />

Lächeln an. Was mochte er wohl träumen? Hätte ich diese Frau doch<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 1 von 54


nie gesehen, bestimmt nicht. Er machte eher den Eindruck, als ob er sich leicht<br />

gequält fühlte von der Notwendigkeit, Klärung herbei führen zu müssen. Beim<br />

Abschied gaben wir uns fast wie selbstverständlich einen Kuss.<br />

Zu Hause im Spiegel schaute ich mir erst mal meine <strong>Augen</strong> an. Hatte ich große<br />

<strong>Augen</strong>, schöne <strong>Augen</strong>, ließen sie etwas erkennen, sagten sie etwas aus? Ich<br />

sah sie ja jeden Morgen groß im Spiegel, aber auch jetzt konnte ich keine Antwort<br />

finden. Für mich selbst waren sie ganz normal blass bläulich, und ansonsten<br />

empfand ich alles als sehr üblich. Ich glaube eher, dass die <strong>Augen</strong> als leicht<br />

strahlend empfunden werden, wenn man lächelt. Dann gefiel ich mir selbst<br />

auch trotz meiner Falten am besten. Was veranlasste mich dazu, auf diesen<br />

Mann so zu reagieren. Ich nahm ihn gar nicht als Mann war. Als jemanden der<br />

mir Avancen machte, obwohl es ja eindeutig so war. Ich empfand es einerseits<br />

als höchst seltsam, dass er an mich denken musste, von mir träumte, ohne zu<br />

wissen, wer ich war, empfand seine Gegenwart aber als sehr angenehm. Er war<br />

auch nicht der korrekte biedere Richter, der er im Dienst vielleicht sein mochte.<br />

Der Eindruck, den er auf mich machte, war eher der eines in die Jahre<br />

gekommenen großen Jungen, der sensibel und lustig war. Ich hatte das Empfinden,<br />

dass er Wärme und Vertrauen ausstrahlte. Wenn mehr aus uns würde,<br />

hätte ich bestimmt Lust daran, ganz lieb und zärtlich zu ihm zu sein. So ein<br />

Unsinn! Was träumte ich für einen Quatsch und warum?<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 2 von 54


<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> Inhalt<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong>...........................................................................4<br />

Kleine weiße Wolke.......................................................................................... 4<br />

Ralf in den USA................................................................................................4<br />

Gerichtstermin im Januar.................................................................................. 6<br />

Begegnung <strong>nach</strong> der Schule.............................................................................. 6<br />

Revisionen...................................................................................................... 8<br />

Schulfest und gemeinsames Essen..................................................................... 8<br />

Sarah was geschieht mit dir.............................................................................10<br />

Herr Heinrichs schweigt.................................................................................. 11<br />

Ladies Talk an den Feiertagen.......................................................................... 11<br />

Anruf vor den Ferien.......................................................................................12<br />

Franks Besuch............................................................................................... 12<br />

Bei dir oder getrennt...................................................................................... 14<br />

<strong>Sarahs</strong> Liebe und Franks Blick..........................................................................14<br />

<strong>Sarahs</strong> Selbstbild........................................................................................... 15<br />

Was jetzt?..................................................................................................... 16<br />

Café und Nacht.............................................................................................. 17<br />

Urlaubspläne................................................................................................. 17<br />

Urlaub in Asturien.......................................................................................... 18<br />

Matthis kommt...............................................................................................19<br />

Matthis will zurück..........................................................................................19<br />

Matthis und Joelle.......................................................................................... 20<br />

Joelle............................................................................................................21<br />

Mit Joelle im Café........................................................................................... 22<br />

Bleibt Joelle?................................................................................................. 24<br />

Joelle macht Schluss.......................................................................................25<br />

Gespräch mit Matthis......................................................................................25<br />

Matthis Beziehungsproblematik........................................................................ 26<br />

Matthis braucht eine Therapie.......................................................................... 28<br />

Joelles Abreise............................................................................................... 28<br />

Matthis bleibt noch länger............................................................................... 29<br />

Joelles Ankunft.............................................................................................. 30<br />

Judith........................................................................................................... 32<br />

Zusammenleben............................................................................................ 34<br />

Dominic Merdrignac........................................................................................34<br />

Weih<strong>nach</strong>ten..................................................................................................35<br />

Wochenendbeziehung..................................................................................... 37<br />

Ostern mit Joelles Eltern................................................................................. 38<br />

Bis zum Sommer............................................................................................40<br />

Judith und Gerd in Franks Haus........................................................................43<br />

Donegal........................................................................................................ 44<br />

Marriage - Mariage......................................................................................... 44<br />

Impressionen und Perspektiven zu Weih<strong>nach</strong>ten.................................................45<br />

Scheidungen..................................................................................................47<br />

Three Couples................................................................................................47<br />

Silkes Kleider.................................................................................................48<br />

Gemeinsamer Urlaub im Cantal........................................................................49<br />

New Home – New Life.....................................................................................49<br />

Weih<strong>nach</strong>tsgedanken...................................................................................... 50<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 3 von 54


<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong><br />

Werde ich dir sagen,<br />

dass du schöne <strong>Augen</strong> hast,<br />

die mich manchmal anschaun,<br />

mitten in der Nacht.<br />

(aus Rio Reiser; Mitten in der Nacht)<br />

Kleine weiße Wolke<br />

Der sanfte Sommerwind verschiebt die Häufchen aus Puderzucker, die sich<br />

zwischen uns und dem Azurblau des Himmels befinden langsam weiter, franst<br />

ihre Ränder aus, dreht sie, schiebt sie zusammen, spielt mit ihnen. Ganz sanft<br />

und ganz langsam. Wer einmal hinschaut, sieht nur ein Standbild, nimmt das<br />

Spiel und die Verformung gar nicht war. Kleine Gebirge recken sich hoch auf,<br />

und leuchten in strahlendem Weiß von der Sonne beschienen, während gleichzeitig<br />

ihre Unterseite im Schatten für den angenehmen Sommertag eher störend<br />

grau bleibt. Eine kleine Ecke ist aus dem Mutterkomplex des weißen Gebirges<br />

ausgeschert, ob sie vorpreschen, allein unter dem Himmel reisen, oder<br />

sich einem anderen weißen Gebirgsmassiv anschließen will? Ach, sie wird einfach<br />

nur immer schwächer, und ist plötzlich ganz verschwunden. Ich spüre, wie<br />

der leichte Wind in wiederholenden Wellen meine Haut befühlt, an Armen Gesicht<br />

und Dekolleté. „Mach weiter kleiner Wind. Spiel auch mit mir.“ sag ich<br />

ihm, aber er spielt nicht mit meiner Haut, sondern mit meinen Gedanken, meinen<br />

Erinnerungen, meinen Träumen. Wie große weiße Schaumgebirge vor einem<br />

klaren strahlend blauen Hintergrund, würde ich meine Erlebnisse und Erfahrungen<br />

gerne sehen, doch es gab auch nur selten einen sanften zarten<br />

Sommerwind, der mich bewegte, mich spielen ließ und mich veränderte. Das<br />

Wetter meines Lebens schien mir eher von allen Jahreszeiten geprägt. Zur Zeit<br />

war ich der Ansicht, dass mit meinen fünfzig Jahren vornehmlich der Herbst<br />

mit harten Schritten auf mich zu käme, aber ich war mir nicht sicher, ob sich<br />

nicht gleichzeitig doch schon ein zarter Frühlingszauber in mir auszubreiten begann.<br />

Ralf in den USA<br />

Im Januar hatte ich eine versorgungsrechtliche Angelegenheit beim Familiengericht<br />

klären müssen. Mein Mann lebte nämlich in den USA. War einfach abgehauen<br />

und nie wiedergekommen. Er war Medienkaufmann bei der amerikanischen<br />

Tochter einer deutschen Firma. Dass er dort arbeiten würde, war für<br />

mich damals gar nicht außergewöhnlich gewesen. Ich war es gewohnt allein<br />

mit den Kindern und meiner Arbeit zu leben, solange er für das zum angenehmen<br />

Leben erforderliche Finanzielle sorgte. Fast schon seit Berufsbeginn war er<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 4 von 54


immer irgendwo anders außerhalb beschäftigt. Dass er nur zum Wochenende<br />

oder nur einmal im Monat <strong>nach</strong> Hause kam, hat mich nie sonderlich gestört.<br />

Ich glaube sogar, es hätte mich eher gestört, wenn er jeden Abend zu Hause<br />

gewesen wäre. Über seinen Job konnte und wollte ich nicht mit ihm reden. Er<br />

kaufte und verkaufte doch Inhalte, die Bedeutungen und Konsequenzen<br />

hatten, aber reden konnte man mit ihm nur darüber, was und wie viel sich<br />

finanziell daraus ergäbe. Diskussionen darüber hatte ich schon vor seinem<br />

Berufsbeginn aufgegeben. Ich hatte es ebenso wie manche anderen seiner<br />

kuriosen Äußerungen als typisch männliche Attitüde zur Seite gelegt. Ist eben<br />

ein Männlein, das stolz darauf ist, so viel Geld zu machen, und dem hinterher<br />

dann einen verschrobenen Sinn zuordnet. Der Unsinniges tun, sich aber<br />

trotzdem als der Größte empfinden kann. Er war ein süßer netter Junge, als wir<br />

uns kennenlernten. Er hat mich verwöhnt, und ließ sich von mir belehren,<br />

wenn er Unsinn redete. Aber es gab eigentlich von Anfang an Bereiche,<br />

worüber ich mit ihm nie geredet habe, weil ich der Ansicht war, das wird mein<br />

Ralf sowieso nie verstehen. Der Alltag und die Nacht machten Spaß mit ihm,<br />

und wozu sonst braucht Frau unbedingt einen Mann. Wichtige Gespräche und<br />

Diskussionen kann man auch mit anderen führen. So sah ich das damals, und<br />

fühlte mich ganz wohl dabei, als ich mal zweifelte, ob ich nicht eigentlich einen<br />

Partner brauchte, mit dem ich mich tiefergehend unterhalten könnte. Jetzt<br />

hatte er mir einfach; <strong>nach</strong>dem er schon einige Zeit in den USA war, lapidar<br />

mitgeteilt, dass er wohl für immer dort bleiben werde. Mehr als ein 'Na dann ist<br />

das eben so' konnte ich gar nicht empfinden. Die schönen verliebten Nächte,<br />

ich hatte sie nicht vergessen, aber sie waren wie süße weiße Wölkchen, die<br />

schon seit fast zwanzig Jahren verschwunden waren. Ralf empfindet es wohl<br />

bis heute so, dass ich ihm intellektuell überlegen bin, nur während er zu<br />

Beginn unserer Beziehung stolz darauf war, so eine tolle Freundin zu haben,<br />

scheint es heute sein Ego eher zu stören, und dem Bedürfnis <strong>nach</strong> notwendiger<br />

Anerkennung seiner Leistungen wird ja auch überhaupt nicht entsprochen. Zu<br />

Beginn unserer Beziehung, hatte ich mir noch manchmal Gedanken darüber<br />

gemacht, woraus Ralf eigentlich seine Selbstwertschätzung und Selbstachtung<br />

bezieht, aber es kam mir leer vor, als ob er gar keine eigene Identität besitze,<br />

sondern sich fast ausschließlich am schichtspezifischen Mainstream orientiere,<br />

doch ich fand es auch müßig, eventuell Verborgenes aufdecken zu wollen,<br />

solange ja alles gut lief. Für mich war er einfach ein typischer aber netter<br />

Mann, mit dem ich es mehr als gut aushalten konnte.<br />

Nur dass mein Sohn Matthis direkt <strong>nach</strong> dem Abitur zu ihm zog, tat mir außerordentlich<br />

weh. Natürlich liebe ich meine Tochter Judith auch sehr, und habe<br />

ein sehr warmes vertrauensvolles Verhältnis zu ihr, aber mein kleiner Matthis<br />

war einfach immer unser Schatz. Er wurde nicht nur von allen verwöhnt, sondern<br />

mir selbst lag auch besonders daran, dass aus ihm ein kluger, intelligenter<br />

junger Mann wurde. Hat auch alles wunderbar funktioniert. Er hatte das beste<br />

Abiturzeugnis und eine wunderbare kluge Freundin. Ich war richtig stolz auf<br />

ihn, und dann zieht er direkt zu seinem Vater. Was will er da? Worüber will er<br />

sich mit ihm unterhalten? Wird seine Freundin ihm eventuell folgen? Das<br />

müsste ihm doch alles katastrophal erscheinen. Er hat mir gesagt, dass es ihm<br />

hauptsächlich ums Studieren in den USA ginge. Ich hoffe ja immer, dass er<br />

eventuell doch noch zurückkommt, aber es erscheint eher anders. Seine Kon-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 5 von 54


takte zu mir werden immer spärlicher, und von seiner deutschen Freundin hat<br />

er sich getrennt, als sie ihn mal in den USA besuchte. Ich werde es ertragen<br />

müssen, wie einen dunklen grauen Novembertag, an dem es nie richtig hell zu<br />

werden scheint, und ein permanenter Nieselregen dafür sorgt, das die Tristesse<br />

sich sogar in den Kleidern verbreiten kann.<br />

Gerichtstermin im Januar<br />

Jetzt war es Januar, als ich den Termin im Familiengericht hatte, für mich der<br />

schrecklichste Monat des Jahres. Am Silvesterabend wird das Neue Jahr freudig<br />

begrüßt, und dann zeigt es sich meistens gleich von seiner hässlichsten Seite.<br />

Es ist nicht nur extrem häufig nass, sondern auch noch kalt dazu, und wenn es<br />

nicht regnet, schneit es. Beim Wintersport und in den Bergen gefällt mir<br />

Schnee schon, aber in den Städten ist er in der Regel nichts anderes als eine<br />

dreckige Belästigung, die außerordentlich viel Arbeit mit sich bringt, und nicht<br />

selten böse Folgen hat. Manchmal gefriert auch das Angetaute oder der Regen<br />

auf den Bürgersteigen, und führt leicht zu erheblichen Verletzungen bei den<br />

Gestürzten. Eine absonderliche Reaktion auf eine freundliche Begrüßung. Der<br />

Januar ist für mich nur zu ertragen, weil ich sicher weiß, dass der Mai und später<br />

der Sommer folgen werden.<br />

Richter Heinrichs prüfte kurz, ob die in dem Formular gemachten Angaben alle<br />

zutreffend seien, was ich natürlich lächelnd bestätigen konnte. Er sprach das<br />

Protokoll in sein Diktiergerät, stockte dabei manchmal, und sah mich an. Er<br />

blickte mich ungewöhnlich intensiv an, nicht meine Person, meinen Körper, er<br />

schaute in mein Gesicht, in meine <strong>Augen</strong>. Ein wenig hatte es etwas von einem<br />

Blick, der prüfen will, ob man auch die Wahrheit gesagt hat, aber er blickte<br />

eher milde suchend. Trotzdem empfindest du dich als Fixierte leicht durchschaut,<br />

als ob der Blick in dir etwas entdecken wird, was du nicht zeigen willst.<br />

Häufig hält der Angeschaute dem Blick nicht stand, und schaut leicht verlegen<br />

anderswo hin. Richter Heinrich blickte nur ganz kurz, als ob er dabei nicht entdeckt<br />

werden wollte. Als er wieder seinen über das Mikro gebeugten Kopf hob,<br />

und in meine Richtung sah, lächelte ich ihn an und er lächelte zurück. Es war<br />

so kurz und unbedeutend, dass die neben mir sitzende Rechtsanwältin nichts<br />

davon mitbekam. Als ich sie hinterher fragte, ob sie mehr von dem Richter<br />

wisse, erklärte sie nur, dass er mit einer bekannten Fachanwältin für Baurecht<br />

verheiratet sei.<br />

Begegnung <strong>nach</strong> der Schule<br />

Im März steht die Sonne schon ein wenig höher, und die fahle weißliche Kälte<br />

der Wintermonate, ist leuchtenderen Farben gewichen, in denen ein rötlicherer<br />

Ton dominiert. Kalt war es heute auch, aber die Märzensonne lässt die Menschen<br />

nicht nur fröhlicher empfinden, sondern verleiht ihren Gesichtern auch<br />

noch ein Hauch von rotem Touch. Ich will von der Schule die Straße überqueren,<br />

um zu meinem Auto zu gelangen. Plötzlich ruft jemand: „Hallo, Frau Blu-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 6 von 54


me!“ Ich schaue zur Seite. Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Natürlich<br />

Richter Heinrichs. Wieso erinnert der sich an mich? An eine Frau, die zwanzig<br />

Minuten bei ihm im Verhandlungsraum war? Ich frage ihn launisch, ob etwas<br />

mit meinen Unterlagen nicht in Ordnung gewesen sei. Er lächelt mich an und<br />

meint, dass er sich schon gar nicht mehr daran erinnern könne. „Aber mich haben<br />

sie nicht vergessen?“ fragte ich ihn. Ich sei ja auch eine lebende Person<br />

und kein Aktenvorgang, und das sei glücklicherweise noch etwas sehr Unterschiedliches.<br />

Er lud mich zu einem Kaffee ein, und ich fragte ihn, ob er das mit<br />

allen Angeklagten und Klägern so mache. Wir gingen ins nächste Kaffee, das<br />

hauptsächlich von Schülerinnen und Schülern frequentiert wurde, und Herr<br />

Heinrichs wollte wissen, ob es sich dabei um mein Stammcafé handele. „Ja,<br />

weil die Mehrzahl der Besucher in einem Alter ist, in dem ich mich auch empfinde.<br />

Oder darf man einem Richter so alberne Antworten nicht geben? Muss<br />

man mit dem immer streng seriös reden?“ antwortete ich ihm. „Ihre Frage<br />

selbst war ja auch schon wieder albern, aber da sie seit Januar nicht auffällig<br />

geworden sind, sei ihnen das heute einmal gestattet.“ war seine lächelnde Replik.<br />

„Ich habe den Termin im Januar auch nicht vergessen, nicht nur wegen<br />

des Materiellen, das dadurch geregelt wurde, es war auch die Sitzungssituation,<br />

die ich als ungewöhnlich empfand.“ sagte ich. Herr Heinrichs wollte natürlich<br />

wissen, warum. Ich fragte ihn, ob das gerichtsordnungsmäßig vorgeschrieben<br />

sei, dass der Richter die Antragsteller oder Antragsgegner streng prüfend<br />

anzuschauen habe. Er lachte laut und fragte: „Wieso?“, obwohl er genau zu<br />

wissen schien, was ich meinte. „Sie haben mich, während sie das Protokoll eingaben,<br />

wenigstens zweimal ganz intensiv angeschaut.“ half ich seine angeblich<br />

nicht vorhandene Erinnerung aufzufrischen. „Sie sind eben eine sehr schöne<br />

Frau, und da fällt es einem Mann oft nicht leicht, seinen Blick zurückzuhalten.“<br />

versuchte Herr Heinrichs zu erklären. „Nein, nein, das stimmt nicht.“ erwiderte<br />

ich, „sie haben mich nicht angesehen, wie ein Mann eine Frau in <strong>Augen</strong>schein<br />

nimmt, Hintern, Busen, Ausschnitt prüfen, sie haben mir ins Gesicht gesehen,<br />

versucht mir in die <strong>Augen</strong> zu schauen, als ob sie dort etwas von mir entdecken<br />

wollten.“ Herr Heinrichs schwieg. Er hatte seine Ellenbogen auf den Cafétisch<br />

gestützt, und die Finger seiner Hände verschränkt zusammengelegt. Sein Mund<br />

befand sich vor den zusammenliegenden Fingern, dann hob er seinen Kopf<br />

leicht an, ließ die Hände über die Bartstoppeln streicheln und schaute <strong>nach</strong><br />

oben. Was ging in ihm vor? Er überlegte wahrscheinlich was von dem, woran er<br />

dabei gedacht hatte, er mir würde sagen können. „Frau Blume, sie waren mir<br />

sehr sympathisch,“ brachte er schließlich hervor, „und sind es auch noch, eher<br />

sogar noch mehr. Na ja und da kommt ein Mann eben schon mal auf dumme<br />

Gedanken.“ „Haben sie sich vorzustellen versucht, wie ich wohl im Bett wäre?“<br />

wollte ich es exakter wissen. „Gott bewahre, nein, dann hätte ich ihnen<br />

eventuell auf den Po geschaut. Ich versuche es mal so zu beschreiben, sie haben<br />

mich in dieser kurzen Zeit tief beeindruckt, und ich weiß überhaupt nicht<br />

wodurch.“ reagierte Herr Heinrich. „Und jetzt, was machen wir damit, ist der<br />

Eindruck noch anhaltend?“ fragte ich leicht ironisch, als ob es mich im Grunde<br />

nicht weiter interessiere, obwohl ich ihn grundsätzlich auch ganz sympathisch<br />

fand. „Ich würde sie gern wiedersehen.“ sagte Herr Heinrich schlicht zu mir.<br />

„Dann machen wir aber besser einen Termin aus, damit sie mir nicht wieder<br />

<strong>nach</strong> der Schule auflauern müssen.“ scherzte ich, während er leicht verlegen<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 7 von 54


grinste. „Wie wäre es denn, wenn sie am nächsten Freitag zum Ende unseres<br />

Schulfestes kommen, da können sie noch viel mehr von denen sehen, die sich<br />

in meinem gefühlten Alter befinden, und wir gehen anschließend gemeinsam<br />

etwas essen.“ Er überlegte ein wenig, war dann aber doch einverstanden.<br />

Revisionen<br />

Ich ließ mich einfach auf etwas ein, von dem mir selber alles noch wie ein undefinierbarer<br />

Dunst erschien. Nicht wie die zarten in der frühen Sonne sich auflösenden<br />

Schleier eines Morgennebels, und auch nicht wie die dichten Schwaden<br />

der Herbstnebel, durch die sich die Menschen orientierungslos voran quälen.<br />

Ich wusste nicht im Entferntesten, was ich tat und wollte. Ich war überhaupt<br />

nicht der Ansicht, dass Männer grundsätzlich unbrauchbar sind, aber<br />

dass sie alle so ähnliche Attitüden wie Ralf hatten, schien mir ziemlich sicher,<br />

und die wenigen Ausnahmen, wären bestimmt alle längst vergeben. Zum Beispiel<br />

so ein grölend beim Fußballspiel vorm Fernseher sitzender Mann, wäre für<br />

mich eine Horrorvorstellung, die mich gern auf andere eventuelle Annehmlichkeiten<br />

verzichten ließ. In fachlichen Angelegenheiten hatte ich keine Probleme,<br />

mit Männern zu diskutieren, aber für den persönlichen Bereich hielt ich ihre<br />

Kapazitäten für auf belangloses Geplänkel beschränkt. Da<strong>nach</strong> war mir nicht<br />

mehr, kein Bedürfnis irgend einer Art. Das Sexuelle bekam ich auch schon über<br />

viele Jahre für mich selbst geregelt, ich brauchte also keinen Mann, suchte<br />

nicht da<strong>nach</strong>, ließ gemachte Avancen abblitzen, und es beschäftigte mich überhaupt<br />

nicht.<br />

Warum hatte ich dem Richter nicht gleich gesagt: „Versuchen sie es zu vergessen.<br />

Denken sie lieber an ihre Frau. Sie wird sich darüber freuen.“? Ich wusste<br />

ja überhaupt nicht, wie es um seine Ehe stand, aber ich hatte auch gar nicht<br />

daran gedacht, als wir das gemeinsame Essen vereinbarten. Einen Mann, der<br />

seine Frau betrügt, weil er gerade mal Lust auf eine andere hat, so etwas würde<br />

ich eventuell unterstützen. Bei Ralf ging ich einfach fest davon aus, dass er<br />

immer auch andere Ladies beglückte. Ich wollte davon gar nichts wissen, wollte<br />

seine Entschuldigungen und eventuellen Lügen nicht hören, ich ging einfach<br />

davon aus, dass es so war, und hatte das Empfinden, damit am besten klar zu<br />

kommen. Jetzt hat er eine feste Freundin, wahrscheinlich so eine, die ihn bewundert<br />

und anhimmelt.<br />

Herr Heinrichs würde ja mehr wollen, als sich mit mir zum Kaffee und zum Essen<br />

treffen. Wenn ich mich beim gemeinsamen Essen nicht unmöglich verhielt,<br />

was würde er sich als nächstes wünschen? In welche Richtung zielten seine<br />

Ambitionen. Es musste ihm ja schon einiges bedeuten. Heraus zu bekommen,<br />

wann für mich Donnerstags der Unterricht endete, erforderte ja schon einiges<br />

an Aufwand. Was war das für ein Eindruck, den ich ihm vermittelt hatte, was<br />

beinhaltete er, was für ein Bild machte er sich von mir? Ich sollte mir mal eine<br />

lange Liste anfertigen mit für mich offenen Fragen, die ich mit Richter Heinrichs<br />

beim Abendessen durcharbeiten könnte. Dass ich so etwas Dämliches natürlich<br />

nicht machte, war ja selbstverständlich, aber dass ich mich trotz aller<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 8 von 54


Einwände und Unklarheiten bedenkenlos auf das Treffen freute, kam mir doch<br />

sehr schleierhaft vor.<br />

Schulfest und gemeinsames Essen<br />

Als Herr Heinrichs zum Schulfest kam, fingen die ersten Schüler schon an aufzuräumen.<br />

Ich erklärte ihm, das er jetzt nicht mehr feststellen könne, warum<br />

dies alles hier bewirke, dass ich mich so jung fühle. Mir mache es Spaß mich<br />

mit den Jugendlichen zu beschäftigen, sie vermittelten mir nicht nur viele<br />

Eindrücke, die mir sonst verborgen geblieben wären, sondern ich käme mir<br />

dadurch auch selbst im Denken und Empfinden jünger vor als manche<br />

gleichaltrige Frau. Es gefällt mir sehr gut, und ist für mich auch ein Pendant zu<br />

den mit dem Alterungsprozess verbundenen Unannehmlichkeiten. Beim Essen<br />

wollte Herr Heinrichs wissen, wie man denn mit einem Mann, der in den USA<br />

wohnt zusammenleben kann. „Gar nicht“ klärte ich ihn auf, und erläuterte ihm<br />

kurz die Zusammenhänge. „Aber sie haben doch eine Frau, die in dieser Stadt<br />

wohnt und arbeitet, wie kann man denn damit zusammenleben?“ wollte ich<br />

etwas von ihm hören. Jetzt fixierte mich Herr Heinrichs wieder, verzog seinen<br />

Mund ins leicht Säuerliche, und sagte dann:“Ich weiß es nicht. Ich weiß es<br />

überhaupt nicht. Bei uns ist eigentlich alles o. k., bzw. was man so landläufig<br />

darunter versteht. Eine glückliche Ehe würde man sagen, würde ihnen meine<br />

Frau auch bestätigen. Und was ist das, was wir beide hier machen? Ich weiß<br />

überhaupt nichts. Ich weiß nur, dass es etwas anderes ist, als ein nettes<br />

Treffen mit einem Bekannten. Es bezieht sich eindeutig darauf, dass sie eine<br />

Frau sind. Die meisten Männer gehen irgendwann oder öfter während ihrer Ehe<br />

fremd. Ich hatte nie ein Verlangen da<strong>nach</strong>, mir schien dieses Gen zu fehlen.“<br />

„Und jetzt wollen sie mit mir fremd gehen, und ihre Frau in ihrer glücklichen<br />

Ehe betrügen. Haben sie sie denn schon gefragt? Hat sie es ihnen erlaubt?“<br />

reagierte ich leicht zynisch. „Nein, nein, nein,“ wehrte er ab, „ich weiß<br />

überhaupt nicht, was ich will. Es ist nur so, das mich ihr Anblick in gewisser<br />

Weise berauscht hat, ja eigentlich so etwas wie verhext hat. Er geht nicht mehr<br />

weg. Ich habe für mich selber alles Mögliche überlegt, weil ich so etwas für<br />

unsinnig und versponnen hielt. Mit meiner Frau sind wir uns während des<br />

Referendariats immer peu à peu ein Stücken näher gekommen, bis wir meinten<br />

zu erkennen, dass wir uns sehr gern haben, und lieben würden. Was man so<br />

gemein hin als Liebe auf den ersten Blick bezeichnet, habe ich für Unfug<br />

gehalten. Bis es mir selber passiert, und ich gar nicht weiß, wie mir geschieht.“<br />

„Lieben sie mich denn, sind sie in mich verliebt?“ wollte ich von ihm wissen.<br />

„Ich glaube nicht. Ich weiß nicht was es ist. Ich hatte nur ein drängendes<br />

Verlangen, sie wiederzusehen. Fast drei Monate konnte ich es zurückhalten,<br />

und dann habe ich gedacht, dass ich es am besten mal versuche, und wenn sie<br />

dann völlig abweisend gewesen wären, hätte sich ja alles geklärt. Aber so<br />

haben sie ja nicht reagiert.“ erläuterte Herr Heinrichs mir. „Ich habe mich auch<br />

hinterher gefragt, warum ich das nicht getan habe. Das wäre meine übliche<br />

Reaktion gewesen. Ich brauche und suche nämlich gar keinen Mann, und so<br />

etwas sind sie ja offensichtlich. Aber sie sind ein sympathischer Mann, auch<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 9 von 54


wenn sie vorhaben ihre Frau zu betrügen. Vielleicht ist das ja auch so eine<br />

männliche Macke, dass man seine Frau wenigstens einmal betrogen haben<br />

muss.“ antwortete ich ihm. „Mögen sie Männer wegen ihrer der von ihnen so<br />

bezeichneten 'männlichen Macken' nicht? Ich will überhaupt nicht bestreiten,<br />

dass es so etwas gibt, habe ich möglicher weise auch selber, aber den Partner<br />

betrügen ist nun wirklich kein ausgesprochen männliches Phänomen. Vielleicht<br />

reden Frauen weniger darüber als Männer, und man hört deshalb seltener<br />

davon. Aber ich plane auch nicht meine Frau zu betrügen, ich habe nur<br />

versucht, ihnen möglichst offen zu sagen, wie es für mich ist. Ich plane<br />

überhaupt nichts. Ich komme mir eher so vor, als ob etwas mit mir geschieht.<br />

Sich irgendetwas in mir einen Scherz daraus macht, mit meinen Gefühlen zu<br />

spielen, und mich massiv zu verwirren.“ versuchte Herr Heinrichs erläuternd<br />

auf mich einzugehen. „Seien sie mir nicht böse, auch wenn ich manchmal ein<br />

wenig schroff reagiere. Ich mag sie, sie gefallen mir, aber sie müssen sich<br />

zwangsläufig zunächst mal ein wenig mehr Klarheit für sich selbst verschaffen.<br />

Wie soll das denn funktionieren, sie lieben ihre Frau, und träumen von mir?<br />

Oder stellen sie sich vor, wenn sie so große <strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> mir haben, wäre<br />

es ja nicht ausgeschlossen, dass sich aus unserem gemeinsamen Abendessen<br />

eventuell mehr entwickeln könnte, und sie sagen zu ihrer Frau: 'Du,' wie heißt<br />

sie? 'du Claudia ich habe da so eine Freundin, wir gehen öfter essen, und<br />

ficken dann anschließend miteinander'. Soll das so laufen? Versuche dir<br />

darüber klar zu werden, was mit dir ist, und was du willst. Dann können wir<br />

eventuell weiter sehen. Wenn du zwischendurch allzu große <strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong><br />

meinen <strong>Augen</strong> hast, können wir uns ja wieder mal zum Essen verabreden.<br />

Trotz aller Unklarheiten fände ich es passender, wenn du mich Sarah nennen<br />

würdest, und ich deinen Vornamen auch wüsste, Herr Richter, wir haben ja<br />

mittlerweile einiges nicht gerichtsnotorische untereinander ausgetauscht.“ ging<br />

ich auf ihn ein. „Ich heiße schlicht Frank, wie Millionen andere Boys in meinem<br />

Alter.“ antwortete er, und sah mich mit versonnen süß-sauren Lächeln an. Was<br />

mochte er wohl träumen? Hätte ich diese Frau doch nie gesehen, bestimmt<br />

nicht. Er machte eher den Eindruck, als ob er sich leicht gequält fühlte von der<br />

Notwendigkeit, Klärung herbei führen zu müssen. Beim Abschied gaben wir uns<br />

fast wie selbstverständlich einen Kuss.<br />

Sarah was geschieht mit dir<br />

Zu Hause im Spiegel schaute ich mir erst mal meine <strong>Augen</strong> an. Hatte ich große<br />

<strong>Augen</strong>, schöne <strong>Augen</strong>, ließen sie etwas erkennen, sagten sie etwas aus? Ich<br />

sah sie ja jeden Morgen groß im Spiegel, aber auch jetzt konnte ich keine Antwort<br />

finden. Für mich selbst waren sie ganz normal blass bläulich, und ansonsten<br />

empfand ich alles als sehr üblich. Ich glaube eher, dass die <strong>Augen</strong> als leicht<br />

strahlend empfunden werden, wenn man lächelt. Dann gefiel ich mir selbst<br />

auch trotz meiner Falten am besten. Was veranlasste mich dazu, auf diesen<br />

Mann so zu reagieren. Ich nahm ihn gar nicht als Mann war. Als jemanden der<br />

mir Avancen machte, obwohl es ja eindeutig so war. Ich empfand es einerseits<br />

als höchst seltsam, dass er an mich denken musste, von mir träumte, ohne zu<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 10 von 54


wissen, wer ich war, empfand seine Gegenwart aber als sehr angenehm. Er war<br />

auch nicht der korrekte biedere Richter, der er im Dienst vielleicht sein mochte.<br />

Der Eindruck, den er auf mich machte, war eher der eines in die Jahre<br />

gekommenen großen Jungen, der sensibel und lustig war. Ich hatte das Empfinden,<br />

dass er Wärme und Vertrauen ausstrahlte. Wenn mehr aus uns würde,<br />

hätte ich bestimmt Lust daran, ganz lieb und zärtlich zu ihm zu sein. So ein<br />

Unsinn! Was träumte ich für einen Quatsch und warum? Mit dem Älterwerden<br />

der Kinder, war auch für mich das Bedürfnis <strong>nach</strong> Schmusen und Austausch<br />

von Zärtlichkeiten verschwunden, und bei Richter Heinrichs kam es mir plötzlich<br />

wieder in den Sinn. Er musste in mir etwas Unbewusstes ansprechen, dass<br />

aber nicht unbedeutend für mich war, und dass ich zu mögen schien. Ein<br />

ungewöhnlicher Mann war er für mich auf jeden Fall. Ob ich etwas dagegen<br />

gehabt hätte, mich weiter auf ihn einzulassen, ich konnte es gar nicht<br />

entscheiden. Dafür kannte ich ihn viel zu wenig.<br />

Herr Heinrichs schweigt<br />

Dem Frühjahr folgte der Sommer und der Herbst begann mit ausgesprochen<br />

warmen Tagen im Oktober. Hier nehmen die Menschen die warmen Tage am<br />

intensivsten und freundlichsten wahr. Sie empfinden sie wie ein letztes Geschenk<br />

vor der unfreundlichen Zeit, eine Gabe, die ihnen nicht selbstverständlich<br />

geboten wird, ein freudiges Ereignis, das sich für jeden zu genießen lohnt.<br />

Doch in meinem Herbst hatte sich nichts besonders freudiges ereignet. Die<br />

Tage verliefen alle fast ähnlich, es ereignete sich nichts. Obwohl ich ja der festen<br />

Ansicht war, keinen Mann zu suchen und keinen zu gebrauchen, kränkte es<br />

mich, dass der Richter Frank Heinrichs nichts mehr von sich hatte hören lassen.<br />

Wir hatten nicht nur unsere Handynummern ausgetauscht, unsere Telefonnummern<br />

standen ja auch in öffentlichen Verzeichnissen. Kein Ton von ihm,<br />

keine Nachricht, keine Einladung zum Essen. Ich war für ihn wohl gestorben,<br />

aber das hätte er mir doch wenigstens mitteilen können. Selbst wenn er zu der<br />

Ansicht gekommen sein sollte, dass alles von ihm nur imaginierter Liebesrausch<br />

gewesen sei, er hatte mich doch zweimal life erlebt, und wir hatten uns<br />

nicht in einer Situation getrennt, in der ich von ihm annehmen konnte, dass<br />

ihm irgendetwas an mir missfallen habe. Darüber hinaus empfand ich es<br />

schlicht als äußerst unhöflich, sich nicht wenigstens einmal kurz zu melden.<br />

Der Traum, von dem ich nicht einmal ganz sicher war, ob es sich denn um<br />

einen Traum von mir handeln konnte oder durfte, jedenfalls war er vorbei.<br />

Ladies Talk an den Feiertagen<br />

Über die Feiertage waren wir zu drei Frauen zusammen. Judith, meine Tochter,<br />

und noch Rebecca, meine Schwester, die mittlerweile auch allein zu Hause war.<br />

Nachdem die Kinder nicht mehr zu Hause wohnten, hatte sie sich von ihrem<br />

Mann getrennt, weil sie es endgültig satt hatte mit ihm, was ich vom ersten<br />

Tag an, seitdem sie mit ihm zusammen war, jederzeit hätte verstehen können.<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 11 von 54


Sie sucht jetzt die große neue Liebe, aber das war überhaupt nicht einfach. Sie<br />

hatte schon zahllose Dates mit Männern aus einer Partnervermittlungsagentur<br />

hinter sich, aber wenn sie auch ganz nett geschrieben hatten, auf den ersten<br />

Date folgte in der Regel kein zweiter. Rebecca meinte im Großen und Ganzen<br />

seien sie alle ähnlich wie ihr Mann. Sie hätten zwar dickere oder dünnere<br />

Bäuche, mehr oder weniger Haare etc, aber von der Gedanken- und<br />

Gefühlsstruktur her seien sie sich fast alle sehr ähnlich. „Wenn sich die große<br />

Liebe zufällig ergibt, kann natürlich alles ganz anders sein, aber wenn man sie<br />

sucht, und unbedingt finden will, darf man nicht allzu wählerisch sein. Du wirst<br />

dich entscheiden müssen, Rebecca.“ kommentierte ich ihre Ausführungen. „Ich<br />

wahr mir nicht sicher, ob ich sie nicht eventuell gefunden hätte, aber dann hat<br />

der Typ einfach nichts mehr von sich hören lassen.“ und erzählte meine Story<br />

mit dem Richter. Judith erklärte auch, dass sie sich in einer miesen Situation<br />

befinde. Sie wolle grundsätzlich gern Kinder haben, und jetzt sei die Zeit<br />

eigentlich am günstigsten dafür. Zu alt wolle sie nicht sein, nur von dem Typ,<br />

mit dem sie jetzt zusammen sei, wolle sie die auf keinen Fall. „Es dürfte aber<br />

schwer fallen, ihm das verständlich zu erklären. Du wirst nicht umhin können,<br />

dir zuerst einen anderen Partner zu suchen.“ meinte ich dazu. Judith erklärte,<br />

warum sie das für so schwierig halte. So ähnliche Typen wie Daddy, die gäb's<br />

wie Sand am Meer, aber so einen würde sie wahrscheinlich schon am zweiten<br />

Tag umbringen. Ich kann nur hoffen, dass sie über mich nicht ähnlich denkt,<br />

jedenfalls kann ich ihr keine Kinder machen, was ihrem gehassten Daddy bei<br />

ihr aber gelungen ist.<br />

Zu Silvester fiel mir wieder der Januar ein, mein gehasster Monat, in dem sich<br />

in der Regel außer den mit ihm verbundenen Unannehmlichkeiten nichts ereignet.<br />

Nur im letzten Jahr, war mal etwas passiert, als der Judge mir so tief in die<br />

<strong>Augen</strong> zu blicken versucht hatte. Ich hätte schon gern gewusst, was aus ihm<br />

geworden ist. Wahrscheinlich hat er seiner Frau alles erzählt, die ist ganz lieb<br />

zu ihm gewesen und er musste ihr versprechen, alles zu vergessen. Dass ich<br />

durch seine Aktivitäten ja auch daran beteiligt war und eventuell Gefühle und<br />

Empfindungen entwickelt hatte, das brauchte ein Mann ja nicht zu berücksichtigen,<br />

wenn für ihn selber alles wieder in Ordnung war.<br />

Ich dachte zwar im Alltag nicht mehr daran, aber vergessen und emotionslos<br />

zur Seite gelegt hatte ich es auch wohl nicht. Ich fand es immer noch schade,<br />

und konnte mich immer noch ärgern, obwohl ich ja <strong>nach</strong> meiner Ansicht gar<br />

nichts erwartet hatte.<br />

Anruf vor den Ferien<br />

Kurz vor den Sommerferien, ich schrieb gerade an den Zeugnissen, klingelte<br />

das Telefon. Frank Heinrichs wollte dringend mit mir ein Treffen ausmachen. Er<br />

habe mir so viel zu erzählen, und am Telefon sei das gar nicht möglich. „Was<br />

willst du mir erzählen? Du kannst froh sein, dass ich deinen Namen nicht vergessen<br />

habe. Wie kommst du dazu, anzunehmen, dass ich dir zuhören will. Jemandem,<br />

der mir erklärt, dass mein Blick in betöre, dann aber eineinhalb Jahre<br />

nichts von sich hören lässt. Bis du dir sicher, dass wir den Termin nicht doch<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 12 von 54


lieber noch einmal um anderthalb Jahre verschieben sollten.“ giftete ich ihn an.<br />

„Sarah, du hast vollkommen recht. Vielleicht lässt sich in unserem Gespräch ja<br />

einiges klären. Wenn nicht, bedeutet es mir sehr viel, noch einmal mit dir reden<br />

zu können. Ich bitte dich darum“ erwiderte er mir. Am Samstag<strong>nach</strong>mittag<br />

solle er zu mir kommen, wurde ausgemacht.<br />

Franks Besuch<br />

Frank hatte sich verändert, waren es nur die anderthalb Jahre Altersunterschied<br />

seit unserem letzten Treffen? Nein. Auch ein älteres Gesicht mit Falten<br />

kann Frische und Lebenslust ausstrahlen. Ich hatte es vorher gar nicht bewusst<br />

wahrgenommen, erst jetzt fiel mir auf, dass es fehlte. Er wirkte eher sehr<br />

<strong>nach</strong>denklich und vielleicht ein wenig verhärmt. Er tat mir leid. Mein erster Gedanke<br />

war, was man wohl mit ihm gemacht habe. Wir nahmen uns in die Arme<br />

und Küssten uns. Vor fünf Minuten hatte ich noch überlegt, wann ich ihn wohl<br />

rauswerfen würde. In Bruchteilen von Sekunden war er mein Frank, der er vorher<br />

nie gewesen war. Dass ihn keinerlei Schuld treffen würde, war selbstverständlich,<br />

ohne dass er ein Wort gesagt hatte. Eigentlich war ich benebelt, das<br />

wurde mir aber erst später deutlich. Warum das aber so war, weiß ich bis heute<br />

nicht. „Frank, du wirst mir alles erzählen müssen, aber sag' mir doch vorab,<br />

warum du dich in der ganzen Zeit nicht ein einziges mal gemeldet hast.“ fragte<br />

ich ihn auf der Couch neben ihm kniend. „Weil es das Schlimmste war, was ich<br />

machen konnte, Kontakt zu dir aufzunehmen.“ antwortete er knapp, um dann<br />

erklärend fortzufahren, „Ich habe die ganze Zeit quälend daran gearbeitet, dich<br />

zu vergessen, aber nichts hat funktioniert, dein Bild in mir hat sich eher noch<br />

verstärkt.“ Und dann erzählte Frank mir die ganze Geschichte. Mit seiner Frau<br />

habe es, wie ich vermutet hatte, angefangen. Sie sei so liebevoll und mit<br />

großem Verständnis für ihn gewesen, wie er sie gar nicht mehr gekannt habe.<br />

Natürlich habe er sich für sie entschieden, und gedacht, die Erinnerungen an<br />

mich würden bald verblassen. Nach einiger Zeit seien sie zu der Überzeugung<br />

gelangt, dass er therapeutische Hilfe benötige. Er habe alles Mögliche ausprobiert,<br />

einige Therapieversuche auch abgebrochen, weil sie ganz offensichtlich<br />

nur erfolglos sein konnten. Ein Professor habe ihm mal gesagt, dass es durchaus<br />

möglich sei, dass sich etwas an Orten festsetze, wo alle Versuche dort heranzukommen,<br />

vergebens seien. Man kenne das ja auch am Umgang mit Phobien,<br />

wo sie auch häufig völlig hilflos seien. Alles habe ihn letztendlich völlig fertig<br />

gemacht, und das Anfängliche Verständnis seiner Frau, sei immer mehr in<br />

Unverständnis und Gereiztheit umgeschlagen, bis sie ihn schließlich als Spinner,<br />

psychisches Wrack und geisteskrank bezeichnet habe. Gespräche hätten<br />

nichts mehr gebracht, und seien zuletzt auch völlig unmöglich gewesen. Die<br />

Trennung sei die logische Konsequenz gewesen. Er fühle sich jetzt ein wenig<br />

befreit, und erholt von allem, so dass er jetzt wieder mit mir reden könne, und<br />

auch Lust dazu habe.<br />

Ich schaute ihn lange an, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn<br />

immer wieder auf beide Wangen. „Du Ärmster, was hast du für mich einen Leidensweg<br />

durchgemacht, wie soll ich dir das je wieder gut machen?“ Ich klet-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 13 von 54


terte auf seinen Schoß, legte meine Arme wieder um seinen Hals, und wir<br />

küssten uns richtig. Zum ersten mal, an einem Samstag<strong>nach</strong>mittag im ausklingenden<br />

Monat Juni. „Frank, ich wollte dich eigentlich heute ausschimpfen, aber<br />

jetzt ist es glaube ich wohl angebrachter, dir zu sagen, dass ich dich sehr gern<br />

mag, dass ich dich liebe.“ erklärte ich ihm bevor wir uns erneut küssten. „Dass<br />

du mir überhaupt nicht zuhören würdest, konnte ich mir eigentlich weniger<br />

vorstellen, ich hatte stärkere Angst, dass es dich im Grunde überhaupt nicht<br />

mehr interessieren würde, weil du ja damals gesagt hattest, dass du eigentlich<br />

mit einem Mann nichts zu tun haben wolltest. Aber am Telefon wurde ja schon<br />

klar, dass es dich immer noch sehr bewegte.“ meinte Frank. „Liebster, ich<br />

möchte dafür sorgen, dass wieder Leben in dein Gesicht kommt, dass es wieder<br />

Glück und Freude ausstrahlt, das man dir ansieht, dass du Lust am Leben<br />

hast. Die Zeiten der Qualen sind jetzt vorbei, vergiss sie nicht, aber sei stolz<br />

darauf, wie du dich letztlich gegen alle Versuche behauptet hast in deiner Zuneigung<br />

zu mir. Ich bin es jedenfalls, welche Frau kann schon von sich sagen,<br />

einen Mann zu haben, der so viel für sie gelitten hat. Wenn das der Kreuzweg<br />

war, dann ist heute Auferstehung. Herr Richter, ein neues Leben fängt im<br />

Moment für dich an, von dem du jede Sekunde genießen musst.“ sagte ich zu<br />

Frank vor ihm auf seinem Schoß sitzend. Er lachte und bemerkte, dass er so<br />

oft und so viel an mich gedacht habe, beim Einschlafen sich mit mir in fiktiven<br />

Dialogen unterhalten habe, aber die Wirklichkeit überbiete alle Träume. „Wirst<br />

du mir das erzählen wollen, wer ich in deinen Träumen war. Es ist zwar auch so<br />

ein angenehmes Gefühl für mich, aber warum du mich toll findest, weiß ich ja<br />

eigentlich gar nicht. Du bleibst auf jeden Fall jetzt erst mal hier. Morgen hast<br />

du ja auch frei und da schläfst du heute <strong>nach</strong>t hier.“ erklärte ich ihm.<br />

Bei dir oder getrennt<br />

Frank war überrascht, und fragte: „Bei dir?“ „Hmm“ ich musste lachen, „da hab<br />

ich überhaupt noch nicht dran gedacht, da konnte ich ja auch nicht mit rechnen,<br />

das ich heute so etwas zu entscheiden haben werde. Ich kann ja auch<br />

jetzt nicht rational das Für und Wider abwägen, und dann eine Entscheidung<br />

fällen. Und du, wie ist das denn bei dir, möchtest du denn gerne?“ „Für mich ist<br />

das natürlich auch alles völlig überraschend. Ich hatte nur vermutet, dass du<br />

eventuell selbstverständlich davon ausgehen könntest. Im Prinzip würde ich<br />

schon gerne mit dir zusammen sein, aber andererseits kommt mir das auch ein<br />

wenig sehr hastig vor. Ich wusste ja vor gut einer Stunde noch nicht einmal, ob<br />

du mich nicht möglichst bald wieder rauswerfen würdest.“ antwortete Frank.<br />

Ich schlug vor mit der Entscheidung darüber noch zu warten. Eventuell würde<br />

uns ja später eine Entscheidung darüber leichter fallen. Damit war<br />

wahrscheinlich schon klar, dass wir zusammen ins Bett gehen würden. Dadurch<br />

dass die Frage gestellt war, würden wir uns öfter damit beschäftigen, was mit<br />

Sicherheit eine Steigerung der Lust aufeinander zur Folge haben würde. Allein<br />

wenn ich mir vorstellte, seit ich weiß nicht mehr wie viel Jahren zum ersten<br />

mal wieder einen richtigen lebendigen Mann im Bett zu haben, Frank einen<br />

Mann, den ich liebte, umgaben mich schon Wonnegefühle. Für mich gab es<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 14 von 54


keine Frage mehr, ob zusammen oder getrennt, die existierte nur noch formal.<br />

<strong>Sarahs</strong> Liebe und Franks Blick<br />

Frank ich habe dir gesagt, dass ich dich sehr liebe. Einfach so. Aber ich bin fest<br />

davon überzeugt, es ist auch wirklich so. Jedenfalls <strong>nach</strong>dem, was ich darunter<br />

verstehe. Ich freue mich darauf, dich glücklich zu machen, dich glücklich zu sehen,<br />

und ich wünsche mir nichts so sehr, als dass es für dich auch so ist.<br />

Warum das so ist, wann und wodurch das entstanden ist, ich weiß es nicht. Ich<br />

glaube nicht, dass es sich vorhin in wenigen Minuten gebildet hat. Wenn mir<br />

alles relativ gleichgültig gewesen wäre, hätte ich ja nicht so oft darauf gewartet,<br />

dass du dich mal meldest. Ich habe gedacht, zu wissen, was meine Lebensvorstellungen,<br />

Erwartungen und Träume wären, aber du hast alles durcheinander<br />

gebracht, du erfüllst nicht meine Hoffnungen und Wünsche, du veränderst<br />

sie, aber so dass es mir sehr gefällt. Dabei wollte ich ja nie etwas von dir,<br />

sondern du von mir. Was war das eigentlich, das du im Gericht in meinen<br />

<strong>Augen</strong> gesehen hast? Was war für dich so verlockend daran? Kannst du mir das<br />

nicht einmal ein wenig genauer erklären?“ fordert ich Frank auf. „Was ich da<br />

gesehen habe, weiß ich selbst gar nicht richtig. Es ist ja kein Film, der dann<br />

abläuft, den man sich betrachtet, und hinterher davon erzählen kann. Nur ein<br />

kurzer Schnappschuss über den Bruchteil einer Sekunde vermittelt dir eine<br />

Impression. Das Bild selbst ist gar nicht mehr deutlich, aber bei der<br />

Interpretation bist du dir absolut sicher, ob die Assoziationen, die sich dir<br />

vermitteln, zu dem kurzen Eindruck passen. Beim ersten mal hatte ich das<br />

Gefühl, dass mich dein Anblick aufweckt, dass er frische Kraft und Lust auf<br />

wildes Glück vermittelte. So als ob du dich da<strong>nach</strong> sehntest, dich befreit von<br />

allen Konventionen austoben zu können. Wie die Knospen an den ersten<br />

warmen Tagen im Frühling voll geballter Energie stecken, um in kürzester Zeit<br />

ihre Blüten und Blätterpracht entfalten zu können, und für uns dadurch die<br />

trostlosen Farben mit ihrem zartem Grün und ihren leuchtenden bunten Blüten<br />

zu neuem Leben führen. Wie alle Menschen durch die neuen Bilder in der Natur<br />

sich freudig stimmen lassen, so erfreute mich dein Anblick, der ein<br />

Versprechen auf freies erwachendes Glück vermittelte. Wie eine Frau mit<br />

Frühlingszauber, eine Frühlingsfrau. Deine feingeschnittenen Gesichtszüge und<br />

deine Mimik beim Lächeln, sagten mir aber auch, dass du eine intelligente,<br />

wissende Frau sein musstest. Es war ein Wunschbild, dass du mir vermitteltest,<br />

ein Bild, dass ich aber selbst noch gar nicht kannte, dass du in mir in diesem<br />

kurzen Moment gemalt hattest.“ versuchte Frank es zu erklären. „Sehr schön,<br />

Frank. Es hat mir sehr gut gefallen, was du erzählt hast. Du wirst mich noch<br />

ganz oft anschauen müssen. Nur leider träume ich das gar nicht, wild und frei<br />

zu sein. Vielleicht würde ich ja gerne, nur ich wüsste überhaupt nicht, wie es<br />

dazu kommen sollte. Aber im Grunde hast du schon Recht. Ich habe immer in<br />

den gegebenen Bahnen weiter gedacht, und gemeint, das beste daraus zu<br />

machen. Ich habe mich immer für das kleinere Übel oder das kleine Glück<br />

entschieden, dass das große Glück ganz woanders zu finden sein könnte, lag<br />

außerhalb meines Alltagshorizontes. Ich glaube, wenn ich die junge Sarah<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 15 von 54


fragen könnte, würde sie die Struktur meines Lebensweges zum Kotzen finden.<br />

Sie hat sich schon eher stark wie eine Knospe im Frühling gefühlt, nur sie hat<br />

vergessen, ihre Blätter in strahlender Pracht zu entfalten. Jetzt ist es Herbst,<br />

und sie weiß gar nicht, wie sie das hätte machen sollen. Ja selbst, dass sie<br />

überhaupt blühen könnte, hat sie vergessen. Du musst ihr helfen, Frank. Sie<br />

will es noch lernen. Sie möchte dich mit ihrem hellen Violett als Herbst-Zeitlose<br />

erfreuen, und ein wenig Giftigkeit, passt sicher auch ganz gut zu ihr.“<br />

<strong>Sarahs</strong> Selbstbild<br />

Mir gefiel das Bild, das Frank gezeichnet hatte, nur der Wunsch mich leichter,<br />

lockerer und freier zu sehen, oder sehen zu wollen war in meinem Selbstbildnis<br />

nie aufgetaucht. Ich empfand mich selbst immer als sehr gefestigt und selbstsicher.<br />

Zweifel wurden nur in fachlichen Fragen zugelassen. Von Selbstzweifeln<br />

zerfressene Frauen, die sich letztendlich immer für das entschieden, was andere<br />

als richtig für sie empfanden, waren mir ein absoluter Graus. Aber waren<br />

meine Vorstellungen denn alles von mir persönlich neu entwickelte<br />

Eigenkonstruktionen? Kann es so etwas überhaupt geben, basiert nicht alles<br />

auf Erfahrungen und Wissen, dass man sich von außen angeeignet hat.<br />

Allenfalls die individuell unterschiedliche Komposition all dessen mit ihren<br />

verschieden gewichteten Elementen macht die jeweilige Persönlichkeit aus. Ich<br />

hatte merken müssen, dass ich bei mir selbst in vielen Bereichen völlig<br />

daneben lag. Die taffe Frau, die ich immer in mir gesehen hatte, schien ich<br />

überhaupt nicht zu sein. Wünsche und Bedürfnisse hatte ich nicht zugelassen,<br />

weil sie nicht in dieses rationale Konstrukt meiner Persönlichkeit passen<br />

wollten. Ich hatte möglicherweise vieles intellektuell für mich entschieden,<br />

obwohl es emotional so für mich überhaupt nicht stimmig war. Meine<br />

allergrößte Fehlentscheidung war schon gleich Ralf. Wie kann man mit<br />

jemandem zusammenleben, nur weil's im Bett ganz nett ist, mit dem man aber<br />

sonst nur über's Eierkochen reden kann. Ich hätte ihn auch am zweiten Tag wie<br />

Judith, wenn auch nicht umbringen, so doch zumindest rauswerfen sollen. Und<br />

ich habe das immer weiter gemacht. Für mich selbst Erklärungen gefunden,<br />

warum alles in Ordnung sei, obwohl ich emotional mit Sicherheit nicht so<br />

empfand. Die Frau hat sich durch ihre Selbstverpflichtung, sich als stark und<br />

widerstandsfähig zu empfinden, letztlich ihr ganzes Leben verdreht. Wer ich<br />

jetzt noch bin, wer ich wirklich bin, ich weiß es nicht. Ich will es neu erfahren,<br />

und dabei vor allem meinen emotionalen Eindrücken viel freien Raum lassen,<br />

will sie zulassen und als meine Empfindungen vorbehaltlos akzeptieren lernen.<br />

Ob dann die Herbst-Zeitlose auch mit ihren zweiundfünfzig Jahren noch zu<br />

ihrer Blüte kommt. Wir werden sehen, wünschen würde ich es mir schon.<br />

Was jetzt?<br />

„Was machen wir denn jetzt eigentlich, Frank? Deine Frühlingsfrau ist völlig<br />

ratlos. Es ist alles so überraschend und überwältigend für mich. In meiner Vor-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 16 von 54


stellung von den letzten Schultagen und den Ferien kommst du überhaupt<br />

nicht vor. Heute und morgen bist du erst mal hier, und wie sieht das für dich<br />

aus, bekommst du auch irgendwann Urlaub?“ wollte ich wissen. „Am günstigsten<br />

ist es immer in der verhandlungsfreien Zeit vom 15. Juli - 25. August, aber<br />

wenn ich das haben möchte, müsste ich mich jetzt sehr schnell darum bemühen.<br />

Hättest du denn Lust, zusammen den Urlaub zu verbringen, oder hast du<br />

schon etwas anderes vor?“ fragte Frank. Ich erklärte ihm, dass ich zwar etwas<br />

vorhabe, was ich aber für einen gemeinsamen Urlaub problemlos stornieren<br />

könne. Ich würde mich außerordentlich freuen, auch wenn wir uns erst vor einer<br />

halben Stunde zum ersten mal geküsst hätten. Aber wo und was denn? Ich<br />

wollte mit ihm nicht einfach irgendwo im Massentourismus untertauchen. Wir<br />

hatten also schon eifrig Urlaubspläne zu überlegen. Jetzt wollte ich aber noch<br />

gern mit Frank ins Café gehen, weil wir beim Kaffee zum ersten mal miteinander<br />

in Kontakt gekommen waren. Anschließend würden wir hier Abendbrot essen,<br />

und dann, na ja, dann ließen wir uns etwas einfallen. Wir grinsten uns an,<br />

und gingen zum Café.<br />

Café und Nacht<br />

„Sag mal Frank“ sprach ich ihn im Café an, „könntest du dir vorstellen, dass<br />

wir zusammen leben würden, oder möchtest du jetzt lieber allein bleiben?“ „Ich<br />

habe einen Entwicklungsplan unserer Beziehung für die kommenden 10 Jahre<br />

erstellt, nur leider habe ich ihn zu Hause liegen lassen. Sarah, ich weiß überhaupt<br />

nichts, und habe auch zu nichts Vorstellungen entwickelt. Ich weiß nur,<br />

dass ich dich sehr gern mag, und mich ungemein darüber freue, wie sich heute<br />

Nachmittag alles entwickelt hat. Ich bin dir nicht nur dankbar dafür, sondern<br />

liebe dich sehr. Vielleicht gehe ich auch gar nicht mehr weg, weil es mir so gut<br />

gefällt bei dir.“ antwortete Frank. Ich erklärte ihm, dass er jetzt albern sei, für<br />

mich das aber schon eine ungewöhnliche Vorstellung wäre, immer jemanden<br />

anders um sich zu haben. Angst habe ich aber nicht davor, ich ginge ja davon<br />

aus, mit ihm über vieles und alles reden zu können, und das sei viel ungewohnter<br />

für mich, als seine reine Anwesenheit. „Weißt du, Frank, ich habe gesagt,<br />

dass für dich heute ein neues Leben beginnt, ich denke bei mir selber ist<br />

das genauso. Ich habe so ein ähnliches Leben auch noch nie gelebt, weiß gar<br />

nicht wie es werden könnte, erwarte es aber mit freudiger Neugier. Heute ist<br />

für mich der erste Tag in meinem Leben mit dir, mit deiner Frühlingsblume, der<br />

du im März vor anderthalb Jahren erklärt hast, dass du sie gern wiedersehen<br />

möchtest.“ erklärte ich ihm, „Ich glaube, ich konnte das gar nicht richtig<br />

erfassen, was du damals gesagt hast. Es waren ja nicht einfach irgendwelche<br />

Komplimente, wie sie tausendfach Millionen von Frauen in aller Welt gemacht<br />

werden. Du hast gesagt, dass mein Anblick in dir etwas tief bewegt habe, dass<br />

vermittelt das Gefühl, als Person gemocht und begehrt zu werden, und das bedeutet<br />

mehr, als jedes äußerliche Kompliment. Ich habe es nicht so verstanden,<br />

aber ich bin mir sicher, dass ich es gespürt habe.“<br />

Nachdem ich Frank im Bett erklärt hatte, er müsse ganz vorsichtig sein, ich<br />

hätte bestimmt alles vergessen, und wisse gar nicht mehr wie es ginge, bin ich<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 17 von 54


ausgelassen über ihn hergefallen. Ich konnte mich aber bremsen, weil ich es<br />

doch auch am ersten Abend genießen wollte, ganz zärtlich zu einander zu sein.<br />

Die Vorstellung, so etwas jetzt immer als Zugabe zu meinem geliebten Freund<br />

zu bekommen, machte mich selig. Am liebsten hätte ich ihn festgehalten und<br />

gar nicht wieder aus dem Bett rausgelassen. „Frank, wenn du im Gericht fertig<br />

bist, kommst du immer ganz schnell zu mir, so lange du noch nicht bei mir<br />

wohnst. Wir können dir ja auch ein Arbeitszimmer einrichten. Es steht ja alles<br />

leer hier. Wo wohnst du denn jetzt eigentlich?“ entwickelte ich Vorstellungen<br />

für die nähere Zukunft. Seine Frau war finanziell absolut großzügig. Sie war es,<br />

die bei ihnen das Geld besorgt hatte im Gegensatz zu seinem Gehalt, dass eine<br />

Gehaltsstufe über meinem lag. Davon konnte man vielleicht angemessen leben,<br />

aber keine großen Häuser finanzieren oder unterhalten. Ich wollte mir<br />

sein neues Zuhause ansehen, aber dass ich meines mit meiner und der Geschichte<br />

meiner Kinder nicht gern aufgeben würde, wusste ich jedoch ohnehin<br />

schon.<br />

Urlaubspläne<br />

Am Sonntag wurde der Urlaub geplant. Als Zeit kamen in Frage die letzten beiden<br />

Juliwochen und die erste Augustwoche. Frank war als Student mal im Donegal<br />

gewesen, und hatte Lust, dort wieder hinzufahren. Ich hatte schon so oft<br />

etwas Interessantes von Asturien gehört, und die Picos de Europa wirkten auf<br />

mich schon attraktiv, außerdem könnten wir dann in Bilbao landen, und mir<br />

einen lang gehegten Wunsch erfüllen, nämlich endlich das Guggenheim-Bilbao<br />

von Gehry sehen. Für die frische junge Liebe in unserem Alter könnte ich mir<br />

auch die unterschiedlichen Gegenden der ländlichen Auvergne lustig vorstellen.<br />

Ich war der Ansicht, am wichtigsten sei unsere Einstellung, und dass wir nicht<br />

in absoluten Touristentrubel gerieten, dann würden wir bestimmt fast überall<br />

Schönes für uns entdecken. Frank sollte in der nächsten Woche alles detaillierter<br />

auschecken, und natürlich als erstes seinen Urlaubsantrag einreichen.<br />

Am Dienstagabend rief plötzlich mein Sohn Matthis aus New York an. Er wolle<br />

mit seiner Freundin einen Europa-Trip machen, und käme Anfang August zu<br />

mir. Matthis, was wollte er, noch nie war er wieder zu Hause gewesen, als ob er<br />

froh wäre, es nicht mehr sehen zu müssen. Hatte er eine neue Freundin, und<br />

wollte ihr zeigen, wo er herkam? Aber wir wollten ja eventuell Anfang August<br />

im Urlaub sein. Wenn ich mich jetzt hätte entscheiden müssen, wüsste ich,<br />

dass ich mich für mich, für mein Leben mit Frank entschieden hätte. Matthis<br />

hatte mich durch sein Verhalten sehr traurig und ärgerlich gemacht, aber<br />

vorhalten konnte ich ihm nie etwas. Das Maximum war, dass ich ihm gesagt<br />

hatte, er würde mich sehr glücklich machen, wenn er nicht ginge. Aber seine<br />

Reaktion war, als ob er es gar nicht gehört hätte. Ihn wiedersehen zu können,<br />

löste in mir schon ein starkes Bedürfnis aus. Gewiss wäre er ein anderer geworden,<br />

ein amerikanisierter Matthis wahrscheinlich, aber seine alten Strukturen<br />

und Wurzel konnte er ja nicht einfach getilgt, und ausgelöscht haben. Ich<br />

erklärte ihm, dass ich einen Freund habe, und wir uns voraussichtlich Anfang<br />

August in Urlaub befänden, ob er für sich nicht umdisponieren, und eine Woche<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 18 von 54


später kommen könnte. Er wollte alles überlegen, und sich morgen Abend wieder<br />

melden. Nebenbei erklärte er lapidar, das er nicht mehr bei Ralf wohne,<br />

und jetzt telefonisch unter folgender Nummer zu erreichen sei.<br />

Urlaub in Asturien<br />

Mit Ralfs Urlaubsantrag hatte alles funktioniert, und Asturien hatten wir ausgesucht,<br />

weil noch keiner von uns beiden dort gewesen war. Mir meinen Bilbao-<br />

Wunsch zu erfüllen, war Frank sehr wichtig, und auch für ihn selbst sehr interessant.<br />

Vom faszinierend beeindruckenden Guggenheim fuhren wir <strong>nach</strong> Llanes<br />

und mieteten uns dort ein Auto. Trotz Auto wären wir beinahe in Llanes hängen<br />

geblieben. Es gab nicht nur Interessantes und Amüsantes dort, wir hatten auch<br />

Leute kennengelernt, mit denen wir uns fast jeden Abend in einem Restaurant<br />

trafen. In einem Gemisch aus Deutsch, Englisch, Französisch, und Spanisch<br />

verständigten wir uns, und die Abende waren für uns immer nicht nur recht<br />

lustig, sondern auch informativ. Mein Prinz von Asturien, wollte immer lernen,<br />

den Cidra aus großer Höhe vorschriftsmäßig ins Glas zu befördern, nur leider<br />

befand sich trotz vielfacher Hilfestellungen, das meiste hinterher immer auf<br />

seinem Hemd, seiner Hose und dem Boden. Die Tage waren ausgefüllt, interessant<br />

und lustig, und in den angenehm warmen asturischen Nächten mit<br />

ihren zu dieser Zeit leichten lauen Sommerwinden, hätte man auch gut<br />

träumend schlafen können, aber die Frühlingsknospe wollte ja zum Erblühen<br />

gebracht werden. Wann sollte das besser möglich sein, als <strong>nach</strong> einem erfüllten<br />

glücklichen Tag auf der Hochzeitsreise mit ihrem Prinzen in Asturien. Auch<br />

wenn es uns hier einfach schlicht gut gefiel, und wir uns absolut rundherum<br />

wohl fühlten, wollten wir doch die Picos nicht verpassen. Wir hatten viele Tips<br />

bekommen, unter anderem die, dass die eindrucksvollsten Schluchten nur zu<br />

Fuß passierbar seien. Also Wanderausrüstung, würden wir bestimmt noch mal<br />

anderweitig verwenden könnten. Unser Urlaub in Asturien hat uns beiden so<br />

gut gefallen, das wir gemeinsam der Ansicht waren, unsere größtmöglichen<br />

Hoffnungen seien von der Realität weit übertroffen worden.<br />

Wir hatten schon vor dem Urlaub fast völlig bei mir zusammen gelebt. Frank<br />

hatte <strong>nach</strong> und <strong>nach</strong> alles Nützliche außer den meisten Möbeln herüber transportiert.<br />

Nicht nur all seine Bücher und Kleidungsstücke waren hier, sein Haus<br />

war nur noch zur Not bewohnbar. Man hätte es als riesiges Gästehaus nutzen<br />

können. Aber wozu sollten wir so viele Gäste einladen. Es jetzt schon zu vermieten,<br />

und Mieteinnahmen zu kassieren, war ihm seiner Frau gegenüber noch<br />

sehr unangenehm, obwohl ausschließlich Frank als Eigentümer festgelegt war.<br />

Also wurde es unterhalten, obwohl eigentlich niemand mehr darin wohnte. Wie<br />

wäre es für Judith, die mittlerweile einen neuen Lover hatte, bei dem sie sich<br />

allerdings auch noch nicht ganz sicher war. Wir würden zunächst noch mal<br />

warten, wie sich was entwickelte.<br />

Matthis kommt<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 19 von 54


Aber Matthis kam ja in den nächsten Tagen. Ich hatte mit einem freundlichen<br />

Händedruck gerechnet, aber er umarmte mich am Flughafen so stürmisch,<br />

dass ich ihn wohl sehr verwundert anschaute. „Ich habe dich so, so lange nicht<br />

gesehen Mom, ich freue mich einfach, dass du jetzt hier bist.“ erklärte er zu<br />

meinem erstaunten Blick. Sie waren gerade aus London gekommen, von wo<br />

aus sie eigentlich wieder zurückfliegen wollten. „Ich weiß gar nicht, was ich<br />

dich zuerst fragen will, dass du jetzt auf einmal wieder wirklich vor mir stehst,<br />

macht mich ganz nervös.“ brachte ich hervor, und Matthis schien wohl zu merken,<br />

das meine <strong>Augen</strong> begannen feucht zu werden. Er nahm mich in den Arm,<br />

und meinte, wir sollten doch jetzt zunächst mal <strong>nach</strong> Hause fahren, und da<br />

könnten wir dann ja alles besprechen. Er habe nämlich auch noch sehr viel mit<br />

mir zu beraten. Alles vergeben und vergessen? Wenn Matthis da war, gab es<br />

nichts zu vergeben und zu vergessen, ich freute mich einfach und wollte mir<br />

das nicht mit Vergangenem verderben, ich hätte es auch gar nicht gekonnt. Es<br />

war eine ausgesprochen lockere Atmosphäre, wir schienen uns beide sehr zu<br />

freuen, und scherzten viel. Frank der als Übersetzer für Joelle, Matthis Freundin,<br />

fungierte, hatte oft Mühe, die Bedeutung verständlich zu machen, bis er<br />

später gar nicht mehr übersetzte, sondern sich selbst angeregt mit Joelle unterhielt.<br />

Matthis will zurück<br />

„Können wir uns nicht mal irgendwo allein unterhalten, Mami? Ich möchte mit<br />

dir gern etwas Persönliches besprechen.“ Wir gingen in sein altes Zimmer, das<br />

noch immer unverändert war. Nachdem er alles lächelnd inspiziert hatte erklärte<br />

er mir: „Weist du, Mami, ich denke daran, <strong>nach</strong> hierhin zurückzukommen.<br />

Das Unangenehme und vieles mit dem ich nicht ständig leben möchte, ist<br />

mir erst sehr spät aufgefallen, und ich habe die positiven Strukturen hier erst<br />

sehr spät wertschätzen gelernt. Mir kommt das Leben dort in weitesten Bereichen<br />

widersprüchlich, dumm und oberflächlich vor. Durch mein Studium und<br />

Daddy habe ich natürlich auch kaum Kontakte zu Leuten bekommen, die anders<br />

denken und leben, und die sehen es genauso wie ich mittlerweile. Ich bin<br />

damals einfach kindlich dämlich fasziniert gewesen, und bin es lange geblieben,<br />

jeden Tag etwas Neues, Großes, Bewundernswertes, <strong>nach</strong> mir und meinen<br />

Lebensvorstellungen konnte ich gar nicht fragen. Dass ich Nora damals so<br />

leichtfertig verprellt habe, werde ich mir mein Leben lang nicht verzeihen. Sie<br />

war glaube ich das einzige Mädchen, dass ich wirklich geliebt habe, und ich<br />

sage ihr einfach, wenn sie mich nicht akzeptieren wolle, wie ich sei, müsse sie<br />

sich eben einen anderen suchen. Dabei hatte sie damals in wenigen Tagen<br />

durchschaut, wie sich alles abspielte. Wir haben uns nicht nur geliebt, sondern<br />

sie war auch bewundernswert klug. Ich denke noch oft an sie, und wüsste mal<br />

gern, was sie wohl macht.“<br />

Matthis und Joelle<br />

„Und was ist mit Joelle, liebst du sie gar nicht, und schleppst sie trotzdem mit<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 20 von 54


<strong>nach</strong> Europa.“ fragte ich ihn. „Ich weiß es selbst gar nicht richtig.“ antwortete<br />

er, „Ich mag sie sehr gern. Wir lieben es, zusammen zu sein, und wir kennen<br />

uns auch schon recht lange. Sie ist sehr lieb und nett, vielleicht zu lieb und<br />

nett. So etwas wie ein Funke, ein Feuer, eine Spannung, scheint mir aber zu<br />

fehlen. Ich denke, ich werde einmal eine Frau kennenlernen, bei der das so<br />

sein wird, und ich werde nicht anders können, als sie verlassen. Das würde mir<br />

sehr weh tun. Da sollte man es am besten gar nicht so weit kommen lassen.<br />

Aber jetzt einfach so aus solchen rationalen Erwägungen Schluss zu machen,<br />

das kann ich auch nicht. Ich denke auch, dass Joelle die Beziehung zu mir anders<br />

sieht, und meine Eistellung nicht erkennt. Mir gefällt alles sehr gut, nur irgendetwas<br />

scheint mir zu fehlen. Vielleicht bin ich auch durch Nora verwöhnt.“<br />

„Dann ziehst du wieder <strong>nach</strong> Deutschland, und wenn sie dich dann besuchen<br />

kommt, sagst du ihr, sie soll sich doch einen anderen suchen. Oh, oh Matthis,<br />

wieso hast du mit so vielen Problemen zu kämpfen? Von wem hast du das gelernt?“<br />

bemerkte ich leicht zynisch, „Matthis, du sagst, du fühlst dich wohl, obwohl<br />

du weißt, dass es mit Joelle früher oder später zu Problemen kommen<br />

wird. Ich glaube eher, dass diejenigen Teile, die dein Hirn umgeben, versuchen,<br />

die tieferliegenden zu belügen. Das funktioniert aber nicht. Die lassen sich<br />

nicht von deinen Gedankenkonstrukten in die Irre führen. Du lebst im<br />

Zwiespalt mit dir selbst. Du solltest lieber auf die in deinem Kopf hören, die dir<br />

Informationen geben, die eventuell gar nicht in dein Bild von dir selbst passen,<br />

sie wissen meistens besser Bescheid als deine Gedankengebäude. Mir ist das<br />

selbst im Zusammenhang mit Frank aufgefallen, er hat etwas in mir gesehen,<br />

was ich selbst für abstrus gehalten hätte.“ „Und was hat er gesehen?“ wollte<br />

Matthis wissen. „Na, dass ich eine Frühlingsblume bin.“ erklärte ich lachend,<br />

Matthis reagierte lächelnd, das habe er doch schon immer gewusst. „Jetzt lass<br />

uns zu den anderen gehen, sonst denken die, wir wollten nichts mit ihnen zu<br />

tun haben, aber wenn du magst, würde ich noch gern mehr mit dir reden.<br />

Matthis küsste mir auf die Stirn und wir gingen zurück in den Wohnbereich.<br />

Joelle<br />

Frank und Joelle unterhielten sich noch immer angeregt lustig, als ob sie uns<br />

gar nicht vermisst hätten. „No, no, no, that's not true. You will make me<br />

laugh!“ sagte Joelle und Frank antwortete darauf, „Life is to short to be anything<br />

but happy.“ worauf Joelle gar nicht mehr lustig reagierte, sondern verträumt<br />

ernst zur Wand schaute. Ob ich mich mal irgendwann mit ihr unterhalten<br />

sollte? Sie tat mir leid, obwohl ich Matthis auch verstehen konnte. Aber<br />

jetzt sprachen wir erst mal über ihren Eurotrip, was sie erlebt hatten und was<br />

sie noch erleben wollten. Joelle erzählte interessant und lustig, und Matthis<br />

musste manchmal durch einen <strong>Augen</strong>aufschlag von mir zur Zurückhaltung aufgefordert<br />

werden. Joelle gefiel mir, ich sah in ihr eine wunderbare junge Frau,<br />

was musste man für ein tumber Mann sein, wenn man sich in sie nicht verlieben<br />

konnte. Aber so etwas gehört eben zu den Angelegenheiten, die wir nicht<br />

mit dem Verstand organisieren können. Als ich mal mit Joelle allein in der Küche<br />

das Abendessen zubereitete, erklärte ich ihr, dass sie meiner Ansicht <strong>nach</strong><br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 21 von 54


manchmal so versonnen, leicht traurig schaue. Sie sah mich mit großen <strong>Augen</strong><br />

an, und wollte wissen, was ich damit meine. „Es scheint mir, als ob du manchmal<br />

an etwas denkst, das dich traurig stimmt, mir fällt das auf, weil du meistens<br />

sehr lebendig und lustig bist. Es geht mich im Prinzip ja nichts an, aber<br />

hast du vielleicht Probleme mit Matthis?“ erklärte ich ihr. Joelle schaute länger<br />

mit breit gezogenen Lippen auf die gegenüberliegende Wand, und sagte dann<br />

knapp: „Nun ja, er liebt mich nicht.“ „Woher weißt du das?“ wollte ich von ihr<br />

wissen. „So etwas merkt man doch als Frau“ erwiderte Joelle. „Ich weiß das<br />

gar nicht,“ erklärte ich, „ich bin gerade zum ersten mal in meinem Leben richtig<br />

verliebt.“ Wir lachten uns halb tot. „Warum haben eigentlich immer Frauen<br />

die Probleme mit der Liebe? Ich glaube die Männer wissen fast alle gar nicht,<br />

was das ist.“ bemerkte Joelle. Da wusste ich, dass es ganz anders sein konnte,<br />

und erzählte ihr die Geschichte von Frank. „Oh ist das fantastisch! Wie ein Märchen.<br />

Wie fühlst du dich denn eigentlich dabei als Prinzessin. Vielleicht sollte<br />

man wirklich von einem Mann mehr fordern, sollte ihn sich um einen bemühen<br />

lassen, für einen kämpfen lassen. Wenn man gleich nett zu ihnen ist, wissen<br />

sie das gar nicht zu schätzen.“ Joelle darauf. „Joelle, nenn die Prinzessin doch<br />

einfach lieber Sarah, ich rede dich ja auch mit deinem Vornamen an, obwohl<br />

du genauso eine erwachsene Frau bist wie ich.“ meinte ich. Ich bekam einen<br />

Kuss von ihr, und wir strahlten uns an. Sie schien mich zu mögen. „Joelle, hättest<br />

du Lust, wenn wir beide mal etwas unternehmen würden? Matthis kann<br />

sich dann ja von meinem Freund die wichtigsten Gesetze erklären lassen.“<br />

fragte ich sie. „Ja, sehr, natürlich, gern.“ war ihre überschwängliche Zustimmung.<br />

Mit Joelle im Café<br />

Wir wollten zu einem Café in der Innenstadt, und Joelle war ganz verzaubert<br />

von den uralten Häusern, die heute immer noch normale selbstverständliche<br />

Funktionen erfüllten. Auf sie wirke es so, dass das selbstverständliche Leben in<br />

einer geschichtsträchtigen Umgebung, ein tieferes Empfinden hervorrufe. Sie<br />

würde es für sehr angenehm halten, hier leben zu können. Bei ihnen komme<br />

ihr dagegen alles so flach, bunt, lärmend und oberflächlich vor. Es ist wichtig<br />

tausend Bekannte zu haben, aber man hat niemandem, mit dem man vertrauensvoll<br />

reden kann, und selbst wenn, ist es häufig kaum mehr als ein Schauspiel.<br />

Es wird etwas gefeiert, aber was Spaß macht, ist die Lust am Trubel, und<br />

nicht die Freude über das Ereignis selbst. Ich bin bestimmt nicht depressiv,<br />

tiefsinnig grübelnd, ich habe Lust mich zu freuen, glücklich und gut drauf zu<br />

sein, nur vielfach erscheint mir der größte Teil des Alltags wie ein unaufhörlicher<br />

Jahrmarkt. Im Grunde fühle ich mich häufig sehr allein. Ich empfinde<br />

mich manchmal wie eine reife Frau, die gezwungen ist, sich ihre Freundinnen<br />

unter pubertierenden Teenies aussuchen zu müssen. Das Dümmste, was ich<br />

gemacht habe, war wahrscheinlich, dass ich Business studiert habe, da ist die<br />

Anzahl anders Denkender nochmal extrem gering.<br />

Völlig unüberlegt plapperte ich, dass sie ja bald anders leben könne, wenn<br />

Matthis <strong>nach</strong> Deutschland zurück komme. Ihre großen <strong>Augen</strong> fixierten mich,<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 22 von 54


langsam füllten sich die unteren Lieder mit Flüssigkeit, und Joelle suchte <strong>nach</strong><br />

einem Taschentuch. „Entschuldigung Joelle, ich habe nicht bedacht, was ich<br />

sage. Ich habe etwas ganz Dummes gesagt.“ versuchte ich die Unmöglichkeit,<br />

mein Gesprochenes abzumildern. „Nein, nein, es ist gut, sehr gut, dass du das<br />

gesagt hast.“ entgegnete Joelle, „Was soll das denn bedeuten. Er will <strong>nach</strong> Europa,<br />

und spricht mit mir gar nicht darüber. Was ist das denn für eine Freundschaft<br />

oder gar Liebe? Hat er Angst, dass ich sagen könnte, prima, ich komme<br />

mit? Plant er so mich los zu werden, in dem er mir zwei Tage vorher sagt, so<br />

ich gehe jetzt <strong>nach</strong> Deutschland, wenn du magst, kannst du mich ja mal besuchen<br />

kommen? Er traut sich nicht, mir zu sagen, dass er mich nicht liebt, und<br />

er hat ja auch keine andere, die ihm das Leben versüßen könnte. Soll ich mir<br />

das denn gefallen lassen, ich kann ja mein eigenes Bild im Spiegel nicht mehr<br />

anschauen. Gibt es denn einen winzig kleinen Anhaltspunkt, dass sich da jemals<br />

etwas ändern könnte? Warum soll ich mich länger selbst quälen?“ entwickelte<br />

Joelle ihre Vorstellungen. Ich schaute sie an und hörte ihr stumm zu.<br />

„Du brauchst mir gar nichts dazu zu sagen, Sarah“ fuhr sie fort, „Ich verstehe<br />

es völlig, wenn du Matthis verteidigst, er ist ja dein Sohn. Ich musste nur mal<br />

meine Verletztheit zum Ausdruck bringen, und es tut mir schon gut, dass du<br />

mir nur zugehört hast.“ „Joelle ich habe nicht nur zugehört, und auch nicht<br />

daran gedacht, wie ich meinen Sohn verteidigen könnte, ich habe nur daran<br />

gedacht, was für ein Trauerspiel es ist, wie leichtfertig Männer immer wieder<br />

Frauen massive Schmerzen bereiten, und dass ich es nicht ertragen kann, was<br />

Matthis dir antut. Ich stehe voll auf deiner Seite, und da ist es gleichgültig, ob<br />

der Mann Matthis heißt, oder sonst einen Namen trägt. Das solltest du wissen.“<br />

reagierte ich darauf. Joelle fiel mir um den Hals und küsste mich. „Sarah,“ sagte<br />

sie schon wieder mit einem Lächeln, „weißt du was, du tust mir richtig gut.<br />

Ich mag dich sehr. Ich habe das Gefühl, du machst mich stärker, und unerfahren<br />

scheinst du auch nicht zu sein, auch wenn du gerade zum ersten mal verliebt<br />

bist.“ Das war wieder ein Anlass zu gemeinsamem Gelächter. „Ja, das hört<br />

sich vielleicht ganz lustig an, mit 52 zum ersten mal verliebt, ich habe ja sogar<br />

einen Mann, mit dem ich immer noch verheiratet bin, aber jetzt im Zusammenhang<br />

mit Frank ist mir einiges über mich bewusst geworden, was ich<br />

für äußert bedeutsam halte.“ kommentierte ich kurz. „Und wo ist dein richtiger<br />

Mann jetzt?“ fragte Joelle. Jetzt war ich allerdings sehr verwundert. „Da wirst<br />

du auch am besten den großen Schweiger mal fragen müssen. Weiß du denn<br />

gar nicht wo Matthis gewohnt hat?“ fragte ich erstaunt. „Doch, natürlich in einem<br />

Apartment in der Nähe der St. Paul's Chapel am Morningside Park.“ war<br />

Joelles Antwort. „Und wie lange wohnt er da schon?“ fragte ich weiter. „So lange<br />

wir uns kennen, ich wüsste nicht, wo er sonst gewohnt haben sollte. Also<br />

sei anderthalb Jahren wohnt er auf jeden Fall dort.“ antwortete Joelle. Ich<br />

schluckte und holte tief Luft. Dann erzählte ich Joelle die Story mit meinem<br />

Mann und Matthis, der sofort <strong>nach</strong> dem Abitur zu ihm gezogen war, und da angeblich<br />

bis vor wenigen Wochen gewohnt hatte. „Joelle, lass die Finger von so<br />

einem, du bist viel zu schade für den. Er ist vielleicht lustig und kann mal ganz<br />

nett sein, wenn ihm da<strong>nach</strong> ist, aber er wird die Gefühle anderer Menschen<br />

nicht wahrnehmen und nicht achten. Du gräbst dir selber dein psychisches<br />

Grab.“ warnte ich sie vor meinem Sohn. „Ich habe mich vorhin schon entschieden,<br />

Sarah, keine Sorge.“ „Was machen wir denn jetzt, Joelle, ich möchte gar<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 23 von 54


nicht, dass du einfach gehst. Ich habe dich in der kurzen Zeit richtig ins Herz<br />

geschlossen.“ fragte ich ratlos. Joelle lächelte geschmeichelt, sie fände es ja<br />

auch sehr schön mit uns zusammen, aber sie könne ja nicht anders. Sie müsse<br />

ja schließlich wieder arbeiten. Dann erzählte sie mir, dass sie an der gleichen<br />

Hochschule wie Matthis studiert habe, aber schon im vorigen Semester ihr MBA<br />

Examen abgelegt habe, und jetzt als Assistentin bei einer New Yorker Firma<br />

eine Anstellung gefunden habe. Ich wollte es erst mal ruhen lassen, und fragte<br />

sie, ob denn in den USA schon mal jemand etwas von Münster gehört habe.<br />

„Oh ja, oh ja,“ reagierte sie, „da gab es doch diesen schrecklichen Religionskrieg,<br />

zwischen Katholiken und Lutheranern, der 30 Jahre gedauert hat. Und<br />

dabei kam irgendetwas von Münster vor. Aber was, daran erinnere ich mich<br />

nicht mehr.“ Ich erklärte ihr, dass hier der Frieden geschlossen worden sei, da<br />

vorne in dem Haus, mit Kaisern, Königen und Gesandten aus ganz Europa.<br />

Wenn sie Lust habe, könnten wir ja gleich mal kurz reinschauen. Dann erzählte<br />

ich ihr noch die Geschichte darüber, was es mit den Käfigen am Kirchturm auf<br />

sich hatte. Unglaublich, unglaublich, brachte Joelle immer wieder hervor. Es sei<br />

eigentlich alles ein Museum, und die Menschen verhielten sich, als ob es das<br />

Selbstverständlichste der Welt sei hier zu leben. „Wunderbar, wie schal und<br />

flach ist es dagegen bei uns. Und wenn man mal einen etwas älteren Ochsenkarren<br />

findet, wird gleich ein Festival darum inszeniert. Und die meinen, sie<br />

hätten die Cultural Leadership, denen fehlt doch jegliche Basis. Sie verstehen<br />

sie zu vermarkten, aber wie man hier lebt und aufwächst, das kann man doch<br />

nicht importieren.<br />

Bleibt Joelle?<br />

„Wenn ich mal Kinder haben sollte, möchte ich dass sie in Europa aufwachsen.“<br />

erklärte Joelle begeistert. Da müsse sie aber an ihren Sprachkenntnissen ein<br />

wenig arbeiten, sonst käme nur England und Irland in Frage. Na, verständigen<br />

könne sie sich in Französisch schon, und geschichtsträchtige Orte gebe es da ja<br />

auch en masse, aber von der Geschichte (der älteren natürlich) und der Struktur<br />

her, würde sie eigentlich Deutschland am meisten reizen, auch wenn sie<br />

früher noch nie hier gewesen sei, aber die Sprache sei ja unerlernbar. „Ich<br />

bringe Schülern beides bei, Deutsch und Englisch. Bei mir könntest du dich<br />

also entscheiden, ob du Deutsch oder Englisch lernen willst.“ scherzte ich und<br />

erzählte ihr ein wenig über die Schule, und was ich dort mache. „Wenn du<br />

deutsch lernen willst, können wir gleich damit anfangen.“ bot ich ihr scherzhaft<br />

an. „Kann man als Master of Business Administration hier denn überhaupt arbeiten?“<br />

fragte Joelle. Sie machte sich also schon Gedanken. „Selbstverständlich<br />

MBA gilt doch weltweit. Joelle, damit wir uns nicht missverstehen, ich will<br />

dich keinesfalls zu irgendetwas drängen, nur wenn du es selber gern möchtest,<br />

was mich natürlich außerordentlich freuen würde, kann ich dir größtmögliche<br />

Unterstützung anbieten. Du könntest selbstverständlich bei uns wohnen, du<br />

könntest sogar ein ganzes eigenes Haus haben. Ich weiß nicht, wie es mit deinen<br />

finanziellen Verhältnissen aussieht, aber für die Zeit, in der du noch<br />

Deutsch lernst, und nichts verdienst, könnten wir dich auch über Wasser hal-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 24 von 54


ten. Also wenn du es wirklich gerne wolltest, würden wir es mit Sicherheit geregelt<br />

bekommen.“ erklärte ich ihr. „Sarah, warum tust du das alles für mich?“<br />

fragte Joelle. „Weil ich dich mag, sehr mag. Und ich möchte, dass es dir gut<br />

geht, dass du glücklich bist, und nicht mehr mit traurig verlorenem Blick in die<br />

Gegend starren musst. Du bist eine tolle junge Frau, du hast es nicht nötig, dir<br />

von anderen dein Leben dirigieren zu lassen. Du kannst selber bestimmen,<br />

welche Musik gespielt werden soll, und darin würde ich dich gerne unterstützen.<br />

Ich denke, dass es Frauen manchmal einfach besser zusammen schaffen<br />

können.“ antwortete ich. Joelle schaute mich an, schaute mich lange an, strich<br />

mir mit beiden Händen über die Haare an jeder Seite. „Sarah, ich möchte dir<br />

ganz viele Komplimente machen, das tue ich später mal, jetzt sage ich dir lieber<br />

nur, 'Ich glaube ich habe mich einfach so jetzt schon entschieden'.“ und mit<br />

vorgerecktem Kopf, großen <strong>Augen</strong> und lachendem Mund fügte sie mit jeweils<br />

kurzen Abständen hinzu, „Für Dich, für Münster, für Deutschland“. Wir<br />

umarmten uns, drückten unsere Wangen aneinander und gaben uns einen<br />

Kuss. Ich werde jetzt so schnell wie möglich zurückfliegen, und alles regeln.<br />

Das finanzielle übernehmen bestimmt meine Eltern. Mein Daddy wird seine Joelle<br />

doch nicht hungern sehen können, aber wie ich ihnen das erklären soll,<br />

dass ich hier nicht mit meinem deutschen Freund zusammenleben werde, sondern<br />

mich von ihm getrennt habe, und jetzt mit seiner Mutter und ihrem<br />

Freund zusammen leben werde, wird ihnen wahrscheinlich schwer einsichtig zu<br />

machen sein. Sarah, du bist eine tolle Frau, ich liebe dich.“ erklärte Joelle und<br />

schlug vor, doch einfach noch ein wenig durch irgendeine der Seitenstraßen zu<br />

gehen, hier sei ja alles voll mit diesen wunderschönen Häusern.<br />

Joelle macht Schluss<br />

Als ich Joelle ihr Zimmer zeigte, bekam Matthis es mit. „Was ist los? Was hat<br />

das zu bedeuten?“ wollte er wissen. „Joelle wird hier schlafen.“ erklärte ich<br />

ihm. Als er 'wann' frage, antwortete Joelle ihm: „Für immer.“ „Was ist los? Was<br />

ist geschehen? Was hast du?“ fragte er Joelle, aber Joelle antwortete ihm nicht.<br />

„Joelle, habe ich dir etwas angetan? Bist du unzufrieden mit mir? Ich verstehe<br />

nichts.“ hakte er <strong>nach</strong>. „Meinetwegen kannst du bei dir selber <strong>nach</strong> einer<br />

Antwort suchen, oder es auch bleiben lassen. Es interessiert mich nicht. Von<br />

mir wirst du sie jedenfalls nicht bekommen. Du bist es ja auch gewohnt, mir<br />

das Wesentlichste zu verschweigen.“ erwiderte ihm Joelle. „Du hast das<br />

gemacht. Du hast ihr geraten, mit mir Schluss zu machen. Bin ich deshalb<br />

<strong>nach</strong> Hause gekommen, damit meine eigene Mutter mir meine Freundin<br />

nimmt. Bin ich deshalb so offen zu dir gewesen, damit du mich verraten<br />

kannst. Was bist du nur für eine Frau, und das soll meine Mutter sein.“ fing<br />

Matthis an mich zu beschimpfen und wurde dabei immer lauter und grober. Nur<br />

durch ein sehr lautes: „Matthis!“ konnte ich ihn bremsen. „Weißt du überhaupt<br />

was du tust? Willst du unbedingt bewirken, dass ich dich hier rauswerfen<br />

muss.?“. Er ging in sein Zimmer, und ließ die Tür hinter sich zuknallen.<br />

Joelle zeigte ich eine mit dem Daumen <strong>nach</strong> oben gerichtete Faust und kommentierte<br />

sie mit „Great!“. Joelle lächelte und wollte wissen, ob Matthis öfter<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 25 von 54


gegenüber mir so ausfallend werde. Bis er gegangen sei, hätte ich es noch nie<br />

erlebt. Ich hätte mir so ein Verhalten von ihm gar nicht vorstellen können. Besonders<br />

nicht jetzt. Er habe so offen und vertrauensvoll mit mir geredet, und<br />

habe auch über ihre Beziehung ehrlich gesprochen. Ich hätte ihm klar zu machen<br />

versucht, dass es so dir gegenüber nicht laufen könne. „Und als ich dein<br />

Gesicht sah, als Frank meinte, das Leben sei zu kurz, um nicht glücklich zu<br />

sein, war mir klar, dass du es wusstest. Du hast mir leid getan. Ich wollte von<br />

dir hören, wie du es empfindest, um noch einmal mit Matthis darüber zu sprechen,<br />

aber dann hat sich ja alles ganz anders entwickelt. Fand ich übrigens<br />

stark, wie du das vorhin gemacht hast, absolut stark.“ erklärte ich Joelle.<br />

Gespräch mit Matthis<br />

Zum Abendbrot war Matthis nicht erschienen. Später kam er, und fragte, ob er<br />

mich mal sprechen könne. Er wollte sich tausendmal entschuldigen, und konnte<br />

sich nicht erklären, wie so etwas passiert sei. „Matthis, als ich dich vorhin<br />

fragen gehört habe, 'und das soll meine Mutter sein', hätte ich am liebsten gesagt,<br />

ja leider. In dem Moment warst du mir abscheulich. Wo hast du das her.<br />

Wie kommst du dazu, so jegliche Kontenance zu verlieren? Passiert dir das öfter?<br />

Bist du krank?“ fragte ich ihn. „Nein, wieso? Vielleicht doch. Ich fühle mich<br />

oft total verwirrt. Zum Beispiel Joelle, sie ist eigentlich eine absolut tolle Frau.<br />

Sie ist eine Ausnahme, ich habe das Gefühl wir verstehen uns wunderbar,<br />

warum liebe ich sie nicht? Weiß ich vielleicht gar nicht mehr, was das ist? Du<br />

hast es beim letzten mal ja schon gesagt, ich habe wirklich sehr oft das Empfinden,<br />

dass ich mich in mir selber nicht mehr auskenne. Und ich habe niemanden,<br />

mit dem ich darüber reden könnte Aber was ich vorhin gesagt habe, war<br />

absoluter Schwachsinn, der sich mir in der Rage so formuliert hat. Ich liebe<br />

dich Mami, sehr, ich hätte am liebsten hundert Prozent von dir und nicht<br />

fünfzig Prozent von diesem Verbrecher.“ erklärte Matthis. Was sollte das<br />

heißen, was hatte es zu bedeuten. „Oh je, das ist eine lange widerliche<br />

Geschichte, bei der es mir sehr schwer fällt, sie zu erzählen. Ich werde es aber<br />

bestimmt noch einmal tun. Am meisten ärgert mich nur daran, dass ich da<br />

nicht sofort zurückgekommen bin, sondern trotzdem immer noch gedacht<br />

habe, 'New York, wunderbar!'. Ich bin schon <strong>nach</strong> einem halben Jahr bei Daddy<br />

ausgezogen. Es war eine Mischung aus Unerträglichkeit und Rausschmiss. Ich<br />

habe mich geschämt, geschämt zu sagen, dass ich mich so geirrt hatte,<br />

geschämt zu sagen, warum ich ausgezogen war, und geschämt dafür, dass ich<br />

so einen Menschen zu meinem Vater hatte. Ich hätte mir am liebsten jedes<br />

Gen von ihm heraus operieren lassen.<br />

Ich glaube schon, dass ich vieles falsch mache, was mit meinem Intellekt<br />

nichts zu tun hat. Dass ich manches gar nicht wahrnehme, oder erst hinterher<br />

erkenne, wenn es zu spät ist. Hast du Joelle gesagt, dass ich sie nicht richtig<br />

liebe?“ schloss Matthis mit einer Frage. „Ach, Matthis, du bist auch ein kleines<br />

dummes Männlein.“ antwortete ich ihm während er seinen Mund zu einem Lächeln<br />

verzog, „Wie kannst du denn davon ausgehen, dass eine Frau so etwas<br />

nicht selber merkt. Das ist in vielen Dingen so, das Frauen wesentlich mehr<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 26 von 54


und schneller etwas merken und durchschauen als Männer, deshalb reagieren<br />

sie oft besonders empfindlich, wenn Männer sie für dumm zu verkaufen versuchen,<br />

und zu wissen meinen, was für sie das Richtige ist. So kann keine gleichberechtigte<br />

Partnerschaft laufen, das hat eher eine Tendenz in Richtung Sklavenhaltung.“<br />

„Wieso? Was habe ich Joelle denn getan? Wo habe ich ihr denn<br />

Vorschriften gemacht?“ reagierte Matthis gereizt und hatte einen hochroten<br />

Kopf bekommen. „Was ist los, Matthis? Warum regst du dich so auf? Was habe<br />

ich denn Schlimmes gesagt?“ wollte ich wissen. „Ach nichts, nichts, gar nichts.<br />

Ist schon alles in Ordnung, oder doch, so viel, ich werde es dir ja sowieso mal<br />

erzählen. Dein Mann, mein Dad ist ein absolutes Schwein, ein Verbrecher. Er<br />

behandelt seine Freundin, eine total liebe, nette schlichte junge Frau wie seine<br />

Sklavin. Sie muss masochistisch sein, dass sie ihn nicht einfach verlässt. Es<br />

ging so weit, dass ich schon bei der Police war, aber so lange er sie nicht<br />

schlägt, und sie nicht am Fortgehen hindert, können die nichts machen. Du<br />

glaubst nicht was ich erlebt habe, ich würde es liebend gern vergessen können,<br />

aber es funktioniert überhaupt nicht. Wenn du dann so etwas in meinem Verhältnis<br />

zu Joelle erwähnst, dann wird nicht nur mein Kopf rot, sondern auch<br />

alle Sturmlampen darin.“ klärte Matthis mich auf. Ich schaute ihn lange an,<br />

und wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte. Es kam mir vor, als ob er nicht<br />

nur manchmal leicht verwirrt war, sondern von erheblichen Beschädigungen<br />

betroffen war. Ich empfand Hilflosigkeit, gegenüber dem, was sich in seiner<br />

Gefühlswelt und seiner Selbstwahrnehmung abspielte. Ich hatte das Bedürfnis,<br />

freundlich und hilfsbereit zu ihm zu sein. Er kam mir verletzt vor. Heilen können,<br />

würde ich ihn dadurch nicht. Dessen war ich mir sicher.<br />

Matthis Beziehungsproblematik<br />

„Was hast du denn bei Joelle für Fehler gemacht, dass sie nichts mehr von dir<br />

wissen will. Es wäre doch auch denkbar, dass für beide klar ist: 'Mit der Liebe<br />

funktioniert's nicht, aber wir mögen uns und sind gute Freunde.' Sie muss dich<br />

ja sehr mögen, wenn sie weiß, das du sie nicht liebst, und trotzdem immer mit<br />

dir ins Bett geht. Das ist doch für jeden Menschen etwas Kostbares, das setzt<br />

man doch nicht so einfach auf's Spiel.“ fragte ich Matthis. „Du wirst es besser<br />

wissen. Mir hat sie ja nichts gesagt. Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht<br />

habe.“ reagierte er. „Doch, ich habe gehört, was sie dir gesagt hat,“ antwortete<br />

ich, und merkte, wie Matthis sich zu erinnern versuchte, was es wohl gewesen<br />

sein könnte, „ich werde es aber jetzt nicht wiederholen. Solange du nicht<br />

selbst zu einer Entwicklung findest, in der dir klar wird, was für Joelle unerträglich<br />

war, wirst du wohl keine Chance haben, das Verhältnis zu ihr zu verbessern.<br />

Du erklärst mir, was deine Freundin Joelle für eine absolut tolle Frau<br />

ist, und zwei Sätze später sagst du, du hast niemanden mit dem du reden<br />

kannst. Wer soll das denn verstehen? Verstehst du selber so etwas? Was geht<br />

denn in dir vor, wenn du so denkst? Was für eine tolle Freundin ist denn diese<br />

Joelle, wenn du nicht mal mit ihr reden kannst? Oder brauchst du Mami um reden<br />

zu können? Für mich ein absolutes Rätsel. Klär mich auf!“ bat ich Matthis.<br />

Er lächelte leicht gequält, und meinte: „Ja, ja, du hast eigentlich absolut recht.<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 27 von 54


Völlig verrückt, aber warum ich nicht darauf komme, warum mir das nicht auffällt,<br />

und warum ich nicht, wie andere es tun würden, selbstverständlich mit<br />

Joelle darüber rede, dazu fällt mir überhaupt nichts ein.“ „Matthis, du hast dich<br />

vorhin mal gefragt, du wüsstest nicht, ob du überhaupt noch lieben könntest,<br />

ich glaube nicht, dass das mit der Haltung, die du zur Zeit hast, funktionieren<br />

kann. Du kannst zwar rational erkennen, dass es richtig wäre mit Joelle über<br />

deine Probleme zu reden, aber so funktioniert das nicht. Du siehst alles aus<br />

deiner Perspektive, auf dich bezogen, und damit gehst du um. Deine Partnerin<br />

kommt darin nur vor, so weit es für dich von Bedeutung ist, oder du es für<br />

wichtig oder interessant hältst. Eine Freundin in deiner egozentrisch Sicht<br />

möchte ich auch nicht sein. Eine Frau zu lieben bedeutet, selber Lust zu haben,<br />

sie glücklich zu machen. Ihre Wünsche, ihre Gefühle, ihre Bedürfnisse sind dir<br />

wichtig. Du hast Lust daran, dich zu fragen was sie möchte, sie ist die andere<br />

Hälfte in dir. Du kannst nichts tun, was für dich selber unangenehm wäre. Das<br />

alles empfindest du so selbstverständlich. Wenn du aus deinem Bild entscheidest,<br />

was gut und wichtig für diese Frau ist, hat das mit gleichberechtigter<br />

Partnerschaft nichts zu tun, und wird auch niemals dahin kommen. Und ohne<br />

die kann es gemeinsame Liebe eigentlich nicht geben. Aber nicht nur Liebe,<br />

auch eine tiefere Freundschaft setzt altruistische Empfindungen voraus. Ich<br />

denke, dass du zur Zeit gar nicht in der Lage bist, dich in Joelle hineinzuversetzen,<br />

und ihre Position zu sehen, das ist das Problem, aber so etwas lässt sich<br />

ändern, das kann man lernen, wenn man will.<br />

Wenn ich dir einen Rat geben darf, entschuldige dich einfach bei Joelle für das,<br />

was du ihr unbewussterweise angetan hast, und sag ihr vielleicht noch, dass<br />

du lernen willst, es zu erkennen, und dich freuen würdest, dann noch einmal<br />

mit ihr reden zu können.“ Matthis notierte sich eifrig, was ich gesagt hatte,<br />

wenn es auch nicht die große Liebe war, einen bedeutenden Platz in seinem<br />

Herzen, schien Joelle aber doch zu besetzen.<br />

Matthis braucht eine Therapie<br />

„Aber Matthis,“ fuhr ich fort, „unabhängig von deinen Beziehungsproblemen<br />

habe ich Dinge von dir gehört, die mich verwirrt haben, die mich traurig machen,<br />

traurig für dich, du tatest mir leid, ich hätte dich gern getröstet, wie ich<br />

es bei dir als kleiner Junge getan habe, wenn du mal auf die Nase gefallen<br />

warst, nur ich befürchte, das hilft hier wohl nichts. Ich meine, ich kann es sehr<br />

gut verstehen, wenn du dich manchmal verwirrt fühlst, ich nehme an, dass es<br />

die moderate Form der Beschreibung deines Zustandes ist. Auch wenn du mit<br />

Joelle darüber gesprochen hättest, es hätte dir bestimmt gut getan, aber helfen<br />

hätte sie dir auch nicht können. Vielleicht hätte sie aber das gesehen, was<br />

ich auch zu erkennen glaube, dass man mit derartigen Belastungen nicht alleine<br />

fertig werden kann, und sich das ganze Leben verdirbt, wenn man sie mit<br />

sich schleppt, weil sie immer neue zusätzliche Probleme produzieren. Völlig unabhängig<br />

davon, ob man meint, alles im Griff zu haben. Du hast es verdrängt,<br />

aber es arbeitet fleißig weiter in dir. Vielleicht sind deine Beziehungsprobleme<br />

ja auch ein Produkt davon.“ „Du meinst, ich soll zum Psychiater?“ fragte Matt-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 28 von 54


his erstaunt. „Ich meine nur, dass dir erhebliche psychische Verletzungen zugefügt<br />

wurden, die von selbst nicht verheilen. Wenn ich recht habe, und wenn<br />

das so ist, wer kann dir da helfen? Du bist nicht glücklich, zufrieden und ausgeglichen,<br />

und dass es allein daran liegen soll, das dir New York nicht mehr gefällt,<br />

kann ja wohl schlecht sein. Nach dem anderen, was ich ja nur in Ansätzen<br />

von dir gehört habe, glaube ich aber, mir sehr gut vorstellen zu können, womit<br />

es zusammenhängt. Ich denke, es kann dir nur helfen, das zu versuchen.“<br />

Jetzt müsse er aber erst mal zurück. Nach dem Examen werde er dann definitiv<br />

wieder <strong>nach</strong> Deutschland kommen. Ich könne mich ja schon mal <strong>nach</strong> einem<br />

guten Therapeuten umhören. Er werde dann auch versuchen, in den<br />

nächsten Tagen einen Flieger zu bekommen. „Warum das denn?“ wollte ich<br />

wissen. „Was soll ich denn hier, wenn Joelle weg ist?“ lautete seine Auskunft.<br />

„Ich, ich, ich, kannst du vielleicht bitte auch mal an die Frau denken, die dir<br />

gegenübersitzt?“ zischte ich ihn an. „Was will die denn?“ fragte er lächelnd.<br />

„Das ist deine Mom, was könnte die sich denn wohl wünschen, wenn ihr Schatz<br />

<strong>nach</strong> zweieinhalb Jahren zum ersten mal wieder auftaucht, das frag dich doch<br />

mal selber.“ antwortete ich ihm. Matthis stand auf, umarmte und küsste mich,<br />

und meinte: „Meine Mom hat wie immer recht. Ich werde so lange bei dir bleiben,<br />

wie du es wünscht.“ Wir schauten uns an, und lächelten.<br />

Joelles Abreise<br />

Bevor Joelle abreiste, wollte ich ihr doch noch etwas zu Matthis sagen. Dass sie<br />

ausschließlich das Bild eines frauenverachtenden Mannes über Matthis in sich<br />

trug, bereitete mir auch Unbehagen. Ich sagte ihr, dass ich ein ganz langes<br />

Gespräch mit Matthis geführt hätte. „Das habe ich mir schon gedacht,“ antwortete<br />

Joelle, „er hat sich ganz lieb entschuldigt, versprochen sich zu ändern, und<br />

ob ich dann noch mal wieder mit ihm sprechen würde. Er war so süß, dass ich<br />

ihn am liebsten geküsst hätte, und dann dachte ich, das ist ihm bestimmt nicht<br />

allein eingefallen.“ Ich erklärte Joelle, dass Matthis völlig offen mit mir geredet<br />

habe, und ich der Ansicht sei, dass er von erheblichen psychischen Beschädigungen<br />

gezeichnet sei, die er relativ gut zu kaschieren verstehe. Aber darüber<br />

könne ich ihr ja mal später mehr erzählen, wenn sie es hören wolle. Er ginge<br />

wahrscheinlich auch davon aus, hier zu wohnen, wenn er <strong>nach</strong> dem Examen<br />

zurückkomme. Er habe mich nämlich schon gebeten, ihm einen Therapeuten<br />

zu besorgen. „Was sollen wir denn dann machen? Dann muss einer von euch in<br />

Franks leerem Haus wohnen.“ erörterte ich das Problem. „Nein, nein, also ich<br />

habe überhaupt keine Probleme. Im Moment tut es zwar noch ein bisschen<br />

weh, aber mich mit ihm unterhalten, und im gleichen Haus wohnen, no Problem,<br />

nur Amore, da wird sich nichts mehr abspielen, nie mehr, das geht nicht<br />

mehr. Auch wenn er wegen psychischer Probleme so gehandelt hat, das Bild<br />

lässt sich nicht mehr auslöschen. Das wird mit ihm verbunden bleiben.“ löste<br />

Joelle das Problem. Sie wolle so schnell wie möglich wiederkommen, aber sie<br />

werde mich ja auch immer über den Stand der Entwicklung auf dem Laufenden<br />

halten. Sie freue sich auf alles. In New York allen zu erklären, dass sie jetzt<br />

<strong>nach</strong> Deutschland, <strong>nach</strong> Münster ziehe, ihre Eltern zu erleben, wenn sie versu-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 29 von 54


che, ihnen die kuriose Situation zu erklären, und natürlich am meisten, endgültig<br />

wieder zurückzukommen. „Sarah, I'm a little bit high.“ erklärte sie mir. So<br />

ein Abschied ist natürlich nicht mit Traurigkeit und Tränen verbunden, weil es<br />

gar kein Abschied, sondern das Versprechen einer freundlich begrüßten Ankunftserwartung<br />

ist. Ich freute mich darauf, dass Joelle kommen würde. Ich<br />

hätte die Tage zählen können, wie Kinder vor ihrem Geburtstag oder vor Weih<strong>nach</strong>ten,<br />

aber es stand ja kein Termin fest. Ich mochte diese junge Frau sehr,<br />

obwohl ich ja kaum etwas von ihr wusste. Zunächst hatte sie mir ja nur als<br />

junge Frau leid getan, wodurch sich das weiter entwickelt hatte? Keine Antwort<br />

zu finden. Manchmal will es mir so scheinen, als ob sich tiefe gemeinsame Verständigung<br />

dadurch ausdrücken kann, das man über die gleichen Scherze gemeinsam<br />

lacht. Ich bin begeistert von interessanten Diskussionen und gewichtigen<br />

Darstellungen, aber sympathisch wirken auf mich Menschen, die in mir<br />

ein Lächeln erzeugen. Das war bei Joelle fast ständig der Fall. Wenn sie nicht<br />

gerade etwas Trauriges oder sehr Ernstes sagte, erfreuten mich ihre Worte,<br />

oder die Art und Weise, wie sie sprach. Sie versprühte Leben und Lust, vielleicht<br />

war das auch bei der jungen Frühlingsblume so gewesen. Wir würden<br />

jetzt beide voll erblühen, Joelle befreit von der verkorksten Liebe mit meinem<br />

Sohn, und ich befreit von meinem verkorksten Selbstbild. Der Richter Frank<br />

würde uns immer in die <strong>Augen</strong> schauen, und prüfen, ob sich die Blüten auch<br />

voll entfalteten.<br />

Matthis bleibt noch länger<br />

Matthis blieb tatsächlich bis kurz vor Studienbeginn. Er machte nicht den Eindruck,<br />

dass er die Pflicht erfüllte, mir einen Gefallen tun zu müssen. Er schien<br />

eher immer offener, freier und lustiger zu werden, und sich mit uns sehr wohl<br />

zu fühlen. Ich war anscheinend zu seiner großen Ratgeberin avanciert. Bei allem<br />

fragte er mich, was ich denn wohl dazu meine. Ich wollte ja nicht einem<br />

erwachsenen Mann sagen, tue dieses, mach das so. Wie eine Therapeutin kam<br />

ich mir manchmal vor, die ihn dahin führt, selber die richtige Entscheidung zu<br />

finden. Matthis hatte meiner Einschätzung seiner Situation wohl große Bedeutung<br />

zugemessen, und ich war plötzlich wieder Mama eines großen Jungen geworden.<br />

Ich machte es aber gern, denn ihm ein wenig mehr psychische Stabilität<br />

vermitteln zu können, war mir ein Anliegen. Mein Junge würde er immer<br />

bleiben, auch wenn er schon ziemlich groß war, und immer älter wurde. Mir<br />

kam es vor, dass ihm die Situation so gut tat, dass er eventuell auch ohne<br />

Psychiater auskommen könnte. Als wir aber eines Abends auf die Situation mit<br />

Ralf zu sprechen kamen, drehte sich mir der Magen um. Wir brachen das Gespräch<br />

darüber ab, weil ich die Widerlichkeiten nicht mehr ertragen konnte,<br />

und es für Matthis wahrscheinlich auch nicht gut war, diese Bilder wieder wach<br />

zu rufen. Dieses Schwein hatte ich mal geliebt, mit ihm gefickt, und mich auch<br />

noch gefreut. Ich könnte kotzen vor mir selber. Wenn Judith in am zweiten Tag<br />

umbringen würde, hätte sie meine volle Unterstützung, nur ich hätte es schon<br />

am ersten Tag getan. Von diesem Mann hatte ich zwei Kinder. Ich war ja sogar<br />

noch mit ihm verheiratet, und lebte von seinem Geld. Das wollte ich ändern.<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 30 von 54


Nur hätte ich dann aus dem Haus gemusst, das war von meinem Gehalt nicht<br />

zu finanzieren. Jetzt konnte ich Leute verstehen, die Killer organisierten. Das<br />

Schwein wäre weg, und sein Geld gehörte uns. Ich konnte ja schon nicht ertragen,<br />

was Matthis erzählte, aber er hatte es selber erlebt, von seinem verehrten<br />

Daddy, zu dem er so erwartungsvoll in die USA gezogen war. Dass er nicht<br />

durchgedreht und in der Psychiatrie gelandet war, hielt ich fast für ein kleines<br />

Wunder. Was den lieben untertänigen Ralf dazu veranlasst haben könnte, sich<br />

so zu entwickeln, war mir allerdings ein Rätsel. Ich wusste ja nichts von seinem<br />

Leben in den Staaten, außer wo er wohnte, und wo er sein Geld verdiente.<br />

Ich wollte mir auch eigentlich gar keine Gedanken darüber machen, mich<br />

gar nicht damit beschäftigen, aber das Phänomen ließ mich nicht los. Hatte er<br />

vielleicht doch sehr darunter gelitten, dass er sich bei mir immer ein wenig als<br />

Underdog vorkommen musste, und jetzt die Möglichkeit hatte, seinen Frust wie<br />

ein SS-Scherge besonders sadistisch austoben zu können. Sollte ich möglicherweise<br />

noch Mitschuld an seinem jetzigen Verhalten tragen, weil ich ihn nicht für<br />

voll genug genommen hatte. Ach alles Unsinn! Ich wollte mich damit nicht<br />

beschäftigen. Was hatte ich mit diesem Typen zu tun, der mich einfach verlassen<br />

hatte. Er war ein erwachsener Mensch, bei dem ich froh war, dass er weg<br />

war. Jetzt wollte ich mir auf keinen Fall seine Probleme ins Haus zurückholen.<br />

Es war schon schlimm genug, dass ich mich um die Schäden kümmern musste,<br />

die er bei seinem Sohn angerichtet hatte, den ich ihm gesund, intelligent und<br />

aufgeschlossen überlassen musste.<br />

Joelles Ankunft<br />

Anfang Oktober, kurz <strong>nach</strong> Matthis Abreise, kam Joelle auch schon zurück.<br />

Dem Wetter schien in diesem Jahr nicht da<strong>nach</strong>, die Gemüter der Menschen<br />

durch einige warme vergoldete Tage zu beglücken. Oft regnete es und war<br />

windig. So auch als wir Joelle vom Flughafen abholten. Alle Unfreundlichkeiten<br />

des Wetters hatten gegen Joelles Ankunft nicht die geringste Chance. Wir freuten<br />

und begrüßten uns, als ob wir uns <strong>nach</strong> fünfzig Jahren Verschollenheit wiederentdeckt<br />

hätten, obwohl wir gestern noch miteinander telefoniert hatten.<br />

Die anderen Leute dachten bestimmt, ein älteres Ehepaar hat seine verlorene<br />

Tochter wiedergefunden, oder etwas in der Richtung. Was es für uns genau<br />

war, wussten wir zumindest in dem Moment auch nicht.<br />

Joelle hatte Geschenke für uns mitgebracht, für Frank eine kleine Statue, die<br />

sie selber zum Highschool-Abschluss geschnitzt hatte, und für mich ein Aquarell<br />

von mir mit Buschwindröschen, Narzissen, Krokussen und Gänseblümchen<br />

im Hintergrund. In der rechten Hand von meinem unter der Brust angewinkelten<br />

Arm hielt ich ein kleines Blümchen, das wohl eine Herbstzeitlose darstellen<br />

sollte. „Joelle, wie hast du das gemacht?“ fragte ich erstaunt. Ein Bekannter<br />

von ihr sei Graphiker, und sie habe gewusst, dass er so etwas gut könne. Sie<br />

habe ihm ein Foto von mir gegeben, und ihm auch Bilder von den Frühlingsblumen<br />

und der Herbstzeitlosen besorgt. Sie habe ihm gedroht, es sofort in den<br />

Müll zu werfen, wenn es ihr nicht gefalle, andernfalls könne er sagen, dass<br />

auch Bilder von ihm in Deutschland ausgestellt seien. Die kleine Plastik liebe<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 31 von 54


sie sehr, es sei ein wertvolles Stück für sie gewesen. Jetzt sei es ein holziges<br />

Stück Liebe für den Richter Frank. Das schien mir wie eine Metapher für Joelle<br />

Charakter, sie hätte nicht etwas mitbringen können, dass man vielfach in Geschäften<br />

für Geld erstehen kann, ihr war der Gehalt, der persönliche Bezug das<br />

ausschlaggebende und einzige Kriterium. Was hatten diese Eltern gemacht,<br />

dass sie so eine fabelhafte Tochter bekamen? Im Laufe des Gesprächs kam ich<br />

darauf, dass unsere Liebe unser beider Leben und viele Einstellungen völlig<br />

verändert habe, und wir das Gefühl gehabt hätten, dass für uns ein neues Leben<br />

beginnen würde. Ob sich das für sie, indem sie <strong>nach</strong> Deutschland gekommen<br />

sei, auch ein wenig so anfühle, wollte ich wissen. „Ja, in der Tat, absolut.<br />

Ich komme mir ein wenig vor wie ein Kind, dass ein neues Leben beginnt.<br />

Überhaupt nicht weiß, wo es hin führen wird, aber trotzdem jeden Tag glücklich<br />

ist. Ich empfinde mich nicht, wie auf einer Entdeckungsreise, bei der ich zwar<br />

etwas Neues kennenlerne, aber weiß, dass ich wieder zurückkehren werde, und<br />

immer die alte bleibe. Heute und jetzt soll ein neues, ein anderes Leben für<br />

mich beginnen, und ich hoffe, dass ich dafür noch nicht zu alt bin. Ich erwarte<br />

es mit Neugier, Hoffnung und Freude.“<br />

„Dein Leben wird wie bei allen Kindern damit beginnen, das du zunächst mal<br />

sprechen lernen musst.“ erklärte ich. „Ob es nicht zu hart ist? Wird es mir nicht<br />

sofort beim Start die Freude an meinem neuen Leben rauben?“ scherzte Joelle,<br />

„Nein Unsinn, ich freue mich darauf. Starten sie bitte mit der ersten Lektion,<br />

Frau Lehrerin.“ „Ja bitte,“ reagierte ich, „'Wir freuen uns alle, dass Joelle bei<br />

uns sein kann.'“ sagte ich auf Deutsch, und weiter auf englisch, „Haben sie das<br />

verstanden, Schülerin Collister?“. „No, nothing, not any single word, only my<br />

name, dear teacher.“ Ich sollte es doch besser noch übersetzen. Wunderbar,<br />

ein sehr schöner Satz. Ihr erster deutscher Satz. Ich solle ihn aufschreiben, sie<br />

werde fleißig üben. „Aber das ist überhaupt nicht lesbar, my teacher. Soll ich<br />

mal vorlesen, was da steht?“ So scherzten wir noch ein wenig weiter, aber den<br />

Satz wollte Joelle doch gleich noch auf deutsch richtig sprechen lernen. Am<br />

Abend rief sie ihre Eltern an, und teilte ihnen mit, dass ihre Tochter sehr fleißig<br />

gewesen sei, und schon fließend deutsch sprechen könne.<br />

Ich hatte versucht, den wohl besten Sprachkurs zu finden, aber in gewisser<br />

weise war das für Joelle doch eher alles amateurhaftes Vorgehen. Sie brauchte<br />

einen Profi-Business-Managerkurs. Das funktionierte nicht nur gut und schnell,<br />

sondern war auch reichlich kostspielig. Aber was gab es für Alternativen, wenn<br />

sie nicht nur auf Deutsch Brötchen kaufen wollte, sondern in ihrem Beruf arbeiten,<br />

musste sie auch die richtige Sprache beherrschen. Sie hatte eifrig zu pauken,<br />

und sollte schon in einem halben Jahr ziemlich fit sein.<br />

Judith<br />

Judith kam jetzt öfter zu Besuch. Ich hatte ihr zwar gesagt, dass Matthis bei<br />

uns sei, aber sie hatte kein Interesse. Er scheine sie ja sowieso nicht mehr zu<br />

kennen, und sich eher durch sie belästigt zu fühlen. Sie habe ihn zu Beginn immer<br />

wieder angerufen, und er habe sich kein einziges mal bei ihr gemeldet.<br />

Ihre Blutrachegelüste schienen also nicht darauf zu basieren, das sie etwas<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 32 von 54


vom Verhalten ihres Vaters in New York wusste. Als sie erfuhr, dass Joelle Matthis<br />

ehemalige Freundin war, und sich hier von ihm getrennt hatte, lachte sie<br />

sich schlapp. Die beiden verstanden sich sowieso schon ganz gut, aber jetzt<br />

wollte Judith natürlich doch mehr wissen. Mit der Zeit wurde aus Judith und Joelle<br />

ein verschworenes Pärchen. Wenn Judith nicht arbeiten und Joelle nicht<br />

lernen musste, verbrachten sie die Zeit fast immer zusammen. Meistens waren<br />

beide zum Abendbrot bei uns, aber manchmal kochten sie auch bei Judith, besonders,<br />

wenn sie Freunde einluden.<br />

Eines Abends, ich saß in meinem Zimmer, und arbeitete noch für die Schule,<br />

kam Judith herein. Sie nahm sich einen Stuhl, setzte sich vor meinen Schreibtisch,<br />

schaute mich ernst an, und fragte: „Mami, was ist mit Matthis?“ An ihrer<br />

Körperhaltung, ihrer Mimik, und der ernsten Art ihrer Fragestellung war mir eigentlich<br />

klar, worauf sie hinaus wollte, dass sie von Joelle ansatzweise etwas<br />

erfahren hatte, trotzdem konnte ich nicht direkt darauf eingehen, und antwortete<br />

ausweichend: „Na ja, er wird im Frühjahr sein Examen machen, und anschließend<br />

für immer <strong>nach</strong> Deutschland zurückkommen. Es gefällt ihm doch<br />

nicht mehr in den USA.“ „Mami!“ reagierte Judith leicht genervt, „das weiß ich<br />

doch alles. Sag was wirklich mit ihm los ist. Ich weiß, das du es weißt, oder<br />

sag mir, warum du nicht darüber sprechen willst.“ „Ihm geht es psychisch nicht<br />

gut. Er ist sich aber hier erst dessen bewusst geworden, und konnte es sich<br />

eingestehen. Er hat sehr Schweres mitgemacht, was kein Mensch ohne<br />

Schaden zu nehmen, einfach so verkraften kann. Er hat aber gemeint, er würde<br />

damit fertig, und hat es zu verdrängen versucht. Ich denke, dass er psychisch<br />

sehr beschädigt ist, und Hilfe braucht. Er ist sehr lange hier gewesen,<br />

wir haben wieder ein sehr schönes Verhältnis zueinander. Er ruft ganz häufig<br />

an, manchmal einfach, weil er Lust hat, mit seiner Mom zu quatschen. Wenn er<br />

zurückkommt, wird er hier erst mal einen Therapeuten aufsuchen.“ erklärte ich<br />

ihr. „Und was war das Schwere, das er mitgemacht hat?“ hakte Judith <strong>nach</strong>,<br />

„Joelle hat nichts davon mitbekommen, sie weiß auch nur, dass du ihr gesagt<br />

hast, er habe psychische Probleme.“ „Es war vor der Zeit mit Joelle. Er konnte<br />

mit ihr nicht darüber sprechen, und mir ist es schlecht geworden, als ich davon<br />

hörte. Es tat mir auch sehr weh. Vielleicht ist es besser, auch für dich selbst,<br />

wenn wir nicht darüber reden, oder eventuell mal sehr viel später.“ antwortete<br />

ich ihr. „Es hängt mit Dad zusammen, nicht?“ fragte sie mich anschauend. Ich<br />

nickte nur. Judith schaute mit ernstem Gesicht schweigend leicht <strong>nach</strong> oben.<br />

„Entschuldigung, Mami, aber ich habe dich nie verstanden, wie du, ausgerechnet<br />

du, dir so einen aussuchen konntest.“ sagte sie dann. Wir redeten noch<br />

länger über Männer im Allgemeinen, Beziehungen, und darüber, wie übermütig<br />

und leichtsinnig ich damals gewesen sei, es käme mir manchmal so vor, als ob<br />

ich die vielen Jahre gewartet habe, um in Frank das Pendant dazu zu finden.<br />

Frank habe alles das, was ihrem Vater fehle, und zusätzlich mache es im Bett<br />

auch noch sehr viel Spaß mit ihm. Ob ich denn gar nicht an die armen Kinder<br />

gedacht habe, die ja zwangsläufig die Hälfte von ihm in sich tragen würden.<br />

„Ja Judith, es war ein großer Fehler von mir, der fortlaufend neue produziert<br />

hat, und mit dem mein eigentlich ganz verdrehtes Leben, von dem ich immer<br />

dachte, locker alles im Griff zu haben, begonnen hat. Klar geworden ist mir das<br />

aber erst jetzt, dadurch das Frank etwas in mir zu sehen meinte, von dem ich<br />

gar nichts wusste, dass ich selber gar nicht mehr erkennen konnte.“ antworte-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 33 von 54


te ich ihr. „Warum hast du den denn nicht vor 30 Jahren kennengelernt? Der<br />

wäre mein Wunschdaddy.“ reagierte Judith, „so einen Freund und dann mit<br />

über 50 Jahren immer noch so happy sein, wie ihr beide: 'heaven on earth'.<br />

Hat Frank eigentlich keine Söhne?“ Wir lachten, und ich meinte für Frank sei<br />

das auch eine Entwicklung gewesen. Man würde schwerlich jemanden finden,<br />

bei dem einmal alles stimme, das man dann über dreißig Jahre so konservieren<br />

könne. Am entscheidendsten sei sicher, was man daraus mache. Obwohl man<br />

natürlich so gravierende Fehleinschätzungen wie bei mir auch nicht machen<br />

dürfe. „Ja, ja,“ sinnierte Judith, „ich orientiere mich wahrscheinlich viel zu sehr<br />

an Äußerlichkeiten, kann mich davon aber gar nicht frei machen. Meinen früheren<br />

Freund habe ich eigentlich sehr gemocht. Ich glaube ich hatte ihn richtig<br />

lieb. Ich habe hinterher ewig geheult, als ich mit ihm Schluss gemacht hatte.<br />

Aber er war ein Schluffi, von dem mir klar war, der bringt es nie zu etwas. Was<br />

ihn aber selbst gar nicht zu stören schien. Ich konnte prima mit ihm reden, mit<br />

ihm ficken, mit ihm etwas unternehmen, aber ich sah, wie sein völlig fehlender<br />

Ehrgeiz mich permanent nerven würde. Und dann noch alles so faule Schluffi-<br />

Kinder, ich wäre gestorben.“ Wieder ein Anlass zum Lachen. „Nur mein jetziger,<br />

der Jens, bei dem ist zwar alles wunderbar in Ordnung, ich müsste ihn eigentlich<br />

ganz toll finden, aber im Grunde habe ich überhaupt keine Lust auf<br />

ihn. Ich gehe auch nicht mit ihm ins Bett, obwohl ich wahrscheinlich seinen<br />

Wunsch da<strong>nach</strong> so immer nur noch verstärke. Er ist mir natürlich nicht unangenehm,<br />

und ich glaube er verehrt mich auch, aber es entwickelt sich bei mir<br />

gar kein Gefühl von Wärme, von Vertrautheit, von intensiver Nähe. Wie soll<br />

sich denn daraus eine glückliche dauerhafte Beziehung entwickeln?“ erzählte<br />

Judith, und fuhr fort, „Ich befürchte fast, ich werde mit fünfzig immer noch allein<br />

sitzen, weil mir an jedem den ich kennenlerne, irgendetwas nicht passt.“<br />

„Aber du kannst doch nicht einfach sagen, 'Ich bin zu wählerisch, also nehme<br />

ich den Nächsten'. Bei so etwas wie mit diesem Jens da wäre der Leidensweg<br />

doch programmiert.“ antwortete ich ihr. „Aber was soll ich denn tun, Mami, ich<br />

möchte Kinder, ich möchte so einen großen Jungen, der mich liebt, und den ich<br />

liebe. Ich glaube ich bin gar nicht festgelegt, wie sich das alles mal gestalten<br />

soll, aber ich muss doch zu Anfang eine Hoffnung entwickeln können, mich auf<br />

eine mögliche Perspektive freuen können, und da ist eben bislang nichts gewesen.<br />

Andere finden mit neunzehn schon ihren Partner für's Leben, und ich bin<br />

siebenundzwanzig ,und weiß nicht, wie ich's anstellen soll. Daran dass ich zu<br />

hässlich bin, wird’s wohl mit Sicherheit nicht liegen.“ äußerte Judith ihre Qual.<br />

„Zu hässlich bist du sicher nicht, aber wenn du nicht zufrieden, nicht glücklich<br />

bist, erkennt das auch jeder, der nicht ganz blind ist, und eine Frau, der man<br />

ansieht, dass sie sich unzufrieden, unglücklich, gequält fühlt, kann noch so<br />

hübsch sein, attraktiv wird sie nicht wirken. Ich sehe, dass es dir doch<br />

eigentlich super geht, keine Probleme mit dem Examen, eine Freundin, mit der<br />

du dich hervorragend verstehst, viele Bekannte, mit denen ihr Freude habt,<br />

was brauchst du mehr, um happy sein zu können. Vergiss dieses ganze<br />

Konstrukt deiner Torschlusspanik. Es ist dein rationales Gebäude, dass dich<br />

daran hindert eine Änderung der Situation zu bewirken. Ich meine, wenn du<br />

dich frei machen könntest von dem Gedanken, dass du Kinder haben willst, du<br />

aber den richtigen Partner nicht finden kannst, würdest du morgen einen<br />

finden.“ stellte ich meine Sicht dar. Mit einem „Danke Mami“ umarmte mich<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 34 von 54


Judith, gab mir einen Kuss auf die Stirn, und ließ mich weiter arbeiten.<br />

Zusammenleben<br />

Jahrelang hatte ich völlig allein gelebt, hatte mich gefragt, ob ich es wohl würde<br />

ertragen können, wenn Frank ständig bei mir anwesend wäre, jetzt war das<br />

Haus plötzlich wieder mit Leben erfüllt, wie zu der Zeit, als die Kinder noch<br />

klein waren. Nein, es war eine ganz andere Situation, nicht nur weil die Beteiligten<br />

alle älter waren, es herrsche eine völlig andere Atmosphäre, eine andere<br />

Aura belebte und erfrischte das Haus. Ein Hauch von Freundlichkeit, Zuneigung<br />

und Glück, umwehte alles was sich an diesem Ort jetzt ereignete. Wir konnten<br />

uns geborgen fühlen und lachen, auch wenn die heftigsten Novemberstürme<br />

versuchten, uns mit ihren Regenpeitschen an den Fensterscheiben Furcht einzuflößen.<br />

Nichts war geplant, nichts so gezielt gewollt, es hatte sich wie fast<br />

organisch so entwickelt, nur gefiel mir alles wesentlich besser, als das was ich<br />

früher mit meinen durchdachten Konstruktionen je hätte zustande bringen<br />

können. Jetzt schaute die Frühlingsblume nicht mehr auf den Kalender, wann<br />

es Zeit sei, ihre Blüte zu öffnen, um dann eventuell in den Nachtfrösten zu erfrieren,<br />

sie erwartete nun freudig die warmen Tage, an denen ihr die Sonne<br />

behilflich sein würde, die leuchtende Pracht ihrer bunten Blätter voll zur Entfaltung<br />

zu bringen.<br />

Dominic Merdrignac<br />

Joelle hatte schon ziemliche Erfolge vorzuweisen. Nicht nur, dass sie in den<br />

wenigen Monaten sehr viel sprechen gelernt hatte, und das meiste verstehen<br />

konnte, was sie sagte, sprach sie auch fast völlig akzentfrei. Im Dezember<br />

mussten natürlich alle Kuriositäten um Weih<strong>nach</strong>ten und Advent auf Deutsch<br />

rezipiert werden. Wieder eine Gruppe von Begriffen, die im Managementkurs<br />

nicht auftauchten. Das war eine unserer Hauptaktivitäten beim Sprache lernen,<br />

das Leben außerhalb von Business und Office auf deutsch zu vermitteln, sonst<br />

hätte sie wahrscheinlich in vielen Bereichen gesprochen, wie im Alltag niemand<br />

spricht. Als es eben möglich war, wollte sie sich mit Judith immer auf Deutsch<br />

unterhalten, was mittlerweile auch fast problemlos funktionierte und nur noch<br />

selten ins Englische kippte. Einen jungen Mann hatte sie auch kennengelernt,<br />

aber wohl weniger durch ihre guten Deutschkenntnisse, er war nämlich Franzose<br />

und besuchte auch einen Sprachkurs. Für eine französische Firma sollte er<br />

hier arbeiten, und musste auch zunächst Deutsch lernen. Joelle fand ihn sehr<br />

nett und immer netter. Nachdem sie sich mehrere Male zum Essen und Spazierengehen<br />

getroffen hatten, brachte sie ihn mit <strong>nach</strong> Hause. Er erzählte beim<br />

Essen von sich, dass er in Nantes aufgewachsen sei, und was er jetzt zu tun<br />

habe. Deutsch zu lernen, und in Deutschland zu arbeiten, sei ihm als interessante<br />

Abwechselung erschienen. Er sei mit dem Lycée auf eine Bahn geraten,<br />

die eigentlich gar nicht seinem originären Interesse entspräche. „Dominic<br />

wäre viel lieber Schriftsteller.“ erläuterte Joelle. Er könne sehr schöne Gedichte<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 35 von 54


schreiben, aber ihr Französisch sei zu dürftig, um sie richtig erfassen zu können.<br />

„Ich hatte eigentlich auch nie Lehrerin werden wollen, aber jetzt, seitdem<br />

ich nicht mehr die Jüngste bin, macht es mir richtig Spaß. Monsieur Merdrignac,<br />

vielleicht sollten sie auch ein wenig warten, bis bei ihnen mit 45-50 Jahren<br />

das große Interesse an Économie erwacht.“ meinte ich zur Erheiterung. Judith<br />

kannte Dominic schon länger, und duzte sich auch mit ihm. Beim Essen<br />

herrschte schnell eine familiäre Atmosphäre. „Sahra, was meinst du“ fragte Joelle,<br />

„dieser junge Mann hat auch in Frankreich eine Freundin, tut ein ordentlicher<br />

Junge so etwas?“ Obwohl es sich lustig an hörte, machte es ein wenig<br />

verlegen. „Joelle, was soll ich dir denn antworten? 'Ja, wenn ein junger Mann<br />

so hübsch ist, darf er auch eine Freundin in Deutschland und Frankreich haben.',<br />

wäre das eine Antwort für dich?“ fragte ich ironisch, und Dominic selbst,<br />

der die Situation am wenigst peinlich zu finden schien, erläuterte von sich aus,<br />

wie sich für ihn alles darstelle. Er sprach, als ob wir alle seine besten Freunde,<br />

seine engsten Vertrauten wären. Lag das an der Atmosphäre hier, die ihm so<br />

viel Vertrauen vermittelte, oder an ihm selbst, jemand der keine Scheu hatte,<br />

über seine Eistellungen und Emotionen frei zu reden? Für Joelle wäre er jedenfalls<br />

ein Kontrapunkt zu Matthis dem egozentrischen Schweiger. „Ich habe dir<br />

gesagt, Dominic, dass ich es für mich nicht so weit kommen lassen werde, bis<br />

es mir weh tut, wenn du dich für sie entscheidest. Jetzt könnte ich noch sagen:<br />

'Schade, wäre vielleicht schön gewesen.', wenn du mehr willst, wirst du handeln<br />

müssen. So wurde Joelles Beziehungsproblematik bei uns am Abendbrottisch<br />

in Anwesenheit aller behandelt. Später vernahm ich noch, wie Joelle zu<br />

Dominic sagte: „Non, non, non, Dominic!“ dann konnte ich nichts entziffern<br />

aber zum Schluss das klare „That's the way, Dominic, the only way.“ war nicht<br />

zu überhören. Die Joelle, die sich durch Matthis' Verhalten hatte quälen lassen,<br />

gab es offensichtlich nicht mehr. Die junge Frau, die begonnen hatte, einen<br />

Weg einzuschlagen, der wahrscheinlich permanent durch das Ertragen leidvoller<br />

Erfahrungen gekennzeichnet sein würde, war rechtzeitig gerettet worden.<br />

Sie war es, die jetzt bestimmte, wie es für sie zu laufen hatte, eine Alternative<br />

dazu gab es nicht. So lustig und scherzend sie auch sonst sein mochte, hier<br />

waren ihre Vorgaben strikt und konsequent. Zauberhafte Joelle.<br />

Weih<strong>nach</strong>ten<br />

Wie wollten wir Weih<strong>nach</strong>ten begehen? Im Stall von Bethlehem hatte vor zweitausend<br />

Jahren ein neues Leben begonnen, In diesem Haus und in diesem Jahr<br />

waren es drei gewesen. Wir würden also primär das zu berücksichtigen haben,<br />

was vor kurzem in diesem Haus geschehen war, und weniger die möglichen<br />

Begebenheiten von vor zweitausend Jahren in irgendeinem Stall in Palästina.<br />

Aber wie? Für Bethlehem gab's unzählige Rituale, aber für uns gab's nur die<br />

mündlich überlieferten Schilderungen. Sollten wir auch andere Menschen<br />

einladen? Sterne würden sie sicher nicht zu uns führen. Wir wollten nur mit<br />

den engsten Vertrauten um uns sein. Nur da gab's außer uns selbst kaum<br />

jemanden. Joelle meinte, ihre Eltern würden bestimmt kommen, aber<br />

irgendwie empfand sie es auch als unpassend. Dominic müsse eigentlich zu<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 36 von 54


seinen Eltern, aber er liebe sie mittlerweile heiß und innig, schön fände sie es<br />

schon, ihn Weih<strong>nach</strong>ten hier zu haben. Dass Judith kam, war<br />

selbstverständlich. Sie hatte schon wieder einen neuen Lover, nicht schlecht,<br />

aber noch ein ganz zartes Pflänzchen, wie sie kommentierte. Rebecca hatte<br />

trotz heruntergeschraubter Ansprüche, ihre große Liebe immer noch nicht<br />

gefunden, und sollte natürlich auch kommen. Sechs Personen würden wir<br />

folglich maximal sein. Bei den Vorbereitungen war Judith auch immer<br />

anwesend, und wir hatten untereinander endlos Spaß. Frank, den ich mal<br />

trösten wollte, weil er so häufig allein sei, meinte er fühle sich absolut wohl.<br />

Wenn er uns drei lachen höre, stimme ihn das selber ausgesprochen glücklich.<br />

Dominic hatte Streit mit seinen Eltern riskiert, und sie klar vor die Alternative<br />

gestellt, wenn sie nicht erkennen wollten, dass er als erwachsener Mann sein<br />

Leben selber zu gestalten habe, würde er zu Silvester auch nicht kommen. Wie<br />

er lamentierend die Zwangslage mit seiner französischen Freundin erläutert<br />

hatte, passte so ein Verhalten nicht zu ihm. Möglicherweise hatte er von Joelle<br />

gelernt. Joelle wollte, wenn sie im Deutschen perfekt sei, auch noch ihr Französisch<br />

verbessern. Dominic fände nämlich alles, was sie über Liebe sage, zauberhaft<br />

und habe schon mehrere Gedichte dazu verfasst, die sie sich aber alle<br />

von ihm interpretieren lassen müsse.<br />

Zum Heilig Abend hatten wir drei die jeweiligen Geschichten unserer neuen<br />

Geburt aufgeschrieben, und zwar im Stil der biblischen Weih<strong>nach</strong>tsgeschichte,<br />

jeder auf seine eigene Weise. Das Vorlesen dauerte endlos, da wir uns zwischendurch<br />

vor Lachen überhaupt nicht wieder einbekommen konnten. Franks<br />

Geschichte begann zum Beispiel so:<br />

„In jenen Tagen erließ Kaiserin Angela Merkel den Befehl, alle Bewohner des<br />

Landes sollten ihren gewohnten Geschäften <strong>nach</strong>gehen. Dies geschah zum ersten<br />

Mal; damals war Jürgen Rüttgers Statthalter von Nordrhein-Westfalen.<br />

Etc.“ und Joelle hatte verkündet: „Du Münster im Land der weiten Ebenen und<br />

sanften Hügel bist die auserkorene unter den Städten Westfalens. Etc.“<br />

Jetzt war es zumindest mal schriftlich festgehalten. Vielleicht würde sich der<br />

Weih<strong>nach</strong>tsrummel demnächst vervierfachen, wenn die Menschen nicht nur<br />

eine, sondern vier Geburten zu feiern hätten.<br />

Judith war der Ansicht, das dies ihr schönstes und lustigstes Wei<strong>nach</strong>tfest gewesen<br />

sei, das sie je erlebt habe. Sie fühle sich so glücklich, dass sie gestern<br />

Abend im Bett geweint habe. Sie erlebe mich völlig anders, warum ich denn<br />

früher nicht hätte so sein können. „Ich weiß nicht wie ich früher war, Judith.<br />

Ich wollte euch auch immer Freude bereiten, und meine euch beide sehr geliebt<br />

zu haben. Wahrscheinlich wusste ich gar nicht, was ich hätte anders machen<br />

können oder sollen. Ich war immer für mich der Ansicht, es sei alles o. k..<br />

Ich denke, ich habe andere Möglichkeiten gar nicht wahrnehmen können, weil<br />

ich sie nicht zugelassen habe. Sie hätten ja eine Gefahr für mein intaktes<br />

Selbstbild bedeuten können. Bei aller dargestellten Sicherheit war, glaube ich,<br />

nichts sicher. Ich habe das Konstrukt nur immer aufrecht erhalten. Und dieses<br />

Konstrukt gibt es heute nicht mehr, das ist der neue Mensch in mir, der<br />

anfängt, sich anders zu entwickeln als der alte, ohne ein Zwangsgerüst, dass<br />

er sich selbst gebastelt hat.“ antwortete ich ihr. „Mami, normalerweise hängen<br />

ja kleine Kinder sehr an ihrer Mom, ich habe das Gefühl, dass sich das<br />

Bedürfnis bei mir erst in letzter Zeit immer stärker zu entwickeln beginnt, ich<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 37 von 54


liebe dich.“ war Judiths Reaktion.<br />

Wochenendbeziehung<br />

Im März war für Joelle und Dominic der Sprachkurs zu Ende. Selbstverständlich<br />

würde Joelle in Münster bleiben. Die Stellenangebote <strong>nach</strong> einem möglichen<br />

Arbeitsplatz für sie in Münster zu durchsuchen, erwies sich schnell als hoffnungsloses<br />

Unterfangen. Bevor sie sich an eine Vermittlungsagentur wandte,<br />

gab sie selber Annoncen auf. Unverhofft viele Angebote erhielt sie, von Gütersloh<br />

bis zum Ruhrgebiet. In der Regel bezogen sich die Tätigkeiten auf die Betreuung<br />

der Geschäftsinteressen und Exporte bezüglich der Vereinigten Staaten.<br />

Sie sagte nicht bei einer Firma zu, die das finanziell lukrativste Angebot<br />

gemacht hatte, sondern entschied sich für die, bei der sie die Menschen am<br />

freundlichsten empfand, und von einem angenehmen Betriebsklima ausging,<br />

obwohl sie sich für die anstehenden Aufgaben als erheblich überqualifiziert<br />

hielt. Dominic musste zurück zu seinem Unternehmen <strong>nach</strong> Düsseldorf. Was<br />

tun? Düsseldorf war zwar nicht sehr weit entfernt, aber jeden Tag hin und zurückfahren,<br />

das würde nicht möglich und sinnvoll sein. Also blieb nur eine Wochenendpartnerschaft.<br />

„Joelle, bist du dir darüber im Klaren, dass euch so etwas<br />

mit größter Wahrscheinlichkeit auseinander bringen wird?“ fragte ich sie.<br />

Sie empfinde es ja auch nicht angenehm, aber man würde eben damit leben<br />

müssen. Es gebe ja keine Alternative. „Joelle, damit wird man nicht eben so leben<br />

können. Das zerbricht mit aller größter Sicherheit. Dein Dominic ist zwei<br />

Tage hier und zweieinhalb mal so lange nicht. Er wird den weitaus überwiegenden<br />

Teil seines Lebens nicht mit dir verbringen sondern anderswo, und du wirst<br />

genauso den weitaus überwiegenden Teil deines Lebens allein sein. Dominic<br />

wird für dich nur ein Intermezzo sein. Ihr werdet nicht zusammen leben. Es<br />

wird verschiedene Möglichkeiten geben, wie du auf die Dauer reagierst, aber<br />

ertragen wirst du es nicht. Du denkst, du hast einen Freund, stellst aber fest,<br />

dass dem gar nicht so ist. Für Dominic wird es nicht anders sein. Zu Beginn<br />

wird es keine Probleme bereiten, aber die Kontinuität ohne jegliche Aussicht<br />

auf Änderung wird eure Beziehung schnell zermürben.“ erläuterte ich ihr meine<br />

Ansicht. „Ich glaube, dich zu verstehen, Sahra, und das Problem zu erkennen.<br />

Ich will es auf keinen Fall, aber wenn du mich fragst, was es denn für eine Alternative<br />

geben könnte, bin ich absolut ohne jegliche Idee.“ antwortete Joelle,<br />

und fuhr fort, „aber mit Dominic besprechen werde ich es unbedingt.“ Der liebe<br />

Dominic schien auch keine Alternative zu kennen, aber die Angst, dass sein<br />

Verhältnis zu Joelle zerbrechen könnte, hatte ihn dazu veranlasst, panikartig<br />

das Beschäftigungsverhältnis mit seiner Firma aufzulösen. Als er am ersten<br />

Wochenende von Düsseldorf zurückkam, war er arbeitslos. Von seiner<br />

Abfindung war ihm noch ein Teil der Gebühren des Sprachkurses abgezogen<br />

worden. Er sagte es erst am Freitagabend, als er kam. Joelle starrte ihn mit<br />

großen <strong>Augen</strong> an. „Was hast du gemacht, Dominic? Einfach Schluss gemacht?<br />

Wovon willst du denn jetzt dein Brot kaufen? Dominic was ist über dich<br />

gekommen?“ damit fiel sie ihm um den Hals, begann zu weinen, und fügte<br />

hinzu, „Ich liebe dich.“ „Sahra, ist das nicht verrückt, er hat für mich einen Job,<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 38 von 54


von dem andere träumen, aufgegeben, aber ein dummer Junge ist er doch<br />

oder?“ sprach sie in meine Richtung und weiter zu Dominic, „was willst du<br />

denn jetzt machen, chef d'entreprise mit deinem französischen MBA in<br />

Münster? Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass du hier auf den<br />

Straßen französische Chansons singen musst. Na, auf jeden Fall bist du jetzt<br />

erst mal hier.“ und Joelles anfängliches Entsetzen schien schnell ausschließlich<br />

intensiver Zuneigung zu weichen.<br />

Ostern mit Joelles Eltern<br />

Welche Beschäftigung Dominic hier würde finden können, war natürlich ein<br />

großes Rätsel. Alle informierten sich, und wägten jegliche Art von Zugangsmöglichkeit,<br />

aber im Vordergrund stand jetzt zunächst einmal Ostern. Joelle<br />

hatte ihre Eltern eingeladen, um ihnen nicht nur am Telefon mitzuteilen, wie<br />

gut es ihr hier gefalle, sondern sie selbst erleben zu lassen, dass ihre Tochter<br />

unter fantastischen Bedingungen lebe, und absolut glücklich sei.<br />

Am Flughafen begrüßte sie ihre Eltern auf Deutsch mit einem kleinen Narzissensträußchen.<br />

Sie sei jetzt ein deutsches Girl und spräche nur noch Deutsch,<br />

erklärte sie ihnen auf englisch, viel Mom und Dad um den Hals, und erklärte<br />

ihnen, dass die 'lent lilies' deutsche Ostergrüße für sie seien, weil sie auf<br />

deutsch den Namen 'easter bells' trügen. Sie würden vorsichtig sein müssen,<br />

um zum Ende ihres Besuchs nicht auch so begeistert zu sein, dass sie einfach<br />

hier bleiben wollten. Die mit gegenseitigen Komplimenten und Danbarkeitsbekundungen<br />

erfüllte Begrüßungsszene am Flughafen dauerte, und Joelle wusste<br />

sie immer wieder durch ironische und lustige Wendungen aufzuheitern. Schon<br />

hier zeigte sich, dass sie eindeutig 'Daddys daugther' war. Er freute sich am<br />

meisten über ihre Scherze, parierte sie durch eigene und brachte mehrmals ein<br />

„Ist sie nicht großartig?“ hervor. Ihre Mutter hatte sich wohl mehr als die für<br />

Wahrung von Ordnung, Anstand, und Strebsamkeit Zuständige verstanden. Als<br />

Joelle mal zu ihrer Beziehung mit Dominic erklärte, sie schliefen aber noch in<br />

getrennten Räumen, meinte Mom schelmisch lächelnd: „Ah, verstehe, erst<br />

<strong>nach</strong> der Hochzeit.“ „Ja kann sein, oder erst <strong>nach</strong> der Silberhochzeit, wer<br />

weiß.“ gab Joelle mit cooler Mine zurück. „Ist sie nicht frech, so war sie schon<br />

als kleines Mädchen, und ist es heute als erwachsene Frau immer noch.“ meinte<br />

Mrs. Collister zu mir gewandt. „Nein, nein, sie ist nicht frech, sie ist lustig.“<br />

sah Mr. Collister es „Wenn sie lustig ist, das ist doch ein Zeichen, dass sie<br />

glücklich ist. Was kann sich ein Vater für seine Tochter mehr wünschen, als sie<br />

glücklich zu sehen, gleichgültig ob sie ein junges Mädchen oder eine erwachsene<br />

Frau ist. Joelle macht mich selber sehr glücklich, auch wenn sie sehr weit<br />

von uns weg lebt.“ „Ja, ja, wenn sie mal unzufrieden war, hat Rick immer mit<br />

mir gemeckert, und gemeint, ich habe mit ihr geschimpft. Joelle war nicht ein<br />

normales Mädchen, sondern Daddys kleine Heilige.“ ergänzte Mrs. Collister.<br />

Alles wurde ihnen gezeigt, alles sollten sie in den wenigen Tagen erlebt haben,<br />

und am Abend führte es meist zu angeregten und heiteren Diskussionen.<br />

Joelles Mutter war auch Lehrerin gewesen, aber nicht wieder in den Beruf<br />

zurückgegangen, als sie es gekonnt hätte, sondern widmete sich seit der Zeit<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 39 von 54


ehrenamtlich caritativen Aufgaben. Der Vater hatte damals mit einer kleinen<br />

Datentechnikfirma begonnen, und war im Laufe der Jahre von einem<br />

unvorhergesehenen Boom überrascht worden. Unsere Beziehung zueinander<br />

kam schnell vertraulichen Charakter, so das alle es für störend hielten, sich<br />

weiter mit Mrs. Und Mr. anzureden. Während Patricia den Zauber dessen, was<br />

sie erlebte, als in der Wirklichkeit gelebtes Disneyland betrachtete, sann Rick<br />

immer wieder darüber <strong>nach</strong>, wie sich in Menschen, obwohl sie eine hohe Kultur<br />

besäßen, und in ihrer historischen Umgebung lebten, so etwas grausames wie<br />

die Hitlerzeit entwickeln könne. Er frage sich, was es denn sei, das man seinen<br />

Kindern mitgeben müsse, damit so etwas nie möglich würde, oder ob es einer<br />

Anlage entspreche, die grundsätzlich in jedem Menschen vorhanden sei, und<br />

das gesamte Leben auch die wichtige Aufgabe habe, eine Entwicklung dieses<br />

Potentials zu verhindern. Er sei der Ansicht, dass ein Mensch, der Liebe und<br />

Zuneigung erfahre, und zu geben in der Lage sei, derartiges Verhalten nicht bei<br />

sich zulasse. Ich vertrat die Meinung, dass auch weitere Gesichtspunkte eine<br />

Rolle spielen könnten. In der Kaiserzeit und auch schon vorher seinen die<br />

Deutschen nicht nur immer brave Untertanen seiner Majestät gewesen,<br />

sondern es sei trotz aller Kultur ein Prinzip der gesamten Gesellschaft<br />

gewesen, dass man sich dem Vorgesetzten oder Höherstehenden als<br />

menschlich minderwertig zu empfinden gehabt habe. „Du hast deine Eltern<br />

geachtet, nicht weil sie dir Liebe und das Leben geschenkt haben, sondern weil<br />

sie die Träger der Befehlsgewalt waren. Was sind das denn für Menschen? Das<br />

sind doch schon Monster, bevor sie etwas Schlimmes anrichten. Davon gab es<br />

nicht wenige in diesem Land, es waren sicher die meisten. Die wenigen Jahre<br />

sogenannte Demokratie dazwischen, haben daran nichts geändert. Die<br />

Menschen haben sie ja gar nicht gelebt, waren gar nicht in der Lage sie zu<br />

leben.“ merkte ich an. Leider seien sie viel zu kurz hier, bedauerte Rick, er<br />

halte Deutschland für ein äußerst interessantes Land, nicht nur wegen der<br />

schönen geschichtsträchtigen Gebäude, er wüsste gern viel mehr<br />

Tiefergehendes über die jüngere deutsche Geschichte, es sei gewiss viel<br />

darüber geforscht worden, er habe sich aber bislang auch nicht damit<br />

beschäftigt. „Dabei bin ich der Ansicht, es ist ganz bedeutsam, mehr davon zu<br />

wissen, nicht nur für die Politik anderer Länder, sondern für jeden Einzelnen.<br />

Wann die Amerikaner welche Schlacht gewonnen haben, wo sie besonders<br />

tapfer waren, ist unbedeutend, sie sollten erfahren, warum es dazu kommen<br />

konnte, dass aus kulturell hochstehenden Menschen, Schlächter und<br />

Folterknechte wurden, nicht nur dass es abscheulich war, sie sollten die<br />

Hintergründe kennen. Ich werde mich in Zukunft sicherlich mehr damit<br />

befassen.“ meinte Rick. Er halte Deutschland für ein interessantes und schönes<br />

Land, er könne Joelle gut verstehen, besonders da sie noch so überaus nette<br />

Freunde habe. In ihrem Alter habe er sich wahrscheinlich ähnlich entschieden.<br />

„Allerdings ganz sicher bin ich mir nicht.“ erklärte Rick weiter, „Ich war damals<br />

immer sehr in Sorge um meine Existenz, und das Fortbestehen der kleinen<br />

Firma. Wie hinterher alles expandierte, kam es mir vor, als ob ich vorher mit<br />

einer ständigen Art von Angst gelebt hätte. Es ist mir da erst tatsächlich<br />

bewusst geworden, was das Empfinden, sich frei zu fühlen für einen Menschen<br />

bedeuten kann. Ich denke das kann man auf alle Bereiche beziehen, und ohne<br />

das Gefühl von Freiheit kann man nicht wirklich glücklich werden.“ Ich habe<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 40 von 54


das Gleiche erst im vorigen Jahr erfahren, erklärte ich, und wollte lächelnd von<br />

ihm wissen, ob er mir noch eine Chance einräume, glücklich zu werden.<br />

Nachdem Rick aufgehört hatte zu lachen, versuche er's, mit ernster Mine eine<br />

Antwort zu formulieren: „Oh Sarah, es scheint sehr schlecht für dich<br />

auszusehen. Wenn ich Pat fragen würde, wäre die wahrscheinlich der Ansicht,<br />

wenn überhaupt, dann nur mit ganz harter Arbeit. (Lachen, dass von ihr mit<br />

einem leichten Stoß in die Seite beantwortet wurde.) Das Glück kommt in Form<br />

einer zarten, unsichtbaren, scheuen Fee, und wenn du ihr so viele Jahre keinen<br />

Landeplatz geboten hast, wie soll sie dir jetzt plötzlich trauen, und versuchen,<br />

bei dir freundliche Aufnahme zu finden? Du hättest allenfalls die Chance, sie zu<br />

betören, und ihr ganz tief in die <strong>Augen</strong> zu schauen. Soweit ich erkennen kann,<br />

bist du mit derartigen Raffinessen ja auch schon sehr erfolgreich gewesen.<br />

Mittlerweile scheint euer Haus aber von so vielen Glücksfeen bevölkert zu sein,<br />

dass man sich wundert, wie jede noch weiß, zu wem sie eigentlich gehört.“ So<br />

wechselten unsere Gespräche und Pat schien auch immer aufgeschlossener<br />

und lustiger zu werden. „Mom scheint sehr glücklich zu sein.“ meinte Joelle<br />

einmal zu mir, „Sie kann ja manchmal richtig albern sein, so habe ich sie noch<br />

nie erlebt.“ Zu Ostern veranstalteten wir Ostereiersuchen mit sieben<br />

erwachsenen Personen in unserem Garten. Es war ein geplantes ausgelassenes<br />

Ereignis, weil Frank meinte, das es sich dabei um einen unverzichtbaren<br />

Bestandteil deutscher Osterfestgestaltung handele und Joelle und Judith ihm<br />

sofort absolut beipflichteten. Pat und Rick Collister ließen ihren Rückflug<br />

umbuchen, und blieben so noch einige Tage länger bei uns. Rick meinte zum<br />

Abschied, sie hätten schauen wollen, ob es ihrer Tochter auch wirklich gut<br />

gehe, tatsächlich hätten sie aber ein wunderschönes Erlebnis gehabt, dass ihre<br />

besten Urlaubserinnerungen überträfe, und gleichzeitig noch wundervolle neue<br />

Freunde gewonnen. Natürlich wurden wir alle zu einem Besuch eingeladen.<br />

Solange ich noch mit diesem Mann in New York verheiratet war, würde sich mir<br />

aber der Magen umdrehen, wenn ich selbst einen Fuß auf den Boden dieser<br />

Stadt setzen sollte.<br />

Bis zum Sommer<br />

Mit einem Job für Dominic sah es böse aus, zumal er sich auch noch zusätzlich<br />

entschieden hatte, nicht mehr in seinem einzigen erlernten Berufsfeld arbeiten<br />

zu wollen. Wir fragten bei Freunden und Bekannten <strong>nach</strong>, nahmen Kontakt zu<br />

Organisationen und Vereinen auf, und priesen seine Vorzüge und Kompetenzen.<br />

Schließlich fanden wir jemanden, der beim Lionsclub einen Manager der<br />

Sprachschule kannte. Dominic sprach zwar mittlerweile nicht schlecht Deutsch,<br />

aber so zu Hause in der Sprache wie Joelle, war er bei weitem noch nicht. Ein<br />

Praktikum wurde vereinbart, und da Dominic nicht nur sympathisch, sondern<br />

auch eifrig, und mit Sicherheit nicht unintelligent ist, funktionierte es mit einer<br />

festen Anstellung. Oh happy days!<br />

Matthis war auch zurückgekommen, allerdings nicht <strong>nach</strong> Münster. Er hatte von<br />

drüben aus ein sehr akzeptables Angebot bei einer amerikanischen Firma in<br />

Düsseldorf bekommen und angenommen. Da es ja nicht weit entfernt sei, wäre<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 41 von 54


er an den Wochenenden sicher häufiger in Münster. Ein wenig Unbehagen<br />

spürte ich schon, da ich vermutete, dass er die Therapiefrage wahrscheinlich<br />

zu verdrängen versuchen würde. Ich hielt das jedoch für wichtiger als das Geld<br />

in einem gut bezahlten Job.<br />

Bis zum Sommer brauchten wir nicht lange zu warten. Meistens zeigt er sich<br />

erst <strong>nach</strong> längerer <strong>Sehnsucht</strong> der Menschen, mit der sie auf seine warmen, befreienden<br />

Tage gewartet haben. Bei uns erschien er aber in diesem Jahr früh<br />

als junger Mann, der diese Bezeichnung in seinem Namen trug. Joelle und Judith<br />

waren abends mit Bekannten in einer Kneipe gewesen. Dazu gehörte auch<br />

ein Arbeitskollege von Joelle und sein Freund. Judith war mit dem Freund ins<br />

Gespräch gekommen, und hatte erfahren, dass er seinen MA in Byzantinistik<br />

und Frühchristlicher Archäologie machte. Das habe sie so kurios gefunden,<br />

dass es ihr gar nicht aufgefallen sei, wie sie sich für den Rest des Abends nur<br />

noch mit ihm unterhalten habe. Als sie gehen wollten, habe er sie angeschaut,<br />

und gefragt, ob er ihr vielleicht noch mal mehr vom alten Istanbul erzählen<br />

dürfe. Da sei ihr erst aufgefallen, wie sympathisch, geistreich, interessant und<br />

lustig sie ihn empfunden habe, aber der Gedanke, dass es ja nicht unbedingt<br />

ein temporäres Ereignis bleiben müsse, ihr gar nicht gekommen sei. Sie habe<br />

ihn wohl ein wenig erstaunt angeschaut, und geantwortet: „Wenn es dir ein<br />

dringendes Bedürfnis ist, gerne.“. Im Café hätten sie zwei Tage später stundenlang<br />

miteinander über alles außer Byzanz geredet. Sie sei absolut begeistert<br />

von ihm, und wäre am liebsten gleich mit im ins Bett gegangen. „Aber<br />

Mami, er ist drei Jahre jünger als ich. Ein sehr komisches Gefühl für mich, an<br />

das ich mich erst noch werde gewöhnen müssen. Trotzdem ein unbedingt<br />

spannender Typ, unabhängig von den kuriosen Dingen, mit denen er sich beschäftigt.<br />

Ich glaube er mag mich auch sehr, er hat nicht nur gesagt, dass er<br />

seine Vorurteile über Juristinnen und Beamtinnen kräftig revidiert habe, sondern<br />

er hat sogar eine langjährige Beziehung beendet, obwohl wir uns ja kaum<br />

kennen. I'm happy. Ich möchte ihn nicht verlieren.“ begeisterte sich Judith.<br />

„Und jetzt soll er dir ganz schnell viele Kinder machen?“ fragte ich ein wenig<br />

bissig. „Mom, du bist eine Giftschlange,“ bekam ich zur Antwort, „ich glaube<br />

ich bin verliebt, und nicht dabei schwanger zu werden. An Kinder habe ich bei<br />

Gerd noch nicht einmal gedacht, und zur Zeit fühle ich mich auch so, als ob es<br />

mir völlig gleichgültig wäre.“. Judith brachte Gerhardt Sommer, mit zu uns,<br />

nicht weil sie ihn vorstellen wollte, sondern weil sie sich selbst nicht traute,<br />

wenn sie und er alleine bei ihr zu Hause wären. Als Gerd aufgefallen sei, dass<br />

sie sich immer bei uns, statt bei ihr oder bei ihm träfen, habe er sie <strong>nach</strong> dem<br />

Grund gefragt. Judith habe es ihm klar gesagt, und erklärt, dass sie keine Beziehung<br />

wolle, die auf gemeinsamem Ficken basiere. Dafür sei er ihr zu wichtig<br />

und wertvoll. Ihr käme es auf eine tiefe Beziehung zwischen ihren beiden Persönlichkeiten<br />

an, und nicht primär zwischen dem, was sie beide zwischen den<br />

Beinen trügen. Mir kam diese Einstellung nicht eben neu vor. Obwohl Joelle und<br />

Dominic mittlerweile doch schon jetzt und nicht erst zur Silberhochzeit<br />

miteinander schliefen. Ich machte mir Gedanken, wie es organisatorisch<br />

geregelt werden könnte. Zu zwei Paaren, selbst wenn Joelle und Dominic<br />

Kinder bekommen sollten, könnte man in diesem Haus gut leben, aber wenn<br />

Judith sich nicht mehr nur mit ihrem Gerd hier treffen wollte, würde es zu eng.<br />

Ihre derzeitigen Wohnverhältnisse, und Gerds natürlich sowieso, ließen<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 42 von 54


gemeinsames Leben mit Kindern nicht zu. Ich erörterte es mit Joelle, Dominic<br />

und Frank. Joelle war der Ansicht, dass Judith und Gerd unzertrennlich bleiben<br />

würden. Er bete Judith an, und Judith könne gar nicht genug von ihm<br />

bekommen. Sie sinnierten schon, wie sie mal heißen möchten, wenn sie<br />

heiraten würden, und würden den Doppelnamen 'Sommer-Blume' am<br />

schönsten finden. „The two are as thick as thieves, wie Pech und Schwefel<br />

kleben sie zusammen.“ schätzte Joelle es ein, und weiter, „Wenn sie hier<br />

wohnen möchten, werden Dominic und ich uns natürlich eine andere Wohnung<br />

suchen müssen, sie ist ja deine Tochter, aber traurig machte es mich schon.“<br />

„Nein, nein, nein!“ wehrte ich ab, „wir werfen doch nicht jemanden raus, der<br />

hier gerne wohnen möchte. Ich weiß überhaupt nicht, was Judith will, und was<br />

sie für Zukunftspläne hat, nur dass sie auf die Idee käme, hier einziehen zu<br />

wollen, und euch dadurch zu verdrängen, das liegt außerhalb meiner<br />

Vorstellungswelt. Ich hatte nur gedacht, dass es ja nicht ausgeschlossen sein<br />

könnte, dass ihr beide eventuell Interesse daran haben würdet, allein unter<br />

euch zu sein, und wir haben ja noch das leer stehende Haus.“ Joelle schaute<br />

Dominic an, der schüttelte heftig den Kopf. „Sarah, die Beziehung zu dir und<br />

Frank bedeutet für mich, einen sicheren festen Platz hier zu haben, sie ist die<br />

Basis meines Lebens hier. Von schönen Häusern kann man nicht leben, nur von<br />

liebevollen Menschen, denen man immer ganz vertrauen kann, bei denen du<br />

weißt, dass sie immer für dich da sein werden, und für dich stets das Beste<br />

wollen. Dass ihr mir auch noch Freude und Lust am Leben vermittelt, ist eine<br />

weitere Kostbarkeit. Das alles werde ich doch nicht ohne zwingende Gründe<br />

einfach aufgeben wollen. Wenn euch nicht irgendetwas stören sollte, würden<br />

wir selbstverständlich sehr gern hier wohnen bleiben.“ erklärte Joelle während<br />

Dominic zustimmend nickte, und uns anschauend lächelnd ergänzte: „I love<br />

her, You know.“. Dominic machte sich einen Spaß daraus, häufiger kurze<br />

Interjektionen in seinem Schulenglisch einzufügen. Dass es immer aus<br />

irgendeinem Grunde lustig wirkte, und wenn nur wegen der Aussprache, war<br />

garantiert. Uns sei das zwar noch nicht so direkt bekannt gewesen, aber Joelle<br />

selbst habe er es doch sicher schon gesagt,dass er sie liebe, und das sei ja am<br />

wichtigsten. Wenn noch nicht, müsse er es jetzt ganz schnell <strong>nach</strong>holen, riet<br />

ich ihm. Joelle meinte ihr sei davon nichts bekannt, und sie sei entsetzt, dass<br />

sie höre, wie er es anderen Leuten mitteile, ihr selbst aber bislang<br />

verschwiegen habe. „Sag mal, Dominic, ist das so? Liebst du mich?“ schaute<br />

sie ihn streng an. Dominic hielt sich die ganze Zeit den Bauch vor Lachen und<br />

kommentierte zwischendurch kurz, es sei ihm nur so rausgerutscht, eine ganz<br />

unüberlegte Meinungsäußerung. Angesichts dessen, was sich zwischen den<br />

beiden zu entwickeln schien, fragte ich, ob es ihnen denn nicht lieber sei, wir<br />

würden zunächst gemeinsam Essen, und sie würden 'ihr Problem' anschließend<br />

klären, oder ob es jetzt unaufschiebbar einer Lösung bedürfe.<br />

„Sarah ich werde zum Arzt gehen und mir Anti-Lust-Pillen verschreiben lassen.<br />

Bei diesem Mann, das hält man ja nicht aus. Oder es gibt doch aphrodisierende<br />

Speisen, können wir nicht mal das Gegenteil davon zubereiten, so dass eine<br />

Frau <strong>nach</strong> dem Essen überhaupt nicht mehr weiß, was sie mit der männlichen<br />

Form der Spezies Mensch anfangen soll.“ stellte Joelle ihre Pläne vor, und während<br />

Frank und Dominic dazu lächelten, erinnerte es mich bitter daran, wie ich<br />

es ja selbst eifrig praktiziert hatte. 'Nimm dir einen Mann, der dir eigentlich gar<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 43 von 54


nicht gefällt, dann wird es sicher von ganz allein darauf hinauslaufen.' hätte ich<br />

beitragen können, aber das war meine Vergangenheit, die ich selber begraben<br />

hatte, und nicht lebendig werden lassen wollte. Sie zeigte sich öfter. Einerseits<br />

störte es mich, aber sie hatte ja existierte, ich konnte sie ja nicht ungeschehen<br />

machen, und wollte es auch nicht. Sie blieb ja Teil meines Lebens. Ich konnte<br />

nur darauf achten, dass ich die erkannten Fehler nicht wiederholte, und meinen<br />

Lieben vermitteln, sich vor meinen üblen Erfahrungen zu schützen. Bei Joelle<br />

war ich erfolgreich gewesen. Für den Anfang jedenfalls, denn es handelt sich ja<br />

nicht um ein Kontinuum, das sich einmal für immer einrichten lässt, jeder<br />

muss selbst ständig daran arbeiten, um es zu erhalten. Das schien Joelle<br />

hervorragend zu praktizieren.<br />

Judith und Gerd in Franks Haus<br />

Die Wohnsituation war also geklärt. Warum sollte Judith nicht sofort in Franks<br />

Haus einziehen, und sich die Miete für ihre Wohnung sparen. Judith fand die<br />

Idee prima. Größere Renovierungen waren ja nicht erforderlich, und die beiden<br />

hatten Freude daran, die kleineren Dinge selbst auszuführen. Judith hatte Vergnügen<br />

daran, weil das meiste für sie völlig neu war, und Gerd, der ja schon<br />

mehrere archäologische Praktika und Exkursionen gemacht hatte, war handwerklich<br />

sehr geschickt. Sie redeten wieder gemeinsam über ihre Zukunftspläne,<br />

und Judith meinte, wenn sie sich ganz sicher wäre, würde sie es lieben, ihn<br />

ständig bei sich zu haben. Jeder Mensch denke und empfinde anders, selbstverständlich<br />

sei das ja auch o. k., und sie empfinde bei ihm nichts Negatives,<br />

nichts, was sie störe, aber er habe sehr lange Zeit alles für sich selbst entschieden<br />

und entscheiden müssen. Sie habe den Eindruck, dass sein beruflicher<br />

Bereich, an dem er ja sehr hänge, und der ihm sehr viel bedeute, immer<br />

sein Privatbesitz und unabhängiges Entscheidungsfeld bleiben werde. Wenn<br />

ihm zum Beispiel mal eine bedeutende Professur irgendwo angeboten würde,<br />

stimme er zu, ohne mit ihr ein Wort darüber gesprochen zu haben. So könne<br />

sie sich das denken. „Ich könnte jetzt einfach mit nein antworten, weil ich mich<br />

im Moment sicher nicht so verhalten würde, aber ich versuche in mich hineinzuhören,<br />

um <strong>nach</strong>vollziehen zu können, warum bei dir dieser Eindruck entsteht,<br />

und ich glaube, du hast recht. Es ist ein eigenes Leben in mir, von dem<br />

ich dir zwar erzähle, aber gar kein Interesse verspüre, dich daran teilhaben zu<br />

lassen. Es ist mir nicht bewusst gewesen, ich bin damit aber nicht zufrieden.<br />

Wir werden gemeinsam Wege finden, es zu ändern, Theophanu.“ antwortete<br />

Gerd. „Würde Gerd der Große, denn auch mal in sich das Bedürfnis verspüren<br />

wollen, seine Theophanu um ein geringes Maß näher dem Stande der Ehe zuzuführen?“<br />

fragte Judith ihn. Gerd lächelte, und meinte, nichts würde er lieber<br />

tun. Seine mit Mitgift beladenen Schiffe würden schon seit Jahr und Tag den<br />

Hafen blockieren, und alle Händler und Fahrensleute würden mit ihm<br />

gemeinsam eines zustimmenden Hinweises der Prinzessin harren. „Wo?“ fragte<br />

Judith nur, „hier, bei dir, oder bei mir?“. Gerd antwortete gar nicht. Er starrte<br />

sie kurz an, hatte es kapiert, und küsste sie nun fast endlos. Zwischendurch<br />

schauten sie sich mal tief in die <strong>Augen</strong>, und küssten sich wieder. Sie gingen ins<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 44 von 54


Bad und verschwanden anschließend in Judiths Zimmer. So wohnte <strong>nach</strong> und<br />

auch schon manchmal während der Renovierungsphase nicht nur Judith<br />

sondern auch Gerd in Franks Haus.<br />

Donegal<br />

Den Urlaub hatten wir dieses Jahr im Donegal verbracht. Wir wohnten in einem<br />

kleinen nicht sehr angenehmen Hotel in Letterkenny, und unternahmen von<br />

dort aus Touren mit dem Auto. Alles ganz nett, wildes Meer, schöne Natur, interessante<br />

Sightseeings, wobei mich emotional am tiefsten Derry beeindruckte.<br />

Eigentlich fuhren wir nur durch, aber das wollte ich doch näher sehen. Wie<br />

können Menschen an solchen Orten leben, in denen die einen vor den anderen<br />

durch Mauern geschützt werden müssen, Mauern die voll bemalt sind mit Bildern<br />

von Hass und Gewalt. Ich hatte die kämpfenden Menschen in Nordirland<br />

immer nur für Idioten gehalten, aber als ich die Eindrücke hier life erlebte, kam<br />

mir diese Bezeichnung wie eine Koseform für diejenigen vor, die sich hier engagierten.<br />

Alles andere beeindruckte mich weniger. Ich suchte ja auch gar<br />

nicht das Spektakuläre. Ich wünsche mir für den Urlaub eine Umgebung die<br />

mich wohl fühlen lässt, die mich freudig stimmt. Llanes war mit Sicherheit<br />

nicht besonders spektakulär, aber göttlich. Nordirland erschien mir nicht nur<br />

wegen seines permanenten Wetterwechsel, trist. Für mich schien es prädestiniert<br />

für Menschen, die den Blues suchten, die melancholische Impressionen<br />

zum träumen bevorzugten, so sah meine Welt nicht aus. Auch die Stimmung in<br />

den Pubs, die wahrscheinlich ein Gegengewicht dazu bilden sollte, sprach mich<br />

in ihrer mir teils grob erscheinenden Freudigkeit nicht an. Vielleicht war es in<br />

Dublin ja ganz anders. Mein Land war dieses Irland jedenfalls nicht. Zum Glück<br />

hatten wir noch uns selbst dabei.<br />

Marriage - Mariage<br />

Heaven on Earth! Joelle und Dominic hatten in ihre Zukunft geblickt, und dabei<br />

erkannt, dass ihre Beziehung für immer bestehen bleiben sollte. Dass man sich<br />

dann die Frage stellte, ob es auch kleine neue Joelles und Dominics geben<br />

müsste, war nur konsequent. Dazu sei es am besten, wenn man heirate. Einwände<br />

dagegen sahen sie nicht. Bevor sie sich endgültig entschieden, wollte<br />

Joelle aber noch mal alles mit mir besprochen haben. Joelle, meine Liebste, sie<br />

war eine junge nette Frau gewesen, als sie damals hier angekommen war, hatte<br />

einen Freund gefunden und sich in ihn verliebt. Jetzt war sie eine gereifte<br />

Persönlichkeit, die beabsichtigte eine Familie zu gründen. Ich konnte sie nur<br />

anschauen und mich freuen. „Was ist los, Sarah? Überrascht es dich?“ fragte<br />

Joelle. „Nein, nein, ich finde es wunderbar. Ich liebe dich Joelle.“ sagte ich,<br />

während ich sie umarmte und mir die Tränen flossen. Ein wenig kam es mir<br />

vor, wie es Freude bereitet, Kinder aufwachsen zu sehen. Jeden Tag lernen sie<br />

etwas dazu, mehr als du dezidiert wahrnimmst. Jeden Tag sprichst du mit<br />

einem, der jetzt schon ein kleines Stückchen weiter ist, auf seiner Tour zum<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 45 von 54


großen Mädchen oder großen Jungen. Mir zeigten sich die Bilder der 'kleinen'<br />

Joelle, wie sie sich in der Couch sitzend mit Frank unterhalten hatte, und dieser<br />

Frau jetzt. Es schien mir, das sie seit ihrer ersten Ankunft nicht nur ihre<br />

Persönlichkeit stark verändert hatte, sondern auch viel größer und stärker<br />

geworden war.<br />

Beim Essen wurde das Problem des Ehenamens diskutiert. Joelle wollte am<br />

liebsten Merdrignac, das klinge wunderbar, sei bestimmt früher mal ein alter<br />

Ritter oder so etwas Ähnliches gewesen. „Stellt euch mal vor, mein Sohn hieße<br />

dann Jean-Jaques de Merdrignac. Da wäre man doch als Mutter allein schon<br />

wegen des wundervollen Namens stolz drauf.“ verkündete sie und lachte. Dominic<br />

selbst fand seinen Namen aber gar nicht bezaubernd, sondern eher so<br />

etwas wie verkorkst. Er hätte schon als Kind viel darum gegeben, einen anderen,<br />

üblicheren Namen zu haben. Jetzt täte sich endlich die Möglichkeit für ihn<br />

auf, und da solle er nicht Collister heißen dürfen sondern weiter seinen alten<br />

Namen behalten müssen, das hielte er für ungerecht. Er wollte also lieber Dominic<br />

Collister heißen und seine zukünftige Frau lieber Joelle Merdrignac. Das<br />

war ein Wunsch, den das bürgerliche Gesetzbuch nicht wünschte. Frank erklärte<br />

was möglich sei, und wo die Grenzen lägen. Sie könnten jeder ihren alten<br />

Namen behalten, aber das gerade wollten sie ja nicht, sondern jeder fand den<br />

Namen des anderen schöner. Ein unlösbares Problem. Alle Bekannten und Verwandten<br />

wurden befragt, aber es gab kein einheitliches Meinungsbild.<br />

Nur Judith wusste, dass sie demnächst Sommer heißen würde. Als sie von Joelle<br />

gehört hatte, was sie überlegten, habe sie es Gerd erzählt. Er habe gemeint,<br />

ob sie das nicht auch für sich überlegen müssten. „Mami, er ist wunderbar.<br />

Ohne zu wissen, was ich gern möchte, kommt er immer von selbst drauf,<br />

und schlägt es mir vor. Ich habe schon mit Joelle überlegt, ob wir es nicht gemeinsam<br />

machen sollten, uns verbindet ja schließlich nicht weniges. Sie war<br />

ganz begeistert, wollte es aber noch mit Dominic klären.“ berichtete Judith.<br />

Mittlerweile hatten sich Joelle und Dominic auch verständigt. Sie verbinde ja<br />

schließlich nichts Negatives mit ihrem Namen, und Mom und Dad würden sich<br />

gewiss freuen, wenn es später mal neue kleine Collisters gebe. Für sie klinge<br />

Dominics Name zwar schön, aber ihrer gefalle ihr auch, nur dass sie demnächst<br />

einen Partner habe, der auch Collister heiße irritiere sie schon. Sie müsse<br />

sich dann wahrscheinlich immer deutlich klar machen, dass es sich bei diesem<br />

Typ in ihrem Bett mit Sicherheit nicht um ihren Cousin handele.<br />

Wann sich das alles abspielen sollte? In diesem Jahr natürlich nicht mehr. Sie<br />

wollten schon so lange warten, bis die Möglichkeit auf ein wenig sonnigere<br />

Tage bestand. Also die Osterzeit im nächsten Jahr.<br />

Impressionen und Perspektiven zu Weih<strong>nach</strong>ten<br />

Der Dezember zeigte sich in diesem Jahr in all seiner Hässlichkeit. Wenn einem<br />

auch all der Trubel und widerliche Geschäftsrummel zu Weih<strong>nach</strong>ten auf die<br />

Nerven fiel, die Möglichkeit, daran denken zu können, wie man sich aneinander<br />

freute, wollte man sich doch nicht nehmen lassen. Tage an denen man kaum<br />

Licht zu sehen glaubte, aber immer wiederkehrende Schauer oder kalten Dau-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 46 von 54


erregen zu spüren bekam, schienen uns mitteilen zu wollten, dass Weih<strong>nach</strong>ten<br />

auch von trüber Melancholie und hässlicher Tristesse geprägt sein kann.<br />

Drei Tage vor Weih<strong>nach</strong>ten wurde es aber so kalt, dass aus dem Regen Schnee<br />

wurde, und es fast zwei Tage und eine Nacht unaufhörlich schneite. Da<strong>nach</strong><br />

waren die Wolken verschwunden, und der Himmel führte stolz in seiner blauen<br />

Kälte der Wintersonne sein weih<strong>nach</strong>tliches Prachtwerk vor. Die süßlichen<br />

Weih<strong>nach</strong>tsbildchen, plötzlich hatten sie sich in Wirklichkeit verwandelt. Leider<br />

räumte man den Schnee auf den Straßen zur Seite, anstatt die Menschen ihre<br />

Schlitten hervorholen zu lassen, die Rentiere anzuspannen, um so ihre Ziele<br />

erreichen zu können. Wer zu Weih<strong>nach</strong>ten in Münster alles mit weißen Käppchen<br />

und Mützen bedeckt und unter strahlend blauem Himmel von der Sonne<br />

beschienen glitzern sehen darf, weiß dass er zu denen gehört, die gemocht<br />

werden, und kann das Verlangen, freundlich zurück zu lächeln, nicht unterdrücken.<br />

Wir würden zu sechst sein. Rebecca hatte <strong>nach</strong> jahrelanger Suche einen Mann<br />

gefunden. Ob es die große Liebe war, oder werden würde, ganz genau wusste<br />

sie es selber nicht. Sie wollte Weih<strong>nach</strong>ten mit ihm verbringen. Gemeinsam bei<br />

uns? In diesem Jahr nicht, vielleicht im nächsten.<br />

Frank und ich bildeten bei uns die Minderheit, alle anderen wollten im kommenden<br />

Jahr heiraten. Joelle meinte, wir beide sollten doch auch heiraten,<br />

dann könnte der ganze Clan zusammen Hochzeit feiern. Die Lage, dass wir beide<br />

noch verheiratet waren, wurde so eingeschätzt, das diese Situation eindeutig<br />

für die Ehepartner die finanziell günstigere Variante sei. Und selbst wenn<br />

sich finanziell überhaupt nichts für uns ergeben sollte, sei der Unterhalt unseres<br />

Hauses doch nicht gefährdet, wenn beide Paare ein wenig Miete zahlen<br />

würden. Ein völlig neuer Aspekt für mich, wenn ich ihn gesehen hätte, wäre<br />

meine Scheidung längst vollzogen. Ich würde auf jeden Fall sofort <strong>nach</strong> den<br />

Feiertagen einen Anwalt aufsuchen, auch wenn es Januar wäre, zumal mir meine<br />

Erfahrung verbot, diesen Monat immer noch zu beschimpfen. Frank war<br />

nicht froh, jegliche Art von Verbindung zu seiner Frau Claudia tilgen zu können.<br />

Er hatte ihr ja, außer in den letzten Monaten vielleicht, nichts vorzuwerfen. Er<br />

hatte die meiste Zeit seines Lebens mit ihr verbracht, glücklich gelebt. Sie hatte<br />

nichts getan, was ihre Beziehung hätte gefährden können. Er hatte das Gefühl,<br />

sie mit der Scheidung aus seinem Herzen streichen zu müssen, und das<br />

war nicht sein Wunsch. Frank hatte zwar überhaupt keine Ambitionen, eventuell<br />

mal irgendwann zu ihr zurück zu wollen, aber für Claudia hatte er liebe,<br />

freundliche Empfindungen. Sie waren ihm wertvoll, warum solle er sie zerstören.<br />

Ich hätte argumentieren können, dass dies mit der formalen Scheidung<br />

oder Aufrechterhaltung des Ehestatus ja nichts zu tun habe, aber es schien mir<br />

angezeigter, es zu unterlassen. Mich bewegte ja auch überhaupt keine Art von<br />

dringendem Bedürfnis, Frank heiraten zu können. Ich wollte aus meiner Bindung<br />

raus, und dazu sah ich jetzt die Chance. Die Anwältin, zu der mir Frank<br />

geraten hatte, sah die finanzielle Seite auch sehr vielversprechend für mich,<br />

war aber der Ansicht, dass es sich bis Ostern voraussichtlich nicht klären ließe.<br />

Als ich zu Hause über meine Erfahrung berichtete, erklärte Frank, er habe mit<br />

Claudia gesprochen. Sie habe sich grundsätzlich einverstanden erklärt, und gesagt,<br />

dass sie damit gerechnet habe, über kurz oder lang in diesen sauren Apfel<br />

beißen zu müssen. Ihr wäre sehr an einer einvernehmlichen Regelung gele-<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 47 von 54


gen, auch wenn sie dadurch finanziell in nächster Zeit wohl kürzer treten müsse.<br />

Scheidungen<br />

Im Februar kam Nachricht aus den USA. Ralfs Anwalt hatte ein Pauschalangebot<br />

unterbreitet, das mir den Mund offen stehen ließ. Ich hätte es sofort akzeptiert,<br />

aber die Anwältin meinte, ein sofortiges Angebot zeuge davon, dass<br />

er bei einem Verfahren wesentlich höhere Beträge erwarte. Sie hielt es für ratsam,<br />

dem Anwalt mitzuteilen, dass uns die Summe deutlich zu gering erscheine.<br />

Wir könnten ja dann <strong>nach</strong> seiner Antwort reagieren und uns entscheiden.<br />

O. k., die Anwältin hatte nicht nur mein Vertrauen, sondern auch mehr Erfahrung.<br />

What happens, Ralfs Anwalt verdoppelt die Summe. Unglaublich, Stop,<br />

mehr Geld wollte ich nicht. Das Geld konnte er keinesfalls bei seiner Firma verdient<br />

haben. Wo wusste ich nicht. Es mussten ja keine dunklen Geschäfte gewesen<br />

sein, aber zuzutrauen war es ihm sicherlich. Es war mir gleichgültig. So<br />

würden wir plötzlich reich werden. Mehr wollte ich von diesem Geld keinesfalls.<br />

Zu Hause traute ich mich erst gar nicht zu sagen, wie viel es war. Dann überlegten<br />

wir mehr spaßig, was wir mit dem Geld alles veranstalten könnten. Jetzt<br />

war es Frank, bei dem es eventuell bis Ostern knapp werden würde, weil für<br />

ihn noch die Berechnungen seiner Finanzkasse eingeholt werden mussten.<br />

Wenn wir auch heiraten wollten, erklärten die anderen, sei es doch selbstverständlich,<br />

dass sie warteten, bis es für alle möglich sei. „Ich weiß es gar nicht.“<br />

erklärte ich, „Frank hat mir ja überhaupt noch keinen Heiratsantrag gemacht.<br />

Und wie ich mich dann entscheiden werde, habe ich mir auch noch nicht überlegt.<br />

Er müsste um meine Hand anhalten, aber das hat er ja auch noch nirgendwo<br />

getan.“ Dominic löste das Problem, und schlug vor: „Mach es bei mir<br />

Frank. Der alte Ritter von Merdrignac lässt heute seine Gnade walten, und<br />

wird dir sein Töchterlein Sarah zur Frau geben.“ „Aber er muss doch erst vor<br />

ihrem Fenster singend um ihre Gunst gefleht haben.“ wandte Joelle ein. In der<br />

Tat, nur Frank äußerte die vage Vermutung, dass so etwas wohl eher ihrer Liebe<br />

zu ihm abträglich sein könne.<br />

Three Couples<br />

Also würden wir drei gleichzeitig heiraten. Sehr schön, ergreifend vielleicht,<br />

aber mir schlich sich auch ein leicht mulmiges Gefühl ein. Eigentlich war mir<br />

gar nicht richtig klar geworden, was ich tat. Niemals hatte ich daran gedacht,<br />

je wieder zu heiraten. Diese öffentlich bekundeten Verbindungen, das wollte<br />

ich für mich nicht mehr. Ich wollte mich frei fühlen können, ich selber sein und<br />

nicht die Frau von XY. Auch wenn ich es wünschte, mit Frank immer zusammen<br />

zu bleiben, aber meine Eigenständigkeit empfand ich durch so etwas wie einen<br />

Ehevertrag beschränkt. Und jetzt machte ich es, nur weil wir beide ja auch wie<br />

die andern für immer zusammenleben wollten. Nur Joelle und Judith wollten<br />

Kinder haben, das war ein anderer Gesichtspunkt. Ich besprach es mit Frank.<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 48 von 54


Der zuckte nur fragend mit den Schultern. „Als persönliche Katastrophe, als<br />

etwas, das mein Ego empfindlich stört, kann ich es nicht sehen, nur einen<br />

irgendwie gearteten zwingenden Grund kann ich auch nicht erkennen.“ meinte<br />

er, „Wenn es mich nicht stört, versuche ich eher <strong>nach</strong> dem Angenehmen, <strong>nach</strong><br />

den positiven Seiten zu schauen. Ich habe mich die ganzen Jahre über in<br />

meiner Ehe nicht unwohl gefühlt, ob es etwas damit zu tun hatte, dass wir<br />

verheiratet waren, ich weiß es nicht. Ich denke auch, dass Claudia sich in ihrer<br />

Eigenständigkeit durch die Ehe in keiner Weise eingeschränkt gefühlt hat. Für<br />

uns war es eher so etwas wie ein sicherer persönlicher Ankerplatz, unsere<br />

menschliche Basis für das übrige Leben. Ob man dazu verheiratet sein muss,<br />

ich glaube nicht, aber stören muss man sich dadurch auch nicht lassen.“ und<br />

fuhr fort, „Wenn es niemanden stört, wird es doch ein wunderbares Fest sein.<br />

Stell dir vor, wie ich dir in die <strong>Augen</strong> schauen werde, wenn man mich fragt, ob<br />

ich dich, Sarah, zur Frau nehmen werde.“ „Aber zum Popen gehe ich nicht. Das<br />

geht zu weit.“ stellte ich trotzig fest.<br />

Also konnte alles geplant werden. Unendliche Überlegungen, aus denen ich<br />

mich am liebsten raushielt. Ich wollte mich nicht vor der Arbeit drücken, aber<br />

dieser ganze Hochzeitsrausch war mir eigentlich sehr unangenehm. Die traumschönen<br />

Bräute in ihren traumhaften Roben am schönsten Tag ihres Lebens,<br />

zuwider war mir das. Mit so etwas dachte ich nie mehr belästigt zu werden,<br />

jetzt hatte ich es gleich im Dreierpack. Ich würde am Hochzeitstag nicht missmutig<br />

sein, die beteiligten Personen garantierten, dass es nicht zu übermäßig<br />

viel verlogenem Zauber käme.<br />

Silkes Kleider<br />

Unsere Hochzeitskleider sollten alle von Silke, einer Modedesignerin, die eine<br />

Schulfreundin von Judith war, entworfen werden. Brautkleider hatte sie zwar<br />

noch nie kreiert, freute sich aber darauf. Sie hatte große Mengen an Material<br />

zusammengetragen, um uns für mögliche Stilrichtungen entscheiden zu lassen.<br />

Nach stundenlangen Erörterungen einigten wir uns gemeinsam auf primär Modernes,<br />

Elegantes, eventuell ein wenig Freches, keine Schleier, allenfalls dünne<br />

Schals oder Stolas. So entsprach es uns, und auch Silke fühlte sich in dieser<br />

Richtung am wohlsten und sichersten.<br />

Jetzt wurde ich doch auf einmal von Brautkleidern begeistert. Sie würden uns<br />

das Gefühl vermitteln, sich auf dem Catwalk zu befinden und nicht auf dem<br />

Weg zum Traualtar oder Standesbeamten. So ein tolles Kleid hatte ich in meinem<br />

ganzen Leben noch nicht besessen. Es besänftigte alle meine Vorbehalte<br />

gegen den Hochzeitszirkus, und löste in mir Nachdenken über mein bisheriges<br />

Verhältnis zu Bekleidung und Mode aus. Ich würde mir in Zukunft alle Kleider<br />

von Silke entwerfen lassen, bezahlen konnte ich es ja jetzt. Jedenfalls war Silke<br />

eine interessante Person für mich geworden, von der ich gerne mehr wissen<br />

möchte. Frank war auch der Ansicht, dass Silkes Einsatz unbezahlbar sei. Jetzt<br />

brauche er mir gar nicht mehr in die <strong>Augen</strong> zu schauen, um zu erkennen, wie<br />

schön ich sei.<br />

Wir hatten uns auf einen kleineren Kreis von Gästen beschränkt, als möglich<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 49 von 54


gewesen wäre, weil uns die Umgebung des Schlosses als Ambiente wichtig war.<br />

Kirche und Trausaal, waren natürlich für die Gäste aus den USA auch schon<br />

überwältigend. Joelles Onkel erklärte, es käme ihm vor, als ob er bei der<br />

Hochzeit von europäischen Prinzessinnen anwesend sein dürfe. Er könne Joelle<br />

gut verstehen, dass sie hier leben wolle.<br />

Ich hatte dafür plädiert, dass wir beide, Frank und ich, unsere jeweiligen Namen<br />

behalten sollten. Ich hatte nämlich gerade meinen Mädchennamen, Hafman,<br />

zurück erhalten und wollte ihn nicht sofort wieder verlieren. Frank fand<br />

seinen Namen eher langweilig, er habe nichts dagegen, ja würde sich eher<br />

freuen, meinen Namen annehmen zu können. „Stört es dich denn, oder hast<br />

du etwas dagegen, wenn wir beide Hafman heißen.“ hatte er mich gefragt. Ich<br />

hatte ihn angestrahlt, und geantwortet: „Sehr schön finde ich das. Da hat die<br />

kleine Sarah endlich ihren Namen wieder und gleich einen Freund, der genauso<br />

heißt. Herr Hafman gib deiner Frau Hafman mal einen Kuss!“<br />

Gemeinsamer Urlaub im Cantal<br />

Als Frank und ich Urlaubspläne wälzten, fragte Dominic, ob es denn völlig abwegig<br />

sei, wenn die Hafmans, Sommers und Collisters gemeinsam in Urlaub<br />

führen. Sie hätten ja gemeinsam geheiratet, und eine kleine gemeinsame<br />

Hochzeitsreise könne er sich gut vorstellen. Ich rief Judith an, die war auch davon<br />

angetan, und beide kamen sofort rüber. Jeder kannte viele potentielle<br />

Orte, nur <strong>nach</strong> Irland wollte ich nicht. Judith wollte gern zu Gerds Grabungsstätten.<br />

Gerd würde ihr liebend gern alles zeigen, nur Urlaub machen könne<br />

man dort nicht. Schließlich wollten wir Chalets an einem einsamen Kratersee in<br />

der Auvergne suchen. Dominic sollte sich kundig machen, obwohl er sich nur<br />

<strong>nach</strong> längerer Diskussion einverstanden erklärt hatte. Dominic meinte die Auvergne<br />

sei Bauernland, und wir machten ihm klar, das wir gerade das lieben<br />

würden. Chalets an den Seen waren nicht zu finden gewesen. Alles Naturschutzgebiet,<br />

und die es da gab, waren bestimmt in Privatbesitz. Dafür gab es<br />

eine Vielzahl von wunderbaren Landhäusern, kleinen alten Schlössern ähnlich,<br />

auch in Naturschutzgebieten am Rande von Dörfern oder kleinen Städten. Die<br />

Fotos von einem fand ich fantastisch. Das musste es sein. Die anderen lächelten<br />

nur, und waren einverstanden. Es lag in Prades im Cantal zwisch St. Flour<br />

und Le Puy en Velay, war ein wenig üppig für uns, aber wir konntens ja schon<br />

mal testen. Fünf Kinder hätte jeder noch mitbringen können. Bei einer unserer<br />

Soirées äußerte Judith die Absicht, dieses Haus zu kaufen und samt Umgebung<br />

mit <strong>nach</strong> Münster zu nehmen. Sie malte sich aus, wie traumhaft es sein könne.<br />

Man könne auf der Terrasse sitzen, wann und mit wem man wolle, die Kinder<br />

könnten zusammen in dem kleinen Park spielen, und Gäste könne man unterbringen,<br />

soviel man wolle. Die Umgebung gäbe es zwar nicht in Münster, aber<br />

mit ähnlicher Grundkonzeption müsse es solche Häuser dort doch auch geben.<br />

New Home – New Life<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 50 von 54


Mir machte es deutlich, das Gerd und Judith nicht gern in Franks Haus lebten,<br />

weil sie dort allein für sich sein konnten, sondern ihnen ein Zusammenleben<br />

mit uns wünschenswert schien. Ich hatte nie daran gedacht. Wir hatten ja jetzt<br />

Geld, und so ein ähnlich strukturiertes Haus, in dem wir alle wohnen konnten,<br />

hätte für mich alle lieb gewonnenen Reminiszenzen an mein altes Family-Home<br />

verblassen lassen. Bevor ich es allgemein äußerte, wollte ich es erst mit Herrn<br />

Hafman, meinem Angetrauten, der hier gelernt hatte, dass er sich bereits im<br />

oder nahe am troisième âge befand, besprechen. Der Dusel hatte schon mal<br />

eine leer stehende Villa an der Promenade gesehen, und gedacht, dass es doch<br />

ein schönes Haus für uns alle sei, aber kein einziges Wort darüber verloren.<br />

Zur Strafe für so viel Schusseligkeit, würde er demnächst dann wohl im Gartenhäuschen<br />

wohnen müssen. Er hatte es also selbst schon unabhängig vom<br />

Chalet in Erwägung gezogen. Ja natürlich, sofort <strong>nach</strong> dem Urlaub würden wir<br />

mit der Suche beginnen. Das Ergebnis war immer das gleiche: übermäßig<br />

schönes Haus, übermäßig günstige Lage, übermäßig hoher Preis. In der Preislage,<br />

die wir akzeptieren wollten, war einfach nichts zu finden, das unseren Ansprüchen<br />

genügt hätte. Der Verkauf der beiden Häuser würde ja auch einiges<br />

bringen, und wofür konnte man Geld denn besser verwenden, als sich dadurch<br />

Bedingungen für ein glücklicheres Leben zu schaffen. Eine wunderschöne alte<br />

Residenz, die aber noch stark unseren Bedürfnissen angepasst werden musste.<br />

Wir hatten gedrängt, und tatsächlich war alles so rechtzeitig fertig geworden,<br />

dass wir dieses Jahr Weih<strong>nach</strong>ten in unserem neuen kleinen Schoß feiern<br />

konnten. Das meiste im Haus stand noch leer. Gästezimmer, Kinderzimmer und<br />

was man sonst noch eventuell alles würde brauchen müssen. Zur Hauseinweihung<br />

war Rebecca und ihr Apotheker in diesem Jahr auch eingeladen. So<br />

hatte ich wenigstens eine Frau mit der ich richtig anstoßen konnte, denn die<br />

beiden jungen Ladies konnten in diesem Jahr nur kurz nippen, kleine Collisterund<br />

Sommer-Babys waren schon angefangen, sich in ihren Bäuchen breit zu<br />

machen. Judiths war ein Cantal-Kind, Joelles war zwei Monate jünger. So spielten<br />

die zukünftigen Mamis die Hauptrolle an diesem Fest und drängten die<br />

Freude über das neue Haus auf Platz zwei.<br />

Weih<strong>nach</strong>tsgedanken<br />

Ich hatte Weih<strong>nach</strong>ten immer ganz schlicht halten wollen, es sollte uns spüren<br />

lassen, wie wertvoll uns unsere persönlichen Beziehungen untereinander sind,<br />

was der eine dem andern gibt, nicht in schön verpackten Kisten und nur an<br />

diesem Tag. In den letzten Jahren war das zwar nicht missachtet worden, aber<br />

bei den kleinen besinnlichen Freuden war es nicht geblieben. Im letzten Jahr<br />

hatten Frank und ich überlegt, uns scheiden zu lassen und mit den anderen zu<br />

heiraten. Davor hatten Joelle, Frank und ich den Beginn unserer neuen Leben<br />

gepriesen, und jetzt gab es schon wieder neues Leben inclusive neuem Haus<br />

zu feiern. Weih<strong>nach</strong>ten bekam den Charakter eines Festes, an dem es immer<br />

neue Überraschungen oder Entwicklungen zu begrüßen gab. Im nächsten Jahr<br />

würden sich schon Kinderstimmen ins Oratorium mischen, und im darauf folgenden<br />

würde das Trappeln kleiner Füße die Stille Nacht ein wenig beleben.<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 51 von 54


Vor drei Jahren hatte nicht nur für Joelle, Frank und mich individuell ein neues<br />

Leben begonnen, unbewusst und ungeplant hatte sich für uns eine ganz neue<br />

Welt entwickelt, mit einer Vielfalt an Leben, Beziehungen und Freuden. Ich<br />

selbst hatte nicht nur neues Leben entfaltet, zu uns war es gekommen, umgab<br />

uns und kam weiter in einem fortlaufenden Prozess. Ich war nicht mehr die<br />

isolierte Knospe, die frische Kraft und Lust auf wildes Glück suchte, ich empfand<br />

mich wie aufgenommen in die Pflanzengemeinschaft der Blumenwiese,<br />

blühte, fühlte mich wohl, und konnte gemeinsam mit den anderen meine<br />

Pracht entfalten. Wenn ich jetzt in mich selbst horchte, sah ich einen ganz anderen<br />

Menschen, die Frau, die Wert darauf legte, auf sich selbst stolz sein zu<br />

können, dieses Gebilde gab es nicht mehr. Ich sah eine empfindsame, heitere<br />

Frau, die mir Wärme vermittelte und mir verständnisvoll zublinzelte, sie wollte<br />

nicht bewundert werden, meine Liebe war bei ihr.<br />

Fin<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 52 von 54


Lorsque vos yeux me parlent,<br />

c'est mon cœur qui vous écoute<br />

Michel Vaner<br />

„Wenn sie dann völlig abweisend gewesen wären, hätte sich ja alles geklärt.<br />

Aber so haben sie ja nicht reagiert.“ erläuterte Herr Heinrichs mir. „Ich habe<br />

mich auch hinterher gefragt, warum ich das nicht getan habe. Das wäre meine<br />

übliche Reaktion gewesen. Ich brauche und suche nämlich gar keinen Mann,<br />

und so etwas sind sie ja offensichtlich. Aber sie sind ein sympathischer Mann,<br />

auch wenn sie vorhaben ihre Frau zu betrügen. Vielleicht ist das ja auch so<br />

eine männliche Macke, dass man seine Frau wenigstens einmal betrogen haben<br />

muss.“ antwortete ich ihm. „Mögen sie Männer wegen ihrer der von ihnen so<br />

bezeichneten 'männlichen Macken' nicht? Aber ich plane auch nicht meine Frau<br />

zu betrügen, ich habe nur versucht, ihnen möglichst offen zu sagen, wie es für<br />

mich ist. Ich plane überhaupt nichts. Ich komme mir eher so vor, als ob etwas<br />

mit mir geschieht. Sich irgendetwas in mir einen Scherz daraus macht, mit<br />

meinen Gefühlen zu spielen, und mich massiv zu verwirren.“ versuchte Herr<br />

Heinrichs erläuternd auf mich einzugehen. „Seien sie mir nicht böse, auch<br />

wenn ich manchmal ein wenig schroff reagiere. Ich mag sie, sie gefallen mir,<br />

aber sie müssen sich zwangsläufig zunächst mal ein wenig mehr Klarheit für<br />

sich selbst verschaffen. Wie soll das denn funktionieren, sie lieben ihre Frau,<br />

und träumen von mir? Oder stellen sie sich vor, wenn sie so große <strong>Sehnsucht</strong><br />

<strong>nach</strong> mir haben, wäre es ja nicht ausgeschlossen, dass sich aus unserem<br />

gemeinsamen Abendessen eventuell mehr entwickeln könnte, und sie sagen zu<br />

ihrer Frau: 'Du,' wie heißt sie? 'du Claudia ich habe da so eine Freundin, wir<br />

gehen öfter essen, und ficken dann anschließend miteinander'. Soll das so<br />

laufen? Versuche dir darüber klar zu werden, was mit dir ist, und was du willst.<br />

Dann können wir eventuell weiter sehen. Wenn du zwischendurch allzu große<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> meinen <strong>Augen</strong> hast, können wir uns ja wieder mal zum Essen<br />

verabreden. Trotz aller Unklarheiten fände ich es passender, wenn du mich<br />

Sarah nennen würdest, und ich deinen Vornamen auch wüsste, Herr Richter,<br />

wir haben ja mittlerweile einiges nicht gerichtsnotorische untereinander<br />

ausgetauscht.“ ging ich auf ihn ein. „Ich heiße schlicht Frank, wie Millionen<br />

andere Boys in meinem Alter.“ antwortete er, und sah mich mit versonnen süßsauren<br />

Lächeln an. Was mochte er wohl träumen? Hätte ich diese Frau doch<br />

nie gesehen, bestimmt nicht. Er machte eher den Eindruck, als ob er sich leicht<br />

gequält fühlte von der Notwendigkeit, Klärung herbei führen zu müssen. Beim<br />

Abschied gaben wir uns fast wie selbstverständlich einen Kuss.<br />

Zu Hause im Spiegel schaute ich mir erst mal meine <strong>Augen</strong> an. Hatte ich große<br />

<strong>Augen</strong>, schöne <strong>Augen</strong>, ließen sie etwas erkennen, sagten sie etwas aus? Ich<br />

sah sie ja jeden Morgen groß im Spiegel, aber auch jetzt konnte ich keine Antwort<br />

finden. Für mich selbst waren sie ganz normal blass bläulich, und ansonsten<br />

empfand ich alles als sehr üblich. Ich glaube eher, dass die <strong>Augen</strong> als leicht<br />

strahlend empfunden werden, wenn man lächelt. Dann gefiel ich mir selbst<br />

auch trotz meiner Falten am besten. Was veranlasste mich dazu, auf diesen<br />

Mann so zu reagieren. Ich nahm ihn gar nicht als Mann war. Als jemanden der<br />

mir Avancen machte, obwohl es ja eindeutig so war. Ich empfand es einerseits<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 53 von 54


als höchst seltsam, dass er an mich denken musste, von mir träumte, ohne zu<br />

wissen, wer ich war, empfand seine Gegenwart aber als sehr angenehm. Er war<br />

auch nicht der korrekte biedere Richter, der er im Dienst vielleicht sein mochte.<br />

Der Eindruck, den er auf mich machte, war eher der eines in die Jahre<br />

gekommenen großen Jungen, der sensibel und lustig war. Ich hatte das Empfinden,<br />

dass er Wärme und Vertrauen ausstrahlte. Wenn mehr aus uns würde,<br />

hätte ich bestimmt Lust daran, ganz lieb und zärtlich zu ihm zu sein. So ein<br />

Unsinn! Was träumte ich für einen Quatsch und warum?<br />

<strong>Sehnsucht</strong> <strong>nach</strong> <strong>Sarahs</strong> <strong>Augen</strong> – Seite 54 von 54

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