26.11.2013 Aufrufe

Mein Bewusstsein versteht davon nichts

Ich konnte noch träumen. Das war doch auch etwas Schönes. Natürlich musste ich mich sofort näher erkundigen. Sonja hieß sie, war verheiratet und hatte ein Kind, dass sie nach ihrem Examen bekommen hatte. Wenn sie es als Historikerin geschafft hatte, im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben, musste sie schon eini­ges vorzuweisen haben. Ihre Dissertation wollte ich mir mal ansehen. Jetzt schrieb sie an ihrer Habilitation, wollte also Professorin werden. Entsetzlich, warum musste diese Frau für mich so unerreichbar sein? Wenn sie wüsste, wie glücklich sie mich machen würde, dachte ich und musste über meine eigene Idiotie lachen. Meine liebe Guilia, ich habe dich so lieb, aber jetzt muss ich ein­fach an Sonja denken. In meinen Gedanken bewegte sich Frau Dr. Lenhardt nur noch als Sonja. Natürlich war es völlig abstrus, an irgendeine Art von Be­ziehung zu denken, es war nur einfach ein Genuss, sie jede Woche zu hören. Im Laufe des Semesters hatte ich Sonja doch noch näher kennengelernt. Wir redeten uns sogar mit Vornamen an, aber plötzlich war sie verschwunden. Hatte sich wohl anderswo auf einen Lehrstuhl beworben. Auch wenn sie nicht mehr da war und ich sie voraussichtlich nie wiedersehen würde, aus meiner Gedanken- und Traumwelt würden die Bilder und Visionen von Sonja nie wieder verschwinden. Ob Eric Sonja doch wiedertraf und was sich daraus entwickelte, erzählt die Geschichte.

Ich konnte noch träumen. Das war doch auch etwas Schönes. Natürlich musste ich mich sofort näher erkundigen. Sonja hieß sie, war verheiratet und hatte ein Kind, dass sie nach ihrem Examen bekommen hatte. Wenn sie es als Historikerin geschafft hatte, im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben, musste sie schon eini­ges vorzuweisen haben. Ihre Dissertation wollte ich mir mal ansehen. Jetzt schrieb sie an ihrer Habilitation, wollte also Professorin werden. Entsetzlich, warum musste diese Frau für mich so unerreichbar sein? Wenn sie wüsste, wie glücklich sie mich machen würde, dachte ich und musste über meine eigene Idiotie lachen. Meine liebe Guilia, ich habe dich so lieb, aber jetzt muss ich ein­fach an Sonja denken. In meinen Gedanken bewegte sich Frau Dr. Lenhardt nur noch als Sonja. Natürlich war es völlig abstrus, an irgendeine Art von Be­ziehung zu denken, es war nur einfach ein Genuss, sie jede Woche zu hören. Im Laufe des Semesters hatte ich Sonja doch noch näher kennengelernt. Wir redeten uns sogar mit Vornamen an, aber plötzlich war sie verschwunden. Hatte sich wohl anderswo auf einen Lehrstuhl beworben. Auch wenn sie nicht mehr da war und ich sie voraussichtlich nie wiedersehen würde, aus meiner Gedanken- und Traumwelt würden die Bilder und Visionen von Sonja nie wieder verschwinden. Ob Eric Sonja doch wiedertraf und was sich daraus entwickelte, erzählt die Geschichte.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Carmen Sevilla<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong><br />

Sonja und Eric, Liebe auf den ersten Klang<br />

Erzählung<br />

Helena: So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?<br />

Faust: Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn.<br />

Und wenn die Brust von Sehnsucht überfließt,<br />

Man sieht sich um und fragt –<br />

Helena: Wer mitgenießt.<br />

Johann Wolfgang von Goethe, Faust II<br />

Ich konnte noch träumen. Das war doch auch etwas Schönes.<br />

Natürlich musste ich mich sofort näher erkundigen. Sonja hieß sie,<br />

war verheiratet und hatte ein Kind, dass sie nach ihrem Examen<br />

bekommen hatte. Wenn sie es als Historikerin geschafft hatte, im<br />

Wissenschaftsbetrieb zu bleiben, musste sie schon einiges<br />

vorzuweisen haben. Ihre Dissertation wollte ich mir mal ansehen.<br />

Jetzt schrieb sie an ihrer Habilitation, wollte also Professorin<br />

werden. Entsetzlich, warum musste diese Frau für mich so<br />

unerreichbar sein? Wenn sie wüsste, wie glücklich sie mich machen<br />

würde, dachte ich und musste über meine eigene Idiotie lachen.<br />

<strong>Mein</strong>e liebe Guilia, ich habe dich so lieb, aber jetzt muss ich einfach<br />

an Sonja denken. In meinen Gedanken bewegte sich Frau Dr.<br />

Lenhardt nur noch als Sonja. Natürlich war es völlig abstrus, an<br />

irgendeine Art von Beziehung zu denken, es war nur einfach ein<br />

Genuss, sie jede Woche zu hören. Im Laufe des Semesters hatte ich<br />

Sonja doch noch näher kennengelernt. Wir redeten uns sogar mit<br />

Vornamen an, aber plötzlich war sie verschwunden. Hatte sich wohl<br />

anderswo auf einen Lehrstuhl beworben. Auch wenn sie nicht mehr<br />

da war und ich sie voraussichtlich nie wiedersehen würde, aus<br />

meiner Gedanken- und Traumwelt würden die Bilder und Visionen<br />

von Sonja nie wieder verschwinden. Ob Eric Sonja doch wiedertraf<br />

und was sich daraus entwickelte, erzählt die Geschichte.<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 1 von 31


<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> -<br />

Inhalt<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong>........................................4<br />

Wundervolle Stimmen....................................................................4<br />

Elsa von Brabant.............................................................................4<br />

Das tumbe Ohr...............................................................................5<br />

Stimme aus dem Feenwald............................................................. 5<br />

Macht ihnen das eigentlich Spaß?...................................................6<br />

Der Idiot und Sonjas Stimme..........................................................7<br />

Ich mag dich, Eric........................................................................... 8<br />

Sonja gehörte die Welt, mir nur die schönen Stimmen.................10<br />

Nach dem Studium.......................................................................11<br />

Elternsprechtag in der 7b............................................................. 12<br />

Promovieren................................................................................. 13<br />

Sonja meine Liebe schenken........................................................14<br />

Warum eigentlich, Sonja?.............................................................15<br />

Wenn ich meinen Titel habe.........................................................16<br />

Intensives Leben.......................................................................... 17<br />

Falsche Entscheidung................................................................... 18<br />

Wir beide würden uns gut verstehen............................................ 19<br />

Die lustigen Weiber von Windsor..................................................20<br />

Neuer Arbeitsplatz........................................................................21<br />

Beim nächsten mal fährst du mit.................................................. 22<br />

Einsamkeit.................................................................................... 22<br />

Gemeinsames Arbeiten................................................................. 23<br />

Historikerkongress....................................................................... 24<br />

Das Mädchen aus dem Urwald...................................................... 25<br />

Ich war sehr angetan, Herr Sailer................................................27<br />

Guilias Trennung..........................................................................28<br />

Was soll ich tun?..........................................................................29<br />

Komm zu mir, Eric........................................................................30<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 2 von 31


<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong><br />

Wundervolle Stimmen<br />

Wagner Opern lagen mir nicht besonders, auch wenn sie sehr unterschiedlich<br />

sind. <strong>Mein</strong>e Mutter hatte mich schon sehr früh als kleiner Junge in die Oper begleitet,<br />

weil ich ein absolutes Faible für Gesang zu haben schien. Da war sie<br />

selbst Schuld dran. Wenn sie mich abends ins Bett brachte, waren das intime<br />

Momente unserer Liebe. Manchmal wusste ich gar nicht, was sie erzählt oder<br />

vorgelesen hatte, ihr zuzuschauen und vor allem ihrer Stimme zu lauschen<br />

vermittelten seliges Glück. Als höchste Form der Liebkosung empfand ich es,<br />

wenn sie für mich etwas sang. Den ganzen Tag war ich aktiv und hatte die Welt<br />

zu erobern, aber abends, wenn ich ins Bettchen gebracht wurde, war alles vergessen,<br />

dann war ich nur bei mir, und dazu gehörte meine Mutter. Eine Seite<br />

des Lebens, die ich tagsüber nicht vermisste, aber abends war sie unverzichtbar.<br />

Ich war im zweiten Schuljahr, als ich das Verfahren des Zubettbringens<br />

kritisch hinterfragte. „Mami, wir streicheln und küssen uns immer, aber ich bin<br />

doch ein Mann?“ gab ich zu bedenken. <strong>Mein</strong>e Mutter zog die Lippen breit und<br />

presste sie zusammen. Nachdem die Gefahr lachend loszuplatzen vorüber war,<br />

meinte sie: „Ja, ja, schon, aber ich liebe eben auch junge Männer.“ Wobei sie<br />

mich umschlang, drückte und lachte. Ich lachte auch, aber so ganz verstanden<br />

hatte ich es damals nicht. Ich hörte meine Mutter auch sonst gerne sprechen.<br />

Lange Zeit habe ich geglaubt, dass ich sie wegen ihrer wundervollen Stimme<br />

liebte, aber es war wohl umgekehrt. Ihre Stimme rief Assoziationen an diese<br />

innigen Momente unserer Liebe, in der diese Stimme nur für mich und nur zu<br />

mir sprach, wach. Stimmen von Frauen und Mädchen nahm ich immer sehr differenziert<br />

wahr, und die erste Oper, was damals immer Hänsel und Gretel war,<br />

verzauberte mich. Als nächstes kam der 'Freischütz', dann 'Zar und Zimmerman'<br />

und danach meine erste italienische 'Der Barbier von Sevilla'. Das überstieg<br />

alles. Die deutschen Opern hatten mich auch erfüllt, aber die italienischen<br />

Belcanto Arien brachten mein auditives Herz zum Glühen. <strong>Mein</strong>e erste Wagneroper<br />

war Lohengrin, und hier empfand ich mich nicht nur berauscht. Bei allem<br />

Leid, allen Mühen und allem Misslingen, das ja in den italienischen Opern keineswegs<br />

fehlte, dominierte hier die Freude an der Musik und dem Gesang.<br />

Wagner war mir zu ernst. Manche Arien von ihm kamen mir vor, als ob ihm<br />

daran gelegen sei, die schönen Stimmen der Frauen zu zerstören. Vielleicht<br />

würde ich ja später mal erfahren, wie musikalisch wertvoll das alles sei, aber<br />

lieben würde ich ihn nie.<br />

Elsa von Brabant<br />

Dass ich schon so viele Opern erlebt hatte, war in der Schule völlig ungewöhnlich.<br />

Die meisten hatten noch nie eine Oper besucht und wussten damit <strong>nichts</strong><br />

anzufangen. <strong>Mein</strong>e Mutter suchte immer nah und fern nach interessanten<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 3 von 31


Opern für uns und gab viel Geld dafür aus. Sie war sonst auch gern in die Oper<br />

gegangen, aber der Virus hatte sie erst richtig durch meine überschwängliche<br />

Freude befallen. <strong>Mein</strong>e erste Oper mit einer bekannten, großen Sängerin war<br />

im Urlaub 'Carmen' mit Teresa Berganza. Ob es mehr an der Oper lag oder<br />

mehr an Teresa Berganza, das konnte ich nicht festmachen, jedenfalls blieb<br />

'Carmen' bei mir für lange Zeit die Sensation. Nicht nur von der Musik und den<br />

wundervollen Stimmen waren mein Kopf und mein Herz voll, auch vieles von<br />

den oft skurrilen Geschichten und Texten hatte sich mir eingeprägt, lag mir<br />

leicht auf der Zunge, und manches konnte ich fast ganz auswendig. Als Kind<br />

lernst du eben leichter und mit Musik geht’s noch einmal viel schneller. Ein<br />

Mädchen, das Elisa hieß, und die ich schon ganz nett fand, musste ich<br />

trotzdem immer als Elsa von Brabant titulieren. „Eric, warum nennst du mich<br />

so? Du bist doch sonst ganz o. k., warum musst du mich immer ärgern?“ fragte<br />

sie. Ich erklärte ihr, dass es sich dabei eher um anerkennende<br />

Ehrenbezeichnung handle. Obwohl ich sie ja keineswegs deshalb so genannt<br />

hatte, sondern einfach aus Jux, wollte sie es genau erklärt haben und staunte<br />

nur, nicht über Elsa sondern über mich. Fast die gesamte Schulzeit über<br />

blieben wir eng befreundet.<br />

Das tumbe Ohr<br />

Wir schenken unseren Ohren viel zu wenig Beachtung. Erklären sie sogar zu einem<br />

begrenzten Wahrnehmungsorgan, wenn man sie mit den Hörleistungen<br />

mancher Tiere vergleicht, aber das ist ja bei unseren Augen nicht anders. Nur<br />

wenn wir jemanden sehen, wissen alle, dass wir uns sofort ein Bild von der<br />

Person machen. Beim Hören ist das keineswegs anders. Die Stimme ruft genauso<br />

Assoziationen zu Charakteren wach, zu der sie uns als passend erscheinen.<br />

Wir können nicht mit jemandem zusammenleben, dessen Geruch wir nicht<br />

ertragen, unsere Augen darf sein Anblick nicht kränken, aber für mich ist eindeutig<br />

das Vordringliche, welchen Eindruck die Stimme meiner Freundin auf<br />

mich macht. Darin sehe ich das Bild von ihr, auch wenn es später etwas zu korrigieren<br />

gilt. Automatisch geschieht das so. Die schöne Stimme einer Frau regt<br />

von ganz allein mein Sympathieempfinden an. Bei manchen Rundfunksendern<br />

scheinen fast nur wundervolle Frauen zu arbeiten. Manchmal kann es ein Genuss<br />

sein, sie nur die Nachrichten sprechen zu hören. Wie wir bei unseren Augen<br />

immer nur das sehen, was wir sehen wollen, selektieren unsere Ohren<br />

ebenso. Neben dem trüben Blick, der nicht viel erkennt, gibt es noch viel häufiger<br />

das tumbe Ohr, das unsensibel ist, Differenzen nicht wahrnimmt und mit<br />

dem Gehörten nicht viel anzufangen weiß. Für wie unbedeutend die Menschen<br />

den Klang ihrer Stimme halten, mag auch daran ersichtlich sein, dass es kaum<br />

originäre Bezeichnungen gibt, alles sind übertragene oder entlehnte Begriffe.<br />

Eine Stimme klingt hart oder sanft, rau oder warm, hundert Bezeichnungen<br />

aber im Grunde alle metaphorisch.<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 4 von 31


Stimme aus dem Feenwald<br />

Archäologe wollte ich eigentlich werden, hatte so viele Bücher gelesen und Filme<br />

gesehen. Spannender als jeder Krimi sein könnte waren sie für mich. Die<br />

Ernüchterung kam jedoch schnell. Troja oder Ähnliches würde ich nicht entdecken,<br />

dafür sah die Perspektive eher nach der Suche von Resten verbrannter<br />

Steinzeithütten im wenigstens knöcheltiefen Schlamm aus. Ich spielte alle<br />

Möglichkeiten durch und entschloss mich dann, Geschichte und Geographie für<br />

den Schuldienst zu studieren. <strong>Mein</strong>e Seele beglückte das nicht, weil ich es für<br />

vernünftig hielt, hatte ich mich so entschieden. Worauf ich meine Schwerpunkte<br />

legen wollte, war mir noch nicht klar. Ein Seminar zur Rolle der Germanen<br />

nach dem Ende des römischen Reiches schien mir interessant, und einen<br />

Schein gab's dafür auch. Zur Rolle der Barbaren beim Untergang hatte ich<br />

schon Gegensätzliches gelesen, aber die Germanen, wer waren das denn überhaupt.<br />

Ich würde es ja erfahren. Eine Assistentin, Frau Dr. Lenhardt, leitete das<br />

Seminar. Ich erschrak richtig, als sie uns begrüßte. Was war das denn für eine<br />

Stimme? Von der Uni konnte die nicht kommen. So warm und weich und so<br />

verführerisch, direkt aus dem Feenwald oder so etwas Ähnlichem musste sie<br />

exportiert sein. Dabei war sie keineswegs fein und dünn, wie das oft der Fall<br />

ist, ihre Stimme klang voll und voluminös. Und auch die Melodie und der<br />

Rhythmus, sie hatte bestimmt eine Ausbildung gemacht als Schauspielerin<br />

oder Sprecherin, aber das aufregende Timbre musste ja von ihr selbst kommen.<br />

Ich konnte gar nicht aufpassen, konzentrierte mich nur auf ihre Stimme.<br />

Ich hörte nur noch, alles andere versank ins Halbbewusste. Konkret malen<br />

konnte ich die Bilder ja nie, die sich mir bei einer Stimme zeigten. Sie sprachen<br />

immer etwas aus meinem Unbewussten an, das nicht direkt zu beschreiben<br />

war. Der Klang einer Stimme appellierte immer voll an meine Emotionen. Frau<br />

Dr. Lenhardts Stimme schien geeignet, direkt ekstatisch Rauschzustände bei<br />

mir auszulösen. So viele wundervolle Stimmen hatte ich schon gehört, und<br />

auch bei meiner Freundin war ich mir nicht sicher, ob ich sie lieber reden hörte<br />

oder lieber mit ihr ins Bett ging, aber da redete sie ja gottlob auch. Die anderen<br />

nahmen offensichtlich <strong>nichts</strong> Besonderes wahr, während ich mir die Hände<br />

vor die Augen hielt, um nur ihre Stimme zu hören und durch <strong>nichts</strong> abgelenkt<br />

zu werden. Ich hörte sie, und konnte meine Vorstellungen noch nicht einmal<br />

genau beschreiben. Aber wenn eine Frau auf dieser Welt für mich geschaffen<br />

war, dann musste sie es sein. Dessen war ich mir sofort absolut sicher.<br />

Macht ihnen das eigentlich Spaß?<br />

Ich konnte noch träumen. Das war doch auch etwas Schönes. Natürlich musste<br />

ich mich sofort näher erkundigen. Sonja hieß sie, war verheiratet und hatte ein<br />

Kind, dass sie nach ihrem Examen bekommen hatte. Wenn sie es als Historikerin<br />

geschafft hatte, im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben, musste sie schon einiges<br />

vorzuweisen haben. Ihre Dissertation wollte ich mir mal ansehen. Jetzt<br />

schrieb sie an ihrer Habilitation, wollte also Professorin werden. Entsetzlich,<br />

warum musste diese Frau für mich so unerreichbar sein? Wenn sie wüsste, wie<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 5 von 31


glücklich sie mich machen würde, dachte ich und musste über meine eigene<br />

Idiotie lachen. <strong>Mein</strong>e liebe Guilia, ich habe dich so lieb, aber jetzt muss ich einfach<br />

an Sonja denken. In meinen Gedanken bewegte sich Frau Dr. Lenhardt<br />

nur noch als Sonja. Natürlich war es völlig abstrus, an irgendeine Art von Beziehung<br />

zu denken, es war nur einfach ein Genuss, sie jede Woche zu hören.<br />

Leider beschränkten sich ihre verbalen Einlagen, weil Referate vorgetragen<br />

wurden. Wir hatten uns immer schon lächelnd angeschaut. Das machte mir<br />

nicht nur bei Frau Lenhardt Spaß. Angefangen hatte es schon damals in der<br />

Schule mit meiner Französisch Lehrerin. Die mochte ich sehr gut leiden. Ob ich<br />

wirklich in sie verliebt war, weiß ich nicht. Ich glaube eher nicht, denn es war ja<br />

völlig aussichtslos, aber sie verliebt anblicken, konnte man doch. Sie verstand<br />

das natürlich und spielte mit. Offensichtlich gefiel es ihr auch. Keiner in der<br />

Klasse hat etwas <strong>davon</strong> bemerkt, außer dass ich wohl eindeutig ihr Liebling<br />

war. Ich war nicht besonders gut in Französisch, aber Kritik bekam ich nie zu<br />

hören, mich fragte sie immer nur. Mit Blicken zu spielen gefiel mir auch<br />

anderswo. Ein sehnsüchtig verliebter Schlafzimmerblick wirkt eher belästigend<br />

und abstoßend, aber ein freundlicher Blick, der gegenseitiges Verstehen<br />

signalisiert, Verstehen darüber, dass du der Mann in ihr die Frau siehst, wird<br />

fast immer als angenehm empfunden. Aber ich wollte mit Sonja Lenhardt nicht<br />

nur Blicke wechseln. Zum Ende einer Seminarsitzung ging ich zu ihr zum Pult<br />

und wollte sie etwas fragen. Der Inhalt war ja bedeutungslos, ich wollte nur,<br />

dass sie mit mir sprach. Als ich bei ihr stand, wusste ich nicht mehr, was ich<br />

sagen wollte. Es war weg. Etwas anderes viel mir natürlich im Moment erst<br />

recht nicht ein. Einfach wieder schnell zurücklaufen und tun, als ob ich gar<br />

nicht bei ihr am Pult gewesen wäre, das ging auch schlecht. Ich musste etwas<br />

sagen. Frau Lenhardt schaute mich an und formulierte ein fragendes: „Ja?“ Ich<br />

weiß nicht was in mich gefahren war. Vielleicht war ich der festen<br />

Überzeugung, dass es ihr am besten gefallen müsse, mit mir im Bett zu liegen<br />

und fragte sie: „Macht ihnen das eigentlich Spaß?“ Ihre Augen wollten den<br />

kuriosen Vogel deutlicher betrachten, dann lachte Frau Lenhardt in sich hinein<br />

und erklärte: „Ich weiß zwar nicht, was sie meinen, aber Spaß machen wird’s<br />

mir bestimmt.“ „Ich meine, dass sie sich hier die Referate anhören müssen.<br />

Das ist doch für sie bestimmt kalter Kaffee.“ erläuterte ich, was ich überhaupt<br />

nicht hatte fragen wollen. „Nein, nein, das stimmt nicht. Ich habe die Quellen<br />

zwar zusammengestellt, aber selbst gelesen habe ich das auch nur zum Teil.“<br />

antwortete Frau Lenhardt. Dann platzte es einfach aus mir raus: „Wissen sie,<br />

dass sie eine wundervolle Stimme haben?“ Jede andere fremde Frau hätte sich<br />

so ein Gespräch wahrscheinlich einfach verbeten, aber Sonja Lenhardt<br />

musterte mich wieder erstaunt und meinte dann lächelnd, schlicht: „Jaha.“ und<br />

setzte fort, „Finden sie das? Jemand anders hat mir das auch schon mal<br />

gesagt. <strong>Mein</strong>en sie ich sollte mich doch lieber für den Beruf einer<br />

Rundfunksprecherin interessieren, als mich als Historikerin abzuquälen?“ „Es<br />

ist herrlich, ihnen zuzuhören.“ ergänzte ich noch, und wir blinzelten uns<br />

lächelnd zu.<br />

Der Idiot und Sonjas Stimme<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 6 von 31


Ich hatte mit Sonja gesprochen, und sie hatte mir freundlich geantwortet, obwohl<br />

ich so dummes Zeug geredet hatte. Wie ein Mantra betete ich es mir immer<br />

wieder vor und wollte den Klang jedes ihrer Worte für mich in mein Gedächtnis<br />

eingravieren. Ein Kindskopf war ich. Erst Guilia brachte mich wieder<br />

auf andere Gedanken. Sie schien zu merken, dass mich etwas beschäftigte. Sie<br />

fragte nicht, spielte für mich auf dem Klavier. Wenn es mich erfreute, und das<br />

tat ihr Klavierspiel grundsätzlich, war sie glücklich. Wie konnte ich nur bei Guilia<br />

an eine andere Frau denken? Guilia war meine Liebe, meine Schwester, die<br />

ich nie gehabt hatte, und eine Frau, mit der ich als Mann glücklich war. Ob sie<br />

manchmal ein wenig schlicht dachte? Vielleicht, aber das störte mich<br />

keineswegs. Wir konnten gemeinsam darüber lachen, es wirkte eher<br />

verführerisch. Was hätte eine Frau, zumal eine, die ich gar nicht kannte, mir<br />

mehr bedeuten können als Guilia? Ich war nicht nur kindisch, ich war ein Idiot.<br />

Trotzdem wartete ich sehnsüchtig auf den nächsten Seminartermin. Jetzt<br />

wechselten wir nicht mehr nur vielsagende Blicke, sondern immer auch ein<br />

paar Worte, gleichgültig ob über die Germanen oder das aktuelle Wetter.<br />

Donnerstagnachmittag war für eineinhalb Stunden meine Welt bei Sonja<br />

Lenhardt. Ich musste ein psychisches Problem haben. Natürlich hatte Sonja<br />

Lenhardt eine Stimme, die ich noch nie gehört hatte, aber das Bild, das sie in<br />

mir erweckte, kam doch von mir selbst, es waren doch meine eigenen<br />

Vorstellungen. Sonja Lenhardt hatte sie nur geweckt, und ich Verrückter schien<br />

süchtig danach zu sein. Manche Menschen lieben ja die Mutter von Jesus, weil<br />

sie alle möglichen menschlich und übermenschlichen guten Eigenschaften bis<br />

zum Exzess in sie hinein interpretieren, aber ich hatte von Sonja mit Sicherheit<br />

keine madonnenhaften Vorstellungen, ich kannte sie ja überhaupt nicht. Das<br />

Aussehen einer Frau bedeutete mir nicht viel. Harmonische Gesichtszüge<br />

konnten auch einem unerträglichen Menschen ein zu Hause bieten, eine<br />

harmonische Stimme nie. Natürlich kann jeder seine Stimme stark modulieren<br />

und bewusst gestalten, aber irgendwann sprichst du selbst. Wir achten auf die<br />

Augen, auf Mimik und Gestik und lassen uns von ihnen Eindrücke über die<br />

sprechende Person vermitteln, dabei sagt die Sprache selbst meistens viel<br />

mehr, nur wir sind oft nicht in der Lage, es zu erkennen. Aus Guilias Stimme<br />

spricht ihr warmes, freundliches, offenes Herz zu mir. Und was sprach aus<br />

Sonjas Stimme? Freundlich, warmherzig und offen war sie bestimmt, sonst<br />

hätte sie sich ja auch nicht auf mein blödes Gerede eingelassen, aber da klang<br />

auch vieles mit, das ich nicht interpretieren konnte mich aber besonders<br />

anregte. Mir fiel ein, dass sich in einigen Seminaren die Profs auch mal an<br />

einem Abend mit den Studenten in einer Kneipe zusammensetzten, warum<br />

nicht mit Frau Dr. Lenhardt? Ich konnte ihr das jedoch nicht selber<br />

vorschlagen. Mit einigen Kommilitoninnen und Kommilitonen sprach ich<br />

darüber, und eine junge Frau wollte es anregen.<br />

Ich mag dich, Eric<br />

Mich direkt neben Frau Dr. Lenhardt zu setzen, das traute ich mich nicht, aber<br />

zufällig ihr gegenüber musste ich schon meinen Platz haben. Da rückte ich<br />

auch nicht für andere auf. Ich unterhielt mich mit meinen Nachbarn und sie<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 7 von 31


auch. Irgendwann sah sie plötzlich zu mir rüber, lachte und meinte: „Aber das<br />

macht ihnen Spaß, nicht wahr, Bier trinken?“ „Ja, natürlich.“ antwortete ich lachend,<br />

„Ich trinke sonst nie Bier. Da können sie sich vorstellen, wie ich mich<br />

freue, wenn ich jetzt mal darf.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ antwortete Frau<br />

Lenhardt immer noch lächelnd, „Und was trinken sie sonst, Brause?“ „Nein, nur<br />

Nepenthes. Ich muss ständig meinen Kummer ertränken.“ antwortete ich.<br />

„Wenn sie mir jetzt noch erklären, worum es sich bei Nepenthes handelt, weiß<br />

ich zwar <strong>nichts</strong> über ihren Kummer, aber zumindest, was sie dagegen tun.“<br />

meinte Frau Lenhardt. „Frau Dr. Lenhardt, da muss ich einer promovierten Historikerin<br />

die Odyssee erklären?“ antwortete ich gespielt erstaunt. „Nein, bloß<br />

nicht, aber der Passus mit dem Nepenthes muss mir wohl entglitten sein.“ reagierte<br />

sie und lachte. Ich erklärte ihr, dass es sich um eine ägyptische Glücks-<br />

Droge handle, die die Griechen, und zuerst eben Helena, dem Wein beimischten.<br />

Um etwas Opium ähnliches handele es sich dabei, von dem sogar Edgar<br />

Allan Poe noch spreche. „Nehmen sie Drogen?“ fragte mich Frau Lenhardt mit<br />

ernstem Blick. „Nein, ja doch, ich trinke Wein.“ antwortete ich lachend. „Und<br />

welchen Kummer haben sie in ihrem Nepenthes-Wein zu ertränken, wenn ich<br />

fragen darf? Hat ihre Liebste sie verlassen?“ fragte Frau Lenhardt. Ich erklärte<br />

ihr, dass es sich um mein Archäologiestudium handle, und sie zeigte mir die<br />

Möglichkeiten auf, die es dort doch außer meiner düsteren Perspektive gäbe.<br />

„Da müssen sie nur eben etwas tun.“ schloss sie. Mit einem aus Wehmut und<br />

Fragen gemischten Blick schaute ich sie an, und ihr Blick sagte, dass ich mich<br />

jetzt erklären müsse. „Ich habe ein Problem. Mit dem „eben etwas tun“ das<br />

funktioniert bei mir nicht. Ich möchte schon etwas lernen und können, aber<br />

wenn ich es dann kann, reicht es auch. Ein großer Künstler oder herausragender<br />

Wissenschaftler könnte ich nie werden. Mir fehlt das Sieger-Gen. Ich habe<br />

immer gedacht, es läge daran, dass ich mit meiner Mutter aufgewachsen wäre,<br />

und sie mir das nicht vermittelt hätte, aber sie sind ja auch eine Frau und<br />

scheinen offensichtlich darüber zu verfügen.“ antwortete ich darauf. Frau Lenhardt<br />

belehrte mich ausführlich über mein antiquiertes Frauenbild. „Es mag ja<br />

sein, dass ich mich in feministischen Diskussionen und Argumentationszusammenhängen<br />

nicht besonders gut auskenne, aber dass ich mich frauendiskriminierend<br />

oder gar frauenfeindlich verhalten würde, das wollen sie mir doch wohl<br />

nicht anlasten.“ ich dazu. Dann erklärte ich ihr, warum die Welt für mich primär<br />

aus Frauen bestünde, ich Männern keine Beachtung schenken würde und dass<br />

dies mit sexistischen Ambitionen überhaupt <strong>nichts</strong> zu tun habe. Auch wenn das<br />

Bild der Frau in der patriarchalen Gesellschaft von Männern geprägt sei, würde<br />

ich sie doch im Allgemeinen wesentlich besser verstehen als die Männer selbst.<br />

Unabhängig von der Sozialisation trügen die Menschen schon Bedürfnisse in<br />

sich, die losgelöst vom Patriarchat und sonstigen kulturellen Einflüssen existierten,<br />

war meine Ansicht. Darüber konnten wir natürlich endlos diskutieren,<br />

unterschiedliche Vorstellungen austauschen, und mir viel zwischendurch auf,<br />

dass ich bei der angeregten Diskussion überhaupt nicht mehr auf ihre Stimme<br />

achtete. Ich sah auch nicht mehr die Distanz zwischen der arrivierten Wissenschaftlerin<br />

und dem kleinen Studenten. Plötzlich stellte sie fest: „Ich kenne ihren<br />

Namen überhaupt nicht.“ „Eric“ antwortete ich nur. Als sie mich erwartend<br />

anschaute, fügte ich hinzu: „Ach ja, Sailer, natürlich.“ Sie blickte lächelnd und<br />

fragte, ob ich lieber mit meinem Vornamen angesprochen werden würde. „Ja,<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 8 von 31


schon, Herr Sailer bin ich nur auf Ämtern und bei Behörden. Das klingt für<br />

mich schon sehr förmlich und unpersönlich.“ antwortete ich. „O. k., dann bin<br />

ich für sie, Sonja, aber nur heute Abend, nicht an der Uni und im Seminar. Die<br />

Würde des Amtes, verstehst du, nicht wahr?“ sagte es und lachte. „Du kannst<br />

so locker und offen sein, Sonja. Das bewundere ich. Gerade davor hätte ich<br />

Angst, dass mir so etwas verloren ginge, wenn ich mich zu intensiv nur mit einer<br />

Sache beschäftigen würde. Die Welt stellte sich für mich nur noch in diesen<br />

Zusammenhängen dar und ich wäre kein normaler Mensch mehr, sondern vielleicht<br />

der Skythen-Eric.“ sagte ich, worüber wir gemeinsam lachten. „Es gibt so<br />

vieles auf dieser Welt, zu dem ich meine Beziehungen und Einstellungen<br />

behalten möchte.“ meinte ich und erzählte von meiner Liebe zur Musik und wie<br />

ich meine Mutter wegen ihrer Stimme geliebt hätte. „Damals hast du deine<br />

Mutter geliebt, und jetzt verliebst du dich in mich, nicht wahr?“ fragte Sonja<br />

und grinste. „Ach, Quatsch,“ log ich, „darum geht’s doch nicht. Ich finde dich<br />

schon sehr nett, aber ich kenne dich doch gar nicht. Ich weiß nicht, womit du<br />

du dich beschäftigst und weiß nicht, wie du denkst. Doch, was du vorhin<br />

gesagt hast, fand ich sehr gut. Aber was du zum Beispiel in deiner Habilitation<br />

machst, weiß ich doch gar nicht.“ Natürlich bekam ich es erzählt und konnte<br />

auch mal gescheit etwas nachfragen. Sonja, war ganz engagiert. Ich gab<br />

immer nur fragend kleine Anstöße, und Sonja erzählte immer weiter, ihr<br />

gesamtes Leben, bis wir schließlich in ihrer Kindheit angelangt waren, und wir<br />

uns darüber unterhielten, wie man als Kind Liebe lernt. Während ich die schon<br />

vorgeburtliche Disposition betonte, sah Sonja primär sozialisatorische Faktoren<br />

durch die Mutter im Vordergrund. Natürlich kamen wir auf sie als Mutter, ihr<br />

Kind und ihre Familie zu sprechen. „Ich weiß nicht,“ sagte ich, „ich habe<br />

überhaupt keine Lust, mir über die Zukunft Gedanken zu machen, wenn ich<br />

mich im Moment wohlfühle. Ich möchte es einfach konservieren.“ „Das ist ein<br />

wenig blöd, was du sagst, weißt du das.“ meinte Sonja dazu. „Schon, aber<br />

auch wenn es ein sich ständig verändernder Prozess ist, möchte ich zum<br />

Augenblicke sagen dürften: Verweile doch, du bist so schön!“ Wir lachten<br />

wieder. „Aber die Spur von deinen Erdentagen wird so schon bald und nicht<br />

erst in Äonen untergehn.“ Sonja darauf. „Aber deine Zukunft antizipieren zu<br />

wollen, ist doch sowieso müßig.“ war meine Ansicht. „Na ja, aber an<br />

Entscheidungen bist du doch schon selbst beteiligt, und du versprichst dir ja<br />

auch etwas <strong>davon</strong>.“ meinte Sonja. „Zum Beispiel?“ fragte ich nach. „Für mich<br />

war es schon eine schwere Entscheidung. Ich lebte in einer WG und fühlte mich<br />

sehr wohl dort. Besonders nach der Schulzeit ist es dir äußerst wichtig, frei zu<br />

sein. Ein Vogel, der sich niederlassen kann, wo es ihm gerade passt. Unwichtig<br />

wird das auch später keinesfalls. Aber du suchst eben nicht nur die Freiheit,<br />

fliegen zu können, du hast auch ein Bedürfnis nach Geborgenheit. Mir erschien<br />

es vordringlicher, nur musst du dafür deine Federn schon ein wenig stutzen.“<br />

erläuterte Sonja. „Leidest du darunter?“ fragte ich sie. „Ich glaube nicht. Das<br />

würde ich für Bedürfnisse halten, von denen du gesprochen hast, die jeder<br />

Mensch gleichzeitig immer in sich trägt. Sehnsucht nach Freiheit und nach<br />

Geborgenheit.“ antwortete Sonja und ich ergänzte: „Und das Bedürfnis nach<br />

Harmonie und Glück.“ Wir grinsten uns an. Die anderen waren schon längst<br />

gegangen. Nur wir beide saßen noch allein an dem großen Tisch. „Jetzt muss<br />

ich aber gehen. Das war ein sehr angenehmer Abend, Eric.“ sagte Sonja<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 9 von 31


plötzlich. Ich schaute sie fragend an und meinte: „Sonja, bitte, wie sprichst du<br />

denn auf einmal?“ Ich bekam einen Blick und sie sagte: „Komm, mal rum,<br />

Eric.“ Sie umarmte mich und flüsterte mir ins Ohr: „Ich mag dich, Eric“<br />

Zufrieden schmunzelnd und uns öfter anblickend verließen wir das Lokal.<br />

Sonja gehörte die Welt, mir nur die schönen<br />

Stimmen<br />

Jetzt konnte auch Guilia mich nicht mehr auf andere Gedanken bringen. Obwohl<br />

mir ihre Stimme manchmal gar nicht mehr aufgefallen war, hatten sich<br />

meine Empfindungen für Sonja massiv intensiviert. Auch wenn wir <strong>nichts</strong><br />

konkret <strong>davon</strong> erwähnt hatten, meinem schönem Augenblick konnte keine<br />

Dauer beschieden sein, nur Erinnerung. Im nächsten Semester wäre alles<br />

vorbei, genauso wie bei meiner Französischlehrerin, nur damals war es auch<br />

für mich ein Spiel. Sonja hatte mich tief bewegt, und ich kannte von ihr ja<br />

auch jetzt sehr viel Persönliches. Sie würde niemals nur eine schöne<br />

Erinnerung für mich bleiben, Sonja hatte etwas in mir aufgewühlt. Sie war<br />

intelligent, lebenslustig, humorvoll und verwegen allemal. Nein, sie wusste viel,<br />

hatte sich mit den vielfältigsten Dingen tiefgreifend beschäftigt. Ihr schien die<br />

Welt zu gehören, mir nur die schönen Stimmen. Nicht nur wegen der schönen<br />

Stimmen, ich unterhielt mich allgemein lieber mit Frauen. Man sagt, Männer<br />

wollen nur von sich erzählen. Das stimmt, aber nur ihre Heldentaten, und das<br />

ist öde. Frauen erzählen genauso gern von sich, aber von sich persönlich. Du<br />

denkst, es hört ihnen sonst niemand zu, und sie sind froh, in dir jemanden<br />

gefunden zu haben, der sich für sie interessiert, und dann erzählen sie dir<br />

wirklich alles. Ein Wunder vertrauensvoller menschlicher Kommunikation ist es<br />

jedes mal für mich. Warum unterhalten sich Menschen eigentlich nicht häufiger<br />

so tief miteinander. Sie misstrauen sich. Das Bedürfnis wäre schon da. Dass<br />

Sonja im nächsten Semester nicht nur Erinnerung sein würde, war mir klar. Wir<br />

sahen uns ja noch hin und wieder. Frau Dr. Lenhardt war sie dann keinesfalls.<br />

Jedes mal, wenn wir uns trafen, umarmten wir uns und erzählten uns kurze<br />

Kleinigkeiten von uns selbst. Ihre Habilitation hatte sie abgeschlossen, aber auf<br />

welche Professorenstellen sie sich bewerben wollte, stand für sie noch nicht<br />

eindeutig fest. Irgendwann traf ich Sonja nicht mehr. Sie hatte es wohl<br />

geschafft. Ich überlegte, im Büro nachzufragen, wo sie jetzt sei, aber was<br />

sollte das. Wollte ich ihr nachreisen?<br />

Nach dem Studium<br />

Auch wenn Sonja verschwunden war, bei mir war sie immer noch gegenwärtig.<br />

<strong>Mein</strong>e Gedanken an sie konnten mich glücklich empfinden lassen aber auch<br />

traurig stimmen. Ich stellte mir vor, dass Menschen, die ihr Leben lang mit einer<br />

unerfüllten Liebe lebten, so empfinden müssten wie ich. Nur das war ja<br />

Blödsinn. Ich lebte doch mit meiner Liebe, Guilia. Sonja hatte nur einen unerfüllbaren<br />

Traum in mir geweckt. Trotzdem würde ich mit den zwei Frauen leben<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 10 von 31


müssen. Ich konnte ja <strong>nichts</strong> dazu, hatte es doch nicht initiiert oder gewünscht.<br />

Es hatte sich einfach ereignet, war meine Geschichte. Guilia wusste<br />

<strong>nichts</strong> <strong>davon</strong>. Ich hatte ihr <strong>nichts</strong> erzählt, auch wenn sie mich schon mal träumend<br />

am Schreibtisch sitzen sah und fragte.<br />

Als Guilia fertig war, sie hatte Kommunikationswissenschaften studiert, erhielt<br />

sie nach dem Praktikum eine Stelle beim Deutschlandfunk. Bestimmt wegen ihrer<br />

Sprache, da war ich mir ganz sicher. Und vor die Kamera stellen konnte<br />

man sie schließlich auch. Ich steckte noch im Referendariat. Wieder ein erneuter<br />

Schock. Weder Geographie noch Geschichte waren von Bedeutung, sondern<br />

nur die Schüler. Ich hatte <strong>nichts</strong> gegen Kinder, mochte sie sogar, aber dass es<br />

ausschließlich mein Job sein sollte, mich mit Problemen von Kindern zu beschäftigen,<br />

gefiel mir überhaupt nicht. So würde es aber bis ich alt wäre sein.<br />

Zum Heulen. Vielleicht hätte ich doch lieber 'mal etwas tun' sollen, und würde<br />

heute nach alten baschkirischen Gräbern suchen. Jetzt war es zu spät. An eine<br />

Bonner Schule käme ich nach dem Examen mit Sicherheit nicht. In Köln, Bonn<br />

und Düsseldorf unterrichteten nur verheiratete und Lehrer, die ihre halb toten<br />

Eltern pflegen mussten. Bei einer Freundin hätte man noch so viel betteln<br />

können, da gab es keine Chance. Wenn Guilia und ich in Bonn zusammen<br />

wohnen wollten, mussten wir schon heiraten, oder ich hätte irgendwo weit<br />

draußen in Euskirchen eine Stelle bekommen. Guilia sah überhaupt keine<br />

Probleme, aber ich meinte eher, so etwas nie gewollt zu haben. Andererseits<br />

hatte Guilia schon Recht, wir hatten ja immer genauso zusammen gelebt. Was<br />

sollte der amtliche Trauschein daran ändern. Also heirateten wir.<br />

An der Schule begann mein neues Glück. Seit meiner eigenen Schulzeit hatte<br />

sich so gut wie <strong>nichts</strong> geändert. Auch wenn die Welt um sie herum mittlerweile<br />

eine völlig andere war, die Schule verstand es am besten, herkömmliche Strukturen<br />

zu konservieren. In den Religionen folgte man gesellschaftlichen Veränderungsprozessen<br />

sicherlich nicht schnell, aber bei denen es am längsten dauerte,<br />

waren eindeutig die Horte unserer Jugend, die Schulen. Es erinnerte mich<br />

an meine eigene Schulzeit. Erst als die meisten der Schüler sich mit Computern<br />

auskannten, begann man langsam sich um Informatik zu kümmern. Geschichte<br />

und Geographie waren Nebenfächer, und ein Kollege, der nur so etwas<br />

unterrichtete, wurde in einer Subkategorie geführt, nur knapp oberhalb der<br />

Sportlehrer. Zu den angesehenen bedeutsamen Lehrkräften würde man nie gehören<br />

können. Kotzen konnte ich. Und das bis ich fünfundsechzig wäre. Jetzt<br />

schaute ich in die Zukunft und sah die Misere, die ich selber angerichtet hatte,<br />

mein Leben, dass ich mir selbst verbaut hatte.<br />

Elternsprechtag in der 7b<br />

Elternsprechtag, aus der 7b hatten sich als nächstes die Eltern von Mark Lenhardt<br />

angemeldet. Ich beschwerte mich über meine Umgebung, aber der größte<br />

Trottel war eindeutig ich selber. Was sollte ich mir schon bei Mark Lenhardt<br />

denken, erst als Sonja in der Tür stand, wurde mir blitzartig alles klar. Total<br />

überrascht und außer mir vor Freude schien ich bei der Begrüßung all die Jahre<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 11 von 31


nachholen zu wollen, in denen ich sie nicht hatte umarmen können. „Stop,<br />

Eric, es ist gut.“ unterbrach Sonja lachend meine Umarmung. „Ich dachte<br />

schon, du hättest mich vergessen, weil du dich nicht mal bei Mark erkundigt<br />

hattest. Bei Sailer allein konnte man ja auch nicht wissen, aber als Mark dann<br />

bestätigte, dass du Eric hießest, war's mir klar.“ sagte Sonja. Wir hätten uns<br />

endlos zu erzählen gehabt, aber andere Eltern hatten ja Anschlusstermine.<br />

Sonja wollte natürlich wissen, wie ich zurecht käme, und ich klagte ihr in wenigen<br />

Sätzen mein Leid. Sonja sinnierte und meinte: „Ich wüsste vielleicht einen<br />

Weg, aber da müssten wir mal in Ruhe drüber nachdenken.“ Wir vereinbarten<br />

einen Termin in ihrem Büro. „Willst du noch etwas von Mark hören?“ fragte ich.<br />

Bei einem „M, m“ schüttelte sie den Kopf, „oder gibt es etwas, dass ich unbedingt<br />

wissen müsste?“ Jetzt meinte ich den Kopf schüttelnd „M,m“. Wieder eine<br />

lange Umarmung, obwohl wir uns ja bald wiedersehen würden. Die nächsten<br />

Eltern hätte ich am liebsten direkt wieder nach Hause geschickt, ihnen erklärt,<br />

dass sie mich störten. Das sagte ich zwar nicht, aber dass ich keine Lust hatte,<br />

mit ihnen zu reden, merkten sie bestimmt. Ich konnte es immer noch nicht<br />

fassen. Was waren alle Märchenbücher und Heiligenlegenden gegen die realen<br />

Wunder, die man selbst erlebte? Wir hatten uns begrüßt, als ob sich zwei alte<br />

Verbündete wiedergefunden hätten, dabei war doch <strong>nichts</strong> zwischen uns. Aber<br />

wir hatten uns damals in der Uni ja auch schon immer umarmt. Warum<br />

eigentlich? „Ich mag dich, Eric“ hatte sie gesagt, aber was bedeutete das<br />

schon. Nur in meinen Träumen hatte Sonja gelebt. Ob es doch so etwas wie<br />

Telepathie gab? Hier bei dem Elektrosmog im Umkreis der Telekom sollte man<br />

es vielleicht nicht kategorisch ausschließen.<br />

Promovieren<br />

Guilia hatte ich <strong>nichts</strong> <strong>davon</strong> erzählt. Was hätte ich denn sagen soll, wen ich<br />

wiedergetroffen hätte. Also hatte ich auch am Donnerstag keinen Termin bei<br />

Sonja, sondern bei einem Historiker an der Uni. Alles hatten wir uns zu berichten,<br />

auch dass ich jetzt verheiratet sei. „Was willst du denn anders machen,<br />

wenn du eine Freundin mit einer schönen Stimme hast, als sie zu heiraten?“<br />

ärgerte mich Sonja. Ich atmete nur tief, um zu zeigen, dass ich den Spott verstanden<br />

hatte. „Gefällt dir meine Stimme denn auch immer noch so gut?“ fragte<br />

Sonja. „Warum machst du dich über mich lustig? Ich dachte du wolltest mir<br />

helfen.“ sagte ich. „Eric, Entschuldigung, ich freue mich, dich wiederzusehen.<br />

Da bin ich vielleicht ein wenig übermütig. Ich habe dir ja damals gesagt, dass<br />

ich dich mag, aber die Bedeutung unseres Gespräches, auch wenn es in der<br />

Kneipe war, ist mir erst hinterher bewusst geworden. Wunderbar war es. So<br />

müsste menschliche Kommunikation eigentlich funktionieren, und ich habe<br />

mich gefragt, warum ich ähnliche Gespräche nicht öfter habe. Aber wir wollten<br />

ja über deine Schule sprechen.“ erklärte Sonja. „Die Möglichkeit, die mir einfiele<br />

wäre, du ließest dich für wissenschaftliche Zwecke beurlauben und würdest<br />

dann promovieren.“ „Ich, promovieren, worüber denn?“ fragte ich erstaunt.<br />

„Eric, du kannst einem auf den Nerv gehen.“ schimpfte Sonja, „Zum Nulltarif<br />

wird dich da niemand herausholen aus deiner schönen Schule. Da musst du<br />

schon selbst etwas zu beitragen. Mal etwas tun. Und ich bin mir nicht sicher, ob<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 12 von 31


dir das nicht zu anstrengend sein wird. Alles andere könnten wir spielend geregelt<br />

kriegen, die einzige Unsicherheit bist du. Deine Zukunft ist es, die du in<br />

der Hand hast, und da müsstest du schon mal eine Entscheidung treffen. Du<br />

triffst sie ja sowieso, drücken kannst du dich nicht.“ „Sonja, bitte, du tust mir<br />

weh. Ich bin kein Hasenfuß, der nie weiß, was er will. Es hat mich nur überrascht,<br />

weil ich noch nie mit so einem Gedanken gespielt hatte, aber wenn du<br />

meinst, dass es möglich sein könnte, <strong>nichts</strong> lieber als das.“ reagierte ich, „Und<br />

ich verspreche auch, immer ganz fleißig zu sein.“ fügte ich noch scherzend hinzu.<br />

„Du bekommst allerdings in der Zeit kein Gehalt. Wie das mit dem Promotionsstipendium<br />

ist, wenn du verheiratet bist, weiß ich gar nicht. Aber das kann<br />

man ja leicht klären. Wollen wir uns am nächsten Donnerstag wieder zur gleichen<br />

Zeit zusammensetzen, und über mögliche Themenbereiche reden? Da<br />

solltest du dir aber auch schon mal Gedanken machen. Ich muss jetzt nach<br />

Hause. <strong>Mein</strong> Junge wächst auch allein mit seiner Mami auf.“ „Ich bin nicht allein<br />

mit meiner Mami aufgewachsen. Es gab auch einen Papi, physisch war er<br />

öfter anwesend, aber psychisch kam er bei mir nicht vor. Habt ihr euch<br />

getrennt?“ „Ja“ sagte Sonja nur. „Schlimm oder hat der oiseau rebelle sich<br />

anderswo niedergelassen?“ fragte ich nach. „Beides nicht.“ erklärte Sonja, „Mir<br />

wurde nur immer deutlicher, dass meine Entscheidung damals falsch war. Wir<br />

können gern darüber reden, Eric, nur nicht jetzt.“<br />

Sonja meine Liebe schenken<br />

Das Bild von mir wurde immer verworrener. Ich war Lehrer, der mit seiner<br />

Frau, einer Journalistin beim Deutschlandfunk glücklich in Bonn zusammen lebte.<br />

Hätte das nicht gereicht? Aber da war noch diese Sonja, die nur für mich<br />

existierte. Sie war diese zauberhafte Stimme, die mich fasziniert und erregt<br />

hatte, sie war die Frau mit der ich ein so langes, tiefes persönliches Gespräch<br />

geführt hatte, sie war die kluge, eifrige Wissenschaftlerin, die mich umarmte<br />

und mich mochte, sie war die Frau, die mich liebend in meinen Träumen besucht<br />

hatte, jetzt war sie offensichtlich eine gute, alte Freundin, die ich wiedergetroffen<br />

hatte, und die mein Leben verändern würde, wenn ich ihren Vorschlägen<br />

folgte. Diese Sonja existierte nur für mich in einem separaten Teil<br />

meiner Persönlichkeit. Da war sie nicht mehr wegzudenken, aber Guilia hatte<br />

noch nie etwas von ihr gehört. Wenn ich tatsächlich promovieren sollte, würde<br />

sie ja meine Doktormutter, spätestens dann würde Guilia von ihr erfahren, aber<br />

natürlich nicht von meinen emotionalen Befindlichkeiten ihr gegenüber. Die<br />

konnte ich ja auch selber nicht genau beschreiben. Guilia war mein Zuhause,<br />

meine Familie, sie liebte ich, sie gab mir Geborgenheit und weckte mein Begehren.<br />

Und wer war Sonja? Ich wusste nicht einmal genau, ob ich sie liebte.<br />

Doch sicher, das verspräche ich mir nicht nur, das war auch jetzt schon so.<br />

Sonja war meine Sehnsucht. Nach was? Was fehlte mir denn, das ich nicht hätte?<br />

Angesehene Wissenschaftler, berühmte Künstler, beliebte Schauspieler und<br />

erfolgreiche Sportler, wollen auch immer noch mehr, wollen noch angesehener<br />

noch berühmter werden. Die Öffentlichkeit vermittelt ihnen Anerkennung, die<br />

erhalten sie schon, aber der Bedarf oder die Gier danach kennt keine Grenzen.<br />

Das war es doch nicht, was ich suchte. Natürlich lag mir daran, im Beruf aner-<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 13 von 31


kannt zu sein, aber meine persönliche Anerkennung erhielt ich durch Guilia.<br />

Dafür spielte es keine Rolle was ich tat oder leistete, ihre Anerkennung, die sie<br />

mir bedingungslose schenkte, galt mir als Mensch, meiner Person. Sie liebte<br />

mich, wertvollere Anerkennung kann es nicht geben. Zu empfinden, dass du<br />

geliebt wirst, ist ein starkes, glücklich machendes Gefühl, nach dem es dich<br />

verlangt, aber auch danach, einem anderen deine Liebe geben können, spürst<br />

du ein starkes Bedürfnis, und es bereitet dir ebenso glückliche Empfindungen.<br />

Ja, so musste es sein, meine Sehnsucht wuchs aus dem Bedürfnis, Sonja meine<br />

Liebe schenken zu können. Ich müsste sie auch lieben, nur warum? Aber<br />

das wusste ich bei Guilia ja auch nicht. Du kannst alles Wundervolle aufzählen,<br />

was dir gefällt, das ist schön, aber niemals der Grund für deine Liebe. Sie<br />

spricht tief in dir selbst verborgene Gefühle an und ist der kausalen Frage nach<br />

dem Warum unzugänglich.<br />

Warum eigentlich, Sonja?<br />

Ich sprach mit Guilia über die Möglichkeit der Promotion, und dass ich dann<br />

nur noch ein Drittel meines Gehaltes zur Verfügung hätte. Ohne jede Frage<br />

sollte ich es machen. Finanziell würden wir das schon schaffen. Das bedeutete,<br />

dass Guilia indirekt meine Promotion mitfinanzierte. Das war mir unangenehm,<br />

aber es würde sich ja nicht ändern lassen. Konkrete Themen für eine Dissertation<br />

konnte ich nicht benennen. Ich wusste ja auch nicht, was wie schon wissenschaftlich<br />

erforscht war. Im Studium hatte ich fast alles abdecken müssen.<br />

Weil ich damals bei Sonja mit den Germanen angefangen war, hatte ich mich<br />

vermehrt darum gekümmert und hatte auch meine Examensarbeit in diesem<br />

Bereich geschrieben. Sonja blätterte sie durch, fand sie nicht schlecht und<br />

meinte, dass sich darin Anhaltspunkte finden ließen, die man ausbauen und<br />

wissenschaftlich untersuchen könnte. Es gebe zwar Unmengen an Literatur<br />

dazu, aber vieles sei wissenschaftlich immer noch strittig. Sie schimpfte mich<br />

aus, dass ihre Dissertation in meiner Bibliographie nicht zu finden sei. Man<br />

könne den Schwerpunkt auf den Untergang Roms legen oder auf die Entwicklung<br />

danach. Der Untergang Roms sei zwar nach wie vor umstritten, aber man<br />

könne mit Untersuchungen dazu Bibliotheken füllen, während sich die Quellenlage<br />

über die Nachfolger differenzierter gestalte. Ich wollte mich näher mit<br />

Odoaker und Theoderich beschäftigen und aus dieser Zeit ein Thema für die<br />

Dissertation finden. Es fiel mir gar nicht schwer, mich auf den Inhalt unserer<br />

Diskussion zu konzentrieren. Ich starrte nicht immer Sonjas Gesicht oder ihre<br />

Hände an und hatte meine Wahrnehmung auf ihre Stimme beschränkt. Es gehörte<br />

einfach zur Umgebung, in der unser Gespräch stattfand. Als wundervoll<br />

empfand ich es schon, ich meinte mich in Sonjas Anwesenheit anders zu erleben,<br />

aufgeweckt, zuversichtlich, konzentriert und sich dabei wohlzufühlen. Mit<br />

Sonja zusammenzuarbeiten gab mir ein erfüllendes Gefühl. Es war erfolgreich,<br />

befriedigend und machte Spaß. Zu arbeiten, meine erforderlichen Aufgaben zu<br />

erfüllen, bereitete mir nie Probleme, aber Spaß machen und mich hinterher erfüllt<br />

zu fühlen, das kannte ich nicht, weder bei der Unterrichtsvorbereitung für<br />

den nächsten Tag noch beim Büffeln für eine Klausur während des Studiums.<br />

Nichts war mir wichtiger als ein mögliches Thema für meine Dissertation zu fin-<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 14 von 31


den und zu formulieren. Sonja fand meine drei Vorschläge alle brauchbar. Nach<br />

Diskussion entschieden wir uns für „Entwicklung und Einfuss des Frankenreiches<br />

in Bezug zu Odoaker, Theoderich und seiner Nachfolge.“. Du kannst dann<br />

ja mal untersuchen, ob Theoderich seine Frau, die fränkische Merowingerprinzessin<br />

Audofleda, wirklich geliebt, und wie oft er Verwandtenbesuche bei seinem<br />

Schwager Chlodwig gemacht hat.“ scherzte Sonja. „Bist du denn in Latein<br />

ein bisschen fit?“ fragte sie. „Ja, schon, hat mich in der Schule interessiert, weniger<br />

wegen Ovids 'Metamorphosen', die wir lesen mussten, als wegen der historischen<br />

Texte. Zum Lesen von Originalquellen sehe ich mich durchaus in der<br />

Lage.“ erklärte ich. „Ja, prima, dann haben wir ja schon alles geregelt. Lass<br />

uns tanzen.“ scherzte sie. „Die Anerkennung an der Uni besorge ich dir. Zum<br />

Promotionsstipendium darf ich zwar auch etwas sagen, aber initiieren musst du<br />

es schon selber. Um deine Freistellung musst du dich natürlich auch kümmern,<br />

das ist das Wichtigste und Dringendste.“ fasste Sonja die Lage zusammen.<br />

Jetzt musste ich sie doch anstarren, und ihre Augen fragten, was mich bewegte.<br />

„Ach, Sonja, stöhnte ich. Es übermannt mich emotional. Ich kann es nicht<br />

so schnell sortieren. Keine Schule mehr, wissenschaftlich arbeiten, ein<br />

verändertes Leben und du hast es für mich bewirkt. Warum eigentlich, Sonja?“<br />

fragte ich sie. Jetzt blickte Sonja mich nachdenklich an, schwieg und meinte<br />

dann: „Ich habe dir damals gesagt: „Ich mag dich.“, das ist vielleicht<br />

oberflächlich schnell dahingesagt, aber unser Gespräch in der Kneipe hat uns<br />

beiden, denke ich, tiefe Eindrücke vermittelt. Dass du von schönen Stimmen<br />

schwärmtest, ließ dich mir als hedonistischen Genießer erscheinen. Ein<br />

bisschen ist da auch was dran, nicht wahr? Aber das macht dich nicht im<br />

Wesentlichen aus. Ich habe dich als zutiefst nachdenklichen, intelligenten,<br />

warmherzigen und guten Menschen empfunden. Nur du verschleuderst deine<br />

Talente, durch deine blöde Konstruktion vom Siegergen.“ erläuterte es Sonja.<br />

„Gute Menschen? Sonja, das sind wir doch letztendlich alle.“ meinte ich<br />

lächelnd. „Oh je!“ Sonja darauf, „Mag sein, das wir dazu geboren sind, aber die<br />

Entwicklung kann doch aus den guten Babys im Laufe der Zeit grässliche<br />

Monster werden lassen, bei denen man sich manchmal sogar fragen muss, ob<br />

sie überhaupt noch zu unserer Spezies gehören.“ „Allerdings, selbst hier im<br />

Raum Bonn fragt man sich nicht selten, ob es sich bei jemandem auch wirklich<br />

um einen Nachfahren des Homo sapiens sapiens handelt.“ scherzte ich, und wir<br />

grinsten. „Sonja, was du gesagt hast, tut mir äußerst gut. Bestimmt macht es<br />

mir Freude, schöne Stimmen zu genießen, zum Beispiel in der Oper, keine<br />

Frage, aber sonst liegt die Freude mehr an dem Bild, das sie in mir erzeugen,<br />

die Freude an dem warmherzigen, freundlichen, ja guten Menschen, die<br />

Schönheit des Menschen, die sich mir in seiner Stimme zeigt, das ist es, was<br />

ich genieße. Natürlich gibt es Wohlklang und Harmonien, die deinem<br />

Hörempfinden schmeicheln, aber uninterpretiert bleiben sie hohl und<br />

substanzlos. Erst dein emphatisches Vermögen macht die Sprache anderer<br />

Menschen interessant.“ erläuterte ich. Sonja schien leicht zu träumen und<br />

grinste. „Wir müssen uns mal wieder länger unterhalten, nicht wahr? Was wir<br />

da wohl noch alles von uns entdecken könnten.“ meinte sie. Wir<br />

verabschiedeten uns, und Sonja strich mir bei der Umarmung zweimal über<br />

den Rücken.<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 15 von 31


Wenn ich meinen Titel habe<br />

Ich verließ Sonja immer beschwingt. Wenn ich nicht im Auto gesessen hätte,<br />

wäre ich vermutlich tänzelnd über die Straße gelaufen. Ich hatte meinen Optimismus<br />

gefunden, alles würde funktionieren. Defätistisch oder hoffnungslos erlebte<br />

ich mich zwar nie, aber dass ich der Zukunft erwartungsvoll, freudig und<br />

zuversichtlich entgegen sah, das kannte ich ebenso nicht an mir. Auch wenn<br />

mich die Schulbehörde nervte mit ihren Bescheinigungen und Gutachten, meine<br />

Gemütslage tangierte es nicht. „Ja, fang an zu arbeiten, sofort. Die Stipendienzeit<br />

ist ziemlich knapp bemessen. Alles wird funktionieren, und wenn dich<br />

irgendein Regierungsrat nicht freistellen will, werde ich dem Regierungspräsidenten<br />

mal persönlich sagen, dass er sich um seine Untergebenen zu kümmern<br />

hat, damit sie der Wissensschaft nicht großen Schaden zufügen.“ meinte<br />

Sonja und lachte. „Und wenn ich meinen Titel habe, dann wird die Wissenschaft<br />

mich nicht mehr brauen. Dann geht es zurück in die Schule, und ich darf<br />

mich Dr. Sailer nennen.“ fiel mir dazu ein. „Eric, ich dachte du hättest es überwunden,<br />

dein fehlendes Sieger-Gen. Du willst nicht zurück in die Schule, also<br />

bist du sicher, dass du einen anderen Weg finden wirst, und mit der Suche danach,<br />

fängst du heute schon an. Es ist doch dein dringendes Anliegen, dann<br />

musst du auch zuversichtlich daran glauben und etwas dafür tun. Dir gehört<br />

deine Zukunft, und nicht irgendwelchen Behörden oder Schicksalsmächten.“ instruierte<br />

mich Sonja. Nur ein schlichtes „Ja.“ kam über meine Lippen, während<br />

ich nach Sonjas Hand griff. Sie ließ die Hand auf dem Schreibtisch liegen, bewegte<br />

sie nicht und lächelte mir nur zu.<br />

Intensives Leben<br />

Als ich meine Freistellung hatte, musste ich natürlich zu Sonja. Das Entscheidendere<br />

an der Uni war alles längst geregelt, die Freistellung hatte am längsten<br />

gebraucht. „Sonja, es ist so weit. Im nächsten Semester kann ich anfangen,<br />

meine geliebte Doktormutti“ jubilierte ich. „Ja, mein Junge, komm, lass<br />

dich drücken. Wie schön du dich freuen kannst.“ reagierte sie. „Ich würde das<br />

gerne feiern, Sonja.“ erklärte ich. „Willst du eine Fète machen?“ erkundigte<br />

sich Sonja. „Nö, ich würde gern nur mal wieder mit dir in eine Kneipe gehen.<br />

Du meintest ja auch, wir müssten mal wieder miteinander reden. Kannst du<br />

denn abends raus.“ schlug ich vor. „Ich bitte dich, Mark ist dabei, ein Mann zu<br />

werden.“ sagte es und kicherte, „Ja, lustig ist das, meistens wenigstens.<br />

Kommt deine Frau denn auch mit?“ fragte Sonja. „Nein, nein, ich möchte, dass<br />

wir beide uns unterhalten.“ erklärte ich wohl ein wenig zu hastig. Sonja blickte<br />

mich an und hob die Lieder. „O. k., am nächsten Freitag, kommt dir das aus?“<br />

fragte sie. Das erste in der Kneipe war: „Sag mal, Eric, mit deinen Stimmen,<br />

hältst du das nicht für einen Tick, kommt dir das nie komisch vor?“ wollte Sonja<br />

von mir wissen. „Nein, keineswegs. Alle Menschen ordnen andere, die sie<br />

sehen, sofort irgendwo ein. Das ist selbstverständlich und läuft unbewusst. Du<br />

kannst es dir aber auch bewusst machen, wenn du möchtest. Beim Hören ist<br />

das nicht anders, nur da versuchen noch weniger Leute, es sich bewusst zu<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 16 von 31


machen. Da ich mich von Kind auf damit beschäftigt habe, glaube ich sehr vieles<br />

zutreffend in der Sprache erkennen zu können.“ erläuterte ich. „Und was<br />

macht das wundervolle in meiner Stimme aus? Du hast es mir noch nie gesagt.“<br />

wollte Sonja wissen. Ich grinste. „Sonja, du machst mir Probleme. Deine<br />

Stimme ist ja Kommunikationsmittel für dein Gegenüber, für dich selbst ist sie<br />

nicht gedacht.“ versuchte ich mich zu winden. „Und was erkennt mein Gegenüber<br />

darin, das musst du mir aber verraten.“ meinte sie. „Sonja, das bist ja<br />

nicht du, es sind ja meine Vorstellungen, meine Bilder, die du ansprichst.“ ich<br />

darauf. „Dann erzähl mir von denen etwas, bitte, Eric.“ bat Sonja. „Ja, eine<br />

wundervolle Frau, nein Mensch zeigt sich mir, wenn ich dich sprechen höre,<br />

warmherzig, offen, freundlich, ein guter Mensch, wie du sagen würdest. Dann<br />

ist und war da vieles, was ich nicht verstehe aber aufregend finde.“ erläuterte<br />

ich. „Schweinkram, nicht war?“ sagte Sonja und platzte los. „Ach, Blödsinn.“<br />

reagierte ich. „Deine Stimme klingt nicht dünn und zart beseitet. Sie klingt fest<br />

und voll. Ich glaube, dass ich jetzt ein wenig verstehe, was mich bewegte. Du<br />

gehst dein Leben anders an als ich. Ich konnte mir kein Bild <strong>davon</strong> machen,<br />

spürte aber wohl, dass es interessanter wäre und ich es mir wünschen würde,<br />

wusste aber gar nicht genau was. <strong>Mein</strong> Leben verläuft beschaulicher, jetzt<br />

kommt es mir vor, als ob ich oft daneben stünde und zuschaute. Dein Leben ist<br />

voller, umfänglicher, aber das Entscheidende ist, dass du es intensiv lebst. Ich<br />

glaube, das war ein Traum von mir, den ich selbst nicht kannte, intensiver<br />

selbst zu leben und nicht bloß Beteiligter zu sein. Wie ein verführerischer<br />

Wunsch erschien es mir. Ja, ich wünsche mir <strong>nichts</strong> so sehr, als das zu ändern.<br />

Das muss ich wohl bei dir gehört haben und konnte es zuerst nicht verstehen.<br />

Aber zu deinem Schweinkram: Dass du eine begehrenswerte, zärtliche Frau<br />

bist, habe ich natürlich auch gehört, das kann man nicht überhören.“ erläuterte<br />

ich. Sonja, machte dicke Grinselippen und lachte in sich hinein. „Ich verstehe,<br />

die anderen Männer schauen auf Po und Busen, das ist primitiv. Es kommt<br />

doch darauf an, wie deine Fee dich nachts im Bett besäuselt. So?“ erkundigte<br />

sich Sonja und lachte. „Natürlich, genau, alle Liebe äußert sich in Worten und<br />

in dem Klang, mit dem sie dich erreichen.“ bestätigte ich sie lachend. „Ich weiß<br />

ja nicht, ich glaube kaum, das Reden alles ist, bedeutend ist es aber ganz<br />

bestimmt.“ sinnierte Sonja.<br />

Falsche Entscheidung<br />

„Du hast gesagt, deine Entscheidung sei falsch gewesen?“ sagte ich fragend.<br />

„Ja, ich war ein Ausbund an Dummheit und Naivität. Hätte es besser wissen<br />

müssen und habe es auch gewusst. Trotzdem habe ich meinen illusionären<br />

Wunsch als kluge Entscheidungsgrundlage formuliert. Ein wunderbares Empfinden<br />

ist es, sich frei zu fühlen, aber irgendwann merkst du dass dir etwas fehlt,<br />

was es zu Hause für dich gab. Da war nicht nur das Einengende von Schule<br />

und Elternhaus. Da gab es auch Geborgenheit, die warm und sicher dich umhüllte.<br />

Die gab's jetzt nicht mehr. Für Menschen, die dich umgaben, warst du<br />

eine unter vielen. Zu Haus gab's die Geborgenheit, das waren Vater und Mutter<br />

und das System der Familie. Wenn du verliebt bist, kannst du sehr blind und<br />

blöd sein. Lässt dir die Zukunft in Geborgenheit erscheinen, wo du aufgehoben<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 17 von 31


ist, dich einfach zurücklehnen kannst, wo die Welt für dich glücklich und befriedigend<br />

ist. Unabhängig von der plötzlichen, wider besseres Wissen Beseeltheit<br />

der Idiotie Kleinfamilie, gibt es so etwas nicht. Überall, wo du bist, stehst<br />

du in Beziehung zu deiner Umgebung. Es kommt auf dich an, was du tust und<br />

wie du dich zu ihr verhältst. Inaktives Glück gibt es nicht, selbst nicht in der<br />

Liebe. Das gewünschte Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit war Illusion<br />

und wollte sich einfach nicht einstellen. Bei mir persönlich war es dann so, dass<br />

wir statt uns gegenseitig zu suchen, sehr bald gegenseitig nervten und im Weg<br />

waren. Ja, wir hatten uns <strong>nichts</strong> mehr zu sagen, konnten nicht mehr miteinander<br />

reden. Wozu auch, es war ja alles nur eine naive Illusion von mir, wofür ich<br />

mich selber hasste. Da habe an dich gedacht. Solche Gespräche, wie damals in<br />

der Kneipe zwischen uns beiden, haben mein Mann und ich nie gehabt.“ Ich<br />

betrachtete Sonjas Gesichtszüge, ob sie enttäuscht oder gar verbittert sei. „Ich<br />

weiß nicht, wie es sich in deiner Psyche entwickelt hat, Sonja, aber wie du es<br />

sieht, kann ich es nicht nachvollziehen. Ich bin da völlig anderer <strong>Mein</strong>ung. Was<br />

vermittelt dir denn das Empfinden von Geborgenheit, doch nicht die Struktur<br />

der bürgerlichen Kleinfamilie, es sind die Menschen, die dir nahe sind und die<br />

dich lieben. Natürlich kannst du Ansprüche an deinen Partner haben und etwas<br />

von ihm erwarten, aber zur Liebe passt das nicht. Die Liebe ist etwas sehr Kurioses,<br />

sie passt gar nicht zu dem, was wir sonst sind. Ansprüche haben, erfüllen<br />

oder nicht erfüllen, so sind wir in allen Lebenslagen, alles ist kalkuliert und<br />

wird gegeneinander verrechnet oder aufgewogen. Nur bei der Liebe ist es völlig<br />

anders, da freust du dich, wenn du sie selbstlos schenken kannst. Liebe, die du<br />

empfängst ist ein Geschenk für dich, da brauchst und kannst du gar <strong>nichts</strong> tun,<br />

du kannst sie nur entgegennehmen und glücklich sein. Selbstverständlich ist<br />

Liebe auch ein interaktiver Prozess, aber du kannst sie nicht durch dein bewusstes<br />

Handeln erzeugen. Eben ein Vogel, der zu dir fliegt, und den du nicht<br />

zähmen kannst.“ erklärte ich dazu.<br />

Wir beide würden uns gut verstehen<br />

„Der Carmen Eric,“ sagte Sonja lachend, „Weiß du was, Eric, wir verändern uns<br />

gegenseitig. Ich bringe dir dein sogenanntes gewünschtes, intensives Leben<br />

bei, und du verhilfst mir dazu, dass ich Musik und Opern erleben kann. Das ist<br />

auch ein unerfüllter Traum von mir, zu dem ich bislang keinen Zugang sah.“<br />

Sonja sah mich sinnierend an und sagte dann unvermittelt: „Ich weiß nicht,<br />

wie das mit der Liebe bei mir ist. Ich kenn sie, glaub' ich, gar nicht richtig. Damals,<br />

das habe ich im Nachhinein für klischeehaftes Theater gehalten. Ich<br />

glaube nicht, dass ich den Menschen geliebt habe, der mein Mann war, sondern<br />

meinen Traum der Geborgenheit, den ich mit ihm realisieren könnte. Nachgeahmte<br />

Gefühle, du erlebst es nicht unmittelbar selbst. Das bist du nicht. Es bereitet<br />

eher ein unausgeglichenes Hintergrundgefühl. Aber warum lasse ich mich<br />

dann zu so etwas hinreißen. Ich glaube nicht, dass ich dumm bin, aber in diesem<br />

Bereich scheint es bei mir mit der sozialen und emotionalen Intelligenz zu<br />

hapern. Ich sehne mich schon, wie jeder Mensch, halte meine eigenen Vorstellungen<br />

aber für sentimentale Bilder. <strong>Mein</strong>e eigenen Gefühle könnte ich nicht sicher<br />

bewerten. Ich wäre mir gar nicht sicher, ob es Liebe wäre, was ich emp-<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 18 von 31


finden würde. Ganz schön dämlich bin ich da, nicht war? Da ist von der sicheren<br />

Gefasstheit <strong>nichts</strong> zu spüren. Hast du das nicht gehört in meiner Stimme?“<br />

schloss Sonja ihre ernsten Äußerungen und lachte. „Doch, doch, natürlich, das<br />

ist die warmherzige gute Seele, die auch leicht jemandem Vertrauen schenkt,<br />

der's nicht verdient. Sie wird enttäuscht und ist verwirrt.“ meinte ich darauf.<br />

„<strong>Mein</strong> kleiner Therapeut, du musst auch meine Seele heilen, oder geschieht<br />

das durch Musik von selbst?“ fragte Sonja. „Musik ist ein Instrument zur Vervollkommnung<br />

des Menschen allgemein. Das wusste schon Konfuzius vor zweitausend<br />

Jahren. Erst die Musik macht uns komplett, und sie entspringt dem<br />

Herzen. Etwas Wirkungsvolleres kann es nicht geben, um die gestörte Harmonie<br />

deiner Seele zu heilen.“ wusste ich darauf, und Sonja streichelte mir lächelnd<br />

über die Wange. „Ich glaube, wir beide würden uns gut verstehen, Eric,<br />

oder was meinst du?“ fragte sie. Was das genau zu bedeuten hatte, war mir<br />

nicht klar. „Tun wir das denn nicht schon? Wir werden uns doch auch weiterhin<br />

gut verstehen, oder hast du da Zweifel?“ meinte ich und Sonja schüttelte den<br />

Kopf und schenkte mir einen vielsagenden Blick. Natürlich umarmten wir uns<br />

bei der Verabschiedung. „Gib mir mal einen Kuss.“ sagte Sonja als wir uns lösten.<br />

Die lustigen Weiber von Windsor<br />

Würden wir uns jetzt bei Begrüßungen und Verabschiedungen immer küssen?<br />

Ich glaube kaum. Ihr intensives Leben konnte das Bedürfnis nach Liebe nicht<br />

ersetzen oder übertünchen. Sicher würde sie nicht unter ihrer Situation leiden,<br />

oder etwa krampfhaft nach einem Liebhaber suchen. Nur an dem Abend hatten<br />

wir darüber gesprochen, es hatte sie bestimmt bewegt, und sie hielt mich wohl<br />

für vertrauensvoll genug, dass ich ihr ein winzig kleines Gespür von Liebe geben<br />

könnte. Auch wenn wir uns nicht wieder küssten, war unsere Beziehung<br />

durch den Abend noch selbstverständlicher und noch enger geworden. Ich<br />

musste ja jetzt mit Sonja in die Oper, nur wie sollte ich das Guilia vermitteln.<br />

Mit Guilia zusammen in die Oper, und ich würde die Frau Professor Dr. Lenhardt<br />

duzen? Doch, das wollte ich machen und mir eine Geschichte ausdenken,<br />

warum wir uns mit den Vornamen anredeten. 'Die lustigen Weiber von Windsor'<br />

nach einer Wiener Neuinszenierung stand auf dem Programm. Guilia kannte<br />

sich natürlich aus und konnte sogar einiges von Otto Nicolai auf dem Klavier<br />

spielen. „'Schlaf Herzenssöhnchen' das war auch von Otto Nicolai, erinnerst du<br />

dich?“ fragte Guilia mich. „Ja, natürlich, aber ich wusste nicht, dass es von Nicolai<br />

war.“ antwortete ich. „Müssen sie ihm abends immer Schlafliedchen spielen?“<br />

erkundigte sich Sonja. „Nein, nein, er hört mich nur gern spielen, dabei<br />

ist er so faul und singt selbst keinen Ton dazu. Das 'Büblein klein', was wir<br />

gleich hören werden, grölen andere unter der Dusche, aber er singt's nicht.“<br />

Guilia darauf. „Vielleicht ist ihm seine Stimme nicht gut genug.“ meinte Sonja<br />

und die beiden grinsten sich an. „Frau Professor ...“ hub Guilia an und Sonja<br />

unterbrach sie. „Nein, nein, für die Frau meines guten Freundes bin ich auch<br />

Sonja.“ unterbrach Sonja sie. Guilia sprach gar nicht weiter, wahrscheinlich beschäftigte<br />

sie der gute Freund. Besser hätte ich es für Sonja nicht treffen können,<br />

eine kuriose, aber äußerst lustige Inszenierung, die den ganzen Muff<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 19 von 31


übertünchte. Eine interessante moderne Oper war daraus geworden. '<strong>Mein</strong> guter<br />

Freund' überhört hatte Guilia das bestimmt nicht, zumal es überhaupt nicht<br />

zu der Geschichte passte, die ich ihr erzählt hatte. Sie fragte aber nicht nach,<br />

hatte sich wahrscheinlich eine Erklärung zurechtgelegt. Dass ich sie belogen<br />

haben und ihr ein Märchen erzählt haben könnte, war undenkbar. Dass ich Guilia<br />

belogen hatte, war im Nachhinein auch für mich unerträglich. Was war denn<br />

mit Sonja? Ein außerordentlich gutes, freundschaftliches Verhältnis hatten wir,<br />

aber sie war doch nicht meine Geliebte, die Frau neben Guilia. Als ich Sonja<br />

zum ersten mal gehört hatte, war ich so durchgedreht, dass es eventuell dazu<br />

hätte kommen können, aber jetzt war doch alles ganz vernünftig. Warum sollte<br />

ich es Guilia nicht erzählen? Als große psychische Erleichterung würde ich es<br />

doch empfinden. Ich erzählte Guilia alles, auch dass ihre Stimme mich zu Anfang<br />

crazy gemacht hatte. Dass ich in den Jahren, als wir uns nicht gesehen<br />

hatten, mich nicht nur erinnern konnte, sondern oft von ihr geträumt hatte,<br />

das erzählte ich nicht. „Du bist in sie verliebt, nicht wahr?“ fragte Guilia zum<br />

Schluss. „Guilia, uns verbindet tiefstes gegenseitiges Vertrauen und Anerkennung<br />

des anderen als Person. Wir mögen uns, aber irgendetwas Erotisches<br />

oder Dergleichen ist unserer Beziehung wesensfremd. Wenn du es als Liebe<br />

bezeichnen willst, ist es die Liebe, die du für deine Schwester empfindest. Ich<br />

bin nicht ihr Liebhaber.“ erklärte ich. „Es muss dir sehr viel geben. Gern würde<br />

ich es sehen, wenn die Beziehung zu meiner Freundin tiefer wäre. Ich freue<br />

mich für dich. Du sagst, es ist die Liebe wie zu deiner Schwester, nur deine<br />

Schwester ist sie nicht. Ich weiß es nicht, ich denke, dass eure Beziehung<br />

intensiver werden wird, und immer bleibt sie potentiell die Frau, die du<br />

begehren könntest.“ war Guilias Ansicht. „Guilia, das sind Visionen, die aus<br />

deiner Angst geboren sind. Für mich ist das nicht vorstellbar. Dass ich mich mit<br />

Sonja gut verstehe, ändert doch überhaupt <strong>nichts</strong> an unserer Beziehung und<br />

unserer Liebe zueinander.“ meinte ich dazu. „Das sehe ich nicht ganz so. Das<br />

Unbeschwerte unserer Liebe leidet darunter. Abends im Bett dann werd' ich<br />

daran denken, dass dir auch heut schon warm bei Sonja war.“ meinte Guilia.<br />

Ich hatte das Bedürfnis, Guilia zu umarmen, ihr meine Liebe zu zeigen oder so<br />

Ähnliches. Ich wüsste nicht, das Guilia es jemals abgelehnt hätte. Jetzt tat sie<br />

es. „Es beschäftigt mich. Ich muss es erstmal für mich selber klären.“<br />

kommentierte sie ihre Zurückweisung.<br />

Neuer Arbeitsplatz<br />

Ich kannte nur noch meine Dissertation. Vorbereitungen für die Schule interessierten<br />

mich nicht mehr. Als ich einen groben Strukturplan fertig hatte, wollte<br />

ich Sonja fragen, ob ich danach weiter arbeiten könnte. Ich musste sie anrufen<br />

und fragen, wann sie in der Uni sei. Die Semesterferien hatten schon begonnen,<br />

auch wenn in der Schule noch Unterricht stattfand. „Wo steckst du? Ich<br />

seh' dich ja gar nicht mehr.“ fragte Sonja, als wir uns trafen. „Na, ich komm'<br />

dich doch nicht einfach so stören, wenn <strong>nichts</strong> anliegt.“ antwortete ich. „Du?<br />

Mich stören? Jeder Besuch von dir ist eine Freude. Jetzt bin ich allerdings nur<br />

relativ selten hier, und zum Beginn der Schulferien fahre ich mit Mark für drei<br />

Wochen nach Irland, an die Westküste. In Dublin war ich schon mal für eine<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 20 von 31


Woche, aber jetzt soll Mark sehen, wo die Kerry Butter herkommt. Wo arbeitest<br />

du denn eigentlich? Schleppst dir alles nach Hause?“ fragte Sonja. „Was sonst?<br />

Manchmal sitze ich auch in der UB. Sonst konnte man immer in einen leeren<br />

Seminarraum gehen, aber die sind jetzt verschlossen.“ antwortete ich. Sonja<br />

überlegte und erklärte dann: „Weißt du was? Einen eigenen Raum bekommst<br />

du nicht, aber wir könnten doch gut einen zusätzlichen Schreibtisch in diesen<br />

Ballsaal stellen. Da könntest du dann immer arbeiten als mein wissenschaftlicher<br />

Assistent. Nur in den Sprechstunden dürftest du nicht anwesend sein. Sollen<br />

wir das so machen? Ich werde es regeln.“ schlug Sonja vor. Das wäre die<br />

absolute Perspektive, einen eigenen Schreibtisch und dann immer bei Sonja.<br />

Natürlich war ich sofort total einverstanden. Nach dem Irlandaufenthalt wollte<br />

sie es organisieren. „Eric, dein Schreibtisch ist schon da. Komm schnell her und<br />

sieh ihn dir an.“ rief Sonja vier Tage später an. Sie hätte sofort den Dekan angerufen,<br />

und der hätte nur gemeint: „Wenn sie es für erforderlich halten.“ Darauf<br />

habe sie die Einrichtungsabteilung angerufen, wenige Stunden später sei<br />

jemand gekommen, habe sich ihr Büro angesehen und am nächsten Tag hätten<br />

sie den Schreibtisch gebracht. „Schön, nicht wahr? Hast du selbst auch so<br />

einen wertvollen Schreibtisch?“ meinte Sonja und war stolz auf ihre erfolgreiche<br />

Aktion. „Ich gebe dir vorläufig meinen Zweitschlüssel, hüte ihn gut.“ erklärte<br />

Sonja noch. Ich wusste nicht, wie mir war. Jetzt hatte ich einen antiken,<br />

oder zumindest so aussehenden Schreibtisch und konnte jederzeit in Sonjas<br />

Büro.<br />

Beim nächsten mal fährst du mit<br />

In den Ferien bekam ich eine Karte an Eric Sailer im Büro Prof. Dr. Lenhardt.<br />

„Komm bloß nicht her. Hier ist immer April. Ständig Regenschauer und immer<br />

ist es windig.“ Warum ich das wissen musste, konnte ich mir nicht erklären.<br />

Sonja wollte wohl freundlich sein und zeigen, dass sie an mich denkt. „Ja, natürlich,<br />

immer habe ich an dich gedacht, mein Süßer.“ erklärte sie und lachte.<br />

„Wenn uns der Regen ins Gesicht peitschte, habe ich gedacht, wie gut du es<br />

hast, im Trockenen zu sitzen. Du kannst übrigens ruhig ans Telefon gehen. Du<br />

brauchst dich nicht zu verstecken. Mit dir das ist ganz offiziell, sogar vom Dekan<br />

abgesegnet.“ sagte sie. Dann erzählte Sonja von Irland. In Dingle hätten<br />

sie es nur eine Woche ausgehalten Sie hätten mehr sehen wollen, sich ein Auto<br />

gemietet und seien bis zum Donegal raufgefahren. Sogar in Nordirland seien<br />

sie gewesen. Von Derry beziehungsweise Londonderry war sie noch immer völlig<br />

schockiert. „Trotz Regen und Wind haben wir schon viel Beeindruckendes erlebt.<br />

Beim nächsten mal fährst du mit, nicht wahr?“ schloss Sonja und lachte.<br />

Ich grinste nur. Auch wenn es ein Scherz war, völlig bezuglos war er nicht. Sojas<br />

Spezialität, sich immer halb ironisch zu äußern, wobei man nie sicher wusste,<br />

wie viel Scherz und wie viel Ernst darin steckte. Ein sehr sonderbares Gefühl<br />

war es zunächst, für mich an meinem Schreibtisch zu arbeiten, während<br />

Sonja anwesend war. Konzentrieren konnte ich mich dabei nur schwer. Später<br />

war es selbstverständlich. Wir hatten ja auch immer unterschiedlich zu tun.<br />

Saß ich am Schreibtisch, wenn sie morgens später kam, begrüßte sie mich immer<br />

mit: „Oh, mein Liebster ist schon wieder fleißig.“ Kleine Albernheiten und<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 21 von 31


Scherze gefielen uns beiden gut. Es war herrlich mit Sonja zu arbeiten, so wollte<br />

ich leben, anders würde ich es nie mehr wollen. Darüber hinaus waren es ja<br />

unvorstellbar günstige Bedingungen. In konnte meine Doktormutter jederzeit<br />

nach allem Fragen. So etwas gab es sonst für niemanden.<br />

Einsamkeit<br />

Eine Kaffeepause, in der wir zusammen auf der Couch saßen, gab es immer.<br />

Dann wurde nicht über meine Arbeit, Historisches oder Sonjas beruflichen Angelegenheiten<br />

gesprochen. Die Kaffeepause war immer Plauderstündchen. Da<br />

redeten wir von dem, was uns gerade in den Sinn kam. “Weißt du, Eric, ich<br />

träume manchmal.“ sagte Sonja beim Kaffee, „Du bist anerkannt, wirst gebraucht,<br />

bist beliebt, hast Bekannte und Freunde, dir fehlt es an <strong>nichts</strong>. Aber<br />

wenn du dann mal ganz bei dir selber bist, empfindest du dich trotzdem als<br />

einsam und allein. Ob das die Basis dafür ist, dass Menschen versuchen Kontakt<br />

aufzunehmen, mit anderen kommunizieren, um dieses Gefühl der Einsamkeit<br />

dadurch zu überwinden?“ „Das wäre ja ein Trugschluss. Sie haben doch<br />

Bekannte und Freunde und verfügen über vielfältige Kontakte, und trotzdem<br />

kommt die Einsamkeit auf.“ meinte ich dazu. „Ja, es ist eben so, dass jeder<br />

Mensch im Grunde allein, nur er selber ist. Dazu gibt es keine Alternative. Vielen<br />

wird es nicht bewusst, sie spüren nur in manchen Momenten melancholisch<br />

anmutende Stimmungen.“ bekräftigte Sonja ihre Ansicht. „Oder sie erfinden<br />

sich einen, der alles weiß und alles kann, der sie durch und durch kennt und<br />

der ihr Beschützer ist. Aber das ist ja nur bei den Christen so. Die glauben,<br />

dass Gott trotz Vulkanausbruch, Hungersnot und Krieg und sonstigem Elend ihr<br />

bester, sie liebender Freund sei. Für andere sind die Götter strenge Richter<br />

oder sonstige zornige Gestalten. Aber irgendwelche imaginierten Typen, die<br />

einem überlegen sind, scheint der Mensch schon zu brauchen, um sich<br />

gegenüber dem Empfinden als isoliertes Einzelwesen ein Gefühl der<br />

Eingebundenheit zu verschaffen. Kinder brauchen das nicht. Sie empfinden sich<br />

auch nicht als einsam, wenn sie in halbwegs vernünftigen Verhältnissen leben.<br />

Für sie ist die Welt in Ordnung. Benennen können sie es wahrscheinlich nicht<br />

einmal, aber sie spüren, dass sie aufgehoben sind bei ihren Eltern, die sie<br />

lieben. Das möchtest du, glaube ich, als Erwachsener nicht anders. Natürlich<br />

hast du ein individuelles Ego, das nur du bist, und auf dessen Grundlage du<br />

sicher emotionale Befindlichkeiten entwickeln kannst, aber die Existenz deines<br />

individuellen Egos korreliert nicht prinzipiell mit dem Empfinden von<br />

Einsamkeit. Das Gefühl, nicht einsam und nicht allein zu sein, kommt erst auf,<br />

wenn du spürst, dass du geliebt wirst. Tausend Freunde und Bekannte und alle<br />

Anerkennung können das nicht ersetzen.“ war meine Ansicht. „Du liebst Guilia,<br />

nicht wahr?“ fragte Sonja und lächelte auch, weil ich lachen musste. „Ja, was<br />

sonst?“ antwortete ich nur. „Und ich?“ fragte Sonja und blickte mich dabei<br />

schelmisch an. „Was, und ich?“ wollte ich es erklärt haben. „Liebst du mich<br />

auch? Ein ganz kleines bisschen wenigstens?“ sagte sie und lächelte leise<br />

kichernd. „Ich glaube, wir lieben uns nicht nur ein kleines bisschen, sondern<br />

sogar sehr intensiv.“ reagierte ich darauf und erklärte ihr, wie sich mir unsere<br />

Beziehung darstellte. „Ja, schon, das sehe ich auch so, und es ist herrlich. Ein<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 22 von 31


edeutsamer Baustein im Haus meiner emotionalen Befindlichkeit ist es sicher,<br />

aber von Liebe spüre ich dabei nix. Es gibt doch Rituale und signifikante<br />

Merkmale, wenn man sich liebt. Davon kommt aber bei uns <strong>nichts</strong> vor, oder<br />

kannst du es vor Sehnsucht nicht erwarten, dass ich morgens endlich rein<br />

komme? Wenn unsere Beziehungen auch noch so eng sein mögen, existiert<br />

eine große Distanz. Wir haben Scheu davor, anstatt uns danach zu sehnen, den<br />

anderen zu berühren, ihn anzufassen und zu streicheln. Wenn man sich liebt,<br />

ist das doch sehr ungewöhnlich, nicht wahr?“ schloss Sonja und schmunzelte.<br />

„Ich denke, dass die körperlichen Bedürfnisse ihre Basis eher im erotisch<br />

sexuellen Formenkreis haben und mit den sozialen Komponenten von<br />

Anerkennung, Zuneigung und Vertrauen prinzipiell nicht verbunden sind.“<br />

meinte ich dazu. „Also zwei Engelchen, frei aller libidinösen Regungen. Eric,<br />

Eric, ich weiß nicht, ob du's dir nicht zu einfach machst. Wir müssen ja<br />

manches einfach glauben, aber das Unwahrscheinlichste glauben wir am<br />

liebsten uns selbst.“ sagte Sonja lachend und verwuselte mir dabei das Haar.<br />

Gemeinsames Arbeiten<br />

Natürlich hatte ich Guilia gesagt, dass Sonja mir Arbeitsmöglichkeiten in der<br />

Uni beschafft hätte, aber dass ich mit ihr im gleichen Raum saß, konnte ich natürlich<br />

nicht erzählen. Das war ja auch zu kurios und musste Spekulationen<br />

auslösen. Dass es sich um eine Notlösung handelte, weil es andere Möglichkeiten<br />

nicht gab, wer sollte das glauben? Eine Notlösung war es ja in der Tat auch<br />

nicht mehr. Was sollte ich im Doktorandenkolloquium? Sonja kannte fast jeden<br />

Satz meiner Arbeit. Wie zwei Geschwister bei ihren Hausaufgaben saßen wir<br />

bei unserer Arbeit und konnten uns sogar über Rechtschreibfragen<br />

austauschen. Es war keine Notlösung. Eine Arbeitsorganisation, die uns beiden<br />

besser gefallen hätte, war nicht vorstellbar. Sonja war nicht eifrig oder fleißig,<br />

sie schien berauscht von ihrer Arbeit. Im Moment war sie zusätzlich in die<br />

Vorbereitung eines Historikerkongresses zur frühen deutschen Geschichte<br />

involviert. Die Initiative dazu resultierte unter anderem daraus, dass man sich<br />

vermehrt die wirklichen geschichtlichen Fakten publik machen wollte, um den<br />

kruden rechten Vorstellungen etwas entgegen zu setzen. Sonja hatte ein<br />

Referat übernommen und leitete eine Arbeitsgruppe. Selbstverständlich fuhr<br />

ich auch zum Kongress.<br />

Historikerkongress<br />

Am zweiten Tag hielt Sonja ihr Referat. Sie bekam viel Applaus und Anerkennung<br />

unter den Zuhörern. Abends aßen wir gemeinsam mit einigen Bekannten<br />

von Sonja im Restaurant unseres Hotels. Als die anderen sich verabschiedet<br />

hatten, stießen Sonja und ich uns mit der Schulter an. „Klasse, das Referat hat<br />

dir mehr gebracht als mancher Zeitschriftenartikel. Wie ein Durchbruch war es.<br />

Jetzt gehörst du definitiv dazu.“ meinte ich anerkennend. Ich griff nach Sonjas<br />

Hand, eigentlich um sie zu drücken, hob sie dann aber und zeichnete mit mei-<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 23 von 31


nem Finger Linien darauf. „Schöne Hände hast du, Sonja, viel zu schade zum<br />

Schreiben und Telefonieren.“ erklärte ich. „Was sollten sie deiner <strong>Mein</strong>ung nach<br />

besser machen, Klavier spielen?“ fragte Sonja. „Zum Beispiel, sie könnten auch<br />

mit einem Pinsel etwas malen, ich stelle mir vor , wie deine Finger auf den<br />

Klappen einer Flöte tanzen, alles Schöne eben, was man mit Händen machen<br />

kann.“ antwortete ich. „Dich streicheln, wäre das auch etwas Schönes für meine<br />

Hände?“ wollte Sonja wissen und lachte in sich hinein. „Was du wegen des<br />

Berührungstabus zwischen uns gesagt hast, stimmt nicht. Wir berühren uns ja<br />

ständig bei Umarmungen. Auf die Art der Berührung kommt es an, ob sie eher<br />

sinnlich geprägt ist oder nicht.“ meinte ich. „Du hältst meine Hand ja noch immer<br />

und malst mit deinem Finger darin, handelt es sich dabei um eine sinnliche<br />

Berührung?“ fragte Sonja grinsend. „Ach wo, eine Erkundung deiner manuellen<br />

Anlagen ist das.“ ich darauf ganz ernst. „Ich empfinde es aber als extrem<br />

sinnlich, und äußerst angenehm.“ meinte Sonja. „Eric, ich muss es dir mal sagen,<br />

das mit deiner Libido freien Beziehung zwischen uns halte ich für absoluten<br />

Quatsch. So etwas kann es nicht geben. Alles was du willst und möchtest<br />

und gern machst geht letztendlich auf deine Libido zurück. Dass sich bei deiner<br />

Mutter und deiner Schwester keine sexuellen Regungen zeigen, liegt am Inzesttabu,<br />

aber bei allen anderen Frauen kannst du es nicht verhindern. Wir<br />

können nicht einer den anderen als Neutrum sehen und erfahren. Du bist und<br />

bleibst immer auch ein Mann für mich, ein sehr sympathischer Mann, das warst<br />

du von Anfang an für mich. Ich habe nicht gedacht: „Mit dem will ich ins Bett.“,<br />

aber du warst eben ein Mann und nie etwas Neutrales. Irgendetwas Sympathisches<br />

musst du für mich wohl vom ersten Moment an gehabt haben. Es lag<br />

nicht nur daran, dass du mich gefragt hast, ob es mir Spaß machte, es musste<br />

auch an dir liegen, dass ich es als lustig empfand. Ich könnte mir durchaus jemanden<br />

vorstellen, bei dem ich genervt abweisend reagiert hätte. Nicht nur die<br />

Botschaft, sondern auch ihr Verkünder ist genauso entscheidend für den Eindruck.<br />

Ich habe mir damals <strong>nichts</strong> dabei gedacht, aber als nett habe ich bestimmt<br />

gesehen. Beim Gespräch in der Kneipe dann gefielst du mir immer besser,<br />

und das „Ich mag dich.“ bedeutete für mich: „Du gefällst mir. Ich könnte<br />

Lust auf dich haben.“. Dass wir Lust aufeinander haben ist die Basis dafür, dass<br />

wir uns so gut verstehen.“ „Du meinst also, wenn du mir eine Frage beantwortest,<br />

hätte es immer auch eine lustvolle Komponente?“ fragte ich. „Das sowieso,<br />

sonst würde ich ja nicht antworten, oder du sähest es an meinem Gesicht.<br />

Vielleicht noch mal zu dem, wie du es nennst, „intensiven Leben“. Ich lebe<br />

nicht aktiver oder mit mehr Elan und Verve als du. Möglichst keine vorgegebenen<br />

und übernommenen Rollenbilder zu konkretisieren, das ist meine Absicht<br />

und gehört zu meinen Wesenszügen seit der Kindheit. Der Ausdruck meiner<br />

Identität soll als direkte Grundlage meines Handelns dienen, ich will meine Gefühle<br />

und meine emotionale Disposition unmittelbar leben. Das zeigt sich dir<br />

als intensiv, weil es unmittelbar und authentisch ist. Genau das habe ich bei<br />

meiner dummen Family-Spinnerei nicht gemacht, da habe ich die Rolle von der<br />

Geborgenheit der Familie zu spielen versucht, der größte Fehler meines Lebens.“<br />

erläuterte Sonja. „Merkst du es denn selbst immer, wenn du irgendwelche<br />

Gefühle manipulierst?“ wollte ich wissen. „Eric, genau das will ich nicht tun<br />

und darf nicht vorkommen. Ich will meine Gefühle und wirklichen Bedürfnisse<br />

erkennen können. Das ist mein oberstes Gebot.“ antwortete Sonja. „Und deine<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 24 von 31


Gefühle mir gegenüber?“ fragte ich konkret. „Natürlich kenne ich sie, nur welches<br />

Handeln daraus folgt, ist eine andere Sache. Ich habe dir ja gesagt, dass<br />

ich der Ansicht bin, wir beide würden uns gut verstehen. Du hast es oberflächlich<br />

gedeutet, ich hatte es tiefer gemeint und nicht wie du frei von libidinösen<br />

Bezügen. Wenn ich eine Frau wäre, könnte ich mir dich durchaus als begehrenswerten<br />

Mann vorstellen.“ sprach Sonja. Ich starrte sie grinsend mit großen<br />

Augen an, während ihre Unschuldsmine erkennen ließ, dass sie es absichtlich<br />

gemacht hatte. „Was ist das denn?“ fragte ich lachend. „Sonja, küss mich doch<br />

lieber erst einmal, bevor du weiter so schwer verständliche Worte formulierst.“<br />

schlug ich vor. Als wir uns lösten, blieben wir mit unseren Gesichtern dicht voreinander.<br />

Sonja befühlte mit ihrem Mittelfinger meine Lippen. „Deine Lippen<br />

sind ganz trocken.“ sagte sie sanft, „Bist du krank?“ „M, m.“ reagierte ich nur.<br />

Sie nahm einen Finger, befeuchtete ihn und wollte meine Lippen benetzen.<br />

Dann kam sie aber wieder ganz nah zu mir und strich mit ihrer Zunge direkt<br />

über meine Lippen. „Und deine?“ fragte ich. „Ich weiß nicht. Ich habe Lippenstift<br />

drauf, aber all zu feucht werden sie auch nicht sein.“ meinte sie. Lächelnd<br />

musste ich ihre Lippen jetzt auch befeuchten. Sonja schob ihre Zunge vor und<br />

berührte meine. Wir spielten mit unseren Lippen und Zungen. Ob wir so den<br />

Rest des Abends verbringen wollten? „Dafür sind wir zu alt. Die Leute schauen<br />

schon.“ erklärte Sonja plötzlich. „Lass uns auf mein Zimmer gehen, da sieht<br />

uns niemand.“ schlug sie vor. Ich sah zwar nicht, dass uns jemand beobachtete,<br />

aber mit Sonja in ihr Zimmer zu gehen, war natürlich besser.<br />

Das Mädchen aus dem Urwald<br />

Ich hatte den mitgenommenen Wein auf den Tisch gestellt. Sofort mussten wir<br />

uns intensiv und ausgiebig umschlingen, als ob wir uns noch nie umarmt hätten.<br />

Diese Umarmung war jedoch Sinnlichkeit pure. Immer wieder streichelten<br />

wir unsere Wangen aneinander, küssten uns und unsere Augen, die nur wenige<br />

Zentimeter voneinander entfernt waren, sagten dem anderen, wie beglückt<br />

Sonja und ich waren. „Eric, ich fühle mich ein wenig high. <strong>Mein</strong> Körper will da<br />

nicht ausgeschlossen sein und will sich bewegen.“ sagte Sonja mit einer Stimme,<br />

deren Klang mein Ohr erreichte, die aber direkt zu meinem Herzen sprach.<br />

„Lass uns doch ein wenig tanzen, oder möchtest du gar nicht?“ schlug Sonja<br />

vor. Wir suchten im Radio nach Musik. Das einzig hörbare war Mendelssohns e-<br />

Moll Violinkonzert auf einem Classic Sender. Danach tanzen? „Du kannst nach<br />

allem tanzen, was irgendeinen Rhythmus hat.“ war meine Ansicht. Es gab doch<br />

viel zu lachen dabei, und Sonjas Bewegungsdrang schien nicht nach körperlichem<br />

Ausagieren zu verlangen. Bei unserem sogenannten Tanzen handelte es<br />

sich eher um die Fortsetzung der schmusenden Umarmung, nur eben mit sanften<br />

rhythmischen Bewegungen der Füße. „Wenn du eine Frau wärest, würdest<br />

du etwas dagegen haben, wenn wir uns jetzt auf's Bett setzten?“ fragte ich.<br />

„Hat's dir Spaß gemacht?“ fragte Sonja und warf mich auf's Bett. „Weißt du,<br />

Eric, das ist langsam immer stärker geworden bei mir. Ich wollte das Bedürfnis<br />

nach einem Mann ganz unten in meiner Bewertungsskala führen, aber es ist ja<br />

auch nicht das Bedürfnis nach einem Mann. Was du zur Liebe gesagt hast, hat<br />

mich beeindruckt. Mir wurde deutlich, wie sehr wir uns lieben, aber uns selbst<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 25 von 31


lockieren, indem wir es uns verbieten, unsere Liebe ausagierend zu leben.<br />

Und das ist jetzt seit wenigen Minuten anders. Seit wann hast du mich denn eigentlich<br />

geliebt?“ wollte Sonja wissen. „Vom ersten Moment an als wir uns begegnet<br />

sind.“ antwortete ich und lachte. „Ja, es war aber in der Tat so. Liebe<br />

auf den ersten Klang, wenn du so willst. Das ist nicht verloren gegangen, sondern<br />

hat sich immer nur verstärkt. Andererseits war auch fast direkt klar, dass<br />

zwischen uns beiden <strong>nichts</strong> möglich sein könne. Das ist bis vorhin so geblieben.<br />

Deshalb bin ich im Moment ein wenig benebelt, nein berauscht. Nur meine<br />

Gefühle sprechen jetzt noch absolut unmittelbar. <strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> da<br />

sowieso <strong>nichts</strong> von.“ erklärte ich. „Genau weiß ich es natürlich nicht, aber ich<br />

denke, dass deine Stimme wie Sirenenklänge auf etwas in meinem Unbewussten<br />

gewirkt haben. Sie brauchte gar nicht zu ihm zu singen, sie sprach nur zu<br />

ihm, da war's um ihn schon geschehen. Ein anderes Leben, ein anderer Mensch<br />

in dieser Welt, die Sehnsucht danach hast du in mir wachgerufen und verkörperst<br />

selbst dieses Leben. Intensives Leben ist ein schlechtes Wort, der Enthusiasmus,<br />

den du lebst ist das Verlockende. Ja, du bist mein Traumbild und noch<br />

mehr.“ „Deine Madonna vielleicht?“ fragte Sonja schelmisch. „Nein, nein, das<br />

mag ich nicht, aber gegen ein wenig Strahlenglanz wirst du doch <strong>nichts</strong> haben,<br />

vielleicht bis du eine Prinzessin für mich, oder nein, meine Aphrodite. Etwas<br />

Göttliches muss ich schon in dir sehen.“ erklärte ich. „Ich weiß nicht, ob mir<br />

das Göttliche so liegt. Heute Nacht, ist mir <strong>nichts</strong> so wichtig, als ganz Mensch<br />

zu sein. Du gehst doch nicht mehr?“ fragte Sonja vorsichtshalber. Ich schüttelte<br />

den Kopf. „Eric, ich bin mir sicher, dass ganz viel Liebe für dich in mir ist,<br />

aber ich weiß überhaupt nicht, wie du riechst.“ erklärte Sonja und wir mussten<br />

uns erst mal lachend küssen. <strong>Mein</strong>en Oberkörper musste ich entblößen, Sonja<br />

streichelte ihn mit Fingern und Wangen und küsste ihn. Grinsend sah sie auf<br />

und sagte: „Komm, lass uns ins Bett gehen.“ „Aber ich weiß ja noch nicht, wie<br />

du riechst.“ stoppte ich. „Das wirst du gleich erleben. Ich stinke sowieso, ganz<br />

menschlich, keine Aphrodite- und Aurora-Düfte.“ erklärte Sonja grinsend. Wir<br />

zogen uns aus und Sonja begann, einen Schlafanzug anzuziehen. „Nein, Sonja,<br />

was machst du?“ rief ich. „Ich dachte, es wäre erotischer, wenn du mich entblättern<br />

kannst, aber na gut, du bist es ja schließlich, der mich begehren<br />

muss.“ war ihre Ansicht dazu. Lachend warf ich sie auf's Bett. „Jetzt habe ich<br />

dich begohren, meine aller Süßeste. Du würdest mich den ganzen Tag zum Lachen<br />

bringen, wenn wir zusammen wären.“ meinte ich. „Ich bin doch noch gar<br />

nicht fertig. Soll ich nicht eben duschen?“ fragte Sonja. „Bloß nicht, dein dich<br />

Begehrender will doch nicht mit Duschgel ins Bett.“ war meine <strong>Mein</strong>ung. Sonja<br />

lag schräg über mir, ich erkundigte mich: „Was ist mit deinen Haaren? Willst du<br />

sie so zusammenhalten?“ „Natürlich nicht, du musst nur die Spange zusammendrücken<br />

und rausnehmen, dann fällt langsam alles auseinander.“ antwortete<br />

sie. Sonja schüttelte ein paar mal ihren Kopf, und ihre mehr als Schulter<br />

langen braunen Haare fielen mir ins Gesicht. Vor Erstaunen bekam ich kein<br />

Wort heraus. Mit offenen Haaren gab es Sonja nicht. Sie trug sie immer nur<br />

verflochten und mit einer Spange zusammengehalten. „Also doch Aphrodite<br />

oder Venus, bei Botticelli konnte sie sogar ihre Scham damit bedecken. Sind<br />

deine auch so lang?“ fragte ich und bekam dafür ein paar Knüffe. „Nein, du<br />

siehst eher aus wie Lupani, die Blume der Nacht aus Tahiti oder Samoa, ist das<br />

schön?“ „Nein, in der Nacht bin ich immer Tarzans Braut Jane, das Mädchen<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 26 von 31


aus dem Urwald.“ erklärte Sonja. „Oh, muss ich da nicht Angst vor dir haben?“<br />

wollte ich mich versichern. „Schon, wenn du weiter so viel wissen willst. Eric,<br />

ich will gar nicht mehr viel reden. Das tun wir immer und können es auch später<br />

wieder tun, aber mein unmittelbarstes und stärkstes Gefühl ist, dass ich<br />

dich jetzt spüre und mehr <strong>davon</strong> möchte.“ hauchte Sonja. Wir schienen einander<br />

nicht nur zu begehren, sondern eher gierig aufeinander zu sein. Sonja redete<br />

auch nachher nicht. Sie blickte mich nur mit strahlenden Augen und ihrem<br />

typischen Grinselächeln, das eine leicht mokanten Beiklang hatte, an. Sie zog<br />

öfter meinen Kopf zum Küssen zu sich, und ich begann ihren schweißnassen<br />

Körper zu küssen. „Soll ich jetzt nicht lieber erst duschen?“ fragte Sonja.<br />

„Nein, ich leck dir doch den Schweiß schon ab. Duschen entfremdet nur.“ reagierte<br />

ich. Jetzt hatten wir Lust, uns zu streichelten und zu liebkosten, wozu<br />

wir vorher kaum Zeit hatten. Alles, worüber wir hätten reden können, war im<br />

Moment nicht gegenwärtig. Wir schienen nur in Form unserer Körper füreinander<br />

zu existieren. Wenn sie auch sehr menschlich waren, ein wenig heilig und<br />

kostbar, aber zumindest völlig unerforscht mussten sie für uns schon sein. Als<br />

wenn ich zum ersten mal eine nackte Frau erlebte, es war Sonja, Sonjas Brüste<br />

ihr Bauch, ihre Lenden ihre Scham und ihre Beine, die meine Fingerspitzen<br />

ertasteten. Gott musste Sonja gerade erschaffen haben, und Erics Gefühle exaltierten<br />

über dieses Geschenk. Mit Lippen und Zunge erkundete ich Rücken,<br />

Po und Beine dieser Göttergabe und wähnte mich in rauschhaften Zuständen.<br />

Nein, nicht Rauch, eine Gipfelerfahrung war es, darüber geht <strong>nichts</strong> mehr. Sonja<br />

hatte schon Recht, getrennt existierte sie nicht, zu Geist und Seele gehörte<br />

auch ihr Körper, und das erfuhr ich jetzt, er erlebte Sonja ganz in ihrer vollen<br />

Persönlichkeit. Dazu bedurfte es keiner Worte mehr. Natürlich schliefen wir<br />

auch nochmal miteinander. Der Schlaf nahm die erschöpften Liebenden aber<br />

schon bald in seine Arme. Der andere Morgen war der Beginn des ersten Tages<br />

in einem neuen Leben. Gemeinsam aufstehen, sich ankleiden, Sonja bei der<br />

kunstvollen Verflechtung ihrer Haare zuschauen, <strong>nichts</strong> Besonderes, aber alles<br />

geschah im Sonnenschein.<br />

Ich war sehr angetan, Herr Sailer<br />

„Du sagst <strong>nichts</strong>, ist alles o. k.?“ fragte Sonja am Mittag im Büro. „Wieso? Was<br />

soll ich sagen?“ wollte ich wissen. „Na, ich weiß ja nicht, aber wenn ich einen<br />

festen Freund hätte, würde ich mir über unsere Nacht schon Gedanken machen.“<br />

Sonja darauf. „Gedankenlos bin ich auch nicht, Sonja. Primitiv gesehen<br />

könnte man sagen, er ist verheiratet und jetzt treibt er's mit 'ner anderen. So<br />

etwas könnte es für mich nicht geben. Es sind zwei verschiedene Welten. Unsere<br />

Welt ist das, was ich will und wovon mich <strong>nichts</strong> abhalten kann. Zurück<br />

kann ich nicht mehr. Ich habe meine Empfindungen für Guilia, daran hat sich<br />

<strong>nichts</strong> geändert, doch daraus resultiert mein Leben nicht mehr. <strong>Mein</strong> Bild von<br />

Guilia hat sich kein bisschen verändert, aber ich. Das ist bedeutsam und unverzichtbar,<br />

ein zurück kann es nicht mehr geben. Es ist mit dir verbunden, unabhängig<br />

<strong>davon</strong>, wie sich unsere Zukunft gestalten wird.“ erklärte ich die Sicht<br />

meiner Lage. Sonja zog einen krausen Mund. „Du willst doch nicht sagen, dass<br />

es dir nicht gefallen hätte. Ich würde es gerne wiederholen.“ meinte ich zu<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 27 von 31


Sonjas Mimik. „Doch, ich war sehr angetan, Herr Sailer,“ meinte sie lachend,<br />

„aber das lässt sich doch nicht wiederholen, als mein Assistent dürfte ihnen so<br />

ein Lapsus nicht unterlaufen.“ „Trotzdem möchte ich gern wieder mit dir ins<br />

Bett.“ reagierte ich darauf. „Eric, weiß du was, ich bin richtig beduselt <strong>davon</strong>.<br />

Jeden Morgen, wenn ich wach werde, ist mir, als ob wir in der Nacht miteinander<br />

geschlafen hätten, gaga, nicht war, aber macht dich absolut happy.“ erzählte<br />

Sonja. „Warum hatten wir's eigentlich so eilig, Eric? Was drängte uns?“<br />

fragte sie. „Ja, du.“ war mein Kommentar. „Ja, ich war richtig ...“ und Sonja<br />

stockte. „Scharf, heiß, rattig, geil.“ bot ich an. „Alles entsetzliche Wörter, aber<br />

so etwas in der Richtung muss es wohl gewesen sein. Nein, 'ich empfand ein<br />

sehr starkes Verlangen' heißt das.“ legte Sonja fest, „aber warum, kann ich mir<br />

nicht erklären. Kenn ich gar nicht, so etwas. Aber ich kenne ja auch sonst<br />

<strong>nichts</strong> von mir. Quatsch ist das alles. Ich war nicht scharf auf Sex und suchte<br />

dringend Befriedigung. Als wir halb aufeinander lagen, und ich deine Haut<br />

spürte wollte ich dich, wollte mehr <strong>davon</strong>, wollte alles von dir. <strong>Mein</strong> Körper<br />

wollte dich voll erfahren. Was willst du denn da zwischen Liebe und Sex trennen.<br />

Ich beschreibe keine Bilder und vergleiche dich mit Göttlichem, mein<br />

Empfinden für dich war fast übersinnlich, und so wollte ich dich er fahren. So<br />

habe ich mich allerdings noch nie erlebt. <strong>Mein</strong>st du das wird bei dir immer so<br />

sei?.“ „Selbstverständlich.“ lautete mein knapper Kommentar, der uns lachen<br />

ließ.<br />

Guilias Trennung<br />

<strong>Mein</strong>e Traumnacht war es für mich mit Sonja. Unserem Handeln haftete kaum<br />

etwas Besonderes an, es war das Zusammensein mit Sonja, dass mich die<br />

Nacht fast ekstatisch traumhaft empfinden ließ. Ob es sich häufiger oder als<br />

ständig so entwickeln würde, daran hatte ich nicht gedacht und tat es auch<br />

jetzt nicht, der Augenblick war das Entscheidende. Mit Guilia hatte ich schon<br />

ein Problem. Die eine Nacht hätte ich verschweigen können, aber ich hatte<br />

nicht nur mal mit Sonja geschlafen, sie war ja meine über alles geliebte Freundin.<br />

Zu lösen oder zu beenden gab es da <strong>nichts</strong>. Ich wollte Guilia nicht verlieren<br />

und konnte es ihr auch nicht antun. Unsere Liebe war doch nicht beendet,<br />

da hatte sich doch <strong>nichts</strong> verändert, nur ich lebte mit meinen Erwartungen,<br />

Vorstellungen und Träumen mittlerweile in einer anderen Welt. Der Geliebte<br />

von Guilia zu sein, das reichte mir allein zum Leben nicht mehr aus. Irgendwann<br />

würde ich es Guilia sagen müssen, nur wann und was und wie, daran<br />

mochte ich nicht denken. Selbst wenn Guilia mich verstehen würde, hätte es<br />

aller Voraussicht nach das Ende unserer Beziehung bedeutet. „Eric, ich kann da<br />

nur banales allgemeines Gewäsch zu ablassen. Ich kenne Guilia nicht, eure Beziehung<br />

nicht und kann dir auch nicht so tief ins Seelchen schauen, dass ich<br />

wüsste, was es mit dir anstellen würde. Dass du <strong>nichts</strong> mehr auf dem Klavier<br />

vorgespielt bekommst, wirst du verwinden, aber du solltest dir Gedanken darüber<br />

machen, was mit Guilia wird, wie sie reagieren könnte. Da sind ja Menschen<br />

in der Lage, das Entsetzlichste zu tun.“ meinte Sonja, als ich mit ihr darüber<br />

sprach. Vor Weihnachten konnte ich es Guilia nicht sagen. Ich litt darunter,<br />

dass ich es mir für Mitte Januar vorgenommen hatte. Ich hatte mir zwar al-<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 28 von 31


les genau überlegt, stotterte und verhaspelte mich aber entsetzlich. Als Sonjas<br />

Name zum ersten mal gefallen war, übernahm Guilia die Regie und fragte mich.<br />

Sie habe es sich schon gedacht. Ich sei nicht bei ihr gewesen, darüber habe ich<br />

nicht hinwegtäuschen können. „Es ist nicht wahr, wenn du sagst, das sich an<br />

unserer Liebe <strong>nichts</strong> geändert hat. Mag sein, dass du mich noch genauso gern<br />

leiden magst, aber unsere Liebe hat nicht mehr den Stellenwert für dich, den<br />

sie hatte. Ich glaube, zu verstehen was du sagst und meinst, nur ich bin keinesfalls<br />

mehr das Zentrum in deinem Leben, und nur jemand, der dir gut ist,<br />

zu sein, das reicht mir nicht. So kann ich nicht leben. Du wirst dein Leben führen,<br />

aber ohne mich in der von dir zugewiesenen Position.“ erklärte Guilia. Sie<br />

hatte mich schon verstanden. Um Sonja, als andere Frau, ging es ihr gar nicht.<br />

Sie hatte auch mit keinem Wort Trauer über den Bruch unser Beziehung geäußert.<br />

Mit Guilias Eltern hatte ich vorher gesprochen, sie meinten jetzt, das Guilia<br />

es schon länger geahnt hätte. Die Promotion habe aus mir einen anderen<br />

Menschen gemacht, hätte Guilia gesagt. Ich wollte unbedingt mit Guilia in Kontakt<br />

bleiben, ihr schien es unbedeutend. Offensichtlich wollte sie jetzt ein neues<br />

Leben beginnen.<br />

Was soll ich tun?<br />

„Sonja, ich werde viel mehr darunter leiden als Guilia. Sie hat mir gekündigt in<br />

ihrem Herzen und in ihrer Wohnung. Sie will mich nicht mehr, kannst du dir<br />

das vorstellen. Guilia, ich liebe sie doch. Wie kann meine Guilia mir das antun?<br />

Sie weiß doch, wie weh sie mir damit tut, und es macht ihr <strong>nichts</strong> aus. Unsere<br />

Liebe war doch kein Kinderspiel, sie war doch unser Leben. Da kann sie doch<br />

nicht einfach sagen: „Ich will es jetzt nicht mehr.“. Es war doch keine Episode,<br />

wir waren uns doch gegenseitig das Wertvollste. Wir wohnten einer in des anderen<br />

Herz. Wie kann ein Mensch, und ausgerechnet Julia sagen, ich will es<br />

nicht mehr?“ lautete ein Teil meiner Jeremiade an Sonja. „Was soll ich jetzt<br />

tun? Dich tröstend an die Mutterbrust drücken, oder kannst du es ertragen,<br />

wenn ich dir etwas dazu sage. Die guten Leute erkennt man daran, dass sie<br />

zuhören und man ihnen etwas sagen kann, hat Brecht gemeint, und dazu gehörst<br />

du doch auch, mein Liebster, nicht wahr? Ich kann Guilia sehr gut verstehen,<br />

ich hätte dich wahrscheinlich schon viel früher rausgeworfen. Sie war<br />

nicht mehr dein Leben und dein Teddybär wollte ich auch nicht sein. Aber ich<br />

kann dich auch verstehen. Wann hättest du ihr denn sagen sollen: „Ab jetzt<br />

schlägt mein Herz anderswo.“? Genau wusstest du es wahrscheinlich selber<br />

nicht. Ich sehe es so, dass es auf denkbar erträgliche und vernünftige Weise<br />

für euch beide gelaufen ist. Natürlich hast du sie verloren, das schmerzt und<br />

lässt dich traurig sein, aber da wirst du nicht dran vorbei können.“ erklärt Sonja.<br />

„Ich glaube, jetzt müsstest du mich doch mal an deine Mutterbrust<br />

drücken. Das vermittelt mir ein Gefühl von Geborgenheit und lässt mich die<br />

Heimat meiner Seele spüren.“ erklärte ich scherzend. „Mag ja sein, dass deine<br />

Seele an meiner Brust ein Zuhause findet, aber wo wird sich denn das physikalische<br />

Zuhause für deinen gesamten Körper und seine Utensilien befinden?“<br />

fragte Sonja. „Das ist es ja. In meiner misslichen Lage werde ich mich auch<br />

noch mit Wohnungssuche und Umzug quälen müssen. Ich weiß bislang über-<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 29 von 31


haupt <strong>nichts</strong>, Sonja.“ antwortete ich ihr. Sonja überlegte, lächelte mich zwischendurch<br />

an und überlegte wieder. „Eric, ich weiß im Grunde nicht, ob ich es<br />

auch wirklich will. Die Vorstellung, dass wir wieder eine Nacht zusammen verbrächten,<br />

gefällt mir außerordentlich gut, aber darum allein geht es ja nicht. Es<br />

ist doch etwas anderes und käme vieles hinzu, wenn du ständig bei uns wohnen<br />

würdest. Ich habe gerade zum ersten mal daran gedacht. Es hat so viele<br />

gegensätzliche Aspekte. Ich möchte liebend gern, die Tage und Nächte mit dir<br />

verbringen, aber ich will meine Selbständigkeit nicht verlieren. Ob ich es jetzt<br />

direkt schon entscheiden sollte? Würdest du denn überhaupt mit mir zusammen<br />

wohnen wollen?“ fragte Sonja. „Mich verwirrt es auch absolut. Ich bin so<br />

überrascht, kann im Moment gar <strong>nichts</strong> sagen. Alles dreht sich in meinem Kopf.<br />

Einfach nein sagen möchte ich keinesfalls, aber wie sähe mein Leben dann aus.<br />

Ich möchte nicht nur mein Glück von heute und morgen sehen, wie wird ein<br />

Tag in drei Jahren aussehen. Werden wir das können? Sollen wir nicht zunächst<br />

mal etwas essen gehen, vielleicht können wir es mit gefüllten Bäuchen gemütvoller<br />

überschauen und auch die Perspektive besser erkennen können.“ lautete<br />

mein Vorschlag. Beim Essen diskutierten wir weiter, allerdings sehr lustig, teils<br />

leicht albern und selbstverständlich von der Voraussetzung ausgehend, dass<br />

ich bei Sonja wohnen würde.<br />

Komm zu mir, Eric<br />

Nach dem Essen erklärte Sonja: „Eric, ich habe nie mehr daran gedacht, das<br />

wir zusammen wohnen könnten, aber vor längerer Zeit, als ich gesagt habe,<br />

dass wir uns gut verstehen würden, dachte ich daran, dass wir gut miteinander<br />

auskämen, wenn wir zusammenlebten. Es war damals nur eine Impression<br />

ohne jeglichen Konkretisierungsgedanken. Jetzt ist es konkret und ich hätte es<br />

beinahe vergessen. <strong>Mein</strong>e Zukunft sah nicht so aus, dass ich wieder mit einem<br />

Mann zusammenleben würde oder wollte. Jetzt gestaltet es sich ein wenig anders.<br />

Es geht ja nicht um einen abstrakten Mann, es geht ja um dich. Komm zu<br />

mir, Eric, wir werden beide glücklich sein und beileibe nicht nur in der Nacht.<br />

Du bist schon lange nicht mehr derjenige, der an sein fehlendes Sieger-Gen<br />

denkt. Du hast von dieser Konstruktion erzählt, aber zu den guten Leute, von<br />

denen Brecht sagt:<br />

Sie sind in etwas interessiert,<br />

das außer ihnen liegt.<br />

musst du schon vorher gehört haben. Exakt das war deine Reaktion auf meine<br />

Stimme. Brecht hat es antizipiert, er hat dein Verhalten prophetisch verkündet.<br />

Ich bin es, die diesen guten Menschen liebt und nicht nur seiner Seele ein Zuhause<br />

geben darf.“<br />

FIN<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 30 von 31


Helena: So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?<br />

Faust: Das ist gar leicht, es muß von Herzen gehn. Und wenn die<br />

Brust von Sehnsucht überfließt,<br />

Man sieht sich um und fragt –<br />

Helena: Wer mitgenießt.<br />

Johann Wolfgang von Goethe, Faust II<br />

Ich konnte noch träumen. Das war doch auch etwas Schönes.<br />

Natürlich musste ich mich sofort näher erkundigen. Sonja hieß sie,<br />

war verheiratet und hatte ein Kind, dass sie nach ihrem Examen<br />

bekommen hatte. Wenn sie es als Historikerin geschafft hatte, im<br />

Wissenschaftsbetrieb zu bleiben, musste sie schon einiges<br />

vorzuweisen haben. Ihre Dissertation wollte ich mir mal ansehen.<br />

Jetzt schrieb sie an ihrer Habilitation, wollte also Professorin<br />

werden. Entsetzlich, warum musste diese Frau für mich so<br />

unerreichbar sein? Wenn sie wüsste, wie glücklich sie mich machen<br />

würde, dachte ich und musste über meine eigene Idiotie lachen.<br />

<strong>Mein</strong>e liebe Guilia, ich habe dich so lieb, aber jetzt muss ich einfach<br />

an Sonja denken. In meinen Gedanken bewegte sich Frau Dr.<br />

Lenhardt nur noch als Sonja. Natürlich war es völlig abstrus, an<br />

irgendeine Art von Beziehung zu denken, es war nur einfach ein<br />

Genuss, sie jede Woche zu hören. Im Laufe des Semesters hatte ich<br />

Sonja doch noch näher kennengelernt. Wir redeten uns sogar mit<br />

Vornamen an, aber plötzlich war sie verschwunden. Hatte sich wohl<br />

anderswo auf einen Lehrstuhl beworben. Auch wenn sie nicht mehr<br />

da war und ich sie voraussichtlich nie wiedersehen würde, aus<br />

meiner Gedanken- und Traumwelt würden die Bilder und Visionen<br />

von Sonja nie wieder verschwinden. Ob Eric Sonja doch wiedertraf<br />

und was sich daraus entwickelte, erzählt die Geschichte.<br />

<strong>Mein</strong> <strong>Bewusstsein</strong> <strong>versteht</strong> <strong>davon</strong> <strong>nichts</strong> – Seite 31 von 31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!