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Móla Husarentochter

Keinesfalls wollte Móla sich verlieben oder Dergleichen. Das hatte sie Lukas direkt klar gemacht. Sie verstanden sich aber ausgezeichnet und Móla hatte Lukas im Scherz zum Geliebten für spezielle Bereiche erklärt, so auch für 'Klang und Gesang'. Bei der Oper konnte der Klang- und Gesang-Geliebte aber nicht kneifen. Mólas Hand hielt er schon, als er sich mit seinem Kopf zu ihr beugte, um sie zu küs­sen, machte Móla große verwirrte Augen, aber Lukas Mimik sagte: „Na, mach schon.“ und Móla machte. Anschließend hielt sie sich die Hand vor den Mund und lachte, streichelte aber doch noch Lukas Wange. „Na, als Verliebte küsst man sich doch.“ erklärte Lukas lapidar sein Verhalten. „Aber doch nicht in der Oper. Und dann wir beiden. Wir sind doch keine ungezogenen Teenager.“ Lukas küsste sie wieder. In der Pause durfte man schon. Lukas hatte es auch verdient, denn Móla war ganz angetan. Zunächst habe sie es sich vorsagen müssen, dass Lukas an sie denke und wünsche, dass sie glücklich sei, und dann sei es einfach so da gewesen. Wie in einem leichten Glücksrausch habe sie alles erlebt. „Ja, wenn du dich geliebt weißt und nimmst gleichzeitig etwas Wundervolles wahr, ich glaube, das ist so ein Gefühl als ob man high ist. Mein Geliebter.“ sagte sie und schenkte Lukas noch einen intensiven Kuss.

Keinesfalls wollte Móla sich verlieben oder Dergleichen. Das hatte sie Lukas direkt klar gemacht. Sie verstanden sich aber ausgezeichnet und Móla hatte Lukas im Scherz zum Geliebten für spezielle Bereiche erklärt, so auch für 'Klang und Gesang'. Bei der Oper konnte der Klang- und Gesang-Geliebte aber nicht kneifen. Mólas Hand hielt er schon, als er sich mit seinem Kopf zu ihr beugte, um sie zu küs­sen, machte Móla große verwirrte Augen, aber Lukas Mimik sagte: „Na, mach schon.“ und Móla machte. Anschließend hielt sie sich die Hand vor den Mund und lachte, streichelte aber doch noch Lukas Wange. „Na, als Verliebte küsst man sich doch.“ erklärte Lukas lapidar sein Verhalten. „Aber doch nicht in der Oper. Und dann wir beiden. Wir sind doch keine ungezogenen Teenager.“ Lukas küsste sie wieder. In der Pause durfte man schon. Lukas hatte es auch verdient, denn Móla war ganz angetan. Zunächst habe sie es sich vorsagen müssen, dass Lukas an sie denke und wünsche, dass sie glücklich sei, und dann sei es einfach so da gewesen. Wie in einem leichten Glücksrausch habe sie alles erlebt. „Ja, wenn du dich geliebt weißt und nimmst gleichzeitig etwas Wundervolles wahr, ich glaube, das ist so ein Gefühl als ob man high ist. Mein Geliebter.“ sagte sie und schenkte Lukas noch einen intensiven Kuss.

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Carmen Sevilla<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong><br />

Erste Liebe im Alter<br />

Erzählung<br />

Je ne connais qu'un devoir, c'est celui d'aimer.<br />

Albert Camus<br />

Keinesfalls wollte Móla sich verlieben oder Dergleichen. Das<br />

hatte sie Lukas direkt klar gemacht. Sie verstanden sich aber<br />

ausgezeichnet und Móla hatte Lukas im Scherz zum Geliebten<br />

für spezielle Bereiche erklärt, so auch für 'Klang und Gesang'.<br />

Bei der Oper konnte der Klang- und Gesang-Geliebte aber nicht<br />

kneifen. Mólas Hand hielt er schon, als er sich mit seinem Kopf<br />

zu ihr beugte, um sie zu küssen, machte Móla große verwirrte<br />

Augen, aber Lukas Mimik sagte: „Na, mach schon.“ und Móla<br />

machte. Anschließend hielt sie sich die Hand vor den Mund und<br />

lachte, streichelte aber doch noch Lukas Wange. „Na, als<br />

Verliebte küsst man sich doch.“ erklärte Lukas lapidar sein<br />

Verhalten. „Aber doch nicht in der Oper. Und dann wir beiden.<br />

Wir sind doch keine ungezogenen Teenager.“ Lukas küsste sie<br />

wieder. In der Pause durfte man schon. Lukas hatte es auch<br />

verdient, denn Móla war ganz angetan. Zunächst habe sie es<br />

sich vorsagen müssen, dass Lukas an sie denke und wünsche,<br />

dass sie glücklich sei, und dann sei es einfach so da gewesen.<br />

Wie in einem leichten Glücksrausch habe sie alles erlebt. „Ja,<br />

wenn du dich geliebt weißt und nimmst gleichzeitig etwas<br />

Wundervolles wahr, ich glaube, das ist so ein Gefühl als ob man<br />

high ist. Mein Geliebter.“ sagte sie und schenkte Lukas noch<br />

einen intensiven Kuss.<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 1 von 51


Móla <strong>Husarentochter</strong>- Inhalt<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>......................................................4<br />

Krankenhaus..................................................................4<br />

Briefwechsel................................................................... 7<br />

Opernbesuch..................................................................9<br />

Abschied....................................................................... 19<br />

Lukas Rückkehr und Liebeseingeständnis.....................20<br />

Neues Leben................................................................. 28<br />

Lukas wieder zum Niederrhein..................................... 36<br />

Neue Heimat für Lukas.................................................39<br />

Neues Bildungsleben....................................................41<br />

Mólas Krankheit............................................................ 46<br />

Genesung.....................................................................48<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 2 von 51


Móla <strong>Husarentochter</strong><br />

Krankenhaus<br />

Ein Ungar ist Móla nicht, auch wenn der Name es vermuten ließe. Móla ist eine<br />

Frau, die in Österreich lebt und auch dort geboren wurde. Den Namen hat sie<br />

ihrem Großvater, den alle immer den Rittmeister nannten, zu verdanken. Dabei<br />

war er Rechtsanwalt in Wien und auch dort geboren. Er wusste nur von ungarischen<br />

Vorfahren. Sein Großvater sei Rittmeister im Husaren-Regiment „Graf<br />

Nádasdy“ Nr. 9 gewesen und darauf war er mächtig stolz, wenn nicht sogar davon<br />

besessen. Ein Husar komme im Ansehen direkt nach dem König. Das ließ<br />

ihn nicht in Ruh. Mit seiner Hungarophilie ging er den Verwandten auf die Nerven.<br />

Einwände, dass es sich um einen Jungennamen handle, ließ er nicht gelten.<br />

Er kenne sich aus, mit dem Accent aigu sei es ein Name für Mädchen. Den<br />

Eltern war es schließlich egal. Móla klang gut, und einen Mädchennamen hatten<br />

sie sowieso nicht überlegt. Sie hatten sich einen Jungen gewünscht, der Richard<br />

heißen sollte. Jetzt hieß Mólas jüngerer Bruder so. Mit ihrem Namen war<br />

sie auch in ihren dreiundsiebzig Jahren noch nie aufgefallen. Keiner hatte sie<br />

darauf angesprochen und erklärt, Móla sei doch ein Name für einen Mann.<br />

Jetzt hatte Móla ihren Mann verloren. Er war dreizehn Jahre älter als sie und<br />

hatte schon seit fünfzehn Jahren ihrer intensiven Hilfe bedurft. Da hatte er seinen<br />

ersten Schlaganfall bekommen. Nach zwei weiteren und diversen anderen<br />

Krankheiten war er jetzt beim Laufen, was er eigentlich kaum konnte, aber immer<br />

wollte, auf dem Flur im Krankenhaus gestürzt und hatte sich den Oberschenkelhalsknochen<br />

gebrochen. Er musste operiert werden, aber die Ärzte<br />

trauten sich nicht, wegen seiner Blutwerte. Nach einer Woche Medikamentation<br />

wurde er dann doch operiert. Erholte sich aber nicht wieder und verstarb vierzehn<br />

Tage später. Móla hatte es erwartet. Eigentlich hatte sie immer damit gerechnet,<br />

dass irgendetwas hinzu kommen würde, und ihr Mann Helmut es nicht<br />

überstünde. Mit entsetzlichen Schmerzen lag er eine ganze Woche im Bett,<br />

ohne sich bewegen zu können. Sprechen konnte er auch kaum, außer einzelnen<br />

Wörtern oder Zweitwortsätzen. Mit Móla funktionierte die Kommunikation<br />

aber hervorragend. Sie sprach außergewöhnlich liebevoll mit ihrem Mann, und<br />

in diesen Momenten schien er seine Schmerzen zu vergessen. Wenn Móla ihn<br />

im Gespräch fütterte, aß er alles auf, was er vorher bei der Schwester abgelehnt<br />

hatte.<br />

Móla kam am Morgen zu ihrem Mann. Blieb bis mittags, kam nachdem sie<br />

selbst gegessen und hin und wieder einiges besorgt hatte zurück und blieb bis<br />

zum Abend. Unterhalten konnte sie sich nur mit dem anderen Mann, der im<br />

gleichen Zimmer lag und sich auch bei einem Sturz den Oberschenkelhals gebrochen<br />

hatte. Mit sechsundsechzig Jahren war er ein wenig jünger. Gleich<br />

nach dem Sturz am späten Abend war er am anderen Morgen operiert worden,<br />

hatte eine Hüftgelenksprothese bekommen und musste am Tag nach der Ope-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 3 von 51


ation gleich wieder laufen.<br />

Sie klärten sich ein wenig über einander auf und stellten fest, dass sie beide<br />

ein Faible für Musik und besonders für Opern hatten. Während Lukas Weimann,<br />

so hieß der andere Patient, von Anna Netrebko schwärmte, bevorzugte Móla<br />

Elīna Garanča. Der ganze Hype um Anna Netrebko sei Móla so zuwider, dass<br />

sie ihr nicht mehr vorurteilsfrei zuhören könne. Lucas Weimann fand Elīna Garanča<br />

auch wundervoll, und sie einigten sich lachend darauf, dass es am<br />

schönsten sei, beide zusammen singen zu hören. Herr Weimann fügte hinzu,<br />

dass es noch wundervoller sei, sie beide zu sehen, nicht nur weil er sie für sehr<br />

schöne Frauen halte, sondern vor allem wegen ihrer Bühnenpräsenz, die sie<br />

verkörperten. Das löste leichte Meinungsverschiedenheiten darüber aus, was<br />

für eine besondere Sängerin vorrangig relevant sei und was weniger. Sie sprachen<br />

über ihre anderen Lieblinge und deckten auch dort große Unterschiede<br />

auf. Lucas Weimann erklärte, dass es ihn heute oft noch tief innerlich erfasse,<br />

wenn er etwas von Maria Callas höre, zum Beispiel das „Regnava nel silenzio“<br />

aus „Lucia di Lammermoor“. Gerade die Lucia di Lammermoor habe Joan<br />

Sutherland, die Móla sowieso für eine wesentlich bessere Sängerin als die Callas<br />

hielt, viel wundervoller und schöner gesungen. Warum man so unterschiedlich<br />

empfand, war Ausgang einer Diskussion, bei der offensichtlich niemand der<br />

beiden Lust daran hatte, sie zu einem Ende zu führen. Móla lachte immer, und<br />

Lukas Weimann schien es zu gefallen, Frau Althaus immer aufs Neue zum Lachen<br />

zu bringen.<br />

Wie konnte Móla in ihrer Lage lachen. Jeden Tag in dieser Sommerhitze zum<br />

Krankenhaus, dort den ganzen Tag Händchen haltend und liebevolle Worte redend<br />

neben ihrem fast stummem Mann am Krankenbett zu hocken, das musste<br />

stressig und langweilig sein. Aber Móla konnte in jeder Situation lachen.<br />

Mólas Sohn kam vorbei, blieb aber nicht lange. Er machte einen leicht gequälten<br />

Eindruck und schien gar nicht zu wissen, was er eigentlich tun sollte. Obwohl<br />

es nicht weit von Wien, seinem Beschäftigungsort, nach Baden war, lag es<br />

doch für seinen Weg nach Hause in genau entgegengesetzter Richtung. Er<br />

wohnte etwa hundert Kilometer nördlich von Wien. Und was sollte er auch öfter<br />

hier? Ein wenig rumstehen und schauen? Die Tochter machte in Italien Urlaub,<br />

als der Vater verunglückte. Móla gab öfter telefonischen Bericht über den augenblicklichen<br />

Stand der Lage. Am Tag bevor Lukas Weimann entlassen wurde,<br />

kam sie zurück und besuchte sofort den Vater. Sie stand nicht ratlos in der Gegend<br />

und schaute, sie streichelte ihn und sprach zu ihm. Nur die kleine Enkelin<br />

schien auch nicht so recht zu wissen, was zu tun sei. Ihr fiel stärker ins Blickfeld,<br />

dass da noch ein anderer Mann mit einem kleinen Laptop am Tisch des<br />

Zimmers saß.<br />

Langsam schlich sie sich immer näher heran. „Das ist ein Apple, nicht wahr?“<br />

erklärte sie halb fragend und klappte gleich den Bildschirm ein wenig nach<br />

vorn, um das Symbol zu sehen. „Der ist gut, nicht? Haben sie da auch Filme<br />

und Musik drauf?“ erkundigte sie sich. Lukas Weimann, der gerade eine E-Mail<br />

schrieb, öffnete iTunes, um es der Kleinen zu zeigen. „Ach so, Brigitta heiße<br />

ich, aber fast alle nennen mich nur Biggi oder Gitta. Was findest du denn bes-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 4 von 51


ser, und wie heißt du. Ach, Entschuldigung, ich meine sie.“ plapperte die Kleine.<br />

„Mein Name ist Lukas Weimann. Das mit dem Du oder Sie ist nicht so wichtig.<br />

Ich finde deinen Namen sehr schön. Brigitta hört sich für mich ein wenig<br />

edel und elegant an, aber vielleicht liegt das auch an dem Roman, den ich mal<br />

gelesen habe und der „Brigitta“ hieß. Ich habe ihn damals sehr gemocht.“ reagierte<br />

Lukas Weimann. Davon wollte Brigitta mehr erfahren, aber gleichzeitig<br />

reizte sie auch, was sie auf dem Mac sah. „Alles nur Opern und Klaviermusik.“<br />

kommentierte sie, was sie sah. „Nein, von Geigen und Cellos ist auch etwas<br />

dabei.“ erwiderte Lukas Weimann lachend. „Ach, ich meine so klassische Musik.“<br />

korrigierte sich Brigitta. „Keineswegs, das hier ist zum Beispiel Rock, aber<br />

da gibt’s auch vieles andere.“ erläuterte Herr Weimann. „Hast du denn auch<br />

Pornos drauf? Männer haben doch immer Pornos.“ wollte Brigitta wissen. Lukas<br />

Weimann grinste: „Ja, in der Tat, einen habe ich auch drauf. Das sollte angeblich<br />

etwas Besonderes sein. Auch für Frauen und so, verstehst du? Völlig anders<br />

als das andere, was es so gibt. Ist zwar ein bisschen edler alles, aber<br />

mehr auch nicht, finde ich. Ich werd ihn wieder löschen, anschauen tue ich ihn<br />

mir sowieso nicht mehr.“ „Zeig mal!“ forderte ihn Brigitta auf und Lukas Weimann<br />

zeigte ihr das Icon. Brigitta las, überlegte und meinte: „Alle Ladies tun<br />

es, heißt das doch. Ficken meinen die, nicht wahr?“ „Es ist genug, Brigitta.“ erklärte<br />

Lukas Weiman, „Deine Mami haut mich gleich. Ich habe etwas viel besseres,<br />

womit sich Mädchen in deinem Alter beschäftigen können.“ „Ach so, und<br />

woher willst du wissen, wie alt ich bin?“ fragte sie forsch. „Na, wenn junge Ladies<br />

sich anschicken, junge Frauen werden zu wollen, dann kann man doch ungefähr<br />

abschätzen, in welchem Alter sie sind.“ antwortete Lukas Weimann lächelnd,<br />

und Brigitta zog eine leicht stolz grinsende Schnute, denn mit der Pubertät<br />

war es sicher noch nicht weit fortgeschritten bei ihr. „Schau mal, das hat<br />

die in deinem Alter gesungen und war damit in Frankreich wochenlang in den<br />

Charts.“ sagte Lukas Weimann und öffnete Ilonas „Allo, Allo“. Brigitta machte<br />

große, fragende Augen. „Na ja, der Heintje war mit den sehnsuchtsvollen Rufen<br />

nach seiner Mama bei uns ja auch total beliebt.“ erläuterte Lukas Weimann,<br />

aber das sagte Brigitta nichts. Sie fand den Weimann spannend, auch<br />

wenn er ihr nicht den Porno gezeigt hatte und wollte mehr von ihm wissen. Ja<br />

eine Tochter habe er, die wohne in Berlin und selbstverständlich sei er schon<br />

öfter dort gewesen. „Berlin, da möcht ich auch mal gerne hin.“ reagierte Brigitta,<br />

„Aber nein, erst will ich nach Paris. Und London möcht' ich auch gern, oder<br />

nein New York und San Francisco, oder Sidney und Schanghai und Peking. Ach<br />

ich möchte alles gerne sehen, aber nicht nur die großen Städte, auch wo es<br />

ganz einsam ist. Wo gar keine Menschen wohnen, wo sich der Tiger noch jeden<br />

Tag ein Reh schlachtet, um satt zu werden, aber in Afrika gibt es das ja noch<br />

viel mehr. Ich möchte bei den Kameraleuten auf den Schultern sitzen, wenn sie<br />

das filmen. Ich werde später auch Dokumentarfilmerin werden. Aber eigentlich<br />

ist ja schon alles gezeigt. Nein, es kommt darauf an, wie man es macht, da<br />

kann aus einem Dokumentarfilm ein richtig spannender Spielfilm werden. Ich<br />

habe mal von einer Französin gesehen, die ganz lange mit einem Mädchen im<br />

Himalaja gelebt hat. Die beiden haben sich hinterher richtig lieb gehabt. So etwas<br />

kannst du doch sonst gar nicht zeigen. Zum Geburtstag bekomme ich eine<br />

Kamera. Hast du keine Tips für mich?“ Ein mahnendes „Gitta“ stoppte Brigittas<br />

immer emphatischer, schneller und hastiger werdenden Redefluss. Sie stockte<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 5 von 51


kurz, schaute dann mit überlegen missbilligender Mine Lukas Weimann wie ihren<br />

Verbündeten in der ablehnenden Einstellung zu der unqualifizierten Bemerkung<br />

ihrer Mutter an. Sie unterhielten sich noch über's Filme machen, worauf<br />

man zu achten habe, was man vermeiden solle und was wohl als Thema für<br />

einen ersten Dokumentarfilm einer neuen jungen Filmemacherin in Frage<br />

käme. Lukas Weimann war Brigittas absoluter Partner. Dass sie sich nie wiedersehen<br />

würden, interessierte beide nicht.<br />

Briefwechsel<br />

Móla und Lukas interessierte das schon, und sie fanden es schade. Sie tauschten<br />

ihre Adressen aus und wollten sich gegenseitig schreiben. Lukas war bei<br />

seinem Bruder und seiner Schwägerin zu Besuch, die auch in der Nähe von Baden<br />

wohnten. Dort war er kurz vor seiner beabsichtigten Rückreise gestürzt.<br />

Jetzt musste er noch bis zur Entfernung der Wundklammern und der Abschlussuntersuchung<br />

bleiben. Am zweiten Tag, als er wieder bei sich zu Hause<br />

am Niederrhein war, erhielt er den Totenbrief von Helmut Althaus. Er schreib<br />

Móla einen Brief und legte ihn der Beileidskarte bei. Lange hörte Lukas nichts<br />

von Móla. Seine Operation war fast vergessen, und er lief schon wieder ganz<br />

normal. „Ihr Brief hat mich ein wenig verwundert.“ schrieb Móla. Sie habe<br />

überlegt, ob sie überhaupt nicht oder nur formal reagieren solle. Dann habe sie<br />

sich aber doch für's Schreiben entschieden. Sie möchte gern von Lukas Weimann<br />

erklärt haben, was es mit dem Brief auf sich hätte. Er habe darin zwar<br />

seine Teilnahme an der Trauer zum Ausdruck gebracht, sie aber andererseits<br />

derartig gelobt, dass man es auch für eine Liebeserklärung halten könne. Verwundert<br />

und ein wenig entrüstet erläuterte Lukas Weimann, dass sie alles, was<br />

in dem Brief stehe, auch schon mündlich von ihm im Krankenhaus gehört<br />

habe. Ihr liebevolles Verhalten und ihre aufopferungsvolle Zuwendung seien<br />

eben nicht normal und selbstverständlich. Das würde jeder so bewerten. Sein<br />

Bruder und seine Schwägerin, mit der sie ja nur kurz Kontakt gehabt hätte, sähen<br />

das auch so. Das seinen keine Lobhudeleien oder dümmlichen Anmachversuche.<br />

Sie möge es doch einfach als Anerkennung sehen und akzeptieren, wie<br />

sie es im Krankenhaus ja auch getan habe. „Lieber Lukas Weimann, entschuldigen<br />

sie, es tut mir leid.“ schrieb Móla und fuhr launig fort, „Ich weiß nur noch<br />

gar nicht, wie ich es in mein Ego einbauen soll, dass ich etwas Besonderes bin.<br />

Ob ich mein Verhalten und mein Auftreten ändern sollte? Ob man es mir auch<br />

ansehen müsste und ich vielleicht neue Kleider bräuchte, oder ob ich es mehr<br />

als stille Größe tragen sollte. Aber nein, sie haben schon recht. Ich erinnere<br />

mich genau. Als sie sagten, dass Zeus uns beide ausgewählt haben würde und<br />

nicht Philemon und Baucis, wenn er uns gesehen hätte, habe ich gelacht und<br />

gesagt, wie lange wir schon zusammen wären und großes Glück gehabt hätten.<br />

Worauf sie erklärt haben, dass nicht Glück es bewirken könne, sondern die<br />

Klugheit und das Geschick der beteiligten Personen. Es hat mich damals gefreut.<br />

Und das sollte ich, glaube ich, jetzt auch am besten tun, mich einfach<br />

nur über ihre Komplimente freuen.“ Dann sprach sie über ganz andere Dinge.<br />

Dass sie sich jetzt auch diese Schuhe gekauft habe, obwohl sie im Geschäft bei<br />

der Probe noch äußerst skeptisch gewesen sei. Aber jetzt würde sie sie am<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 6 von 51


liebsten gar nicht mehr ausziehen. Sie wolle schauen ob es auch ein Modell für<br />

die Oper gebe. Es sei eine völlig andere Wahrnehmung der festen Welt, der<br />

harten Wirklichkeit, auf der man sich zu bewegen habe. In diesen Schuhen<br />

tanze sie schwingend darüber. Die Schuhe seien nicht nur angenehm für ihren<br />

Rücken, sondern wirkten sich bestimmt auch belebend und erfrischend auf ihre<br />

Psyche aus. Ob er das bei sich auch so empfinde, wollte sie von Lukas<br />

Weimann wissen.<br />

Der konnte ihre Schuherfahrungen nur bestätigen, wollte aber von Móla den<br />

Geburtstagstermin und die Adresse ihrer Enkelin Brigitta erfahren. Er habe<br />

nämlich ein Buch gefunden, dass seiner Auffassung nach für die angehende<br />

Jungfilmerin ganz hervorragend sei. Wenn sie auch so einen Apple Computer<br />

habe, würde ihr das vieles erleichtern. Da sei eine einfache Filmbearbeitungs<br />

Software fest eingebaut. Móla erkundigte sich näher. Selbstverständlich sollte<br />

ihre Enkelin den von ihr bekommen. Für ihre heiß geliebte Biggi konnte doch<br />

Geld keine Rolle spielen.<br />

Nach Brigittas Geburtstag bekam Lukas einen drei Seiten langen Brief, der begann:<br />

„Lieber Lukas Weimann, dieser Brief ist auf dem Computer geschrieben,<br />

den ich dir zu verdanken habe. Ganz, ganz viele Umarmungen und Küsse dafür<br />

und für das Buch.“ Dann schrieb sie, dass sie jetzt absolut busy sei und eigentlich<br />

gar keine Zeit für die Schule mehr hätte. Sie berichtete ausführlich, was<br />

sie alles mache und was sich alles bei ihr ereigne und dass sie mit ihrer Freundin<br />

ein neues Thema für ihren ersten Film überlegt hätten. Mit Weihnachten<br />

solle er etwas zu tun haben, aber das würde sie Lukas noch genauer mitteilen.<br />

Sie habe schon eine E-Mailadresse und Lukas möge ihr doch antworten, damit<br />

sie seine bekäme. Dann schickten sie sich regelmäßig Mails, etwa einmal in der<br />

Woche. Lukas war froh, wenn er hauptsächlich auf Biggis Mails reagieren konnte.<br />

Was sollte er alter Mann einem jungen Mädchen schon Interessantes von<br />

sich berichten. Biggi sprudelte immer vor Kreativität und Lust, Lukas alles von<br />

sich, ihrem Tagesgeschehen, ihren Aktivitäten und ihren Ideen zu berichten<br />

und ihn in allen Angelegenheiten um seine Stellungnahme zu bitten.<br />

Móla und Lukas schickten sich immer Briefe per Post, weil Móla bislang weder<br />

ein Bedürfnis noch Zeit dazu gehabt habe, sich mit Computer und Internet zu<br />

befassen, und jetzt sei sie zu alt. Sie schrieben sich hauptsächlich etwas zu<br />

kulturellen Ereignissen, Erfahrungen und Einschätzungen, was sie gerade lasen<br />

und welche Ausstellung sie besucht hatten oder besuchen wollten. Gaben sich<br />

Empfehlungen und Hinweise auf Fernsehsendungen und diskutierten darüber.<br />

Biggi berichtete stets emphatisch von ihrem Filmprojekt. Ein Film über Weihnachten<br />

direkt sollte es nicht werden. Weihnachten selbst käme gar nicht darin<br />

vor. Es sollte ein Film über die Freude werden, die man mit Weihnachten verband<br />

und sollte klarmachen, dass es sich dabei um eine sentimentale, kitschige<br />

Ersatzveranstaltung für tatsächliche Freude handle. Das würde aber nie direkt<br />

ausgesprochen, sondern solle durch die Kontraste und Interviews deutlich werden.<br />

Sie hätten alles stehen, es fehle ihnen nur noch eine Abschlusseinstellung.<br />

Sie hätte alles mit Sandra, ihrer Freundin, überlegt. Auch die Idee hätten sie<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 7 von 51


gemeinsam entwickelt. Als sie daran gedacht hätten, etwas über Weihnachten<br />

zu filmen, hätten sie sich gefragt, worüber man sich an Weihnachten denn eigentlich<br />

freue und seien dem weiter nachgegangen. Schiller, und vertont in<br />

Beethovens Neunter, gingen immer davon aus, dass man sich über glückliche<br />

Beziehungen zu anderen Menschen freue, damit hätte der Weihnachtszauber<br />

aber nichts zu tun, sondern sei bestellte, verordnete Freude, die im Grunde gar<br />

keinen wirklichen Anlass habe. Sandra habe auch gesagt, dass sie sich total<br />

freue, wenn ihre Eltern ganz lieb zu einander wären, aber das habe doch mit<br />

Weihnachten nichts zu tun. Zur wirklichen Freude brauche man eben auch<br />

einen tatsächlichen Grund und nicht einen verordneten Anlass wie Weihnachten.<br />

Das sei eine äußerliche, aufgesetzte Scheinfreude. Lukas fiel als Abschlusseinstellung<br />

ein Kindergedicht von Christian Morgenstern über einen verrottenden<br />

Weihnachtsbaum ein, dessen ganze Pracht vergangen ist und gut als<br />

Metapher für für die Vergänglichkeit der Scheinfreude stehen könne. Er habe<br />

ein altes Kinderbuch mit Bildern, und sie könne es sich ja mal anschauen. „Lieber<br />

Lukas, ich habe natürlich zuerst das Gedicht von dem Weihnachtsbäumlein<br />

gesucht, aber dann auch alles andere in einem Rutsch durchgelesen. Dieser<br />

Morgenstern ist ja affengeil. Man müsste das Buch zur Pflichtlektüre für alle Eltern<br />

machen, es ihren Kindern vorzulesen, dann bekämen wir wahrscheinlich<br />

ganz andere Menschen. Das Gedicht mit dem Weihnachtsbaum ist absolut klasse<br />

und passend. Meine Deutschlehrerin soll es vorlesen. Die spricht auch noch<br />

andere Texte. Meine absolute Freundin, weißt du. Sie hat mir auch verraten,<br />

dass sie zweimal mit einem Mann zusammen gelebt hat und jetzt mit einer<br />

Freundin. Ich glaube bei ihr könnte ich auch lesbisch werden, eine unglaublich<br />

nette Frau. Sie hat so eine liebe, warme Altstimme, die ein wenig so klingt, als<br />

ob sie schon mal einen Whiskey oder zwei getrunken hätte. Das klingt natürlich<br />

gut auf dem Film. Alle sind davon überzeugt, dass es etwas Gescheites wird,<br />

was wir machen, und machen ernsthaft mit. Mein Musiklehrer spielt Klavier zu<br />

unserer Umdichtung von Beethovens Liebeslied, das jetzt nicht mehr „Ich liebe<br />

dich so wie du mich.“ sondern „Ich freue mich so wie du dich.“ heißt, und davon<br />

erzählt, dass Gott Weihnachen erhalten möge. Zwei Jungen aus dem<br />

Schulchor singen es in Engelskostümchen. Aber der Morgenstern ist irre. Da<br />

werde ich mich noch weiter drum kümmern.“ Lukas konnte immer nur staunen<br />

über die Agilität, Tiefgründigkeit und intensive Konsequenz dieses zehnjährigen<br />

Mädchens. Weihnachten schrieb sie: „Wir haben alles im Kasten. Einiges müssen<br />

wir noch zusammen pfriemeln. Wir wollten ihn zu Silvester vorführen,<br />

dann kommen Riegers, Sandras Eltern zu uns, aber ob wir das schaffen, weiß<br />

ich noch nicht.“ Es wurde der Sonntag nach Silvester. Niemand hätte geklatscht,<br />

die Eltern hätten ehrfürchtig gestaunt und gar nicht wahrhaben wollen,<br />

dass sie beide es alleine gemacht hätten. Die Kamera sei kein Geschenk,<br />

sie hätte sie sich mit diesem Film schon verdient, habe Mami gemeint. Dass sie<br />

immer Lukas konsultiert habe, hätte sie natürlich nicht verraten. Sie habe<br />

schon eine DVD an ihn abgeschickt.<br />

Opernbesuch<br />

Móla hatte den Film natürlich auch sofort zu sehen bekommen und war begeis-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 8 von 51


tert. Das sei immer so, Biggi sei nicht nur ihre Allerliebste, sondern auch ein<br />

ganz tolles Mädchen. Da könne man sich bei ihr drauf verlassen. Mitte Januar<br />

schrieb sie, dass sie zwei Karten für die Oper reserviert habe. Lukas habe im<br />

Krankenhaus ja gesagt, sie solle ihn doch mal in die Oper einladen. Jetzt habe<br />

sie aus dem Scherz Ernst gemacht. Elīna Garanča singe die Carmen endlich<br />

auch an der Wiener Staatsoper. Ende Februar, Lukas Erscheinen sei Pflicht. „Für<br />

einen Opernbesuch extra nach Wien fliegen?“ überlegte Lukas, aber für Elīna<br />

Garanča, und die Carmen mochte er sowieso besonders gern. Dazu sah er ja<br />

auch Móla wieder. Aber sollte er bei seinem Bruder übernachten, um mit Móla<br />

in die Oper zu gehen? Er bat sie, für ihn ein Hotelzimmer zu reservieren.<br />

„Lieber Herr Weimann, ich lache mich tot. Bei mir im Haus ist so viel Platz,<br />

dass wir uns am Morgen zum Frühstück werden suchen müssen, und sie wollen<br />

in ein Hotel. Ich werde mit ihrer Schwägerin sprechen, damit sie es nicht falsch<br />

versteht. Keine Sorge also. Ich hole sie von Schwechat ab.“ antwortete Móla.<br />

Das erste, was Móla sagte, als sie zu Hause bei ihr mit einem Kaffee saßen,<br />

war eine Frage zum Du oder Sie: „Biggi sagt, dass ihr euch schon fast von Anfang<br />

an duzt, und wir sagen immer noch Herr Weimann und Frau Althaus,<br />

warum eigentlich?“ Lukas Weimann grinste. „Also ab jetzt, du, liebe Móla.“<br />

„Hmhm, und du, lieber Lukas.“ ergänzte Móla, „Wir stoßen darauf mit der Kaffeetasse<br />

an, nicht wahr? Ich möchte gern noch heute Abend Wein trinken. Und<br />

dann jetzt auch schon, das würde mir zuviel. Ich lad' dich zum Abendessen in<br />

ein sehr gemütliches Restaurant ein. Mit dem selber Kochen ist das so, es<br />

macht mir nichts aus, aber mein Hobby ist es nicht gerade. Kochst du gerne?“<br />

Lukas meinte, dass es bei ihm situationsabhängig sei. Alleine habe er auch<br />

nicht viel Lust dazu, aber gemeinsam mit anderen könne es sehr lustig werden.<br />

Ungewohnt war es zu Anfang, und sie schauten sich jedes mal ein wenig<br />

schelmisch an, wenn sie sich einfach Móla oder Lukas nannten, aber bis zum<br />

Abend war es schon selbstverständlich.<br />

„Lukas, du musst mich nicht falsch verstehen.“ erklärte Móla zu Beginn im Restaurant,<br />

„Ich habe nur gedacht, es ist vielleicht besser, wenn ich es zu Anfang<br />

klar sage. Vielleicht ist es ja auch völlig überflüssig. Also, ich meine, wir können<br />

gute Freunde sein. Sind wir ja eigentlich schon, aber darüber hinaus, so<br />

mit Beziehung, das möchte ich nicht. Das habe ich lange und erfüllend in meinem<br />

Leben gehabt. Das ist jetzt abgeschlossen, und eventuell etwas Neues das<br />

will ich nicht mehr, verstehst du?“ Lukas hatte natürlich verstanden, was Móla<br />

sagen wollte, reagierte aber verschmitzt lächelnd: „Na, eine Beziehung hast du<br />

zu dem Kellner auch, aber zu mir willst du keine?“ „Du weist schon, was ich<br />

meine, so zwischen Mann und Frau.“ reagierte Móla. „Das wird sich nicht verhindern<br />

lassen, solange wir beide unterschiedlichen Geschlechtern angehören.“<br />

Lukas noch mal. „Du Blödmann, mit Liebe und so, das weißt du genau.“ antwortete<br />

sie Lukas. „Du bist in Helmut sehr verliebt gewesen, nicht wahr?“ fragte<br />

Lukas. „Gar nicht, ich war nie in meinem Leben mal so richtig verliebt.“ erklärte<br />

Móla. Dann erzählte sie, dass sie zwar von Verliebtsein als Mädchen natürlich<br />

gehört habe, sich aber für sich selbst emotional nichts darunter habe<br />

vorstellen können. Sie habe auf der Schule einen Freund gehabt, weil man<br />

eben jemanden hatte, mit dem man ging. Und den Rolf habe sie als ganz in<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 9 von 51


Ordnung empfunden, auch wenn sie seinen Bergsteigertick nicht ausstehen<br />

konnte. Drei Jahre seien sie miteinander gegangen, aber geküsst hätten sie<br />

sich nicht. Das sei so etwas gewesen, was man, na ja, auch gerade vor der<br />

Hochzeitsnacht schon mal durfte. Von verliebt sein oder gar sexuellen<br />

Bedürfnissen habe sie nichts verspürt. Heute erklärten die Mädchen, das sei<br />

biologisch bedingt, eben der erwachende Sexualtrieb. „Das ist doch<br />

Schwachsinn. Bei mir war der Sexualtrieb auch erwacht, aber wenn heute ein<br />

Mädchen mit vierzehn noch nicht mit einem Jungen im Bett war, dann<br />

empfindet sie sich als Outcast. Das hat doch mit Sexualtrieb nichts zu tun. Die<br />

Bedürfnisse werden doch gesellschaftlich produziert. Wenn du damals gemeint<br />

hättest, mit 14 unbedingt mit einem Jungen schlafen zu müssen, hättest du<br />

dich als absolut daneben empfunden. Solche Bedürfnisse und Vorstellungen<br />

gab es nicht. Das war auch noch im Studium so. Da hatte ich einen anderen<br />

Freund. Den fand ich absolut in Ordnung, aber mit Liebe war da auch nichts.<br />

Ich dachte mit dem würde ich zusammen bleiben. Der würde mein<br />

Lebenspartner. Irgendwann würden wir uns verloben und dann heiraten und<br />

dann eine Familie gründen. Nur dann habe ich auf einer Feier bei uns zu Hause<br />

Helmut kennengelernt, und den fand ich absolut klasse und er mich auch. Und<br />

dann war er so ein richtiger Mann, und was er alles wusste und konnte und wie<br />

freundlich und nett er war. Ich habe ihn absolut bewundert und er mich auch,<br />

aber mit Liebe hatte das auch nichts zu tun. Wir fanden uns beide gegenseitig<br />

toll, und nachdem das mit seiner Freundin geklärt war, ging alles sehr schnell.<br />

Verlobung und Hochzeit und so. Ich wollte ihn schon, weil ich ihn fantastisch<br />

fand, aber was Liebe ist, haben wir erst dann langsam kennengelernt. Wir<br />

gefielen uns beide persönlich immer besser. Toller Mann und kluge hübsche<br />

Frau spielten bald keine Rolle mehr. Die Person des anderen wurde<br />

unverzichtbar, gehörte zu dir. Die Zeit vergeht zu langsam, wenn du darauf<br />

wartest, dass Helmut zurückkommt und so etwas alles, richtig verliebt. Na ja,<br />

so einen Verliebtheitsrausch mit ekstatischen Verzückungen haben wir nicht<br />

gehab, aber hat Liebe nicht immer etwas Rauschhaftes? Auf jeden Fall macht<br />

Liebe süchtig. Ja so ist das mit Helmut bis zum Schluss geblieben. Vielleicht<br />

liegt es auch daran, dass wir es gemeinsam in unserer Beziehung entwickelt<br />

haben. Unsere Liebe war immer unser gemeinsames Werk.“ Ob sie denn das<br />

Empfinden habe, dass ihr etwas fehle ohne diese emphatische<br />

Verliebtheitserfahrung, wollte Lukas wissen. „Nein, warum? Ich bin glücklich<br />

und verliebt gewesen, sehr sehr lange ohne Störung. Wem wird das schon<br />

zuteil. Und du? Bist du oft verliebt gewesen?“ wollte Móla von Lukas wissen.<br />

Jetzt erzählte Lukas, dass er wohl dreimal in seinem Leben richtig verliebt<br />

gewesen sei, aber jedes Mal sei es im Grunde etwas ganz anderes gewesen.<br />

Móla wollte alles detailliert beschrieben haben und Lukas erzählte, als ob er die<br />

Situationen heute wie damals erlebte. Liebe scheint sich sehr tief und fest zu<br />

verwurzeln und nichts davon wird vergessen. Zweiundfünfzig Jahre lag seine<br />

erste, nur kurze Liebe zurück und er wusste noch fast jedes Wort und jede<br />

Handlung. Die zweite war die große verrückte Liebe mit seiner Frau und vier<br />

Jahre später eine Liebe, die er per rationalem Beschluss beendet hatte. Die<br />

Vorwürfe deswegen machte er sich noch heute und geriet bei der Beschreibung<br />

von Barbara immer noch ins Schwärmen. Sein Liebe zu ihr würde<br />

wahrscheinlich nie erlöschen. Móla hatte fasziniert gelauscht und sicher ebenso<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 10 von 51


viel, wenn nicht noch mehr Lukas betrachtet, als den Inhalt seiner Worte zu<br />

beachten. Die beiden unterhielten sich weiter über Liebe und Freundschaft, wie<br />

sie entstehe und was den Unterschied ausmache. „Einer Freundin oder einem<br />

Freund schenkst du partielle Anerkennung für vieles an ihr und ihrem<br />

Verhalten. Das ist für die oder den Betroffenen sehr angenehm und schafft eine<br />

Vertrauensbasis zwischen euch. Es gibt aber auch Bereiche, in denen ihr nicht<br />

konform geht, aber das klammert ihr aus. Ihr fühlt euch wohl in der<br />

Anwesenheit des Anderen. Bei der Liebe ist das aber tiefgehender. Dein<br />

Geliebter liebt dich, deine Person und wünscht sich nichts so sehr, als dich<br />

glücklich zu wissen. Dein Freund sitzt neben dir in der Oper. Du fühlst dich<br />

wohl und hast jemanden, mit dem du in der Pause darüber reden kannst.<br />

Wenn dein Liebhaber für Gesang und den schönen Klang aber neben dir sitzt,<br />

dann wünscht er sich, dass dich jeder Ton glücklich macht, und du weißt es<br />

nicht nur, du empfindest es. Du hörst ganz anders denkst an ihn, ob es ihn<br />

auch erfreut. Ihr könnt nicht nur anschließend über die Oper reden, ihr habt<br />

sie gemeinsam erlebt, sie gehört euch beiden.“ Móla lachte laut auf: „Du<br />

meinst also Liebe gestaltet sich als besondere Form der Kommunikation? Mein<br />

Liebhaber und ich mit ihm, wir kommunizieren anders miteinander?“ „Ja,<br />

genau.“ antwortete Lukas, „Mit einem Freund kannst du dich zusammen am<br />

angenehmen Geschmack erfreuen, mit einem Geliebten kannst du das Glück<br />

des Genusses gleichzeitig erleben. Er wünscht dir, dass du dich daran erfreuen<br />

mögest, du weißt es und schmeckst viel deutlicher und intensiver. Ein Freund<br />

wird dir erklären, was ihm an dem gemeinsam getrunkenen Wein besonders<br />

gut mundet, ein Geliebter wird mit dir das Erlebnis des Weingenusses teilen. Er<br />

denkt nicht daran, ob er nach irgendwelchen Früchten oder Nüssen oder<br />

sonstigen Kriterien der Dégoustateurs schmeckt, er fragt, wie man ihn erlebt,<br />

welche Assoziationen er hervorruft bei sich und auch bei dir. Du weißt es,<br />

spürst es und siehst etwas, das dir sonst wahrscheinlich verborgen geblieben<br />

wäre. Mit der Zuneigung des Geliebten genossene Speisen und Getränke<br />

erweitern dein geschmackliches Wahrnehmen. Ein Geliebter ist mit dir, ein<br />

Freund neben dir.“ Móla lachte wieder heftig, meinte aber: „Ja, ja, so ganz<br />

unrecht magst du ja nicht haben. Warum hätte Helmut sonst mit mir all das<br />

gegessen, was er vorher abgelehnt hatte. Da muss schon Liebe im Spiel sein,<br />

auch beim Geschmack. Also morgen gehen wir ja in die Oper, da essen wir<br />

anschließend bei mir zu Hause nur eine Kleinigkeit, aber übermorgen da würde<br />

ich gern mit dir zusammen etwas kochen, und da kannst du ja dann mein<br />

Liebhaber für besonderen Genuss von Speisen und Getränken sein, wenn du<br />

möchtest.“ Und Móla lachte wieder. „Und morgen Abend, in der Oper? Legst du<br />

da keinen Wert auf ein besonderes musikalisches Erlebnis?“ fragte Lukas mit<br />

leicht schelmischen Grinsen. „Also gut,“ reagierte Móla „für Gesang- und<br />

Klang-Genuss werde ich dich auch zu meinem Liebhaber ernennen.“ Móla<br />

erkundigte sich nach der Uhrzeit. Als sie hörte, dass es viertel nach Zwölf sei,<br />

sperrte sie Mund und Augen auf. „Sonst muss ich spätestens um halb Elf<br />

unbedingt schlafen. „Wo ich auch bin und was ich auch tue, da fallen mir<br />

einfach die Augen zu, na so was.“ erklärte Móla und schüttelte verständnislos<br />

den Kopf.<br />

Um zehn wollte man frühstücken, weil's ja so spät geworden war. Móla musste<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 11 von 51


schon vorher fleißig gewesen sein, als Lukas in die Küche kam. Er konnte gar<br />

nicht so schnell erfassen, was er alles auf dem Tisch sah. Würstchen neben<br />

Spiegeleiern und Baguette und gebackenen Bohnen, Käse und Quark und eine<br />

Siebkaffeekanne fielen ihm ins Auge. Móla fragte nach allem, ob er dies oder<br />

lieber jenes möge, aber mit Baguette müsse er schon vorlieb nehmen, sonst<br />

habe sie nur noch Vollkornbrot im Schrank. Móla genoss ein Mix aus englischem<br />

und französischem Frühstück. Lukas erstaunter Gesichtsausdruck veranlasste<br />

sie zu der Erklärung: „Frühstücken wie ein König, wer was zu Mittag<br />

bekommt habe ich vergessen, aber Abendessen wie ein Bettelmann, hat mein<br />

Papa gesagt.“ Sie lachte und fügte hinzu: „Die Königinnen und Bettelweiber<br />

haben wahrscheinlich gar nix gekriegt. Aber wie möchtest du denn eigentlich<br />

den Kaffee? So einen Café au lait möchtest du wahrscheinlich nicht, oder?“ Lukas<br />

sagte, dass er bei sich zu Hause immer Espresso trinke. Móla schien Entsetzen<br />

zu befallen, dass sie so etwas nicht zubereiten konnte. Gleich wollten<br />

sie ins Geschäft fahren und eine Espressomaschine besorgen. Nein, es sei nicht<br />

nur für Lukas, ihre Tochter trinke den auch gern. Lukas solle sie beim Kauf beraten.<br />

Die Kaffeemaschinenauswahl fiel schwer. Lukas, nicht Móla. Móla wählte gar<br />

nicht. Sie starrte nur Lukas an, lauschte seinen Expertisen und freute sich. „Ich<br />

höre dir sehr gern zu, Lukas.“ sagte sie nach einer ganzen Weile, „Aber hieltest<br />

du es für überstürzt, wenn wir uns langsam auf eine Entscheidungsfindung zubewegen<br />

würden.“ Lukas lachte, nahm Móla in den Arm und drückte sie. „Also<br />

diese halte ich für eine sehr gute Maschine, die mit Sicherheit vorzüglichen Espresso<br />

zubereiten wird. Nur ist das für den seltenen Gebrauch natürlich viel<br />

Geld. Dann brauchtest du dazu eigentlich noch eine Mühle, aber wenn du sie<br />

nur selten gebrauchst, kannst du auch Vakuum verpackten gemahlenen Espresso<br />

in kleinen Mengen kaufen. „Also machen wir das so. Was soll ich mit einer<br />

billigeren, wenn ich nicht weiß, ob der Kaffee auch schmecken wird.“ reagierte<br />

Móla. Kann der Kauf einer Espressomaschine Gemeinsamkeiten erzeugen?<br />

Für Móla und Lukas schon. Nicht die Maschine, sondern wie sich der gemeinsame<br />

Vorgang des Beratens und Auswählens abgespielt hatte, schien beide<br />

zu erfreuen. „Also, du könntest auch mein Geliebter für den Kauf von Espressomaschinen<br />

sein.“ bot Móla Lukas auf der Heimfahrt an, aber der zeigte<br />

kein Interesse, da der Kauf ja bereits abgeschlossen sei und eine Wiederholung<br />

sobald nicht anstünde. „Was bist du für ein Geliebter?“ feixte Móla, „So wählerisch,<br />

gestern Abend habe ich mich von dir verführen lassen, träumte davon,<br />

wie schön und erfüllend es wohl sein müsse, meine Speisen im Beisein meines<br />

Geliebten für lukullische Genüsse zu verzehren, und was war heute morgen<br />

beim Frühstück? Nichts. Wie immer. Nein das stimmt ja auch nicht. Schöner<br />

war's schon. Als Geliebter musst du dich dabei allerdings noch ein bisschen ins<br />

Zeug legen.“ „Ich dachte, das würde erst ab morgen Abend gelten.“ versuchte<br />

sich Lukas zu entschuldigen. Sie juxten weiter und waren offensichtlich glücklich<br />

mit sich.<br />

Bei der Oper konnte der Klang- und Gesang-Geliebte aber nicht kneifen. Mólas<br />

Hand hielt er schon, als er sich mit seinem Kopf zu ihr beugte, um sie zu küssen,<br />

machte Móla große verwirrte Augen, aber Lukas Mimik sagte: „Na, mach<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 12 von 51


schon.“ und Móla machte. Anschließend hielt sie sich die Hand vor den Mund<br />

und lachte, streichelte aber doch noch Lukas Wange. „Na, als Verliebte küsst<br />

man sich doch.“ erklärte Lukas lapidar sein Verhalten. „Aber doch nicht in der<br />

Oper. Und dann wir beiden. Wir sind doch keine ungezogenen Teenager.“ Lukas<br />

küsste sie wieder. In der Pause durfte man schon. Lukas hatte es auch<br />

verdient, denn Móla war ganz angetan. Zunächst habe sie es sich vorsagen<br />

müssen, dass Lukas an sie denke und wünsche, dass sie glücklich sei, und<br />

dann sei es einfach so da gewesen. Wie in einem leichten Glücksrausch habe<br />

sie alles erlebt. „Ja, wenn du dich geliebt weißt und nimmst gleichzeitig etwas<br />

Wundervolles wahr, ich glaube, das ist so ein Gefühl als ob man high ist. Mein<br />

Geliebter.“ sagte sie und schenkte Lukas noch einen intensiven Kuss.<br />

Als sie nach Hause fuhren, sprach keiner. Lukas wollte die Stille überwinden<br />

und begann von Elīna Garanča zu sprechen. „Nicht jetzt.“ sagte Móla „Wir haben<br />

so lange, so viel und so intensiv gehört, lass uns doch jetzt ein wenig die<br />

Stille genießen. Móla schien jedoch tatsächlich weniger daran gelegen, die Stille<br />

zu genießen, als darüber nachzudenken, was eigentlich in den vergangenen<br />

Stunden geschehen war. In der Tat hatte sie noch nie eine Oper so intensiv erlebt,<br />

so voll erfahren. Wie oft hatte sie die Carmen gehört, von allen möglichen<br />

Leuten, wunderschöne Aufnahmen gab es, auch Elīna Garanča hatte sie sie<br />

schon singen gehört. Aber jetzt hatte sie die Oper voll erfasst, alle Bilder hatte<br />

sie noch vor Augen, die Musik schien noch völlig präsent. Sie hätte alles wie<br />

einen Film vor sich ablaufen lassen können. Als kleines Mädchen hatte sie herausbekommen,<br />

dass sie Gedichte besonders schnell lernen konnte, wenn sie<br />

sich intensiv darauf konzentrierte und sie sich wie einen Film mit rhythmischen<br />

Bildern vorstellte. Jetzt hatte sie die Oper noch intensiver erlebt, in dem sie Lukas<br />

Worten vertraut und sich tatsächlich als geliebt empfunden hatte. Eigentlich<br />

konnte es sich ja nur um Autosuggestion handeln, aber funktioniert hatte<br />

es trotzdem.<br />

Zu Hause angekommen dachte Móla an das Frühstück am Sonntagmorgen und<br />

unter tausend Entschuldigungen teilte sie Lukas mit, dass Biggi und Needle,<br />

also Brigitta und Susanna, ihre andere Enkelin, morgen kommen wollten. Die<br />

träfen sich immer bei ihr. Sie habe Bigge gefragt, ob sie es nicht verschieben<br />

wollten. Sonst kämen sie doch auch immer für's ganze Wochenende. Nein Biggi<br />

wollte unbedingt jetzt. „Und, weißt du, Biggi kann ich grundsätzlich nichts abschlagen.<br />

Wir sind seit ihren ersten Kindertagen unzertrennlich, wir gehören<br />

ganz fest zusammen, Biggi ist wie ein Teil von mir. Heimweh nach zu Hause<br />

kennt sie nicht, aber längere Zeit die Omi nicht sehen, das geht nicht. Susanna,<br />

die sie immer Nana oder Needle nennen, weil sie total schlank ist, hat Biggi<br />

auch schon als kleines Baby liebgewonnen. Und seit Kleinkindtagen treffen sie<br />

sich immer bei mir. Das wollen sie lieber als bei der einen oder anderen zu<br />

Hause. Ja, dass sie nur am Sonntag kommen, ist in der Tat sehr ungewöhnlich.<br />

Wenn es für dich ein verlorener Tag ist, kannst du ja noch ein paar Tage länger<br />

bleiben. Das solltest du sowieso tun.“ schlug Móla vor.<br />

Sie waren um neun Uhr am Bahnhof und mit dem Frühstück musste unbedingt<br />

gewartet werden, obwohl für Biggi immer Cornflakes vorhanden waren und Su-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 13 von 51


sanna Müsli mit viel frischem Obst aßen. „Wieso hast du mir das nicht geschrieben.<br />

Ich bin dir absolut böse, nein eher traurig.“ fuhr Biggi Lukas vor<br />

jeglichem Wort der Begrüßung an. „Klärt das mal unter euch. Wir gehen schon<br />

in die Küche.“ meinte Móla. Lukas dachte nach, legte seine Stirn in Falten und<br />

erklärte: „Brigitta du hast vollkommen Recht. Das ist unmöglich von mir. Ich<br />

habe mir deinen Kopf zerbrochen, und gemeint, es sei besser für dich. Das ist<br />

entmündigend und entwürdigend. Ich schäme mich. Ich habe nur mich<br />

gesehen und nicht an dich gedacht. Ich habe gedacht, es sei wegen der kurzen<br />

Zeit nicht möglich, dass wir uns treffen würden, und da schriebe ich es dir am<br />

besten gar nicht. Entschuldige vielmals. Ich verspreche dir, dass mir so etwas<br />

nie wieder passieren wird.“ Brigitta lächelte und meinte: „Ist schon o. k.“ und<br />

eine Umarmung für Lukas gab es auch noch. Das Frühstück setzte sich aus<br />

einer Mischung von Albernheiten und ernsthaften Gesprächen zusammen. „Er<br />

hat sich entschuligt, sein böses Verhalten eigesehen und bereut und erklärt,<br />

dass es nie wieder vorkommen würde. Soll man ihm da nicht vergeben?“ fragte<br />

Biggi auf die Nachfrage der anderen, ob alles reguliert sei. Nana nickte und<br />

auch Móla signalisierte durch ihre Mimik Zustimmung. „Na ja, so ein Baguette<br />

mit Bohnen, Gurke und Tomate ist ja auch nicht zu verachten.“ meinte Nana,<br />

das sie nach dem Müsli noch verputzte. „Die frisst wie eine Dreschmaschine,<br />

aber dicker wird sie nicht. Na ja, jetzt hat die Space Needle ja wenigstens ihre<br />

Aussichtsplattform bekommen.“ kommentierte Biggi, womit sie Needles<br />

ausgeprägten Brüste meinte, die gewöhnlich zu einem so gertenschlanken<br />

Mädchen nicht passten. Dafür bekam Biggi einen Knuff, aber Needle lachte.<br />

Lukas fragte sie, wie sie sich denn eigentlich am liebsten genannt fühle. „Na ja,<br />

Susanna wäre schon ganz schön, aber das sagt ja keiner. Ich habe mich als<br />

Kind wohl zuerst selbst Nana genannt und seitdem tun das alle. Kennst du die<br />

Nanas von Niki de Saint Phalle? Passen gut zu mir? Nicht wahr? Da passt<br />

Needle schon besser. Mag ich aber auch nicht besonders, sagen sie eben nur<br />

alle. Was willst du da schon machen?“ meinte sie. „Sagen, dass du Susanna<br />

heißt, und dass man dich, bitte, auch so nennen möge. Sag es einfach jedem.<br />

Was ist dabei. Ich werde es jedenfalls ab jetzt tun. Biggi und Móla, warum tut<br />

ihr es nicht?“ reagierte Lukas. Susanna grinste, sie schien sich aber wirklich zu<br />

freuen und erzählte weiter von sich, und das die Treffen mit Biggi bei ihrer Omi<br />

ihre glücklichsten Momente seien. Da fühle sie sich dann richtig zu Hause,<br />

denn ein anderes Zuhause habe sie eigentlich nicht. Obwohl Biggi und Móla<br />

ihre Geschichte ja hinreichend kannten, lauschten sie ihr wieder interessiert<br />

und mitfühlend. „Ja, du hast mir mal gesagt, 'Aber ich brauche doch auch<br />

Liebe' weißt du noch?“ fragte Móla, „Und da habe ich dich so lange gedrückt,<br />

bis du vor Freude geweint hast, und gemerkt hast, wie sehr ich dich liebe. Das<br />

ist heute noch so wie damals. Ich liebe dich Susanna. Du hast jemanden, der<br />

dich liebt. Und dein Daddy liebt dich auch. Das weißt du. Vergiss das nicht. Ich<br />

verstehe deine Trauer, aber du solltest auch nicht vergessen, dass du geliebt<br />

wirst. Davon kannst du leben. Nicht von deinen Enttäuschungen, die ich sehr<br />

gut nachvollziehen kann. Und dein Verhältnis zu Biggi? Wer hat so etwas denn<br />

schon?“ äußerte sich Móla dazu. Susanna schmilte und schien sich glücklich zu<br />

fühlen. Susanna war ein wenig herber, verschlossener und direkter. „Die Biggi<br />

ist total verknallt in sie.“ meinte sie am Frühstückstisch zu Lukas. Biggi juchzte<br />

auf: „Die Needle ist manchmal absolut gaga, ich meine die Susanna.“ „Na ja,<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 14 von 51


ich glaube, meine Freundin ist Biggi schon, aber Susanna, sag doch Lukas zu<br />

mir. Das klingt doch sonst komisch.“ meinte Lukas und Susanna grinste. „Ich<br />

sollte unbedingt heute kommen und dich anschauen, du wärst absolut<br />

fantastisch und ich müsste dich unbedingt kennenlernen. Hat sie mir gesagt.<br />

Aber ich freu mich ja auch auf das Treffen mit Biggi.“ erklärte Susanna.<br />

Als das Frühstück beendet war, musste Móla verschwinden, denn das Abräumen<br />

machten Biggi, Susanna und Lukas alleine. „Geh Musik hören, oder etwas<br />

lesen, oder mach etwas Schönes, was, du immer schon mal machen wolltest.“<br />

kommentierte es Biggi, und Susanna fügte, als Móla die Küche schon verlassen<br />

hatte hinzu: „Oder mach alles kaputt, oder hau alles kurz und klein oder, oder,<br />

oder.“ Als Lukas fragend schaute, erklärte Biggi: „Nichts, nichts hat das zu bedeuten,<br />

die Needle ist einfach manchmal gaga.“ Als alles erledigt war, meinte<br />

Biggi: „Ihr liebt euch, nicht wahr? Davon hast du mir auch nichts geschrieben.“<br />

Lukas stritt es ab. Sie seien gute Freunde, aber mehr nicht. Ein zweifelnd gekrächztes:<br />

„Aha“ entfuhr Susanna, und Biggi erläuterte: „Ihr schaut euch aber<br />

an wie Verliebte und redet auch so miteinander.“ Lukas erklärte deutlich, dass<br />

sie sich zwar gut leiden möchten, aber eine Liebesbeziehung beide ausdrücklich<br />

nicht wollten. Die beiden akzeptierten es mit skeptischen Minen. „Eure Omi<br />

war noch nie verliebt, und das möchte sie auch jetzt nicht anfangen.“ erklärte<br />

Lukas mehr launisch. Daraus ergab sich eine endlose Diskussion über Liebe,<br />

denn beide wussten ja, dass Helmut und Móla sich sehr geliebt hatten. Lukas<br />

avenzierte zum absoluten Experten in Liebesfragen. Beide waren nicht verliebt,<br />

würden es aber schon gerne sein. Was man denn da machen könne? Solche<br />

und ähnliche Fragen sollte der sechsundsechzigjährige Lukas den Teenymädchen<br />

beantworten. „Also ich kann ja nur sagen, wie ich es selbst erfahren<br />

habe. Du kannst da nichts zu tun, kannst nichts organisieren, es kommt von<br />

selbst oder nicht. Nein, nein, die Mädchen, die mit einem Jungen einen Kaffee<br />

trinken und dann mit ihm ins Bett gehen, das hat mit Liebe nichts zu tun. Sex<br />

und Liebe sind zwei unterschiedliche Sachen. Ohne Liebe gibt es keine längerfristige<br />

Beziehung, aber Sex allein muss letztendlich nichts bewirken.“ meinte<br />

er. Beide waren absolut offen. Susanna hatte schon mal mit einem Jungen,<br />

Biggi noch nicht, war aber auch nicht scharf darauf. Beide fanden es nur absolut<br />

klasse, wie lieb Móla und Helmut sich immer gehabt hätten, so etwas<br />

wünschten sie sich auch, aber die kleinen Jungs seien ja alle viel zu blöd. Es<br />

war schon ein unlösbares Dilemma, das man endlos diskutieren konnte. Für<br />

Biggi war Lukas ein älterer Freund, der grenzenloses Vertrauen genoss. Dem<br />

gegenüber sie so offen war, wie sonst niemandem gegenüber, selbst Móla<br />

nicht. Brigitta hatte sich dieses Bild gemalt. Konkrete Anhaltspunkte oder Anlässe<br />

bot Lukas nicht. Im Grunde war er ja ein relativ Fremder. Vielleicht war<br />

das aber auch gerade ein Vorteil. Lukas würde keine Anforderungen stellen, ihr<br />

nicht sagen, was sie zu tun oder wie sie sich zu verhalten hätte. Bei Lukas hatte<br />

sie vollstes Vertrauen und größte Freiheit. Vielleicht hatte Brigitta sich Lukas<br />

nach ihrem Wunsch gezeichnet und Lukas widersprach dem nicht. Susanna<br />

schien dieses Bild auch zu kennen, denn obwohl sie Lukas erst vor einer Stunde<br />

kennengelernt hatte, verhielt sie sich ihm gegenüber kaum anders als Brigitta.<br />

Beim Abschied fragte sie ein wenig schüchtern, ob Lukas nicht auch ihr<br />

Freund sein wolle. Offensichtlich bedurfte das einer formalen Erklärung. Lukas<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 15 von 51


lächelte, löste ihre Hände, legte seinen Arm um Susannas Hals und gab ihr<br />

einen Kuss. Dass sich die sonst helle Haut ihrer Wangen dabei ein wenig rosa<br />

gefärbt hatte, konnte jeder in ihrem grinsenden Gesicht erkennen.<br />

Móla kam rein. „Ich möchte nichts unterbrechen, aber ihr seid ja schließlich bei<br />

mir, und da möchte ich auch etwas von euch haben. Lasst uns ein wenig essen,<br />

oder?“ fragte sie. „Ach, ich wollte mit Lukas noch ganz viel wegen dem Mac besprechen.<br />

Hör mal, Omi, die Needle braucht so was auch. Das ist doch schließlich<br />

dein Sohn. Der kann seine Tochter doch nicht einfach so verkommen lassen.<br />

Sprich mal ein Wörtchen mit dem.“ forderte Brigitta. „Ihr werdet bestimmt<br />

noch ganz viel über Computer sprechen können. Lukas kommt doch noch mal<br />

wieder. Nicht wahr, mein Süßer.“ reagierte Móla zu Lukas gewandt. Gestern<br />

Abend bei der Oper war er zwar auch schon so genannt worden, aber jetzt verwunderte<br />

es ihn doch leicht und Biggi und Susanna erst recht. Sie schauten<br />

sich bedeutungsvoll an. Mein Süßer zum guten Freund? Wie passte das denn<br />

zusammen.? Sie suchten sich etwas zu essen aus dem Kühlschrank zusammen,<br />

und Biggi entdeckte die Fische, die sie gestern morgen eingekauft hatten.<br />

Sie nahm sie raus und zeigte sie entsetz: „Uha, was sind das denn für<br />

böse Gestalten?“ Susanna kannte sie und Móla meinte Lukas kaufe nach dem<br />

Prinzip: „The ugliest face the best taste.“. Sie habe bislang auch noch nie Dorade<br />

gegessen und wolle sich überraschen lassen. Nach dem Essen musste natürlich<br />

die neue Espressomaschine vorgeführt werden. Beide wollten lieber<br />

Cappuccino, aber das konnte sie ja auch.<br />

„Ich liebe sie ja auch, sehr.“ meinte Móla auf der Rückfahrt, nachdem sie beide<br />

zum Bahnhof gebracht hatten über Susanna, „Aber sie hat kein Zuhause. Mein<br />

Sohn und sie, das klappt sehr gut, aber ihr fehlt etwas. Ihre richtige Mutter hat<br />

sie gar nicht bewusst kennengelernt. Niklas zweite Frau, das war ihre Mami.<br />

Sie haben sich auch sehr geliebt. Dass sie nicht ihre leibliche Mutter war, hat<br />

Nana bald erfahren, aber es hat sie überhaupt nicht interessiert. Die Trennung<br />

der beiden hat sie nicht verkraftet. Ich glaube, bis heute nicht. Wahrscheinlich<br />

ist das auch ein Grund dafür, dass sie mit Niklas jetziger Frau nicht warm wird.<br />

Eine Ziege sei sie, sagt sie.“ Jetzt konnte Lukas einordnen, was er als Gespräch<br />

zwischen Biggi und Susanna aufgeschnappt hatte. „Wer ist das denn? Niemand.<br />

Nichts hat die dir zu sagen, egal wie alt du bist. Was die sagt ist als ob's<br />

die Nachbarin oder Wurstverkäuferin gesagt hätte. Dein Dad, da ist das etwas<br />

anderes, aber die doch nicht.“ hatte Biggi eindringlich erklärt. Jetzt war Lukas<br />

klar, das die Wurstverkäuferin Susannas augenblickliche Stiefmutter war. „Auch<br />

wenn sie weiß, dass ihr sie liebt, das ist sicher sehr viel wert, aber wenn plötzlich<br />

Traurigkeit aufkommt, wird sie dadurch nicht behindert Ja, aber dann<br />

sprich doch mal mit deinem Sohn, dass er Susanna nicht verkommen lässt.“<br />

empfahl Lukas. Móla stutzte kurz. Es fiel ihr ein, und sie lächelte. „Seine Frau<br />

die wird ihm an den Kragen springen. Soviel Geld für einen Computer für das<br />

Kind. Ja, ich habe auch immer gedacht, Lukas hat kein Glück in seinen Beziehungen.<br />

Aber nachdem wie du es gesagt hast, stimmt es, dass er in dieser<br />

Hinsicht immer töricht und ungeschickt gewesen ist. Er scheint nichts davon zu<br />

verstehen und nichts dazu zulernen. Mit seiner jetzigen Frau ist es nicht anders.<br />

Er bewundert sie, aber lieben tut er sie nicht. Ihr Klavierspiel, das liebt<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 16 von 51


er. Ich denke auch heute wissen viele Frauen gar nicht, was das ist, Liebe.<br />

Wenn sie bewundert werden empfinden sie sich als toll. Aber so haben sie's ja<br />

auch gelernt. Die Gier nach Anerkennung, gleichgültig wie tief gehend sie ist<br />

und ob sie tatsächlich ihrer Person gilt.“ Móla dazu. Lukas nahm sich vor, in<br />

seinen zukünftigen Mails an Susanna ihr ein Gefühl von Wärme zu vermitteln.<br />

Zu Hause angekommen, waren Susanna und ihr Schicksal vergessen. Jetzt<br />

wurde das Essen zubereitet. Als Erstes sollte Móla geküsst werden. Verdutzt<br />

erkundigte sie sich lächelnd, ob die Genussliebhaberei denn auch schon für die<br />

Zubereitung gelte, da schmecke man ja noch nichts. Lukas erklärte es zum integralen<br />

Bestandteil des gesamten Projekts und Móla widersprach keineswegs.<br />

Es schien die Formen der Fortsetzung des Einkaufs vom Samstagmorgen anzunehmen<br />

und der hatte einer Steigerung des Espressomaschinenkaufs entsprochen.<br />

Völlig ernste Worte waren kaum gefallen. Für ein leckeres Essen sei es<br />

nicht erforderlich, zu versuchen, Paul Bocuse überbieten zu wollen. Man esse ja<br />

die einfachen Speisen schließlich, weil sie so gut schmeckten. Móla mochte<br />

auch gern Fisch, nur immer wieder Lachs wollte sie nicht. Lukas Empfehlung<br />

für Dorade bot Anlass zu Witzeleien. Móla hatte sie noch nie gegessen,<br />

vertraute aber Lukas. Man konnte sich in immer wieder neuen Formen über die<br />

Schlichtheit des Essens amüsieren, nur ein Zitronensoufflé das musste es geben.<br />

Das konnte Móla sicher, war stolz darauf und mochte es gern. „Am Sonntagabend<br />

frischen Fisch, und dann in Österreich. Na ja, er kommt ja aus dem<br />

Mittelmeer, das ist ja nicht ganz so weit. Aber in der nördlichen Adria werden<br />

sie ihn bestimmt nicht gefangen haben.“ nörgelte Lukas. „Es war dein Wunsch,<br />

Lukull. Das wusstest du auch beim Einkauf schon.“ meinte Móla dazu. „Dann<br />

wirst du ihn auch weich reiten und ihm seinen Houtgout pescatorialis nehmen<br />

müssen, <strong>Husarentochter</strong>.“ reagierte Lukas. Móla bog sich vor Lachen: „<strong>Husarentochter</strong>,<br />

das ist gut. Da ist noch nie einer drauf gekommen. Ja, ja, so etwas<br />

hat mir gefehlt. Ich bin ausschließlich weich, einfühlsam, mitfühlend gewesen,<br />

glaube ich. Ja, mehr von einem Husaren, das hätte ich gebraucht.“ „Und was<br />

hat ein Husar außer einem Pferd?“ erkundigte sich Lukas. „Na, du weißt schon,<br />

so etwas Schneidiges. Nein, schneidig das wollte ich nicht, aber so ein bisschen<br />

mehr Schärfe, so etwas mehr Stringenz, Durchsetzungswillen, verstehst du?“<br />

erläuterte Móla und Lukas fragte nach, ob sie denn öfter das Bedürfnis gehabt<br />

habe, als Frau schärfer sein zu wollen. Das bewirkte eine Drohgebärde mit dem<br />

großen Küchenmesser und der dazugehörigen Mimik.<br />

Obwohl Móla bei der Zubereitung schon die Befürchtung geäußert hatte, dass<br />

sie bei ihrem Vorgehen, wenn überhaupt ein fertiges Mal, dann frühestens ein<br />

Nachtmal zustande bringen würden, war das Essen doch noch weit vor Mitternacht<br />

fertig geworden. Sie saßen am Esstisch, und Lukas sah und sollte sehen,<br />

dass Móla so nicht zufrieden war. Lukas erkundigte sich. „Das passt mir hier<br />

nicht. Das ist zu ungemütlich, hier an dem riesigen Tisch.“ erklärte Móla. „Aber<br />

ihr habt doch immer hier gesessen.“ gab Lukas zu bedenken. „Aber nicht jetzt<br />

für uns beide. Das passt nicht. Denk an die Situation in der Küche und dann<br />

jetzt das Tote hier. Lass uns in der Küche essen, da ist es doch morgens auch<br />

immer ganz gemütlich.“ empfahl Móla. In der Küche? Wo alles beschmiert war<br />

und tausend Pfannen, Töpfe und Schüsseln von ihren aufwendigen Zuberei-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 17 von 51


tungskünsten sich auf der Spüle türmten? Gemütlich sollte es dort sein? Das<br />

Lukas es nicht so empfand, war seiner Mimik zu entnehmen. „Oder am Couchtisch,“<br />

schlug Móla vor, „das geht doch auch.“ „Also die Teilnehmer ein meinen<br />

Gastmählern damals,“ hub Lukas, alias Lukullus, an, „haben meine<br />

Köstlichkeiten liegend verzehrt.“ Lukas hatte seinen Satz noch nicht beendet,<br />

als Móla schon unter Entfaltung höchster Potentiale submissiven Verhaltens<br />

Lukas Wünschen Entsprechung zu verschaffen begann. Die Kissen entfernt,<br />

eine Decke ausgebreitet, alle möglichen Tabletts und große Teller als Unterlage<br />

herangeschafft hatte, und schon lagen die beiden sich gegenüber auf dem Bett<br />

und zwischen ihnen die Speisen. Móla und Lukas schauten sich schon mit<br />

zusammengekniffenen Lippen an und prusteten los. Offensichtlich würde auch<br />

beim Essen selbst die Liebhaberei köstlichen Geschmaksempfindens der Lust<br />

an Fortführung von Albernheiten wie bei der Zubereitung weichen müssen.<br />

Man nahm nicht selbst, sondern teilte dem anderen mit, wovon man jetzt<br />

gerne kosten möchte. Böhnchen oder anderes konnte anstatt mit der Gabel<br />

auch von Mund zu Mund überreicht werden. Dazu wurden die Speisen weiter<br />

nach unten verschoben, sodass man schräg über ihnen mit den Köpfen direkt<br />

zusammen kam. Man fragte sich schon nach dem empfunden Geschmack und<br />

den damit verbundenen Assoziationen. Dann kamen meist kleine Geschichten<br />

zustande. Ernst wurde es dann, und es vermittelte den Eindruck, dass auch die<br />

Albernheiten etwas Tieferes beinhalten könnten, als reine oberflächliche<br />

Spielerei. „Es ist gut, Lukas.“ erklärte Móla ernst, „Wir essen schon lange nicht<br />

mehr.“ als sie gegenseitig mit einer Weintraube zwischen den Lippen spielten.<br />

„Ah, das Soufflé!“ fuhr Móla auf. „Nein, das geht nicht. Probieren müssen wir<br />

es wenigstens, bitte Lukas.“ Warum plötzlich niemand mehr auf die Idee kam,<br />

den anderen füttern zu müssen, und Móla, zwar lächelnd, aber ganz nüchtern<br />

Lukas fragte: „Ist lecker, nicht wahr?“ fragte man nicht, man spürte es. Jetzt<br />

küssten sie sich anders als die vielen Male vorher. Móla wand sich los. Lukas<br />

meinte, ihren Blick zu verstehen, etwas Tieferes von Móla gesehen zu haben,<br />

aber wenn er es in Worte fassen wollte, würde es banal und dümmlich klingen.<br />

Abschied<br />

Lukas flog zwei Tage später als ursprünglich geplant zurück. Was sie zum Abschied<br />

redeten, waren auch wohl ehr dümmliche und banale Floskeln. Nicht<br />

vielleicht, bestimmt hätte man ja etwas anderes sagen können, aber diese<br />

Worte wollten sich nicht formulieren, nicht offen aussprechen lassen. Móla erkundigte<br />

sich, ob Lukas schon einen festen Termin zum Besuch seiner Verwandten<br />

geplant habe, und meinte, dass sie dann aber wenigstens einen ganzen<br />

Tag zusammen verbringen müssten und er nicht nur mal eben auf einen<br />

Espresso und ein Stückchen Kuchen vorbei schauen könne. Als Móla von<br />

Schwechat zurückkam, ließ sie sich am Küchentisch nieder, stützte ihren Kopf<br />

an den Schläfen in beide Hände und starrte zum Fenster. Ein klares Bild der<br />

vergangenen sechs Tage wollte sich nicht zeichnen. Die Farben, die sie verwenden<br />

wollte waren zu falb und viele andere wagte sie nicht anzurühren. Aber Lukas<br />

zu sagen, es sei sehr schön gewesen, das er da gewesen sei, sie habe sich<br />

gefreut, er sei jederzeit gern gesehen und willkommen. Was sollte denn so ein<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 18 von 51


Schwachsinn, aber sie hatte es gesagt. Das kam doch einem Vertrauensbruch<br />

gleich, und hörte sich eher so an, als ob sie das tatsächlich Geschehene verleugnen<br />

wolle. Was für Gedanken würde er sich nur im Flieger machen? Aber<br />

er selbst hatte ja auch Nonsens geredet, als ob er sich von seiner Tante verabschieden<br />

würde. Vielleicht lachte er ja auch nur einfach über ihren Gemüsetalk.<br />

Er wusste ja, dass sie anders für ihn empfand. Trotzdem, einfach so stehen<br />

lassen wollte sie es nicht. Sie holte sich Füller und Briefpapier und schrieb<br />

gleich in der Küche. „Ich sitze allein an unserem gemeinsamen Küchentisch<br />

und schlagartig dringt es mir ins Bewusstsein, welch goldene Tage wir gehabt<br />

haben. Ob ich die Freude wie etwas Selbstverständliches genossen habe? Das<br />

glaube ich auch nicht, denn wie verwundert ich war und nicht selten über mein<br />

eigenes Verhalten gestaunt habe, ist mir schon bewusst gewesen. Warum ich<br />

dir beim Abschied nichts von dem Glück und Wohlgefühl, das ich empfunden<br />

habe, als du hier warst, gesagt habe, oder vielleicht sagen konnte, weiß ich<br />

nicht. Ich weiß nur, dass es nicht nur mein wundervollstes Opernerlebnis und,<br />

na, für das Essen fehlen mir die Worte war, vom ersten Abend bis vorhin habe<br />

ich deinen Besuch genossen. Er war ein prächtiges Erlebnis für uns beide.“<br />

Lukas bestätigte sie. Den Abschied habe er ehe als kleine skurrile Verlegenheitsreaktion<br />

erfahren und belächelt. Er habe ja auch nicht herausgefunden<br />

und ebenso dummes Zeug geredet. Sie gingen wohl davon aus, weiter wie gewohnt<br />

zu korrespondieren. Aber das wirkte oft leicht kurios. Die Basis hatte<br />

sich verändert. Was man gern gesagt, und wie man es formuliert hätte, traute<br />

man sich nicht, auszudrücken. Immer wieder standen die Erlebnisse aus der<br />

Oper, vom Essen, vom Einkaufen aber auch allen sonstigen Erfahrungen und<br />

Gesprächen im Vordergrund, und jetzt sollte Lukas wieder einer guten Bekannten<br />

schreiben, der man mal dies und jenes erzählt? Nicht was er las, war das<br />

Entscheidende, sondern bei allem drängten sich immer wieder Bezüge zu Móla<br />

auf, aber der Frau, deren halbgekauten Fisch er aus ihrem Munde gegessen<br />

hatte, meinte er nicht darüber schreiben zu können. Es durfte ja nicht nach<br />

Liebe klingen. Móla verlieh ihrem Unverständnis deutlichen Ausdruck: „Ich<br />

freue mich natürlich, wenn ein Brief von dir ankommt. Aber wie klingen die<br />

Worte deiner Tinte gegen das was dein Mund, was du mir sagst. Warum musst<br />

du bis zum Sommer warten? Warum müssen dein Bruder und deine Schwägerin<br />

Anlass für unser Wiedersehen sein? Brauchst du einen anderen Grund als<br />

mich? Soll ich dich extra wieder zur Oper einladen? Ich möchte unsere gemeinsamen<br />

Tage nicht wiederholen. Das geht nicht, aber ich bin sicher, dass es sehr<br />

schön werden wird, wenn wir beide uns wiedersehen. Du bist doch völlig frei,<br />

was hindert dich zu kommen, und bleiben kannst du, so lange du möchtest.<br />

Wenn du mir lästig wirst, werde ich dich schon rauswerfen.“<br />

Lukas Rückkehr und Liebeseingeständnis<br />

Lukas kam schon Mitte April. Direkt am Ausgang gab's nur einen flüchtigen<br />

Kuss. „Komm!“ sagte Móla und nahm Lukas an die Hand. Der schleifte seinen<br />

Koffer hinter sich her. In eine kleine Nische neben einem Lokal ging es. Móla<br />

löste Lukas Hand vom Koffer und umschlang seinen Hals. „Das kann man doch<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 19 von 51


nicht direkt vorm Ausgang machen.“ erklärte Móla, als sie sich nach endlos<br />

scheinendem Kuss lösten. „Nochmal?“ schaute sie Lukas grinsend an. Unterwegs<br />

redeten sie gar nicht viel. Erklärten immer nur in anderer Wortwahl, wie<br />

schön es sei, sich wiederzusehen. Dabei war es gerade erst mal sechs Wochen<br />

her, und verschollen war auch keiner der beiden in der Zwischenzeit gewesen.<br />

Mit ihrem Kaffee setzten sie sich jetzt auf die Couch. Móla hatte zwei Teller<br />

vorbereitet, einen mit diversen Nüssen und einen mit Süßigkeiten, von denen<br />

sie wusste, das Lukas sie liebte und einen Windbeutel gab es für beide. Auf<br />

anderen Kuchen legte Lukas ja keinen Wert. Nebeneinander saßen sie auf der<br />

Couch und schauten sich an wie mit einem verschmitzten Siegerlächeln. Móla<br />

streichelte Lukas Wange und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Lukas, das<br />

ist ein wenig sonderbar.“ begann sie, „Ich habe die Tage gezählt, bis du<br />

kommen würdest. Gestern habe ich den ganzen Tag über immer wieder daran<br />

gedacht, dass du heute hier wärest. Vorhin am Flughafen hätte ich dich am<br />

liebsten gleich ganz aufgefressen, und jetzt gefällt es mir, meinen Kopf auf<br />

deine Schulter zu legen. Bei meiner Freundin käme mir all das niemals in den<br />

Sinn.“ Lukas grinste und meinte: „Aber du wolltest es doch nicht, Móla.“ „Ob<br />

ich es will oder nicht, da fragt es mich gar nicht nach. Es ist einfach da. Es<br />

lässt sich nicht vertreiben. Ich würde mich belügen und ich will es ja auch gar<br />

nicht vertreiben. Weißt du, Beziehung, festes Verhältnis, Ehe das ist immer so<br />

ein Apparat, so eine Institution, ein System, in das du eingebunden bist, in<br />

dem Forderungen an dich gestellt werden, in dem es Erwartungshaltungen<br />

gibt. Das will ich alles nicht. Auch jetzt nicht, aber Liebe? Welcher Mensch kann<br />

denn sagen: „Ich will keine Liebe.“. Das ist doch närrisch. Das wusste die<br />

kleine Susanna schon, dass sie die brauchte.“ erklärte Móla dazu. „Ja, ja, Móla,<br />

ich habe ja auch dringend darauf gewartet, dich wiederzusehen, und vom<br />

letzten Mal habe nichts vergessen, aber wir sehen uns zum zweiten Mal nach<br />

dem Krankenhaus. Natürlich, wir haben uns schon sehr viel und sehr<br />

Vertrauliches voneinander erzählt, aber irgendein Empfinden sagt mir, dass<br />

man doch eigentlich mehr Zeit benötigte, sich besser kennenlernen sollte bevor<br />

man sich die große Liebe erklärt. Kommt dir das so denn nicht auch ein wenig<br />

hastig vor. Sollten wir nicht noch ein bisschen damit warten und uns erst mal<br />

ein wenig besser kennenlernen?“ reagierte Lukas darauf. Mólas Mimik sagte:<br />

„Was kannst du nur für einen Schwachsinn reden.“ sie sprach aber: „Schau<br />

mal, mein Liebster, so wie meine Empfindungen mich nicht fragen, ob ich einen<br />

Mann lieben will, ebenso wenig werden sie dich fragen, ob es dir jetzt zeitlich<br />

recht ist. Willst du dich belügen, es verneinen, weil es deiner Ansicht nach<br />

schon zur Unzeit gekommen ist, willst einen Termin ausmachen, ab wann du<br />

die Liebe empfinden darfst? Lass uns gegenüber uns selbst ehrlich sein.<br />

Verliebt in der Oper und verliebt beim Essen, was für ein Unfug. Ich war mir ja<br />

auch nicht ganz schlüssig, habe gedacht es ist ein Spiel, aber nach dem Essen<br />

war es mir sehr deutlich. Das war eine Scène d'Amour, in die wir beide ganz<br />

tief und ernst verwickelt waren. Eigentlich hat es am ersten Abend schon so<br />

begonnen. Was du von der Kommunikation unter Verliebten gesagt hast, haben<br />

wir fast vom ersten Moment an intuitiv so praktiziert, und ich wüsste keinen<br />

Moment, in dem es in diesen sechs Tagen anders gewesen sein sollte.“ „Was<br />

soll ich sagen?“ begann Lukas zu stottern. „Nichts.“ unterbrach ihn Móla, „trink<br />

deinen Espresso aus, der wird ja schon bald kalt.“ Sie ging in die Küche und<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 20 von 51


holte ihm ein neues Tässchen. „Lukas, dass ältere Ehepaare in getrennten<br />

Zimmern schlafen, soll es ja häufiger geben, aber auch wenn du älter bist, ist<br />

doch die Zeit abends beim Einschlafen und morgens beim Wachwerden die<br />

heimelichste und vertrauteste. Und wenn du einen Liebsten hast, fragst du dich<br />

doch, warum er gerade jetzt nicht bei dir ist.“ erklärte sie lächelnd. „Direkt aus<br />

dem Flieger zu dir ins Bett?“ wollte sich Lukas rückversichern. „Na, das klingt<br />

ja. Weißt du, das ist nur weil ich auch dann gern ganz nahe bei dir sein<br />

möchte. Mit Sex und so da spielt sich bei mir sowieso schon ganz lange nichts<br />

mehr ab. Nur schmusen, kuscheln, streicheln und etwas Schönes erzählen.<br />

Nicht dass du etwa auf falsche Gedanken kommst.“ erläuterte Móla<br />

vorbeugend. „Móla, ich kann doch gar nicht mehr, das weißt du doch. Da spielt<br />

sich überhaupt nichts ab. Ich werde immer ganz lieb und friedlich sein.“ Lukas<br />

dazu. Móla wollte noch Detaillierteres zu Lukas Prostatakarzinom wissen und<br />

Lukas erklärte, dass die Testosteronsupression nichts mehr ermögliche. „Die<br />

Libido ist nicht gestört, aber in der Hose kümmert es niemanden.“ erläuterte<br />

Lukas. „Ja, weil alte Männer oft weniger Testosteron produzieren, können sie<br />

dann nicht mehr und bekommen dicke Bäuche, vom Bier kommt das nicht.“<br />

„Und mein Bauchspeck kommt der auch vom Testosteronmangel?“ erkundigte<br />

sich Móla schelmisch. „Ich war nie so groß wie Needle, aber pummelig war ich<br />

nie, und trotzdem kommt das im Alter, ach vergiss es.“ „Und wo sind meine<br />

Muskeln an Bauch und Brust geblieben? Zu Speckpölsterchen sind sie<br />

geworden.“ Lukas darauf. „Na, du kannst dich doch nicht beklagen, du hast<br />

doch noch eine Figur wie ein junger Gott.“ entgegnete Móla und Lukas lachte<br />

laut auf: „Und du bist für mich die junge Göttin, Lukulls Gespielin, oder warst<br />

du da etwa alt?“ „Ja,“ meinte Móla sinnierend, „Liebe schenkt nicht nur Glück.<br />

Liebe ist niemals jung oder alt, glaube ich, sie hat hat immer auch etwas von<br />

jugendlicher Frische und Lust auf Übermütiges, gleichgültig wie alt du selber<br />

bist. Liebe ist immer jung. Empfindest du das nicht auch so? Wie soll ich mir<br />

denn sonst den verspielten sechsunsechzigjährigen Lausbuben erklären, der<br />

immer wieder Lust auf neue Albernheiten hatte?“ Der Lausbub wollte die junge<br />

Göttin immer wieder küssen. Vor allem aber mussten sie sich bei allem stets<br />

berühren. Es konnte kaum etwas gesagt werden, ohne dem oder der anderen<br />

dies auch taktil zu vermitteln. Liebe scheint auch haptisch erfahrbar zu sein.<br />

Beim Essen unterhielten sie sich, was ihnen gut schmecken würde, da an dem<br />

Bestellten auch der Liebhaber für besonderen Geschmacksgenuss nichts verbessern<br />

konnte. „Also Omelett, nein fast alle gebackenen Eierspeisen, auch<br />

Crêpes mag ich sehr gerne. In Holland da gibt es tausend verschiedene Sorten<br />

Pannekoken. Es gibt nichts, was die nicht auf Pfannkuchen backen.“ erklärte<br />

sich Móla. „Ich weiß, das ist ja bei mir nebenan. Ich habe schon einige gegessen.<br />

Aber guten Geschmack hat man in Holland nicht. Ich glaube eher, die machen<br />

das, weil's lustig ist, und essen tun sie sowieso alles.“ Lukas dazu und<br />

Móla lächelte. Man wollte nicht schon beim Essen Wein trinken, denn ein wenig<br />

feiern wollten die beiden ihre eingestandene Liebe und Zuneigung schon, und<br />

Móla meinte, wegen des Alkohols sehr vorsichtig sein zu müssen. Im Keller<br />

konnten sie sich gar nicht entscheiden, denn Lukas kannte sich bei den österreichischen<br />

Weinen überhaupt nicht aus. Sie entschieden sich nach Lukas Empfehlung<br />

für einen Heremitage. Was sollte daran schon falsch sein? Und dazu<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 21 von 51


konnte Lukas auch noch etwas erzählen. Nicht nur dazu. Schräg zueinander<br />

gewandt saßen sie auf auf der Couch und sprudelten wie Kinder. Das eine bot<br />

immer wieder Anlass für die nächste Kuriosität. Alles, was man wusste, schien<br />

man sich jetzt im Moment erzählen zu müssen. „Das ist Brigitta.“ fuhr es Lukas<br />

durch den Kopf. Genauso emphatisch und als ob keine Zeit bestünde, es langsam<br />

zu sagen, sprach Móla, mit dreiundsiebzig Jahren. Lukas sah schon seine<br />

junge Göttin, jung vor Liebe. Erst als sie wieder einen Schluck Wein nahmen,<br />

küssten sie sich, was sie vorher in der Emphase und beim Lachen ganz vergessen<br />

hatten. „Und welche Assoziationen hast du jetzt?“ erkundigte sich Móla als<br />

Lukas den Wein in seinem Mund spielen ließ? „Ja, ja,“ reagierte Lukas, „ob der<br />

Wein zu mir passt, ob er mein Freund ist, oder ob es mit uns nichts werden<br />

kann, ob das Trinken des Weines für mich zum Genuss wird, oder mehr einem<br />

Flüssigkeitsverzehr ähnelt, entscheidet sich für mich nach ganz anderen Kriterien,<br />

als den Geschmaksknospenreizungen, sondern nach den Bildern, die er<br />

mich assoziieren lässt. Der Wein sollte mich freudig stimmen. Ich trinke ihn,<br />

weil ich froh sein will. Dann will ich nicht schmecken, dass das Leben schwer<br />

und voller Lasten ist. Flatterhaft albern soll er er mir aber auch nicht vorkommen,<br />

ernst möchte ich ihn schon haben. Er soll nicht den Eindruck erwecken,<br />

dass er alle Arbeit, die man im Boden, bei der Lese und Reife mit ihm gehabt<br />

hat, scherzhaft übertüncht. Vor allem aber will ich spüren, dass er lebt, lebendig<br />

ist, ein gewachsenes Wesen der Natur, das mit mir kommuniziert, das mich<br />

spüren lässt, ich habe dir etwas zu sagen, und zwar mehr als dass ich nach<br />

Himbeere, Kirsche oder Holunder schmecken könnte. Sein Geschmack sollte<br />

mir Anregungen vermitteln, aber keine dominanten Befehle. Dass seine vielfältigen<br />

Aspekte miteinander harmonisieren, ein gemeinsames Klangbild hervorrufen<br />

ist die besondere Auszeichnung des Weines, nicht der mir gut schmeckt,<br />

sondern den ich mag, weil er mich zu lieben scheint, weil er spürt, wodurch er<br />

mich glücklich macht. Wenn ein Wein für mich zum Genuss wird, ist er mehr<br />

als ein Getränk, er verkörpert etwas Lebendiges, das Anteil hat am Gesprächsverlauf<br />

oder dem Wesen glücklicher Stunden.“ Móla war ganz still geworden.<br />

„Und hat der Heremitage Anteil am Wesen unserer glücklichen Stunden?“ fragte<br />

sie ein wenig fast andächtig leise. „Ich mag ihn gut leiden, für mich kann er<br />

gut unser Glück segnen. Unser Glück hat ja bis jetzt schon viele unvergessliche<br />

Momente, besonders als es schon im uns selbst Verbotenen wuchs, aber zum<br />

jetzigen Moment sollten wir auch den Geschmack dieses Weines hinzu nehmen.“<br />

antwortete Lukas. Móla probierte wieder. Hielt den Wein sehr lange im<br />

Mund und schaute sinnierend ins Zimmer. Sie lächelte. „Auf was für Ideen du<br />

kommst. Aber wenn du es gesagt hast, kann ich es wirklich so nachempfinden,<br />

schön. Sei doch, bitte, in anderen Angelegenheiten auch ein so wundervoller<br />

Liebhaber, wie beim Geschmack. Aber das bist du auch, glaube ich. Du lässt es<br />

mich spüren, verbalisierst es nur nicht immer.“ meinte sie. Der Wein musste<br />

jetzt öfter probiert werden. Auch die zweite Flasche noch, bis Móla erklärte:<br />

„Das geht nicht mehr. Ich bin völlig betüttelt. Ich muss ins Bett.“ Der Heremitage<br />

würde aber sicher für immer ein Signum ihrer Liebe bleiben.<br />

„Diese alten Schlafanzüge. Ich hasse sie.“ erklärte Lukas als sie zu Bett gehen<br />

wollten. „Und? Neuere hast du nicht?“ erkundigte sich Móla. „Nein, ich ziehe<br />

doch nie welche an, ich schlafe doch immer so.“ antwortete Lukas. „Und<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 22 von 51


warum willst du es hier dann nicht? Hast du Angst, dass ich mich erschrecken<br />

könnte?“ scherzte Mòla. „Und die Unterhose, lässt du die zu Hause auch immer<br />

an?“ fragte Móla als Lukas sich mit Slip ins Bett legen wollte. Lukas zog sie aus<br />

und Móla lachte sich halb tot. „Wovor schämst du dich denn, mein Süßer? Vor<br />

mir?“ fragte sie lachend. „Ja, das ist alles ganz klein geworden, wegen der Medikamente.“<br />

antwortete Lukas nicht ganz ernst. „Zeig mal!“ reagierte Móla. „Du<br />

spinnst ja. Da wäre mancher Mann froh, wenn er so etwas hätte. Du bist verrückt.<br />

Wenn's um ihren Schwanz geht, sind Männer alle grundsätzlich verrückt.“<br />

kommentierte es Móla. Lukas bestätigte sie. Er habe gedacht es würde<br />

ihm nichts ausmachen, und dann sei er doch in eine Krise geraten. „Aber was<br />

soll das, alles was du hast, alles was du liebst, was dir wertvoll ist, hat mit deinem<br />

Penis überhaupt nichts zu tun. Du bist ein absoluter Idiot.“ erklärte er.<br />

Mittlerweile habe er auch überhaupt keine Probleme mehr deswegen. Was<br />

habe ihre Liebe und ihre Entstehung zum Beispiel mit seinen Genitalien zu tun.<br />

Pervers seien Männer in dieser Hinsicht, und das sitze bei jedem wahrscheinlich<br />

ganz tief. Móla streichelte ihn, kam ganz nah und schmiegte sich an Lukas.<br />

„Ich habe das Nachtemd auch an, weil ich mich sonst vor dir schämen würde.<br />

Nein Unfug, obwohl ich dich durch meinen Körper sicher nicht erotisch besonders<br />

erregen würde. Aber das geht ja auch nicht, nein da stehe ich mittlerweile<br />

drüber. Die Erscheinungsform meines Körpers interessiert mich nicht mehr. Ich<br />

habe nur, solange ich mich erinnern kann, immer ein Nachthemd getragen. Ein<br />

Nachthemdchen das war schon als kleines Mädchen immer selbstverständlich.<br />

Ich glaube, ohne Nachthemd könnte ich gar nicht schlafen. Zu Bett und Nacht<br />

gehört das Nachthemd einfach dazu. Lukas, ich werde bald wegschlummern,<br />

aber ein wenig muss ich dich noch streicheln. Du bist ja ganz glatt und weich,<br />

hast gar keine Haare. Ich sag' ja, junger Gott.“ verkündete sie. Lukas lag auf<br />

dem Rücken. Móla hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt, lag schräg an<br />

ihm und hatte ihr linkes Bein auf seiner Hüfte platziert. So schlief Lukas gewöhnlich<br />

nicht, aber der Wein und Mólas Wärme würden schon dafür sorgen,<br />

dass er heute auch in dieser Position seinen Schlaf finden würde. „Ist das<br />

schön für dich?“ fragte Móla und meinte ihr Streicheln über die Haut von Lukas<br />

Brustkorb. „Hmhm,“ bestätigte der, „und an deinem Bein, ist das auch schön<br />

für dich?“ „Nö, du bist zu hastig. Gar nicht liebevoll. Überall, wo deine Hand<br />

liegt, musst du daran denken, dass es ein Teil von der Haut deiner Geliebten<br />

ist, die jetzt an dieser Stelle deine Hand spürt und möchte, dass du dir<br />

wünscht, dass es sie glücklich macht. So wie du das im Moment machst, geht<br />

das nicht. So kannst du deine Katze streicheln. Lukas lachte, drehte sich zu<br />

Móla zur Seite und sie drückten sich. Ja, Recht hatte sie. Tumb war er gewesen.<br />

Nie hatte er Móla außer im Gesicht berührt und jetzt hatte er einfach so<br />

ohne irgendwelche Gedanken über ihren Oberschenkel gestreichelt. Er versprach<br />

Móla, derartige Wahrnehmungsmissgeschicke seiner Geliebten zu vermeiden<br />

und erklärte sich bereit alle von ihr erdachten Strafen reumütigst zu<br />

ertragen. Sie alberten und turtelten noch ein wenig miteinander, bis Móla erklärte:<br />

„Lukas, ich bin einfach keine Dreiundzwanzig und kann bedenkenlos<br />

Nächte durchmachen. Schau mein Bauch, mein Po und meine Brüste an, dann<br />

weiß du, dass ich so alt bin, dass ich unbedingt Schlaf brauche.“ Ein letzter<br />

Kuss und Móla hängte ihren Arm auf Lukas rechte Schulter.<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 23 von 51


Es hatte sich eine neue Welt aufgetan, als sie am Abend vor dem Opernbesuch<br />

gemeinsam essen gegangen waren. Sie hatte sich entwickelt und Lukas und<br />

Móla hatten immer wieder Neues entdeckt. Jetzt war es nicht anders. Sich bewusst<br />

seine Liebe einzugestehen, eröffnete ungeahnte Freiheiten. Ham and<br />

Eggs, brauchte Móla das eigentlich unbedingt zum Frühstück? Konnte nicht<br />

auch ein mit gekochtem Ei eingetunktes Baguette vorzüglich munden? Diese<br />

Liebe machte frei. Alles wurde möglich, ließ sich ausprobieren, wozu brauchte<br />

man die Sicherheit des Gewohnten? Die neue Liebe war Sicherheit genug.<br />

Sicherheit für fast alles. „Lukas, wir müssen zu deinen Verwanden. Das ist<br />

unmöglich. Du schreibst ihr E-Mails, und sie denkt, du bist in Deutschland.<br />

Dabei bist du nebenan. Ich kläre das. Wir werden sie besuchen.“ Lukas<br />

Schwägerin wunderte sich zwar ein wenig, das Lukas eigentlich nur Windbeutel<br />

liebte, wusste sie gar nicht. Er hatte sonst immer auch allen anderen Kuchen<br />

brav gegessen, aber junge Liebe offenbare eben auch immer einiges,<br />

versuchte sie zu scherzen. Móla machte das ein wenig böse. Obwohl Lukas<br />

Schwägerin Psychotherapeutin war, versuchte Móla ihr klar zu machen, das es<br />

unterschiedliche Menschenbilder gebe, und sie mit ihrem von den kuriosen<br />

Alten wohl ziemlich daneben liege. Sie sagte es zwar nicht direkt so, aber<br />

Lukas Schwägerin verstand es genau. Respekt hatte sie sich und ihrer Liebe<br />

verschafft, dessen waren Móla und Lukas sich sicher, und das würde sie auch<br />

Lukas Bruder vermitteln. Was die beiden unter Liebe verstanden, und wie sie<br />

damit umgingen, die beiden, die ja auch schon vierzig Jahre verheiratet waren,<br />

wusste Lukas nicht. Er konnte nur die Äußerlichkeiten beschreiben, die so<br />

verschlüsselt waren, dass man ihnen auf keinen Fall etwas entnehmen konnte.“<br />

Lukas und Móla rätselten darüber, warum Menschen so etwas tun. „Sie<br />

schämen sich, weil ihre Liebe nicht so ist, wie sie es sich selbst wünschen.“<br />

lautete Mólas Diktum, und dabei ließ man es bewenden.<br />

Am dritten Abend fragte Móla: „Soll ich mein Nachthemd auch ausziehen?“<br />

„Móla, du fragst mich. Gib es etwas, das mehr in deinem eigenen Entscheidungsfindungsbereich<br />

läge, als so eine Frage.“ reagierte Lukas. Es war ja auch<br />

nur eine rhetorische Frage. „Das ist doch einfach schöner, wenn du meinen<br />

Rücken direkt streichelst als übers Nachthemd, und wenn ich dich vorne mit<br />

meiner Haut spüre. Da könntest du mich ja auch mal ein wenig streicheln, oder<br />

ist das alles zu schlimm?“ „Móla, etwas Schlimmes gibt es nicht. Bei den Frauen<br />

ist das, glaube ich, nicht viel besser als bei den Männern mit ihrem<br />

Schwanz. Ich will nicht die abstrakte Brust einer fünfundzwanzigjährigen<br />

Schönheitskönigin streicheln, ich will dich. Deine Brust das bist du, und das ist<br />

das Endscheidende, du meine Geliebte, deine Brust, meine geliebte Brust. Mit<br />

irgendwelchen abstrakten ästhetische Kriterien hat das doch nichts zu tun. Natürlich<br />

ist der Hintern der Kallipygos schön, aber was ist er gegen deinen Po,<br />

den ich liebe?“ äußerte sich Lukas dazu. Die beiden ergingen sich nicht nur<br />

darin, ihre Lust am gegenseitigen Streicheln zu befriedigen. Man hätte gar<br />

nicht gedacht, das Menschen so unendlich viel Lust daran haben könnten, miteinander<br />

zu reden. Aber es war ja kein Talk der Waschweiber untereinander,<br />

bei der jede nur das Interesse hat, möglichst viel von sich einzubringen und<br />

gar nicht bemerkt, ob die anderen überhaupt zuhören. Das Zuhören, nein das<br />

Zuschauen, war das Entscheidende. Das Textuale war fast überflüssiges Bei-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 24 von 51


werk, der oder die andere war das Interessante, wie er oder sie sich gerierte,<br />

der Klang und die Melodie der Stimme, die Mimik, die Gestik, das war entscheidend.<br />

Wie eine kleine Arie oder auch Rezitativ wurde jeder Beitag der<br />

oder des anderen gesehen. Ihre Gespräche ähnelten kleinen Schauspielen oder<br />

Opern, die sie selbst zu höchster Konzentration veranlassten und die sie als<br />

überaus befriedigend empfanden. Mólas ehemaligen Schlafrhythmen, die sie<br />

um halb elf die Augen schließen ließen, waren Schnee von gestern. Die Liebe<br />

machte nicht nur frei, sie war auch in der Lage, alle unverbrüchlich geglaubten<br />

Gewohnheiten zu missachten.<br />

Alles schien sich zu verändern, neuen Regeln und Gesetzmäßigkeiten folgen zu<br />

müssen. Es war nicht so, dass sich das Alte, Bestehende als schlecht herausgestellt<br />

hätte, es war als ob einfach eine neue Zeit angebrochen sei, die vieles<br />

eben anders wollte. Lukas lag auf dem Bauch und Móla streichelte ihm den<br />

Rücken. Er meinte es sei nicht schlecht, es ein wenig intensiver, so massageähnlich<br />

zu machen. Móla tat es und biss ihm zum Abschluss kräftig in den Po.<br />

Als Lukas auffuhr und nach dem Grund fragte, meinte Móla, sie habe wahrscheinlich<br />

eine sadistische Ader, am liebsten hätte sie ihm auch lange Streifen<br />

auf den Rücken gekratzt, wenn ihre Figernägel dazu lang genug gewesen wären.<br />

Lang anhaltend diskutierten sie vornehmlich scherzhaft darüber, ob es<br />

eine grundlegend angeborene Eigenschaft des Menschen sei, Freude an sadistischem<br />

Verhalten zu empfinden, oder ob es Entsprechung für erlittene Erniedrigung,<br />

Enttäuschung und erfahrene Gewalt sei. „Du meinst also, wenn ich Lust<br />

daran habe, dir in den Hintern zu beißen, dann ist das nichts anderes als ich<br />

früher Lust daran gehabt habe, meiner Mami in die Nase zu beißen. Sie hat es<br />

mir verboten und jetzt habe ich die Freiheit es zu tun.“ verdeutlichte es Móla<br />

und lachte. „Soll ich mir die Freiheit nochmal herausnehmen?“ fragte sie schelmisch,<br />

aber Lukas hatte sich schon längst wieder umgedreht.<br />

Ja, Liebe macht glücklich, jung und kann unendlich frei machen. So empfand<br />

es Móla. Frei empfand sie sich in so vielem. Die alte Móla, ihr Ego, als das sie<br />

sich immer gesehen hatte, erschien ihr plötzlich wie eine jämmerlich verklemmte<br />

alte Tante. Jetzt war sie jemand anders. Wer das war, wusste sie auch<br />

nicht genau, aber die Frau, die immer ihre Ritualien gebraucht hatte, um ihre<br />

Selbstbestätigung zu erfahren, das war sie keinesfalls mehr. Locker, aufgeschlossen<br />

für neue Erkenntnisse, neue Erfahrungen, so wollte sie sich sehen.<br />

Trotzdem, verleugnen, das sie bereits dreiundsiebzig und bald noch ein Jahr älter<br />

sein würde, konnte sie nicht.<br />

Lukas war es gewohnt, im Bett viel zu lesen. Mit Móla war das nicht möglich.<br />

Wenn sie selbst las, fing sie sofort an zu träumen und schlief ein. Lukas las etwas<br />

vor, Móla war entzückt und streichelte ihm den Rücken. Oft hatte sie aber<br />

auch Nachfragen, was ja erwünscht war, nur kam man dann leicht zu allgemeinen<br />

Gesprächen, versicherte sich seiner Liebe und schlief in der für Lukas mittlerweile<br />

gewohnten Umklammerung ein.<br />

Auch Móla wollte massiert werden. Vorne auch, aber am Rücken war es besser.<br />

Oft hatte Lukas es schon gemacht. Vorn durfte er nicht in die Nähe ihres Ve-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 25 von 51


nushügels kommen, dann legte Móla seine Hand höher auf den Bauch, aber<br />

wenn er von hinten ihre Beine und ihren Po massierte, war es kein Sakrileg,<br />

dabei auch mal ihre Vulva zu touchieren. Normaleierweise wurde eine Massage<br />

immer mit einem Klaps suf den Po beendet, weil Móla beim ersten Mal so lustig<br />

und kurios darauf reagiert hatte, jetzt nahm Lukas ihre Vulva in die Hand,<br />

strich mit einem Finger darüber und fuhr mit seinem Finger fort durch Pofurche<br />

über den Rücken bis zum Nacken, als ob er einen langen Aalstrich zeichne.<br />

Móla sagte nichts, sah Lukas nur an, mit einem Blick, den er nicht identifizieren<br />

konnte. „Ich habe alles gemerkt.“ sagte Móla. Aber auch das verstand Lukas<br />

nicht richtig, tat aber so. Natürlich massierten und streichelten sie sich nicht<br />

immer. Im Grunde waren es eher Ausnahmesituationen. Meistens erzählten sie<br />

sich etwas oder Lukas begann etwas vorzulesen. Móla mochte es sehr gern,<br />

wenn Lukas las, nur war sie leider nicht im Stande, ihn längere Passagen<br />

rezitieren zu lassen, ohne ihn durch ihre Interjektionen aus dem Konzept zu<br />

bringen. Anschließend versuchten sie oft sich besondere Formen der<br />

körperlichen Zuneigung zukommen zu lassen, die vornehmlich aus Küssen,<br />

Streicheleien und Massagen bestanden. Jetzt hielt Lukas Mólas Vulva, aber<br />

strich nicht nur darüber hinweg sondern öffnete sie, spielte mit seinen Fingern<br />

an Labien und Klitoris und hörte auf, als ob er Angst bekommen hätte. Ganz<br />

lange sagten sie nichts, dann fragte Móla: „Warum hast du aufgehört?“ „Ich<br />

dachte, du wolltest so etwas nicht.“ Móla sagt nichts, umarmte Lukas einfach,<br />

gab ihm einen Kuss und ließ für die Allgemeinheit verlauten: „Ja, die<br />

Sensibilität.“ Das verstand Lukas nun überhaupt nicht. Er war doch äußerst<br />

sensibel gewesen. Als er bei der nächsten intensiven Massage wieder Mólas<br />

Pobacken massierte und zwischen die Beine an ihre Vulva kam,streichelte<br />

Lukas sie weider. Beim nächsten mal ebenso. Móla sagte nichts. Sie ließ ihre<br />

Augen und Mimik sprechen, bevor sie Lukas umarmte, herzte und küsste. Das<br />

Streicheln nahm an Intensität und Dauer zu. Mólas Gesicht wurde vor Erregung<br />

rot und nach einiger Zeit führten Lukas Aktivitäten dazu, das Móla einen<br />

Orgasmus bekam. Lukas war wohl fast eben so überrascht wie Móla selbst. „Ce<br />

nest pas possible.“ brachte Móla hervor und nach einiger Zeit: „Mir fehlen die<br />

Worte. Ich bin wieder lebendig. Mit dreiundsiebzig das gibt es nicht. Erzähl es,<br />

und alle werden dich auslachen. Es ist eben alles anders, eben alles neu mit<br />

unserer Liebe.“<br />

Am nächsten Morgen schien wirklich alles anders zu sein. Normalerweise war<br />

Móla früher in der Küche, heute kam sie später mit einem sonderbaren Gesicht.<br />

Nicht ganz ausgeschlafen, irgendwie knatschig? Nein das war es nicht.<br />

Sie gab die laszive Schlampe aus der verruchten Vorstadtbar. So gerierte sie<br />

sich und Lukas lächelte. Plötzlich war sein Baguette vom Teller verschwunden,<br />

Móla natürlich, aber die machte ein dummes Gesicht. „Lukas, weißt du, Liebe<br />

macht nicht nur jugendlich, sie kann auch richtig kindisch machen, ich hätt<br />

jetzt Lust an allen möglichen albernen Streichen, je kindischer, umso besser,<br />

das kannst du gar nicht verstehen. Das ist bestimmt noch der post orgamic<br />

bliss. Wie lange ist das denn her, dass ich so etwas erlebt habe?“ erklärte Móla,<br />

„Mir fehlen die Worte und der Glaube. Das kann niemals sein. Das muss etwas<br />

anderes gewesen sein, würde ich sagen, wenn ich es nicht selbst hätte erleben<br />

müssen. Es war auch etwas anderes als früher, nur wie's früher war, weiß ich<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 26 von 51


gar nicht mehr so richtig. Das hat sich alles mit der Lust langsam verflüchtigt.<br />

Aber du hast ja auch nicht direkt Lust auf einen Orgasmus, sondern das, was<br />

sich davor abspielt, und dann willst du es auf einmal, dann muss es unbedingt<br />

sein. Zu Beginn bist du es, dann sehe und spüre ich dich, deine Finger, die<br />

mich streicheln und kitzeln. Dann ist da noch ganz viel Liebe, und ab einem bestimmten<br />

Grad bist du nur noch besoffen. Aber jetzt lass uns doch mit diesem<br />

Orgasmustalk aufhören, nur fassen kann ich's immer noch nicht.“ Lukas wollte<br />

noch etwas dazu sagen, aber Móla legte ihm den Finger auf den Mund. „Nicht<br />

mehr jetzt.“ sagte Móla, „Später mal wieder.“<br />

Neues Leben<br />

Móla war den ganzen Tag nicht sehr gesprächig. Sie gingen spazieren. Die Sonne<br />

schien zwar, aber es war kühl. „Ich liebe diese Frische.“ meinte Móla. Ihr<br />

Gesicht ließ schon erkennen, dass sie etwas Schelmisches sagen würde, „Da<br />

komme ich wenigstens nicht so schnell wieder in Hitze.“ und platzte los. Es<br />

schien sie doch immer wieder zu beschäftigen, dass und wie so etwas hatte<br />

geschehen können. Sie war sich doch absolut sicher, nichts mehr zu empfinden.<br />

Das hatte sie sich doch nicht nur eingeredet. Ja, es war Lukas, und das<br />

Massieren machte ja schon ein gutes Gefühl. Lukas gegenüber war sie absolut<br />

offen. Warum waren ihr nie irgendwelche Abwehremotionen gekommen. Es<br />

war ihr doch klar, wo sich Lukas Finger befanden. Lukas schien alles zu dürfen,<br />

und bei ihm ließ sie sich auf alles ein. Erlebte alles völlig unvoreingenommen<br />

neu. Ja, mit Lukas erfuhr sie sich selber neu.<br />

Am Abend gingen sie wieder zu dem Restaurant, in dem sie am ersten Abend<br />

bei Lukas Opernbesuch gegessen hatten. „Hier hat es schon angefangen und<br />

ich meine auch, sich gleich entschieden. Das Wort Liebe hat mir mein Unbewusstes<br />

nicht gesagt, weil mein Bewusstsein so etwas nicht hören wollte, aber<br />

vorhanden war es bestimmt. Gemocht hatten wir uns ja schon im Krankenhaus,<br />

dann hatten wir uns mehrfach geschrieben, und als du kamst, am Nachmittag,<br />

war es ein wenig spannend, kribbelig, und abends war es emotional<br />

faszinierend, wundervoll. Da war unser Umgang miteinander schon wie selbstverständlich<br />

völlig offen, vertraut und ehrlich. Nur uns selbst gegenüber durften<br />

wir es nicht sein. Was war das Essen auf dem Bett denn anders als eine<br />

kleine Orgie im Verliebtheitsrausch, nur wir durften es nicht erkennen, beziehungsweise<br />

mussten uns belügen. Verfährst du sonst auch häufig nach der Devise,<br />

dass nicht sein kann, was nicht sein darf?“ wollte Móla von Lukas wissen.<br />

Lukas lachte auf. „Ich bin mir eigentlich sehr sicher, dass ich es nicht war, der<br />

erklärt hat, was nicht sein dürfte. Ich habe nur wie du meine deutlichen Wahrnehmungen<br />

zu ignorieren und zu fälschen versucht, um der von dir ausgegebenen<br />

Parole Folge zu leisten.“ erklärte er. Móla lächelte und meinte: „Unserer<br />

war besser, findest du nicht auch?“ Sie meinte den Fisch. Sie hatten sich beide<br />

Dorade bestellt. Und jetzt musste unter Lächeln natürlich jedem ein Bissen<br />

vom anderen gereicht werden. „Móla, das kannst du doch nicht vergleichen,<br />

wenn du dich von deinem Geschmacksgeliebten füttern lässt.“ Lukas dazu.<br />

„Liebst du mich denn jetzt nicht? Lieb mich jetzt auch. Ich will beim Fischessen<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 27 von 51


deine Liebe spüren.“ sagte es und lachte. „Ja, in der Oper hat das wirklich<br />

funktioniert. Beim Essen, das weiß ich gar nicht. Das kann ich alles gar nicht<br />

auseinanderhalten. Die Speisen selbst waren ja eigentlich nur Kulisse für unsere<br />

Verliebtheitsspiele und Liebkosungen.“ „Empfindest du dich jetzt so richtig<br />

rauschhaft verliebt? Zum ersten mal in deinen dreiundsiebzig Jahren?“ fragte<br />

Lukas schon mit grinsendem Gesicht. „Ja, ein wenig bestimmt, aber das ist ja<br />

eigentlich nicht das Entscheidende. Es ist ja nicht zum ersten Mal, dass ich<br />

einen Mann liebe und geliebt werde. Es war zweifellos sehr schön mit Helmut<br />

und ich war sehr glücklich, nur jetzt ist alles ganz anders und ich kann noch<br />

nicht einmal sagen, was genau denn anders ist, früher so war und jetzt so ist.<br />

Fällt mir nichts ein. Es ist einfach alles Neu. Das Alte ist nicht einfach verloren,<br />

nur es kommt mir vor, als ob ich die Welt neu erlebte. Schau mal, zum Beispiel<br />

mit der Oper. Ich habe früher Opern geliebt, tue es immer noch, aber so wie<br />

die Carmen habe ich noch nie eine Oper erlebt. Das könnte eine Metapher, ein<br />

Bild für vieles, nein alles sein. Jeder Tag kommt mir vor wie ein Tag in einem<br />

neuen Leben.“ erläuterte Móla und fuhr fort, „Anders kann ich mir das auch mit<br />

gestern Abend nicht erklären. Alles geschieht wie in einem neuen Leben, das<br />

frei ist von den alten Prämissen, Regularien und Setzungen, in dem fast alles<br />

wieder offen und möglich ist. Kann es so etwas denn überhaupt geben?“ „Ich<br />

glaube nicht, dass du einfach per Beschluss ein anderes, neues Leben<br />

beginnen kannst. Du, das ist deine Geschichte, dein angesammeltes Wissen,<br />

deine gewonnenen Einsichten und deine emotionalen Erlebnisse und deine<br />

übernommenen und akzeptierten Einschätzungen und Wertungen. Da kannst<br />

du nicht nachträglich etwas dran ändern, das schleppst du immer mit, was<br />

immer du auch planst oder dir vornimmst. Es gibt aber starke emotionale<br />

Erlebnisse, die dein Leben schlagartig verändern, sich auf deine gesamte<br />

Psyche auswirken und dich die Welt ab jetzt anders erleben lassen. Zum<br />

Beispiel die Mutter, deren Kind verunglückt ist und die sagt: „Nichts wird<br />

wieder werden wie früher.“, oder eine große Vertrauensenttäuschung, die dazu<br />

führen kann, das Menschen ihren Alltag nicht mehr geregelt bekommen und<br />

vieles mehr. Warum soll so etwas nicht auch bei starken freudigen Emotionen<br />

möglich sein. Die Liebe vermittelt ein so starkes Glücksempfinden, dass es sich<br />

auf deine gesamte Psyche auswirkt und sie ändernd beeinflusst, warum nicht?<br />

Das heißt, nicht das Leben sondern du veränderst dich durch die<br />

Glückserfahrung, wirst sicherer, offener, freier. Deinem Unbewussten werden<br />

Wünsche gestattet, von denen du gar nicht wusstest, dass du sie hattest. Ich<br />

denke schon, das dir so etwas wie ein neues Leben vorkommen kann. Ist es ja<br />

dann in gewisser Weise auch.“ meinte Lukas dazu. „Ja, ja,“ sinnierte Móla, „du<br />

machst es einfach selbstverständlich, und es fällt dir erst hinterher auf, was da<br />

passiert ist. Das ich je in meinem Leben ein Bedürfnis danach entwickeln<br />

könnte, einem Mann in den Hintern zu beißen, hätte ich kategorisch<br />

abgestritten. Bei dir mach ich es aber einfach. Wenn Helmut uns beim Essen<br />

auf dem Bett gesehen hätte, wäre er wahrscheinlich vor Staunen über mich in<br />

Ohnmacht gefallen. Ich kannte diese Frau ja auch nicht, ich habe sie während<br />

des Essens erst kennengelernt. Ich glaube schon, dass es ein wichtiges<br />

Kriterium war, wie ich meinte, dass Helmut mich sähe und wie ich von ihm<br />

gesehen werden wollte.“ „Und jetzt? Was meinst du, wie ich dich sehe und wie<br />

möchtest du von mir gesehen werden?“ fragte Lukas und Móla lachte. „Wie<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 28 von 51


Scheherazade, nein, irgendetwas wird es da sicher geben, nur mir fällt nichts<br />

ein. Es kommt mir so vor, als ob du einfach alles so natürlich an mir mögen<br />

müsstest. Und wenn da irgendetwas wäre, bei dem's nicht so wäre, dann wär's<br />

uns beiden auch egal. Das ist anders, Lukas, das ist neu, das habe ich auch in<br />

der Liebe so nie erfahren. Das ist eine neue Form von Leben. Ich denke, sich<br />

so geliebt und gleichzeitig frei fühlen und Liebe geben können das vermittelt<br />

die tiefsten und intensivsten Glücksempfindungen.“ erklärte sich Móla dazu.<br />

„Wir werden sicher nicht die einzigen sein, die ihre Liebe, wie ein neues Leben<br />

empfinden.“ äußerte sich Lukas. Móla fuhr erschrocken auf: „Das ist böse,<br />

ganz böse, was du da sagst, Lukas. Vier Wochen oder zwei Monate wird das<br />

neue Leben noch anhalten, dann ist der Verliebtheitsrausch vorbei. Dann<br />

werden wir wieder die Alten sein, und alles läuft genau wie vorher auch. Ja?<br />

Soll ich das so verstehen? Wolltest du mir das damit sagen?“ Lukas schaute<br />

Móla an und sagte nichts. „Erwartest du wirklich, dass ich darauf antworte,<br />

Móla?“ fragte er nach einer Weile. „Aber was hast du denn anderes gesagt als:<br />

„Was du empfindest ist nichts Besonderes. Das ist in der Phase der Verliebtheit<br />

bei den meisten so.“ und das die nach einer gewissen Zeit vorbeigeht, weiß<br />

jeder und dann kann alles ganz anders aussehen. Dann ist man wieder<br />

nüchtern.“ warf ihm Móla vor. „Das habe ich nicht gesagt. Erwartest du von<br />

mir, dass ich so etwas sagen und es so sehen könnte? Aber es war dumm,<br />

solche Worte jetzt so zu sagen. Ich habe nicht bedacht, dass du sie auch so<br />

verstehen könntest.“ antwortete Lukas. Móla nahm einen Schluck Wein,<br />

schaute sinnierend zur Theke. „Haben wir uns jetzt gestritten? Haben wir uns<br />

einen Moment nicht geliebt. Konntest du für mich jemand sein, der abschätzig<br />

über mich denkt?“ fragte Móla. „Ich weiß es nicht.“ nur Lukas Mimik war nicht<br />

ganz ernst dabei, „Vielleicht ist unsere Liebe ja doch nur partiell und wir sollten<br />

herausfinden, wofür sie außer bei der Musik und dem guten Geschmack sonst<br />

noch gilt. Auf Soufflé und Souffléähnliches könnten wir sie sicher noch<br />

ausdehnen. Hättest du Helmut auch so angegiftet, wie gerade mich? Mit<br />

Sicherheit nicht. Ich schätze mal, du machst von deinen neugewonnenen<br />

Freiheiten übermütigst Gebrauch und beglückst deinen Liebsten damit nicht<br />

nur, sondern lässt ihn auch darunter leiden mit Bissen und Bissigkeiten.“ Móla<br />

kam zu Lukas Seite. Ohne kräftige Umarmung und Küsse ging das jetzt nicht.<br />

Die anderen Gäste würden das alte Pärchen wohl als ein wenig schräg<br />

empfinden, aber das waren sie ja auch. Bei zu viel Freiheit war ein zu wenig an<br />

Konformität unvermeidlich. Heremitage wollte Móla bestellen, aber den hatte<br />

man hier natürlich nicht. Sie wollte demnächst nur noch Lokale aufsuchen, in<br />

denen man auch Heremitage serviert bekommen könne. „Da wirst du jedes<br />

mal nach Wien rein müssen und dir Lokale wie's „Le Ciel“ aussuchen. Und der<br />

Wein allein wird genauso teuer sein wie's Essen selbst.“ reagierte Lukas. „Wo<br />

habe ich den denn eigentlich her?“ fragte Móla sich selbst. „Ich“ sagte sie jetzt<br />

immer. Lukas hatte nur das „Wir“ gekannt. Alles, was mit dem Haus und ihrer<br />

Geschichte zusammenhing wurde immer mit „Wir“ bezeichnet. Móla, das war<br />

Móla und Helmut, also wir. Sie dachte oder empfand nichts Schlechtes oder<br />

Nachteiliges über Helmut. Im Gegenteil, nur jetzt war sie eine eigenständige<br />

Person geworden und nicht trotz ihrer Beziehung zu Lukas, sondern wegen<br />

ihrer Liebe. In ihr konnte sie sich selber wiederfinden, diese Móla und vieles<br />

von ihr, das sie gar nicht kannte, neu erleben. Sie erinnerte sich. Er musste<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 29 von 51


schon sehr lange im Keller liegen. Aus Frankreich hatten sie damals eine Kiste<br />

mitgebracht, weil Helmut es gewünscht hatte.<br />

Schon fast zwei Wochen war Lukas bei Móla. Natürlich mussten auch Brigitta<br />

und Susanna kommen. Susanna hatte schon Freitag schulfrei und kam am<br />

Donnerstagnachmittag. Beim Hereinkommen öffnete sie schon ihre Tasche, zog<br />

ihren neuen Mac heraus und hob ihn einige male in Siegerpose in die Luft. Lukas<br />

wusste es zwar, sie hatte es ihm ja geschrieben, aber ihn triumphal vorführen<br />

können, ist natürlich noch einmal etwas anderes. Sie flüsterte Omi etwas<br />

ins Ohr und beim anschließenden Lächeln zeigte sich wieder dieser süße Roséschimmer<br />

auf ihren Wangen. „Das kannst du doch ruhig laut sagen, dass du<br />

dich gegen Ulrike durchgesetzt hast. Das brauchst du doch vor Lukas nicht zu<br />

verheimlichen.“ meinte Móla. „Ich weiß es ja schon. Sie hat es mir ja geschrieben.“<br />

reagierte Lukas. „Ja, und er schreibt mir immer wunderschöne Briefe. Er<br />

hat gesagt, dass das Wertvollste daran sei, dass ich dadurch eine andere junge<br />

Frau geworden sei. Ich hätte die Erfahrung gemacht, dass ich meine Interessen<br />

wahrnehmen, behaupten und durchsetzen könne. Das habe mich reifer<br />

und stärker gemacht. Ich hab dich lieb', ganz lieb, Lukas.“ sagte Susanna, und<br />

jetzt verfärbte sich das anfänglich leichte Rosé zu einem zarten Rot. Lukas<br />

nahm ihre Hand und legte seine zweite noch darüber. „So soll das immer bleiben<br />

zwischen uns beiden, nicht wahr?“ fragte Lukas und Susanna nickte. „Du<br />

machst mich eifersüchtig, meine Liebe. So wie es aussieht, müsste man doch<br />

jeden Moment damit rechnen, dass ihr euch gegenseitig Heiratsanträge macht.<br />

Liebe auf immer versprechen, was ist das denn anders?“ scherzte Móla. Der<br />

Anlass der Auseinandersetzung war ja bekannt. Susanna wollte keinen BH tragen,<br />

Ulrike hatte gemeint, sie müsse. Man sprach über allgemeine Hintergründe.<br />

Ob es allen Frauen anerzogen sei, schön sein zu wollen oder ob es genetisch<br />

bedingt sei. Bei Tieren sei es ja eindeutig. Huhn und Hahn könnten sich ja<br />

nicht aussuchen, wer die bunten Federn haben wolle, aber wenn es bei Menschen<br />

auch so eindeutig sei, das das Balzverhalten zur Frau gehöre, denn hätten<br />

sich die Vorstellungen doch sehr verändert. „Wie so, das ist doch gar nicht<br />

war.“ meinte Móla dazu, „Natürlich erregt die Männer heute der Hintern einer<br />

Frau nicht mehr, weil sie den Speck für's gute Überwintern sehen. Aber hat das<br />

denn je einer rational so gesehen, das hat sich doch evolutionär so entwickelt.<br />

Die sich automatisch so verhielten haben sich einfach durchgesetzt und mehr<br />

Nachkommen gehabt. Und die haben wir immer noch. Sie starren immer noch<br />

der Frau auf den Hintern, dass sie dass ihren Vorfahren zu verdanken haben<br />

und die anderen schon vor Zeiten der Venus von Villendorf ausgestorben sind,<br />

daran denkt natürlich keiner.“ „Ja, stimmt, und bei den Brüsten genauso.“ bestätigte<br />

sie Susanna, „Aber heute finden sie doch alle schlanke Frauen, nicht so<br />

wie mich, aufregend. Woher soll das denn kommen.“ Darauf ging niemand ein,<br />

sondern Móla und Lukas wollten wissen, ob sie sich als zu dünn empfinde und<br />

deswegen unzufrieden sei. „Müsste ich eigentlich, nicht wahr. Hab' ich aber<br />

noch nie gehabt. Ich mochte mich, ich konnte meinen Körper schon immer extrem<br />

gut leiden. Nicht weil irgendetwas so groß, oder so dick oder so dünn ist.<br />

Damit hat das nichts zu tun. Ich glaube ich liebe ihn einfach, weil er mir gehört,<br />

weil er es gern hat, wenn ich ihn berühre und streichele. Bei meinem<br />

Körper ist alles glatt und in Ordnung. Im Kopf da kann einen schon mal etwas<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 30 von 51


quälen, aber bei deinem Körper nicht. Die meinen sie seien zu dick oder zu<br />

dünn oder hier oder da müssten sie anders aussehen, die haben ein Problem<br />

im Kopf, die mögen sich selbst, ihre Person nicht leiden. Die sind unzufrieden<br />

mit sich selbst.“ erklärte Susanna dazu. „Narzissa. Oder wie heißt die Schwester<br />

von Narziss. Bist du denn auch in dein eigenes Spiegelbild verliebt?“ fragte<br />

Lukas, schon wieder bekamen ihre Wänglein einen rötlichen Schimmer, und Lukas<br />

fuhr fort, „denn wunderschön bist du ja schon. So hübsch wie deine leichte<br />

Röte, könnte dich kein Rouge zieren.“ Das war zu viel. Dafür bekam Lukas<br />

einen leichten Hieb in die Magengegend, aber als Kompliment hatte Susanna<br />

es bestimmt empfunden. Man sprach über Körperbilder, die Beziehung zum eigenen<br />

Körper und welche Bedeutung es für das eigene Ego habe. „Du solltest<br />

mal bei Susanna in die Schule gehen, sie könnte dir beibringen worauf es bei<br />

der Beziehung zum eigenen Körper ankommt.“ meinte Lukas zu Móla. „Du<br />

magst ja einerseits Recht haben, dass es dir gleichgültig ist, dass für dich wichtig<br />

ist, dass ich es bin, trotzdem ist und bleibt der speckige Bauch einer alten<br />

Frau kein schöner Anblick und wird es nie werden.“ reagierte Móla. „Móla, wo<br />

lebst du denn? Ist denn die ganze Welt um dich herum nach den harmonischen<br />

Konstanten, an denen sich Susannas Gesichtszüge orientieren ausgerichtet?<br />

Alles was du sieht, was dir die Menschen als Sichtbares anbieten, schmeichelt<br />

deinen Augen? Nichts, fast nichts, in Wien vielleicht ein bisschen mehr. Beschwerst<br />

Du dich darüber. Nein es ist so. Du nimmst es gar nicht wahr nur dein<br />

Bauch der muss ästhetisch perfekt sein, museal, sonst kannst du ihn nicht ertragen.“<br />

warf ihr Lukas vor. Susanna lachte sich tot, und Móla zog dazu eine<br />

gespielt grimmige Fratze.<br />

„Omi, du musst ihn dir anschauen, wenigstens anschauen. Ohne dich hätte ich<br />

ihn ja schließlich gar nicht.“ meinte Susanna zu ihrem neuen Laptop. „Aber Liebes,<br />

ich versteh doch überhaupt nichts davon. Was du mir zeigst, werden für<br />

mich alles böhmische Dörfer sein.“ erwiderte Móla. „Alles Vorurteile, ich dachte<br />

so etwas hättest du nicht.“ Susanna dazu lächelnd. „Lukas, mach deinen auch<br />

mal an.“ fügte sie hinzu. „Du brauchst den Stick.“ bemerkte Lukas. Susanna<br />

schauten ihn fragend an, steckte ihn aber in den entsprechende Anschlussbox.<br />

Das Internetbrowserfenster öffnete sich beim Start und Susanna klickte das<br />

Mail-Icon an. „Ein Briefcouvert, siehst du? Wenn ich darauf klicke sind direkt<br />

alle meine Briefe da.“ Schau mal die Namen, die haben mir bis jetzt alle schon<br />

geschrieben. Biggi ist da und dieser Herr Lucas auch. Dem möchte ich gern<br />

mal etwas schreiben. Jetzt kommt mein zweiter Klick und da oben seht jetzt<br />

schon seine Adresse drin. In dies leere Feld kann ich jetzt einfach etwas schreiben.<br />

„Lieber Lukas,<br />

ich bin bei meiner Omi, aber die erzählt etwas von böhmischen Dörfern. Kennst<br />

du die?<br />

Alles Liebe auch von meiner Oma Móla<br />

Deine Susanna“<br />

Da oben steht senden. Jetzt kommt mein dritter Klick.<br />

Lukas: „Jetzt brauche ich ihn wieder.“ Susanna staunte noch mehr und Lukas<br />

spielte lachend den Überraschten. „Móla, schau mal ich habe gerade Post ge-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 31 von 51


kommen. Von deiner Enkelin, sie schreibt, dass du etwas von böhmischen Dörfern<br />

erzählst. Komm Móla, jetzt zu mir. Jetzt kommt der zweite Satz vom böhmischen<br />

Tanz.“ sagte er, „Ich wähle gar nicht Susannas Namen, könnte ich<br />

auch, aber ich habe je ihren Brief hier, und da gibt’s oben ein Feld „Antworten“<br />

das will ich ja. Jetzt kann ich einfach schreiben:<br />

„Liebe Susanna,<br />

deine Mails geben mir immer wieder Rätsel auf. In Böhmen war ich auch noch<br />

nicht, aber deine Omi ist eine <strong>Husarentochter</strong>, und da weiß man nie, in<br />

welchen Gegenden vom Böhmerwald die sich schon herum getrieben hat.<br />

Alles Liebe auch von deiner Omi<br />

dein Lukas“<br />

„Senden muss ich ihn natürlich schon, aber antworten braucht nur zwei Klicks.“<br />

kommentierte Lukas noch und gab Susanna wieder den Stick. Móla schaute bei<br />

Susanna, und fast im gleichen Moment kam die Mail an. „Ihr wollt mich verführen.<br />

Habt ihr auch schon fast. Nur das ist ja nicht alles. Ich verstehe ja von<br />

dem ganzen System nichts. Wenn da irgendeine Meldung kommt, weiß ich ja<br />

gar nicht, was die bedeutet und was ich dann machen soll.“ meinte Móla. „Ums<br />

Verführen ging's doch nicht. Susanna wollte dir doch nur zeigen, welch tolles<br />

Ding du ihr verschafft hast und was sie und wir damit machen. Sie wollte sich<br />

dadurch mehr oder weniger bedanken.“ erklärte Lukas dazu. Susanna zeigte<br />

wieder ihr leicht verlegenes Lächeln. Móla umarmte sie und drückte sie.<br />

„Warum bekomme ich denn ohne deinen Stick keinen Anschluss? So etwas<br />

brauche ich doch zu Hause auch nicht?“ fragte Susanna. Omi hatte eben keinen<br />

Internetanschluss. „Wenn sie zu dir kommen, können sie ihre schönen<br />

Computer zu Hause lassen. Ins Internet kommen sie bei dir jedenfalls nicht.“<br />

sagte Lukas an Móla gewendet. „Und du?“ fragte Móla. „Ich habe mir extra deinetwegen<br />

diesen Stick gekauft, fast so teuer wie ein zusätzlicher Anschluss.<br />

Biggi weiß das, die hat es ja schon im letzten Jahr erfahren.“ antwortete Lukas.<br />

„Und was kostet so ein Internetzugang?“ fragte Móla nach. „Ist bei uns in<br />

Deutschland wahrscheinlich anders, und ich habe da ja auch Fernsehen mit<br />

drin.“ Lukas darauf. Extra für den Computer?“ fragte Móla. „Nein alles, das<br />

richtige Fernsehen. Wunderschöne Bilder und Klänge.“ erklärte Móla. Sie schien<br />

ein wenig zu staunen und zu überlegen und erklärte nach einer Weile: „Ich<br />

kenne da eine junge Frau, ist 'ne Tochter von einer Bekannten. Wir gehen da<br />

Montag mal hin, nicht war?“ zu Lukas. Die Informationen und Verhandlungen<br />

am Montag zogen sich endlos, hatten aber in keiner Sekunde einen Anflug von<br />

möglicherweise aufkommender Langeweile. Die Frau aus dem Geschäft hatte<br />

bestimmt fast ebenso viel dazu gelernt wie Móla selbst. Einer dreiundsiebzigjährigen<br />

Frau, die sich noch nie mit Computern und Informatik befasst hatte,<br />

alles figurativ verständlich zu vermitteln, war ja schließlich keine Kleinigkeit,<br />

und Móla wollte alles genau erklärt haben, auch wenn sie häufig alle dadurch<br />

zum Lachen brachte, es wahrscheinlich auch wollte. Eine Verkaufsverhandlung<br />

war das nicht. Eher eine Internetanschlussoper, und Móla konnte eine große<br />

Tragödin geben.<br />

Am Freitagnachmittag aber kam Biggi. Jetzt gab es nur noch ein Thema. Susanna<br />

hatte es Lukas ja auch mitgeteilt, aber sie war am Donnerstag wie<br />

selbstverständlich damit umgegangen, jetzt mischte sie sich in die endlose Be-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 32 von 51


fragungs- und Klärungsaktion ein. „Das einzige, wodurch du deine Liebe zeigst,<br />

ist doch nicht, dass ihr euch küsst. Sonst fällt euch nichts ein. Müsst euch den<br />

ganzen Tag küssen.“ erklärte Móla spöttisch und zur allgemeinen Erheiterung.<br />

„Da ist alles ganz normal wie immer, nur bist du nicht mehr allein. Da ist immer<br />

die Liebe deines Geliebten dabei.“ und sie zeichnete einige Bilder, wie es<br />

sich ohne und mit Geliebtem abspiele. „Und beim Putzen, Bügeln und<br />

Wischen?“ fragte Biggi provokant grinsend. Móla gab launige Antworten. „Aber<br />

beim Schuhe putzen.“ musste Susanna noch albernd geklärt haben. „Na, da<br />

putzt eben der eine den linken und die Geliebte den rechten, und jeder freut<br />

sich, wie schön der Schuh des anderen schon glänzt.“ Móla dazu. „Aber wie<br />

spürst du denn die Liebe, wenn du allein im Regen unter der Dusche stehst.“<br />

wollte Biggi noch wissen. „Aber da steht man doch nicht allein, das macht man<br />

doch zusammen.“ antwortete Móla. Biggi und Susanna schauten sich an. Das<br />

Paare zusammen unter der Dusche waren, davon hatten sie bestimmt schon<br />

mal etwas mitbekommen, aber Omi und Lukas? „Macht ihr das wirklich?“ wollte<br />

sich Biggi Gewissheit über diese Ungeheuerlichkeit verschaffen. „Schon mal,<br />

aber nicht immer.“ grenzte Móla jetzt ein. „Ihr geht auch bestimmt miteinander<br />

ins Bett, nicht wahr?“ schloss Susanna daraus, und auf Mólas Zustimmung<br />

signalisierendes: „Mhm“ dachte sie kurz nach und ließ dann ein „Warum auch<br />

nicht?“ vernehmen. In Biggi schien es noch schwer zu arbeiten. Omi und Lukas<br />

und sexuelle Lust, das wollte nicht zusammen passen. Susanna und Brigitta<br />

mussten dazu noch länger unter sich diskutieren, zwar intensiv aber auch mit<br />

heftigen Lachanfällen. Beim Abendessen hatte Brigitta es wohl endgültig<br />

verdaut. Sie schaute Móla und Lukas lange an. „Wenn man verliebt ist, dann<br />

denkt man immer aneinander. Hast du gesagt, Omi.“ erklärte sie, „Ich bin auch<br />

verliebt.“ sprang auf, drückte sich zwischen Móla und Lukas und gab beiden<br />

einen Kuss. „Wir könnten doch eine Familie gründen. Ihr beide würdet heiraten<br />

und Susanna und mich dann adoptieren. Susanna hätte ein tolles Zuhause und<br />

wir beide wären dann Schwestern und immer zusammen.“ hatte Biggi zwar<br />

lächelnd verkündet, und niemand nahm es ernst, trotzdem beteiligten sich alle<br />

eifrig daran, potentielle Erlebnisse der Familie mit den zwei Töchtern zu<br />

entwickeln. Faktischer Unsinn, aber emotional hatte es sich oft längst realisiert.<br />

Am Dienstagabend fuhren sie nach Wien. Sie hatten nämlich ein nicht ganz so<br />

aufwendiges, gemütlicheres Lokal ausfindig gemacht, in dem man Heremitage<br />

bekommen konnte. Sie stießen freudig lächelnd an. Mólas Augen vergrößerten<br />

sich und ihre Mimik nahm böse, verärgerte Züge an. „Was ist das denn? Wie<br />

schmeckt der denn?“ schimpfte sie. Lukas nahm noch einen Schluck. Ihm fiel<br />

nichts auf. Er nahm die Flasche und schaute sich das Etikett an. In der Tat, es<br />

war Crozes-Hermitage, und das wollte Móla auf Anhieb geschmeckt haben. Offensichtlich<br />

war es ja so. Wie fest, differenziert und exakt musste sich ihr der<br />

Geschmack vom ersten Abend eingeprägt haben. „Nehmen sie das wieder mit.<br />

Das habe ich nicht bestellt.“ herrschte Móla patzig den Ober an. „Aber Madame“<br />

begann der, sich entschuldigen zu wollen. „Heremitage habe ich bestellt,<br />

aber nicht dieses Gesöff.“ unterbrach ihn Móla prollig, rotzig. „Ich hole mal die<br />

Chefin“ wusste der Ober sich nur noch zu helfen. Móla, was spielte sie denn<br />

hier? Wo hatte sie das denn her. Lukas Empfinden wechselte zwischen Erstaunen<br />

und Peinlichkeit. Die Chefin schien wohl nicht zu wissen, was sie von einer<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 33 von 51


Frau halten sollte, die Heremitage bestellte und beim ersten Schluck bemerkte,<br />

dass es sich nur um einen Crozes handelte. Üblich war so etwas ja nicht. Bestimmt<br />

kam sie von irgendwelchen Testern oder aus sehr gehobenen Kreisen.<br />

Ärger war da das Letzte, was man haben durfte. Móla blieb verärgert. Wollte,<br />

nein musste gehen. Selbstverständlich brauchte sie nichts zu bezahlen.<br />

Zu Hause hatten sie noch den richtigen, bestellten aber zunächst mal zwei Kisten<br />

im Internet, damit er ihnen nicht ausginge. Gegessen hatten sie zwar<br />

nicht, aber bei diesem, ihrem Wein konnten die Bettelmänner abends auch<br />

schon mal ohne warmes Essen und nur mit ein wenig Käse auskommen. Trotz<br />

der jetzt wohlig, vertraulichen Atmosphäre war die Enttäuschung über den<br />

Wienbesuch nicht verflogen. Enttäuschungen sind im Kleinen wie im Großen<br />

böse psychische Teufel. Was machte es aus, das man einen Wein, den man<br />

ausfindig zu machen geglaubt hatte, nicht er hielt, aber dass die erwartete<br />

Freude zunichte gemacht worden war, kam einer zähen schwarzen Paste<br />

gleich, die sich über den ganzen Abend legen wollte, die man nicht einfach<br />

fortwischen und vergessen konnte. Dabei wollten sie doch besonders die letzten<br />

Tage in Freude genießen und nicht immer daran denken, dass Lukas ab<br />

Dienstagmorgen wieder fort sein würde. „Kannst du ganz lieb zu mir sein?“<br />

sagte Móla eng an Lukas gekuschelt im Bett, und Lukas glaubte es nicht fehl<br />

interpretieren zu können. „Nein, lass es, es geht nicht, ich bin traurig.“ unterbrach<br />

Móla Lukas und vergrub ihr Gesicht auf Mólas Schulter. „Und warum?“<br />

erkundigte sich der nach einer Weile. „Weiß ich nicht, überhaupt nicht, einfach<br />

so.“ antwortete Móla, ohne ihr Gesicht zu erheben. Ob mit der Enttäuschung<br />

alles durcheinander geraten war, jedenfalls war am folgenden Morgen alles verflogen.<br />

„Du kannst ja ganz schön böse werden.“ scherzte Lukas am Frühstückstisch.<br />

„Ja, ja, gewachsen an Durchsetzungskraft und Stärke. Wusst' ich auch nicht,<br />

dass ich so etwas konnte. Ist eben die <strong>Husarentochter</strong> in mir, die jetzt zum<br />

Vorschein kommen darf. Aber es ist so sonderbar, ich mache einfach so etwas.<br />

Wenn ich es mir vorher vornehmen sollte, brächte ich es nicht über meine Lippen.“<br />

erklärte Móla und grinste. „Trotzdem macht es kein gutes Gefühl, ärgerlich<br />

zu sein, sich aufzuregen und sich auszukotzen. Das macht letzten Endes<br />

dir selbst auch schlechte Laune.“ Lukas richtete alles für den Internetanschluss<br />

ein und zeigte Móla nochmal, genau, was sie zu tun habe, wenn er frei geschaltet<br />

werde. Wenn trotzdem etwas nicht funktionieren solle, ihr Sohn habe<br />

das gleiche System und könne ihr helfen.<br />

„Ich weiß gar nicht,“ begann Móla im Bett, und unterbrach sich selbst, „nein,<br />

wir wollten ja nicht darüber sprechen, aber es ist alles so selbstverständlich<br />

geworden in diesen drei Wochen. Als ob es gar nicht mehr anders sein könnte,<br />

als dass du hier neben mir im Bett lägest, mit mir gemeinsam am Frühstückstisch<br />

säßest, ich jederzeit mit dir sprechen könnte, weil du selbstverständlich<br />

immer da bist, und du immer lieb zu mir bist, wie und wann ich Lust dazu<br />

habe.“ Lukas grinst und gab sich Mühe. „Luc, oh Luc! Qu'avez-vous faits?“<br />

brachte Móla nach einigem tiefen Atmen hervor. „Küss mich und streichle mich<br />

ein wenig, aber vorsichtig ich bin Maienbutter.“ Lukas grinste und suchte Be-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 34 von 51


stätigung: „Ganz voll Sonne und ganz weich?“ „Ja, fast schon zerflossen.“ Móla<br />

dazu. Sie schloss ihre Augen, während Lukas sie sanft an Schulter und Dekolleté<br />

streichelte und bald das Licht löschte. „Sag mal,“ erkundigte sich Lukas<br />

am nächsten Morgen, „hast du eigentlich deinen ersten Orgasmus in Frankreich<br />

gehabt?“ Móla lachte zwar, wusste aber nicht, worauf Lukas hinaus wollte.<br />

Das anschließend ihre ersten Worte immer französisch waren, hatte sie<br />

selbst noch gar nicht bemerkt. Móla lachte. „Früher denn auch?“ fragte sie<br />

sich, „aber ich weiß da wirklich nichts mehr von. Ich hab' nur Bilder aus den<br />

Zeiten, als es nicht mehr immer so ersprießlich war und ganz zu Anfang von<br />

dem wilden kleinen Mädchen. Na ja, Helmut war ja mein erster Mann, und dass<br />

ich ganz überrascht über mich selber war, dass ich es so gut fand. Aber<br />

Detailliertes weiß ich davon auch nicht. Vielleicht hat sich mein Orgasmic<br />

Center ja im Alter in die Nähe des französischen Sprachzentrums verschoben<br />

und war deshalb nicht mehr zu finden.“ sagte sie und lachte. „Aber was bewegt<br />

dich denn dazu, mich plötzlich „Luc“ zu nennen, weißt du's noch?“ fragte<br />

Lukas. „Ja, ja, ich weiß es nicht, Lukas,“ antwortete Móla, „ich kann's dir nicht<br />

sagen. Einfach Wonne, sonst nichts, reine Wonne. Französisch mag ich schon<br />

sehr gern. Habe ich ja auch studiert. Passt am besten zur Musik. Nicht<br />

italienisch. Vielleicht kann man italienisch besser singen, aber eine<br />

melodischere Sprache ist Französisch, finde ich wenigstens.“<br />

Lukas wieder zum Niederrhein<br />

Am Dienstagmorgen war es noch sehr früh und kühl als Móla und Lukas in<br />

Schwechat waren. Als kühl hätte man auch ihren Abschied empfinden können.<br />

Na ja, diese Glücksgefühle vom sich Wiedertreffen fehlen natürlich beim Abschied<br />

und so einen Schwachsinn wie beim letzten mal wollten sie nicht wieder<br />

reden und hätten es auch gar nicht gekonnt. Was sagt man denn, wenn man<br />

fast selbstverständlich zusammengelebt hat und sich jetzt plötzich trennt? Geplant<br />

hatten sie nichts. Große Planungsinteressen und -kompetenzen schienen<br />

sich im Unbewussten der Husarentocher nicht zu verbergen und auch bei Lukas<br />

hatte das neue Leben davon nicht viel offenbart. Eher schien es so, dass das<br />

Planungslose, die emotional intendierten Ad-hoc Entscheidungen einen besonderen<br />

Stellenwert zu genießen schienen. Als ob sie einfach so auseinander liefen.<br />

Was werden würde, wusste keiner der beiden, hatte sich auch keine Gedanken<br />

darüber gemacht, nicht mal über den morgigen Tag. Vielleicht, weil<br />

man wusste, dass er nicht glücklich sein würde, wollte man nicht daran denken.<br />

Verdrängte einfach alle negativen Erfahrungen, die man zu erleben erwarten<br />

musste. Natürlich umarmten und küssten sie sich, und das war's.<br />

Manchmal hatte Lukas in den drei Wochen sein Leben zu Hause vermisst. Nicht<br />

weil ihm irgendetwas bei Móla nicht gepasst hätte. Es war ein unbestimmtes<br />

Empfinden. Er hatte sich ja zu Hause immer ganz wohl gefühlt, das war ja seine<br />

Welt gewesen. Die existierte plötzlich nicht mehr. Zu fehlen schien ihm da<br />

schon etwas. Nur dieses Gefühl von Zufriedenheit und Sich-wohlfühlen kam<br />

jetzt nicht auf. Im Gegenteil, alles kotzte ihn an. Und Móla, was war denn mit<br />

der los gewesen? Was hatte die denn für eine Stimmung gehabt? „By, by, dan-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 35 von 51


ke für den schönen Urlaub.“ als ob sie so etwas gedacht hätte. Er war ja auch<br />

selbst ein Idiot. Abhängig war er von Móla. Móla bestimmte die Wetterlage,<br />

und er war nicht fähig, irgend etwas zu ändern. Das war er in seinem ganzen<br />

Leben nicht gewesen, hatte eigentlich immer eher dominiert, so sah er sich jedenfalls.<br />

Die kleine Susanna sei stärker geworden, in dem sie gelernt habe,<br />

ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Es kam Lukas so vor, als ob er<br />

das nie habe lernen müssen, sondern schon damit geboren sei. Solange er sich<br />

erinnern konnte, hatte er Probleme deshalb gehabt. Ungehorsam hieß das<br />

früher als Kind. Und jetzt? Wo waren denn jetzt seine Interessen, die er hätte<br />

durchsetzen können? Sonderbar, ihm viel nichts ein. Hatte Móla sich in ihrer<br />

Liebe neu entdeckt und er war verloren gegangen. Hatte die Liebe zwischen<br />

Móla und Lukas ihn, seine Persönlichkeit einfach verschluckt. Immer wieder<br />

versuchte er zu lesen, kam wieder ins Grübeln, fühlt sich in seiner Wohnung<br />

nicht wohl und war mürrisch.<br />

Nach drei Tagen rief Móla an. Mit ihrer Tochter habe sie gesprochen. Sie habe<br />

ihr gut zugehört, sie sei ja schließlich ihre Tochter. Sie hätte gemeint, dass<br />

Móla nicht mehr die Jüngste sei, könne sie ja nicht leugnen, und Entscheidungen<br />

im Alter folgten da schon mal Gesichtspunkten, … Lukas interpretierte,<br />

worauf das wohl hinauslaufen sollte. Eigentlich hatte er schon genug gehört.<br />

Expressis verbis wollte er es von Móla nicht benannt hören. „Ist schon gut<br />

Móla. Ich habe schon verstanden.“ sagte er. Móla wollte weiter reden. Lukas<br />

stoppte sie: „Es ist gut Móla. Sag nichts mehr. Wir können uns ja weiter schreiben,<br />

wenn du magst, aber kommen werde ich nicht mehr.“. Schon am Telefon<br />

hatte sich Lukas Kehle zusammengezogen. Er warf sich auf seine Couch. „Móla,<br />

Móla,“ schrie er immer wieder ins Kissen. „Bin ich denn absolut verrückt? Ist<br />

das vielleicht beginnende Altersdemenz, dass mir jeglicher Rest von Menschenkenntnis<br />

zu fehlen schein? Gibt es mich gar nicht mehr? Habe mich abhängig<br />

und blind machen lassen?“ Und Lukas weinte ohne Ende, nur unterbrochen<br />

durch ein hin und wieder hervorgebrachtes „Móla“. Ihm fiel auf, dass er gar<br />

keine Bilder von Móla hatte. „Vielleicht war ja alles nur ein Traum.“ versuchte<br />

er mit sich selbst zu scherzen, „Bin ja auch schon älter, und da ist es ja nicht<br />

nur die Kompetenz in der Entscheidungsfindung, die sich leichter am Wunschdenken<br />

orientiert, sondern die Wahrnehmung ist ja auch beeinflusst. Vielleicht<br />

sehen die alten Leute auf den Kaffeefahrten gar keine Wärmedecken sondern<br />

eine menschlich wärmere Umgebung. Aber ich habe bei Móla doch gar keinen<br />

Kaufvertrag unterschrieben. Ihre Tochter hat sie davor gewarnt, dass ich so etwas<br />

im Schilde führen würde, und sie sich davor hüten solle. Ja, ja, so wird es<br />

sein.“ Lachen konnte Lukas darüber aber nicht. Er wusste gar nicht was er tun<br />

sollte. Das Essen schmeckte ihn nicht, lesen konnte er nicht und bei Musik hatte<br />

er das Epfinden, dass sie ihn störe.<br />

Am übernächsten Tag um elf klingelte es. Die Post. Er musste immer zur Tür,<br />

weil der Türdrücker defekt war. Schon durch das Glas sah er, da stand Móla.<br />

Kein Wort. Sie umarmten sich und küssten sich und wollten sich gar nicht wieder<br />

loslassen. „Ich wollte eigentlich zu dir, in deine Wohnung, zu deiner Haustür<br />

weniger.“ unterbrach es Móla schließlich. Jetzt saß sie auf Lukas Couch und<br />

er starrte sie an. Alles, was ihn in den Tagen, seit er wieder hier war, bedrückt,<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 36 von 51


gequält, maßlos traurig gemacht hatte, gab es nicht mehr, war plötzlich verschwunden.<br />

Ein neues Leben? Schlicht die ganze Welt verändern konnte Móla<br />

für Lukas, nur dadurch, dass sie hier bei ihm war. Natürlich war bei Lukas<br />

schnell etwas abgelaufen, wenn Móla mit dreiundsiebzig Jahren zwei Tage nach<br />

dem er geäußert hatte, nicht mehr kommen zu wollen bei ihm vor der Tür<br />

stand? Im Grunde sagte das alles und Lukas konnte ihren Erklärungen auch<br />

gar nicht konzentriert zuhören. Dass sie am Telefon etwas völlig anderes rübergebracht<br />

habe, als ihre Absicht gewesen sei. Was interessierte es Lukas. Ihm<br />

war es wichtiger, dass sie jetzt ihren Café au Lait bekam. Im Hotel habe sie ihren<br />

Koffer. Der wurde sofort geholt. Übermorgen musste sie zurück. Sie war<br />

gekommen, weil sie der Ansicht war, dass man das Missverständnis aus dem<br />

Telefonat nur mündlich klären könne. In Wirklichkeit hatte sie ihrer Tochter gesagt,<br />

wenn sie nicht ihre Tochter sei, würde sie sie jetzt rauswerfen. Biggi hatte<br />

wohl ein wenig geschwärmt und sie hatte sich einiges dazu gereimt und es mit<br />

Alterskuriosität in Verbindung gebracht. Móla konnte doch nicht sofort zurückfahren.<br />

Dass sie jetzt bei ihm war, freute Lukas maßlos. Und einiges Schöne<br />

gab es ja hier schließlich auch. „Schau mal das ist der Lifesaver von Niki de<br />

Saint Phalle, und wen rettet er da an seinem Bauch? Nana.“ Móla lachte. „Ich<br />

weiß, dass es die überall auf der Welt, in Paris, in Hanover und sonst wo gibt,<br />

aber ich habe noch nie eine davon gesehen.“ erklärte sie. „Die Mechanik ist<br />

von ihrem Freund Jean Tinguely, von dem gibt es hier im Museum ganz viel.“<br />

erläuterte Lukas. In einem anderen Museum, in dem es im Moment keine aktuelle<br />

Ausstelung gab, erkundigte sich Lukas nach den Öffnungszeiten und meinte<br />

er wolle es auch nur seiner Freundin mal zeigen. Móla patschte mit der Hand<br />

auf's Telefon. „Wem wolltest du das Museum mal zeigen?“ fragte sie mit bösem<br />

Blick. Lukas lachte: „Was soll ich den sagen? „Ich wollte es meiner Geliebten<br />

mal zeigen?“. Eine Antwort gab es nicht. „Ich wollte es meiner Frau mal zeigen.“<br />

erklärte er beim wiederholten Anruf. Móla lächelte, aber das ging durch.<br />

Biggi schrieb: „Lukas, weißt du, wo Omi ist? Sie geht nicht ans Telefon und<br />

Mami war schon bei ihr zu Hause, aber da war auch niemand. Wir machen uns<br />

riesige Sorgen. Sag, bitte, bitte, wenn du etwas weißt. Mami überlegt, ob sie<br />

nicht zur Polizei gehen sollte.“ Móla war ja nicht geflüchtet. Wenn sie am übernächsten<br />

Tag wieder zu Hause gewesen, ihre Handybatterie nicht leer und sie<br />

das Aufladegerät vergessen hätte, hätte ja niemand etwas bemerkt. Jetzt<br />

machte sie sich einen Jux daraus und genoss es, verschollen zu sein. „Ich weiß<br />

nur, Omi geht’s gut, niemand braucht sich Sorgen zu machen. Das kannst du<br />

auch der Mami verraten, aber mehr darf ich nicht sagen.“ antwortete Lukas<br />

Biggi. Das konnte ja nicht beruhigen, denn Mólas Tochter machte sich Vorwürfe,<br />

dass ihr Gespräch Ursache für Mólas Fluch sei. Statt sie rauszuwerfen, sei<br />

sie jetzt vor ihr und den Menschen, die das auch so sehen könnten geflüchtet.<br />

Täglich kamen neue Mails von Biggi und auch Susanne wollte mittlerweile wissen,<br />

was denn da los sei. Omi könne doch nicht einfach mal so ein paar Wochen<br />

in Sizilien untertauchen, auch wenn sie noch total fit sei, außerhalb jeder<br />

möglichen Hilfe könne man sich doch in ihrem Alter nicht begeben. Biggi berichtete<br />

in jeder Mail über immer weitgehender Zurücknahmen und tiefere<br />

Schuldeingeständnisse ihrer Mutter bis zu der Einsicht, dass sie jetzt alles völlig<br />

anders sehe und Lukas und Mólas Liebe bewundere. „Móla, die sterben ohne<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 37 von 51


dich. Du quälst sie maßlos.“ erklärte Lukas. Dass man sie mochte, wusste<br />

Móla. Es gefiel ihr und sie liebte es, aber so etwas hätte sie nicht erwartet. Natürlich<br />

musste man jetzt nach Hause und selbstverständlich kam Lukas mit.<br />

Was sollte er denn allein zu Hause machen?<br />

Neue Heimat für Lukas<br />

Alle waren zum Flughafen gekommen. Selbst Ulrike war mitgekommen. Warum<br />

das sinnvoll sein sollte, hätte keiner erklären können. Es hieß vielleicht nur:<br />

„Tu' uns das nie wieder an. Sei uns nie wieder böse. Wir lieben dich alle.“ Móla<br />

war selig, sie war ja niemandem böse gewesen. Im Grunde war es ja nur ein<br />

Missverständnis. Elena, Mólas Tochter, hatte sich Lukas zu ihrem speziellen<br />

Freund erkoren. Sie umarmte, küsste und herzte ihn, als ob sie primär auf ihn<br />

gewartet hätte. Möglicherweise bewertete sie jetzt nicht nur Mólas und Lukas<br />

Verhältnis anders, sondern hatte tatsächlich in ihre Angst um Móla ihre emotionale<br />

Einstellung verändert. Dass Móla am Niederrhein sein könne, das lag außerhalb<br />

des Vorstellungsbereichs der Leute aus dem Wienerwald. Man dachte<br />

schon, dass sie sich mit Lukas irgendwo getroffen haben würde, hatte auch alle<br />

Hotels ausfindig zu machen versucht, von denen man wusste, dass Móla dort<br />

mal im Urlaub gewesen war, aber alles Fehlanzeige. „Ja, wisst ihr,“ erklärte Susanne<br />

altklug, „Omi hat gesagt, ihre Liebe sei wie ein neues Leben, und in einem<br />

neuen Leben kommt man eben vielleicht auch auf die Idee, nach Duisburg<br />

zu fliegen. Wer weiß auf was für Ideen die noch kommt. Vielleicht solltet ihr<br />

eure Liebe auch mal erneuern, Papa und Tante Elena.“<br />

Jetzt war Lukas nach wenigen Tagen schon einfach wieder da. Das war gut,<br />

aber dass es ihnen an jedweden Perspektiven mangelte, bemerkten die beiden<br />

erst, als Lukas seiner Schwägerin schreiben wollte, wieso er schon wieder hier<br />

sei. „Móla ich bin glücklich, bei dir sein zu können. Allein zu Hause ertrage ich<br />

es gar nicht mehr, aber offiziell ist es so, als ob ich in Duisburg lebte, und ab<br />

und an meine geliebte Bayadère in Baden besuchen würde. Das passt doch<br />

nicht.“ erklärte Lukas. „Möchtest du, dass wir zusammen hier leben?“ fragte<br />

Móla und schaute sinnierend in die Gegend. „Es ist pervers.“ fuhr sie fort, „Einerseits<br />

möchte ich, dass du immer hier bist, immer bei mir bist, nur andererseits<br />

möchte ich keinen Mann, keinen Herrn, keinen Chef im Hause haben. Ich<br />

weiß gar nicht, was ich will.“ Lukas schaute sie an, sagte aber nichts. „Versteh<br />

mich bitte nicht falsch, Liebster,“ fügte Móla hinzu, „ich möchte dass du immer<br />

bei mir bist, und ich weiß nicht, wodurch sich das ändern sollte, aber ich habe<br />

Angst vor dem System. Kannst du verstehen, was ich meine?“ „Vielleicht.“ antwortete<br />

Lukas, „Wir werden nichts festlegen, nichts in irgendeiner Weise institutionalisieren,<br />

alles offen lassen, vielleicht sogar separate Bereiche im Haus<br />

vereinbaren, nur 1200 Kilometer auseinander sein, wenn wir immer zusammen<br />

sein wollen, das passt doch nicht.“ Mólas Befürchtungen waren rational gegründet<br />

und sicher nicht unberechtigt, aber wieso kam sie darauf, wollte sich<br />

davor hüten? Hatte Helmut ihr das vermittelt? Direkt würde sie es sicher verneinen,<br />

aber emotional vermittelt hatte er es schon, dass dem Mann eine gewisse<br />

Dominanz zusteht, und die Frau dies zu akzeptieren hat. Móla hatte sich<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 38 von 51


nie mit feministischen Gedanken auseinandergesetzt aber ihre Erklärung, dass<br />

sie keine neue Beziehung mehr wollte, hieß eigentlich: „Ich bin jetzt frei. Jetzt<br />

will ich über mich selbst bestimmen.“ Lukas war nicht verständnislos und<br />

scherzte: „Móla, ich habe immer gedacht, ich hätte einen starken Durchsetzungswillen.<br />

Habe ich vielleicht auch gehabt, aber bei dir komme ich mir vor,<br />

als ob ich eine Domina suchte. Deine Wünsche scheinen für mich Befehl zu<br />

sein. Deine Stimmungen trage ich mit und weiß nicht, wie ich sie verändern<br />

soll. Ich brauchte deine Unterstützung, um mich dir gegenüber ein wenig<br />

besser behaupten zu können. Und ich soll den Herrn in deinem Hause geben,<br />

dich dominieren, dir deine Richtlinien vorgeben? Kannst du dir das wirklich<br />

vorstellen?“ Móla grinste wie immer, wenn sie etwas in gewisser weise<br />

akzeptierte aber auch skeptisch war. „Na ja,“ monierte sie, „Ich könnte mir ja<br />

ein Stöckchen zulegen oder dir wieder in den Hintern beißen. Aber das läuft<br />

doch anders, Lukas. Du siehst es doch, ich liebe dich und du darfst alles<br />

machen. Und so geht das weiter. Bis jetzt ist ja letztendlich noch alles sehr<br />

schön, aber was weiß man, wohin sich das entwickeln wird, wenn sich so etwas<br />

institutionalisiert?“ „Du möchtest also lieber einen Status, bei dem du jederzeit<br />

sagen könntest: „Verschwinde, fahr nach Hause, Lukas?“ reagierte Lukas<br />

darauf. „Hör auf. Ich kann es nicht hören. Ich bin doch selbst nur<br />

durcheinander.“ Móla darauf, „Komm her, und wenn es irgendwann, wirklich<br />

dazu kommen sollte, dass wir nicht mehr wollen, kannst du dir doch immer<br />

noch eine eigene Wohnung nehmen. Wo soll man sich denn da überhaupt<br />

Probleme ausdenken können. Wir sind einfach bekloppt. Das waren die Alten,<br />

das war nicht in unserem neuen Leben gedacht. Komm zu mir. Es gibt nichts,<br />

auf das ich mich mehr freue.“ sprach die <strong>Husarentochter</strong>.<br />

Lukas hatte die Schönheiten des Niederrheins nie richtig wahrgenommen. Irgendwelche<br />

Käffer waren es mit ausschließlich streng konservativen Bauern.<br />

Jetzt dachte er plötzlich an all das Andere, an die Geschichte, an Kleve, Joseph<br />

Beuys und Bedburg Hau, Kevelaer war ihm früher eher skurril erschienen, jetzt<br />

war es nur noch in Verbindung mit Heinrich Heine denkbar. Xanten war für ihn<br />

Römerklamauk gewesen, jetzt sah er die tatsächliche Geschichte. Seine Heimat<br />

war es gewesen, und er hatte sie nur verzerrt wahrgenommen. Wie er jetzt<br />

wohl den Wienerwald empfinden würde? Alles Kitsch? Romantizismen die kultiviert<br />

wurden. Nein, nein so wollte es ihm überhaupt nicht erscheinen. Er liebte<br />

die alten Burgen, Klöster, Poststationen und Meiereien. Und auch wenn zum<br />

Heurigen schon mal Busse mit Touristen kamen, ihn störte es nicht. Die Kellnerin<br />

hatte am späten Abend immer noch Lust, über ihre Probleme zu berichten<br />

und aus ihrem Leben zu erzählen. Die Menschen hier schienen Lukas eine völlig<br />

andere Natur als am Niederrhein zu haben. Immer wieder versuchte er ein<br />

kleines Stückchen Móla darin zu entdecken, um sie besser verstehen zu können.<br />

Zunächst hatte Móla einen eigenen Account bei Lukas , um auch mit Biggi, Susanna,<br />

Niklas und Elena per E-Mail kontaktieren zu können. Nach geraumer<br />

Zeit meinte Móla: „Was soll das eigentlich, die Kinder haben alle einen und ich<br />

muss dich immer fragen, ob ich jetzt mal darf.“ Konsequenter weise bekam<br />

Móla jetzt doch einen Computer, mit vierundsiebzig, denn sie hatte gerade Ge-<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 39 von 51


urtstag gehabt. Lukas war noch dreimal kurz bei sich gewesen, um alles zu<br />

regulieren, und jetzt hatte er keine Wohnung in Duisburg mehr. Seine Freunde<br />

oder Bekannten, die sie mal in Baden für einen oder zwei Tage besuchen kamen,<br />

fand Móla sehr komisch. „Ein Weinhändler kann ja temporär mal ganz interessant<br />

sein, aber wenn da sonst hauptsächlich heiße Luft ist. Du bist doch<br />

hauptsäclich künstlerisch, literarisch, kulturell interessiert. Hast du denn da gar<br />

keine Freunde?“ erkundigte sich Móla. Lukas zog ein sonderbares Gesicht, wartete<br />

und meinte: „Also wenn du über einen Schriftsteller mal zwei Rezensionen<br />

gelesen hast, kommst du dir als Genie exzeptionell vor. So gehst du dann in<br />

den literarischen Zirkel, wenn du das nicht machst oder willst, giltst du als<br />

tumber Tor. Reines Konkurrenzgebahren unter literarischen Hähnen. Eine Bekannte<br />

die ist auf einem Dorf in einem Lesezirkel, da ist das völlig anders. So<br />

wie man sich das wünscht.“ „Das ist aber hier auch anders.“ meinte Móla, „Es<br />

kommt natürlich schon ein wenig darauf an, was du suchst, ein wenig sophisticated<br />

kannst du in Wien auch schon etwas finden, aber Aufschneider, wie du<br />

von Duisburg sagst, die sind hier sicherlich überall schnell daneben. Das hat<br />

keiner nötig. Nur du musst dich mal ein bisschen mehr mit österreichischer Literatur<br />

beschäftigen, Schätzchen, die ist Klasse.“ meinte Móla dazu und Lukas<br />

war's zufrieden. Hatte Informationen bekommen und war zum erste Mal<br />

„Schätzchen“ tituliert worden. Während er noch überlegte, ob es nun einer besondern<br />

Liebkosungsform oder einem entwürdigenden Diminutiv entspräche,<br />

fragte ihn Móla grinsend: „Sag mal Lukas, ich hab' dich damals nachher Luc<br />

genannt. Weißt du doch noch, nicht wahr? Hat dir das eigentlich gefallen?<br />

Möchtest du, dass ich dich öfter so nenne? Einfach nur Luc zu dir sage? Würde<br />

dir das gefallen? Mir gefiel es schon.“ „Wenn du bei Luc an deinen Liebsten und<br />

nicht stets an deinen Orgasmusbesorger denkst, gefällt es mir schon.“ antwortete<br />

Lukas und Móla wurde böse: „Hör mal mein Schätzchen,“ ließ sie verlauten,<br />

„Ich habe nicht einen Liebsten, den ich liebe und einen Typen, der mir Orgasmen<br />

verschafft und den ich gern Luc nennen möchte. Bislang habe ich es<br />

immer so gesehen, dass alles integraler Bestandteil unserer Liebe ist. Das eine<br />

ist ohne das andere nicht denkbar. Wenn es für dich anders sein sollte, und so<br />

scheinst du es ja zu sehen, werden wir mal gründlich darüber reden müssen.“<br />

Gründlich darüber reden, das taten sie, und dass Schätzchen keine besonders<br />

herausragende Lliebkosungsform in Mólas Vokabular war, stand auch fest. Der<br />

Liebste sollte aber nach Klärung aller Missverständnisse demnächst häufiger<br />

liebkosend Luc genannt werden. Ja, sich heftig streiten, wissen, dass man zu<br />

einer Lösung finden würde und trotz aller Vorwürfe nie das Gefühl haben, dass<br />

sich an der Liebe zu dem anderen etwas ändern könne, das war neues Leben.<br />

Fragte Móla nach ihrem Leben mit Helmut, abstrus war es, sie konnte nur lachen.<br />

Neues Bildungsleben<br />

Ein neues, ein freieres, originäreres Leben? War es nicht vielleicht auch einfach<br />

ein konfuseres Leben, in dem es keinen Halt, keinen regulierenden Entwurf eines<br />

Bildes von sich selber mehr gab. Aber was waren das denn für Bilder, die<br />

für sie deutlich die Säule ihres Egos geziert hatten. Ihre Bilder seien es, sie<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 40 von 51


habe sie gemalt, hatte sie gemeint. Jetzt sah sie dass es Kopien, Klischees waren,<br />

die sie übernommen hatte, die in das Bild passten, dass sie von sich haben<br />

wollte, nicht nur gegenüber Helmut. Ihre Liebe zur Musik, war das auch<br />

eine Attitüde, die sie sich äußerlich angeheftet hatte? Nein, das passte dort<br />

nicht hinein. Dabei musste es sich um etwas anderes handeln. Sie meinte immer<br />

sehr selbstbewusst gewesen zu sein und sehr selbständig entschieden zu<br />

haben, dabei war sie unhinterfragt übernommenen Bildern gefolgt. Selbstverständlich<br />

war ihr immer alles erschienen, aber sie hatte auch heute noch keine<br />

Kriterien, nach denen sie es hinterfragen könnte. So besprach sie es nicht mit<br />

Lukas. „Weißt du,“ sagte Móla zu ihm, was jetzt geschieht, ist alles wie auf<br />

einem Wasser mit heftigen Wellen, aber ich habe überhaupt keine Angst. Es<br />

macht mir Spaß ich fühle mich wohl, und wenn mal etwas sein sollte, bist du<br />

da, immer, wie ein Ankerpfahl, an dem ich Rettung finden könnte. So war mein<br />

Leben nie. Im Nachhinein erscheint es mir so, als ob ich immer die stillen<br />

Gewässer gesucht hätte, wo ich im Voraus sicher war, dass mir nichts<br />

passieren könne. Aber jeder Mensch ist doch ein Schiff, dass irgendwann auch<br />

auf die wilde See hinaus muss und möchte, oder?“ Lukas lächelte wegen der<br />

Bilder, im Grunde war er aber tief ernst. „Du hast es ja selber gesagt, Móla,<br />

dass deine Bedürfnisse ein Produkt der Gesellschaft seien, und nicht nur<br />

explizit spezielle Bedürfnisse. Wie man sich gegenüber einem Mann zu<br />

verhalten hat, woher weißt du das denn? Was gibt es denn an dir, kann es<br />

denn an dir geben, das nicht gesellschaftlich vermittelt wäre?“ reagierte Lukas<br />

darauf. „Und jetzt, was wir machen, welche Gesellschaft vermittelt uns das?<br />

Das ist doch alles eher verboten.“ erklärte Móla. „Die Gesellschaft für wildes<br />

Leben im Alter.“ antwortete Lukas scherzhaft, „Aber nein, du hast ja Recht.<br />

Schreckliche Bilder werden bei nonkonformem Verhalten suggeriert. Die<br />

kleinen Jungs kamen in die Hölle, wenn sie masturbierten. So ein Schwachsinn.<br />

So war die Welt gestrickt. Die Verhaltens- und Denkmuster sind immer an<br />

Interessen orientiert, an Interessen von Irgendwem und irgendwelchen<br />

Gruppen. Das ist heute nicht anders und natürlich immer auch an den<br />

Interessen der Männer. Von der Babyerziehung an, und da wird sich auch wohl<br />

so schnell nichts grundlegend dran ändern.“ antwortete Lukas darauf. Da hatte<br />

sich Móla noch nie tiefer mit befasst. Natürlich war sie der Ansicht, dass<br />

Männern und Frauen die gleichen Rechte zustehen und sie gleich entlohnt<br />

werden sollten, aber Tiefergehendes näher zu diskutieren, fiel für sie unter<br />

Feminismus, der sich für sie mit einem Bild von keifenden Frauen verband.<br />

Ihre jetzige Diskussion bot den Ausgangspunkt für eine tagelange Fortsetzung,<br />

in der es immer wieder um verschiedene Aspekte zum Menschenbild, zur<br />

Entstehung des Selbstbildes und zu Unterschieden von Mann und Frau und der<br />

Genese ihrer Bilder ging. Ganz neue Welten öffneten sich für Móla, und alles<br />

faszinierte sie außergewöhnlich. Sie war ja längst fit im Umgang mit dem<br />

Internet. Die E-Mails waren zur Randerscheinung geworden und Wikipedia und<br />

You Tube ihre Hauptaktivitätsplätze. Ihre jetzt gewonnen neuen Erkenntnisse<br />

versuchte sie mit den bekannten Menschen in Verbindung zu bringen, und sie<br />

drückte es so aus, dass sie mit vierundsiebzig neue Augen erhalten habe. Je<br />

exzentrischer und nonkonformistischer die sie befallenden Erscheinungsformen<br />

ihrer Liebe waren, umso erfreuter und stolzer war Móla jetzt darauf. Bald schon<br />

war es nicht mehr so, dass Móla kaum las. Ständig war jetzt eine zutreffendere<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 41 von 51


Bezeichnung. Lukas beim Lesen unterbrechen, tat sie aber genauso oft. Jeder<br />

las ja jetzt still für sich, und da gab es immer etwas, das Lukas unbedingt<br />

erfahren, hören und wissen musste. Die Kommunikation beim Lesen im Bett<br />

nur auf Buch und Autor zu beschränken, wenn der Liebste neben einem lag,<br />

schien für Móla einer sträflichen Unterlassungssünde gleichzukommen.<br />

Die Schwerpunkte der Inhalte ihrer Gespräche begannen sich langsam zu verlagern.<br />

Und weniger Aktuelles, Kulturelles und die Erscheinungsformen ihrer<br />

Liebe bildeten die zentralen Themen, denn es war keine österreichische<br />

Belletristik, die Móla jetzt verschlang, sondern vornehmlich philosophische und<br />

sozialphilosophische Texte, die sie las. Batailles „Erotik“ wühlt Móla nicht nur<br />

auf, sie bildete den Ausgangspunkt für ein sich über mehrere Wochen<br />

hinziehendes Kolloquium der beiden. Wie ein Einlasstor eröffnete es den<br />

Zugang zu einem neuen Kontinent, den Móla zu erforschen hatte, nein wollte.<br />

Ihre Gespräche veränderten sich und Móla sich langsam mit ihnen. Als<br />

angesehene, kluge Frau hatte sie sich immer empfunden, die ganzen langen<br />

Jahre ihres Lebens mit Helmut, so hatte Helmut sie gesehen als er sie<br />

kennenlernte und so war es immer geblieben. Ihre Liebe zu Lukas hatte ihr<br />

vermittelt, dass etwas in ihr verborgen sein könnte und war, was sie bislang<br />

nicht kannte. Ein wundervolles Empfinden, sich neu entdecken sich neu erleben<br />

zu können. Wie ein Wunder kam es ihr jetzt vor, dass es Wege gab, dies alles<br />

verstehen zu können. Sie hatte nie danach gefragt, es war ihr kein Bedürfnis<br />

gewesen, sie hätte auch gar nicht gewusst, wo sie hätte ansetzen sollen.<br />

Natürlich hatte sie all diese Namen schon mal gehört, aber ihre gedanklichen<br />

Auseinandersetzungen gehörten nicht zum integralen Bestandteil ihres<br />

intellektuellen Horizontes. Lächelnd blickte sie auf ihr Leben zurück. Nein sie<br />

schämte sich nicht. Im Grunde war sie dumm und blind durchs Leben getaps<br />

und hatte sich gut dabei gefühlt. Mit Lukas war sie wohl im Paradis gelandet.<br />

Viel anders konnte es dort auch nicht sein, aber sie hatte auch den Baum der<br />

Erkenntnis hier entdeckt. Verändern würde das sicher einiges, hatte es schon,<br />

aber aus dem Paradis vertrieben kam sich Móla keineswegs vor. „Übrigens,<br />

mein Liebster,“ erklärte sie, „mit Helmut und mir das war doch sehr großes<br />

Glück. Nach rein ökonomischen Tauschkriterien haben wir uns gefunden. Zum<br />

Verhängnis hätte es werden müssen, dass sich daraus unsere Liebe entwickelt<br />

hat, ist ein absolut ungewöhnlicher glücklicher Zufall. Im Folgenden dann war<br />

es sicher uns zu verdanken, aber auch wohl weniger unserer Klugheit, sondern<br />

mit Sicherheit vornehmlich ganz anderen psychosozialen Komponenten.“<br />

Susanna spielte jetzt auch Klavier und übte, wie besessen. Nein, zu verdanken<br />

hatte sie es Lukas nicht, aber der Ausgangspunkt war schon ein Gespräch mit<br />

ihm damals gewesen. Sie hatte auf seinem Computer nach Movies und Musik<br />

gesucht, die sie übernehmen wollte. „Ah, wo hast du das denn her?“ war sie<br />

plötzlich aufgefahren, „Das ist Ulrikes Heiligtum. Ihre Platte von der Argerich<br />

mit Rachmaninoffs Drittem. Die dürfen wir gar nicht anfassen, und du hast das<br />

als Film. Wenn sie das bei mir sieht, wird sie schwarz vor Neid“ und Susanna<br />

lachte. „Vielleicht ist ihre Platte die Originalaufnahme von damals, aber der<br />

Film ist ja auch original, anders kann's ja nicht sein. Das Konzert ist doch weltberühmt<br />

und ein Jahrhundertereignis. Auf CD ist es sicher heute auch überall<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 42 von 51


erhältlich.“ meinte Lukas dazu. „Ich würde ja auch gerne Klavier spielen können.<br />

Toll ist das schon, wie Ulrike spielt.“ träumte Susanna. „Und warum lernst<br />

du's dann nicht?“ wollte Lukas wissen. „Jetzt bin ich ja schon so alt, aber viel<br />

schlimmer ist ja, mir von Ulrike Klavierspielen beibringen lassen? Kannst du dir<br />

vorstellen, dass ich das je machen würde?“ reagierte Susanna. Ulrike spielte<br />

nicht nur sehr gut, sie galt auch als hervorragende Lehrerin. Zweimal fuhr sie<br />

in der Woche nach Wien, um dort am Konservatorium zu unterrichten. Móla<br />

hatte die beiden eingeladen. Dass Susanna gern Klavier spielen lernen würde,<br />

wusste keiner. Probleme zwischen ihr und Susanna konnte sich Ulrike zwar<br />

auch ausmalen, aber bei dem anderen in ihrem Ort noch ansässigen<br />

Klavierlehrer Unterricht zu nehmen und dafür auch noch Geld zu bezahlen, das<br />

überstieg auch Ulrikes Vorstellungsvermögen. Der sei doch froh, dass er selber<br />

die schwarzen von den weißen Tasten unterscheiden könne, spottete sie.<br />

Trotzdem wurde es so gemacht. Für Susanna ergab sich daraus natürlich<br />

unbändiger Ehrgeiz, es trotzdem zu schaffen und es Ulrike zu beweisen. Wenn<br />

sie endlos wiederholend sich an bestimmten Passagen quälte, fragte Ulrike sie,<br />

ob sie es ihr mal zeigen dürfe? Und dann lächelten sie sich an. Mittlerweile kam<br />

Susanna schon zu Ulrike und fragte sie in allem oder bat sie, es ihr<br />

vorzuspielen. „Wenn du das spielen könntest, könnten wir mal gemeinsam<br />

spielen, wenn du möchtest.“ hatte Ulrike ihr angeboten. Selbst nachts im<br />

Traum übte sie noch weiter. Stolz lächelten sie sich nach dem Vierhändigen an<br />

und Ulrike hatte gemeint, Susanna habe Talent. Langsam begann der<br />

Musiklehrer zu stören. Sie machten zwar keine direkten Unterrichtsstunden,<br />

aber bezüglich Klavierspiel hatten sich Susanna und Ulrike ständig etwas zu<br />

vermitteln, und Susanna saugte alles gierig auf. Ulrike war nicht mehr die<br />

anmaßende Stiefmutter und Susanna nicht mehr die widerspenstige Göre. Eine<br />

bewundernswerte, liebevolle Klavierspielerin war Ulrike und Susanna eine<br />

wissbegierige, eifrige, talentierte junge Frau, die immer ein Lächeln schenken<br />

konnte. Mit dem Klavierspiel hatte es begonnen, aber eine andere konnte keine<br />

von beiden mehr untereinander in irgendwelchen sonstigen Bereichen spielen.<br />

Jedes mal wenn sie Omi besuchte, musste sie ihre neuen Lernfortschritte<br />

demonstrieren. „And now You're listening to Susann Argerich.“ verkündete sie<br />

stolz, „Sie besucht Chopin. Es ist Winter und sehr windig, also Chopin „Winter<br />

Wind Etude“. Susanna gab den letzten Takt und strahlte. Das war mehr als<br />

faszinierend. „Ich habe es ja immer gesagt.“ bestätigte Móla sich selbst,<br />

„Musik und Liebe zur Musik verändert die Menschen. Warum und wie genau,<br />

das weiß ich auch nicht, aber wir haben uns ja auch in Gesprächen über Musik<br />

kennengelernt. Vielleicht siehst du ganz schnell ein Bild, wie der andere das<br />

hört und liebt, wovon er gerade spricht und das macht ihn dir sympathisch. Du<br />

liebst das Stück, von dem er spricht und siehst, wie er es auch liebt. Einen<br />

Menschen, der sich gerade an Musik erfreut, belegst du nie mit einem üblen<br />

Charakter.“ Ein wenig Klavier spielen konnte Móla auch. Sie hatte es als Kind ja<br />

gelernt, aber sie vergriff sich immer sehr bald, und das löste bei ihr jedes mal<br />

einen Lachanfall aus, der sie nicht mehr weiter spielen ließ. Biggi war auch<br />

begeistert von Susannas Klavierkünsten. Können möchte sie so etwas auch<br />

schon. Vielleicht könnte sie ja ein anderes Instrument spielen lernen. Die<br />

beiden gingen alles durch, hörten sich zu allem etwas an. Cello, das wäre nicht<br />

schlecht, aber wenn Biggi es sich vorzustellen versuchte, passte es nicht in ihre<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 43 von 51


Welt. Zu Hause allein die Seiten streichen, um ganz langsam immer perfekter<br />

zu werden? Das würde sie nicht lange durchhalten. Móla meinte auch, dass<br />

Biggi extrovertierter sei und bei ihr die Lust an visueller Kommunikation<br />

stärker im Vordergrund stehe. Es gab wieder einen Film, an dem sie das ganze<br />

Jahr über immer wieder in Sandras Garten gedreht hatten. Er ging der Frage<br />

nach, was natürlich sei. Ob Nacktheit natürlich sei, oder ob Bekleidung und<br />

Mode nicht auch oder vielmehr Elemente des Natürlichen seien. Die Blüten in<br />

Sandras Garten waren es, was die Natur immer an schmückender,<br />

verlockender Kleidung zu bieten hatte. Das Kleidung mehr als dümmliche,<br />

schamvolle Verhüllung des Natürlichen war, würde jedem klar werden.<br />

Tiefstgründig sei er, urteilte Lukas nach dem was er bis jetzt wusste. Biggi<br />

neige dazu, schon als junges Mädchen nicht irgendetwas dokumentarisch<br />

festzuhalten, sondern scheine Lust darauf zu haben, mit ihren Filmen<br />

Antworten auf philosophische Fragen zu geben. Móla zeigte sich sehr<br />

interessiert und diskutierte mit ihr die Hintergründe. Die Griechen hätten ja<br />

sicher nicht aus Scham ihre weiblichen Statuen mit leichten Gewändern<br />

umgeben, und Biggi konnte ihr vieles dazu sagen. Das Omi aber überhaupt<br />

Interesse an solchen Diskussionen hatte und einiges sehr philosophisch<br />

fundierte dazu sagen, die Unterhaltung dazu in Bereiche bringen konnte, die<br />

ihnen verschlossen waren, erstaunte die beiden schon. Móla habe sich ver<br />

ändert, lautete ihre übereinstimmende Ansicht. Wie? Na das wusste man auch<br />

nicht genau zu beschreiben. „Nerdy“ ist sie geworden, konstatierte Biggi, und<br />

die beiden lachten sich tot. Zunächst mal mussten sie erklären. „Nein, Omi,<br />

aber seid ihr beiden zusammen seid, hast du dich schon irgendwie verändert.“<br />

ergänzte Susanna. „Du bist immer absolut o. k.. Na ja, das warst du früher<br />

auch schon, aber du bist so locker, hast vielmehr Lust an Quatsch und so.“<br />

„Aber das hatte sie doch sonst auch.“ meinte Biggi, denn mit Biggi hatte Móla<br />

sich tatsächlich immer schon anders gesehen und mit ihr von kleinauf vieles<br />

angestellt, was ihrem Selbstbildnis als Helmuts Frau eigentlich nicht entsprach.<br />

Es war ja das Kind, dass es ihr selbst Freude machte, durfte sie nicht<br />

wahrnehmen wollen. „Ja, das ist es ja auch nicht nur, was ich meine.“<br />

korrigierte sich Susanna, „Du bist nicht nerdy. Wenn ich mir das überlege, bist<br />

du in allen Bereichen von allen Frauen in unserer ganzen Verwandtschaft am<br />

besten drauf. Na klar, Ulrike kann besser Klavierspielen, aber was wir mühsam<br />

rausbekommen mussten, hätte bei dir am ersten Abend funktioniert. Biggi,<br />

was kann deine Mami besser als Omi?“ fragte Susanna rhetorisch und<br />

erwartete gar keine Antwort, die Biggi auch nicht gab, „Ich habe dich gemocht,<br />

sehr gern gemocht, geliebt, aber so habe ich dich nie gesehen. Liegt das denn<br />

alles an Lukas? An eurer gemeinsamen Liebe?“ Móla smilte und Lukas lachte<br />

auf. Móla wusste gar nicht, wie sie damit umgehen sollte, damals hatte Lukas<br />

ihr Komplimente gemacht für etwas, das sie für selbstverständlich hielt, und<br />

jetzt sagten ihr die jungen Mädchen, die eine vierundsiebzigjährige Omi in der<br />

Regel als lieb gemeint für etwas neben der Spur halten, dass sie von allen am<br />

fittesten sei? Darum hatte sie sich doch nie bemüht. Sie hatte doch niemals in<br />

irgendeiner weise die Absicht gehabt, vor irgendwem brillieren zu wollen.<br />

Lukas meinte: „Ich habe Móla nie zu irgendetwas angehalten, gedrängt oder<br />

gesagt, das sie doch mal dies oder jenes tun solle. Nur wenn Mann und Frau<br />

zusammen sind, dann kann daraus neues Leben entstehen. Ist ja klar, sie<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 44 von 51


efruchten sich gegenseitig. Aber das gilt für alle Beziehungen. Es ist immer<br />

die Frage, ob sie mehr darauf angelegt sind, sich gegenseitig zerstören,<br />

behindern oder ärgern zu wollen oder sich gegenseitig zu befruchten. Erklär du<br />

es mal genau, Susanna. Wer kennt den Unterschied besser als du.<br />

Irgendwelche Zerstörungsabsichten hat es zwischen Móla und mir sicher nicht<br />

gegeben, und was ihr als Veränderung feststellt, ist sicher ein Ergebnis dessen,<br />

wie unser Zusammensein uns gegenseitig befruchtet hat.“ Zusammensein,<br />

gegenseitig befruchten, na klar, schöne Bilder, passende Bilder, aber sie, Móla,<br />

wollte sich doch entdecken, frei sein, sich selbst, ihr eigenes Wesen entdecken,<br />

wer sie allein war, losgelöst von Abhängigkeiten, Systemen und gemeinsam<br />

befruchtendem Zusammensein. Sie dachte nach, grübelte und kam zu der<br />

Conclusio: Schwachsinn war das. Es gab keine losgelöste Móla, frei von allem,<br />

die sie originär selber war, ohne jedwede fremden Einfüsse. Sie war immer das<br />

Produkt ihrer Kommunikation und ihr Pendant war Lukas, sollte es sein. Lukas<br />

war der Sinn ihres Lebens.<br />

Mólas Krankheit<br />

Im Winter wollte Móla in den Schnee. Zwanzig Jahre war es bestimmt schon<br />

her, und davor waren sie jedes Jahr zum Skifahren gewesen. Móla war nicht<br />

schlecht, nur seit ihrem Unfall, waren sie etwas vorsichtiger geworden. Riskante<br />

Abfahrten an total steilen Hängen hatte sie geliebt. Ein wenig hatte das<br />

schon von einem anderen Leben gehabt. Sich mutig körperlich austoben können.<br />

Das vermittelte ein Empfinden, das es sonst nirgendwo für sie gab. Ein<br />

Gefühl von Glück und Freiheit. Dann war sie aber bei dem rasanten Tempo gestürzt.<br />

Die Bindungen funktionierten nicht so wie heute. Ein Ski hatte sich mit<br />

ihr x mal überschlagen. Im ersten Moment hatte sie gemeint, jetzt wohl tot zu<br />

sein. Dann war aber doch nur ihr Unterschenkel an beiden Knochen gebrochen,<br />

und einige Prellungen hatte sie abbekommen. Es hatte gedauert, bis geklärt<br />

war, das sich an diesem Hang niemand traute, sie mit einer Bahre zu retten<br />

und endlich ein Hubschrauber organisiert wurde. Nach all dem stand Móla nicht<br />

nochmal, und dass es nur das Bein getroffen hatte, war ja absolutes Glück gewesen.<br />

Jetzt wollte sie natürlich nicht Skifahren und auch nicht den Touristenrummel<br />

erleben, die tiefverschneite Bergwelt wollte sie erleben, ihre Erinnerungen<br />

auffrischen und ihre Vergegenwärtigung gemeinsam mit Lukas erleben.<br />

„Ich war gelenkiger, wendiger, mein Körper harmonierte besser mit den<br />

Schwüngen, kannst du dir das vorstellen?“ fragte Móla, „Ja, eine Gazelle war<br />

deine Mamsell mit ihren Rückenschmerzen mal. Helmut hat sich immer<br />

schwarz geärgert. Er hat es immer mit Kraft und Berechnung versucht, aber<br />

das blockiert dich eher.“ Als Kind und später mit seinen Kindern war Lukas Skifahren<br />

gewesen. Seine Erinnerungen und Emotionen waren zwiespältig.<br />

„Schnee im Winter, das ist ja alles sehr schön, nur am Ende bist du immer nass<br />

und kalt.“ lautete sein Kommentar und beide lachten. Eine Woche, nachdem<br />

sie wieder zu Hause waren fühlte Móla sich oft schlapp. Saß und lag viel und<br />

Nachts schwitzte sie immer sehr stark, so dass sie nicht mehr ohne Nachthemd<br />

schlief. Vor allem am Hinterkopf waren morgens ihre Haare nassgeschwitzt.<br />

„Das ist keinesfalls normal, Móla. Ich würde an deiner Stelle unbedingt zum<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 45 von 51


Arzt gehen.“ riet Lukas. Bevor sie ging, stellten sie auch noch fest, das ihre<br />

Temperutur deutlich über dem Normbereich lag. Lungenentzündung diagnostizierte<br />

der Arzt und meinte, es sei eine unverantwortliche Leichtsinnigkeit, sich<br />

in ihrem Alter damit nicht ins Krankenhaus zu begeben.<br />

Natürlich war Móla nicht glücklich darüber, aber sie sagte fast gar nichts dazu,<br />

sprach gar nicht darüber. Lukas dachte sie sei einfach nur enttäusch und unglücklich<br />

darüber, dass sie jetzt Tage und Nächte im Krankenhaus zu verbringen<br />

habe. So äußerte sie sich auch, als Lukas sie aufforderte doch endlich zu<br />

sagen was sie bedrücke. „Na, denkst du das ist schön, die Nächte hier allein<br />

auf dieser Pritsche zu verbringen. Berühr mich doch mal ein bisschen mehr,<br />

wenn du hier bist.“ erklärte Móla. Lukas schaute sie an. Was für ein Unfug, und<br />

Móla sah natürlich, dass er so dachte. Was wollte sie Lukas nicht sagen und<br />

warum verschwieg sie es. Móla zog Lukas zu sich und sagte ihm halb<br />

weinerlich ins Ohr: „Ich kann nicht, bitte, Lukas, ich kann nicht.“ Zweifelnd,<br />

fragend schaute Lukas sie an und insistierte behutsam weiter, bis sie seinen<br />

Kopf zu sich zog und ihm weinend ins Ohr flüsterte. „Lukas ich werde sterben,<br />

ich gehe tot, ich komme nie wieder nach Hause.“ Langsam wurde ihre Stimme<br />

immer lauter. „Das geht doch nicht. Ich will doch noch leben, gerade jetzt. Es<br />

hat keinen Punkt in meinem Leben gegeben, an dem es mir so wichtig war zu<br />

leben, wie jetzt. Es soll nicht alles vorbei sein. Ich will nicht tot sein.“ Lukas<br />

wusste gar nicht, was er hörte. „Hat das ein Arzt gesagt?“ fragte er. „Die sagen<br />

einem so etwas doch nicht.“sie darauf. Jetzt begann es Lukas schon ein wenig<br />

rätselhaft zu werden: „Krankenschwestern, wissen die etwa so etwas?“ „Ach,<br />

Quatsch,“ fuhr Móla fort, „hast du schon jemals von einer<br />

vierundsiebzigjährigen Frau gehört, die mit 'ner Lungenentzündung ins<br />

Krankenhaus gekommen und lebend wieder rausgekommen ist? Alle kommen<br />

sie mit 'ner Lungenentzündung ins Krankenhaus, um dann dort zu sterben.<br />

Lukas wollte einen Arzt fragen, wie es um Móla stehe, aber der durfte ihm<br />

nichts sagen. Mit einem Formular kam er in Mólas Zimmer. Sie brauchte aber<br />

nichts unterschreiben, ihre mündliche Erklärung reichte aus. Um eine ganz<br />

normale Lungenentzündung handele es sich mit Erregern, wie sie überall im<br />

Mund und Rachhenbereich vorkämen und die sie wohl aspiriert habe. Höflich<br />

lächelte er auf die Frage des alten Mannes, ob man an so etwas auch sterben<br />

könne. Dabei wollte er ja nur, das Móla seine Antwort deutlich hörte.<br />

Normalerweise nehme man da zu Hause einige Tage Antibiotika und dann sei<br />

alles vergessen. Aber ein dreiundsiebzigjähriger Körper könne schon mal auf<br />

dumme Gedanken kommen, die bei einem dreiundzwanzigjährigen nicht zu<br />

erwarten seien, und da seien Beobachtung, Unterstützung und Vorsicht eben<br />

dringend angeraten. Jetzt wäre es also klar, dachte Lukas. Jetzt hätte Móla<br />

verstanden, dass ihre Lungenentzündung nicht tödlich sei. Nur Móla schien das<br />

gar nicht hören zu wollen. „Trotzdem kannst du es doch nicht leugnen, wie es<br />

ist, das die alten Frauen eine Lungenentzündung bekommen und daran im<br />

Krankenhaus sterben. Vielleicht ja gar nicht an der Lungenentzündung direkt,<br />

sondern an den Komplikationen. Das hatte er ja auch eingeräumt.“ erläuterte<br />

sie. Lukas verstand sie nicht. Was hatte es denn zu bedeuten, dass sie, anstatt<br />

die positiven Informationen über ihre Krankheit freudig hoffnungsvoll zu<br />

bewerten, imaginäre, durch nichts begründete Horrorszenarien aufzeichnete?<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 46 von 51


Irgendetwas musste sich in ihrer Psyche abspielen, das Lukas nicht kannte. Er<br />

wollte mit dem Chefarzt sprechen und erklärte ihm auch, dass ihre Furcht<br />

durch rationale Argumente wahrscheinlich nicht zu entkräften sei. Trotzdem<br />

erläuterte er es Móla noch eimal sehr detailliert. Er sprach über alle möglichen<br />

Komplikationen und die Wahrscheinlichkeit ihre Auftretens bei ihr. Im Grunde<br />

sei sie eine gesund starke Frau bis auf die lästigen Bakterien in ihrer Lunge, die<br />

die Antibiotika in wenigen Tagen bekämpft haben würden. Im Grunde sei ihr<br />

Bild von den alten Frauen mit Lungenentzündung gar nicht völlig falsch. Nur<br />

handele es sich dabei um Frau, die schon todkrank seien und dann zusätzlich<br />

noch eine Lungenentzündung bekämen, die und die damit verbundenen<br />

Komplikationen sie letztendlich nicht mehr überstehen würden. „Aber doch<br />

nicht so fitte, taffe Frauen wie sie. Ich denke es plagt sie eine Angst, wovor<br />

weiß ich natürlich nicht.“ schloss er. Móla lächelte. „Wissen sie, Herr Professor,<br />

mir geht es im Moment sehr gut. Ich meine ich führe ein sehr glückliches<br />

Leben, glücklicher als je zuvor. Und das insgesamt noch gar nicht lange.<br />

Natürlich weiß man, dass das Leben jeden Tag zu Ende sein kann, hat man<br />

immer gewusst. Nur jetzt ist es mir plötzlich vor Augen getreten, dass dieses<br />

mein jetziges Leben plötzlich zu Ende sein soll. Es gibt nichts, woran ich so<br />

hänge, das bin ich, das ist mein Leben, alles von mir ist darin, jetzt im Alter<br />

erst, das kann man mir doch nicht sofort schon einfach wieder nehmen. Der<br />

Gedanke daran hat mich schockiert. Was sie bezüglich meiner Gesundheit<br />

sagen, glaube ich ihnen ja voll und es beruhigt mich, aber dieser Schock, dass<br />

abrupt alles zu Ende sein könnte der sitzt sehr tief.“ antwortete ihm Móla. Der<br />

Chefarzt fragte, ob es nicht ratsam sein könne, wenn sie weiterhin<br />

diesbezüglich Probleme haben sollte, einen Therapeuten zu konsultieren als<br />

sich überfüssigen Belästigungen auszusetzen.<br />

Genesung<br />

Hatte Móla Probleme mit dem Schock, als sie nach Hause kam? Nein, sie freute<br />

sich lachte wieder, untersuchte alles, nahm alles in die Hand, als ob sie jahrelang<br />

fort gewesen sei und lächelte. Im Krankenhaus waren sie alle gewesen,<br />

die Verwandten, besorgt um Mólas Gesundheit. Den Kindern waren die Tränen<br />

gekommen. Natürlich nicht, weil sie der Ansicht waren, das ihre Omi jetzt sterben<br />

müsse, nur weil sie es nicht ertragen konnten, ihre Omi krank, leidend zu<br />

sehen. Für Móla waren es aber immer emotionale Signale gewesen, die ihre<br />

Endzeitstimmung unterstützten. Jetzt war ja alles wieder gut, sie schien zufrieden,<br />

lächelte wieder und hatte durch ihre Krankheit ein wenig abgenommen.<br />

Trotzdem war sie nicht die alte. Natürlich bekam sie heute den Apfelstrudel mit<br />

Schlagobers aus ihrem Lieblingscafé. „Dass die Bakterien nicht nur in deiner<br />

Lunge sein konnten, haben wir ja sofort bemerkt. Nachts ließen sie dich<br />

schwitzen und tagsüber machten sie dich müde. Jetzt sollen sie ja alle vernichtet<br />

sein, in deinem ganzen Körper, aber es kommt mir vor, als ob sich irgendwo<br />

welche versteckt hätten.“ meinte Lukas. Móla lächelte und wünschte nähere<br />

Erläuterungen. „Du hast dich verändert Móla. Sonst hätte man von dir erwartet,<br />

dass du tirilierend ins Haus gestürmt wärst und jetzt legst du bedächtig alles<br />

ab, berührst alles sinnlich, als ob du es zum ersten mal in die Hand nähmst,<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 47 von 51


zum ersten mal fühltest. Was ist das in dir? Was macht das in dir? Woher<br />

kommt das?“ Lukas darauf. „Ein wenig besinnlicher, das kann schon sein.“ Móla<br />

darauf. „Und warum, weshalb, was ist der Grund?“ wollte Lukas wissen. „Na ja,<br />

ich habe das gespürt, dass nichts mehr selbstverständlich ist, dass wir uns<br />

auch morgen am Apelstrudelessen werden erfreuen können. Alles kann jetzt<br />

zum letzten mal gewesen und morgen vorbei sein. Wissen können und gewusst<br />

habe ich's sicher immer, nur es ist nie ein Bestandteil meines Empfindens gewesen.<br />

Da habe ich es einfach ausgeblendet, gelebt als ob unser Leben ein niemals<br />

endender Jahrmarkt sei. Immer neue Events, immer neue Hauptgewinne,<br />

immer neue Karussells. Im Krankenhaus ist mir bewusst geworden, dass es so<br />

fahrlässig und dumm ist. „Jetzt sterben müssen. Einfach so plötzlich alles zu<br />

Ende.“ so ein Gedanke kam in meinem Leben nicht vor, und als ich es im<br />

Krankenhaus erlebte – ich habe es ja anfänglich wirklich geglaubt – hat es<br />

mich maßlos entsetzt. Ich will das aus meinem Leben nicht mehr verbannen,<br />

will nicht mehr Blume auf einer Wiese sein, die nicht weiß, dass sie irgendwann<br />

welken wird.“ erklärte es Móla. Lukas sinnierte und meinte nach längerer Zeit:<br />

„Das du krasse Unterschiede sehen kannst, verstehe ich sehr gut. Du hast es<br />

ja an Helmut deutlich erlebt.. So etwas und Schlimmeres kann uns natürlich<br />

beiden blühen. Du hast es verdräng, vielleicht vergessen, empfindest dich jetzt<br />

als übermütig leichtsinnig. Der Schock im Krankenhaus hat das alles<br />

hervorgeholt. Allerdings, morgen tod sein können nicht nur wir beide. So wie<br />

du es für dich jetzt siehst, müsste ja die Mutter beim Kindergeburtstag daran<br />

denken, dass ihre Kleine Morgen überfahren werden könnte, der Liebhaber<br />

damit rechnen, dass seine Geliebte auf dem Heimweg auch ermordet werden<br />

könnte. Es gibt eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, und die würde sagen, das<br />

sechs richtige im Lotto hundert mal wahrscheinlicher sind als ihre<br />

Befürchtungen. Wenn die Mutter's trotzdem befürchtet, dann hat sie eine<br />

psychische Störung, eine Phobie. Irgendein Literat, der sich mal über seine<br />

Depressionen lustig machte, hat herausgefunden, dass es 98 Gründe geben<br />

könnte, warum er morgen nicht mehr lebe. Móla, das ist dein Problem.<br />

Natürlich ist es theoretisch möglich, dass wir morgen keinen Apfelstrudel mehr<br />

essen können, aber höchst unwahrscheinlich. Wenn du es glauben möchtest,<br />

hast du Lust, dich zu quälen.“ Móla lachte. „Ja, vielleicht ist im Krankenhaus<br />

aus der sadistischen eine masochistische Móla geworden, wer weiß? Nein, du<br />

hast schon Recht. Im Moment ist es nur einfach so da, in meinen Emotionen.<br />

Das will ich nicht mehr. Das ist o. k., aber ist es denn völlig falsch, sich auch<br />

mal mit den Perspektiven und möglichen Perspektiven zu beschäftigen. Im<br />

Moment fühlen wir uns doch wie die jungen Götter. Das ist doch jetzt schon<br />

sehr außergewöhnlich und dass es so auf keinen Fall noch sehr lange so<br />

bleiben wird, das wissen wir doch auch.“ antwortete sie Lukas. Lukas hielt es<br />

für müßig, sich mit dem Nachdenken und sinnieren über mögliche auf einen<br />

zukommende Beeinträchtigungen auseinander zu setzen. Da sei alles völlig<br />

unterschiedlich und individuell abhängig. Was man generell sagen könne seien<br />

ja nur Durchschnittswerte, die individuell gar keine Aussagekraft hätten. Sie<br />

solle sich doch mal mit Elenas Schwiegermutter vergleichen, die sei jünger als<br />

sie, aber sie sei ihr gegenüber zwanzig Jahre jünger. Adenauer sei mit über<br />

neunzig noch Bundeskanzler gewesen. Alles könne gehen oder auch nicht. Sich<br />

über Generelles Gedanken zu machen sei falsch und führe in die Irre. Bisher<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 48 von 51


habe sie sich über Unbewusstes aus ihrer Kindheit gefreut, das wieder zu<br />

entdecken sei und bliebe der bessere Weg. „Ich werde dir also mit<br />

dreiundneunzig noch in den Hintern beißen.“ erklärte Móla und kniff Lukas<br />

dabei heftig in eine Brustwarze. Der schrie zwar auf, lachte aber und meinte:<br />

„Ich bitte darum.“<br />

Langsam schien die alte Móla sich wieder zu Hause in gewohnter weise zu integrieren.<br />

Almählich streichelte sie nicht mehr ihre Rührlöffel, die sie ja heute<br />

zum letzten mal in der Hand haben konnte, und längst gehörten die kleinen lukulischen<br />

Amourorgien auf dem Bett wieder zur gewohnten Alltagskultur. Aber<br />

ihre Beschäftgung mit theoretischen Inhalten hatte sich im philosophischen Bereich<br />

noch weiter ausgedehnt. „Schau mal, unterbrach sie Lukas, so ähnlich<br />

hast du es mir damals zu Helmuts Totenbrief geschrieben, das weiß ich noch,<br />

nur damals habe ich taube Nuss es gar nicht richtig verstanden, es gar nicht zu<br />

bewerten und deuten gewusst. Ob man ein besserer Mensch wird, ein wertvollerer<br />

Mensch, wenn man mehr versteht? Ich weiß es nicht, aber es macht ein<br />

Gefühl, als ob es dich auf eine höhere Stufe hebt. Wie kommst du dir denn vor,<br />

wenn du heute Chopins Winter Wind Etude spielen kannst und morgen Rachmaninoffs<br />

Drittes? Ulrike die kann das. Hat sie als Examen gespielt. Die könnte<br />

viel mehr bringen, als Klavierlehrerin, nur sie sagt selbst, Musik und ihr übriges<br />

Leben passe überhaupt nicht zusammen. Mit Susanna lebt sie jetzt nur in der<br />

Musik. Alles wird zur musikalischen Frage und bestimmt würden sie das BH<br />

Problem heute auch unter musikalischen Gesichtspunkten behandeln, sich dabei<br />

freuen und lachen. Sollte man immer für sich selbst höhere Ebenen anstreben,neue<br />

Kleider anlegen, die einen noch besser charakterisieren, weil es<br />

einen selber erfreut, weil man sich dadurch selbst anders sehen kann, oder ist<br />

das alles verbaut. Liebt der, der etwas Komplizierteres spielen kann, nicht sich<br />

selbst, sondern sucht er nur nur die Anerkennung der anderen, die ihn dafür<br />

bewundern? Kann eine Frau sich überhaupt schön ankleiden, ohne an die Vorstellung<br />

derer zu denken, die sie so sehen werden? Sind wir alle süchtig nach<br />

einer beliebigen Art von Anerkennung, die von anderen kommt, oder gibt es<br />

die nicht auch für mich selbst. Niemand erfährt etwas davon, wenn ich dich<br />

jetzt verstehe, trotzdem fühlt es sich für mich gut an?“ Lukas war der Ansicht,<br />

auch wenn sie meine jetzt ganz persönlich bei sich selbst zu sein, sei doch alles<br />

was sie denke und empfinde, kommunikativ aus der Auseinandersetzung mit<br />

ihre Umwelt beeinflusst. Dass sie ihren besseren Durchblick und ihr tieferes<br />

Verständnis so bedeutsam bewerte, sei sicher ihrer Intensiven Auseinandersetzung<br />

mit philosophischen und soziologischen Fragestellungen geschuldet. Es<br />

gehöre zu ihr, dass sie diesem Bereich einen wesentlich höheren Stellenwert in<br />

ihrem Leben und ihrer Weltsicht einräume, ein Teil ihres neuen Lebens. „Eigentlich<br />

hast du ja gar keine Ahnung, Luc. Wenn wir über irgend etwas reden,<br />

musst du immer nachlesen, ich muss es dir erzählen oder du musst dich sonst<br />

kundig machen. Aber irgendetwas fasziniert mich. Du kannst es immer gleich<br />

einordnen, kannst Bezüge herstellen und Zusammenhänge aufweisen. Manchmal<br />

kommst du mir vor, wie ein Dirigent, der nichts mehr dirigieren kann, aber<br />

alles kennt. Wie jemand, der in einer anderen Welt aufgewachsen ist, der zu<br />

allem, was für mich neu ist, irgenwelche Bezüge hat, aber nichts mehr genau<br />

weiß. Natürlich weißt du von Baudelaires Les Fleurs du Mal, aber die Chat willst<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 49 von 51


du gelesen haben, als ob du sie gar nicht kennen würdest. Du bist unendlich<br />

süß, ein Wesen aus einer anderen Welt, das alles kennt und nichts Genaues<br />

weiß.“ meinte Móla. Lukas lachte: „Meine Süße, ein wenig jünger als du bin ich<br />

schon, und die Gesellschaft die mich beeinflusst und geprägt hat, waren nicht<br />

die etablierten Kreise wie bei dir hier in Österreich, das war die Studentenbewegung,<br />

die sogenannten 68er, in der ich als Student meine politische und philosophisch<br />

Sozialisation erfahren habe. Viele der Philosophen, von denen du<br />

heute ließt und mir Passagen rezitierst, galten damals als Vertreter fortschrittlichen,<br />

revolutionären Gedankenguts, wurden eifrig diskutiert und haben heute<br />

etablierte Plätze in der Philosophie. Daher kenn ich alle aber weiß natürlich vieles<br />

nicht mehr genau. Fortschrittliches Gedankengut ist auch heute keineswegs<br />

konservativ, rechts orientiert. Die Intellektualität ist auch heute noch eideutig<br />

eher links zu verorten. Das Kulturelle sowieso, nur die Bürgerschaft auf den<br />

Dörfern, für mich ein Bildungsproblem. Und die Kapitalisten selbst natürlich<br />

auch. Aber das ist ja in vielen europäischen Ländern nicht anders.“ „In den<br />

USA ist das doch genauso, wer aus intellektuellen Kreisen würde denn da die<br />

Republikaner wählen? Die tumben Toren wählen die Konservativen. War ich<br />

früher auch. Und jetzt, bin ich jetzt eine fortschrittliche Intellektuelle geworden?“<br />

fragte Móla lächelnd rethorisch, „Als ich keine einengende Beziehung in<br />

meinem Leben mehr wollte, und meinte dann frei zu sein, bestand die Vorstellung<br />

von Freiheit für mich darin, ohne Ansichten, Eichätzungen und Kritiken<br />

ander entscheiden zu können, ob ich mir blaue Schuhe oder braune Blumen<br />

oder beides kaufe.“ Móla verzog ihren Mund zu einem mitleidigen Lächeln und<br />

fuhr fort, „Hat' sich doch wohl ein wenig verändert, und das alles ganz rasant<br />

bei mir alter Omi. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich mal das<br />

Gefühl hatte, stolz auf mich selbst zu sein, aber ich glaube, jetzt empfinde ich<br />

das wirklich.“ „Wie gut, dass du es selber sagst, bei mir hättest du es wahrscheinlich<br />

zu einem billigen Anmachversuch erklärt.“ meinte Lukas und musste<br />

Móla, die sich nicht erinnerte, den Bezug erklären. „Ja, ich gefalle mir so in<br />

meiner Selbsteinschätzung und meinem Selbstwertempfinden, aber es ist ja<br />

auch ein Bild, das wertvolle Bild einer intellektuell gebildeten Frau. Gefällt es<br />

dir auch, mich so zu sehen?“ fragte Móla Lukas. „Móla, ich bewundere dich, für<br />

das was du gerade benannt hast und vieles andere mehr. Nur gemocht habe<br />

ich die Mòla, die du gerade als ein wenig silly mitleidig belächelt hast genauso<br />

genauso gern wie dich jetzt. Meine Liebe hat doch nichts mit der Bewertung<br />

deiner Leistungen zu tun. Du bist mein Leben, Móla.“<br />

FIN<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 50 von 51


Je ne connais qu'un devoir, c'est celui d'aimer.<br />

Albert Camus<br />

Keinesfalls wollte Móla sich verlieben oder Dergleichen. Das hatte sie Lukas<br />

direkt klar gemacht. Sie verstanden sich aber ausgezeichnet und Móla hatte<br />

Lukas im Scherz zum Geliebten für spezielle Bereiche erklärt, so auch für<br />

'Klang und Gesang'. Bei der Oper konnte der Klang- und Gesang-Geliebte aber<br />

nicht kneifen. Mólas Hand hielt er schon, als er sich mit seinem Kopf zu ihr<br />

beugte, um sie zu küssen, machte Móla große verwirrte Augen, aber Lukas<br />

Mimik sagte: „Na, mach schon.“ und Móla machte. Anschließend hielt sie sich<br />

die Hand vor den Mund und lachte, streichelte aber doch noch Lukas Wange.<br />

„Na, als Verliebte küsst man sich doch.“ erklärte Lukas lapidar sein Verhalten.<br />

„Aber doch nicht in der Oper. Und dann wir beiden. Wir sind doch keine<br />

ungezogenen Teenager.“ Lukas küsste sie wieder. In der Pause durfte man<br />

schon. Lukas hatte es auch verdient, denn Móla war ganz angetan. Zunächst<br />

habe sie es sich vorsagen müssen, dass Lukas an sie denke und wünsche, dass<br />

sie glücklich sei, und dann sei es einfach so da gewesen. Wie in einem leichten<br />

Glücksrausch habe sie alles erlebt. „Ja, wenn du dich geliebt weißt und nimmst<br />

gleichzeitig etwas Wundervolles wahr, ich glaube, das ist so ein Gefühl als ob<br />

man high ist. Mein Geliebter.“ sagte sie und schenkte Lukas noch einen<br />

intensiven Kuss.<br />

Móla <strong>Husarentochter</strong>– Seite 51 von 51

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