26.11.2013 Aufrufe

Keine Liebe mit Kristin

Als Nick und Familie aus dem Urlaub in Frankreich zurückkamen, stand fest, Frau Dr, Rosenbach verlässt das Institut. Im nächsten Monat wird sie gehen. „Warum, Kristin, warum?“entfuhr es Nick als sie sich zum ersten Mal trafen. „Nick, lass es uns heute Abend im Café besprechen, oder du müsstest dir ein wenig Zeit nehmen.“ Selbstverständlich hatte Nick Zeit. „Nick, ich kann so nicht mehr leben.“ erklärte Kristin, „Es würgt mich. Es macht mich konfus. Dich fast jeden Tag treffen, wühlt immer alles Mögliche in mir auf. Ich kann keine klare Vorstellung entwickeln, keine Perspektive sehen, du bist immer da­zwischen. Ich denke an irgend etwas und fange einfach an zu weinen, weil ich es auf irgendwelche Erlebnisse mit dir beziehe. Alles, alles, alles hat immer mit dir zu tun. Wenn ich neben meiner Tochter sitze fällt mir ein früheres Erlebnis ein, natürlich wie ich dir davon erzählt habe. Ich sehe dich zuhören, höre deine Kommentare. Nick ich werde verrückt an dir. Zu Anfang habe ich mich ja noch gefreut, wenn ich öfter mal an dich dachte, aber jetzt ist es störend bis uner­träglich. Ich träume gar nicht sehnsüchtig davon, wie schön es wäre, wenn wir zusammen sein könnten. Du hast einfach mein Denken okkupiert. Der Nick in mir will mich nicht lieben, sondern dominieren. Weißt du Nick, ich will nicht versuchen, dich zu vergessen, keinesfalls, ich muss nur ein wenig Abstand ge­winnen, ein wenig Klarheit bekommen, wieder normal werden, und das geht hier so nicht. Ich steige in Freiburg in eine Praxis für Innere ein und kann sie in einem halben Jahr übernehmen.

Als Nick und Familie aus dem Urlaub in Frankreich zurückkamen, stand fest,
Frau Dr, Rosenbach verlässt das Institut. Im nächsten Monat wird sie gehen.
„Warum, Kristin, warum?“entfuhr es Nick als sie sich zum ersten Mal trafen.
„Nick, lass es uns heute Abend im Café besprechen, oder du müsstest dir ein
wenig Zeit nehmen.“ Selbstverständlich hatte Nick Zeit. „Nick, ich kann so
nicht mehr leben.“ erklärte Kristin, „Es würgt mich. Es macht mich konfus.
Dich fast jeden Tag treffen, wühlt immer alles Mögliche in mir auf. Ich kann
keine klare Vorstellung entwickeln, keine Perspektive sehen, du bist immer
da­zwischen. Ich denke an irgend etwas und fange einfach an zu weinen, weil
ich es auf irgendwelche Erlebnisse mit dir beziehe. Alles, alles, alles hat
immer mit dir zu tun. Wenn ich neben meiner Tochter sitze fällt mir ein
früheres Erlebnis ein, natürlich wie ich dir davon erzählt habe. Ich sehe dich
zuhören, höre deine Kommentare. Nick ich werde verrückt an dir. Zu Anfang
habe ich mich ja noch gefreut, wenn ich öfter mal an dich dachte, aber jetzt
ist es störend bis uner­träglich. Ich träume gar nicht sehnsüchtig davon, wie
schön es wäre, wenn wir zusammen sein könnten. Du hast einfach mein
Denken okkupiert. Der Nick in mir will mich nicht lieben, sondern dominieren.
Weißt du Nick, ich will nicht versuchen, dich zu vergessen, keinesfalls, ich
muss nur ein wenig Abstand ge­winnen, ein wenig Klarheit bekommen,
wieder normal werden, und das geht hier so nicht. Ich steige in Freiburg in
eine Praxis für Innere ein und kann sie in einem halben Jahr übernehmen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Carmen Sevilla<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong><br />

Larissa stellt Nick vor die Alternative<br />

Erzählung<br />

Mann kann dem Leben nicht mehr Tage geben,<br />

aber den Tagen mehr Leben.<br />

Als Nick und Familie aus dem Urlaub in Frankreich zurückkamen, stand fest,<br />

Frau Dr, Rosenbach verlässt das Institut. Im nächsten Monat wird sie gehen.<br />

„Warum, <strong>Kristin</strong>, warum?“entfuhr es Nick als sie sich zum ersten Mal trafen.<br />

„Nick, lass es uns heute Abend im Café besprechen, oder du müsstest dir ein<br />

wenig Zeit nehmen.“ Selbstverständlich hatte Nick Zeit. „Nick, ich kann so<br />

nicht mehr leben.“ erklärte <strong>Kristin</strong>, „Es würgt mich. Es macht mich konfus.<br />

Dich fast jeden Tag treffen, wühlt immer alles Mögliche in mir auf. Ich kann<br />

keine klare Vorstellung entwickeln, keine Perspektive sehen, du bist immer<br />

dazwischen. Ich denke an irgend etwas und fange einfach an zu weinen, weil<br />

ich es auf irgendwelche Erlebnisse <strong>mit</strong> dir beziehe. Alles, alles, alles hat<br />

immer <strong>mit</strong> dir zu tun. Wenn ich neben meiner Tochter sitze fällt mir ein<br />

früheres Erlebnis ein, natürlich wie ich dir davon erzählt habe. Ich sehe dich<br />

zuhören, höre deine Kommentare. Nick ich werde verrückt an dir. Zu Anfang<br />

habe ich mich ja noch gefreut, wenn ich öfter mal an dich dachte, aber jetzt<br />

ist es störend bis unerträglich. Ich träume gar nicht sehnsüchtig davon, wie<br />

schön es wäre, wenn wir zusammen sein könnten. Du hast einfach mein<br />

Denken okkupiert. Der Nick in mir will mich nicht lieben, sondern dominieren.<br />

Weißt du Nick, ich will nicht versuchen, dich zu vergessen, keinesfalls, ich<br />

muss nur ein wenig Abstand gewinnen, ein wenig Klarheit bekommen,<br />

wieder normal werden, und das geht hier so nicht. Ich steige in Freiburg in<br />

eine Praxis für Innere ein und kann sie in einem halben Jahr übernehmen.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 1 von 54


<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> - Inhalt<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong>...................................................................... 5<br />

Niedersachsen - Bayern.................................................................... 5<br />

Ruf nach München............................................................................5<br />

Neues Leben in München...................................................................6<br />

Oberärztin Frau Dr. Rosenbach........................................................... 6<br />

Chikago Congress............................................................................ 8<br />

Planung....................................................................................... 8<br />

Im Flieger.................................................................................... 9<br />

Lesepersönlichkeit........................................................................9<br />

Kongress und Jetlag....................................................................10<br />

New York................................................................................... 11<br />

Home again................................................................................... 12<br />

Leilani.......................................................................................... 13<br />

Nochmal....................................................................................... 14<br />

Küss mich richtig!...........................................................................15<br />

Komm <strong>mit</strong> zum Schwan...................................................................15<br />

<strong>Kristin</strong>s Ehe................................................................................... 17<br />

Ruby in my Soul.............................................................................18<br />

Verändertes Leben.........................................................................19<br />

Congresso di Roma......................................................................... 20<br />

Nick.......................................................................................... 20<br />

<strong>Kristin</strong>....................................................................................... 21<br />

Nick und Larissa.........................................................................22<br />

<strong>Kristin</strong>s Love..............................................................................22<br />

Nicks Love................................................................................. 23<br />

Große Weihnachtsfeier.................................................................... 24<br />

Die Alternative............................................................................... 25<br />

<strong>Keine</strong> Zukunft für Nick und <strong>Kristin</strong>.....................................................26<br />

Streit bei Dautzenbergs...................................................................27<br />

<strong>Liebe</strong>sverbotssyndrom....................................................................28<br />

<strong>Kristin</strong> geht................................................................................... 29<br />

Leben ohne <strong>Kristin</strong>..........................................................................29<br />

Erinnerungen................................................................................. 30<br />

Die Geschichte Rosenbach............................................................... 31<br />

Hey Nick....................................................................................... 31<br />

Im Saalcafé................................................................................... 32<br />

Spend the night together or not?...................................................... 33<br />

Wiedererkennen............................................................................. 34<br />

Soziales Urvertrauen.......................................................................36<br />

<strong>Kristin</strong> melde dich..........................................................................36<br />

Nick in Hinterzarten........................................................................ 37<br />

<strong>Kristin</strong>s Sozialleben........................................................................37<br />

Erste Nacht in Hinterzarten.............................................................. 38<br />

Leilanis Besuch.............................................................................. 39<br />

Spaziergang.................................................................................. 39<br />

<strong>Kristin</strong>s 'Leben ohne Nick'................................................................ 41<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 2 von 54


Nick spielt nicht mehr <strong>mit</strong>................................................................ 42<br />

Leben <strong>mit</strong> Nick in Hinterzarten.........................................................42<br />

Abend und Nacht............................................................................43<br />

Sonntag........................................................................................ 44<br />

Sag's Larissa................................................................................. 44<br />

Hochzeitsplanung........................................................................... 45<br />

Hochzeitsfeier................................................................................ 45<br />

<strong>Kristin</strong>s Family............................................................................... 47<br />

Nick rastlos................................................................................... 47<br />

<strong>Kristin</strong>s neues Leben....................................................................... 48<br />

Larissa und <strong>Kristin</strong> wollen sich treffen................................................49<br />

Nick und Larissa in Hinterzarten.......................................................50<br />

Begrüßung................................................................................. 50<br />

Randfigur................................................................................... 51<br />

Zwei Freundinnen.......................................................................51<br />

Zwei Göttergaben...........................................................................52<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 3 von 54


<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong><br />

Niedersachsen - Bayern<br />

Nick war einer von diesen drögen langweiligen Fischköpfen, die den ganzen Tag<br />

nur Lüttje Lage trinken und ihren Rössern größere Aufmerksamkeit schenken<br />

als ihren Frauen. Sie sind zufrieden <strong>mit</strong> der Ödnis ihres platten Landes und<br />

wissen sich in ihrer faden Fantasielosigkeit nur <strong>mit</strong> nüchtern herber Sachlichkeit<br />

rational geprägten Themen zu widmen. Darüber konnte Nick nur lächeln.<br />

Er liebte Hannover, war hier aufgewachsen, hatte hier studiert und war jetzt<br />

Oberarzt an der Klinik. Langweilig und öde war es für ihn an keinem Tag gewesen,<br />

außer an grauen kalten Regentagen, die überall auf der Welt tristes Empfinden<br />

erzeugen. Natürlich war Hannover keine hitzige temporeiche Weltstadt,<br />

<strong>mit</strong> London, Rio und New York konnte man es nicht vergleichen, aber wer<br />

brauchte so etwas schon, um trotzdem sein alltägliches Glück zu finden. Nick<br />

und besonders seine Frau Larissa hegten vielmehr tiefste Antipathien gegen<br />

das Süddeutsche, das Bajuwarische. Stockkatholisch, erzkonservativ, und verlogen<br />

bis auf die Knochen waren die Menschen dort. Unerträglich die Vorstellung,<br />

hier leben zu müssen. Auch die anderen bairischen Attitüden waren ihnen<br />

zuwider, von Schweinshaxen essen, in Mengen Bier saufen bis zum knorrige<br />

Sprache sprechen müssen.<br />

Ruf nach München<br />

Trotzdem hatte Nick sich auf den Lehrstuhl für Hämatologie und Onkologie an<br />

der Ludwig-Maximilians-Universtät beworben. Er rechnete sich nur sehr geringe<br />

Chancen aus. Seine einzigen Auslandserfahrungen bestanden aus anderthalb<br />

Jahren an der Uni Göttingen. Was er untersucht und veröffentlicht hatte,<br />

war zwar anerkannt und diskutiert, aber bei wem, der sich auf den Lehrstuhl in<br />

München bewarb, sollte das wohl nicht so sein. Nur Nick versuchte eben alles.<br />

Der Lehrstuhl in München galt sicher als einer der lukrativsten in der Republik.<br />

Dass er schon vierzig Jahre alt war, galt bestimmt auch als ein Bewerbungsnachteil.<br />

Große Überraschung herrschte in Hannover, als Nick tatsächlich die<br />

Zusage und den Ruf nach München erhielt. Da beide gar nicht da<strong>mit</strong> gerechnet<br />

hatten, waren auch überhaupt keine Überlegungen zu den Konsequenzen angestellt<br />

worden. Larrissas erste Reaktion war: „Also ich zieh da nicht hin. Ich<br />

bleibe <strong>mit</strong> den Kindern hier wohnen.“ Nick müsse dann eben fahren und könne<br />

nur am Wochenende zu Hause sein. Er konnte seine Frau gut verstehen und<br />

sah sich schon <strong>mit</strong> dem üblen Schicksal einer Wochenendehe <strong>mit</strong> strapaziösen<br />

Fahrten konfrontiert. Als er in der Klinik darüber berichtete, dass er demnächst<br />

nach München gehe, seine Frau aber hier bleiben wolle, bekam sich ein Kollege,<br />

der aus Bayern kam, nicht mehr ein vor Lachen und fragte, ob seine Frau<br />

denn schon mal in München gewesen sei. Wenn man das suche, was seine Frau<br />

befürchte, könne man es sicher irgendwo und besonders auf dem Land an<br />

manchen Stellen finden, aber in München selbst spüre man nichts davon. Das<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 4 von 54


sei eine offene Weltstadt, bestimmt ebenso liberal, wenn nicht noch liberaler<br />

als Hannover. Nick berichtete Larissa darüber, überzeugen konnte er sie<br />

dadurch allerdings nicht. Aber Larissa begann, sich da<strong>mit</strong><br />

auseinanderzusetzen. Sie hatte Zweifel daran bekommen, ob ein Leben in<br />

Bayern grundsätzlich für sie ausgeschlossen wäre. Überall fand sie Bestätigung<br />

für das, was Nick berichtet hatte. Gemeinsam <strong>mit</strong> dem Horror vor einer<br />

Wochenendehe bewirkte es, dass Larissa schließlich ihre Bereitschaft, nach<br />

München zu ziehen, signalisierte.<br />

Neues Leben in München<br />

Eine enorme Umstellung und viel Arbeit bedeutete es allerdings schon. Nichts<br />

war mehr selbstverständlich vertraut, alles musste neu erkundet und gesucht<br />

werden. In allem musste man sich umstellen. Das galt nicht nur für Larissa<br />

und Nick, sondern auch für die Kinder, die jetzt eine neue Schule <strong>mit</strong> neuen<br />

Lehren und alles völlig unbekannten neuen Klassenkameraden hatten. Sie<br />

kannten sich ja genauso wenig aus und mussten auch für die Nach<strong>mit</strong>tage alles<br />

neu erkunden und lernen. Carla hörte auf, Geige zu spielen, weil sie die<br />

neue Lehrerin nicht ausstehen konnte, und André kam <strong>mit</strong> den anderen Jungen<br />

im Basketballclub nicht klar. Aber obwohl alles so lästig und <strong>mit</strong> vielen Problemen<br />

verbunden war, musste Larissa immer wieder über die positiven Überraschungen<br />

staunen, die sie Tag für Tag erlebte und den bayrischen Menschen<br />

gar nicht zugetraut hatte, und wenn es nur die ausnehmende Freundlichkeit einer<br />

Verkäuferin in einem Geschäft gewesen war. „Nick, weißt du, eigentlich<br />

müsste ich mich richtig schämen für meine Vorstellungen, die ich von Bayern<br />

hatte. Weil ich es nicht mochte, hatte ich auch nie etwas da<strong>mit</strong> zu tun. Trotzdem<br />

habe ich mir in gewisser Weise rassistische Vorurteile gebildet, die <strong>mit</strong> der<br />

Wirklichkeit, in der wir jetzt leben, nichts zu tun haben. Ich finde es, obwohl<br />

ich ja eigentlich nur ganz wenig kenne, wunderbar hier. Manchmal denke ich,<br />

du spürst in München, dass es näher bei Italien liegt. Wenn ich daran denke,<br />

wie stolz wir auf unser Sprengelmuseum und die Nanas waren, kann ich jetzt<br />

als Münchenerin nur schmunzeln. Ich bin kaum hier und fühle mich schon wohl<br />

und zu Hause. Es gefällt mir.“ erläuterte Larissa, die von einer Bayernhasserin<br />

in kürzester Zeit zu einer Apologetin mutiert war, ihre neuen Ansichten.<br />

Für Nick war in der Klinik auch alles neu. Die wissenschaftlichen Grundlagen<br />

waren natürlich überall die gleichen, aber die Verhaltensweisen und Umgangsgepflogenheiten<br />

unterschieden sich schon erheblich von seiner Alltagspraxis in<br />

Hannover. Die großzügige Ausstattung übertraf allerdings seinen aus Hannover<br />

bekannten Rahmen. Hinzu kam, dass er jetzt der oberste Chef war. Eine Position,<br />

die ihm nicht besonders behagte. Er liebte es mehr im Team zu arbeiten,<br />

wie er es besonders ausgeprägt während seiner Zeit in Göttingen erlebt und<br />

geliebt hatte. Hier waren jedoch die Vorstellungen besonders hierarchisch geprägt,<br />

wahrscheinlich auch gefördert durch seinen ausgeschiedenen Vorgänger.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 5 von 54


Oberärztin Frau Dr. Rosenbach<br />

Am gleichen Tag <strong>mit</strong> Nick war eine Frau Dr. Rosenbach als neue Oberärztin<br />

eingestellt worden. Sie kam in einer freien Minute zu ihm ins Büro und verkündete<br />

frisch lächelnd: „Ich wollte mich ihnen nur kurz vorstellen. Ich bin genauso<br />

neu wie sie.“ Nick unterbrach sie in ihrer weiteren Vorstellung: „Sie kommen<br />

aber auch nicht aus Bayern, oder?“ „Nein, nein, ich bin genauso einer von<br />

diesen norddeutschen Tieflandindianern wie sie. Ich komme aus Münster.<br />

Schade, Münster mag ich sehr. Es ist gegenüber München wie ein Dorf <strong>mit</strong> einem<br />

einheitlichen Gesamtflair. Ich habe mich sehr wohl gefühlt. Hier ist dagegen<br />

alles sehr offen und ein Gesamteindruck hat sich mir noch nicht ver<strong>mit</strong>telt.<br />

Na ja, was man nicht alles für den Beruf aufgibt. Sie hat doch auch bestimmt<br />

nicht das schöne München aus Hannover weggelockt, Prof. Dr. Dautzenberg?“<br />

fragte <strong>Kristin</strong> Rosenbach. „Nein, nein, natürlich nicht. Aber das <strong>mit</strong> dem Prof.<br />

Dr., können wir das nicht unter Kollegen lassen. Sagen sie doch einfach Herr<br />

Dautzenberg zu mir.“ fügte Nick an. „Und sie Frau Rosenbach zu mir, o. k..<br />

Finde ich sehr gut, aber sagen sie mal, Dautzenberg das ist doch ein sehr ungewöhnlicher<br />

Name. Dauthendey würde mir schon eher etwas sagen.“ meinte<br />

Frau Rosenbach und Nick erklärte: „Der Name sagt mir wiederum nichts.“ „Max<br />

Dauthendey, ein impressionistischer Dichter. Sollten sie mal etwas von lesen.<br />

Wunderschöne Gedichte hat er geschrieben.“ erläuterte Frau Rosenbach. „Ach,<br />

schrecklich ist das,“ stöhnte Nick auf, „da denke ich, ich bin so gebildet und<br />

weiß alles, aber in Kunst und Kultur sind Frauen einfach überlegen. Ich sage<br />

etwas, aber meine Frau weiß es immer besser, ist einfach kompetenter. Und sie<br />

jetzt auch wieder.“ Und Nick lächelte. „Herr Dautzenberg das ist doch nicht nur<br />

in Kunst und Kultur so.“ reagierte Frau Rosenbach ebenfalls lächelnd, „durch<br />

alle Genderforschungen ist doch längst bewiesen, dass Frauen im allgemeinen<br />

den größeren Überblick und besseren Durchblick haben. Sie nutzen es nur<br />

nicht zu ihrem eigenen Vorteil. Zusätzlich haben Frauen eine wesentlich höhere<br />

Sozialkompetenz. Sie können sich besser einfühlen und tiefer nachempfinden.<br />

So ist das nun mal. Das zu bedauern hilft ihnen nicht. Freuen sie sich, dass sie<br />

als Mann mehr und leichter Freude daran empfinden können, Sieger zu sein<br />

und mehr Spaß an Raufereien haben können. Das ist doch auch was, oder?“<br />

Beide lachten und Nick meinte trotzig: „Ich werde nie mehr anerkennen, dass<br />

eine Frau irgendetwas besser kann außer bei Streit, Zank und Besserwisserei.<br />

Ich vermute, wir werden uns sehr gut verstehen, Frau Rosenbach. Eine sehr<br />

schöne Vorstellung war das, sie hat mir Spaß gemacht. Ich weiß zwar fachlich<br />

fast nix von ihnen, aber was ich sonst erfahren habe, gefällt mir sehr gut.“<br />

Frau Rosenbach schmunzelte. „Sie haben mir auch einen überraschend<br />

positiven Eindruck ver<strong>mit</strong>telt, Herr Dautzenberg. Na dann auf gute und<br />

freundliche Zusammenarbeit.“ Sonderbar, Nick hatte diese Frau Rosenbach ja<br />

zum ersten mal gesehen, sich aber sofort lustig offen <strong>mit</strong> ihr unterhalten, als<br />

ob sie gegenseitig empfunden hätten, dass sie auf einer ähnlichen Wellenlänge<br />

liegen würden, er offen <strong>mit</strong> ihr reden könnte, keine Distanzattitüden wahren<br />

müsste. Als ob sie alte vertraute Kollegen wären und sich nicht gerade zum<br />

ersten Mal als völlig Fremde begegnet wären. So blieb es auch bei der Arbeit.<br />

Der eine war immer der besonders vertraute Kollege des andern. Wie ein<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 6 von 54


verschworenes Pärchen konnten sie gemeinsam über hier gepflegte kuriose<br />

Verhaltensweisen tuscheln. Wenn man etwas plante, besprach man es <strong>mit</strong> dem<br />

anderen oder diskutierte untereinander Erfahrungen und Fragestellungen.<br />

Wenn man Rat oder Hilfe brauchte, wusste man, dass man sich gegenüber<br />

dem anderen keine Blöße gab und wenn einem etwas Besonderes gelungen<br />

war, wusste man, dass der andere sich auch <strong>mit</strong> freute und es nicht für<br />

Prahlerei hielt. Obwohl Nick die Arbeitsbedingungen am Institut in keiner Weise<br />

für unangenehm hielt, war die Möglichkeit der Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Frau<br />

Rosenbach ein besonderes Surplus, dass ihm eine Vorstellung von Teamarbeit<br />

ver<strong>mit</strong>telte, und ihn so angenehm überraschte, dass ihn die Arbeit <strong>mit</strong><br />

besonderer Freude erfüllte. Frau Rosenbach war eben nicht nur eine<br />

vertrauensvolle Kollegin, sie war auch äußerst rege und lebhaft und war immer<br />

zu Scherzen aufgelegt.<br />

Chikago Congress<br />

In Chikago fand ein Kongress statt<br />

Planung<br />

Nach etwa einem halben Jahr, Nick hatte <strong>mit</strong>tlerweile das Gefühl sich voll eingelebt<br />

zu haben, bekam er das Angebot zu einem Kongressbesuch in Chikago.<br />

Er berichtete Frau Rosenbach über seine Absicht, und dass er zu dieser Zeit<br />

nicht anwesend sei. „Am liebsten wäre es mir ja, wenn sie die Vertretung<br />

machten, aber ich befürchte, das wird böses Blut geben. Oder kommen sie<br />

doch einfach <strong>mit</strong>. Ich habe die Möglichkeit für eine Begleitperson. Das wäre<br />

doch nicht schlecht. Vier Ohren hören doch mehr als zwei. Und vertragen werden<br />

wir uns doch bestimmt.“ erläuterte Nick. Frau Rosenbach zögerte und<br />

schaute Nick leicht zweifelnd grinsend an. Sie war sich nicht ganz sicher, ob<br />

Nick es wirklich ernst gemeint hatte, und dann war ja die große Frage, ob sie<br />

zu Hause alles einfach so organisieren könnte, dass sie für eine Woche abwesend<br />

wäre. „Ja, auch wenn es mir gerade erst eingefallen ist, ich meine das<br />

ernst, und finde, dass es eine sehr gute Idee ist. Ihre Kinder sind bestimmt<br />

stolz, wenn Mami mal ne Woche in Chikago ist. Übrigens der Kongress dauert<br />

nur drei Tage. Wir könnten noch drei Tage nach New York fliegen. Würde ich<br />

sehr gern mal sehen. Ich war bis jetzt zweimal kurz in den USA an der Westküste,<br />

in La Jolla bei San Diego und Seattle, aber gesehen habe ich beide Male<br />

nichts. Ich fände es sehr schön, wenn wir zusammen fliegen könnten.“ begegnete<br />

Nick ihren Zweifeln. „Das ist mir jetzt ein bisschen sehr plötzlich. Ich kann<br />

es nicht einfach so ad hoc entscheiden, aber grundsätzlich Lust hätte ich auf<br />

jeden Fall.“ reagierte Frau Rosenbach. Dass die beiden zusammen zum Kongress<br />

fuhren, wurde natürlich von den Kolleginnen und Kollegen im Institut<br />

auch registriert. Aber es war ja auch nicht verborgen geblieben, dass sie sonst<br />

viel und intensiv zusammenarbeiteten. Jede und jeder versuchte sich seinen<br />

Reim darauf zu machen. Für den einen war es eben natürlich, das zwei Fischkopf-Batzis<br />

sich gut verstehen mussten, die andere sah amouröse Tendenzen,<br />

aber es gab keine Antipathien gegen die Zusammenarbeit der beiden, da sie ja<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 7 von 54


für niemanden Nachteile oder Ausschlüsse zur Folge hatte. Selbstverständlich<br />

hatte der Reiz des USA Besuchs Frau Rosenbach in die Lage versetzt, alles organisieren<br />

zu können, dass sie <strong>mit</strong>fahren konnte. Sie arbeite praktisch nur, um<br />

die Hilfskräfte bezahlen zu können, die sich um Haushalt, Putzen und Kinder<br />

kümmerten. Jetzt war wegen der vierjährigen Leilani ihre Mutter noch zusätzlich<br />

die ganze Woche anwesend.<br />

Im Flieger<br />

Als Nick und Frau Rosenbach endlich im Flieger nebeneinander saßen, schauten<br />

sie sich an und lächelten. „Frau Rosenbach, sie müssen mir sagen, wenn sie es<br />

als unhöflich oder unangemessen empfinden, ich denke nur, wir kommen so<br />

gut <strong>mit</strong>einander aus, arbeiten so viel zusammen, nach all meinen früheren<br />

Erfahrungen und Gewohnheiten wäre es selbstverständlich, dass wir uns <strong>mit</strong><br />

dem Vornamen anreden würden. Und mir kommt es tatsächlich manchmal sehr<br />

kurios vor, dass ich sie immer Frau Rosenbach nennen muss. Ich fände es viel<br />

angenehmer, wenn wir uns duzen könnten.“ erklärte Nick. Frau Rosenbach<br />

schaute ihn an, lächelte und fragte: Nur jetzt zum Kongress oder auch später<br />

im Institut?“ „Jetzt zum Kongress bin ich für sie Nick und anschließend wieder<br />

Herr Dautzenberg? Meinen sie nicht, dass sie dann jedes mal lachen müssten,<br />

wenn sie mich so nennen?“ erwiderte Nick. „Ich denke nur, dass man im Institut<br />

vermuten würde, wir hätten etwas <strong>mit</strong>einander, weil das doch sehr ungewöhnlich<br />

wäre, wenn wir uns duzten. Aber mir persönlich ist das total recht. In<br />

meiner Schulzeit haben wir gedacht, dass die Anrede <strong>mit</strong> 'Sie' völlig verschwinden<br />

würde. Wir haben sogar unsere Lehrer geduzt, allerdings 'Herr Meier, du',<br />

auch nicht ganz konsequent. Also o. k. Ich bin einverstanden. Dass ich <strong>Kristin</strong><br />

heiße, hast du ja bestimmt schon <strong>mit</strong>bekommen. Ich glaube, dazu muss man<br />

sich die Hand geben Nick.“ reagierte <strong>Kristin</strong> Rosenbach und hielt Nick Dautzenberg<br />

lächelnd die Hand hin. Auch wenn sich prinzipiell zwischen ihnen nichts<br />

geändert hatte, dadurch dass man sich jetzt <strong>mit</strong> Nick und <strong>Kristin</strong> anredete,<br />

hatte ihr Verhältnis doch an Vertraulichkeit und Selbstverständlichkeit gewonnen,<br />

und ein weiteres Stückchen Distanz abgelegt. Im Flieger redeten sie über<br />

die umständliche Einreise in die USA und holten ihre Unterlagen raus, um sie<br />

nochmal zu betrachten und darüber zu reden. „Darf ich mal deinen Pass sehen,<br />

oder ist dir das unangenehm?“ fragte <strong>Kristin</strong>. „Du heißt ja Nickolas!“ stellte sie<br />

erstaunt fest, „Wie kommen denn Eltern 1955 darauf, ihr Kind Nickolas zu nennen?<br />

Ist das nicht griechisch? Oder in den USA gibt es das glaube ich auch. Ein<br />

Freund von Frieda Kahlo – sagt dir was, oder muss Frau es erklären? - aus den<br />

USA der hieß auch Nickolas. Im lettischen oder litauischen wird es bestimmt<br />

auch so heißen, aber dann hießest du ja auch Dautzenbergas oder so.“ Nick,<br />

der die ganze Zeit lachen musste, fragte worauf er denn jetzt zuerst antworten<br />

solle. „Warum das <strong>mit</strong> meinem Namen so ist, weis ich gar nicht genau. Früher<br />

war es im Deutschen ja immer der Klaus, aber das war 55 auch schon out.<br />

Vielleicht haben meine Eltern einfach nach einer besseren Form gesucht. Griechische<br />

oder baltische Affinitäten hatten meine Eltern jedenfalls nicht. Vielleicht<br />

hat meine Mutter auch etwas gelesen, bei dem ein netter Nickolas vorkam.<br />

Kenn ich aber nicht, kulturelle Bildungslücke wie bei dem Freund von<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 8 von 54


Frieda Kahlo. Wieso weißt du so etwas alles?<br />

Lesepersönlichkeit<br />

Ich habe früher auch sehr viel gelesen, Belletristik. Heute kann ich das gar<br />

nicht mehr. Diese ganze Medizinliteratur hat meine Lesepersönlichkeit zerstört.<br />

Ich kann nur noch Kunstbücher, Dokumentationen, Geschichtsbücher und so<br />

etwas Ähnliches, also Sachliteratur, lesen. Poetisches, Literarisches kann ich<br />

gar nicht mehr genießen. Ich fange an zu blättern, um zu suchen, worauf's<br />

denn letztendlich hinaus läuft. Es ist entsetzlich. Du hast das doch auch alles<br />

genauso gemacht. Wie ist das denn bei dir.“ antwortete ihr Nick. „Tscha,“<br />

meinte <strong>Kristin</strong>, „ich habe es nie so alternativ betrieben, wie sich das bei dir anhört.<br />

Ich habe immer beides gemacht. In meinem Garten wurden die Runkelrüben<br />

fürs Futter gezüchtet, aber mir war es genauso wichtig, das die Blumen<br />

nicht verdorrten. Und das ist immer noch so. Es ist doch traurig, wenn ein Gedicht<br />

in dir keine Emotionen mehr hervorrufen kann. Das ist doch so, als ob du<br />

taub geworden wärest. Ich denke du bist ein netter empfindsamer Mensch, du<br />

solltest das zu ändern versuchen. Wenn du ein Gedicht ließt, dann musst du es<br />

genießen, da gibt es keine Sachinformationen am Schluss. Da<strong>mit</strong> solltest du<br />

mal anfangen, dann wirst du sicher bald auch wieder die literarische Kunst in<br />

Erzählungen und Romanen entdecken und genießen können, ohne darüber hinwegblätternd<br />

nach Sachinformationen zu suchen. Vielleicht solltest du dir auch<br />

mal etwas vorlesen lassen, <strong>mit</strong> Hörbüchern oder so Ähnlichem, da<strong>mit</strong> du wieder<br />

lernst, dass ebenso wie bei der Musik nicht der Schlussakkord das Ziel ist,<br />

auch in der Literatur der Weg das Entscheidende ist und nicht das Endergebnis.“<br />

„Ich weiß es <strong>Kristin</strong>. Ich möchte gern, dass es anders wäre. Deshalb bin<br />

ich ja der Ansicht, dass die Medizinliteratur dafür verantwortlich ist, die dafür<br />

sorgt, dass ich <strong>mit</strong> queren Emotionen mir Bücher aussuche, die primär Sachinformationen<br />

zu bieten haben. Ich denke nicht nur in der Musik, auch in Gesprächen<br />

ist es ja so, dass du Lust daran hast, ganz vieles aufzunehmen, was<br />

keine weiterführenden Sachinformationen sind, oder wenn du ein Bild betrachtest,<br />

wie wichtig sind denn da die Sachinformationen. Ich denke ich werde<br />

mich mal intensiver da<strong>mit</strong> beschäftigen müssen.“ erläuterte Nick. Über ihr Verhältnis<br />

zur Literatur kamen sie auf andere kulturelle Themen zu sprechen. Sie<br />

unterhielten sich darüber, wann sie sich wo<strong>mit</strong> befasst hatten und berührten<br />

dadurch viele Stationen aus ihrem bisherigen Leben. Als sie nach zehn Stunden<br />

in Chikago ankamen, kannte jeder detailliert die Biographie des anderen. Nick<br />

wusste auch, dass <strong>Kristin</strong> eigentlich <strong>Kristin</strong>a hieß, aber warum sie nicht so genannt<br />

wurde, hatte <strong>Kristin</strong> ihm nicht verraten. Das dürfe er nicht wissen, das<br />

sei zu privat. Niemandem außer ihren Eltern und ihr selbst sei das bekannt. Sie<br />

hatten sich Ernsthaftes aber auch viel Lustiges erzählt. Zehn Stunden lang hatten<br />

sie sich interessiert zugehört, erzählt und gelacht. Müde war keiner der<br />

beiden geworden, sie schienen beide gute Erzähler zu sein und Lust daran zu<br />

haben, dem anderen zuzuhören. Sie hatten sich so gegenseitig bei der Arbeit<br />

noch nie erlebt, hatten auf dem Flug den anderen Menschen entdeckt, über<br />

Medizinisches hatten sie nur im Rahmen biografischer Ereignisse gesprochen.<br />

Vorher meinten sie sich gut zu verstehen, als sie in Chikago O'Hare ausstiegen,<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 9 von 54


mochten sie sich.<br />

Kongress und Jetlag<br />

Der Apparat des Kongresses in Chikago war überwältigend groß und ermüdend.<br />

Ermüdend vielleicht auch, weil Nick und <strong>Kristin</strong> sich überhaupt nicht um<br />

den Jetlag gekümmert hatten. Sie wussten ja was da geschah, wussten um die<br />

Auswirkungen der Störung des Circadianen Rhythmus, hatten aber keinen Gedanken<br />

daran verschwendet. Sie ertrugen es aber, indem sie sich über ihre eigene<br />

Schusseligkeit lustig machten. Wenn <strong>Kristin</strong> wieder unbedingt gähnen<br />

musste, war das meist ein Anlass zum Lachen, und wenn Nick sich mal kurz<br />

die Hände vor die Augen hielt, um zu verbergen, dass er nicht mehr wach<br />

bleiben konnte, wollte <strong>Kristin</strong> hinterher wissen, was er denn geträumt habe.<br />

Am dritten Tag schien alles wieder normal, nur da endete der Kongress ja auch<br />

schon. Morgen flogen sie nach New York, und für die relativ kurze Entfernung<br />

war nicht erneut <strong>mit</strong> einem Jetlag zu rechnen.<br />

New York<br />

Doch anstatt sich beim Flug auszuruhen, delektierten sie sich nur an den Kuriositäten,<br />

die ihnen in Chikago aufgefallen waren und über ihr eigenes Verhalten.<br />

Sie lachten den ganzen Flug, als ob sie sich ständig Witze erzählten. Jeder<br />

war begeistert davon, wie lustig der andere etwas erzählen konnte. Völlig ernst<br />

wurde man in New York auch nicht wieder. Was Nick geplant hatte zu besichtigen,<br />

war völlig hinfällig. Sie verhielten sich wie ausgelassene Zwanzigjährige,<br />

die sich in New York austoben wollten. <strong>Kristin</strong> kam auf die Idee, im Central<br />

Park wolle sie unbedingt mal gewesen sein, also auf zum Central Park. Sie<br />

spielten Fangen und lachten sich über ihre eigene Verrücktheit halb tot. Meistens<br />

gingen sie den Arm um die Taille des anderen gelegt, freuten sich und erzählten<br />

sich etwas. Das sie ein Mann und eine Frau waren, die auch weitergehende<br />

Interessen aneinander haben könnten, als sich gut leiden zu mögen,<br />

kam beiden nicht in den Sinn. Sie waren ja verheiratet und hatten eine Familie<br />

<strong>mit</strong> kleinen Kindern, und es war selbstverständlich, dass einem derartige Gedanken<br />

gar nicht kommen konnten. Sie waren einfach gute Freunde und hatten<br />

Lust daran gemeinsam Spaß zu haben. Abends an der Bar wollte <strong>Kristin</strong> die<br />

Geschichte vom großen Regen in Idaho 1798 erzählen, als Livinston Carlyle,<br />

der einfache Landmann zum Volke sprach, doch Nick musste schon nach kurzem<br />

feststellen, dass es sich um eine absolute Nonsens Story handelte, denn<br />

immer wieder erklärte Livinston Carlyle, in unterschiedlichen Versionen bevor<br />

er zu dem Volke von Idaho sprach, dass es ich bei ihm nur um einen einfachen<br />

Landmann, wie du und ich handele. <strong>Kristin</strong> erzählte sie aber todernst, als ob es<br />

sich um ein Dokument aus der amerikanischen Geschichte handele, und Nick<br />

bekam sich nicht wieder ein vor Lachen. <strong>Kristin</strong> erfand die Geschichte beim Erzählen,<br />

sie habe vorher noch nie von irgendetwas gehört, weder vom großen<br />

Regen noch von dem einfachen Landmann. „Wenn du gut drauf bist, fällt dir<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 10 von 54


der unsinnigste Blödsinn ein. Mach doch mal einfach. Denk an irgendwas, und<br />

dann spinnst du weiter.“ forderte <strong>Kristin</strong> Nick auf. Der versuchte es, aber<br />

konnte nicht, weil er immer über seine eigenen Gedanken sich schon nicht<br />

mehr halten konnte vor Lachen, bevor er sie überhaupt ausgesprochen hatte.<br />

Nick wollte noch eine Story hören. „Hm, in New York muss es ja etwas amerikanisches<br />

sein oder?“ meinte <strong>Kristin</strong> schmunzelnd „Kennst du denn nicht die<br />

Geschichte von Dick Maplethorp, dem Gouverneur von New York, der vors Volk<br />

trat und verkündete: 'Ich bin Dick Mappelthorp, der Gouverneur von New York<br />

und spreche zu euch den Bürgern von New York.' 'Das sehen wir doch Gouverneur,<br />

mach nicht so ein Pallaver! maulten die Bürger schon, die das direkte<br />

Wort liebten und nicht viel aufs Drumherumreden gaben.“ begann <strong>Kristin</strong> und<br />

Nick hielt sich bei jedem Wort den Bauch vor Lachen. „Woher kannst du so etwas?“<br />

wollte er von <strong>Kristin</strong> wissen. „Ich glaube, das kann jeder,“ meinte <strong>Kristin</strong>,<br />

„Ich mach das manchmal bei den Kindern, wenn mir sonst abends nichts<br />

einfällt. Aber selbst die Kleine merkt schon, dass ich es mir gerade beim Erzählen<br />

ausdenke und hat ihre Freude an dem Unfug. Sie hat mir mal gesagt, ich<br />

würde immer so komisch sprechen, ganz anders als andere Eltern. Die redeten<br />

immer so vernünftig: 'Trara, trara, trara, traram' demonstrierte sie dazu monoton.<br />

Bei mir höre sich das immer wie im Fernsehen an. Immer so ganz unterschiedlich<br />

und oft auch ganz quatschig. Aber sie fände es prima und lustig.“<br />

„<strong>Kristin</strong>, in der Klinik erfahre ich immer, dass du eine ausgezeichnete Hämatologin<br />

und tolle Kollegin bist, aber jetzt weiß ich, dass du auch eine wundervolle<br />

Frau bist und eine hervorragende Mutter für deine Kinder sein musst.“ bemerkte<br />

Nick. „Nick, mäßige dich <strong>mit</strong> deinen Komplimenten. Weißt du, es ist ja sehr<br />

nett von dir, dass du so etwas sagst, aber eigentlich mag ich das gar nicht so<br />

sehr. Wenn mir jemand von den Kindern sagt, dass er mich lieb hat, dann tut<br />

mir das sehr gut, aber für dich möchte ich lieber eine ganz normale Kollegin,<br />

eine ganz normale Frau und vielleicht eine gute Freundin sein. Du tust mir keinen<br />

Gefallen da<strong>mit</strong>, wenn du etwas an mir bewunderst. Ich denke, ich möchte<br />

nur gemocht und ernst genommen werden, das ist mir am wichtigsten.“ erwiderte<br />

<strong>Kristin</strong>. Jetzt wollte Nick auch an den beiden folgenden Abenden jeweils<br />

wenigstens eine Geschichte erzählt haben. Es schien ihm doch, dass <strong>Kristin</strong> da<strong>mit</strong><br />

etwas Tolles zauberte, das keineswegs so selbstverständlich simpel war,<br />

wie sie es dargestellt hatte. Sie konnte sich voll in den Erzählstil einer bestimmten<br />

Literatur einfühlen und ihn beim Erzählen ins Satirisch-Absurde überdrehen.<br />

Nick konnte auch sehr gut erzählen. Bei den Kindern war er fürs Gute<br />

Nacht-Geschichten-Erzählen zuständig und nicht die Mami, aber selbst was er<br />

in Reiseführern gelesen hatte, konnte er <strong>Kristin</strong> so spannend und lustig ver<strong>mit</strong>teln,<br />

dass daraus manchmal kleine interaktive Szenen wurden. Die beiden<br />

tanzten und jumpten durch New York, als ob sie ein junges verliebtes Pärchen<br />

wären, ausgelassen, lustig und ein wenig crazy. Nur so sah das keiner von beiden,<br />

sie empfanden sich einfach als glücklich und lustig. Auf dem Rückflug<br />

meinte <strong>Kristin</strong>: „Nick, ich denke ich sollte dir jetzt auch mal ein Kompliment<br />

machen. Ich bin dir dankbar für den tollen Kongress <strong>mit</strong> den vielen neuen Informationen.<br />

Wenn wir nicht zu zweit gewesen wären, hätten wir ja nur die<br />

Hälfte <strong>mit</strong>bekommen. So war wenigstens immer einer von uns wach.“ sie<br />

schaute Nick dabei immer genau an und vergnügte sich an seinen Reaktionen,<br />

wenn sie etwas sagte, das er eigentlich gar nicht hören wollte, „Na ja, und <strong>mit</strong><br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 11 von 54


dir selbst, das hielt sich ja auch im Rahmen des Erträglichen.“ „<strong>Kristin</strong>, hör bitte<br />

auf, mich auf dem Rückflug noch zu ärgern.“ unterbrach sie Nick lachend.<br />

„Nein, ich sag's mal ganz spartanisch, Nick, es war wirklich absolute Klasse <strong>mit</strong><br />

dir. So konnte ich's mir nicht erträumen. Besänftigt dich das?“ reagierte <strong>Kristin</strong>,<br />

„und ich mag dich, ich mag dich sehr gut leiden.“ fügte sie noch an.<br />

Home again<br />

Zu Hause ärgerte sich <strong>Kristin</strong>, dass sie überhaupt nicht daran gedacht hatte,<br />

einen Fotoapparat <strong>mit</strong>zunehmen. Sie konnte den Kindern nichts zeigen nur erzählen,<br />

aber das konnte sie ja auch fantastisch und regte da<strong>mit</strong> die Fantasie<br />

der Kinder zusätzlich an. Ihnen musste es erscheinen, als ob <strong>Kristin</strong> einen neuen<br />

Kontinent entdeckt hätte, obwohl sie sich ein drittel der Zeit mehr tot als lebendig<br />

empfunden hatte.<br />

In der Klinik dachte <strong>Kristin</strong> nicht daran, wann sie zum nächsten Kongressbesuch<br />

fahren könnte. Der USA Besuch war für sie ein exzeptionelles Ereignis gewesen.<br />

Wiederholen konnte man so etwas nicht. Nur das Verhältnis zwischen<br />

ihr und Nick hatte sich natürlich völlig verändert. Man freute sich jetzt nicht<br />

mehr darüber, dass Herr Dautzenberg so freundlich und Frau Rosenbach so gut<br />

aufgelegt war, das wahr selbstverständlich. Nick und <strong>Kristin</strong> verhielten sich<br />

eher wie ein vertrautes Paar. Sie empfanden einen Mangel an Zeit, Anderes,<br />

Persönliches besprechen zu können. So beschlossen sie, wenn sie gemeinsam<br />

Dienst hatten und etwa gleichzeitig Schluss machen konnten, vor der Heimfahrt<br />

in einem Café außerhalb des Klinikgeländes noch einen Kaffee zu trinken,<br />

um sich dabei unterhalten zu können. Das hatte sich zu einem festen Ritual<br />

etabliert. Zu Kongressen fuhr Nick meistens alleine. Schon mal nahm er auch<br />

seine Frau <strong>mit</strong>, wenn es eine Begleitung gab, aber <strong>Kristin</strong> hatte auch schon<br />

zweimal allein einen Kongress besucht. Seltsamerweise äußerte keiner von ihnen<br />

das Bedürfnis nach einem erneuten gemeinsamen Kongressbesuch, obwohl<br />

beide doch so außerordentlich begeistert gewesen waren. Wusste man,<br />

dass man so ein Erlebnis nicht wiederholen konnte, man vielleicht nur die Erinnerung<br />

dadurch stören, herabmindern würde? Wollte man es wie eine kleine<br />

Ikone isoliert für sich bewahren? Jedenfalls drängte es keinen von ihnen nach<br />

einem Wiederholungsversuch. Man freute sich auf den gemeinsamen abendlichen<br />

Kaffee und die Gespräche untereinander. Alles konnte Thema sein, nur<br />

nicht Klinik und zuviel Familie.<br />

Leilani<br />

<strong>Kristin</strong> erzählte häufiger von ihrer Jüngsten Leilani. Sie war hoffnungslos verknallt<br />

in die Süße und konnte immer wieder fantastische Geschichten von ihr<br />

erzählen. Leilani konnte es irgendwann gar nicht fassen, das Babys nicht überall<br />

auf der Welt zu ihrer Mutter Mama sagten. <strong>Kristin</strong> hatte ihr nämlich mal erklärt,<br />

das es das erste Wort der Babys sei, weil es so einfach zu sprechen<br />

wäre. Jetzt hatte sie ihre beiden Geschwister, die sie auch sehr mochten und<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 12 von 54


verwöhnten, aktiviert, um von allen möglichen Ländern auf der Welt herauszufinden,<br />

wie die Babys dort ihre Mutter nannten. Leilani zeigte auf einen bunten<br />

Fleck auf dem Globus und Ayana und Grischa mussten ihr sagen, wie das Land<br />

hieß, und am Computer herausfinden, wie man die Mami dort titulierte. Verbissen<br />

suchten die beiden Sieben- und Neunjährigen oft nach Lösungen, waren<br />

aber nicht selten selbst überfordert. Alles was sie herausgefunden hatten, trugen<br />

sie in eine Liste ein, und bei Leilani, die sich auch in der Liste zurecht finden<br />

wollte, wurde das Interesse am Lesen geweckt. Das französische Mamon,<br />

das türkische Anne, und das chinesische Muquin fand sie am schönsten, die<br />

deutsch Bezeichnung Mutter am hässlichsten. Sie selbst war auch total mamifixiert.<br />

Manchmal nannte sie <strong>Kristin</strong> Mami oder eben Mamon, aber häufig erfand<br />

sie auch situationsadäquate Fantasienahmen. Wenn sie <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> schmuste,<br />

war sie die Mameluse, oder wenn sie etwas lustiges spielten, konnte sie auch<br />

zur Mamelotti werden. <strong>Kristin</strong> war fasziniert von ihrer Jüngsten und musste es<br />

Nick unbedingt ver<strong>mit</strong>teln. Es war immer interessant, worüber und wie sie sich<br />

unterhielten, selbst wenn sie übers Wetter redeten, konnten sie solche Wendungen<br />

einflechten, das sie laut lachen mussten. Am allerwenigsten waren es<br />

wahrscheinlich die Inhalte, die sie das Gespräch am Abend suchen ließen, vorrangig<br />

war sicher die Lust am anderen, an der ungezwungenen Begegnung <strong>mit</strong><br />

ihm, am sich näher sein. Irgendwelche erotischen Ambitionen hätten beide<br />

weit von sich gewiesen.<br />

Nochmal<br />

Nachdem sie schon fast dreieinhalb Jahre im Durchschnitt dreimal wöchentlich<br />

abends im Café beieinander saßen, sich bevor sie in ihre Wagen stiegen umarmten<br />

und sich <strong>mit</strong> einem Kuß verabschiedeten, entfuhr Nick nach dem Kuß<br />

plötzlich ein: „Nochmal“. <strong>Kristin</strong> schaute ihn <strong>mit</strong> großen fragenden Augen lächelnd<br />

an und hielt Nick nochmal ihren Mund hin. Sie merkte, wie Nick sie an<br />

sich drückte und spürte seine Zungenspitze an ihren Lippen. Anstatt Nick zurückzuweisen,<br />

öffnete <strong>Kristin</strong> auch ihren Mund. Plötzlich zog sie ihren Kopf zurück<br />

und fragte leicht erstaunt: „Nick, wollen wir das?“ „Im Moment schon.“ erwiderte<br />

der nur, und wie selbstverständlich trafen sich ihre Lippen wieder. Tief<br />

atmend schaute <strong>Kristin</strong> Nick an, strich ihm übers Haar und gab ihm noch<br />

lächelnd einen Abschiedsschmatzer, bevor sie sich zu ihrem Auto bewegte und<br />

nach Hause fuhr. Nick wusste gar nicht, was in ihn gefahren war. Bestimmt<br />

schon fast tausendmal hatten sie sich einen Abschiedskuss gegeben. Nie hatte<br />

es irgendwelche erotischen Emotionen ausgelöst, wieso jetzt plötzlich. Beim<br />

Kuss war das Bedürfnis gekommen, sodass er fast automatisch um ein Nochmal<br />

gebeten hatte. Wie sonderbar, das <strong>Kristin</strong> dem sofort entsprochen und es<br />

nicht als Belästigung zurückgewiesen hatte. Sie war ja auch davon völlig überrascht<br />

worden. Zwischendurch hatte sie zwar mal fragend Zweifel geäußert,<br />

aber wie selbstverständlich ihn zweimal intensiv geküsst. Fünf Minuten vorher<br />

im Café hätte er es noch als unvorstellbar ausgeschlossen, und dann machten<br />

sie es beide, als ob es fast selbstverständlich sei. Dies Phänomen beschäftigte<br />

Nick noch den ganzen Abend.<br />

Am nächsten Tag kam <strong>Kristin</strong> zu Nick ins Büro. „Mach mal auf 'Nicht stören'!“<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 13 von 54


sagte sie zu Nick und verdeutlichte da<strong>mit</strong>, dass sie sich <strong>mit</strong> ihm ernsthaft unterhalten<br />

wollte. „Nick, ich habe mir das mal durch den Kopf gehen lassen. Ich<br />

bin der Ansicht, dass es besser ist, wenn wir das von gestern Abend in Zukunft<br />

nicht mehr wollen. Unser Verhältnis bekommt dadurch eine andere Dimension,<br />

es spielt in einer anderen Kategorie, die nicht in unser beider Interesse liegt.<br />

So sehe ich es jedenfalls für mich. Enttäuscht dich das?“ fragte <strong>Kristin</strong>. Nick<br />

stimmte <strong>Kristin</strong> voll zu und versuchte sich entschuldigend zu erklären. „Nick,<br />

wofür entschuldigst du dich? Was soll das? Was gewesen ist war doch schön,<br />

für uns beide, wir machen's nur nicht wieder, o. k.?“ stoppte ihn <strong>Kristin</strong> und<br />

verabschiedete sich lächelnd <strong>mit</strong> einem Kuss. Drei Wochen lang verabschiedeten<br />

sie sich abends immer brav <strong>mit</strong> einem Kuss, wie sonst auch, nur zwinkerten<br />

sie sich dabei oft zu, als wenn sie sich sagen wollten, wir können's auch<br />

anders. Auch wenn sie sich jetzt immer wie früher verhielten, es hatte sich<br />

doch etwas grundlegend verändert. Sie waren nicht mehr zwei Neutra, die sich<br />

mochten, sie hatten erotischen Kontakt <strong>mit</strong>einander gehabt, auch wenn es nur<br />

das gegenseitige Interesse am Küssen war. Sie brauchten ihrem Verhältnis<br />

keine neue Dimension geben, sie war bereits gegenwärtig. Man konnte das Geschehene<br />

ja nicht rückgängig machen. Es stand ja fest, dass man Lust daran<br />

hatte, sich gegenseitig intensiv zu küssen und das war eben mehr als gute<br />

Freundschaft.<br />

Küss mich richtig!<br />

„Nick, küss mich richtig!“ forderte <strong>Kristin</strong> Nick nach etwa dreieinhalb Wochen<br />

beim Abschiedskuss auf. Ohne irgendetwas zu sagen, folgte Nick dem. „Entschuldigung,<br />

aber heute Abend brauche ich das.“ bemerkte <strong>Kristin</strong> zwischendurch.<br />

Am nächsten und übernächsten und den weiteren folgenden Abenden<br />

schien <strong>Kristin</strong> es auch zu brauchen und Nick nicht weniger. Ihre Verabschiedungen<br />

gestalteten sich jetzt immer als ausdauernde Kussszenen am Auto. Es<br />

berührten sich ja nicht nur singulär ihre Münder, sie hielten dabei auch selbstverständlich<br />

ihre Körper eng umschlungen und drückten sie aneinander. <strong>Kristin</strong><br />

trug meistens nur ein dünnes Sommerkleidchen <strong>mit</strong> tiefem Rückenausschnitt<br />

und ein lockeres Blouson darüber. Nick streichelte <strong>mit</strong> der einen Hand <strong>Kristin</strong>s<br />

freien Rücken und erkundete <strong>mit</strong> der anderen ihren Po unter dem dünnen<br />

Sommerkleid.<br />

Komm <strong>mit</strong> zum Schwan<br />

Bei einer ausdauernden erotischen Szene sagte <strong>Kristin</strong> eines Abends plötzlich:<br />

„Komm <strong>mit</strong> zum Schwan.“ Nick verstand im ersten Moment nicht, bis er begriff,<br />

was <strong>Kristin</strong> wollte und das nahe liegende Hotel „Zum weißen Schwan“ meinte.<br />

Nick wollte schon, nichts wollte er lieber, aber er war sich andererseits auch<br />

nicht sicher, ob er denn wollen sollte. Nick hatte eben manchmal Probleme <strong>mit</strong><br />

sich. <strong>Kristin</strong> ließ er davon aber nichts merken, sondern ging selbstverständlich<br />

<strong>mit</strong>. Das hässliche Ambiente schienen sie nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 14 von 54


lagen sich beide nackt gegenüber und strahlten sich an. <strong>Kristin</strong> ergriff die<br />

Initiative und begann nach ausgiebigem Küssen, Nicks Körper zu erforschen.<br />

Sie war ausgelassen und wild. Nach dem Orgasmus strahlte sie Nick glücklich<br />

an, zog seinen Kopf zu einem Kuss zu sich und meinte dann: „Geh runter, du<br />

bist schwer.“ nachdem Nick sich zur Seite gerollt hatte, richtete <strong>Kristin</strong> sich auf,<br />

beugte sich zu Nick runter und meinte: „Entschuldigung Schatz, nein du bist<br />

nicht schwer, natürlich nicht. Ich wollte mich nur frei und locker fühlen,<br />

Entschuldigung.“ Dabei küsste sie ihn und hob ein Bein über Nick, sodass sie<br />

jetzt auf seiner Brust saß. <strong>Kristin</strong> richtete sich auf und wollte sich wieder zu<br />

Nick runterbeugen. Der bemerkte erstaunt: „<strong>Kristin</strong>, du weinst ja. Was ist los?<br />

Sag es mir.“ „Nick, gar nichts ist los. Ich heule, weil ich mich freue, weil ich<br />

total glücklich bin.“ reagierte sie, „Warum, das weiß ich gar nicht. Nicht weil<br />

wir gefickt haben. Das war auch sehr schön, aber davon fange ich nicht an, vor<br />

Freude zu heulen. Es ist irgendetwas, das mich ganz tief im Innersten, deep in<br />

my soul, bewegt. Wahrscheinlich werden dann ganz viele Glückshormone<br />

ausgeschüttet, die mich irgendwie richtig durchschauern, dass ich anfangen<br />

muss zu heulen. Es passiert mir ganz, ganz selten, aber nie weiß ich, warum<br />

eigentlich ganz genau. Natürlich freue ich mich über mehr, als das wir uns<br />

gegenseitig befriedigt haben, aber was es genau ist, weiß ich nicht. Vielleicht<br />

macht es einfach ungeheuer glücklich, dass unsere verkrampfte verlogene<br />

Situation gelöst ist. Ich denke wir haben schon damals in New York wie<br />

verliebte Turteltauben <strong>mit</strong>einander gespielt. Mittlerweile sind wir schon ein<br />

gereiftes Ehepaar, durften aber auf Grund eines undefinierten eigenen<br />

Gesetzes nicht wahrnehmen, das der andere auch ein anderes Geschlecht hat.<br />

Jetzt haben wir es endlich frei ausgelebt. Vielleicht ist es dieses Gefühl der<br />

Befreiung, dass mich so tief ergreift und glücklich sein lässt. Vielleicht bist aber<br />

auch einfach du es Nick. Ich mag dich schon sehr, sehr gern, und jetzt können<br />

wir einfach direkt zusammen sein. Vielleicht war das ein verbotener<br />

unbewusster Wunschtraum, der sich jetzt erfüllt hat. Andererseits fühle ich<br />

mich im Moment auch selbst ungeheuer stark und stolz. Das ist mein Leben,<br />

mein Glück, dass sich hier abspielt. Nur mir gehört es. Ich ganz persönlich bin<br />

das, die sich hier erfahren kann. Dass sind alles Mutmaßungen über<br />

Möglichkeiten, vielleicht ist es ja auch ein Ensemble von Gründen, die mich vor<br />

Glück zum Flennen bringen. Ich weiß nur, dass ich mich absolut happy fühle,<br />

und dass es mehr ist und nicht allein am Sex liegt.“ „Du meinst, am liebsten<br />

hätten wir schon in New York <strong>mit</strong>einander ins Bett gewollt. Ich habe so etwas<br />

aber wirklich nicht gespürt und auch ganz bestimmt nicht an so etwas gedacht.<br />

Ehrlich, bis zu dem ersten Kuss hab ich nie etwas in dieser Richtung<br />

empfunden. Nicht dass ich dich körperlich unattraktiv fand, du warst immer für<br />

mich eine sehr schöne Frau, nur sexuell war da wirklich nichts, kein Gedanke.“<br />

antwortete Nick. „Ja, das glaube ich dir ja auch. Bei mir war es doch nicht<br />

anders, aber warum kommt dir bei einer Frau, die du sehr gern magst und<br />

zudem noch attraktiv findest nicht der Gedanke. Andere sehen nur eine fremde<br />

Frau ein wenig <strong>mit</strong> dem Hintern wackeln und werden gleich scharf, und bei dir<br />

sind im Umgang <strong>mit</strong> dieser <strong>Kristin</strong> alle sexuellen Adapter versperrt. Jeder hätte<br />

uns in New York für verrückt turtelnde verliebte Hühner gehalten, wir lachen<br />

scherzen, sind glücklich <strong>mit</strong>einander, aber keiner verspürt den Wunsch, den<br />

anderen zu streicheln, anzufassen oder von ihm geküsst zu werden, das ist<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 15 von 54


doch höchst ungewöhnlich und sonderbar. Weil wir uns selbst unbewusst<br />

vorgelogen haben, dass das nicht sein kann, und wir auch fest daran glaubten,<br />

haben wir's auch nicht empfunden. Im Nachhinein betrachtet hatte es ja oft<br />

regelrecht skurrile Züge, aber für unsere Wahrnehmung gelten eben keine<br />

Kriterien der Objektivität, sondern <strong>mit</strong> dem, was sich schon im Brain befindet,<br />

bewerten wir unsere Eindrücke. Und wenn da steht, Sex <strong>mit</strong> diesem Mann<br />

kann nicht sein, dann können wir es auch gar nicht anders empfinden. Da<br />

müssen wir uns schon selber austricksen, was uns nach dreieinhalb Jahren auf<br />

dem Parklatz gelungen ist, als wir festgestellt haben, dass Küssen doch<br />

möglich ist und schön sein kann.“ reagierte <strong>Kristin</strong>, „Nick, ich würde so gern<br />

noch unendlich lange bei dir sein, aber wenn ich wieder nüchtern werde, halte<br />

ich es hier nicht länger aus. Ich muss hier raus. Ich komme mir vor wie eine<br />

Nutte in einer billigen Absteige.“ Nick grinste und fragte provokant spöttisch:<br />

„Und woher weißt du, wie man sich als Nutte in einer billigen Absteige<br />

vorkommt? Sind das Erfahrungen, die du mir bislang vorenthalten hast?“ „Na<br />

das sieht man doch im Fernsehen,oder schaust du keine Filme <strong>mit</strong> Nutten in<br />

billigen Absteigen?“ gab <strong>Kristin</strong> blödelnd zurück und wollte schon aufstehen um<br />

sich zu waschen und anzuziehen. „<strong>Kristin</strong>, lass uns noch einmal küssen.“ Sie<br />

kam wieder zurück und als sie sich umarmend anschauten, bemerkte Nick:<br />

„<strong>Kristin</strong>, du bist eine so wunderschöne Frau. Ich verstehe mich rückblickend<br />

auch nicht, dass mich das überhaupt nicht berührt hat. Jetzt ist es eher<br />

umgekehrt. Ich vermute mal, ich werde dich jetzt jeden Abend im Café voll<br />

wollüstiger Begierde fixieren.“ Beide lachten und <strong>Kristin</strong> kommentierte: „Nick,<br />

ich bin keine schöne Frau, ich bin eine alt werdende Frau, die drei Säugetiere<br />

genährt hat, da ist es <strong>mit</strong> der Schönheit nicht mehr so weit her.“ Nick hielt das<br />

für eine vom Grundansatz her falsche Betrachtungsweise, aber das wollten sie<br />

demnächst weiter beim Kaffee diskutieren, wenn Nick seine wollüstigen Blicke<br />

auf <strong>Kristin</strong> richte.<br />

<strong>Kristin</strong>s Ehe<br />

Beide hatten zum ersten Mal in ihrem Leben <strong>mit</strong> einem anderen Mann beziehungsweise<br />

einer anderen Frau geschlafen. <strong>Keine</strong>r von beiden machte sich<br />

Vorwürfe, es doch besser nicht getan zu haben. Auf das Erlebnis verzichten,<br />

wollte im Nachhinein niemand. Nur Nick quälte sich <strong>mit</strong> Gedanken über die<br />

Perspektiven. Sie würden ja nicht auf Wiederholungen verzichten wollen. Welche<br />

Auswirkungen würde es auf sein Verhältnis zu Larissa haben, wenn er sie<br />

ständig <strong>mit</strong> einer anderen Frau betrog. Für Nick stellte sich die Perspektive<br />

höchst problematisch und verworren da. <strong>Kristin</strong> machte sich solche Gedanken<br />

nicht. Sie war beseelt von ihrem Glück, das sie für ihr ganz privates persönliches<br />

hielt, für das sie sich vor niemandem eventuell rechtfertigen oder sich kritisieren<br />

lassen würde. Natürlich würde sie nichts davon erzählen, aber, dass sie<br />

keinerlei Skrupel oder Bedenken für die Beziehung <strong>mit</strong> ihrem Mann plagten,<br />

hing vornehmlich da<strong>mit</strong> zusammen, dass ihr Verhältnis oft sehr gespannt war.<br />

<strong>Kristin</strong> war der Ansicht, ihr Mann habe sich im Laufe der Jahre sehr stark verändert.<br />

Seine heute an den Tag gelegten Verhaltensweisen seien damals nicht<br />

in geringsten Ansätzen erkenntlich gewesen. Wenn sie das hätte ahnen kön-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 16 von 54


nen, würde sie ihn niemals geheiratet haben, schon verlieben hätte sie sich in<br />

ihn nicht können. Es waren nicht direkt proletenhafte Machosprüche, in denen<br />

er sich äußerte, er formulierte natürlich in distinguierter Arroganz, aber der<br />

Kern, der dahinter stehenden Ansichten und Vorstellungsweisen war der gleiche.<br />

Bei <strong>Kristin</strong> erzeugte er oft blanken Hass da<strong>mit</strong>. Zu Anfang hatte sie noch<br />

öfter versucht, ihm klar zu machen, welche unmögliche Äußerung er da von<br />

sich gegeben hatte. Jetzt hatte sie es aufgegeben, weil es grundsätzlich doch<br />

nichts bewirkte. Wo er das her hatte, wie er dazu kam, konnte sie sich nicht<br />

erklären. Mit den Kindern hatte Guido sich mehr und mehr aus dem Family-Leben<br />

zurückgezogen. Vielleicht orientierte er sich ja jetzt stärker an Kollegen in<br />

der Firma, bei denen solches Verhalten und derartige Ansichten möglicherweise<br />

dominierten. <strong>Kristin</strong> wusste es nicht, nur sie konnte es nicht ertragen. Leilani<br />

konnte es schon an <strong>Kristin</strong>s Gesicht erkennen, wenn Guido ihr wieder irgend<br />

wo<strong>mit</strong> schrecklich auf den Nerv gegangen war. Sie hatte ihren Vater heftig<br />

ausgeschimpft. Er solle nicht ihre Mami kaputt machen. Er solle ihr etwas<br />

Schönes sagen, da<strong>mit</strong> sie sich freuen könne. Und wie reagierte dieser Mann<br />

darauf? Er machte sich über die kuriose Kleine lustig. Larissa hätte ihm das<br />

Gesicht zerkratzen können. Sie ging ins Schlafzimmer, heulte vor Wut und verkrallte<br />

sich in die Bettdecke. Sie hasste Guido. Oft, sehr oft, aber da war auch<br />

noch etwas Anderes. Er ließ ja nicht ständig solche Sprüche los, und dann war<br />

<strong>Kristin</strong> schnell bereit, in ihm den Mann zu sehen, den sie mal sehr geliebt<br />

hatte. Dass er sie immer unterstützt hatte, dass er sie liebte, dass er<br />

selbstverständlich alles für sie tat, es war ja nicht vergessen und<br />

verschwunden. Sie empfand sich oft hin und her gerissen. Wusste im Grunde<br />

gar nicht, wie sie ihre Beziehung einschätzen sollte. Sie schliefen auch höchst<br />

selten <strong>mit</strong>einander. Wie oft hatten sie früher aneinanderliegend gekuschelt und<br />

sich dabei auch vielleicht erregt. Das war heute gar nicht mehr möglich. Wenn<br />

<strong>Kristin</strong> nicht <strong>mit</strong> der Absicht auf Sex ins Bett ging, durfte Guido sie nicht<br />

berühren. Er versuchte immer penetrant sie zu erregen, so etwa nach der<br />

Ansicht 'Komm, ich weiß doch, dass du es auch willst.' Zweimal war <strong>Kristin</strong><br />

wütend ausgerastet, weil er sich überhaupt nicht um <strong>Kristin</strong>s Ablehnung<br />

scheren wollte. Sie hatte ihm ins Gesicht geschlagen, da<strong>mit</strong> er sie endlich in<br />

Ruhe ließ. Jetzt durfte er sie nicht mehr berühren, außer wenn es von <strong>Kristin</strong><br />

ausging. Die Beziehung der beiden sah <strong>Kristin</strong> als eine missliche Situation, für<br />

die sich ihr aber auch kein Ausweg oder eine Hoffnungen auf Veränderung<br />

offenbarte.<br />

Ruby in my Soul<br />

Nick und das Gemeinsame im Schwan stellten sich für <strong>Kristin</strong> dagegen als ungetrübt<br />

glänzendes Goldstück dar. Sie hatte verlernt oder es noch nie erfahren,<br />

dass zwei Menschen <strong>mit</strong>einander so glücklich sein konnten. Sie war fasziniert<br />

davon, wie wunderbar Nick und sie zueinander passten, als ob sie direkt füreinander<br />

geschaffen wären, wie eine Einheit nur getrennt in zwei Persönlichkeiten,<br />

da<strong>mit</strong> sie die Freude am <strong>mit</strong>einander Reden und Sex haben genießen<br />

konnten. Eine Perspektive hatte sie dafür aber auch nicht. Sie wollte sich auch<br />

gar nicht da<strong>mit</strong> beschäftigen, wollte nicht durch Nachdenken über vielleicht<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 17 von 54


problematische Aussichten sich den Genuss trüben lassen. Sie wollte es jetzt<br />

erleben, auskosten, was später sein könnte, interessierte sie dabei nicht.<br />

Gut eine Woche später am Donnerstag, dem letzten gemeinsamen Treffen<br />

vorm Wochenende, musste man wieder in den Schwan. „Nein, nein, nein, nein,<br />

nein, ich will hier nicht mehr hin. Das ist das allerletzte Mal. Wenn ich diesen<br />

Schrank, diese Tapete, dieses Bild, diese Gardinen sehe, bekomme ich Hassgefühle.<br />

Das tötet jede Lust. Als sie gemeinsam im Bett lagen, dachten sie nicht<br />

mehr daran. „Weiß du Nick, ich fühle mich jetzt absolut wohl zusammen <strong>mit</strong><br />

dir, aber ich empfinde im Moment gar kein Bedürfnis nach Sex. Als wenn ich<br />

dich, deinen Körper und das Zusammensein <strong>mit</strong> dir einfach so genießen wollte.<br />

Ja, es ist einfach schön für mich, dich so berühren und streicheln zu können,<br />

macht mich einfach glücklich, komisch nicht wahr? Ich glaube, du bist für mich<br />

ein ganz großer wunderschöner Edelstein in meiner Seele. Ich weiß nur noch<br />

nicht welcher. Ein Diamant? Nein, das passt nicht. Das glitzert und funkelt zu<br />

viel. Ein Smaragd, der ist edel und sanft, aber das grüne für dich wäre auch<br />

glaube ich nicht das Richtige. Oder möchtest du gern ein Smaragd bei mir<br />

sein? Nein, ich hab's. Du bist ein Rubin, in königlich dunklem Taubenblutrot<br />

strahlst du im warmen gelben Licht deiner Umgebung. Ja genau so ist es, du<br />

bist in mir der Edelstein des Lebens und der <strong>Liebe</strong>, ein Symbol für die leidenschaftlich<br />

grenzenlose <strong>Liebe</strong>, die wir füreinander empfinden.“ <strong>Kristin</strong> lachte und<br />

Nick ebenfalls. „Lach nicht, Ruby, es ist wirklich so, du hast bei mir einen ganz<br />

dicken festen Platz belegt. Es ist ein sonnig glänzender, jetzt vielleicht auch ein<br />

wenig rubinroter Platz, und der ist glaube ich ganz fest besetzt. Sich auflösen<br />

oder verschwinden wird der wohl nicht so einfach wieder.“ ergänzte <strong>Kristin</strong>. „Es<br />

ist auch für mich sehr erhebend, mich als Rubin in deiner Seele zu wissen.“<br />

erklärte Nick halb ernst lächelnd, „ich meine bei mir in der Psyche auch etwas<br />

zu erkennen. Vielleicht ist es ja auch ein Edelstein. Welcher Edelstein möchtest<br />

du denn gern bei mir sein?“ erkundigte sich Nick. „In deiner verruchten Seele<br />

befinden sich nur polternde Wackersteine du unsensibler Klotz. Willst dich über<br />

mich lustig machen. Lass es Nick, du tust mir weh.“ reagierte <strong>Kristin</strong>, die sich<br />

auf Nick geschwungen hatte, schaute Nick ernst in die Augen und fuhr fort,<br />

„Nick, ich wollte dir doch nur sagen, dass du mir ganz wichtig bist, mir sehr,<br />

sehr viel bedeutest.“ „Entschuldigung, <strong>Kristin</strong>,“ reagierte Nick, „das ist doch bei<br />

mir genauso. Ich käme niemals dazu, mich über irgendetwas von dir lustig zu<br />

machen. Ich freue mich auch nur und da habe ich auch eben Lust daran,<br />

Blödsinn zu machen.“ <strong>Kristin</strong> senkte ihren Mund zu Nicks Mund und nach<br />

ausgiebigem Küssen einigen Worten und Streicheleinheiten hatte sich auch<br />

Kerstins Libido verändert. „Wunderschöne Mutter von drei Säugetieren 'When<br />

shall we two meet again'?“ fragte der erschlaffte Nick die auf ihm liegende<br />

<strong>Kristin</strong>. „Am Dienstagabend natürlich, oder hast du etwas vor?“ antwortete die.<br />

„Nein, ich war nur anscheinend ein wenig noch in einer anderen Welt. Oh,<br />

<strong>Kristin</strong> meine Liebste, ich werde dich so festhalten und dich nie wieder<br />

weglassen.“ Nick darauf. Sie strahlten sich an. „Nickiboy, soll ich dir mal<br />

verraten, warum ich <strong>Kristin</strong> heiße? Es ist eigentlich etwas ganz Banales. Ich<br />

möchte nur auf keinen Fall, dass jemand auf die Idee kommt, mich <strong>Kristin</strong>chen<br />

zu nennen. Meinem Mann habe ich da nie getraut. Meine Eltern haben mich<br />

nämlich vor der Schule immer so genannt, und als ich in die Schule kam,<br />

wurde das 'chen' einfach weggelassen. So simpel ist das.“ klärte <strong>Kristin</strong> das<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 18 von 54


Mysterium auf. „Aber <strong>Kristin</strong>chen ist doch eine lieb gemeinte Koseform, und<br />

von mir möchtest du auch nicht so genannt werden?“ fragte Nick provokant<br />

lächelnd. Ebenfalls lächelnd aber <strong>mit</strong> böse blickenden Augenbrauen drohte<br />

<strong>Kristin</strong> nur: „Untersteh dich, Bursche.“ Nach einer langen Abschiedsumarmung<br />

standen sie auf und machten sich auf den Heimweg.<br />

Verändertes Leben<br />

Beim zweiten Mal kam es den beiden schon fast selbstverständlich vor. Als ob<br />

sie sich jetzt eben von Zeit zu Zeit gemeinsam für zirka eine Stunde im Hotel<br />

treffen würden. Doch es wurde schwieriger, weil <strong>Kristin</strong> auf keinen Fall mehr in<br />

den Schwan wollte. Sie mussten ja immer für eine Stunde den Preis einer vollen<br />

Übernachtung bezahlen. Bei den beiden nächst liegenden war das völlig inakzeptabel.<br />

Folglich mussten sie beim dritten Mal relativ weit fahren, was ihre<br />

Ankunft zu Hause wiederum stark hinaus zögerte. Wenn Nick und <strong>Kristin</strong> zusammen<br />

im Institut waren, mussten sie sich wenigstens einmal am Tag bei<br />

Nick im Büro umarmt und ausführlich geküsst haben. Auch ihre Cafébesuche<br />

hatten, seitdem sie <strong>mit</strong>einander geschlafen hatten, einen anderen Charakter<br />

bekommen. Alles war jetzt von gegenseitigen Berührungen und kleinen Streicheleinheiten<br />

begleitet und auch die meisten Inhalte spielten auf einer anderen<br />

Ebene und wurden intim vertraulich besprochen. Zu Lachen gab's zwar noch<br />

genauso viel, aber man merkte, dass sich ihre Beziehung gravierend verändert<br />

hatte.<br />

Congresso di Roma<br />

Aus der mühseligen Hotelsuche konnte Nick <strong>mit</strong> einem dreitägigen Kongress in<br />

Rom <strong>mit</strong> Begleitung helfen. Jetzt fuhr <strong>Kristin</strong> selbstverständlich <strong>mit</strong>. Von Rom<br />

sahen sie nichts. Sie standen nur kurz zum Frühstück auf und gingen sich bei<br />

Kongressbeginn in die Listen eintragen. Ansonsten erlebten sie eine dreitägige<br />

Hochzeitsnacht im Bett. So ähnlich musste es im Paradies sein. Ständig bei<br />

seinem warmen Glück liegen, alles Liebreiche <strong>mit</strong> ihm genießen, <strong>mit</strong> ihm reden,<br />

tanzen, lachen und singen zu können. Himmlisch empfand es <strong>Kristin</strong>.<br />

Nick<br />

Dieses Glück war ja nicht Nick als Mann, <strong>mit</strong> dem man Sex haben konnte. Das<br />

war eher ein Zusatz, der das Glück noch vergrößerte. Was hatte dieser Mann<br />

Außergewöhnliches, das ihr ein so tiefes Wohlempfinden bereitete. <strong>Kristin</strong><br />

mochte alles an ihm, und das hatte sich je mehr sie ihn kennen gelernt hatte,<br />

ständig erweitert. Seine Feinfühligkeit, wie er empfand, wie er ihre Zuneigung<br />

liebte. Sie wusste, dass er, selbst wenn sie nur seinen Handrücken streichelte<br />

oder küsste, sich von ihr in seiner Persönlichkeit angesprochen fühlte. Seine<br />

Blicke verrieten es, nicht aller Welt, sondern <strong>Kristin</strong> meinte, nur sie könne die-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 19 von 54


se Blicke so gut verstehen, niemandem würden sie das sagen, was sie ihr verrieten<br />

und seine Augen schienen wie Antennen für ihre Blicke. Sie hatten es<br />

immer schon gemocht, sich anzuschauen, gleich von ihren ersten Tagen im Institut<br />

an. Es war ihr gleich aufgefallen. Sie brauchten sich nur anzublicken, und<br />

man wusste wie der andere die Angelegenheit sah. Sich gegenseitig in die Augen<br />

zu sehen, ver<strong>mit</strong>telte immer Freude, Wohlempfinden und die Lust auf Zuwendung.<br />

Was die Blicke über die Persönlichkeit des Anderen ver<strong>mit</strong>telten,<br />

wusste <strong>Kristin</strong> nicht, aber sie meinte, sie sagten ihr auch, dass dieser Mensch<br />

sie nie belügen würde, nie etwas Nachteiliges für sie beabsichtigen könne, dass<br />

er es grundsätzlich liebte, offen und ehrlich sein zu können. Aber jetzt betrog<br />

er seine Frau. Ob und wie er sie wohl anblickte, oder ob sie seine Blicke nicht<br />

verstand. Aber es waren ja nicht nur seine Blicke, die sie als seine <strong>Liebe</strong> für Offenheit<br />

interpretierte, er hatte es ja von Anfang an zum Ausdruck gebracht und<br />

gesagt. Es war wie etwas, das ihr bei ihren Kindern so gefiel, und manchmal<br />

kam es ihr so vor, als ob Nick sich diese Lust an kindlicher Offenheit bewahrt<br />

hätte. Auch seine Art sich zu freuen und der Spaß an Albernheiten hatten oft<br />

kindliche, unbeschädigte Züge. Sie mochte es auch in Situationen, in denen sie<br />

sich glücklich, unbefangen und frei fühlte. Für Kirstin war es immer ein Zeichen,<br />

dass sie gut drauf war, Lust hatte ein bisschen crazy zu sein und Spaß an<br />

leicht Exaltiertem fand. Mit Nick schien dieses Verhalten exakt zu korrelieren.<br />

Eigentlich passte das alles gar nicht zu dem Bild, das man von einem Mann<br />

hatte, der Professor und Institutsleiter sein sollte. Vielleicht war es ja gerade<br />

dies Außergewöhnliche, was <strong>Kristin</strong> ein wenig faszinierte. Aber dass er ihr Chef<br />

war, und im Gegensatz zu ihr sich habilitiert hatte, das konnte bei <strong>Kristin</strong><br />

absolut keine Rolle spielen. Einen Mann zu mögen und zu lieben, weil er etwas<br />

Tolles vollbracht hatte, so ein großer Held war, undenkbar für <strong>Kristin</strong>. Einen<br />

Mann zu lieben, da<strong>mit</strong> sie ihn für seine ruhmreichen Taten und großen Siege<br />

bewundern könne, so etwas konnte sie nicht verstehen. Nick schien dieses<br />

männliche Siegergen ehr völlig zu fehlen. Er war keineswegs weichlich, schlaff.<br />

Wenn er der Auffassung war, dass seine Ansichten die richtigen seien, wusste<br />

er sie auch gegen alle Widerstände durchzusetzen. Nur Lust, Freude und Glück<br />

dadurch zu erfahren, dass er gewonnen hatte, so etwas schien ihm völlig<br />

fremd zu sein. Deswegen konnte er auch aus seiner Chefposition keine<br />

emotionale Genugtuung und keine Stolz ähnlichen Emotionen ableiten. Er<br />

liebte es schon, Probleme zu lösen und Antworten auf offene Fragen zu finden,<br />

aber das machte er am liebsten zusammen <strong>mit</strong> anderen Menschen, und nicht<br />

weil er für sich die daraus resultierende Anerkennung genießen wollte. Mit<br />

anderen zusammenzuarbeiten, <strong>mit</strong> anderen zu kommunizieren, schien ihm<br />

überhaupt ein starkes Bedürfnis. Er war kein kumpelig geselliger Typ, der zum<br />

Beispiel Stammtischfreuden gesucht hätte, aber er liebte es anderen<br />

zuzuhören, sich in sie hinein zu versetzen, sie verstehen zu können. Das hatte<br />

auch langsam eine Veränderung des gesamten Klimas am Institut bewirkt. Nick<br />

war zweifellos anerkannt und geachtet, aber die hierarchischen Strukturen <strong>mit</strong><br />

ihren ganzen Rivalitäten und Misgünsteleien waren in kürzester Zeit<br />

verschwunden. Nick war beliebt bei den Kolleginnen und Kollegen, eine<br />

ungewöhnliche Dimension, die man bislang hier nicht gekannt hatte. Und<br />

<strong>Kristin</strong> liebte diesen Menschen, der als Mann sicherlich sehr außergewöhnlich<br />

war.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 20 von 54


<strong>Kristin</strong><br />

Vielleicht hätte <strong>Kristin</strong> auch Frauen <strong>mit</strong> ähnlichen Charakterzügen treffen können,<br />

sie hatte auch Freundinnen oder gute Bekannte, aber nie empfand sie bei<br />

anderen Frauen, die Lust, sich tiefer auf sie einzulassen. Sie wusste nicht, wo<strong>mit</strong><br />

es zusammenhing. Es lag sicherlich nicht an sexuellen Interessen bei Männern,<br />

aber Frauen schienen für sie grundsätzlich Wesen <strong>mit</strong> begrenzter Interessenerwartung<br />

zu sein. Diese besagte 'allerbeste Freundin' zum Beispiel, zu<br />

der man tiefstes Vertrauen hat und <strong>mit</strong> der man sich über alles austauschen<br />

kann, für Kirstin bestand in dieser Richtung kein Bedürfnis und Interesse. Vielleicht<br />

waren die Gründe dafür in ihrer Kindheit und Jugend zu suchen. Sie war<br />

als Kind ein ziemlich wildes Raubein gewesen. Nicht dass sie lieber ein Junge<br />

gewesen wäre, aber sie ließ sich nichts gefallen, wollte nichts ertragen müssen,<br />

weil sie ein Mädchen war. Die meisten Jungen hatten mächtig Respekt vor ihr,<br />

da sie ihnen auch <strong>mit</strong> Fäusten und Tritten zeigen konnte, wer hier der Stärkere<br />

war. Mit Einsetzen der Pubertät hatte sich das schlagartig geändert. Sie begann<br />

sich für Frauen zu interessieren. Nicht sexuell, sondern für ihre Schönheiten<br />

und auch die psychischen und verhaltensmäßigen Feinheiten. Sie wollte<br />

detailliert wissen, was eine Frau ist und was sie ausmacht. Ein unendliches Feld<br />

natürlich, dass sie in alle Bereiche von Literatur und Kunst und Wissenschaft<br />

führte. Sie versuchte Biografien und Lebensweisen von Frauen zu verstehen.<br />

Unnötig zu sagen, dass das Selbstbewusstsein einer Frau für sie nicht mehr auf<br />

der Schlagkraft ihrer Fäuste beruhen konnte. Ihre schulischen Leistungen<br />

verbesserten sich enorm, im Gegensatz zu vielen Mitschülerinnen und<br />

Mitschülern, bei denen sie in der Pubertät einknickten. Sie sah sich – nicht in<br />

den alltäglichen Sozialkontakten – wohl aber in ihren Interessensphären<br />

ziemlich isoliert. Eine Freundin, die ihre Interessen hätte teilen können, gab es<br />

nicht. Die anderen Mädchen erschienen ihr in ihrem pubertären Geflatter als<br />

schal. Interesse an Jungen hatte sie auch nicht, ihre sexuell erwachenden<br />

Bedürfnisse bezogen sich auf sie selber. Das änderte sich erst in der Oberstufe<br />

als die Jungen langsam erwachsen wurden und sich auch andere Gedanken<br />

machten. Gegenüber den Mädchen blieb sie immer reserviert. Dieses<br />

oberflächliche weibliche Kockettiergehabe war ihr stets zuwider. Medizin<br />

studiert hatte sie eigentlich nur wegen ihrer guten Noten und ihres Interesses<br />

an Biochemischen Prozessen. Was sie sonst interessiert hätte, Philosophie,<br />

Literatur, Kunst erschien ihr wegen der beruflichen Perspektiven als ein wenig<br />

wage, aber ihr Interesse dafür hatte sie auch während des Studiums und bis<br />

heute wach gehalten. Eine Fachidiotin war sie nicht geworden, das hätte ihre<br />

Persönlichkeit nicht ertragen können.<br />

Nick und Larissa<br />

Bei Nick war es nicht viel anders verlaufen. Er hatte sich als Schüler auch viel<br />

mehr für künstlerische, kulturelle und philosophische Fragen interessiert. Das<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 21 von 54


Medizinstudium hatte er eigentlich nur begonnen, um <strong>mit</strong> Larissa gemeinsam<br />

studieren zu können. Doch dann gab es bald Probleme, sie trennten sich, und<br />

Larissa wechselte zu den Psychologen. Nach anderthalb Jahren war die Trennungsphase<br />

für beide unerträglich geworden, und sie trafen sich neben ihrer<br />

<strong>Liebe</strong> wieder in dem gemeinsamen Interesse für künstlerisch kulturelle Themen.<br />

Nick hatte dieses Interesse bei Larissa schon während der Schulzeit geweckt.<br />

Sie war seine erste Freundin und heute hatte Larissa ihn weit überflügelt.<br />

Sie hatte nach dem Psychologiestudium noch Kunstgeschichte studiert<br />

und machte sich manchmal einen Spaß daraus, Nick <strong>mit</strong> ihren Kenntnissen düpieren<br />

zu können. Allerdings standen für Larissa immer die rationalen wissenschaftlichen<br />

Aspekte im Vordergrund, während es für Nick wichtiger schien,<br />

den Genuss erleben zu können. Er liebte es mehr zu träumen, seinen Bildern<br />

nachzuhängen und sich daran zu erfreuen. Sonderbarer Weise war er, der<br />

Mann, der Vater für die Kinder die Schmusebezugsperson und nicht die etwas<br />

kühlere rationalere Mami.<br />

<strong>Kristin</strong>s Love<br />

Vielleicht spürte das alles auch <strong>Kristin</strong> und empfand es so. Er war ein Mann für<br />

sie, wie sie sich ihn nicht erträumen konnte, der ihren Wünschen und Bedürfnisse<br />

ideal entsprach. Aber es waren ja nicht nur diese äußerlichen beschreibbaren<br />

Bedingungen. <strong>Kristin</strong> spürte etwas, das sie nicht benennen konnte, was<br />

sie zu diesem Menschen, zur Persönlichkeit dieses Mannes hinzog. So nah bei<br />

ihm sein zu können, kam ihr immer wie der Ansatz zur Verbindung ihrer Persönlichkeiten<br />

vor, und das beglückte sie in höchstem Maße. Sie liebte es, Nick<br />

zu verwöhnen und ihn glücklich zu sehen, und für Nick waren dies nie erfahrene<br />

Wonnen.<br />

Nicks Love<br />

Wenn er nur die Fingerkuppen dieser Frau auf seiner Haut spürte, war ihm das<br />

Bild, das er von ihr hatte stets gegenwärtig. Sie war ja eine ausgezeichnete<br />

Wissenschaftlerin, aber er empfand sie, wie das Ursprungsbild einer Frau an<br />

sich, die zudem noch wunderbar gebildet war und so nebenbei über alle möglichen<br />

Künste verfügte. Er wollte sie nicht vergöttern, ein Madonnen gleiches<br />

Bild zeichnen oder sie verehren, er wollte die Stunden und Tage <strong>mit</strong> ihr genießen,<br />

sich <strong>mit</strong> ihr so nah wie möglich treffen, ihre <strong>Liebe</strong> erfahren und versuchen,<br />

sie glücklich zu machen. Es sei alles so unverfälscht natürlich an ihr, wie<br />

Nick es nannte. Er liebte es nicht nur, ihre Stimme und ihr Lachen zu hören,<br />

auch ihre Mimik und Gestik faszinierte ihn. Wenn Nick ihr beim Reden zuschaute,<br />

<strong>Kristin</strong> stockte und ihn lächelnd anblickte, hätte er ihr jedes mal um den<br />

Hals fallen können. An ihrem Blick sah er, dass sie es merkte und sich darüber<br />

amüsierend freute. Er traf sie ja permanent bei rational dominierten Tätigkeiten,<br />

aber auch dort sah Nick ihre Persönlichkeit durchscheinen. Sie konnte sich<br />

auch hier gut auf emotionale Befindlichkeiten einlassen, erschien allen als ver-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 22 von 54


ständnisvoll und aufgeschlossen. Dass dies keine erlernten oder antrainierten<br />

Verhaltensweisen waren, sondern Frau Dr. Rosenbach selber, spürte jeder<br />

schnell. Ihr Verhalten war authentisch, sie liebte es so, und hatte kein Bedürfnis<br />

nach irgendwelchen als feminin geltenden Attitüden oder Applikationen.<br />

Nick kannte das so nicht. Für ihn war Rationalität immer <strong>mit</strong> einer gewissen<br />

Nüchternheit, Kälte und geringerer emotionaler Offenheit verbunden gewesen.<br />

Er liebte es, sich <strong>mit</strong> Larissa zu unterhalten und <strong>mit</strong> ihr zu diskutieren, aber<br />

gleichzeitige Gefühle von Wärme, Freude und Glück traten dabei nicht auf. Mit<br />

<strong>Kristin</strong> war es völlig anders. Sie hatten sich sicherlich ernsthaft in New York etwas<br />

im Moma angesehen aber gleichzeitig auch unendlichen Spaß dabei gehabt.<br />

Mit Larissa undenkbar. Für Nick war jede Stunde <strong>mit</strong> Kirstin volles, pralles,<br />

glückliches Leben. Dass sie in ihren Ansichten, Einschätzungen und Interessen<br />

auf gleicher Ebene lagen, hatte sich ja schon gleich zu Beginn, spätesten<br />

aber völlig deutlich in den USA gezeigt. <strong>Kristin</strong> schien ihm lebendiger, reger,<br />

aktiver zu sein, als er selbst. Nick liebte und bewunderte es. Solche Nonsensgeschichten<br />

aus dem Stegreif formulieren zu können, fand er nicht nur lustig<br />

sondern auch großartig. In Rom erfuhr er, dass <strong>Kristin</strong> auch viele Geschichten<br />

von Scheherazade aus Tausendundeiner Nacht und andere Märchen erzählen<br />

konnte. Es war wunderbar ihr zuzuhören. Sie hätte der König Schahrayar auch<br />

bestimmt nicht umbringen können. Nick versuchte sich vorzustellen, wie glücklich<br />

ihre Kinder <strong>mit</strong> so einer Mutter sein mussten. Während Larissa primär darauf<br />

achtete, dass aus den Kindern etwas wurde, und alles richtig und ordentlich<br />

erledigt wurde, schien <strong>Kristin</strong>s Primärbedürfnis zu sein, ihre Kinder glücklich<br />

zu sehen. Sie war sich nicht immer sicher, ob sie aus pädagogischer Sicht<br />

alles richtig machte, aber Anweisungen und Befehle zu erteilen, hätte ihrem eigenen<br />

tiefen Bedürfnis, ihre Kinder glücklich zu sehen, diametral entgegen gestanden.<br />

Auf einer derartigen Basis konnte sie nicht <strong>mit</strong> ihnen kommunizieren.<br />

Solche Verhaltensweisen legte sie auch im Institut nicht an den Tag. Was sie<br />

erreichen wollte, erreichte sie auch auf anderen Wegen. Harsches Verhalten,<br />

rigides Vorgehen und Grobheiten waren Lebensäußerungen, die in <strong>Kristin</strong>s Welt<br />

nicht existierten. „ Ich weiß gar nicht,“ fragte sie Nick, „ist nicht in jedem Menschen<br />

auch ein Hang zu Macht und Gewalt angelegt? Ich wüsste gar nicht, wo<br />

ich da bei mir suchen sollte, wodurch so etwas bei mir ausgelöst werden könnte.<br />

Ja doch, beim Sex da spür ich manchmal die Tigerin, da möchte ich dich<br />

krallen und beißen. Nein nicht beim Ficken direkt, aber kurz vorher, wenn ich<br />

mich immer stärker errege, da kommt dann eine Phase, in der ich die Zähne<br />

zeigen möchte. Das ist aber nur weil ich mich dann so aroused fühle, nicht weil<br />

ich Lust hätte, dir weh zu tun. Nur mein eigenes exaltiertes Feeling.“ „Also<br />

wenn ich erlebe, wie du mich vergewaltigst, kann ich das nicht bestätigen,<br />

dass du keinen Hang zur Gewalt haben solltest.“ kommentierte Nick. Die Raufereien<br />

und das Balgen, das durch solche Äußerungen ausgelöst wurde, waren<br />

auch kindliche Freuden, die Nick so nicht kannte, aber liebte und die unter ihnen<br />

beiden dann meistens letztendlich zum Sex führten. Er schätzte und liebte<br />

Larissa, aber <strong>Kristin</strong> war das Leben. Sie war eine Zauberin, die ihn <strong>mit</strong> sich<br />

selbst verführte. Nick liebte ihre offene Lebhaftigkeit, aber auch ihre zarte<br />

Sanftheit, die er nicht nur durch ihr Streicheln und ihre Scheherazade Erzählungen<br />

kennengelernt hatte, sie kannte auch viele Brecht-Lieder und liebte Rio<br />

Reiser. Ob sie gut singen konnte, wusste er nicht, aber wenn er sie die Hanna<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 23 von 54


Cash oder die Erinnerungen an Marie A. singen hörte, lief ihm ein Schauer über<br />

den Rücken. In jedem Ton, in jedem Wort spürte er die ganze Person dieser<br />

Frau. Sie offenbarte sich ihm und er hätte sie verschlingen können. In New<br />

York war Nick glücklich gewesen, aus Rom wollte er nie wieder weg.<br />

Große Weihnachtsfeier<br />

Einen Monat später war große Weihnachtfeier <strong>mit</strong> Begleitung. Eigentlich hatte<br />

Larissa kein Interesse an so etwas, aber jetzt wollte sie Nick mal einen Gefallen<br />

tun. Natürlich hatten sich Nick und <strong>Kristin</strong>, deren Mann auch anwesend war,<br />

strikte Trennung verordnet, um keine Art von Verdacht aufkommen zu lassen.<br />

Als Nick dann mal zur Bar ging, kam auch bald <strong>Kristin</strong>. Was sollte daran<br />

auffällig sein, wenn zwei Kollegen sich an der Bar unterhielten. Später als <strong>Kristin</strong><br />

allein an der Bar stand, kam auch Nick. Alles ganz üblich und gewöhnlich.<br />

Später zu Hause wollte Larissa wissen, wer diese Kollegin sei, <strong>mit</strong> der sich Nick<br />

zweimal an der Bar getroffen habe. Er antwortete lapidar, als ob ihn Larissas<br />

Frage überhaupt nicht interessiere. „Hast du was <strong>mit</strong> der?“ fragte Larissa.<br />

„Nein, wieso?“ log Nick. „Natürlich hast du etwas <strong>mit</strong> der, Nick, lüg mich, bitte,<br />

nicht an.“ erwiderte Larissa. „Und was soll ich <strong>mit</strong> der haben?“ fragte Nick noch<br />

keck. „Nick, das kann doch ein Blinder sehen. Nicht nur, dass sich zufällig<br />

zweimal die gleichen Personen an der Bar treffen. Das sagt ja noch wenig, aber<br />

eure ganze Körpersprache erweckte doch den Eindruck, als ob ihr am liebsten<br />

jetzt gleich <strong>mit</strong>einander Ficken würdet. Als du ihr beim zweiten Mal etwas ins<br />

Ohr geflüstert hast, hat sie sich lachend gewunden, als ob du ihr die Zunge ins<br />

Ohr gesteckt hättest. Und dann hat sie eindeutig gesagt: 'Nick, lass das.' und<br />

noch etwas hinterher. Du schläfst auch <strong>mit</strong> ihr, nicht wahr?“ wollte Larissa wissen.<br />

Nick wusste nicht, wie ihm war. Jetzt trotzdem alles weiter hartnäckig abstreiten,<br />

das konnte er nicht. Das hätte ihn selbst beschädigt. Nach einer längeren<br />

Pause stöhnte er auf: „Hach, Larissa, ich weiß doch auch nicht, wie ich<br />

das erklären soll.“ „Nick, du brauchst nicht versuchen, es mir zu erklären. Ich<br />

will nur wissen, ob es so ist.“ unterbrach ihn Larissa. „Ja, ja, ja,“reagierte Nick<br />

gereizt, „es ist so, und jetzt weißt du es.“ „Und wie lange geht das schon?“<br />

wollte Larissa wissen. „Ach, noch nicht lange. Wir haben jahrelang<br />

zusammenarbeitet, da war nichts. <strong>Keine</strong> irgendwie gearteten Ambitionen oder<br />

Interessen, und dann ist es plötzlich passiert und im Bett waren wir erst einmal<br />

zusammen. Sie hat auch Familie und Kinder, genau wie wir.“ versuchte Nick es<br />

herunter zu kochen und klein zu reden.<br />

Die Alternative<br />

Larissa war sich nicht sicher, wie sie es einschätzen sollte. „Also Nick, so ertrage<br />

ich das nicht. Ich kann nicht <strong>mit</strong> einem Mann im Bett liegen, der von einer<br />

anderen Frau träumt, und ich will auch abends keinen Mann begrüßen, bei dem<br />

ich nicht weiß, ob er vielleicht gerade aus dem Bett <strong>mit</strong> einer anderen Frau<br />

kommt. Du wirst dich entscheiden müssen. Wenn wir zusammenbleiben sollen,<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 24 von 54


was ich natürlich sehr gern möchte, geht es nur, wenn das Verhältnis <strong>mit</strong> dieser<br />

Frau beendet wird.“ machte Larissa deutlich. „Aber Larissa, ich werde dich<br />

doch nicht verlieren wollen. Wie stellst du dir das denn vor? Fast unser gesamtes<br />

bisheriges Leben haben wir gemeinsam gelebt. Ich kritisiere doch nichts,<br />

beschwere mich doch über nichts, wie und warum sollte ich das den einfach<br />

abbrechen wollen.“ reagierte Nick entsetzt. „Na ja, aber irgendetwas, was dir<br />

hier fehlt, muss diese Frau dir doch wohl versprechen, sonst würdest du ja<br />

nicht so gedankenlos handeln.“ Larissa darauf. „Ja, ja, ja, es war gedankenlos.<br />

Aber Larissa, dass wir uns trennen, das darfst du doch nicht denken. Ich will<br />

dich doch nicht verlieren. Das geht doch gar nicht.“ bangte Nick um mögliche<br />

Konsequenzen. „Dann bring das <strong>mit</strong> dieser Frau in Ordnung, sonst gibt es keine<br />

Alternative. So etwas kann und will ich nicht ertragen, selbst <strong>mit</strong> dir nicht.“<br />

antwortete Larissa. Nick raste alles durch den Kopf. Er sollte <strong>Kristin</strong> sagen: 'So,<br />

es ist aus <strong>mit</strong> uns. Meine Frau will das nicht.' abstrus diese Vorstellung. Er<br />

selbst wollte <strong>Kristin</strong> doch genauso wenig verlieren, und weil er wusste, was er<br />

<strong>Kristin</strong> bedeutete, konnte er so etwas ebenfalls nicht tun. Alles extrem heimlich<br />

weiterlaufen lassen, und Larissa sagen, es sei alles vorbei? Wenn er sich für<br />

<strong>Kristin</strong> entschied, hätte er Familie samt Larissa verloren und sich dafür ab und<br />

an mal <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> treffen können. <strong>Kristin</strong> wäre als Frau eine Alternative aber<br />

nicht für seinen Lebensalltag, er konnte ja nicht <strong>mit</strong> ihr leben. Sie war ja nicht<br />

frei. Larissa hatte ihn vor eine eindeutige Alternative gestellt und Nick tendierte<br />

dahin, sich für Larissa zu entscheiden, obwohl es ihm äußerst schwer fiel<br />

und sehr weh tat. Ihm kamen jetzt schon die Tränen, wenn er sich vorzustellen<br />

versuchte, wie er <strong>mit</strong> Larissa im Bett lag und dabei an <strong>Kristin</strong> denken musste.<br />

Es gab nur zwei qualvolle Wege, die Nick beide nicht gehen wollte, sich aber<br />

für einen, vielleicht ein wenig sinnvolleren entscheiden musste. Er würde <strong>mit</strong><br />

der Kollegin reden und Schluss machen, versprach Nick Larissa ganz lapidar,<br />

um von seinen tiefen Konflikten nichts erkennen zu lassen. „Wie soll das denn<br />

funktionieren, Nick. Ihr seht euch doch weiterhin jeden Tag bei der Arbeit. Ihr<br />

könnt euch das vielleicht versprechen, aber das Bedürfnis, die Lust ist doch<br />

nicht weg zu sprechen, das bleibt doch. Vielleicht wird es eine zeitlang gut gehen,<br />

aber dann wird es <strong>mit</strong> Sicherheit wieder passieren. Rational könnt ihr es<br />

euch verbieten, aber die Emotionen lassen sich nicht verbieten. Kann deine<br />

Kollegin sich nicht versetzen lassen. „Auch das noch. Jetzt wird’s ja immer<br />

bunter.“dachte Nick sagte aber nüchtern: „Ob eine Kollegin sich versetzen<br />

lassen will oder nicht, wird wohl ganz allein ihre eigene Entscheidung sein. Da<br />

würdest du dir <strong>mit</strong> Sicherheit auch fremde Einfußnahme strikt verbeten.“ Das<br />

musste Larissa zugestehen. Folglich gab es, wenn sie zusammenbleiben<br />

wollten, nur die Möglichkeit, Nicks Versprechen zu vertrauen. Einerseits<br />

glaubte sie Nick so gut zu kennen, dass sie ihm vertrauen könne, andererseits<br />

wollte sie auch nicht ständig in einer Mißtrauensatmosphäre leben und ihn<br />

immer kontrollieren müssen.<br />

<strong>Keine</strong> Zukunft für Nick und <strong>Kristin</strong><br />

Ihre Erwartungen trogen sie nicht. Nick rief noch am späten Abend <strong>Kristin</strong> zu<br />

Hause an. Sie war schon im Bett. Er sagte ihr kurz, dass seine Frau alles her-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 25 von 54


ausbekommen habe und ob sie sich nicht am Wochenende mal für eine Stunde<br />

oder etwas länger treffen könnten. <strong>Kristin</strong> schlug ein Café außerhalb vor.<br />

Sie schien zu ahnen, was Nick zu sagen hatte. <strong>Kristin</strong> strich ihm tröstend übers<br />

Haar, bevor sie sich zur Begrüßung küssten. Sie hörte Nick zu, der alles detailliert<br />

erzählte. „Und dann hat sie gesagt: 'Die oder ich', ja?“ unterbrach sie<br />

Nick. „Ja, sie hat es mehrfach erläutert, warum für sie etwas anderes nicht<br />

möglich ist. „Und dann hast du dich für sie entschieden, weil du sie mehr liebst<br />

als mich.“ fügte <strong>Kristin</strong> <strong>mit</strong> leicht provokantem Augenzwinkern an. „<strong>Kristin</strong>,<br />

<strong>Kristin</strong>, hör auf so einen widerlichen Unsinn zu reden, oder erkennst du gerade,<br />

dass meine <strong>Liebe</strong> und Zuneigung alles nur Schein und falsches Possenspiel waren.<br />

Ich will das doch nicht, absolut nicht. Ich weiß auch gar nicht, was es in<br />

mir anrichten wird. Ich werde wahrscheinlich immer, wenn ich dich im Institut<br />

sehe, anfangen zu weinen. Jedenfalls weiß ich nicht, wie ich es verkraften werde.<br />

Nur die Alternative wäre, meine Familie zu verlieren und meine Frau,<br />

gleichgültig wie sich unsere <strong>Liebe</strong> jetzt gestaltet, aber sie ist der Mensch, <strong>mit</strong><br />

dem ich seit der Schulzeit mein Leben verbracht habe, gut und zufriedenstellend<br />

verbracht habe. Wie ich es verkraften würde, wenn es das alles plötzlich<br />

nicht mehr gäbe, weiß ich auch nicht. Eine unlösbare Entscheidung vor die sie<br />

mich gestellt hat. Wenn du sagtest, 'Ich will <strong>mit</strong> dir zusammenleben' sähe es<br />

vielleicht anders aus.“ antwortete Nick. „Nein Nick, soweit bin ich noch nicht.<br />

Die Kinder sind mir auch noch zu klein. Vielleicht später mal.“ reagierte <strong>Kristin</strong><br />

und fuhr fort, „Weißt du Nick, es war alles wunderschön. Ich habe es manchmal<br />

fast für einen Traum gehalten, aber dass es nicht unendlich so weitergehen<br />

würde, da<strong>mit</strong> habe ich eigentlich gerechnet. Umso schöner und wertvoller war<br />

jede Stunde, die wir gemeinsam genießen konnten. Nick, das haben wir doch<br />

erlebt, das kann uns doch keiner nehmen, das war doch unser Glück. Ich<br />

glaube nicht, dass es einer von uns je vergessen kann. Ruby, du bleibst auch<br />

jetzt ganz tief in meiner Seele. Da verändert sich doch nix. Auch wenn wir jetzt<br />

nicht gemeinsam ins Hotel gehen oder zu Kongressen fahren. Das ist zwar<br />

schade, aber mein Bild von dir das bleibt doch. Da wird sich nichts verändern,<br />

da werden keine Farben verlaufen. Du und unsere gemeinsamen Erfahrungen<br />

sind mein psychischer Besitz, der mir gut getan hat und immer gut tun wird.<br />

Ich finde es viel schlimmer, wenn man erleben muss, wie die <strong>Liebe</strong> zerfressen<br />

wird und langsam zu Grunde geht. Das ist unangenehm, schmerzt und tut<br />

weh. Aber wir werden uns doch immer lieben, wir werden doch immer Verlangen<br />

nacheinander haben. Diese Sehnsucht ist doch im Grunde <strong>mit</strong> das Schönste<br />

an der <strong>Liebe</strong>. Nimm das doch <strong>mit</strong> Nick. Wenn ich weiß, dass du öfter an<br />

mich denkst, wird mir das sehr gut tun. Ich werde <strong>mit</strong> Sicherheit oft an dich<br />

und unsere schöne Zeit denken.“ Nick weinte. <strong>Kristin</strong> streichelte ihn und küsste<br />

ihn auf die tränenden Augen. „Warum soll es das alles nicht mehr geben dürfen.<br />

Warum darf ich dich nicht mehr von der weißen Wolke singen hören,<br />

warum nicht mehr deinen Geschichten lauschen, warum, warum, warum? Weil<br />

meine Frau es nicht will. Sie quält mich. Ich hasse sie.“ reagierte Nick wütend.<br />

„Nick, mäßige dich, wir werden es überleben. Wir haben unsere Wunder doch<br />

gehabt. Das Schöne wird nicht dadurch schöner, das man es zu perpetuieren<br />

versucht. Schau mal, <strong>mit</strong> unserm New York Erlebnis sind wir unbewusst automatisch<br />

so verfahren. Es war wunderbar überraschend, und wir haben es einfach<br />

so stehen lassen, kein Versuch, es zu wiederholen, keine Absicht es zu<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 26 von 54


überbieten. Wir hatten unser Erlebnis und haben es bewahrt.“ versuchte <strong>Kristin</strong><br />

ihn zu beruhigen. Dass sich ihr Gespräch so entwickeln würde, hatte Nick überhaupt<br />

nicht erwartet. Er hatte da<strong>mit</strong> gerechnet, das <strong>Kristin</strong> ärgerlich wäre, in<br />

ihm einen Weichling sehen würde, der sich von seiner Frau vorschreiben lasse,<br />

wen er zu lieben habe und das Verhältnis ja zwischen <strong>Kristin</strong> und ihm bestünde,<br />

so dass sie beide darüber zu entscheiden hätten, was daraus würde und<br />

nicht etwa seine Frau. <strong>Kristin</strong> war ein wunderbarer zauberhafter Mensch. In ihr<br />

sah Nick das bestätigt, was sie ganz zu Anfang im Scherz zur Überlegenheit<br />

von Frauen gesagt hatte. Sie schien wirklich den größeren Überblick und tieferen<br />

Durchblick zu haben. Anstatt ärgerlich auf ihn zu sein, richtete sie ihn seinem<br />

Dilemma wieder auf. Sie schien doch etwas Göttliches oder zumindest ein<br />

wenig Elfenhaftes zu haben.<br />

Streit bei Dautzenbergs<br />

Natürlich gab es auch hinterher noch Küsschen und kleine Streicheleien, aber<br />

das gemeinsame Bett war tabu. Nick und <strong>Kristin</strong> gingen auch weiterhin ihren<br />

Cappuccino beziehungsweise Espresso trinken und auch der Abschiedskuss war<br />

wie früher, auch wenn er manchmal von einem kurzen Streicheln der Wangen<br />

oder der Stirn begleitet war. Obwohl Larissa Nick grundsätzlich vertraute, erkundigte<br />

sie sich doch manchmal, warum es denn so spät geworden sei.<br />

Selbstverständlich erzählte Nick, auch dass er anschließend noch <strong>mit</strong> einer Kollegin<br />

einen Espresso getrunken habe. „Mit welcher Kollegin? Mit der von damals<br />

etwa? Du gehst noch fleißig weiter <strong>mit</strong> ihr ins Café?“ vermutete Larissa<br />

entrüstet. Jetzt platzte Nick der Kragen. Was er für Larissa aufgegeben hatte<br />

war unerträglich viel. Jetzt wollte sie auch noch bestimmen, ob er <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong><br />

einen Kaffee trinken durfte. „Larissa, ich habe die Beziehung beendet, wie du<br />

es gewünscht hast, aber jetzt fang bitte nicht auch noch an, dich in meinen Arbeitsalltag<br />

einzumischen. Ob und <strong>mit</strong> welcher Kollegin ich einen Kaffee trinken<br />

gehe, geht dich, um es mal ganz, ganz drastisch und unmissverständlich zu<br />

sagen, einen Scheißdreck an. Die Kollegin Rosenbach war, ist, und bleibt eine<br />

hervorragende Kollegin, völlig unabhängig davon, ob ich eine engere Beziehung<br />

zu ihr habe oder nicht. Jahrelang haben wir zusammen manchmal einen<br />

Kaffee getrunken ohne ein persönliches Verhältnis zu haben und das wird auch<br />

so bleiben, egal ob dir das passt oder nicht. Wenn du dir daraus irgendwelche<br />

Fantasiewelten zusammenreimst, ist das ausschließlich und ganz allein dein<br />

Problem. Das interessiert mich nicht die Bohne. Und wenn dir dass nicht recht<br />

sein sollte, werde ich mir überlegen müssen, ob ich so etwas <strong>mit</strong> einem<br />

derartigen Generve denn überhaupt noch ertragen will.“ Nick war böse und laut<br />

geworden. So hatte er noch nie <strong>mit</strong> Larissa geredet, eigentlich überhaupt noch<br />

nie <strong>mit</strong> jemandem. Larissa antwortete nicht und verließ den Wohnraum. Was<br />

sie empfand und wie sie darüber dachte war Nick auch gleichgültig.<br />

Wahrscheinlich resultierte seine Wut zum größten Teil daraus, dass es Larissa<br />

zu verdanken war, dass er seine Beziehung zu <strong>Kristin</strong> hatte aufgeben müssen,<br />

und jetzt erdreistete sie sich, noch mehr von ihm zu fordern. Da platzte ihm<br />

die Hutschnur. Larissa war seine alte Kumpanin, sie war ein großer Teil seines<br />

Lebens, dass konnte Nick nicht vergessen oder verdrängen, ober ob er sie so<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 27 von 54


noch liebte, das wusste er gar nicht mehr. Natürlich rauften sie sich wieder<br />

zusammen. Larissa erklärte, wie sie es eigentlich gesehen hatte, und wollte<br />

sich keinesfalls einmischen. Nick entschuldigte sich für den Ausfall, und<br />

erklärte, was ihn so wütend gemacht habe.<br />

<strong>Liebe</strong>sverbotssyndrom<br />

Im Sommer wollten sie <strong>mit</strong> den Kindern nach Südfrankreich. Alles spielte sich<br />

ein wenig emotional gebremster ab. Statt offener Freude verbreitete Nick oft<br />

eine Stimmung von Lustlosigkeit und zeigte sich manchmal sogar direkt missmutig.<br />

Im Bett wollte er öfter lesen und in Ruhe gelassen werden. Es war zwar<br />

nicht offen auffällig, aber gegenüber früher hatte sich eher ein leichter Schleier<br />

von Tristesse im Hause ausgebreitet.<br />

„Ich habe gar keine Lust mehr, nach Hause zu fahren. Ich weiß nicht, was es<br />

ist. Ich bekomme bestimmt bald Depressionen.“ sagte Nick eines Abends lächelnd<br />

zu <strong>Kristin</strong>. „Ja Ruby“ so nannte <strong>Kristin</strong> Nick jetzt immer, „es ist vieles oft<br />

nicht mehr so schön. Das sehe ich für mich auch so, als ob mir manchmal der<br />

Schwung genommen wäre. Aber was soll das denn. Bevor wir <strong>mit</strong>einander ins<br />

Bett gegangen sind, war doch auch alles o. k.. Dann sind wir. Da war's natürlich<br />

auch in Ordnung. Jetzt tun wir's nicht mehr, und da fängt die ganze Welt<br />

auf einmal an grau zu werden? Ich versteh es weder rational noch emotional.<br />

Vielleicht ver<strong>mit</strong>teln wir uns gegenseitig, wenn wir uns sehen, immer das<br />

Gefühl, ich möchte gern, aber ich darf nicht. Das ist natürlich frustrierend, und<br />

sonst haben sich unsere Augen immer vor Freude geöffnet, wenn wir uns<br />

sahen. Das ist ja schon ein Unterschied. Ich weiß nicht, ob das eine Erklärung<br />

sein könnte, aber ich stelle bei mir auch fest, dass ich viel seltener unbeschwert,<br />

ausgelassen fröhlich bin. Ich bin öfter ernst und ruhig, einfach so,<br />

ohne dass ich in irgendeiner Art an uns denke. Wir leiden wahrscheinlich beide<br />

unter dem <strong>Liebe</strong>sverbotssyndrom, eine Krankheit, die deine Frau geschaffen<br />

hat.“ Nick lächelte. „<strong>Kristin</strong>, ich liebe dich.“ sagte er schlicht. Das hatte Nick so<br />

noch nie gesagt. Er hatte <strong>Kristin</strong> zwar immer <strong>mit</strong> allen möglichen Nettigkeiten<br />

und Freundlichkeiten überschüttet, aber ein schlichtes 'Ich liebe dich' war soweit<br />

er wusste, bislang noch nie über seine Lippen gekommen. <strong>Kristin</strong> strahlte<br />

ihn an. „Nick, das ist das Schönste, was du mir heute Abend sagen konntest.<br />

Ich habe dir das schon ganz oft gesagt, aber von dir höre ich es jetzt zum ersten<br />

Mal. Lass uns schnell nach Hause fahren, sonst fang ich gleich noch an zu<br />

heulen.“ sagte <strong>Kristin</strong> lächelnd und sie standen auf und begaben sich zu ihren<br />

Wagen. Es war sonderbar, immer wenn er abends <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> geredet hatte,<br />

war Nick anschließend ausgeglichen und zufrieden. Es war wie eine Dosis, die<br />

er jeden Tag für seine psychische Stabilität zu brauchen schien.<br />

<strong>Kristin</strong> geht<br />

Als Nickund Familie aus dem Urlaub in Frankreich zurückkamen, stand fest,<br />

Frau Dr, Rosenbach verlässt das Institut. Im nächsten Monat wird sie gehen.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 28 von 54


„Warum, <strong>Kristin</strong>, warum?“entfuhr es Nick als sie sich zum ersten Mal trafen.<br />

„Nick, lass es uns heute abend im Café besprechen, oder du müsstest dir ein<br />

wenig Zeit nehmen.“ Selbstverständlich hatte Nick Zeit. „Nick, ich kann so<br />

nicht mehr leben.“ erklärte <strong>Kristin</strong>, „Es würgt mich. Es macht mich konfus.<br />

Dich fast jeden Tag treffen, wühlt immer alles Mögliche in mir auf. Ich kann<br />

keine klare Vorstellung entwickeln, keine Perspektive sehen, du bist immer dazwischen.<br />

Ich denke an irgend etwas und fange einfach an zu weinen, weil ich<br />

es auf irgendwelche Erlebnisse <strong>mit</strong> dir beziehe. Alles, alles, alles hat immer <strong>mit</strong><br />

dir zu tun. Wenn ich neben meiner Tochter sitze fällt mir ein früheres Erlebnis<br />

ein, natürlich wie ich dir davon erzählt habe. Ich sehe dich zuhören, höre deine<br />

Kommentare. Nick ich werde verrückt an dir. Zu Anfang habe ich mich ja noch<br />

gefreut, wenn ich öfter mal an dich dachte, aber jetzt ist es störend bis unerträglich.<br />

Ich träume gar nicht sehnsüchtig davon, wie schön es wäre, wenn wir<br />

zusammen sein könnten. Du hast einfach mein Denken okkupiert. Der Nick in<br />

mir will mich nicht lieben, sondern dominieren. Weißt du Nick, ich will nicht<br />

versuchen, dich zu vergessen, keinesfalls, ich muss nur ein wenig Abstand gewinnen,<br />

ein wenig Klarheit bekommen, wieder normal werden, und das geht<br />

hier so nicht. Ich steige in Freiburg in eine Praxis für Innere ein und kann sie in<br />

einem halben Jahr übernehmen. Wohnen werden wir in Hinterzarten, ganz<br />

idyllisch, viel Natur. Das wird bestimmt gut tun. Tut mir leid, mein lieber, lieber,<br />

lieber Nick.“ Sie standen auf, umarmten sich und weinten beide. Dann<br />

schauten sie sich <strong>mit</strong> ihren verweinten Gesichtern an und lächelten. „Nick, wir<br />

werden es schon schaffen.“ verkündete <strong>Kristin</strong> noch <strong>mit</strong> verweinter Stimme,<br />

„Vielleicht, oder bestimmt werden deine <strong>Liebe</strong>sentzugsdepressionen auch verschwinden,<br />

wenn du mich nicht mehr siehst.“ und sie lächelte wieder. „Aber<br />

Kaffee trinken ohne Heulen gehen wir doch noch, oder?“ erkundigte sich Nick.<br />

„Aber klaro, Ruby, das werden wir bis zum letzten Tag auskosten.“ konnte<br />

<strong>Kristin</strong> schon wieder launig antworten.<br />

Leben ohne <strong>Kristin</strong><br />

Der Monat verging schnell, und es gab keine <strong>Kristin</strong> mehr für Nick. Nicht am<br />

Institut und auch nicht anderswo. <strong>Kristin</strong> hatte auch nicht gewollt, dass sie sich<br />

schreiben würden. Und tatsächlich, nach kurzer Zeit hatte Nick <strong>Kristin</strong> zwar<br />

nicht vergessen, das ging nicht, aber der Alltag am Institut verlief selbstverständlich<br />

auch ohne <strong>Kristin</strong>. Es fiel nicht mehr auf, dass sie fehlte. Allerdings<br />

bei der neuen Oberärztin, dachte Nick oft wehmütig an <strong>Kristin</strong>. Nick hatte sich<br />

extra dafür stark gemacht, das wenigstens diese eine Oberarztstelle wieder <strong>mit</strong><br />

einer Frau besetzt wurde und war auch erfolgreich gewesen. Frau Dr. Feldkamp<br />

war im Grunde auch eine ganz nette freundliche Frau, hatte keine Attitüden<br />

oder Macken, oder sonst wie unangenehmen Verhaltensweisen, nur sie war<br />

eben ein völlig anderer Typ als <strong>Kristin</strong>. Den Unterschied der Charaktere könnte<br />

man vielleicht <strong>mit</strong> folgendem Bild beschreiben. Wenn Frau Feldmanns<br />

Charakter aus einem Beamtenbüro käme, wäre <strong>Kristin</strong>s Charakter von einer<br />

Dschungelexkursion gekommen. Frau Feldmann erschien Nick ein wenig<br />

eintönig, formal, korrekt. Alles nicht schlimm, aber als Mensch sprach sie Nick<br />

nicht an. Als sie sich vorgestellt hatte, musste Nick an <strong>Kristin</strong>s Vorstellung<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 29 von 54


denken und lachte sich halb tot. Als ob der erste Blick verriet, was für einen<br />

Menschen man vor sich hatte, und man ihn auch automatisch entsprechend<br />

behandelte. Er hatte so lachen müssen, weil er sich vorstellte, <strong>mit</strong> Frau Dr.<br />

Feldkamp so geredet zu haben wie <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong>. Es hätte sie wahrscheinlich<br />

völlig verwirrt und schockiert. Da brauchte Larissa sicher keine Angst zu<br />

haben, aber er würde ja auch <strong>mit</strong> ihr bestimmt nicht Kaffee trinken gehen. Da<br />

würde er die Zeit lieber <strong>mit</strong> etwas anderem verbringen. Nick fiel, nachdem<br />

<strong>Kristin</strong> etwa ein halbes Jahr nicht mehr da war, plötzlich auf, das all das, was er<br />

als Tristesse und trübe Stimmung zu Hause gesehen, gar nicht mehr existierte.<br />

Es gab zwar im Institut seltener etwas zu lachen und auch die Café-Abende <strong>mit</strong><br />

<strong>Kristin</strong> hatten ihm zu Anfang sehr gefehlt, aber jetzt war alles als<br />

selbstverständlich akzeptiert, und Nick hatte zu seiner alten Aktivität und<br />

guten Laune zurückgefunden.<br />

Erinnerungen<br />

Er dachte oft an <strong>Kristin</strong>, aber es stimmte ihn nicht wehmütig oder traurig, es<br />

rief glückliche Emotionen in ihm hervor. Wenn er schmunzelnd im Sessel saß<br />

und vor sich hin blickte, konnte es durchaus sein, dass er die Augen der<br />

schwarzen Seen von Hanna Cash sah, besungen von <strong>Kristin</strong> Rosenbach nackt<br />

auf seinem Bauch sitzend. Die Tage und Stunden <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> gehörten sicher zu<br />

den glücklichsten in seinem Leben, nein sie waren <strong>mit</strong> weitem Abstand die aller<br />

glücklichsten. Allein schon die Tage in New York, als man noch nicht mal ans<br />

Streicheln und Küssen dachte, waren wunderbare Glücksmomente <strong>mit</strong> so viel<br />

Lachen und Freude, wie er es noch nie erlebt hatte. Diese Erinnerungen verblassten<br />

nicht, auch wenn Nick, nachdem <strong>Kristin</strong> schon fast fünf Jahre fort war,<br />

nicht mehr so häufig daran dachte. Sie waren emotional so stark belegt, dass<br />

sie sich fest eingeprägt hatten. Was er aus ihrer gemeinsamen Zeit noch wusste,<br />

war wie ein großes mediales Lexikon, in dem er blättern und die einzelnen<br />

Szenen abrufen konnte. <strong>Kristin</strong> hatte Recht gehabt, es war ihr großer, wertvoller,<br />

gemeinsamer Besitz, der ihnen immer zur Verfügung stand. Ob sie auch<br />

noch wohl manchmal an ihn dachte, fragte sich Nick, oder ob sie in eine völlig<br />

neue Welt eingetaucht war, in der er nicht mehr vorkam oder allenfalls eine<br />

Altlast war. Er würde sie liebend gern mal sehen, nur <strong>mit</strong> ihr sprechen, gar<br />

nicht eine neue <strong>Liebe</strong> beginnen oder so etwas. Es war ja so alles für ihn o. k.,<br />

und da wollte er auch nichts geändert wissen. Nur er würde nicht nach ihr suchen.<br />

Wenn sie Kontakt zu ihm wünschte, wusste sie ja, wie sie ihn erreichen<br />

konnte. Aber von allen, die ihn im Institut oder zu Hause zu erreichen versuchten,<br />

war nie eine <strong>Kristin</strong> oder Frau Dr. Rosenbach dabei.<br />

Die Geschichte Rosenbach<br />

Es war vorbei. <strong>Kristin</strong> Rosenbach war und blieb Geschichte, eine Geschichte,<br />

die er vermutlich <strong>mit</strong> ins Grab nehmen würde, oder ob im Alter vielleicht doch<br />

mal eine Zeit käme, in der man so abgeklärt wäre, das er Larissa die wirkliche<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 30 von 54


Geschichte würde erzählen können. Jetzt konnte er ihr jedenfalls nicht von der<br />

fremden Frau vorschwärmen, auch wenn sie schon über vier Jahre nicht mehr<br />

anwesend war. Vielleicht konnte er die Geschichte mal einem seiner Kinder erzählen.<br />

Besonders zu Carla, seiner Tochter hatte er, im Gegensatz zu ihrer<br />

Mutter, ein ausgezeichnetes Verhältnis, aber jetzt war sie erst sechzehn, wohl<br />

noch ein wenig früh. Die Begebenheiten <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> bekamen in Nicks Erinnerungen<br />

langsam immer mehr einen Touch von Irrealität. Auch wenn er alles<br />

<strong>mit</strong> Daten und Fakten belegen konnte, rückte für Nick langsam alles näher zum<br />

Bereich der Traumwelten. <strong>Kristin</strong> erschien ihm je länger die Zeit jetzt schon her<br />

war, dass er sie erlebt hatte, sich immer mehr zu einer Fee oder Elfe zu<br />

entwickeln. Natürlich wusste er, dass sich alles real ereignet hatte, trotzdem<br />

nahm alles eher mystische Züge an. <strong>Kristin</strong> war nicht mehr real, tatsächlich<br />

zwar eine Erinnerung, in Nicks Vorstellung aber wohl eher eine Nymphe. Auch<br />

nach zehn Jahren waren die Erinnerungen natürlich nicht verschwunden, meldeten<br />

sich aber nur sehr selten. Meistens als Assoziation zu anderen Zusammenhängen.<br />

Wenn Nick etwas zum Central Park hörte, fiel ihm natürlich ihr<br />

Fangen-spielen dort ein und ließ ihn schmunzeln. Positiv besetzt waren die Erinnerungen<br />

noch immer. Nichts war in irgendeiner Weise abgewertet, als kindischer<br />

Unsinn oder blinde Verliebtheit deklassiert worden. Sie waren und blieben<br />

Höhepunkte des Glücks vergangener Tage.<br />

Hey Nick<br />

Nick war spät dran. Er sollte auf einem Hämatologenkongress in Stuttgart<br />

einen Vortrag halten. Ein kleiner Kongress, trotzdem musste er ja rechtzeitig<br />

vor Kongressbeginn anwesend sein. Er stürmte durch die Eingangshalle zur<br />

Kongressleitung. „Hey, Nick!“ Das war <strong>Kristin</strong>. Sofort war es Nick bei den zwei<br />

Worten klar. Zunächst hatte es ihn erstarrt. Jetzt suchte er sie. Die Stimme war<br />

von hinter ihm gekommen. Es konnte nur die Frau <strong>mit</strong> den zotteligen<br />

schwarzen Haaren sein. Sie starrten sich an, strahlten und fielen sich um den<br />

Hals. „Nick, du erdrückst mich ja.“ meinte <strong>Kristin</strong> lächelnd, „hast du mich gar<br />

nicht erkannt?“ Nick starrte sie nur an und seine Augen wurden feucht. Mit<br />

„Oh, <strong>Kristin</strong>, <strong>Kristin</strong> <strong>Kristin</strong>.“ fiel er ihr erneut um den Hals. „Ich weiß gar nicht<br />

was ich sagen soll. Alles blockiert. Ich sehen nur, dass du <strong>mit</strong> jedem Jahr, das<br />

du älter wirst, noch schöner wirst. Wie soll ich dich denn da erkennen können.<br />

<strong>Kristin</strong> ich habe ein Problem. Ich müsste gleich einen Vortrag halten. Mache ich<br />

aber nicht. Ich müsste mich nur sofort eben bei der Kongressleitung abmelden.“<br />

„Nein, bist du verrückt, mach das. Wir haben doch drei Tage Zeit. Wenn<br />

wir's zehn Jahre ausgehalten haben, werden wir's auch noch eine Stunde länger<br />

schaffen. Ich laufe ja nicht weg. Ich sitze im Publikum und höre dir zu.“<br />

forderte ihn <strong>Kristin</strong> auf. Also rannte Nick wieder zur Kongressleitung.<br />

Im Saalcafé<br />

Sie trafen sich nach dem Vortag im Saalcafé. „Ruby, du bist alt geworden.“ be-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 31 von 54


merkte <strong>Kristin</strong> als erstes. Nick wollte wissen, ob er viele zusätzliche Falten bekommen<br />

habe. „Nein so nicht, du warst nur ein bisschen unkonzentriert beim<br />

Vortrag. Hast dich dreimal verhaspelt. Das kenn ich von dir früher gar nicht.<br />

Oder hast du vielleicht an mich gedacht.“ „Wir halten uns fast für tot und sehen<br />

uns nach zehn Jahren plötzlich wieder, und ich soll mich aufs Podium stellen<br />

und seelenruhig meinen Text aufsagen. Kannst du dir gar nicht vorstellen,<br />

dass du mich vielleicht ein wenig nervös machst?“ antwortete Nick „Nein, wieso,<br />

wir haben doch schon über zehn Jahre nichts mehr <strong>mit</strong>einander, und du<br />

willst immer noch nervös werden, wenn du mich siehst?“ reagierte <strong>Kristin</strong> provokant.<br />

„Deine Frechheit hat man dir also im Schwarzwald offensichtlich nicht<br />

ausgetrieben. Wir treffen uns und fangen gleich beim zweiten Satz da an, wo<br />

wir vor zehn Jahren aufgehört haben. Erzähle doch mal etwas Richtiges von dir.<br />

Ich platze vor Neugier.“ forderte sie Nick auf. „Also zunächst mal, mir geht es<br />

gut. Ruby das ist doch alles langweiliges Gesums. Ich bin nicht hier, weil ich die<br />

Bio meiner letzten zehn Jahre erzählen will, ich bin doch hier, weil ich dich<br />

wiedersehen will, dich anfassen und berühren will, dich anschauen und dich<br />

küssen will. Lass uns so etwas tun, und dabei können wir ja reden wie immer<br />

und über was auch immer.“ antwortete <strong>Kristin</strong>. Nick hielt ihre Hand und fragte:<br />

„Ja also, deine Frisur, hast du die schon lange, und warum hast du sie so?“<br />

Nick musste schon bei seiner eigenen dämlichen Frage lachen, als <strong>Kristin</strong> aber<br />

kurz und knapp äußerte: „Neu, weil ich dir gefallen will.“ war es völlig aus.<br />

„oder gefällt sie dir etwa nicht. War der ganze Friseurbesuch für die Katz?“<br />

fragte <strong>Kristin</strong>. „Nein, nein, der war nicht für die Katz, der war für dich und der<br />

Friseur ist ein Künstler. Er hat genau die Frisur getroffen, die am allerbesten zu<br />

dir passt. Du siehst fantastisch aus und gefällst mir wie eine wilde Braut aus<br />

dem Dschungel.“ reagierte Nick immer noch lachend. „Was soll das denn heißen.<br />

Fängst du jetzt auch schon so an. Für meinen Mann waren auch alle Frauen<br />

Bräute.“ fragte <strong>Kristin</strong> erstaunt. „Nein, ich musste nur an meinen Vergleich<br />

eurer unterschiedlichen Charaktere bei der Vorstellung deiner Nachfolgerin<br />

denken, und da war dein Charakterbild, als ob du von einer Dschungelexpedition<br />

kämst, und dazu passt auch deine Frisur, die ich wirklich nicht nur sehr<br />

schön, sondern auch ein wenig frech und anreizend finde, wunderbar.“ erläuterte<br />

Nick. „Danke Ruby, und meine Nachfolgerin, von wo kam deren Charakter<br />

im Vergleich her?“ wollte <strong>Kristin</strong> wissen. „Aus einer Beamtenstube.“ „Oh Gott,<br />

du Ärmster“ <strong>Kristin</strong> darauf. „Ja du warst eben ein extraordinäres Geschöpf. Das<br />

gibt es nur einmal. So etwas kann man nicht wieder erwarten. Aber insgesamt<br />

läuft alles ganz rund. Wir sind nicht schlecht, sogar ohne dich.“ antwortete<br />

Nick versch<strong>mit</strong>zt lächelnd. „Ich weiß, ich weiß. Ich verfolge noch immer alles<br />

von euch. Ja, am Institut hing mein Herz und ist wohl da hängen geblieben.<br />

Ich weiß immer genau, was du gerade machst, Ruby. Das war meine Welt, <strong>mit</strong><br />

der ich mich identifiziert habe. Es waren ja nur fünf Jahre, aber es kommt mir<br />

vor wie die wichtigste und intensivste Phase meines Lebens. Ich komme jetzt<br />

auch ganz gut klar, aber der Movimento ist raus. Jetzt arbeite ich, um Leben zu<br />

können und tue was getan werden muss. Jetzt hätte ich auch bestimmt eher<br />

einen Bürostubencharakter.“ sagte <strong>Kristin</strong>. „Und warum hast du nicht einmal in<br />

all den Jahren einen Ton von dir hören lassen?“ fragte Nick. „Ruby, ich hatte<br />

Angst vor dir. Nein Angst vor mir. Ich konnte das nicht verkraften <strong>mit</strong> unserer<br />

Beziehung. Es ergriff mich zu massiv. Ich hatte Angst, die Kontrolle über mich<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 32 von 54


zu verlieren. Natürlich hätte ich es gern gehabt, wenn du mir mal geschrieben<br />

hättest. Nichts lieber, aber ich wusste nicht, wohin das führen sollte und was es<br />

bewirken würde. Ich wollte es einfach schaffen, ein Leben ohne dich<br />

hinzukriegen, und wenn ich mehr Kontakt zu dir gehabt hätte, du hättest es ja<br />

nur gestört. Kannst du das verstehen?“ fragte <strong>Kristin</strong>. „Du hast die ganze Zeit<br />

an mich gedacht, unsere Infos und Mails gelesen und dich zehn Jahre lang kein<br />

einziges Mal gemeldet. Oh je, das habe ich mir so nicht vorstellen können. Ich<br />

habe immer gedacht, du bist hier in eine völlig neu Welt eingetaucht, bist<br />

möglicherweise Bürgermeisterin von Hinterzarten, und München, das Institut<br />

und ich sind zu verschwommenen, unerheblichen Kindheitserinnerungen<br />

geworden. Und jetzt, warum brichst du jetzt nach zehn Jahren deine<br />

Grundsätze?“ wollte Nick wissen. „Na, das war gar nicht so einfach. Es ist ja<br />

nicht weit von uns, und dann wollte ich dich ja nur einmal life im Vortrag sehen.<br />

Ich sehe ja sonst auch Bilder von dir oder lese deine Texte. Das würde ja<br />

nichts ausmachen. Ja, und wenn ich dann da bin, funktioniert es natürlich nicht<br />

so. Vielleicht hatte ich es ja irgendwie auch schon so erwartet. Ich bin wirklich<br />

deinetwegen beim Friseur gewesen. Das hab ich dann da<strong>mit</strong> entschuldigt, falls<br />

er dir doch mal über den Weg laufen sollte, musst du ja wenigstens ein bisschen<br />

ordentlich aussehen. Ganz schön verrückt, nicht war. Ich will es, kann's<br />

aber vor mir selbst nicht zugeben. Es wird mich aber wohl nicht aus der Bahn<br />

werfen, dass wir uns treffen. Ich denke es sind eher die kontinuierlichen Kontakte.<br />

Wir würden uns ja nicht ein Briefchen schreiben zu Weihnachten, es wird<br />

ja häufiger, mehr und intensiver werden. Das will ich nicht. Ich will nicht das<br />

der Gedanke an dich mich okkupiert. Deshalb bin ich ja damals gegangen, weil<br />

es so war.“ erläuterte <strong>Kristin</strong>. „<strong>Kristin</strong>, das macht mich sehr traurig. Wir haben<br />

praktisch durch unsere <strong>Liebe</strong> dein Leben, dein Leben am Institut zerstört, beziehungsweise<br />

unmöglich gemacht. Ich möchte etwas tun für dich, nur ich weiß<br />

überhaupt nicht was und wie. Wüsstest du denn etwas oder hättest eine Idee.“<br />

sinnierte Nick. „Du könntest mich endlich mal küssen. Anscheinend eine Idee,<br />

auf die du nicht kommst.“ forderte <strong>Kristin</strong> patzig. Nick lachte wieder und für die<br />

nächste Zeit saßen die beiden Zweindfünfzig- und Vierundfünzigjährgen allein<br />

küssend im Saalcafé.<br />

Spend the night together or not?<br />

Dass sie keine weitere Veranstaltung des Kongresses besuchen würden, war<br />

für die beiden selbstverständlich, aber wie es <strong>mit</strong> der Nacht verlaufen sollte<br />

war höchst kompliziert. Natürlich würde es darauf hinauslaufen, dass sie gemeinsam<br />

ins Bett gingen, dem würde keiner von beiden widerstehen können.<br />

Wenn jeder allein auf sein Zimmer gehen sollte, hätten sie sich vorher schon<br />

die Augen auskratzen müssen. Ganz so weit kam es allerdings nicht. Nick<br />

konnte natürlich vor sich selbst nicht einfach so wieder <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> ins Bett gehen<br />

und musste diese Bedenken und Zweifel auch <strong>Kristin</strong> kundtun. „Nick mir<br />

reicht's endgültig. Ich weiß nicht mehr worüber wir reden. Wenn man sich<br />

fragt: 'Sollen wir zusammen ins Bett gehen?“ kann man antworten <strong>mit</strong> 'ja ich<br />

will' oder 'nein ich will nicht'. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt, aber wir<br />

reden jetzt schon tatsächlich eine ganze Stunde darüber, und ich weiß immer<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 33 von 54


noch nicht, ob du nun zu mir ins Bett möchtest oder nicht.“ monierte <strong>Kristin</strong><br />

leicht gereizt. Nick umarmte sie, und hauchte ihr ein „Natürlich möchte ich,<br />

meine Allerliebste.“ ins Ohr. Das war <strong>Kristin</strong> im Grunde auch von Anfang an<br />

klar gewesen, sie hatte sich nur einen Spaß daraus gemacht, Nick immer<br />

wieder <strong>mit</strong> anderen Wendungen klar zu machen, dass man ja nicht brauche,<br />

wenn er nicht wolle, und hatte so die ewige Diskussion fleißig selbst gefördert.<br />

„Nick, mein Schatz, ich glaube du bist doch ein wenig alt geworden, oder hast<br />

unter den Bürocharakteren deinen Esprit verloren. Lässt dich von mir hier fast<br />

eine ganze Stunde lang an der Nase rumführen und merkst es nicht. Das<br />

musst du nicht machen, pass ein bisschen mehr auf. So wie ich dich in<br />

Erinnerung habe, wäre dir das damals nicht passiert.“ gab <strong>Kristin</strong> zu bedenken.<br />

„Die Nacht wird wie ein Jungbrunnen wirken. Morgen früh werde ich wieder<br />

frisch und auf Draht sein, wie in alten wilden Zeiten.“ <strong>Kristin</strong> lachte: „Woll'n<br />

wir's hoffen.“<br />

Wiedererkennen<br />

Obwohl die beiden nicht mehr die jüngsten waren, rechneten sie nicht da<strong>mit</strong>,<br />

in der Nacht zu schlafen. Das eigentliche Wiedersehen, die tatsächliche Begrüßung<br />

der nach zehn Jahren wiedergefunden Geliebten, begann erst im Bett.<br />

Lange schauten sie sich an, betasteten ihre Gesichter und streichelten sie,<br />

fühlten die Lippen und küssten sich. Ihre Augen waren den Tränen nahe, während<br />

ihre Münder dem andern selig lächelnd signalisiert: „Ich bin unendlich<br />

glücklich, wieder bei dir sein zu können.“ Beide genossen es, als ob es lange<br />

Zeit brauche, das Gesicht des anderen völlig wiederzuerkennen oder alles was<br />

man in Erinnerung hatte, haptisch real neu zu erfassen. Wie einen kostbaren<br />

Edelsteine befühlte man vorsichtig und zart alle Erhebungen und Täler, als ob<br />

man jede Pore in der Landschaft der Haut des anderen erspüren könne. <strong>Keine</strong>r<br />

von beiden sagte etwas, bis sie sich beide plötzlich küssend umschlangen, ihre<br />

Körper aneinander pressten und <strong>Kristin</strong> zu weinen begann. „Tut mir leid, Nick,<br />

aber du weist ja. Ist gleich vorbei.“ erklärte <strong>Kristin</strong> und Nick küsste ihr die salzigen<br />

Tränen von Augen und Wangen. „Nick, ich bin so überwältigt, dass ich es<br />

gar nicht fassen kann.“ so <strong>Kristin</strong> und Nick ergänzte, „Und ich war der festen<br />

Überzeugung, sterben zu müssen, ohne dich je vorher wiedergesehen zu haben.<br />

Meine <strong>Liebe</strong>, ich brauche ja nicht deine Psyche okkupieren oder dominieren,<br />

aber so lange kann man das doch nicht aushalten. Wir können uns doch<br />

wenigstens ganz selten mal treffen. <strong>Kristin</strong>, ich habe dich zehn Jahre nicht gesehen,<br />

aber es ist als ob wir gestern in Rom abgefahren wären. Alles ist sofort<br />

genauso wieder da. Vielleicht bin ich ein wenig trotteliger geworden, aber meine<br />

Sucht, mein Verlangen, mein Bedürfnis nach dir hat sich kein bisschen verringert.“<br />

<strong>Kristin</strong> strahlte. „Waren das Komplimente für mich. Ich glaube schon.<br />

Es tut mir wenigstens gut, Rubybärchen.“ äußerte <strong>Kristin</strong> ihr zärtliches Empfinden.<br />

„Ach Nick, das ist nicht üblich und normal <strong>mit</strong> uns, ich kann mir das überhaupt<br />

nicht erklären. Alles was ich mir an <strong>Liebe</strong> vorstellen kann, sind gegen<br />

das was du in mir auslöst, Tändeleien und Spielchen. Mir kommt es fast wie<br />

eine Sucht vor. Ich habe wirklich schon überlegt, ob ich nicht zum Therapeuten<br />

gehen, und mir dich wegtherapieren lassen sollte, aber eigentlich will ich das ja<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 34 von 54


gar nicht, wenn's denn überhaupt möglich sein sollte. Ich weiß auch gar nicht,<br />

wo<strong>mit</strong> es zusammenhängen könnte. In meinem sonstigen Leben ist und war<br />

doch alles ganz normal und easy, bis auf meinen Mann, aber den gibt’s ja nicht<br />

mehr.“ „Wieso nicht?“ unterbrach Nick <strong>Kristin</strong>s Redefluss, „Wie haben uns getrennt.<br />

Aber davon nicht jetzt. Ach, ich rede sowieso schon von Problemen, ich<br />

wollte dir doch etwas Schönes, <strong>Liebe</strong>s, Freundliches sagen, etwas das dich<br />

glücklich macht.“ und überlegte aber eigentlich brauchte man dabei nicht nach<br />

etwas zu suchen, es ergab sich von selbst immer aus den Gesprächen.<br />

„<strong>Kristin</strong> bitte, verstehe es nicht falsch,“ schickte Nick voraus, „deine Frisur gefällt<br />

mir extrem gut, sie ist fantastisch und macht dich außerordentlich fotogen,<br />

nur im Bett da fehlt mir etwas, es ist das wunderschöne Kastanienrot in dem<br />

die Haare der <strong>Kristin</strong> leuchteten, die ich immer geliebt habe. Es ist nicht da. Zu<br />

deinem Original gehört es dazu. Ob das Schwarz noch so attraktiv und fotogen<br />

ist, interessiert mich hier überhaupt nicht. Es ist nicht das ursprüngliche Bild<br />

meiner <strong>Kristin</strong>, es macht dich mir eher fremd. Du siehst wunderschön aus,<br />

aber zum Liebhaben finde ich das Original besser.“ „Oh Nick, das war auch sicher<br />

nicht gut.“ antwortete <strong>Kristin</strong>, „Ich bin manchmal unzufrieden <strong>mit</strong> mir, und<br />

dann möchte ich diese blöde Kuh im Spiegel nicht sehen, dann möchte ich<br />

jemand anders sein. Ich weiß auch, das die Haarfarbe nichts an mir ändert,<br />

aber ich habe ein Empfinden, als ob das Original niemand leiden möchte. Da<br />

gefällt es mir, einfach anders auszusehen.“ „Ich habe dir das glaube nie gesagt.<br />

Es war ja immer selbstverständlich da, aber jetzt wo es fehlt, fällt mir<br />

auf, wie wunderbar dein dunkelrotes Haar war, und wie gut es mir gefiel. Mit<br />

deiner Persönlichkeit hat es ja nichts zu tun aber ich empfand es einfach schön<br />

und ich habe es sehr gemocht. Aber wir werden uns auch genauso <strong>mit</strong> schwarzen<br />

Haaren lieben.“ erläuterte Nick sein Empfinden.<br />

Bei Streicheln, Küssen und Schmusen unterhielten sie sich bis tief in die Nacht<br />

und allmählich beide doch so erregt waren, dass sie Sex wollten. <strong>Kristin</strong> war<br />

ein wenig nervös, weil sie wohl schon sehr lange nicht mehr <strong>mit</strong> einem Mann<br />

geschlafen hatte. Nachher hielt sie sich eine Hand vor Stirn und Augen, sodass<br />

Nick besorgt fragte: „<strong>Kristin</strong>, ist etwas nicht in Ordnung?“ „Nein, nein, nein,“<br />

wehrte sie ab, „ist alles wunder-, wunderbar.“ Dann legte sie sich auf Nicks<br />

Bauch und fragte leise <strong>mit</strong> leicht schelmischem Gesicht: „Nick können wir das<br />

nicht abends sofort machen und dann später nochmal? Ja, geht das? Ich hab<br />

wirklich vergessen, wie gut das tut. Es ist herrlich <strong>mit</strong> dir, du bist so lieb. Und<br />

ich habe dich ganz lieb und alles liebe, was man sagen kann auf der Welt, das<br />

sag' ich dir jetzt.“ schmuselte <strong>Kristin</strong> Nick zu. „Wir können es auch gleich nochmal<br />

machen, wenn du möchtest.“ antwortete Nick. „Meinst du denn, ich würde<br />

auch nochmal rattig?“ fragte <strong>Kristin</strong>. Nick lachte und antwortete: „Das kann ich<br />

nun wiederum überhaupt nicht einschätzen. Für solche Fragen bist du eigentlich<br />

selbst am kompetentesten, aber wir können's ja gleich mal versuchen,<br />

wenn du möchtest.“ Nach drei Tagen Streicheln, Schmusen, Reden unendlich<br />

vielen Küssen und <strong>Kristin</strong>s Neuentdeckung der Freude am Geschlechtsverkehr<br />

fuhren sie nach Hause, ohne etwas für die Zukunft geplant oder geregelt zu<br />

haben. Gerade vorm Auseinandergehen fiel es ihnen ein. <strong>Kristin</strong> wollte sich auf<br />

jeden Fall im Institut melden und sie gab Nick auch ihre Visitenkarte aus Hinterzarten,<br />

für den Notfall, wie <strong>Kristin</strong> schelmisch kommentierte.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 35 von 54


Soziales Urvertrauen<br />

Auf der Rückfahrt versuchte Nick immer wieder fassen zu können, was <strong>Kristin</strong><br />

und sein Verhältnis zu ihr eigentlich darstellte. Als er anfangs als Jugendlicher,<br />

und später auch nochmal nach der Trennung, außerordentlich in Larissa verliebt<br />

gewesen war, hatte es zwar auch Phasen gegeben, in denen er das Gefühl<br />

gehabt hatte, kaum einen Moment ohne sie auskommen zu können. Aber so<br />

war es ja jetzt nicht. Er konnte ja seinen Alltag ohne <strong>Kristin</strong> leben, nur wenn er<br />

sie sah, war sie das absolut Dominierende. Im Institut hatten sie zusammen<br />

gearbeitet. Er arbeitete ja auch jetzt, nur <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> war die Arbeit Glück gewesen.<br />

Das hatte sich nicht verändert, war über Jahre nie schal und und trister<br />

selbstverständlicher Alltag geworden. <strong>Kristin</strong>s Anblick löste in ihm anscheinend<br />

immer gleich eine verschwenderische Überschüttung seiner dopaminergen Rezeptoren<br />

<strong>mit</strong> üppigen Gaben dieses Gückshormons aus. Es veränderte ihn, sein<br />

Empfinden, seine Stimmungslage. Was kulminierte in diesem Bild, das da für<br />

ihn ausgestellt wurde, wenn er sie sah, wenn er an sie dachte. Mit Sicherheit,<br />

war es nicht ihre äußere Erscheinung, die er zwar auch sehr mochte, aber zu<br />

Anfang ja gar nicht wahrgenommen hatte. Es mussten Verhaltens- und<br />

Charaktereigenschaften sein, die ihn besonders faszinierten und von ihm als<br />

außerordentlich positiv empfunden wurden. Er konnte ihr vertrauen, wusste,<br />

dass sie ihn nie ausnützen oder hintergehen würde, dass sie ihn verstand und<br />

verstehen wollte, dass sie ihn mochte und freundliche Gefühle für ihn hatte,<br />

sich selbst freute, wenn sie ihn glücklich sah. Das alles stand für Nick so<br />

deutlich, sicher und ohne jeden Zweifel fest, wie bei einem kleinen Kind in der<br />

Beziehung zu seiner Mutter. Vielleicht war es ja diese Form einer intensiven,<br />

emotional sicheren sozialen Beziehung zu einem anderen Menschen, wie es sie<br />

normalerweise im späteren Leben nie wieder gab, wie Nick sie aber <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong><br />

erleben konnte. Er hegte bei <strong>Kristin</strong> keine Muttergefühle, hatte keinerlei<br />

Bedürfnis bemuttert zu werden, es war das soziale Urvertrauen, dass sie in ihm<br />

ansprach, neu belebte und zur Blüte brachte. So sah Nick seine Beziehung zu<br />

<strong>Kristin</strong>, die durch keine andere soziale Beziehung an Bedeutung und Intensität<br />

übertroffen werden konnte. Nicht nur der Mensch <strong>Kristin</strong>, sondern das Wunder<br />

der sozialen Beziehung zu ihr, waren unübertroffene Erfahrungen, die sich in<br />

Nicks emotionaler Basis eingegraben hatten. Er wusste, dass er es nicht nur<br />

genossen hatte, sondern dass es in seiner Persönlichkeit einen primären<br />

Stellenwert einnahm.<br />

<strong>Kristin</strong> melde dich<br />

Im Institut hatte Nick wieder die <strong>mit</strong> Post befassten Leute instruiert, alles <strong>mit</strong><br />

dem Absender Frau Dr. <strong>Kristin</strong> Rosenbach, oder Teilen davon, direkt ihm persönlich<br />

zuzuleiten. Nur es kam nichts. Im ersten Monat nicht, im nächsten Monat<br />

nicht und im übernächsten auch nicht. <strong>Kristin</strong> wollte sich doch melden.<br />

Stuttgart konnte sie doch nicht unberührt gelassen haben. Oder meinte sie <strong>mit</strong><br />

öfter, jetzt schon nach fünf anstatt nach zehn Jahren wieder Kontakt aufzunehmen?<br />

War ihr in Hinterzarten der Gesichtspunkt des Lebens ohne Nick wieder<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 36 von 54


zur leitenden Dominante ihres Handelns geworden, und Stuttgart im Nachhinein<br />

als Lapsus, als Fehltritt erschienen. Nick quälte es. Er log Larissa vor, am<br />

nächsten Wochenende einen Kollegen in Heidelberg besuchen zu müssen, weil<br />

sie Planungen für ein gemeinsames Forschungsprojekt ausarbeiten wollten. Es<br />

war ihm völlig gleichgültig, ob Larissa ihm glaubte, ob sie herausbekommen,<br />

dass es gelogen war, oder erfahren würde, dass er sich <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> getroffen<br />

hätte. Auf die Kinder braucht er keine Rücksicht zu nehmen, sie waren nicht<br />

mehr klein und wohnten nicht mehr zu Hause, und bei allen Gemeinsamkeiten<br />

und langen Erfahrungen <strong>mit</strong> Larissa, würde er ihretwegen nicht auf <strong>Kristin</strong> verzichten<br />

wollen. Die Alternative, vor die sie ihn damals gestellt hatte, wäre heute<br />

ineffektiv.<br />

Nick in Hinterzarten<br />

Nick fuhr nach Hinterzarten. Er hatte vorher nicht angerufen. Es konnte natürlich<br />

sein, dass <strong>Kristin</strong> nicht zu Hause war, aber wenn er telefoniert hätte, könnte<br />

sie ein Treffen auch abgelehnt haben. Er musste sie aber sehen. Fassungslos<br />

starrte sie ihn an, als <strong>Kristin</strong> Nick die Tür öffnete. „Freust du dich nicht wenigstens<br />

ein bisschen?“ fragte Nick. „Ja, ja, ja, ja, ja, selbstverständlich.“ löste<br />

sich <strong>Kristin</strong>s starres Erstaunen, und sie viel Nick um den Hals. „Was machst du<br />

in Hinterzarten, Nick?“ wollte <strong>Kristin</strong> wissen. „Ach, ich war hier in der Nähe und<br />

dachte, schaustst'e doch mal eben vorbei.“ antworte Nick, wofür er von <strong>Kristin</strong><br />

<strong>mit</strong> einem Boxhieb auf die Couch befördert wurde. Nach ausgedehntem Begrüßungsküssen<br />

stellte Nick fest, das <strong>Kristin</strong>s Haarfarbe ja wieder original sei. „Ich<br />

hasste dieses Schwarz, konnte es an mir nicht ertragen. Sofort am nächsten<br />

Tag bin ich zum Friseur wollte meine Haare wieder haben. Ich habe ihm abgeschnittenes<br />

Schamhaar gezeigt. War eine ziemliche Prozedur. Völliges Entfärben<br />

hätte das Haar sehr angegriffen. Dann hat er ein wenig entfärbt und die<br />

Originalfarbe drüber gefärbt. Da stimmte wenigstens die Farbe wieder, nur zur<br />

Frisur passte es jetzt überhaupt nicht mehr. Ich lass es jetzt einfach wieder<br />

wachsen, da<strong>mit</strong> es wie früher wird, da brauche ich mir nur ab und zu vorne etwas<br />

schneiden zu lassen. Da siehst'e mal, wie du mich in der Gewalt hast. Du<br />

sagst, dass dir etwas anderes besser gefällt, und sofort muss ich es zwanghaft<br />

machen, kann das alte selbst nicht mehr ertragen. Dein gehorsamste Sklavin.“<br />

stellte <strong>Kristin</strong> scherzend fest. Breitbeinig auf seinem Schoß vor ihm sitzend<br />

wollte sie von Nick wissen, wie lange er bleiben könne. „Bis Sonntagabend<br />

oder Montagmorgen ganz früh.“erklärte Nick. „Also Montagmorgen, ich muss<br />

nur noch mal eben telefonieren.“ reagierte <strong>Kristin</strong>. Nick bekam <strong>mit</strong>, wie sie laut<br />

intensiv ins Telefon sprach: „Nein, heute nicht, und morgen nicht und übermorgen<br />

nicht. Nein, nein, nein, auf keinen Fall.“<br />

<strong>Kristin</strong>s Sozialleben<br />

„Hast du deinem Freund abgesagt?“ fragte Nick als sie zurückkam. „Ach, dieser<br />

Blödmann! Nein ich habe keinen Freund, Nick.“ antwortete <strong>Kristin</strong> und kletterte<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 37 von 54


wieder auf Nicks Schoß. „Nick, weißt du,“ begann sie, „ich bin jetzt zweiundfünfzig,<br />

und Leilani hat auch gerade angefangen zu studieren, ich will nicht bis<br />

an mein Lebensende ganz allein bleiben. Ich, ganz allein, verstehst du, das<br />

passt doch nicht und geht auch nicht. Nur einen Freund finden, ich weiß gar<br />

nicht wie ich das machen soll, wo der denn sein soll, wie ich denn erkennen<br />

soll, ob das mein Freund werden könnte. Bei dir war das ganz einfach, da habe<br />

ich gar keinen Freund gesucht, aber vom ersten Augenblick an gewusst, das ist<br />

mein Freund. So etwas ist mir noch nie wieder vorgekommen. Ich finde Leute<br />

ganz nett, ganz sympathisch, kann <strong>mit</strong> ihnen reden und lachen, aber das war's<br />

dann auch. Kein Bedürfnis mich intensiver auf sie einzulassen, kein Verlangen,<br />

mich tiefer <strong>mit</strong> ihnen zu beschäftigen. Der, dem ich gerade abgesagt habe, war<br />

Dr. Tröger, ein gerade pensionierter Regierungsdirektor, wir gehen öfter zusammen<br />

essen oder in eine Kneipe und unterhalten uns. Eigentlich ein ganz<br />

netter Typ, es ist immer ganz angenehm <strong>mit</strong> ihm, auch wenn er ziemlich konservative<br />

Vorstellungen hat. Weißt du Nick, so kann ich wenigstens mal <strong>mit</strong> jemandem<br />

reden.“ „Und erwartet der denn nicht mehr von dir? Denkt der denn<br />

nicht daran, dass er irgendwann mal <strong>mit</strong> dir ins Bett gehen will?“ fragte Nick<br />

nach. <strong>Kristin</strong> lachte laut auf und meinte spassig: „Der soll sich unterstehen.<br />

Verprügeln werde ich den alten Sack, wenn er solche Vorstellungen äußern<br />

sollte. Nein, nein, das Alter würde mich wahrscheinlich noch nicht mal stören,<br />

aber ich weiß überhaupt nicht, wie ein Mann denn aussehen sollte, wie er denn<br />

auf mich wirken sollte, dass ich Lust verspürte, <strong>mit</strong> ihm ins Bett gehen zu wollen.<br />

Ich bin ja nicht dröge, prüde, unerotisch oder leidenschaftslos, aber ich erfahre<br />

einfach nicht, dass von den Männern, die ich kenne jemals einer meine<br />

Libido in Gang gesetzt hätte. Alles verbaut und besetzt von dir wahrscheinlich.<br />

Du hast mich bestimmt zu einer absolut monogamen Spezies mutieren lassen.<br />

Nein im Ernst, grundsätzlich möchte ich ja gerne, aber es ist nichts. Ich habe<br />

mir schon überlegt, wie es denn damals <strong>mit</strong> Guido angefangen hat. Das war ja<br />

auch nicht so wie bei dir, aber das ich herausbekommen hätte, was mich denn<br />

grundsätzlich erotisch anspricht, kann ich wirklich nicht sagen. Am aufregendsten<br />

finde ich immer noch schöne Frauen. Aber <strong>mit</strong> einer Tussi im Bett liegen zu<br />

müssen, ein grauenhaftes Bild. Du könntest mich ja vielleicht belehren und<br />

aufklären. Du liegst ja auch <strong>mit</strong> einer Tussi im Bett.“ ergänzte <strong>Kristin</strong> lachend<br />

und brauchte erst wieder eine ausgiebige Dosis Kussgenuss.<br />

Erste Nacht in Hinterzarten<br />

<strong>Kristin</strong> war außer sich vor Freude, Nick in ihrem Haus zu haben, dass er sich in<br />

ihren Räumen bewegte, als wenn das ganze Interieur durch Nicks Anwesenheit<br />

ein neues strahlendes Flair erhielt. „Nick, Entschuldigung, ich bin ein bisschen<br />

überdreht. Nimm's gelassen, wenn ich mal ein wenig zu albern sein sollte, ich<br />

bin einfach absolut happy und auch wohl ein bisschen crazy.“ erklärte <strong>Kristin</strong><br />

während der <strong>mit</strong> ständigen Lachausbrüchen begleiteten gemeinsamen Essensvorbereitung.<br />

„Nick, allein schon die Vorstellung dass du gleich beim mir in<br />

meinem Bett liegen wirst bereitet mir jetzt schon Wonnegefühle. Das ist ja etwas<br />

ganz Besonderes. Eigentlich müssten wir es irgendwie ein wenig feiern.<br />

Sollen wir Wein <strong>mit</strong>nehmen, Kerzen anzünden, Geschichten erzählen? Würde<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 38 von 54


dir so etwas gefallen oder empfindest du das als Schmus?“ fragte <strong>Kristin</strong> und<br />

Nick antwortete: „<strong>Kristin</strong>, ich kann es losgelöst von dir gar nicht beurteilen,<br />

aber ich weiß, wenn es <strong>mit</strong> dir zusammenhängt, ist es für mein ästhetisches<br />

Empfinden immer wundervoll bis berauschend. Lass es uns so machen, und ich<br />

weiß, es wird wunderschön werden.“ So wurde es auch für beide und für Nick<br />

sollte <strong>Kristin</strong> als Gipfel des Wohlempfindens noch etwas singen. Sie musste die<br />

Moldau zweimal singen, und beim zweiten Mal kamen Nick bei 'Es wechseln die<br />

Zeiten, da hilft kein Gewalt.' die Tränen. Nick drückte <strong>Kristin</strong> an sich. „Meine<br />

Teuerste, du bist, weißt und kannst alles, was es in mir anzusprechen gibt. Du<br />

kennst alle meine Rezeptoren, die Glücksempfinden und Freude empfangen<br />

können. Du bist für mich das Kostbarste auf dieser Welt. Ein Edelstein? Nein<br />

viel mehr, du bist für mich die Sonne selber.“ äußerte Nick seine Verzückung.<br />

<strong>Kristin</strong> smilte und legte sich auf Nicks Bauch. Sie stubste ihm die Nase und<br />

meinte nach kurzer Zeit: „Und die strahlende Sonne, die ich in deinem Herzen<br />

bin, bringt den roten Edelstein von dir in meiner Seele zum funkeln.“ Sie lächelte<br />

<strong>mit</strong> breit gezogenen Lippen. Nach dem beschaulich, besinnlichen Beginn<br />

des Abends wechselten sich die Phasen ab, und nach einer fast durchwachten<br />

Nacht schliefen sie in den Morgenstunden eng umschlungen ein.<br />

Leilanis Besuch<br />

Um die Mittagszeit saßen sie in Bademänteln beim Frühstück, als Leilani reinkam.<br />

Ein erstauntes „Oh!“ entfuhr ihr, „dann fahr ich wohl am besten wieder.“<br />

„Nein, nein, nein. Bitte, Leilani bleib.“ reagierte <strong>Kristin</strong> und stellte die beiden<br />

einander vor. „Das ist also die Kleine <strong>mit</strong> dem festgewachsenen allerbesten<br />

Schatz?“ kommentierte Nick und erklärte den Zusammenhang auf Leilanis<br />

große fragende Augen hin. Leilani amüsierte sich köstlich und fragte Nick, ob<br />

er noch mehr Stories aus ihrer Kindheit kenne. Natürlich, und Nick musste zu<br />

Leilanis Erheiterung eine nach der anderen erzählen. „Mami der ist köstlich. Ich<br />

werde mich, glaube ich, auch in ihn verlieben. Warum seid ihr eigentlich nicht<br />

zusammen?“ meinte sie über Nick als sie bei <strong>Kristin</strong> im Küchenbereich stand.<br />

„Leilani, ich hab's dir schon mal erklärt und kann's dir auch nochmal erklären,<br />

aber bitte nicht jetzt“ reagierte <strong>Kristin</strong>. „Ich bekomme auf einmal Hunger.“<br />

erklärte sie, als Leilani wieder am Frühstückstisch saß, „Wissen sie Herr<br />

Professor,“ begann sie als <strong>Kristin</strong> sie unterbrach und ihr erklärte, dass er Nick<br />

hieße, „weißt du Nick,“ wiederholte sie leicht schelmisch grinsend, „ich hatte<br />

heute so ein wenig den Blues und wollte mich von Mami tröstend bemuttern<br />

lassen, aber das ist einfach alles weg, absolut futsch. Ich find dich klasse. Was<br />

muss ich tun, um dich meiner Mutter abspenstig zu machen?“ Sie schien<br />

genauso Spaß an Verrücktem zu haben wie <strong>Kristin</strong>. Die beiden lachten und Nick<br />

erklärte, das es bei ihm auch nicht möglich sei: „Genauso festgewachsen wie<br />

bei dir, leider. Aber wenn ich ja sowieso nicht dein allerbester Schatz werden<br />

kann, wollte ich das trotz all deiner Schönheit auch gar nicht.“ „Mom, der kann<br />

ja auch noch schleimen, macht er das bei dir auch?“ wollte Leilani <strong>mit</strong><br />

unernster Mimik von <strong>Kristin</strong> wissen. So scherzten sie und verbrachten den<br />

gesamten Samstagnach<strong>mit</strong>tag zusammen. Als sie ins Bett gingen<br />

verabschiedete sich Leilani bei <strong>Kristin</strong>s Umarmung <strong>mit</strong> „Momi, Momi, Momi,<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 39 von 54


den musst du bei dir behalten. Oh arme Moms.“<br />

Spaziergang<br />

Am Sonntag fuhr Leilani wieder und Nick und <strong>Kristin</strong> machten einen Spaziergang<br />

in der Umgebung von Hinterzarten. <strong>Kristin</strong> erklärte alles, erzählte, dass<br />

sie gern und öfter spazieren gehe, zu einer richtigen Naturliebhaberin geworden<br />

sei und in Freiburg bei den Grünen <strong>mit</strong>arbeite. Alles sei ganz nett und mache<br />

ihr auch Freude, aber als richtig ergreifend empfinde sie nichts davon. „Es<br />

gibt nichts, Nick. Wie ein Leben auf Sparflamme kommt mir alles vor.“ erläuterte<br />

<strong>Kristin</strong>, „Ich sehe auch keine Ansätze, wie und wo ich etwas ändern könnte.<br />

Nur wenn wir uns treffen, dann ist alles anders. Aber das hilft mir nicht am<br />

nächsten Tag, erschwert es höchstens noch. Trotzdem könnte ich dich natürlich<br />

niemals wegschicken, wenn du kommst. Ich will es ja, und kann gar nicht<br />

anders. Wenn wir uns treffen gibt es auch keine Gedanken an mögliche negative<br />

Konsequenzen. Meine Obsession ist unerbittlich gegenüber rationalen Beeinflussungsversuchen.<br />

Ich hatte früher auch Vorstellungen von Glück, <strong>Liebe</strong>,<br />

Freiheit und Freude, nur seitdem ich dich kenne, ist die Kardinalversion von allem<br />

<strong>mit</strong> dir verbunden. Wenn ich mich irgendwann freue ist das schön, nur es<br />

<strong>mit</strong> der Freude zu vergleichen, die ich bei dir empfinde, lächerlich. Bei all meinen<br />

positiven emotionalen Möglichkeiten stehst immer du an der Spitze. Außer<br />

im Zusammenhang <strong>mit</strong> den Kindern natürlich, aber das ist ja auch ein eigener<br />

paralleler Bereich. So wundervoll es für mich ist, <strong>mit</strong> dir zusammen zu sein, so<br />

ratlos macht es mich auch für meine sonstige Lebensperspektive. Aber ob du<br />

heute hier bist und übermorgen wieder oder erst in fünf Jahren, im Prinzip<br />

spielt es keine Rolle. Das ist eine <strong>mit</strong> dir verbundene Grundhaltung, die mich<br />

dominiert, gleichgültig ob du hier bist oder nicht.“ „<strong>Kristin</strong>, hast du dir mal vorzustellen<br />

versucht, wie unser Leben wohl verlaufen wäre, wenn wir uns frei<br />

und ohne Familie kennengelernt hätten?“ fragte Nick. „Ja ist doch ganz klar.<br />

Wir hätten uns geliebt, geheiratet, zusammen den Abwasch gemacht, erkannt,<br />

was der andere für ein Arschloch ist und uns wieder getrennt. Nick, wir beide<br />

haben gemeinsam nur schöne Situationen erlebt, der graue Alltag ist an uns<br />

vorbeigegangen.“ erwiderte <strong>Kristin</strong>. „Wie bitte?“ reagierte Nick entrüstet,<br />

„Haben wir etwa nie zusammen gearbeitet? Wir haben nur so gearbeitet, dass<br />

der Alltag nie grau wurde. Wenn wir beide zusammen waren, hatten stupide,<br />

Tristesse verbreitende Prozesse keinen Zutritt zu unserer Arbeit. Das war unser<br />

Alltag, den wir sehr wohl erlebt haben, nur er konnte bei uns nicht grau<br />

werden, weil wir Lust hatten in <strong>mit</strong> freudigen bunten Farben auszumalen.“ Eine<br />

Zeit lang gingen sie schweigend nebeneinander her. <strong>Kristin</strong> liefen viele<br />

Gedanken durch den Kopf. Schon damals hatte sie, als Nick anbot, sich für sie<br />

zu entscheiden, wenn sie <strong>mit</strong> ihm zusammenleben würde, gemeint, gar keine<br />

Kriterien fürs Alltagsleben zu haben. Im Grunde hatte sich das nie verändert.<br />

Nick, das waren immer die schönen Stunden, die wundervollen Erlebnisse,<br />

Assoziationen zur Alltagspraxis hatten sich ihr nie gezeigt. Dem was Nick<br />

gesagt hatte, konnte sie nicht widersprechen, nur sie hatte es noch nie so<br />

gesehen. „Nick, du verwirrst mich. Ich versuche mir das vorzustellen. Wenn wir<br />

beiden zusammen lebten, würde man nicht das mürrische Gesicht des anderen<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 40 von 54


sehen, wenn er den Müll rausbringen müsste, sondern wir redeten ein paar<br />

lustige Worte, und der andere nähme es gar nicht wahr, dass es sich bei dem,<br />

was er gerade praktiziere, grundsätzlich auch um eine unangenehme Tätigkeit<br />

handeln könne, so ähnlich?“ wollte <strong>Kristin</strong> wissen. „Genau so, so haben wir es<br />

doch immer in unser beider Interesse im Institut automatisch gemacht. Darin<br />

lag doch auch unsere Stärke, warum sollten wir uns beide da zu Hause beim<br />

Abwasch anders verhalten? Bedürfnisse und Sehnsüchte danach könnte ich in<br />

mir jedenfalls nicht verspüren.“ war Nicks Reaktion, und von <strong>Kristin</strong> bekam er<br />

einen Kuss. Aber worüber redeten sie? Damals in München hätte man sagen<br />

können, wir wollen unbedingt zusammen leben und trennen uns von unseren<br />

jeweiligen Partnern. Für Nicks Kinder wäre es, obwohl sie schon älter waren,<br />

sicher problematischer gewesen, ihren Daddy zu verlieren als für <strong>Kristin</strong>s<br />

Kinder, von denen keines eine besondere Beziehung zum Vater hatte. Aber<br />

jetzt, da alle Kinder aus dem Haus und <strong>Kristin</strong> geschieden war, gab es keine<br />

Möglichkeit mehr. Nick musste an der Uni bleiben und <strong>Kristin</strong> verdiente ihren<br />

Lebensunterhalt in ihrer Praxis im vierhundert Kilometer entfernten Freiburg.<br />

Im Grunde waren es ja auch nur Spekulationen auf der Ebene von: 'Was wohl<br />

gewesen wäre wenn'.<br />

<strong>Kristin</strong>s 'Leben ohne Nick'<br />

Beim Abendbrot fragte Nick, warum sie sich denn trotz Versprechens nicht gemeldet<br />

habe. „Na ja, versteh doch Nick, ich muss mein Leben hier geregelt bekommen,<br />

ein erträgliches Leben ohne Nick. Wenn ich hier allein bin, dich nicht<br />

sehe, fällt es mir nicht so schwer, auf einen Kontakt zu verzichten. Es wäre<br />

zwar nett, muss aber nicht unbedingt sein. Es wäre schön für den Moment, hat<br />

aber überhaupt keine Perspektive.“ erläuterte <strong>Kristin</strong>. „Und dein 'Leben ohne<br />

Nick', wo sind da die Perspektiven, wie soll das aussehen? Woher sollen da die<br />

Impulse, Anregungen und Inspirationen kommen? Beim Weintrinken <strong>mit</strong> Dr.<br />

Tröger etwa? <strong>Kristin</strong>, ich halte deine Vorstellung von einem Leben ohne Nick für<br />

eine Chimäre, eine Floskel, die du dir gesetzt hast, bei der das einzige, was du<br />

dazu sagen kannst, ist, dass Nick nicht darin vorkommen darf. Du tust ja auch<br />

nichts dafür, weil du auch gar nicht weißt, was du denn dafür machen solltest,<br />

außer keinen Kontakt zu Nick aufnehmen. Du lebst von einem Tag in den<br />

nächsten und wartest, dass sich irgendetwas ereignet. Nichts wird sich<br />

ereignen, weil es ein Leben ohne Nick nicht gib. Es gibt dein Leben, das du<br />

suchen und gestalten kannst, <strong>mit</strong> oder ohne Nick, das ist unerheblich. Wenn du<br />

meinst, du seist so etwas ähnliches wie fixiert auf mich, dann gilt das<br />

zumindest in ebenso starkem Maße auf die von dir kreierte Fiktion eines<br />

Lebens ohne Nick.“ legte Nick seine Auffassung dar. <strong>Kristin</strong> hatte aufgehört zu<br />

essen, starrte in den Raum und dachte darüber nach, was Nick gesagt hatte.<br />

„Ja aber was soll denn werden, wie soll es denn aussehen, ich muss doch hier<br />

leben. Ich bin damals von München weggegangen, weil die Situation anfing<br />

irre, für mich unerträglich zu werden, und jetzt hier stehe ich unzufrieden und<br />

ratlos.“ legte <strong>Kristin</strong> ihren Eindruck dar. „Vielleicht rührt deine Vorstellung ja<br />

aus den letzten Erfahrungen in München her. Weil Nick dich verrückt machte,<br />

musste die dominierende Prämisse jetzt 'ohne Nick' lauten. Aber nicht Nick hat<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 41 von 54


dich verrückt gemacht, sondern die Bedingungen waren irre und irre machend.<br />

Zwei Menschen, die meinen, dass niemand auf der Welt so gut zusammen<br />

passe wie sie, die Lust aneinander haben und Lust sich gegenseitig zu<br />

erfreuen, sehen sich ständig, aber lassen sich die Restriktion auferlegen, nicht<br />

zu dürfen. Das ist pervers. Ich halte mich heute für dumm. Die Alternative<br />

hätte ich mir nicht aufzwingen lassen dürfen, weil es keine Alternative war.<br />

Wenn meine Frau das aus bürgerlichem Moralvorstellunsdenken oder wegen<br />

sozialer Besitzansprüche nicht ertragen konnte, dann hätte sie versuchen<br />

können <strong>mit</strong> ihrem Problem fertig zu werden, aber ich hätte mir dadurch nicht<br />

unsere Beziehung verbieten lassen dürfen, weil man so etwas gar nicht kann.<br />

Bei dem Versuch wird man nur Schäden aller Art anrichten. Wenn ich sehe,<br />

was es dich gekostet hat, kommen mir die Tränen. Wer will so etwas je wieder<br />

gut machen. Die Schäden sind schwerwiegend und dauerhaft. Wenn ich die<br />

Frau Dr Rosenbach aus dem Institut heute hier sagen hören muss, sie sei<br />

unzufrieden und ratlos, kocht mir das Blut. Ich werde es für mich jedenfalls<br />

nicht zulassen, diesen absolut irren Blödsinn weiter <strong>mit</strong>zuspielen.“ formulierte<br />

Nick fast zornig. <strong>Kristin</strong> schaute ihn an und verzog den Mund zu einem Lächeln.<br />

„Nick, das ist alles sehr viel und ungewohnt. Meinst du, dass wir durch einen<br />

Kuss alles verwischen würden oder es besser verdauen könnten?“ Nicks<br />

Strahlen signalisierte, das er eher der zweiten Ansicht zuneigte, folglich<br />

wurden zunächst ausgiebig Küsse ausgetauscht.<br />

Nick spielt nicht mehr <strong>mit</strong><br />

„Nick, was du gesagt hast, beschäftigt mich sehr, obwohl es sich ja vornehmlich<br />

auf Vergangenes bezieht. Andererseits kommt mir auch die Vorstellung,<br />

das ich seit München ein verqueres Bild meiner eigenen Persönlichkeit <strong>mit</strong> mir<br />

rumschleppe. Ich meine, dass ich sehr stark umdenken muss, um ein erfüllteres<br />

Leben finden zu können. Wenn ich auch noch nicht die genauen Wege sehen<br />

kann, was du gesagt hast, wird mir aber helfen, die richtige Orientierung<br />

zu finden. Nur was du da<strong>mit</strong> meinst, dass du diesen absoluten Blödsinn nicht<br />

weiter <strong>mit</strong>spielen willst, musst du mir noch mal näher erläutern.“ sagte <strong>Kristin</strong>.<br />

„Na ja, wir beide sind der Ansicht, dass wir beiden für uns selbst überraschend,<br />

außergewöhnlich gut <strong>mit</strong>einander harmonieren, hervorragend zu einander<br />

passen. Das ist einfach so, ist Fakt und lässt sich nicht verändern, nicht<br />

dadurch dass meine Frau es verbieten will, dass man einen neuen Freund sucht<br />

oder ein Leben ohne Nick führen will. Wenn wir meinen es ignorieren zu<br />

können, betrügen wir uns selbst. Du bist nicht Nick und ich nicht <strong>Kristin</strong> fixiert.<br />

Wenn wir tagsüber zusammen arbeiten und abends gemeinsam ins Bett gehen<br />

können, wirst du nichts Außergewöhnliches an dir bemerken. Nur wenn nicht<br />

sein darf, was sein müsste, gibt es Probleme.“ erläuterte Nick. „Bedeutet es,<br />

dass du jetzt bei mir in die Praxis einsteigen willst, oder verschaffst du mir <strong>mit</strong><br />

52 wieder einen Job an der Uni?“ fragte <strong>Kristin</strong> leicht provozierend und lächelte<br />

den grinsenden Nick an. „<strong>Kristin</strong>, weder noch, weil beides nicht geht, aber ich<br />

will nicht darauf verzichten, dass wir uns öfter sehen können.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 42 von 54


Leben <strong>mit</strong> Nick in Hinterzarten<br />

Vielleicht kannst du ja jetzt mal umdenken und sagen, wie denn ein Leben <strong>mit</strong><br />

Nick für dich in Hinterzarten aussehen müsste.“ reagierte Nick. „Oh Nick, ich<br />

habe Angst. Hinterher glaube ich noch, was wir jetzt hier rum spinnen.“ äußerte<br />

<strong>Kristin</strong> ihre Bedenken, „Bei einem Leben <strong>mit</strong> Nick in Hinterzarten, müsste er<br />

abends da sein oder bald kommen, wenn ich nach Hause käme. Oder zumindest<br />

an den Wochenenden müsste er bei mir sein. Das ginge auch schon, würde<br />

zur Not auch schon reichen, so wie jetzt.“ schaute sie Nick schelmisch fragend<br />

seine Reaktion erwartend an. Nick überlegte, er hatte eher so an alle<br />

paar Wochen mal gedacht. Aber <strong>mit</strong> Larissa klären müsste er es ja sowieso. Er<br />

konnte ja nicht alle paar Wochen in Heidelberg neue Projekte planen. Wenn sie<br />

es nicht ertragen könne und sich von ihm trennen wolle, würde er es akzeptieren<br />

müssen, aber seine Beziehung zu <strong>Kristin</strong> stand jetzt nicht mehr zur Disposition.<br />

Warum sollte er nicht Larissa die Möglichkeit offerieren, die Woche <strong>mit</strong><br />

ihr und die Wochenenden <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> zu verbringen. „Also an den Abenden das<br />

scheidet ja aus, es sei denn, man könnte die Ludwig- Maximillians-Universität<br />

motivieren, ihr Hämatologisches Institut nach Hinterzarten zu verlegen, aber<br />

an den Wochenenden? Ich glaube schon, dass sich das arrangieren ließe.“<br />

meinte Nick. Ungläubig zweifelnd schaut <strong>Kristin</strong> Nick an. „Und von deiner Frau<br />

läst'e dich scheiden? Nick, fantasierst du, willst du mich veräppeln oder meinst<br />

du das etwa wirklich ernst?“ fragte <strong>Kristin</strong>. „Was kann ich tun, da<strong>mit</strong> du sicher<br />

bist, dass ich es ernst meine?“ wollte Nick wissen, „Ich muss mich ja nicht<br />

scheiden lassen. Wenn Larissa es akzeptieren kann, dass ich an den Wochenenden<br />

zu dir fahre, ist ja alles o. k., nur da<strong>mit</strong>, dass sie sich von mir trennen<br />

will, kann sie mich nicht mehr unter Druck setzen. Nichts kann mich mehr unter<br />

Druck setzen. Unsere Beziehung ist nicht unter Druck zu setzen. Wir werden<br />

sie leben.“ <strong>Kristin</strong> hörte was Nick sagte, einfach so glücklich sein und Freudensprünge<br />

machen, konnte sie aber noch nicht. Sie wollte Nick ja glauben,<br />

misstraute ihm auch nicht, nur wenn sich das realisieren sollte, wäre es für sie<br />

unfassbar. Mit Nick zusammen leben, zumindest an den Wochenenden, alle<br />

möglichen Vorstellungen von potentiellen Situationen liefen ihr durch den Kopf.<br />

Sie strahlte Nick verlegen an, als ob sie gar nicht wüsste, was sie sagen und<br />

wie sie sich äußern sollte. „Ich glaube dir Nick. Trotzdem habe ich ein Gefühl,<br />

als ob ich es nicht glauben könnte, bis ich es wirklich erlebe. Ich habe ja noch<br />

nie wirklich daran gedacht, <strong>mit</strong> dir zusammen zu leben. Es überwältigt mich<br />

alles. Es wühlt mich auf und strengt mich an. Ich werde bestimmt die ganze<br />

Nacht darüber nachdenken.“ sagte <strong>Kristin</strong> die <strong>mit</strong>tlerweile einen rotgefärbten<br />

Kopf bekommen hatte. „Puh, Nick, willst du das wirklich machen, jeden Freitag<br />

zu mir kommen und am Sonntag oder Montagmorgen wieder zurück fahren?<br />

Wenn du Arbeit hast, kannst du ja ruhig <strong>mit</strong>bringen. Ich störe dich nicht.<br />

Vielleicht kann ich dir ja sogar helfen, wie früher.“ meinte <strong>Kristin</strong> beim<br />

gemeinsamen Abräumen, „Ich rede alles durcheinander, genauso wie es in<br />

meinem Kopf im Moment ausschaut.“<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 43 von 54


Abend und Nacht<br />

Auf der Couch legte sie neben Nick ihre Unterschenkel hoch und ihren Kopf auf<br />

seine Schulter. „Nick erzähl einfach etwas, ich höre dir zu, träume dabei und<br />

frage manchmal etwas. Oder sollen wir Musik anmachen? Was hörst du gern?“<br />

erkundigte sie sich. Nick wollte erzählen. <strong>Kristin</strong> träumte weiter von allen möglichen<br />

Wochenendsituationen <strong>mit</strong> Nick. Aber das Leben hier wäre ja bestimmt<br />

langweilig für Nick, für sie selbst war es das ja auch. Mit Nick würde es schon<br />

lebhaft werden. Automatisch? Bestimmt! Sie würden schon gegenseitig ihre<br />

Lebensgeister wecken. Da war <strong>Kristin</strong> sicher. Das hatten sie schon immer gemacht.<br />

Sie brauchten dazu keine äußerlichen Animationen.<br />

„Ruby, du musst nicht böse sein, wenn ich ein wenig verträumt bin.“ erklärte<br />

<strong>Kristin</strong> Nick im Bett, „Was wir heute nach<strong>mit</strong>tag und beim Abendbrot geredet<br />

haben, ist für mich ganz bedeutend. Es beschäftigt mich, und ich hab es noch<br />

nicht völlig verdaut.“ Diese Nacht bestand hauptsächlich aus zärtlichem Streicheln<br />

und liebreichem Schmusen und eng aneinander gekuschelt fielen ihnen<br />

schon bald die Augen zu.<br />

Sonntag<br />

Am Sonntag hatten sie noch weitere Einzelheiten besprochen, und <strong>Kristin</strong> sprudelte<br />

eine endlose Zahl an Vorschlägen für die Zeit, wenn Nick hier sei. Jetzt<br />

schien sie wirklich überzeugt und fest da<strong>mit</strong> zu rechnen. Bei allem ließ sie eine<br />

freudige, leichte Aufgeregtheit durchscheinen und als Nick meinte, sie könnten<br />

ja vielleicht auch mal zusammen in Urlaub fahren, schaute sie ihn an. „Nick,<br />

lass es gut sein. Wenn es so funktioniert, wie du gesagt hast, erfüllt sich für<br />

mich ein Traum, den ich gar nicht träumen konnte, weil er zu fantastisch gewesen<br />

wäre. Mehr will ich gar nicht. Noch keine maßlosen Zusatzwünsche,<br />

Schatz. Lass uns dafür sorgen, das es wirklich hinhaut. Da<strong>mit</strong> würde für mich<br />

ein neues Leben beginnen, das mich, glaube ich, für alles Vergangene entschädigen<br />

könnte.“ reagierte <strong>Kristin</strong>.<br />

Als <strong>Kristin</strong> Nick am Montagmorgen um fünf Uhr beim Aufbruch half meinte sie:<br />

„Immer hat sich für uns die Welt verändert, wenn wir einige Tage zusammen<br />

waren, ob das wohl in Zukunft, wenn du jedes Wochenende hier bist, auch<br />

noch so sein wird. Ich bin gespannt.“ Und beim Abschied erinnerte sie Nick<br />

nochmal eindringlich: „Du musst mich aber jetzt immer anrufen, wenn du<br />

kannst. Machst du das auch?“ Mit sehnsuchtsvollen Küssen verabschiedet<br />

machte sich Nick in den frühen Morgenstunden auf den Weg nach München.<br />

Sag's Larissa<br />

Den ganzen Tag über dachte Nick an Larissa. Er wollte ihr ja nicht weh tun. Es<br />

schmerzte ihn ja selber. Als er ihr am Abend sagte, dass er etwas sehr Ernstes<br />

<strong>mit</strong> ihr zu besprechen habe, begann er <strong>mit</strong> <strong>Liebe</strong>serklärungen und Darstellun-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 44 von 54


gen, was und wie viel sie ihm bedeute. Er habe seine eigene Verlogenheit satt<br />

und könne es nicht mehr ertragen, und er erzählte die wirkliche Geschichte von<br />

der Kollegin Rosenbach. Versicherte immer wieder, dass sich von allem nichts<br />

gegen sie richte, und seine Zuneigung für sie mindere. Es sei eben eine andere<br />

Welt, die ihn fasziniere, und das zu ignorieren oder zu leugnen zu versuchen,<br />

richte nur große Schäden an. Er berichtete auch über die Konsequenzen, die es<br />

für <strong>Kristin</strong>s Leben gehabt habe und heute noch habe. Larissa zeigte sich gar<br />

nickt erbost, entsetzt oder beleidigt. „Nick, ich glaube, ich verstehe, was du<br />

gesagt hast. Nachempfinden kann ich es natürlich nicht, weil ich es nicht selbst<br />

erlebt habe. Ich halte, das was du zu deinen Empfindungen gesagt hast aber<br />

nicht für überdreht oder für Spinnerei. Wenn das so ist, gibt es keinen Ausweg<br />

oder Umweg, dann muss man es zulassen. Versuche ich meinen Patienten ja<br />

selber klar zu machen. Nur was es <strong>mit</strong> mir macht, zu wissen, dass mein Nicki<br />

jetzt <strong>mit</strong> einer anderen Frau glücklich ist, während ich allein zu Hause sitze,<br />

das weiß ich nicht.“ kommentierte Larissa ruhig sachlich. Nick versuchte ihr die<br />

Möglichkeiten zu verdeutlichen, dass sie, wenn sie sich von ihm trenne,<br />

genauso allein sei, und das Bild von dem was Nick mache sich ja dadurch nicht<br />

ändere. Er meinte dass sie sich beide einen Gefallen da<strong>mit</strong> tun würden, wenn<br />

Larissa es schaffe, da<strong>mit</strong> klar zu kommen, und sie Montags bis Donnerstags<br />

zusammen sein könnten. Larissa weinte und erklärte unter Tränen, sie wolle es<br />

versuchen. Nick müsse ihr aber helfen und besonders liebevoll zu ihr sein. Das<br />

tat er ja gerne. Und als sie sich umarmten, begann Nick auch zu weinen.<br />

Warum wusste er gar nicht. Eigentlich hätte er ja jubilieren müssen, weil er<br />

sich <strong>mit</strong> seinen Vorstellungen hatte durchsetzen können, aber seine Zuneigung<br />

zu Larissa war nicht oberflächlich. Sie waren sich durch ihr fast gesamtes<br />

Leben vertraut und liebten sich immer noch, sie verstanden sich und gingen<br />

aufeinander ein. Ihr Interesse aneinander war nicht erloschen, und der<br />

Gedanke an ihre Beziehung löste bei beiden positive Emotionen aus. <strong>Keine</strong>r<br />

hatte Interesse daran, diese Beziehung aufzulösen. Vielleicht weinte Nick, weil<br />

es ihn selber schmerzte, Larissa traurig zu wissen. Einen Vergleich zwischen<br />

Larissa und <strong>Kristin</strong> anzustellen, wäre Nick töricht erschienen. Es waren unterschiedliche<br />

emotionale Bereiche und Ebenen, die sie in ihm ansprachen, nur<br />

<strong>Kristin</strong> war das Dominerendere, auf dass er nicht verzichten konnte, während<br />

ihm ein Verzicht auf die Gefühle, die ihn <strong>mit</strong> Larissa verbanden, eher möglich<br />

erschienen wäre.<br />

Hochzeitsplanung<br />

Als Nick es <strong>Kristin</strong> am nächsten Morgen direkt in der Praxis <strong>mit</strong>teilte, war er<br />

natürlich happy und <strong>Kristin</strong> wollte wissen, wo<strong>mit</strong> er sich das verdient habe.<br />

Wahrscheinlich habe er seiner Frau große Versprechungen gemacht, blödelte<br />

sie, freute sich aber in Wirklichkeit auch für Nick. Am Abend hatten Larissa und<br />

Nick viel zu besprechen. Wie sie es den Kindern ver<strong>mit</strong>telten und Larissa zeigte<br />

auffallend großes Interesse an <strong>Kristin</strong>, wollte alles wissen von ihr, sich erklären<br />

können, worin das lag, was Nick faszinierte. Nick musste aufpassen, dass er<br />

nicht allzu sehr anfing, von <strong>Kristin</strong> zu schwärmen und tat sich manchmal<br />

schwer dabei kühl und sachlich zu bleiben. Obwohl sie abgesprochen hatten,<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 45 von 54


wer wen von den Kindern informieren sollte, bat Nick auch André, den Larissa<br />

informiert hatte, die Mami an den Wochenenden regelmäßig zu besuchen.<br />

„Sag mal, Ruby, wenn du wirklich am Freitag kommst, ist das nicht so ein bisschen<br />

wie Hochzeit, <strong>mit</strong> der unser gemeinsames Leben beginnt? Müssten wir<br />

das nicht ein wenig feiern? Wir könnten das unter uns beiden machen, ganz intim<br />

vertraulich, oder wir könnten auch die Babys als Hochzeitsgäste einladen.<br />

Kommen würden alle drei. Leilani kennst du ja schon, die würde dich ja auch<br />

am liebsten heiraten?“ fragte <strong>Kristin</strong> Nick am Telefon. Nick lachte und meinte<br />

er würde auch die anderen beiden Babys gern kennenlernen.<br />

Hochzeitsfeier<br />

Sie waren ein wenig jünger als seine Kinder. Ayana, die Älteste, war <strong>mit</strong>tlerweile<br />

23, und Grischa, der Junge, 21 Jahre. Alle waren schon anwesend, als<br />

Nick kam. Leilani umarmte ihn wie einen altbekannten Freund, und wenn vielleicht<br />

eine hauchdünne Schicht von Eis zwischen ihm und den anderen beiden<br />

Kindern existiert haben sollte, so war sie zumindest in aller kürzester Zeit geschmolzen.<br />

„Leilani hat erzählt, dass du so viele lustige Geschichten aus ihrer<br />

Kindheit kanntest. Kennst du von mir auch welche?“ erkundige sich Ayana.<br />

„Wenige, du warst ja auch schon neun, als ich <strong>Kristin</strong> kennen lernte.“ antwortete<br />

Nick, „Bei Leilani war das öfter lustig und kurios, weil sie ja noch so klein<br />

war. Bei dir und Grischa hatte es meistens andere Aspekte. Aber <strong>Kristin</strong> hat das<br />

ja nicht erzählt, weil sie Familienintima ausplaudern wollte, sie war unendlich<br />

begeistert von euch, und ihr Herz war so voll davon, dass sie es unbedingt<br />

einem vertrauensvollen Menschen <strong>mit</strong>teilen musste. Von dir hat sie erzählt,<br />

dass es für dich das höchste der Gefühle war, <strong>mit</strong> Mami allein im großen Bett<br />

zu schlafen und dass du zum Wein, deine leckeren Karamellbonbons beisteuern<br />

wolltest“ Alle lachten und Ayana bestätigte lachend: „Ja, das stimmt, das weiß<br />

ich genau, das war wunderschön.“ „Ja und dass du <strong>mit</strong>ten bei einem ganz anderen<br />

Thema auf einmal unver<strong>mit</strong>telt gefragt hättest 'Wann fangen eigentlich<br />

meine Brüste an zu wachsen?“ ergänzte Nick. Alle lachten wieder, und Leilani<br />

steuerte bei: „Ja, ja, die war schon immer so'nen rattiges Luder.“ Es steigerte<br />

sich, und man konnte vor Lachen oft kaum noch sprechen. Die drei waren eindeutig<br />

<strong>Kristin</strong>s Babys. Später wollten sie Nicks und <strong>Kristin</strong>s Story hören. <strong>Kristin</strong><br />

hatte zwar mal in Ansätzen einiges angedeutet aber viel Genaues wussten sie<br />

nicht. Wie Nick und <strong>Kristin</strong> es darstellten, gab es auch dabei häufig etwas zu<br />

lachen, aber Grischa meinte: „Wir haben zwar oft gelacht, aber 'ne lustige Geschichte<br />

ist das eigentlich überhaupt nicht. Ich möchte so etwas nicht erleben,<br />

wie Mom und Nick. Auch wenn ich es wunderbar fände so ne tolle Frau zu bekommen<br />

wie Nick. Na, ich hab sie ja auch schon, nur wir kommen auch schon<br />

mal drei Wochen ohne einander aus, nicht wahr Mom?“ wobei er <strong>Kristin</strong> in den<br />

Arm nahm und drückte.<br />

Beim gloriosen Hochzeitsmal am Abend, zu dessen Zubereitung alle beigetragen<br />

hatten, berichteten die Kinder von ihren Aktivitäten innerhalb und außerhalb<br />

der Unis. Und tatsächlich, sie konnten es alle drei wie <strong>Kristin</strong>, sie erzählten<br />

lebhaft spannend und es gab immer etwas zu lachen. Plötzlich fiel Ayana<br />

ein: „Ihr habt ja noch gar nicht den Hochzeitstanz gemacht.“ „Wir essen doch<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 46 von 54


noch.“ wandte <strong>Kristin</strong> ein. „Mom, das werden wir doch den ganzen Abend tun.<br />

Bis wir das hier alles aufgegessen haben, wird es morgen früh sein. Los, jetzt<br />

macht schon.“ befahl Grischa. <strong>Kristin</strong> wünschte sich, zu 'Für immer und dich'<br />

von Rio Reiser zu tanzen. Eng umschlungen schoben sich die beiden über den<br />

Teppich, und <strong>Kristin</strong>, die das Lied selber auch singen konnte, flüsterte Nick<br />

manchmal einige Textpassagen ins Ohr. Ayana hielt es nicht mehr. Sie<br />

schnappte sich Grischa und tanzte <strong>mit</strong> ihm. „Ich bin immer so schmuselig.<br />

Wenn ich so etwas höre, brauche ich unbedingt jemanden, bei dem ich mich<br />

ankuscheln kann.“ erklärte sie. Mit dem Hochzeitstanz war es aber nicht zu<br />

Ende. Nick und Grischa saßen fast kaum noch am Tisch, weil immer eine von<br />

den drei Damen <strong>mit</strong> ihnen tanzen wollten. Als sich Ayana bei Nana Mouskouris<br />

'Toi qui t en vas' an Nick gelehnt langsam bewegte, musste sie es gleich wiederholen,<br />

und meinte anschließend <strong>mit</strong> errötetem Kopf: „Nick, du bist ein ganz<br />

böser. Du hast Mami bestimmt verführt.“ „Ja, stimmt, hat er.“ bestätigte <strong>Kristin</strong>,<br />

und die Darstellung der Szenerie <strong>mit</strong> dem wiederholten Abschiedskuss löste<br />

allgemeines Schmunzeln aus. Leilani fiel auf, das Nick überhaupt nicht bei<br />

ihnen um die Hand ihrer Mutter angehalten hatte. Es gab ein <strong>mit</strong> Lachen begleitetes<br />

ausgelassenes Stegreifspiel. Nur Ayana schien ein wenig ernster geworden<br />

zu sein. Sie antwortete gar nicht. Gab Nick einen Kuss und streichelte<br />

ihm über die Wange. Als Nick <strong>Kristin</strong> im Bad danach fragte, meinte die, Ayana<br />

habe sich bestimmt beim Tanzen erregt und träume jetzt. Es könne gut sein,<br />

dass sie gleich mal kurz verschwinden würde. Ayana verschwand nicht und<br />

wurde auch wieder lustiger und lebhafter. Die Stunden vergingen <strong>mit</strong> Essen,<br />

Tanzen und Lachen. Der Wein hatte dafür gesorgt, dass um halb drei alle einhellig<br />

die Ansicht vertraten, jetzt sei es an der Zeit, dem Hochzeitsgelage ein<br />

Ende zu bereiten, und dem jungen Brautpaar den Rest der Hochzeitsnacht zu<br />

überlassen. Nick ging schmunzelnd ins Bett. Es war die herrlichste Party, die er<br />

je erlebt hatte, <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> mal vier. Er drückte sie ganz fest an sich, und <strong>Kristin</strong><br />

verstand, wie glücklich er war. Sie redeten kaum <strong>mit</strong>einander, schauten sich oft<br />

freundlich an, küssten und streichelten sich. Sie verstärkten ihre Bewegungen<br />

an- und umeinander, intensivierten das Spiel ihrer Hände und Finger und<br />

liebten sich.<br />

<strong>Kristin</strong>s Family<br />

Die Kinder blieben bis Sonntag. Ayana und Grischa waren aus Berlin und Düsseldorf<br />

gekommen, da fuhr man ja nicht sofort zurück. Es war nicht nur eine<br />

tolle Hochzeitsparty sondern ein wundervolles Wochenende. Mit den Vieren am<br />

Tisch zu sitzen, <strong>mit</strong> ihnen spazieren zu gehen, zu reden oder das Essen zuzubereiten,<br />

war immer ein Schauspiel, immer ein Erlebnis. Zu einer solchen Familie<br />

abends nach Hause zu kommen, musste ein Wunschtraum sein. Beim Abschied<br />

flüsterte Ayana Nick ins Ohr: „Nick, ich mag dich. Du gefällst mir gut.“<br />

Gab ihm einen Kuss und streichelte ihm über die Wange. Nick wusste nicht,<br />

wie er das interpretieren sollte. Sie hatte sich ihn ja auch zum Tanzen<br />

ausgesucht und wusste, um welche Musik es sich handelte. Ob er mal <strong>mit</strong><br />

<strong>Kristin</strong> darüber reden sollte? Nick vergaß es, weil sie bis Montag in der Früh<br />

voll <strong>mit</strong> sich und ihrem neuen Glück beschäftigt waren.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 47 von 54


Nick rastlos<br />

Ein zauberhaftes, aber nicht gerade erholsames Wochenende. Bei den Abenden<br />

<strong>mit</strong> Larissa stand auch nicht gerade Erholung und Ausruhen an erster Stelle.<br />

Nick war es schon wichtig, dass bei Larissa nicht der Anflug eines Gedankens<br />

von Vernachlässigung oder Desinteresse aufkommen konnte. Auch die Wochenenden<br />

in Hinterzarten waren immer himmlisch, aber erholsam wurden sie<br />

nie. Mit seinen vierundfünfzig Jahren wurde Nick durch seine beiden Frauen<br />

ziemlich gefordert. Larissa machte ihm nie irgendwelche Vorwürfe, sondern bemühte<br />

sich eher um Nicks Zuneigung und Anerkennung. „Am Anfang war es<br />

sehr schwer, Nick, aber ich glaube, ich komme schon viel besser da<strong>mit</strong> klar.<br />

Weh tut es eigentlich nicht mehr.“ erklärte Larissa als ob sie ein wenig stolz<br />

Nicks Anerkennung dafür erwarte. Nicks und Larissas Beziehung hatte sich<br />

durch die Wochenenden bei <strong>Kristin</strong> gewiss nicht verschlechtert, sie hatte eher<br />

an gegenseitiger Aufmerksamkeit und Zuneigung gewonnen.<br />

<strong>Kristin</strong>s neues Leben<br />

Für <strong>Kristin</strong> hatte tatsächlich ein neues Leben begonnen, und zwar nicht nur an<br />

den Wochenenden, wenn Nick anwesend war. Die Wochenenden hatten alte<br />

Knospen aus ihrem langen Schlaf erweckt. Jetzt wollten sie sie ihre Blüten entfalten,<br />

und hatten Lust ihren Glanz zu verbreiten. <strong>Kristin</strong> war wie von Geisterhand<br />

plötzlich <strong>mit</strong> Lust aktiv geworden. Sie hielt überall in Freiburg und im<br />

weiten Umkreis Vorträge zu hämatologischen Themen, war als onkologische<br />

Expertin in Podiumsdiskussionen eingeladen und konnte bei Diskussionen am<br />

Freitagabend auch manchmal ihren Partner, die Münchener Koryphäe Professor<br />

Dautzenberg präsentieren. Durch diese Aktivitäten und die vielfältigen Fachgespräche<br />

<strong>mit</strong> Nick kam sie sich fast vor wie in ihrem ehemaligen Aktionsfeld am<br />

Institut. Sie war intensiv beschäftigt und fühlte sich absolut wohl <strong>mit</strong> ihren Aufgaben.<br />

Nicht nur bei beruflichen Themen hatte sie zu ihrer alten Dynamik zurückgefunden,<br />

ihre allgemeine Lebhaftigkeit und ihr zu Freude verleitendes<br />

Wesen waren zurückgekehrt. Von heute auf morgen schien sie beliebter und<br />

anerkannter geworden zu sein. Die Grünen in Freiburg hatten sie als Mitglied<br />

für den Kulturausschuss vorgeschlagen. Ein kleines Himmelreich für <strong>Kristin</strong> und<br />

auch ein Feld, über das sie interessiert <strong>mit</strong> Nick diskutieren konnte. Wenn die<br />

Premieren an Wochenenden stattfanden, und so war es meistens, nahm sie<br />

Nick, ihren Freund und Professor aus München natürlich <strong>mit</strong>. Bei den kleinen<br />

anschließenden Empfängen unterhielt man sich, und es dauerte nicht lange, bis<br />

<strong>Kristin</strong> nicht nur eine angesehene Persönlichkeit bei den Grünen war, sondern<br />

eine geschätzte Frau im Kreis der gesamten Honoratioren der Stadt. Zu allen<br />

möglichen Empfängen wurde sie eingeladen, war beliebt und gern gesehen.<br />

Eine gebildete Frau, die verständnisvoll und offenherzig war und da, wo sie in<br />

Kontakt trat, Freude verbreiteten und Lachen konnte. <strong>Kristin</strong> war nicht die alte<br />

von vor zehn Jahren geworden, aber sie hatte in einem neuen Aktionsradius zu<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 48 von 54


einem Leben zurückgefunden, das dem Kern ihrer Persönlichkeit entsprach,<br />

das sie erfüllte, zufrieden sein ließ und sie glücklich machen konnte. Mit Nick<br />

hatte sie wieder zu ihrem eigenen Leben gefunden. Sie kannte viele Leute und<br />

wurde häufig zu Partys und Fèten eingeladen, über ihre Suche nach Kontakten<br />

<strong>mit</strong> Dr. Tröger musste sie heute schmunzeln, aber es erinnerte sie auch daran,<br />

welch armselige, bittere Phase sie durchgemacht hatte.<br />

Wenn Nick am Freitagnach<strong>mit</strong>tag ankam, wurde er jedes mal <strong>mit</strong> Überschwang<br />

und und tiefster Innigkeit begrüßt. Nicht als ob sie sich drei Tage, sondern eher<br />

drei Jahre nicht gesehen hätten. Nick hatte <strong>Kristin</strong> von Montag bis Donnerstag<br />

nicht sonderlich gefehlt, aber sein Erscheinen, die Möglichkeit ihre Arme um<br />

ihn zu schlingen, löste bei ihr jede Woche erneut eine kleine Explosion ihrer<br />

glücklichen Empfindungen und warmherzigen emotionalen Walllungen aus. Mit<br />

Nick ging immer die Sonne für sie auf und begann ihre leuchtenden, warmen<br />

Strahlen in ihrem Hause zu verbreiten. <strong>Keine</strong>sfalls war es vorher trübe<br />

gewesen, aber Nick brachte den Glanz. Mit ihm und an ihm konnte <strong>Kristin</strong> ihr<br />

Leben voll zur Entfaltung bringen, und sie wusste, dass es nichts gab, was Nick<br />

mehr hätte beglücken können. Zu einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit<br />

konnte Nicks wöchentliches Erscheinen nicht verkommen. Für <strong>Kristin</strong> war es jedes<br />

mal ein neues Erlebnis, das keine alltägliche Routine werden konnte, sondern<br />

immer wieder erneut ein besonderes Glücksversprechen, das heute und<br />

jetzt gelebt werden wollte. Sie lebte es immer, als ob es das letzte Mal sein<br />

könnte, doch solche Gedanken hatte sie nie. Sie wollte nur immer die glücklichen<br />

Momente intensiv genießen und <strong>mit</strong> soviel Leben füllen, wie sie geben<br />

konnte. Gleichgültig ob sie wiederkamen oder sich am letzten Wochenende<br />

auch schon ereignet hatten. Zwar hatte sich vieles eingerichtet und etabliert,<br />

aber Nick hatte Recht gehabt, zur grauen Alltagsroutine verkam bei ihnen<br />

nichts. <strong>Kristin</strong> wusste gar nicht, wo sie nach Ansätzen dafür hätte suchen sollen.<br />

Die Farbe Grau kam in ihrem Spektrum nicht vor.<br />

„Nick, wenn wir jetzt nochmal nach New York fliegen würden, ob wir wohl das<br />

Gleiche oder Ähnliches machten wie damals? Ich glaube eher nicht.“ sinnierte<br />

<strong>Kristin</strong> am Nach<strong>mit</strong>tag auf der Couch. „Wir würden im Central Park nicht mehr<br />

Fangen-spielen. Wir würden eher amüsiert den Schwänen zuschauen und sie<br />

um ihre langen Hälse beneiden, die sie verliebt umeinander legen können. Wir<br />

merkten das wir uns ja <strong>mit</strong> unseren Seelen auch längst umschlingen, uns lächelnd<br />

anschauen und küssen. Wir würden in der Met aneinander geschmiegt<br />

gemeinsam dem verzweifelten „Ridi, Pagliaccio, sul tuo amore infranto.“<br />

lauschten, und uns handhaltend unseren Sentiments hingeben. Nicht weil wir<br />

älter geworden sind und keine Lust mehr an Albernheiten und ausgelassenen<br />

Spielen hätten. Wir brauchen uns nicht mehr die Augen zu öffnen und den anderen<br />

zu fangen. Wir wissen, dass wir bereits in seiner Seele wohnen und dort<br />

unsere Heimat haben. Wir möchten den samtenen goldig-warmen Glanz unserer<br />

Gemeinsamkeit auskosten, genießen und vielleicht intensivieren. Wir<br />

spürten kein Verlangen mehr, uns vor Glück über ein neu entdecktes Erleben<br />

auszutoben. Es ist anders geworden, Nick, aber ist es weniger faszinierend?“<br />

„Du hast es sehr schön dargestellt, wie sich unsere Beziehung entwickelt und<br />

verändert, aber keineswegs an Intensität verloren hat. Ich bin sicher, wir werden<br />

stets dafür Sorge tragen, dass unser Verhältnis bei allen Veränderungen<br />

und Wandlungen nie an Lebendigkeit und Attraktivität verlieren, sondern im-<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 49 von 54


mer faszinierend bleiben wird.“ äußerte sich Nick. Ein Anlass sich anzustrahlen<br />

und zu küssen.<br />

Wenn Nick am Montagmorgen zwischen vier und fünf aufstand, konnte <strong>Kristin</strong><br />

nicht im Bett liegen bleiben. Die Vorstellung, dass er vielleicht müde und hektisch<br />

nach München führe, behagte ihr überhaupt nicht. Da spürte sie schon<br />

ein wenig das Bedürfnis, ihn zu bemuttern. Ihr war es wichtig, dass er sich<br />

wach, zufrieden und ausgeglichen auf den Weg machte, und dafür sorgte <strong>Kristin</strong><br />

<strong>mit</strong> Kaffee, freundlichen Gesprächen und einem ausgiebigen Frühstück fast<br />

noch in der Nacht. Nick genoss es und kam gar nicht auf die Idee, sich <strong>mit</strong> den<br />

Problemen des bevorstehenden Tages auseinander zu setzen. Man verabschiedete<br />

sich zwar warm und herzlich, aber hier flossen nicht die großen Emotionen,<br />

als ob man sich etwa für lange Zeit nicht wiedersehen würde. Hier war es<br />

eher wie eine Umarmung und ein Kuss als Segen für eine gute Reise und eine<br />

angenehme Woche.<br />

Larissa und <strong>Kristin</strong> wollen sich treffen<br />

Nicht nur Larissa, für die dieses Leben <strong>mit</strong>tlerweile, zwar noch immer einwenig<br />

kurios, aber fast selbst verständlich geworden war, sondern auch <strong>Kristin</strong>, die<br />

sich während der „Betrugsphase“ nie darum gekümmert hatte, schienen starkes<br />

Interesse an der anderen Frau zu entwickeln. Larissa tröstete sich da<strong>mit</strong>,<br />

dass <strong>Kristin</strong> es ja auch ertragen müsse, das Nick von Montags bis Donnerstags<br />

bei ihr sei, und <strong>Kristin</strong> versuchte sich ein Bild von dieser Frau zu machen, und<br />

zu ergründen, was das <strong>Liebe</strong>nswerte für Nick an ihr sei. Fast gleichzeitig hatten<br />

beide den Wunsch geäußert, die andere doch gern mal kennenlernen zu wollen.<br />

Bei Larissa hatte Nick noch stark dagegen argumentiert, aber als <strong>Kristin</strong><br />

anderthalb Wochen später auch diesen Wunsch äußerte, überlegte Nick, wie<br />

man es denn organisieren könne. Sie konnten ja nicht zu dritt <strong>mit</strong>einander reden<br />

und er dann anschließend <strong>mit</strong> einer von den beiden ins Bett gehen. Die<br />

Frauen hatten vorgeschlagen, dass man sich zusammen in Hinterzarten treffen<br />

würde, und Nick dann die eine Nacht <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> und die andere <strong>mit</strong> Larissa<br />

verbringen könne. Nein, das wollte Nick nicht. Er wollte nicht <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> im<br />

Bett liegen, während Larissa nebenan allein schlief.<br />

Nick und Larissa in Hinterzarten<br />

Nick und Larissa zu Besuch bei <strong>Kristin</strong><br />

Begrüßung<br />

Nick und Larissa fuhren am Samstagmorgen nach Hinterzarten, alle drei sollten<br />

in getrennten Räumen schlafen, und am Sonntagabend wollten sie wieder zurückfahren.<br />

<strong>Kristin</strong> und Larissa lächelten sich an. „Guten Tag, Frau Dautzenberg“<br />

Nick unterbrach die Begrüßung der beiden abrupt: „Also nein, wenn wir<br />

uns hier schon treffen, dann treffen sich hier <strong>Kristin</strong> und Larissa. Sonst fahr ich<br />

sofort wieder nach Hause.“ „Tscha, er hat schon manchmal sein Köpfchen.“<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 50 von 54


kommentierte Larissa scherzend, „also, Hallo <strong>Kristin</strong>!“ „Hallo Larissa.“ beide<br />

lachten und umarmten sich. Bevor man im Haus war, schien man sich schon zu<br />

verstehen. „Das ist aber ne ganz nette Strecke, die der Bursche da jedes Wochenende<br />

zweimal fahren muss.“ meinte Larissa und <strong>Kristin</strong> antwortete launig:<br />

„Ja, tapfer ist der Junge schon. Das ist es ja auch, was ich an ihm so schätze.“<br />

und beide prusteten los vor lachen. „Nick, du musst das nicht so ernst nehmen.<br />

Das wird schon mal passieren, wenn zwei Frauen sich über einen Mann<br />

unterhalten, gibt’s immer auch mal was zu lachen.“ meinte Larissa. Larissa und<br />

<strong>Kristin</strong> schauten sich an und lachten wieder in sich hinein. Sie gefiel ihr, diese<br />

Larissa. In dem Bild, das <strong>Kristin</strong> sich nach Nicks Aussagen gemacht hatte, war<br />

sie nüchtern, ernst und streng, aber sie hatte Witz und Humor vom ersten<br />

Augenblick an. Mit ihr würde sie sich bestimmt verstehen. So kam es auch.<br />

Larissa war begeistert von <strong>Kristin</strong>s Aktivitäten und sah darin ein Vorbild für das<br />

Leben einer Frau. Ihr Leben sei dagegen dröge und verlaufe im Grunde planund<br />

ziellos. <strong>Kristin</strong> war fasziniert von Larissas Kunstsachverstand und schein<br />

endlich eine ebenbürtige Gesprächspartnerin gefunden zu haben, wie sie ihr als<br />

Frau noch nie begegnet war.<br />

Randfigur<br />

Schon beim Frühstück war Nick zur Randperson geworden. <strong>Kristin</strong> hatte sich<br />

vorgestellt, dass es günstig sein könnte, in friedlicher beruhigender Naturatmosphäre<br />

einen Spaziergang zu machen, aber das wäre jetzt völlig abwegig<br />

gewesen. Die beiden waren viel zu interessiert aneinander und brannten darauf,<br />

sich weiter auszutauschen. Dass das Ganze etwas <strong>mit</strong> Nick zu tun haben<br />

könnte, kam keiner in den Sinn. Nick hielt sich auch völlig raus und beschäftigte<br />

sich <strong>mit</strong>tlerweile allein <strong>mit</strong> etwas anderem. „Wenn ich euch beiden störe und<br />

nach Hause fahren soll, müsst ihr es sagen.“ meinte Nick beim Mittagessen,<br />

weil er den Eindruck hatte, wie Luft behandelt zu werden. Angesprochen wurde<br />

er nur, wenn er mal eine Schüssel rüberreichen sollte. „Ach,<br />

Entschuldigung.“äußerte sich Larissa und <strong>Kristin</strong> meinte „Nickiboy, sei doch<br />

nicht gleich eingeschnappt, wenn deine Frauen auch mal ohne dich auskommen.“<br />

Beide streichelten dem armen vierundfünfzigjährigen Jungen tröstend<br />

übers Haar und lachten.<br />

Zwei Freundinnen<br />

Am Abend meinte <strong>Kristin</strong> nach Komplimenten von Larissa: „Larissa, ich glaube<br />

wir sind beide ganz tolle Frauen, wir haben nur beide das gleiche eine Problem,<br />

dass wir den gleichen Mann haben, aber das werden wir bestimmt auch gelöst<br />

bekommen.“ „Das haben wir doch schon, oder nicht?“ fragte Larissa. „Na klar.<br />

Ich denke wir sollten uns jetzt ein wenig um ihn kümmern, da<strong>mit</strong> wir nicht hinterher<br />

noch beide das gleiche Problem von einem weggelaufenen Mann bekommen.“<br />

beide schmunzelten. Der Wein sollte geholt werden und Larissa tönte:<br />

„Nick, jetzt komm mal her und erzähl uns was.“ <strong>Kristin</strong> stoppte und bog sich<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 51 von 54


vor Lachen, aber auch Larissa drehte sich zu <strong>Kristin</strong> und lachte. „Ihr seid aufgedreht<br />

und übermütig. Ich kann ja <strong>mit</strong>lachen, aber wenn ihr beiden euch den<br />

ganzen Abend auf meine Kosten lustig machen wollt, ist das öde. Da habe ich<br />

keine Lust dran.“ meinte Nick dazu. Larissa und auch <strong>Kristin</strong>, die <strong>mit</strong>tlerweile<br />

Wein und Gläser geholt hatte, versicherten, das sie so etwas nicht vorhätten.<br />

Nur wenn man gute Laune habe, könne einem schon mal unbeabsichtigt etwas<br />

herausrutschen.<br />

Die Situation war ein wenig pervers. <strong>Kristin</strong> versuchte Nick klar zu machen,<br />

dass er gar nicht wisse, welch tolle Frau er habe, und Larissa warf ihm vor,<br />

dass er ihr nichts von <strong>Kristin</strong>s vielfältigen Aktivitäten erzähle. Aber da werde<br />

sie sich in Zukunft <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> selber austauschen. <strong>Kristin</strong> und Larissa bewunderten<br />

sich nicht nur gegenseitig, sie schienen sich auch zu mögen.<br />

<strong>Kristin</strong> empfand Larissa völlig anders als das, was sie über Nick von ihr wusste,<br />

ja eigentlich sogar wie eine Frau, die sie sehr interessierte, die sie neugierig<br />

machte, die in ihr ein Bedürfnis geweckt hatte, sich tiefer auf sie einzulassen.<br />

Das hatte sie noch nie bei einer Frau so empfunden. Es irritierte <strong>Kristin</strong> ein wenig,<br />

aber sie empfand es als spannend, als eine neue Erfahrung, die sie durch<br />

kontinuierliche Kontakte <strong>mit</strong> Larissa fortsetzen wollte.<br />

Larissa fühlte sich bei <strong>Kristin</strong> ausgesprochen wohl. Sie sah die Vielfalt ihrer Aktivitäten<br />

als Ausdrucksform ihres Charakters, ihrer ganzen Persönlichkeit, die<br />

ihr wie das volle glückliche Leben selbst erschien. Larissa meinte Nick in gewisser<br />

Weise verstehen zu können. Sie war ja selbst fasziniert von dieser Frau und<br />

wäre glücklich gewesen, sie als Freundin in ihrer Nähe zu haben. Ob hier immer<br />

so eine Atmosphäre herrsche, fragte Larissa, und <strong>Kristin</strong>s Antwort „Noch<br />

viel schlimmer.“ löste wieder eine Lachen aus.<br />

Beide verstanden sich wohl unabhängig von Nick nach diesem kurzen Besuch<br />

in gewisser Weise als Freundinnen, die Interesse aneinander hatten. Vielleicht<br />

verfügen ja Frauen, wenn sie sich zu dem selben Mann hingezogen fühlen,<br />

auch über so viel emotionale Berührungspunkte, dass sie sich gut untereinander<br />

verstehen können müssten. Bei Larissa und <strong>Kristin</strong> war sich Nick im Vorhinein<br />

zwar absolut sicher, dass ihr Treffen nicht zu Konflikten führen würde,<br />

aber dass sie sich so hervorragend verstehen könnten, hatte er auch nicht vermutet,<br />

weil er beide Frauen doch als sehr unterschiedliche Menschen einschätzte.<br />

Natürlich telefonierten <strong>Kristin</strong> und Larissa in Zukunft häufiger und<br />

schrieben sich Mails, aber gegenseitige Besuche stellten ein Problem dar, weil<br />

Nick störte. Nick hatte einmal kurz die Möglichkeit erwähnt, obwohl er es selber<br />

nicht wollte, dass sie ja auch alle drei zusammen ins Bett gehen könnten.<br />

Aber niemand konnte das <strong>mit</strong> positiven Vorstellungen verbinden. Das begehrenswerte<br />

am Bett war für alle drei die persönlich intime warme vertrauensvolle<br />

Atmosphäre zwischen zwei Personen, die einen das Glück <strong>mit</strong> einem geliebten<br />

Menschen spüren ließ. Es verlor seinen Reiz, wenn man daraus ein Spiel<br />

<strong>mit</strong> mehreren veranstalten wollte. Folglich blieb es eine zeitlich versetzte Menage<br />

à trois, und die beiden besuchten sich gegenseitig, wenn Nick unterwegs<br />

war, zum Beispiel zu einem Kongress. Als Leilani auch mal während Larissas<br />

Besuch zu Hause war, meinte sie zu Larissa, ihr Mann sei ein Womanizer. Ihre<br />

Mami habe er verrückt gemacht, Ayana sei auch schon ganz durcheinander,<br />

und sie selbst wolle ihn ja schließlich auch heiraten. Larissa lachte und meinte,<br />

dass es wohl nur für Frauen <strong>mit</strong> ihren Genen und sie selbst zutreffen könne.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 52 von 54


Von anderen amourösen Abenteuern oder Frauen, die sich <strong>mit</strong> Nick so etwas<br />

wünschten, sei ihr bislang noch nichts zu Ohren gekommen, und jetzt habe er<br />

den Zenit der Begehrlichkeiten weckenden Altersspanne ja auch wohl überschritten.<br />

Für einen Don Juan oder Casanova sei es nicht nur zu spät, sie glaube<br />

auch zu wissen, dass so etwas wohl eher nicht im Bereich seiner Wunschvorstellungen<br />

läge.<br />

Zwei Göttergaben<br />

„Nick, du hast wirklich zwei wunderbare Frauen, von denen jede einzelne allein<br />

schon eine Göttergabe wäre.“ erklärte Larissa Nick auf dem Rückweg <strong>mit</strong> einem<br />

Lächeln, „Ich glaube, du bist dir dessen gar nicht richtig bewusst. Mir<br />

scheint, als ob bei dir im Zusammenhang <strong>mit</strong> Frauen ausschließlich dein limbisches<br />

System nicht nur die Emotionen steuert, sondern auch alle anderen Einschätzungskriterien<br />

dominiert. Ich habe mich in vielem von <strong>Kristin</strong> wesentlich<br />

besser verstanden und geschätzt gefühlt als von dir. Du sagst immer du liebst<br />

mich und du hast mich gern, ja, das hört sich gut an, aber was mich wie beschäftigt,<br />

was mich interessiert, darum kümmerst du dich eher kaum. Ich glaube<br />

wir sind in vielem, zu vielem einander sehr gleichgültig.“ erklärte Larissa<br />

auf der Rückfahrt, die jetzt keinerlei Ängste, die diminutive, die minderwertige<br />

Zweitfrau sein zu können, mehr hatte. <strong>Keine</strong> der beiden Frauen wollte, dass<br />

Nick die andere verließe. Im Gegenteil die beiden Frauen fanden sich<br />

gegenseitig großartig, und keine hätte gewollt, das Nick sich nicht darum<br />

kümmere, dass die andere glücklich sei.<br />

Nick genoss es trotzdem, auch wenn es ihn forderte. Nicht nur in der Hämatologie<br />

entwickelte sich ständig alles weiter, auch in seinem Privatleben hatte es<br />

so etwas wie gleichförmigen Stillstand nicht gegeben. Natürlich war nicht jeder<br />

Tag von großen bewegenden Ereignissen begleitet gewesen, aber seine psychosoziale<br />

Entwicklung hatte Prozesse durchlaufen, die ihn zu einer Lebensform<br />

geführt hatten, wie er sie nicht für möglich und auch nicht für wünschenswert<br />

gehalten hätte, die er jetzt aber liebte und keinesfalls zu verändern<br />

wünschte. Dass er jemals <strong>mit</strong> zwei Frauen gleichzeitig leben werde, die sich<br />

darüber hinaus auch noch prächtig untereinander verstanden, und das alles<br />

völlig unbehelligt im erzkonservativen, stockkatholischen Bayern, das hatte der<br />

dröge Fischkopf aus Hannover bei seiner Bewerbung damals auf die ausgeschriebene<br />

Professorenstelle in München, auch bei der Erwägung aller möglicher<br />

Begleitumstände wohl eher nicht intendiert.<br />

FIN<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 53 von 54


Mann kann dem Leben nicht<br />

mehr Tage geben, aber den<br />

Tagen mehr Leben.<br />

Als Nick und Familie aus dem Urlaub in<br />

Frankreich zurückkamen, stand fest,<br />

Frau Dr, Rosenbach verlässt das<br />

Institut. Im nächsten Monat wird sie<br />

gehen. „Warum, <strong>Kristin</strong>,<br />

warum?“entfuhr es Nick als sie sich<br />

zum ersten Mal trafen. „Nick, lass es<br />

uns heute Abend im Café besprechen,<br />

oder du müsstest dir ein wenig Zeit<br />

nehmen.“ Selbstverständlich hatte Nick<br />

Zeit. „Nick, ich kann so nicht mehr<br />

leben.“ erklärte <strong>Kristin</strong>, „Es würgt mich.<br />

Es macht mich konfus. Dich fast jeden<br />

Tag treffen, wühlt immer alles Mögliche<br />

in mir auf. Ich kann keine klare<br />

Vorstellung entwickeln, keine<br />

Perspektive sehen, du bist immer dazwischen.<br />

Ich denke an irgend etwas<br />

und fange einfach an zu weinen, weil ich es auf irgendwelche Erlebnisse <strong>mit</strong> dir<br />

beziehe. Alles, alles, alles hat immer <strong>mit</strong> dir zu tun. Wenn ich neben meiner<br />

Tochter sitze fällt mir ein früheres Erlebnis ein, natürlich wie ich dir davon<br />

erzählt habe. Ich sehe dich zuhören, höre deine Kommentare. Nick ich werde<br />

verrückt an dir. Zu Anfang habe ich mich ja noch gefreut, wenn ich öfter mal<br />

an dich dachte, aber jetzt ist es störend bis unerträglich. Ich träume gar nicht<br />

sehnsüchtig davon, wie schön es wäre, wenn wir zusammen sein könnten. Du<br />

hast einfach mein Denken okkupiert. Der Nick in mir will mich nicht lieben,<br />

sondern dominieren. Weißt du Nick, ich will nicht versuchen, dich zu<br />

vergessen, keinesfalls, ich muss nur ein wenig Abstand gewinnen, ein wenig<br />

Klarheit bekommen, wieder normal werden, und das geht hier so nicht. Ich<br />

steige in Freiburg in eine Praxis für Innere ein und kann sie in einem halben<br />

Jahr übernehmen.<br />

<strong>Keine</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> <strong>Kristin</strong> – Seite 54 von 54

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!