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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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97<br />

aussetzung, daß es möglich sei, das Denken in seinen allgemeingültigen Gesetzen <strong>und</strong> Formen zu erkennen.<br />

Welche Fülle von Erkenntnissen geht also unkontrolliert voraus, bevor die Erkenntnistheorie<br />

einsetzt! Und soviel allgemein Anerkanntes auch die Logik enthalten mag, so ist doch auch selbst diesem<br />

allgemein Anerkannten keineswegs absolute Unbezweifelbarkeit zuzusprechen. Es werden daher<br />

alle diejenigen Erkenntnistheorieen, die sich auf vorausgegangene logische Untersuchungen stützen,<br />

gleich von vornherein getrübt <strong>und</strong> verschoben. [...]. In <strong>der</strong> Voraussetzung allgemeiner Gesetze <strong>und</strong><br />

Formen des Denkens ist aber noch viel mehr enthalten: es wird in ihr als zugestanden vorausgesetzt,<br />

daß es eine Menge bewußter Subjekte gebe, <strong>und</strong> daß die Bewufstseinsvorgänge <strong>der</strong>selben einer gemeinsamen<br />

Gesetzmäßigkeit unterliegen. Auch dies aber ist ein Erkenntnisinhalt von keineswegs<br />

selbstverständlicher Natur. So sind also, sobald die Erkenntnistheorie <strong>der</strong> Logik eingeflochten o<strong>der</strong> angehängt<br />

wird, in <strong>der</strong> logischen Gr<strong>und</strong>lage zugleich auch Voraussetzungen von allgemeinster ontologischer<br />

o<strong>der</strong> metaphysischer Natur enthalten." 129<br />

Und mehr als dreissig Jahre später (1918) in <strong>der</strong> Schrift Gewißheit <strong>und</strong> Wahrheit auf S. 143 f beson<strong>der</strong>s<br />

prägnant: "Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß ich als Philosoph <strong>der</strong> reinen Erfahrung mich nur<br />

<strong>der</strong> Sprache des Aufweisens, des Tatsachen-Feststellens bedienen darf. Ich habe kein Recht, Ergebnisse<br />

hinzustellen, die ich auf dem Wege des Schließens, Begründens, Beweisens gewonnen habe. Für<br />

den Vertreter <strong>der</strong> reinen Erfahrung besteht die ganze „Logik", wenn ich dieses Wort hier gebrauchen<br />

darf, in dem Aufweisen des unmittelbar Erfahrenen. Das Erfahrungsgegebene liegt meinem Bewußtsein<br />

einfach vor; hier ist alles Folgern, Erschließen <strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichen überflüssig. Wähle ich ein solches<br />

Verfahren, so tue ich dies, um zu Ergebnissen zu gelangen, die nicht in <strong>der</strong> Erfahrung aufweisbar sind.<br />

Das heißt: ich habe neben <strong>der</strong> Erfahrungsgewißheit eine neue Erkenntnisquelle, das logische Verknüpfen,<br />

eingeführt <strong>und</strong> damit den Standpunkt <strong>der</strong> reinen Erfahrung aufgegeben " 130<br />

Was das Verhältnis zwischen reiner Erfahrung <strong>und</strong> Logik angeht, so herrscht in Volkelts Schriften von<br />

1886 <strong>und</strong> 1918 durchgängige Kontinuität. Die Logik geht o<strong>der</strong> macht Ansprüche weit über das unmittelbar<br />

Erfahrene hinaus. Deswegen darf sie in <strong>der</strong> Liga <strong>der</strong> reinen Erfahrung nicht mitspielen. Alles<br />

Begründen, Beweisen, Schlussfolgern ist dort nicht erlaubt, son<strong>der</strong>n einzig das Aufzeigen des im Bewusstsein<br />

faktisch Vorgef<strong>und</strong>enen. Damit gleicht Volkelts Verfahren <strong>der</strong> beschreibenden Psychologie<br />

Wilhelm Diltheys. Freilich um die rigide For<strong>der</strong>ung verschärft, dass in ihr Hypothesen <strong>und</strong> Schlussfolgerungen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zulässig sind. Ein Verfahren übrigens, das auch Steiner in seiner Dissertation<br />

(Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft) <strong>zur</strong> Anwendung gebracht wissen will; was niemanden überraschen<br />

wird, <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong> Verhältnis zu Volkelt kennt. 131 Man vergleiche seine dortige For<strong>der</strong>ung (GA-3, S.<br />

59): "Wir müssen uns vollständig klar darüber sein, daß wir dieses Hervorbringen in aller Unmittelbarkeit<br />

wie<strong>der</strong> gegeben haben müssen. Es dürfen nicht etwa Schlußfolgerungen nötig sein, um dasselbe<br />

zu erkennen." Das ist original immanent-psychologische Volkeltsche Methodik! Das Hervorbringen<br />

des Gedanklichen muss <strong>und</strong> darf als seelisches Faktum nur aufgezeigt, nicht aber darf es aus an<strong>der</strong>en<br />

129<br />

Johannes Volkelt, Erfahrung <strong>und</strong> Denken, Hamburg <strong>und</strong> Leipzig 1886, S. 47.<br />

130<br />

Johannes Volkelt, Gewissheit <strong>und</strong> Wahrheit, München 1918, S. 143 f.<br />

131<br />

Für diejenigen unter meinen Lesern, die mit Karl Bühlers Untersuchungsbericht aus dem Sammelband von<br />

Paul Ziche vertraut sind, möchte ich <strong>zur</strong> Illustration des Volkeltschen Verfahrens erwähnen, dass die Versuchspersonen<br />

in den Bühlerschen Denkversuchen in <strong>der</strong>selben Lage waren, wie sie <strong>der</strong> Erkenntnistheoretiker Volkelt<br />

von einem erkenntniswissenschaftlichen Vorgehen auf <strong>der</strong> Stufe <strong>der</strong> reinen Erfahrung verlangt. Sie gaben nur<br />

wie<strong>der</strong>, was sie während ihrer Denkaufgaben erlebt hatten. Soweit es nur diese Wie<strong>der</strong>gabe von Erlebnissen betrifft,<br />

sind darin idealerweise keine Hypothesen o<strong>der</strong> Denktheorien über das Erlebte enthalten, son<strong>der</strong>n eben nur<br />

reine Seelenerlebnisse, die man ebensogut als erkenntnistheoretische Erlebniskonstatierungen im Volkeltschen<br />

Sinne bezeichnen könnte. Das ist im Prinzip eine vergleichsweise einfache Übung, die <strong>der</strong> Leser je<strong>der</strong>zeit anhand<br />

<strong>der</strong> <strong>Studien</strong> <strong>und</strong> Beispiele Merijn Fagards <strong>zur</strong> Beobachtung des Denkens auf meiner Webseite nachvollziehen<br />

kann. Sie beschränkt sich letztlich auf die Frage: Was habe ich eben erlebt? - Man muss sich also gar nicht<br />

allzusehr vor <strong>der</strong> Erkenntnistheorie fürchten, wenn man das konkrete psychologische Proce<strong>der</strong>e Volkelts (<strong>und</strong><br />

<strong>Steiners</strong>) verstehen will. Denn die faktische Umsetzung <strong>der</strong> immanent psychologischen Methode Volkelts ist<br />

weit weniger mühsam als <strong>der</strong> von Volkelt betriebene theoretische Aufwand, den philosophischen Weg dorthin<br />

deutlich zu machen <strong>und</strong> seinen erkenntnistheoretischen Gehalt frei zu legen. Erinnerungstäuschungen <strong>und</strong> inadaeqate<br />

Versprachlichung des Erlebten sind dabei natürlich nicht gänzlich auszuschliessen, was selbstredend<br />

auch für den Erkenntnistheoretiker persönlich gilt. Mit Hypothesenbildung hat es allerdings <strong>der</strong> Versuchsleiter<br />

bzw <strong>der</strong> Anwen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Methode gegebenenfalls hinterher zu tun, wenn er versucht die berichteten Erlebnisse in<br />

eine Ordnung <strong>und</strong> Übersicht zu bringen, um auf dieser Basis generelle Eigenschaften <strong>der</strong> Denktätigkeit zu skizzieren.<br />

Vergleichen Sie auch dazu Fagards <strong>Studien</strong>.

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