Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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wendet diesen Terminus für ausnahmslos alles, was im menschlichen Bewustsein erlebt <strong>und</strong> gewusst<br />
werden kann, ohne eine sonstige Bewertung daran zu knüpfen. O<strong>der</strong> wie er sagt, es fällt das gesamte<br />
(bewusste) psychische Geschehen darunter. Man kann auch sagen: <strong>der</strong> gewusste Inhalt dessen, was <strong>der</strong><br />
Mensch bewusst erlebt.<br />
Damit ist <strong>der</strong> Ort klar eingegrenzt, auf den sich zu Beginn des <strong>Philosophie</strong>rens das Denken zu richten<br />
hat. Es ist das Bewusstsein des Menschen, das er hier mit dem gesamten psychischen Geschehen<br />
gleichsetzt. Insofern ist auch die Methode des <strong>Philosophie</strong>rens bestimmt, die nur darin bestehen kann,<br />
den Inhalt dieses psychischen Geschehens zu beobachten, <strong>und</strong> aufzuweisen, was sich alles darin auffinden<br />
lässt. Das ist die immanent-psychologische Seite an den erkenntnistheoretischen Untersuchungen,<br />
von <strong>der</strong> er im Zitat von 1918 oben sprach. Immanent psychologisch, weil sie einerseits <strong>der</strong> Methode<br />
nach ein psychologisches Beobachten ist. Und an<strong>der</strong>erseits, weil die Wissenschaft <strong>der</strong> Psychologie<br />
an diesem Ausgangspunkt <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> kein Mitspracherecht hat. Denn ihre wissenschaftliche<br />
Verfahrensweise verläuft über Formen <strong>der</strong> Verallgemeinerung, Theorie- <strong>und</strong> Hypothesenbildung, Begründungsformen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichen, <strong>der</strong>en prinzipielle Berechtigung ja noch gar nicht geklärt <strong>und</strong> daher<br />
zweifelhaft ist. Während die immanent psychologische Vorgehensweise Volkelts "... nicht in einem<br />
Beweisen, son<strong>der</strong>n in einem Aufzeigen," besteht. Ihre gr<strong>und</strong>legenden Schritte "wollen nicht Verborgenes<br />
erschliessen, son<strong>der</strong>n nur im Bewußtsein Vorhandenes wirklich auch zum Bewußtsein bringen."<br />
(Erfahrung <strong>und</strong> Denken, S. 38 f)<br />
Auch die Logik hat folglich mit ihren Verallgemeinerungen an dieser Stelle kein Mitsprachrecht. Das<br />
ist ein Punkt, den Volkelt vor allem auch in <strong>der</strong> Schrift Erfahrung <strong>und</strong> Denken (1886) näher ausgeführt<br />
hat. Danach hat die Logik als bestimmende Grösse in einer voraussetzungslosen Erkenntnistheorie<br />
nichts zu suchen. Denn sie selbst kann ihre logischen Ansprüche erst auf <strong>der</strong> Basis jener Bef<strong>und</strong>e geltend<br />
machen, die sich auf <strong>der</strong> allerersten Stufe des <strong>Philosophie</strong>rens aufweisen lassen. Das heisst, es<br />
muss zunächst abgeklärt werden, ob, wie weit, <strong>und</strong> auf welcher Basis logische Verallgemeinerungen<br />
überhaupt zulässig sind. Denn ob es in den basalen Bef<strong>und</strong>en des Bewusstseins überhaupt Gesetze <strong>und</strong><br />
Regelmässigkeiten gibt, ist für den Erkenntnistheoretiker noch völlig offen.<br />
Er führt das dort (S. 47) folgen<strong>der</strong>massen aus: "Soviel ergibt sich nun schon aus unseren früheren Erwägungen,<br />
daß, wie auch Logik <strong>und</strong> Erkenntnistheorie im übrigen zu einan<strong>der</strong> stehen mögen, keinesfalls<br />
doch die erkenntnistheoretischen Untersuchungen auf logische gebaut werden dürfen. Wer logische<br />
Untersuchungen führt, will in jedem Falle zu dem Ergebnisse kommen, daß es gewisse allgemeingültige<br />
Gesetze <strong>und</strong> Formen des Denkens gibt. Werden also <strong>der</strong>artige Untersuchungen <strong>der</strong> Erkenntnistheorie<br />
vorausgeschickt, so beruht die Rechtfertigung des Erkennens selbst schon auf <strong>der</strong> Vor<br />
<strong>Steiners</strong> Vorhaltungen gehen eigentlich an Volkelts Intentionen vorbei. Denn <strong>der</strong> Kantkritiker Volkelt<br />
knüpft mit dem Ausdruck Vorstellung ausdrücklich nicht an kantische Traditionen an. Auch sachlich wäre <strong>Steiners</strong><br />
Einwand verfehlt, weil Kant im Gegensatz zu Volkelt ja gerade nicht empirisch psychologisch vorgeht. Da<br />
Steiner diesem Terminus damals vor allem in Zusammenhängen Kantscher Prägung begegnet ist, unterstellt er<br />
stillschweigend, bei Volkelt sei das ebenso. Anstatt ihn so zu nehmen wie Volkelt ihn einführt. Volkelt sucht im<br />
Bewusstsein auf immanent-psychologischem Wege unter an<strong>der</strong>em nach Regelmässigkeit <strong>und</strong> Kausalität - <strong>und</strong><br />
zwar als seelische Erlebnisse. Wenn er mit seiner meisterhaft wissenschaftlich durchgeführten Erkenntnistheorie<br />
(Steiner!) zunächst keine findet, so ist das kein durch Kantsche Prägung bedingtes Problem, son<strong>der</strong>n vor allem<br />
ein psychologisches <strong>der</strong> zeitgenössischen Methode, wie wir noch zeigen werden. Und das scheint mir die entscheidende<br />
<strong>und</strong> spannende Frage zu sein: Warum ist die damalige Psychologie ausserstande Regelmässigkeit <strong>und</strong><br />
Kausalität in den Bewusstseinsvorgängen zu finden?<br />
Ob Volkelts Ausdruck Vorstellung glücklich gewählt ist, darüber lasst sich natürlich wegen dem von Steiner<br />
inkriminierten <strong>Philosophie</strong>kontext mit Recht streiten. Aber das sind Probleme, die in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>und</strong> auch<br />
bei Steiner selbst häufig auftauchen. Wenn Ausdrücke verwendet <strong>und</strong> mit neuen Bedeutungen belegt werden,<br />
während sie an<strong>der</strong>weitig schon massiv besetzt sind, - man denke nur an <strong>Steiners</strong> Begriff des Äthers o<strong>der</strong> des intuitiven<br />
Denkens -, <strong>und</strong> <strong>der</strong>gleichen.<br />
Davon aber abgesehen kommt Steiner in <strong>der</strong> Tat auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Volkeltschen Fragestellung <strong>und</strong> Begrifflichkeit<br />
schon 1886 zu gänzlich an<strong>der</strong>en Resultaten als Volkelt selbst. Und zwar zu Resultaten, denen sich Volkelt<br />
erst gegen Ende seiner philosophischen Laufbahn annähert. Die wissenschaftsgeschichtlich viel<br />
interessantere Frage ist daher, warum findet Volkelt mit <strong>der</strong> immanent-psychologischen Verfahrensweise Vergleichbares<br />
erst 1918 <strong>und</strong> nicht schon 1886?