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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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95<br />

gr<strong>und</strong> einer psychologisierenden Erkenntnistheorie ein durchaus verständlicher Anspruch. Wie kommt<br />

es dann allerdings zu den genannten Verän<strong>der</strong>ungen, die wir noch näher erläutern werden?<br />

Zunächst aber schauen wir uns in den frühen Schriften Volkelts etwas um. Warum Volkelt den psychologischen<br />

Weg des <strong>Philosophie</strong>rens einschlägt, lässt sich am besten seinen eigenen Worten aus <strong>der</strong><br />

Schrift von 1879 entnehmen, Immanuel Kants Erkenntnistheorie nach ihren Gr<strong>und</strong>principien<br />

analysiert. Gleich auf <strong>der</strong> ersten Seite dort unterbreitet er dem Leser sein philosophisches Programm:<br />

"Der erste F<strong>und</strong>amentalsatz, den sich <strong>der</strong> Philosoph zu deutlichem Bewusstsein zu bringen hat, besteht<br />

in <strong>der</strong> Erkenntniss, dass unser Wissen sich zunächst auf nichts weiter als auf unsere Vorstellungen erstreckt.<br />

Unsere Vorstellungen sind das Einzige, was wir unmittelbar erfahren, unmittelbar erleben;<br />

<strong>und</strong> eben weil wir sie unmittelbar erfahren, deswegen vermag uns auch <strong>der</strong> radicalste Zweifel das Wissen<br />

von denselben nicht zu entreißen. Da gegen ist das Wissen, das über unser Vorstellen — ich nehme<br />

diesen Ausdruck hier überall im weitesten Sinne, so dass alles psychische Geschehen darunter fällt —<br />

hinausgeht, vor dem Zweifel nicht geschützt. Daher muss zu Beginn des Philosophirens alles über die<br />

Vorstellungen hinausgehende Wissen ausdrücklich als bezweifelbar hingestellt werden.[] Zu Beginn<br />

des Philosophirens wissen wir nur dies Eine mit unbedingter Sicherheit, dass wir eine Mannichfaltigkeit<br />

von Vorstellungen erleben, dass die ganze reiche, bunte Welt um uns her, so weit wir sie auch umfassen,<br />

so tief wir auch in sie dringen mögen, ein von uns erfahrener Vorstellungsinhalt ist. Es ist möglich,<br />

dass das, was wir über unsere Vorstellungswelt denken, mehr ist als bloß subjectives Vorstellungsspiel,<br />

dass unser Denken mit dem Wesen <strong>der</strong> Dinge in absoluter o<strong>der</strong> beschränkter Weise übereinstimmt.<br />

Allein zunächst <strong>und</strong> unmittelbar steht nur dies Eine fest, dass unser Denken ein Vorstellen<br />

ist, von dem es vollständig dahingestellt bleibt, ob es irgendwie von etwas außerhalb seiner Befindlichem<br />

gelte o<strong>der</strong> nicht." 127<br />

Volkelt spricht vom Beginn des <strong>Philosophie</strong>rens, von seinem Ausgangspunkt. Und das philosophische<br />

Denken kann seinen Ausgang nur von etwas nehmen, was vollkommen sicher gewusst werden kann.<br />

Was also jedem skeptischen Zweifel wi<strong>der</strong>steht. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Volkelt spricht hier von einem<br />

F<strong>und</strong>ament des philosophischen Denkens. Und zum F<strong>und</strong>ament kann nur etwas dienen, was auf <strong>der</strong><br />

Erfahrungsebene gegen jeden Zweifel erhaben ist. Damit gibt sich Volkelt nicht nur als kritischer Philosoph,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem auch als Empirist zu erkennen, <strong>der</strong> auch das philosophische Denken auf Erfahrung<br />

gründet.<br />

Diese Rolle eines Ausgangspunktes kann allerdings nur demjenigen zugestanden werden, was er hier<br />

Vorstellungen nennt. Man muss diesen Term so neutral nehmen wie er ihn einführt. Ganz unabhängig<br />

von jedem philosophischen o<strong>der</strong> sonstigen Gebrauch. Es wäre irreführend, etwas damit zu verbinden,<br />

was durch unsere alltägliche o<strong>der</strong> die philosophiegschichtliche Nutzung des Ausdrucks Vorstellung geprägt<br />

ist. Volkelt meint das alles nicht <strong>und</strong> knüpft damit auch an keine philosophische Tradition an,<br />

wie Steiner ihm in den Gr<strong>und</strong>linien ... (GA-2) pauschalisierend implizit vorhält. 128 Son<strong>der</strong>n er ver<strong>und</strong><br />

treffend so ausspricht: ,,Es kann nicht etwas erkenntnistheoretisch wahr <strong>und</strong> psychologisch falsch<br />

sein" (Psychologie <strong>und</strong> Erkenntnistheorie. München 1891. S. 18)."<br />

Siehe die entsprechende Stelle bei Stumpf: Carl Stumpf, Psychologie <strong>und</strong> Erkenntnistheorie,<br />

München 1891, S. 482<br />

127<br />

Johannes Volkelt, Immanuel Kants Erkenntnistheorie nach ihren Gr<strong>und</strong>principien analysiert, Leipzig 1879, S.<br />

1.<br />

128<br />

Sie dazu Steiner in GA-2, Dornach 1979, Kapitel 6., S. 36. (In <strong>der</strong> Originalausgabe von 1886 hier): "Hier ist<br />

nun <strong>der</strong> Ort, auf ein seit Kant bestehendes Vorurteil hinzuweisen, das sich bereits in gewissen Kreisen so eingelebt<br />

hat, daß es als Axiom gilt. Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> es bezweifeln wollte, würde als ein Dilettant hingestellt, als ein<br />

Mensch, <strong>der</strong> nicht über die elementarsten Begriffe mo<strong>der</strong>ner Wissenschaft hinausgekommen Ist. Ich meine die<br />

Ansicht, als ob es von vornherein feststünde, daß die gesamte Wahrnehmungswelt, diese unendliche Mannigfaltigkeit<br />

von Farben <strong>und</strong> Formen, von Tönen <strong>und</strong> Wärmedifferenzen usw. nichts weiter sei als unsere subjektive<br />

Vorstellungswelt, die nur Bestand habe, solange wir unsere Sinne den Einwirkungen einer uns unbekannten Welt<br />

offen halten. Die ganze Erscheinungswelt wird von dieser Ansicht für eine Vorstellung innerhalb unseres individuellen<br />

Bewußtseins erklärt, <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong>lage dieser Voraussetzung baut man weitere Behauptungen über die<br />

Natur des Erkennens auf. Auch Volkelt hat sich dieser Ansicht angeschlossen <strong>und</strong> seine in bezug auf die wissenschaftliche<br />

Durchführung meisterhafte Erkenntnistheorie darauf gegründet. Dennoch ist das keine Gr<strong>und</strong>wahrheit<br />

<strong>und</strong> am wenigsten dazu berufen, an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Erkenntniswissenschaft zu stehen."

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