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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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91<br />

1894 vor den Fachgelehrten seiner Zeit weitläufig skizzierte. Damit aber gerät die Erkenntnistheorie,<br />

wie ich weiter oben schon sagte, in den entscheidenden Aspekten vollständig in Abhängigkeit<br />

vom Fortschritt <strong>und</strong> dem methodischen Wissen <strong>der</strong> Wissenschaftsdisziplin Psychologie.<br />

Um das mit Blick auf Steiner hier nur andeutungsweise etwas plastischer zu machen: Der spätere<br />

Steiner hätte einem Johannes Volkelt die Empfehlung geben können: Konzentriere Dich<br />

etwas mehr auf das Denken mittels einfacher Übungen. Und wenn Du das einige Monate systematisch<br />

trainiert hast, dann frage Dich erneut, ob Du immer noch nichts kausal Wirksames<br />

in den Denkvorgängen bemerkst, o<strong>der</strong> ob Dein Urteil jetzt gegenüber 1886 eventuell an<strong>der</strong>s<br />

ausfällt. 118 Das heisst, er hätte ihn auf eine qualitative Dimension <strong>der</strong> seelischen Beobachtung<br />

aufmerksam gemacht, die in früheren Zeiten noch nicht in die Überlegungen eingeflossen ist.<br />

Erst Karl Bühler kam (1907/1908) ansatzweise zu vergleichbaren methodischen Schlüssen. 119<br />

Und es spricht ja nichts dagegen, solche Anregungen <strong>Steiners</strong> o<strong>der</strong> Bühlers auch für die erkenntnistheoretische<br />

Psychologie fruchtbar zu machen. Wer sagt denn, dass bei <strong>der</strong> erkenntnistheoretischen<br />

Reflexion von Denkerfahrungen stets nur auf dem zufälligen status quo des<br />

individuellen Erlebnisvermögens des einzelnen Erkenntniswissenschaftlers aufzubauen ist?<br />

Diese sind realistischerweise doch sehr verschieden. In diesem Fall kann es ja kaum an<strong>der</strong>s<br />

sein, als dass je<strong>der</strong> Erkenntniswissenschaftler nach Massgabe seiner zufälligen psychologischen<br />

Voraussetzungen auch zu an<strong>der</strong>en Beobachtungsresultaten kommt. Und wer sagt, dass<br />

die erkenntnistheoretisch orientierte Psychologie nur ein logisches Problem ist? Spätestens<br />

wenn man Diltheys gr<strong>und</strong>legende Haltung <strong>zur</strong> Erkenntnistheorie als einer Psychologie in Bewegung<br />

einnimmt, werden solche qualitativen Fragen zunehmend zu methodischen Problemstellungen<br />

einer qualitativ operierenden Erkenntnispsychologie. Und damit wird die Erkenntnistheorie<br />

in hohem Masse qualitativ abhängig von psychologischen Methodenfragen. Das<br />

sind freilich Gedankengänge, die zu Zeiten Kants noch ganz unmöglich waren, <strong>und</strong> auch im<br />

Zuge <strong>der</strong> Erkenntniswissenschaft <strong>der</strong> 1880er/90er Jahre erst begannen einigermassen breit öffentlich<br />

erörtert zu werden. Bei Volkelt jedenfalls hat erkennbar so etwas wie ein qualitativer<br />

Wandel stattgef<strong>und</strong>en, wie noch zu zeigen sein wird. Die erkenntnistheoretische Einschätzung<br />

entscheiden<strong>der</strong> Tatsachen des Seelenlebens nämlich hat sich bei ihm im Laufe <strong>der</strong> Jahre ganz<br />

gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>t. Dazu gehört vor allem, was man unter innerer Kausalität fassen kann.<br />

Und Johannes Volkelt beispielsweise hat sich auch mit qualitativen Fragen <strong>der</strong> inneren Beob­<br />

118<br />

Theoretisch ist es sogar denkbar, dass auch Steiner philosophisch einen gewissen Einfluss auf Volkelt hatte.<br />

Denn Volkelt kannte zumindest den Goetheforscher Steiner. <strong>Steiners</strong> Schrift Goethes Weltanschauung von 1897<br />

erwähnt er in seinen literaturwissenschaftlichen <strong>Studien</strong> von 1908, <strong>und</strong> beklagt sich auf S. 25 über das etwas einseitige<br />

Goethebild <strong>Steiners</strong>. Siehe dazu, Johannes Volkelt, Zwischen Dichtung <strong>und</strong> <strong>Philosophie</strong>, München 1908,<br />

S. 25. Zumindest in dieser Schrift <strong>Steiners</strong> muss er auf dessen Bewertung <strong>der</strong> inneren Kauslität gestossen sein,<br />

die Steiner nur wenige Seiten vor den von Volkelt angemerkten Textstellen behandelt hat.<br />

119<br />

Siehe Karl Bühler, Tatsachen <strong>und</strong> Probleme einer Psychologie <strong>der</strong> Denkvorgänge. I. Über Gedanken. Wie<strong>der</strong><br />

abgedruckt in: Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung des Ichs, Springerverlag,<br />

Wien New York, 1999, S. 159 ff, insbes. S. 160 ff.<br />

Bühler schreibt (Ziche, S. 160): "Es entspricht durchaus den hergebrachten Anschauungen über die<br />

Denkvorgänge, wenn man sie für etwas sehr Kompliziertes hält <strong>und</strong> glaubt, die Schwierigkeit ihrer Analyse liege<br />

hauptsächlich in dieser ihrer komplexen Natur. Daraus ergibt sich aber von selbst die Konsequenz, daß man sich,<br />

wenn man an eine solche Analyse herangeht, zunächst an die anscheinend einfachsten unter ihnen, alltägliche<br />

Urteile o<strong>der</strong> einfache Subsumptionen hält. Diese waren es denn auch, die man zuerst untersuchte. Dabei hat man<br />

aber, wie ich glaube, nicht genügend mit <strong>der</strong> Tatsache gerechnet, daß unsere seelischen Vorgänge mechanisiert<br />

werden können <strong>und</strong> dann aus dem Bewußtsein fast vollständig verschwinden. Nun ist es jedoch von vornherein<br />

klar, daß ein Vorgang <strong>der</strong> Beobachtung umso leichter zugänglich sein wird, je urwüchsiger er im Bewußtsein<br />

auftritt. Wenn das für das Denken <strong>der</strong> Fall sein soll, dann muß <strong>der</strong> Denkstoff dem Denkenden einige Schwierigkeiten<br />

bieten <strong>und</strong> ihm auch ein gewisses sachliches Interesse ablocken."<br />

Es ist bemerkenswert wie sehr Bühler hier den qualitativen Aspekt <strong>der</strong> Denkerlebnisse hervorhebt, <strong>und</strong><br />

das methodisch gezielt in sein Untersuchungsprojekt einbindet. Bühlers Überlegungen lassen sich natürlich in<br />

jede Richtung hin vertiefen <strong>und</strong> weiter entwickeln. Abgesehen von Steiner war Bühler in diesen Dingen allerdings<br />

noch ein psychologischer Pionier in seiner Zeit.

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