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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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Kapitel, entsprechend kritisiert, indem er es <strong>zur</strong> Täuschung erklärte. <strong>Steiners</strong> Antwort an Hartmann<br />

in <strong>der</strong> Auflage von 1918, wir haben sie oben schon einmal zitiert, ist noch weitaus prägnanter<br />

<strong>und</strong> demonstrativer an <strong>der</strong> beschreibenden Psychologie orientiert, als seine Darstellung<br />

in <strong>der</strong> Erstausgabe <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> von 1894 o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dissertation (Wahrheit <strong>und</strong><br />

Wissenschaft). Dahingehend, dass Steiner sich jetzt gegenüber Hartmann nahezu ausschliesslich<br />

nur noch auf das Seelenerlebnis des Denkens bezieht. Deswegen das Zitat noch einmal:<br />

"Von einer Persönlichkeit, welche <strong>der</strong> Verfasser dieses Buches als Denker sehr hochschätzt,<br />

ist ihm eingewendet worden, daß so, wie es hier geschieht, nicht über das Denken gesprochen<br />

werden könne, weil es nur ein Schein sei, was man als tätiges Denken zu beobachten glaube.<br />

In Wirklichkeit beobachte man nur die Ergebnisse einer nicht bewußten Tätigkeit, die dem<br />

Denken zugr<strong>und</strong>e liegt. Nur weil diese nicht bewußte Tätigkeit eben nicht beobachtet werde,<br />

ent stehe die Täuschung, es bestehe das beobachtete Denken durch sich selbst, wie wenn man<br />

bei rasch aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong> Beleuchtung durch elektrische Funken eine Bewegung zu sehen<br />

glaubt. Auch dieser Einwand beruht nur auf einer ungenauen Anschauung <strong>der</strong> Sachlage.<br />

Wer ihn macht, berücksichtigt nicht, daß es das «Ich» selbst ist, das im Denken drinnen stehend<br />

seine Tätigkeit beobachtet. Es müßte das «Ich» außer dem Denken stehen, wenn es so<br />

getäuscht werden könnte, wie bei rasch aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong> Beleuchtung durch elektrische<br />

Funken. Man könnte vielmehr sagen: wer einen solchen Vergleich macht, <strong>der</strong> täuscht sich gewaltsam<br />

etwa wie jemand, <strong>der</strong> von einem in Bewegung begriffenen Licht durchaus sagen<br />

wollte: es wird an jedem Orte, an dem es erscheint, von unbekannter Hand neu angezündet. -<br />

Nein, wer in dem Denken etwas an<strong>der</strong>es sehen will als das im « Ich» selbst als überschaubare<br />

Tätigkeit Hervorgebrachte, <strong>der</strong> muß sich erst für den einfachen, <strong>der</strong> Beobachtung vorliegenden<br />

Tatbestand blind machen, um dann eine hypothetische Tätigkeit dem Denken zugr<strong>und</strong>e<br />

legen zu können." (GA-4, S. 55 f)<br />

Steiner verzichtet hier nicht gänzlich, aber weitgehend auf formale Argumente, <strong>und</strong> stützt sich<br />

sehr prägnant in dem von Dilthey angegebenen Sinne auf die tatsächlichen Seelenerlebnisse<br />

des Denkens. Wie ja auch seine übrigen Ergänzungen <strong>und</strong> Verbesserungen von 1918 im dritten<br />

Kapitel vielfach ebenfalls erkennbar psychologisch orientiert sind. Vergleichen Sie einmal<br />

<strong>Steiners</strong> früheres viertes Kapitel in <strong>der</strong> Erstauflage von 1894, das dem dritten <strong>der</strong> Ausgabe<br />

von 1918 entspricht, mit dem überarbeiteten späteren dritten, dann wird Ihnen das an den neu<br />

hinzu gekommenen Stellen deutlich ins Auge fallen. Dass dies sich so verhält, kann nicht<br />

überraschen bei einer Erkenntniswissenschaft, die auf psychologischen Tatsächlichkeiten aufbaut.<br />

Mit formaler Argumentation allein war da wenig zu gewinnen, son<strong>der</strong>n Steiner fühlte<br />

sich veranlasst die seelischen Tatsachen auch gegenüber Hartmann sprechen zu lassen. In einer<br />

Weise, die so recht erst wissenschaftlich einzuordnen ist, wenn man Diltheys Unterscheidung<br />

von erklären<strong>der</strong> <strong>und</strong> beschreiben<strong>der</strong> Psychologie kennt, <strong>und</strong> die wissenschaftlichen Gewichtungen,<br />

die sich anhand einer solchen Unterscheidung ergeben.<br />

Zum an<strong>der</strong>en wird daran ebenfalls augenfällig, dass es, so wie Dilthey das einschätzte, bei einer<br />

empirisch orientierten Erkenntniswissenschaft mit <strong>der</strong> Voraussetzungslosigkeit seine<br />

Grenzen hat. Was Steiner ja weitaus <strong>zur</strong>ückhalten<strong>der</strong> in Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft auch zu<br />

bedenken gibt. Was dem einen (Steiner) nämlich als unbezweifelbares empirisches Faktum<br />

galt, - das tätige Hervorbringen von Gedanken -, das sahen seine wissenschaftlichen Zeitgenossen<br />

überwiegend ganz an<strong>der</strong>s. Und es ist unstrittig einer weiteren empirischen Erhellung<br />

nach verschiedenen Seiten hin fähig <strong>und</strong> bedürftig. Damit aber stösst man innerhalb einer sogenannten<br />

voraussetzungslosen Erkenntnistheorie unweigerlich auf fachspezifische methodische<br />

Fragen, wie man das eigentlich macht, dieses Hervorbringen von Gedanken so klar <strong>und</strong><br />

unzweideutig im Bewusstsein zu beobachten, dass ein Zweifel darüber vollkommen ausgeschlossen<br />

ist. Man ist damit also mitten in <strong>der</strong> (denkpsychologischen) Fachdiskussion über<br />

Gr<strong>und</strong>fragen <strong>und</strong> Methoden <strong>der</strong> seelischen Beobachtung angelangt, von <strong>der</strong> auch Külpe in seinem<br />

Beitrag bei Ziche berichtet, <strong>und</strong> die Wilhelm Dilthey in <strong>der</strong> oben erläuterten Abhandlung

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