24.11.2013 Aufrufe

Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

9<br />

Im weiteren Sinne geht es Kant dabei um die Erkenntnis dieser bildenden Kraft, welche die<br />

materiellen Bestandteile von Lebewesen so beherrscht <strong>und</strong> gestaltet, dass die letzteren als lebendig<br />

gelten. Diese <strong>Kräfte</strong> sind im fraglichen Kontext von GA-18 auch <strong>Steiners</strong> Thema; dort<br />

behandelt am Beispiel Goethes <strong>und</strong> dessen Kantrezeption. Das heisst, bildende <strong>Kräfte</strong>, die als<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Lebendigen anzusehen sind, <strong>und</strong> von denen Kant in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft<br />

(§65, S. 237) sagt, dass sie keine <strong>der</strong> physikalisch bewegenden <strong>Kräfte</strong> sein können, wie sie<br />

den mechanischen Naturerscheinungen zugr<strong>und</strong>e liegen. In Lebewesen nämlich, so Kant,<br />

scheint etwas gestaltend <strong>und</strong> organisierend zu wirken, was Vernunftzwecken gleich kommt.<br />

Man könnte sagen, was unmittelbar intelligent, zielgerichtet <strong>und</strong> absichtsvoll - eben zweckmässig<br />

- wirkt. So etwas aber könne nicht aus den blinden physikalischen o<strong>der</strong> chemischen<br />

Naturkräften allein verstanden werden. Denn aus blinden mechanischen Naturkräften liessen<br />

sich keine Lebewesen erklären, die einen inneren organischen Zusammenhang nach Art eines<br />

vernünftigen Naturzweckes erkennen lassen. O<strong>der</strong> wie Kant es im § 66, S. 239 definiert: "Ein<br />

organisiertes Produkt <strong>der</strong> Natur ist das, in welchem alles Zweck <strong>und</strong> wechselseitig auch Mittel<br />

ist. Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos o<strong>der</strong> einem blinden Naturmechanismus zuzuschreiben."<br />

Lebewesen (organisierte Naturprodukte) scheinen in Kants Augen offensichtlich nach Vernunft-<br />

<strong>und</strong> Zweckprinzipien konzipiert zu sein <strong>und</strong> können folglich mittels rein mechanischer<br />

<strong>Kräfte</strong> (durch blosse Naturkausalität) nicht erklärt o<strong>der</strong> darauf <strong>zur</strong>ückgeführt werden. Es muss<br />

hinter den mechanischen Naturkräften noch etwas geben, was das intelligente <strong>und</strong> weisheitsvolle<br />

Zusammenspiel <strong>der</strong> zahllosen materiellen Komponenten von Lebewesen regelt <strong>und</strong> beherrscht,<br />

so dass von Leben im eigentlichen Sinne erst gesprochen werden kann. Nach rein<br />

mechanistischen Gesetzen ist dieses offenk<strong>und</strong>ig absichtsvolle Wechselspiel nicht zu fassen,<br />

son<strong>der</strong>n es muss wie auch bei je<strong>der</strong> menschlichen Absicht eine Idee o<strong>der</strong> eine Art Plan dahinter<br />

stehen. Es muss demnach in <strong>der</strong> Natur über ihren physikalisch-chemischen Aspekt so etwas<br />

wie eine wirkende <strong>und</strong> waltende, umfassende Intelligenz geben, welche gleichsam als<br />

eine Art Dirigent die mechanischen Gesetze quasi absichtsvoll beherrscht. In <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Organisationsform von Lebewesen liegt nach Kant infolgedessen etwas, was unmittelbar auf<br />

übersinnliche Quellen führt, die als wirkende <strong>und</strong> gestaltende Vernunft hinter den physikochemischen<br />

<strong>Kräfte</strong>n stehen.<br />

Für Kant allerdings bleibt dies lediglich ein philosophischer Gedankengang ohne echte positive<br />

Konsequenzen. Und zwar im doppelten Sinne, wie oben schon angemerkt, weil er we<strong>der</strong><br />

die übersinnliche, noch die mechanische Erkenntnis des Lebendigen für möglich hält. Er<br />

glaubt nicht an einen Newton <strong>der</strong> Biologie, <strong>der</strong> nach mechanischen Gesetzen auch nur das<br />

Werden eines einzigen Grashalmes herleiten könnte. Und die Erkenntnis <strong>der</strong> übersinnlichen<br />

Gestaltungsprinzipien hält er ebenfalls schlechterdings für ausgeschlossen. Eine Inkonsequenz,<br />

die Goethe in dem kurzen Essay Anschauende Urteilskraft humoristisch aufgespiesst<br />

hat mit <strong>der</strong> Bemerkung, ihm dünke: " ... <strong>der</strong> köstliche Mann verfahre schalkhaft ironisch, in<br />

dem er bald das Erkenntnisvermögen aufs engste einzuschränken bemüht schien, bald über<br />

die Grenzen, die er selbst gezogen hatte, mit einem Seitenwink hinausdeutete." 8<br />

Die tatsächliche Erkenntnis des Lebendigen <strong>und</strong> leben<strong>der</strong> Wesen einschliesslich <strong>der</strong> hinter ihnen<br />

liegenden gestaltenden Vernunftprinzipien, das lässt sich unschwer anhand <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong><br />

Urteilskraft zeigen, schliesst Kant für den Menschen vollständig aus. Insofern diese Erkenntnis<br />

zwangsläufig auf das Übersinnliche führt, <strong>und</strong> damit in den Augen Kants einen höheren<br />

(§77, S. 270 ff), intuitiven (§ 77, S. 272) o<strong>der</strong> urbildlichen (§ 77, S. 273f) Verstand verlangt,<br />

<strong>der</strong> laut Kant für den Menschen nicht erreichbar ist, - wohl aber (dem eigenen Selbstverständ­<br />

8<br />

Siehe dazu Johann Wolfgang von Goethe, Anschauende Urteilskraft, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band<br />

13, München 1975, S. 30 f<br />

Siehe diesen Essay auch im Internet unter: http://www.merke.ch/goethe/wissenschaft/anschauende.php<br />

In <strong>der</strong> von Rudolf Steiner kommentierten Variante aus Kürschners Deutscher Nationalliteratur finden<br />

Sie ihn hier: http://archive.org/stream/werkegoe33goetuoft#page/114/mode/2up

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!