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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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89<br />

<strong>Philosophie</strong>. Ich sagte es ja oben schon: dem Autor (Traub) fehlt jedes aufgeklärte Bewusstsein<br />

für wissenschaftsgeschichtliche Sachverhalte <strong>der</strong> zeitgenössischen Erkenntnispsychologie,<br />

die <strong>zur</strong> Beurteilung <strong>Steiners</strong> wesentlich sind. Aber das letztere, ich muss das hier gerechterweise<br />

hinzufügen, gilt, - freilich mit an<strong>der</strong>en Folgen -, ebenso für die Anhängerschaft <strong>Steiners</strong>,<br />

die offensichtlich in gr<strong>und</strong>legenden Dingen vielfach von <strong>der</strong>selben Blindheit <strong>und</strong> Abstinenz<br />

für Fragen <strong>der</strong> zeitgenössischen Psychologie <strong>Steiners</strong> geplagt ist. Hartmut Traub ist da<br />

mit seiner inneren Blockade für diese Verhältnisse keine Ausnahmeerscheinung.<br />

Dass Steiner infolge <strong>der</strong> Zeitverhältnisse mit seinen Überzeugungen <strong>und</strong> seinem Forschungsprojekt,<br />

nach dem Ursprung des Denkens zu suchen, damals keine offenen Türen einrannte,<br />

ist sicherlich mehr als erklärlich. Erklärlich ist infolgedessen aber auch manche psychologische<br />

Verkürzung <strong>und</strong> Unvollkommenheit seiner Frühschriften, weil es für all diese Dinge damals<br />

wegen dem von Dilthey geschil<strong>der</strong>ten desolaten Wissenschaftsstand einfach keine verlässlichen<br />

<strong>und</strong> soliden Quellen gab, auf die sich ein seriöser Empirist, Philosoph <strong>und</strong> Erkenntnistheoretiker<br />

hätte berufen können. All die empirischen zeitgenössischen Quellen, die es seinerzeit<br />

gab, waren Dilthey zufolge fast ausnahmslos höchst einseitig hypothesen- <strong>und</strong> theoriebelastet,<br />

<strong>und</strong> hatten mit <strong>der</strong> konkreten Wirklichkeit des seelischen Erkenntnislebens nichts<br />

o<strong>der</strong> wenig zu tun. Külpe äussert sich dazu entsprechend. Das hatte sich sehr entschieden erst<br />

um 1915 geän<strong>der</strong>t, so dass Steiner damals überhaupt den Wunsch nach einem psychologischen<br />

Laboratorium realistischerweise äussern konnte. Viel früher wäre das relativ wenig<br />

sinnhaltig gewesen, denn eines <strong>der</strong> allerersten solcher Laboratorien weltweit wurde erst von<br />

Wilhelm W<strong>und</strong>t 1879 in Leipzig gegründet. Und was man dort empirisch psychologisch betrieb,<br />

hatte mit den höheren Seelenfähigkeiten wie Denkprozessen <strong>und</strong> Willensakten ebenfalls<br />

nichts zu tun. Diese traten erst sehr, sehr spät in den Fokus des Interesses. Siehe auch dazu<br />

den erwähnten Beitrag Oswald Külpes, <strong>der</strong> als W<strong>und</strong>ts Assistent aus diesem Umfeld stammt,<br />

<strong>und</strong> dies alles als Insi<strong>der</strong> miterlebt hat, im Sammelband von Paul Ziche.<br />

Man muss also bei Steiner mancherlei problematische Aspekte berücksichtigen, um ihm gerecht<br />

zu werden: Er macht etwas durchaus an<strong>der</strong>es als Kant, nämlich ausdrücklich psychologisch<br />

orientierte Erkenntniswissenschaft, die <strong>zur</strong> Basis seiner späteren Geisteswissenschaft<br />

werden soll. Das aber in einer Zeit, in <strong>der</strong> wissenschaftsgeschichtlich gesehen das psychologische<br />

Umfeld dazu alles an<strong>der</strong>e als ausgereift, son<strong>der</strong>n überhaupt erst im allerersten Entstehen<br />

begriffen war. Mit allen Unvollständigkeiten, die das mit sich brachte. Und das alles auch<br />

noch unter Bedingungen, die in <strong>der</strong> Hauptphase seines Schaffens eine professionelle akademische<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung, wenn überhaupt, dann nur sehr eingeschränkt zuliessen. Die Hauptarbeit<br />

<strong>der</strong> psychologisch-geisteswissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagenforschung hat er infolgedessen<br />

seinen Nachfolgern überlassen, von denen die meisten noch nicht einmal ahnen, worum es bei<br />

dieser Gr<strong>und</strong>lagenforschung überhaupt geht <strong>und</strong> was das ist.<br />

Von seinen naturwissenschaftlich geprägten psychologischen Zunftgenossen spricht Külpe in<br />

seinem Beitrag bei Ziche mit einer gewissen Bitterkeit davon, dass sie den Menschen Steine<br />

gäben, statt Brot. 117 Man möchte das bisweilen ergänzen: Bei den anthroposophisch geprägten<br />

Publizisten muss man wohl allzu oft sagen, dass es sich bei ihnen um eine <strong>und</strong>efinierbare<br />

Müslimischung handelt, von <strong>der</strong> keiner weiss, was drin ist. Und sich fragen, ob sie <strong>der</strong><br />

menschlichen Ges<strong>und</strong>heit überhaupt zuträglich ist, o<strong>der</strong> ihr nicht vielmehr ernsthaft schadet.<br />

Hinsichtlich des Hervorbringens von Gedanken, war die Auffassung <strong>Steiners</strong>, wie er sie in<br />

Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft beziehungsweise in seiner Dissertation vertrat, also alles an<strong>der</strong>e<br />

als ungeteilt. Eduard von Hartmann hat diese Vorstellung vom Hervorbringen, es ist auch das<br />

Schlüsselthema in <strong>der</strong> ersten Auflage <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> von 1894, dort im vierten<br />

117<br />

Oswald Külpe, Über die mo<strong>der</strong>ne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,<br />

Kunst <strong>und</strong> Technik, 6, 1912. Wie<strong>der</strong>abdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung<br />

des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S. 54.

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