Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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Seelenrätseln anlässlich seines Wunsches nach einem psychologischen Laboratorium spricht.<br />
Die Dinge sind, wie wir wissen, an<strong>der</strong>s gekommen. 115<br />
Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, dass Steiner in <strong>der</strong> Zeit seiner Frühschriften wenig<br />
bis kaum Möglichkeiten auf <strong>der</strong> empirisch psychologischen Ebene vorfand, die er hätte erkenntnispsychologisch<br />
aufnehmen können, weil die Zeit nicht danach war. Umso wichtiger<br />
scheint es mir zu sein, das Wenige, von dem wir wissen können, näher in Augenschein zu<br />
nehmen. In Fragen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> gab es dagegen Anlehnungspunkte genug. So viele, dass<br />
Bearbeiter seines Werkes wie Traub den Eindruck vermitteln, Steiner habe samt <strong>und</strong> son<strong>der</strong>s<br />
alles halbseiden daraus abgekupfert, <strong>und</strong> es hernach nur noch esoterisch aufgeschäumt. Das<br />
ist natürlich eine Folge von Traubs kompletter Blindheit für die psychologische Orientierung<br />
<strong>Steiners</strong> in einer dafür schwierigen Zeit. Ein Problem von Traubs extrem selektiver Wahrnehmung.<br />
Schaut man nämlich nur auf <strong>Steiners</strong> philosophische Anknüpfungsversuche an die<br />
Klassiker <strong>der</strong> jüngeren <strong>Philosophie</strong>, dann erhält man notgedrungen auch nur ein vollkommen<br />
einseitiges, wirklichkeitsfremdes Zerrbild seines Werkes. Durchaus analog, nur von philosophischer<br />
Seite, dem Zerrbild, das Prokofieff von Seiten <strong>der</strong> Anthroposophen über die <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> entwarf. Wirklich ein Zerrbild, denn die traditionelle <strong>Philosophie</strong> war für<br />
Steiner weit weniger wichtig als die Erkenntnis des menschlichen Seelenerlebens. 116 Dafür<br />
aber gab es in <strong>der</strong> damaligen Zeit aus den genannten Gründen kaum Vorbil<strong>der</strong>, an denen er<br />
sich hätte anlehnen, <strong>und</strong> die er hätte quellenrelevant rezipieren können. Und das hat sich auch<br />
in <strong>der</strong> Quellenlage entsprechend nie<strong>der</strong>geschlagen. Und wo für Hartmut Traub wegen marginaler<br />
Quellenlage scheinbar nichts ist, da stellt er auch nichts fest. Die wenigen aussagekräftigen<br />
Quellen hingegen, die <strong>zur</strong> empirisch psychologischen Orientierung <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen Erkenntniswissenschaft<br />
existieren, hat er wie gezeigt auch noch ausgeblendet. So dass ein<br />
zwanghaft auf philosophische Traditions- <strong>und</strong> Rezeptionsstränge fixierter Fachmann wie<br />
Traub, weil er nicht danach sucht, auch nichts Entsprechendes findet, <strong>und</strong> naiverweise glaubt,<br />
da wäre sowieso nichts vorhanden, abgesehen von schlecht abgekupferten Versatzstücken <strong>der</strong><br />
115<br />
Ob es in einem ausschliesslich universitären Rahmen allerdings <strong>zur</strong> Anthroposophie hätte kommen können, ist<br />
eine sehr berechtigte Frage. Steiner selbst verneint dies laut Bericht von Fred Poeppig einmal vortragshalber unter<br />
Hinweis auf die notwendige Unabhängigkeit von akademischen Institutionen, was sich mit Blick auf die<br />
Schwerfälligkeit solcher Einrichtungen gut nachvollziehen lässt. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite zeigt <strong>Steiners</strong> Wunsch<br />
nach einem psychologischen Laboratorium auch die Kehrseite dieser Unabhängigkeit. Irgendwie müssen eben<br />
die infolge <strong>der</strong> Unabhängigkeit entstandenen Lücken auch einmal aufgearbeitet <strong>und</strong> geschlossen werden. Siehe<br />
Fred Poeppig in GA-217a, Dornach 1981, S. 209.<br />
Siehe ebenfalls dazu: Andreas Nei<strong>der</strong>, Rudolf Steiner <strong>und</strong> Eduard von Hartmann. In: Beiträge <strong>zur</strong> Rudolf<br />
Steiner Gesamtausgabe. Veröffentlichungen aus dem Archiv. Heft Nr. 85/136 Michaeli 1984, S. 76. Dort<br />
auch die entsprechende Quellenangabe.<br />
116<br />
Steiner hatte mit Blick auf die 1893/1894 erschienene <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> schon gegenüber Rosa Mayre<strong>der</strong><br />
brieflich zum Ausdruck gebracht, dass ihn die traditionelle <strong>Philosophie</strong> relativ wenig im üblichen Sinne interessierte,<br />
son<strong>der</strong>n fast nur noch als Erlebnis des Einzelnen. Siehe dazu <strong>Steiners</strong> Brief an Rosa Mayre<strong>der</strong> vom 4.<br />
November 1894 in GA-39, Dornach 1987, S. 231 ff:<br />
"Sie sagen mir: das Buch ist zu kurz; es hätte aus jedem Kapitel ein Buch gemacht werden sollen.<br />
Ich kann dieser Bemerkung, sofern sie objektiv gemeint ist, nicht wi<strong>der</strong>sprechen. Die Erklärung dafür ist aber<br />
in meiner Subjektivität gegeben. Ich lehre nicht; ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es<br />
so, wie ich es gelebt habe. Es ist alles in meinem Buche persönlich gemeint. Auch die Form <strong>der</strong> Gedanken.<br />
Eine lehrhafte Natur könnte die Sache erweitern. Ich vielleicht auch zu seiner Zeit. Zunächst wollte ich die<br />
Biographie einer sich <strong>zur</strong> <strong>Freiheit</strong> emporringenden Seele zeigen. Man kann da nichts tun für jene, welche mit<br />
einem über Klippen <strong>und</strong> Abgründe wollen. Man muß selbst sehen, darüberzukommen. Stehenzubleiben <strong>und</strong><br />
erst an<strong>der</strong>en klar machen: wie sie am leichtesten darüberkommen, dazu brennt im Innern zu sehr die Sehnsucht<br />
nach dem Ziele. Ich glaube auch, ich wäre gestürzt: hätte ich versucht, die geeigneten Wege sogleich für an<strong>der</strong>e<br />
zu suchen. Ich bin meinen gegangen, so gut ich konnte; hinterher habe ich diesen Weg beschrieben. Wie an<strong>der</strong>e<br />
gehen sollen, dafür könnte ich vielleicht hinterher h<strong>und</strong>ert Weisen finden. Zunächst wollte ich von diesen keine<br />
zu Papier bringen. Willkürlich, ganz individuell ist bei mir manche Klippe übersprungen, durch Dickicht<br />
habe ich mich in meiner nur mir eigenen Weise durchgearbeitet. Wenn man ans Ziel kommt, weiß man erst,<br />
daß man da ist. Vielleicht ist aber überhaupt die Zeit des Lehrens in Dingen, wie das meine, vorüber. Mich<br />
interessiert die <strong>Philosophie</strong> fast nur noch als Erlebnis des Einzelnen."