Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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85<br />
ner dort, bei <strong>der</strong> seelischen Beobachtung von Erkenntnisprozessen, ihren wissenschaftlichen<br />
Ausgang nimmt. Ganz explizit in Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft.<br />
Nun war Steiner sicherlich etwas verwegen mit <strong>der</strong> Behauptung, dass selbst ein Wahnsinniger<br />
nie von seinen Begriffen <strong>und</strong> Ideen sagen würde, sie seien ohne seine Tätigkeit in die Welt des<br />
Gegebenen eingetreten. So ad hoc vermute ich einmal, dass ihm sein Doktorvater Heinrich<br />
von Stein so eine Formulierung - sie findet sich gleichlautend auch in seiner Dissertation auf<br />
S. 27 - ziemlich übel genommen hat. Denn was Steiner dort behauptet entsprach nicht <strong>der</strong><br />
wissenschaftlichen Sachlage seinerzeit. Vielleicht galt seine, gemessen an den Zeitverhältnissen,<br />
etwas kühne <strong>und</strong> vorschnelle These für einen von theoretischer Vorbildung unbelasteten<br />
Laien - für die Mehrheit <strong>der</strong> einschlägig beschäftigten Fachwissenschaftler jedenfalls nachweislich<br />
nicht. Das heisst: über das Hervorbringen von Gedanken herrschte damals allergrösste<br />
Unklarheit unter den Philosophen <strong>und</strong> Psychologen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> grösste Gegensatz in den Auffassungen.<br />
Steiner hatte eine persönliche Überzeugung <strong>und</strong> vermutlich auch Erlebnisgr<strong>und</strong>lage<br />
von Denkaktivität, die durchaus nicht repräsentativ dem Stand <strong>der</strong> damaligen Wissenschaft<br />
entsprach. In einer Dissertation hätten die kontroversen Standpunkte dazu wenigstens ansatzweise<br />
diskutiert werden müssen, wie wir es oben bei Wilhelm Dilthey ausführlich <strong>und</strong> allgemeiner<br />
gehalten durchgeführt finden. Und wie es Steiner ja selbst auch wenige Jahre zuvor<br />
(1886) im Psychologiekapitel <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>linien ... mit Blick auf die mechanistisch geprägte<br />
zeitgenössische Psychologie schon moniert hatte. Die Sachlage an sich jedenfalls war ihm augenfällig<br />
bekannt.<br />
Nicht, dass Steiner mit seiner Ansicht von Denkaktivität etwa völlig alleine dagestanden hätte,<br />
aber die Mehrheit <strong>der</strong> empirisch orientierten Wissenschaftler dachte seinerzeit an<strong>der</strong>s darüber.<br />
Wir haben dazu oben schon von Dilthey etwas gehört. Wenn Sie Diltheys Abhandlung durchstudieren,<br />
werden Sie noch weit mehr Hinweise darauf finden. Bei Johannes Volkelt ebenfalls,<br />
<strong>und</strong> sehr dezidiert äussert sich dazu Oswald Külpe in seinem Beitrag im Sammelband von<br />
Paul Ziche. Denkaktivitäten waren in <strong>der</strong> beginnenden Ära <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Psychologie für den<br />
empirisch wissenschaftlichen Mainstream kein ernstgenommenes Thema. O<strong>der</strong> um es knallhart<br />
zu sagen: Es gab für ihn gar keine! Entwe<strong>der</strong> wurden sie assoziationspsychologisch, hirnphysiologisch<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitig wegerklärt. O<strong>der</strong> etwa von Hartmann mittels verschiedener<br />
Hpothesenansätze (siehe oben) <strong>zur</strong> sek<strong>und</strong>ären Täuschung umdefiniert.<br />
Zur faktischen <strong>und</strong> allgemeineren wissenschaftlichen Anerkennung von individueller Denkaktivität<br />
kam es Oswald Külpe zufolge erst vergleichsweise sehr spät, jedenfalls nicht in <strong>der</strong><br />
Zeit, in <strong>der</strong> Steiner seine gewagte Behauptung platzierte. Dass es dazu überhaupt kam, hat viel<br />
mit Külpes eigener Forschungsarbeit zu tun. Und selbst für Johannes Volkelt gab es in den<br />
Seelenerlebnissen, auf die er sich in <strong>der</strong> Schrift Erfahrung <strong>und</strong> Denken von 1886 bezieht, einer<br />
massgeblichen Quelle <strong>Steiners</strong> für den Begriff des Gegebenen, keine ursächliche Denkaktivität<br />
wie bei Steiner, Külpe o<strong>der</strong> Dilthey. Volkelt streitet das sogar ausdrücklich ab. In seiner,<br />
Steiner als Quelle dienenden Schrift Erfahrung <strong>und</strong> Denken, hat er sich diesem Thema auf S.<br />
83 ff unter dem Titel: Das Diskontinuierliche, Kausalitäts- <strong>und</strong> Regellose <strong>der</strong> Bewußtseinsvorgänge<br />
als solcher, <strong>und</strong> auch an an<strong>der</strong>en Stellen ausführlich gewidmet. Davon werden wir<br />
noch näher berichten. Und gerade dieser von Steiner in <strong>der</strong> Dissertation übergangene <strong>und</strong> unerwähnte<br />
Dissens zu Volkelt, <strong>der</strong> eigenen, explizit auf ihrer ersten Seite genannten Quelle,<br />
scheint mir bei Steiner einer <strong>der</strong> spannendsten vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> damaligen psychologisch<br />
orientierten Erkenntnistheorie zu sein. Denn er ist alles an<strong>der</strong>e als harmlos <strong>und</strong> betrifft<br />
bei Steiner den Kern <strong>der</strong> persönlichen dort vorgelegten Überzeugung <strong>und</strong> Erkenntniswissenschaft.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e Volkelts ausführliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Problem <strong>der</strong> inneren Kausalität,<br />
die man bei Steiner auf gr<strong>und</strong> seiner Quellenangabe als bekannt voraussetzen musste <strong>und</strong><br />
konnte, macht deutlich, wie weit ab die <strong>Philosophie</strong> seinerzeit von <strong>Steiners</strong> Einschätzung<br />
stand. De facto indessen, <strong>und</strong> ohne überhaupt darauf einzugehen, hat Steiner sämtliche Erwä