Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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Steiner seinerseits antwortet in den Ergänzungen von 1918 (S. 55 f) auf Hartmanns Kritik 110<br />
mit einer Rechtfertigung, die ganz auf <strong>der</strong> Argumentationsebene Diltheys liegt, <strong>und</strong> gemäss<br />
<strong>der</strong> Kategorisierung Diltheys <strong>der</strong> beschreibenden Psychologie angehört: "Von einer Persönlichkeit,<br />
welche <strong>der</strong> Verfasser dieses Buches als Denker sehr hochschätzt, ist ihm eingewendet<br />
worden, daß so, wie es hier geschieht, nicht über das Denken gesprochen werden könne, weil<br />
es nur ein Schein sei, was man als tätiges Denken zu beobachten glaube. In Wirklichkeit beobachte<br />
man nur die Ergebnisse einer nicht bewußten Tätigkeit, die dem Denken zugr<strong>und</strong>e<br />
liegt. Nur weil diese nicht bewußte Tätigkeit eben nicht beobachtet werde, entstehe die Täuschung,<br />
es bestehe das beobachtete Denken durch sich selbst, wie wenn man bei rasch aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong><br />
Beleuchtung durch elektrische Funken eine Bewegung zu sehen glaubt. Auch<br />
dieser Einwand beruht nur auf einer ungenauen Anschauung <strong>der</strong> Sachlage. Wer ihn macht, berücksichtigt<br />
nicht, daß es das «Ich» selbst ist, das im Denken drinnen stehend seine Tätigkeit<br />
beobachtet. Es müßte das «Ich» außer dem Denken stehen, wenn es so getäuscht werden<br />
könnte, wie bei rasch aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong> Beleuchtung durch elektrische Funken. Man<br />
könnte vielmehr sagen: wer einen solchen Vergleich macht, <strong>der</strong> täuscht sich gewaltsam etwa<br />
wie jemand, <strong>der</strong> von einem in Bewegung begriffenen Licht durchaus sagen wollte: es wird an<br />
jedem Orte, an dem es erscheint, von unbekannter Hand neu angezündet. - Nein, wer in dem<br />
Denken etwas an<strong>der</strong>es sehen will als das im « Ich» selbst als überschaubare Tätigkeit Hervorgebrachte,<br />
<strong>der</strong> muß sich erst für den einfachen, <strong>der</strong> Beobachtung vorliegenden Tatbestand<br />
blind machen, um dann eine hypothetische Tätigkeit dem Denken zugr<strong>und</strong>e legen zu können.<br />
Wer sich nicht so blind macht, <strong>der</strong> muß erkennen, daß alles, was er in dieser Art zu dem Denken<br />
«hinzudenkt», aus dem Wesen des Denkens herausführt. Die unbefangene Beobachtung<br />
ergibt, daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann, was nicht im Denken<br />
selbst gef<strong>und</strong>en wird. Man kann nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn man<br />
den Bereich des Denkens verläßt."<br />
Man beachte <strong>Steiners</strong> Worte: "daß es das «Ich» selbst ist, das im Denken drinnen stehend seine<br />
Tätigkeit beobachtet. Es müßte das «Ich» außer dem Denken stehen, wenn es so getäuscht<br />
werden könnte, wie bei rasch aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong> Beleuchtung durch elektrische Funken.<br />
Man könnte vielmehr sagen: wer einen solchen Vergleich macht, <strong>der</strong> täuscht sich gewaltsam<br />
etwa wie jemand, <strong>der</strong> von einem in Bewegung begriffenen Licht durchaus sagen wollte: es<br />
wird an jedem Orte, an dem es erscheint, von unbekannter Hand neu angezündet." Mit dieser<br />
kritischen Rechtfertigung liegt Steiner argumentativ <strong>und</strong> methodisch ganz auf <strong>der</strong> beschreibenden<br />
psychologischen Linie Wilhelm Diltheys: Die Tätigkeit des Denkens ist unmittelbar<br />
erlebter <strong>und</strong> unhintergehbarer seelischer Zusammenhang. Über diesen unmittelbar erlebten<br />
Zusammenhang lässt sich nicht mit sachfremden Hypothesen hinausgehen <strong>und</strong> die Tätigkeit<br />
des Denkens damit weg, o<strong>der</strong> zum Schein deklarieren, <strong>und</strong> durch etwas ersetzen, das in <strong>der</strong><br />
Erfahrung nicht (bei Hartmann sogar niemals!) vorliegt. Man kann also das tätige Denken<br />
nicht durch eine hypothetisch unterstellte <strong>und</strong> unbewusste Tätigkeit substituieren, son<strong>der</strong>n nur<br />
etwas charakterisieren o<strong>der</strong> beschreiben, was innerhalb des erlebten Denkens <strong>und</strong> des offen<br />
110<br />
Siehe zu <strong>Steiners</strong> Entgegnung auf Hartmanns Einwände die Anmerkungen <strong>der</strong> Herausgeber <strong>der</strong> GA-4, Dornach<br />
1995, S. 277: "Gemeint ist <strong>der</strong> Philosoph Eduard von Hartmann (1842-1906). Schon Rudolf <strong>Steiners</strong> erweiterte<br />
Dissertation «Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft, Vorspiel einer < <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> >» (Weimar<br />
1892) trug die gedruckte Widmung: «Dr. Eduard von Hartmann in warmer Verehrung zugeeignet.» Auch seine<br />
«<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>» hatte Rudolf Steiner an Hartmann gesandt, <strong>und</strong> dieser hat sie innerhalb von zwei<br />
Wochen gründlich studiert <strong>und</strong>, versehen mit zahlreichen Kommentaren, Randbemerkungen <strong>und</strong> Anstreichungen,<br />
an Rudolf Steiner geschickt. Diese Kommentare <strong>und</strong> Randbemerkungen Eduard von Hartmanns sind jetzt<br />
veröffentlicht in «Beiträge <strong>zur</strong> Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Nr. 85/86, Dornach Michaeli 1984. Die Einwendungen<br />
Hartmanns, die Rudolf Steiner hier erwähnt, beziehen sich auf S. 46 <strong>der</strong> vorliegenden Ausgabe <strong>und</strong><br />
lauten: zu Zeile 6f <strong>und</strong> 8: «nein!», «nein!», zu Zeile 7: «Er beobachtet auch hier nur die Ergebnisse seiner hervorbringenden<br />
Tätigkeit, nicht diese selbst; letzteres ist Täuschung, wie wenn wir bei rasch aufeinan<strong>der</strong>folgen<strong>der</strong><br />
Beleuchtung durch elektrische Funken eine Bewegung zu sehen glauben.»"