Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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8 mut Traub auch nicht ausführlicher dazu aus, was er persönlich unter einer lebendigen Erkenntnistheorie versteht. Quellenkritisch lässt sich demgegenüber präzise demonstrieren, dass Steiner in dem von Traub als Zeugnis angeführten Sinnzusammenhang in GA-18 keineswegs polemisch auf eine wie immer geartete lebendige oder unlebendige Erkenntnistheorie Kants zielt, sondern wie gesagt auf eine Erkenntnis des Lebendigen und lebender Wesen. Diese Problematik aus Kants Kritik der Urteilskraft, die sich bei Kant herleitet aus seiner eingehenden Untersuchung sogenannter Naturzwecke, und in die Frage mündet: was organisiert lebende Wesen? Und wie können wir das erkennen? - Das liegt im Fokus der Steinerschen Aufmerksamkeit. Und zwar ganz im direkten, und nicht etwa metaphorischen Wortsinn. Gegenstand der Steinerschen Betrachtung also ist, soweit sie auf Kant zielt, dessen Kritik der Urteilskraft, nicht aber die Kritik der reinen Vernunft. In der Kritik der Urteilskraft - und das ist in mancherlei Hinsicht aufschlussreich für das Verständnis der Steinerschen Philosophie - ist es speziell deren Behandlung der Erkenntnis bildender Kräfte. Anhand dieser Frage thematisiert Kant in der Kritik der Urteilskraft nämlich auch die mögliche oder unerreichbare Erkenntnis eines Übersinnlichen. Und Goethe, den Steiner im betreffenden Umfeld von GA-18 schwerpunktmässig behandelt, nimmt für sich in Anspruch das Vermögen zu besitzen, übersinnliche Bildekräfte zu erkennen. Die Entdeckung der Urpflanze, in Goethes Augen liegt sie als wirkendes Bildeprinzip allen Pflanzen zugrunde, ist für Goethe ein Ausdruck dieses Erkenntnisvermögens. Auf der anderen Seite entspricht die Goethesche Urpflanze aus der Sicht von Kants Begrifflichkeit in der Kritik der Urteilskraft demjenigen, was Kant den Pflanzen als organisierten (Lebe) Wesen als bildende Kraft philosophisch zugrundelegt. Eben eine übersinnliche, wirkende Kraftwesenheit und kein nur theoretisches Bildeschema. Dies alles thematisiert Steiner etwas weitläufiger, aber nicht in allen hier angedeuteten Details, im Umfeld der von Traub genannten Textstelle. Der Terminus bildende Kraft taucht dort bei Steiner, anders als bei Kant, soweit ich sehe allerdings (noch) nicht auf. Sehen wir uns den Ausdruck bildende Kraft bei Kant einmal etwas an. Kant verwendet ihn in der Kritik der Urteilskraft im § 65 explizit für dasjenige, was den Lebewesen - von Kant hier summarisch als organisierte Wesen bezeichnet - als organisierende Kraft zugrunde liegt. So sagt er in § 65, S. 237: "Ein organisiertes Wesen [Lebewesen, MM] ist also nicht bloß Maschine, denn die hat lediglich bewegende Kraft, sondern es besitzt in sich bildende Kraft, und zwar eine solche, die es den Materien mitteilt, welche sie nicht haben (sie organisiert), also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den Mechanism) nicht erklärt werden kann." 7 6 Siehe Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, herausgegeben von Alois Höfler, Leipzig 1900,Vorrede. Im Internet frei zugänglich unter: http://archive.org/details/metaphysischeanf00kantuoft 7 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, fünfte Auflage, herausgegeben von Karl Vorländer, Leipzig 1922, § 65, S. 237. Im Internet frei erhältlich bei http://ia700409.us.archive.org/24/items/kritikderurteils00kantuoft/kritikderurteils00kantuoft.pdf Der Ausdruck "bildende Kraft" taucht mehrfach in der Kritik der Urteilskraft auf. Siehe etwa auch §81, S. 292. Wobei Kant hinsichtlich dieses Ausdrucks in § 81 auf den Göttinger Gelehrten Blumenbach und dessen Schrift Über den Bildungstrieb, (Göttingen 1781/1789) verweist. (Im Internet erreichbar unter: http://archive.org/stream/berdenbildungst01blumgoog#page/n7/mode/2up ) Goethe war neben Kants Auffassung über die bildenden Kräfte in der KrdU auch der massgebliche Urheber dieses Ausdrucks, Blumenbach, einschliesslich dessen Lehre vom Bildungstrieb, bekannt. Siehe dazu: http://anthrowiki.at/Bibliothek:Goethe/Naturwissenschaft/Bildungstrieb Die von Rudolf Steiner herausgegebene und kommentierte Version von Goethes Bemerkungen zum Blumenbachschen Bildungstrieb aus Kürschners Deutscher National Literatur finden Sie hier: http://archive.org/stream/werkegoe33goetuoft#page/118/mode/2up Den gesamten von Rudolf Steiner herausgegebenen Band aus Kürschners Deutscher National Literatur hier: http://ia700502.us.archive.org/11/items/werkegoe33goetuoft/werkegoe33goetuoft.pdf

9 Im weiteren Sinne geht es Kant dabei um die Erkenntnis dieser bildenden Kraft, welche die materiellen Bestandteile von Lebewesen so beherrscht und gestaltet, dass die letzteren als lebendig gelten. Diese Kräfte sind im fraglichen Kontext von GA-18 auch Steiners Thema; dort behandelt am Beispiel Goethes und dessen Kantrezeption. Das heisst, bildende Kräfte, die als Grundlage des Lebendigen anzusehen sind, und von denen Kant in der Kritik der Urteilskraft (§65, S. 237) sagt, dass sie keine der physikalisch bewegenden Kräfte sein können, wie sie den mechanischen Naturerscheinungen zugrunde liegen. In Lebewesen nämlich, so Kant, scheint etwas gestaltend und organisierend zu wirken, was Vernunftzwecken gleich kommt. Man könnte sagen, was unmittelbar intelligent, zielgerichtet und absichtsvoll - eben zweckmässig - wirkt. So etwas aber könne nicht aus den blinden physikalischen oder chemischen Naturkräften allein verstanden werden. Denn aus blinden mechanischen Naturkräften liessen sich keine Lebewesen erklären, die einen inneren organischen Zusammenhang nach Art eines vernünftigen Naturzweckes erkennen lassen. Oder wie Kant es im § 66, S. 239 definiert: "Ein organisiertes Produkt der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist. Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos oder einem blinden Naturmechanismus zuzuschreiben." Lebewesen (organisierte Naturprodukte) scheinen in Kants Augen offensichtlich nach Vernunft- und Zweckprinzipien konzipiert zu sein und können folglich mittels rein mechanischer Kräfte (durch blosse Naturkausalität) nicht erklärt oder darauf zurückgeführt werden. Es muss hinter den mechanischen Naturkräften noch etwas geben, was das intelligente und weisheitsvolle Zusammenspiel der zahllosen materiellen Komponenten von Lebewesen regelt und beherrscht, so dass von Leben im eigentlichen Sinne erst gesprochen werden kann. Nach rein mechanistischen Gesetzen ist dieses offenkundig absichtsvolle Wechselspiel nicht zu fassen, sondern es muss wie auch bei jeder menschlichen Absicht eine Idee oder eine Art Plan dahinter stehen. Es muss demnach in der Natur über ihren physikalisch-chemischen Aspekt so etwas wie eine wirkende und waltende, umfassende Intelligenz geben, welche gleichsam als eine Art Dirigent die mechanischen Gesetze quasi absichtsvoll beherrscht. In der besonderen Organisationsform von Lebewesen liegt nach Kant infolgedessen etwas, was unmittelbar auf übersinnliche Quellen führt, die als wirkende und gestaltende Vernunft hinter den physikochemischen Kräften stehen. Für Kant allerdings bleibt dies lediglich ein philosophischer Gedankengang ohne echte positive Konsequenzen. Und zwar im doppelten Sinne, wie oben schon angemerkt, weil er weder die übersinnliche, noch die mechanische Erkenntnis des Lebendigen für möglich hält. Er glaubt nicht an einen Newton der Biologie, der nach mechanischen Gesetzen auch nur das Werden eines einzigen Grashalmes herleiten könnte. Und die Erkenntnis der übersinnlichen Gestaltungsprinzipien hält er ebenfalls schlechterdings für ausgeschlossen. Eine Inkonsequenz, die Goethe in dem kurzen Essay Anschauende Urteilskraft humoristisch aufgespiesst hat mit der Bemerkung, ihm dünke: " ... der köstliche Mann verfahre schalkhaft ironisch, in dem er bald das Erkenntnisvermögen aufs engste einzuschränken bemüht schien, bald über die Grenzen, die er selbst gezogen hatte, mit einem Seitenwink hinausdeutete." 8 Die tatsächliche Erkenntnis des Lebendigen und lebender Wesen einschliesslich der hinter ihnen liegenden gestaltenden Vernunftprinzipien, das lässt sich unschwer anhand der Kritik der Urteilskraft zeigen, schliesst Kant für den Menschen vollständig aus. Insofern diese Erkenntnis zwangsläufig auf das Übersinnliche führt, und damit in den Augen Kants einen höheren (§77, S. 270 ff), intuitiven (§ 77, S. 272) oder urbildlichen (§ 77, S. 273f) Verstand verlangt, der laut Kant für den Menschen nicht erreichbar ist, - wohl aber (dem eigenen Selbstverständ­ 8 Siehe dazu Johann Wolfgang von Goethe, Anschauende Urteilskraft, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 13, München 1975, S. 30 f Siehe diesen Essay auch im Internet unter: http://www.merke.ch/goethe/wissenschaft/anschauende.php In der von Rudolf Steiner kommentierten Variante aus Kürschners Deutscher Nationalliteratur finden Sie ihn hier: http://archive.org/stream/werkegoe33goetuoft#page/114/mode/2up

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mut Traub auch nicht ausführlicher dazu aus, was er persönlich unter einer lebendigen Erkenntnistheorie<br />

versteht. Quellenkritisch lässt sich demgegenüber präzise demonstrieren, dass<br />

Steiner in dem von Traub als Zeugnis angeführten Sinnzusammenhang in GA-18 keineswegs<br />

polemisch auf eine wie immer geartete lebendige o<strong>der</strong> unlebendige Erkenntnistheorie Kants<br />

zielt, son<strong>der</strong>n wie gesagt auf eine Erkenntnis des Lebendigen <strong>und</strong> leben<strong>der</strong> Wesen. Diese Problematik<br />

aus Kants Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft, die sich bei Kant herleitet aus seiner eingehenden<br />

Untersuchung sogenannter Naturzwecke, <strong>und</strong> in die Frage mündet: was organisiert lebende<br />

Wesen? Und wie können wir das erkennen? - Das liegt im Fokus <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen Aufmerksamkeit.<br />

Und zwar ganz im direkten, <strong>und</strong> nicht etwa metaphorischen Wortsinn.<br />

Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen Betrachtung also ist, soweit sie auf Kant zielt, dessen Kritik <strong>der</strong><br />

Urteilskraft, nicht aber die Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft. In <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft - <strong>und</strong> das<br />

ist in mancherlei Hinsicht aufschlussreich für das Verständnis <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen <strong>Philosophie</strong> -<br />

ist es speziell <strong>der</strong>en Behandlung <strong>der</strong> Erkenntnis bilden<strong>der</strong> <strong>Kräfte</strong>. Anhand dieser Frage thematisiert<br />

Kant in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft nämlich auch die mögliche o<strong>der</strong> unerreichbare Erkenntnis<br />

eines Übersinnlichen. Und Goethe, den Steiner im betreffenden Umfeld von GA-18<br />

schwerpunktmässig behandelt, nimmt für sich in Anspruch das Vermögen zu besitzen, übersinnliche<br />

Bildekräfte zu erkennen. Die Entdeckung <strong>der</strong> Urpflanze, in Goethes Augen liegt sie<br />

als wirkendes Bildeprinzip allen Pflanzen zugr<strong>und</strong>e, ist für Goethe ein Ausdruck dieses Erkenntnisvermögens.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite entspricht die Goethesche Urpflanze aus <strong>der</strong> Sicht<br />

von Kants Begrifflichkeit in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft demjenigen, was Kant den Pflanzen<br />

als organisierten (Lebe) Wesen als bildende Kraft philosophisch zugr<strong>und</strong>elegt. Eben eine<br />

übersinnliche, wirkende Kraftwesenheit <strong>und</strong> kein nur theoretisches Bildeschema. Dies alles<br />

thematisiert Steiner etwas weitläufiger, aber nicht in allen hier angedeuteten Details, im Umfeld<br />

<strong>der</strong> von Traub genannten Textstelle. Der Terminus bildende Kraft taucht dort bei Steiner,<br />

an<strong>der</strong>s als bei Kant, soweit ich sehe allerdings (noch) nicht auf.<br />

Sehen wir uns den Ausdruck bildende Kraft bei Kant einmal etwas an. Kant verwendet ihn in<br />

<strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft im § 65 explizit für dasjenige, was den Lebewesen - von Kant hier<br />

summarisch als organisierte Wesen bezeichnet - als organisierende Kraft zugr<strong>und</strong>e liegt. So<br />

sagt er in § 65, S. 237: "Ein organisiertes Wesen [Lebewesen, MM] ist also nicht bloß Maschine,<br />

denn die hat lediglich bewegende Kraft, son<strong>der</strong>n es besitzt in sich bildende Kraft, <strong>und</strong><br />

zwar eine solche, die es den Materien mitteilt, welche sie nicht haben (sie organisiert), also<br />

eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen allein (den<br />

Mechanism) nicht erklärt werden kann." 7<br />

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Siehe Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe <strong>der</strong> Naturwissenschaft, herausgegeben von Alois Höfler,<br />

Leipzig 1900,Vorrede. Im Internet frei zugänglich unter:<br />

http://archive.org/details/metaphysischeanf00kantuoft<br />

7<br />

Immanuel Kant, Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft, fünfte Auflage, herausgegeben von Karl Vorlän<strong>der</strong>, Leipzig 1922, § 65,<br />

S. 237. Im Internet frei erhältlich bei<br />

http://ia700409.us.archive.org/24/items/kritik<strong>der</strong>urteils00kantuoft/kritik<strong>der</strong>urteils00kantuoft.pdf<br />

Der Ausdruck "bildende Kraft" taucht mehrfach in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft auf. Siehe etwa auch §81,<br />

S. 292. Wobei Kant hinsichtlich dieses Ausdrucks in § 81 auf den Göttinger Gelehrten Blumenbach <strong>und</strong> dessen<br />

Schrift Über den Bildungstrieb, (Göttingen 1781/1789) verweist. (Im Internet erreichbar unter:<br />

http://archive.org/stream/berdenbildungst01blumgoog#page/n7/mode/2up )<br />

Goethe war neben Kants Auffassung über die bildenden <strong>Kräfte</strong> in <strong>der</strong> KrdU auch <strong>der</strong> massgebliche Urheber<br />

dieses Ausdrucks, Blumenbach, einschliesslich dessen Lehre vom Bildungstrieb, bekannt. Siehe dazu:<br />

http://anthrowiki.at/Bibliothek:Goethe/Naturwissenschaft/Bildungstrieb<br />

Die von Rudolf Steiner herausgegebene <strong>und</strong> kommentierte Version von Goethes Bemerkungen zum<br />

Blumenbachschen Bildungstrieb aus Kürschners Deutscher National Literatur finden Sie hier:<br />

http://archive.org/stream/werkegoe33goetuoft#page/118/mode/2up<br />

Den gesamten von Rudolf Steiner herausgegebenen Band aus Kürschners Deutscher National Literatur<br />

hier:<br />

http://ia700502.us.archive.org/11/items/werkegoe33goetuoft/werkegoe33goetuoft.pdf

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