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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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76<br />

treten in ihr je<strong>der</strong> solchen Hypothesenverbindung ein Dutzend an<strong>der</strong>e gegenüber. Ein Kampf<br />

Aller gegen Alle tobt auf ihrem Gebiete, nicht min<strong>der</strong> heftig, als auf dem Felde <strong>der</strong> Metaphysik.<br />

Noch ist nirgend am fernsten Horizonte etwas sichtbar, was diesen Kampf zu entscheiden<br />

die Kraft haben möchte. Zwar tröstet sie sich mit <strong>der</strong> Zeit, in welcher die Lage <strong>der</strong> Physik <strong>und</strong><br />

Chemie auch nicht besser schien; aber welche unermesslichen Vortheile haben diese vor ihr<br />

voraus in dem Standhalten <strong>der</strong> Objecte, in dem freien Gebrauch des Experiments, in <strong>der</strong><br />

Messbarkeit <strong>der</strong> räumlichen Welt! Zudem hin<strong>der</strong>t die Unlösbarkeit des metaphysischen Problems<br />

vom Verhältniss <strong>der</strong> geistigen Welt <strong>zur</strong> körperlichen die reinliche Durchführung einer<br />

sicheren Causalerkenntniss auf diesem Gebiete. So kann Niemand sagen, oh jemals dieser<br />

Kampf <strong>der</strong> Hypothesen in <strong>der</strong> erklärenden Psychologie endigen wird, <strong>und</strong> wann das geschehen<br />

mag.<br />

So sind wir, wenn wir eine volle Causalerkenntniss herstellen wollen, in einen Nebel von Hypothesen<br />

gebannt, für welche die Möglichkeit ihrer Erprobung an den psychischen Thatsachen<br />

gar nicht in Aussicht steht. Einflussreiche Richtungen <strong>der</strong> Psychologie zeigen das deutlich.<br />

Eine Hypothese solcher Art ist die Lehre von dem Parallelismus <strong>der</strong> Nervenvorgänge<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> geistigen Vorgänge, nach welcher auch die mächtigsten geistigen Thatsachen nur Begleiterscheinungen<br />

unseres körperlichen Lebens sind. Eine solche Hypothese ist die Zurückführung<br />

aller Bewusstseins-Erscheinungen auf atomartig vorgestellte Elemente, welche in gesetzlichen<br />

Verhältnissen auf einan<strong>der</strong> wirken. Eine solche Hypothese ist die mit dem Anspruch<br />

<strong>der</strong> Cansalerklärung auftretende Construction aller seelischen Erscheinungen durch die<br />

beiden Classen <strong>der</strong> Empfindungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Gefühle, wodurch dann das in unserem Bewusstsein<br />

<strong>und</strong> unserer Lebensführung so mächtig auftretende Wollen zu einem sec<strong>und</strong>ären Schein<br />

wird. Durch blosse Hypothesen werden die höheren Seelenvorgänge auf die Association <strong>zur</strong>ückgeführt.<br />

Durch blosse Hypothesen wird aus psychischen Elementen <strong>und</strong> den Processen<br />

zwischen ihnen das Selbstbewusstsein abgeleitet. Nur Hypothesen besitzen wir über die verursachenden<br />

Vorgänge, durch welche <strong>der</strong> erworbene seelische Zusammenhang beständig unsere<br />

bewussten Processe des Schliessens <strong>und</strong> Wollens so mächtig <strong>und</strong> räthselhaft beeinflusst.<br />

Hypothesen, überall nur Hypothesen! Und zwar nicht als untergeordnete Bestandtheile, welche<br />

einzeln dem wissenschaftlichen Gedankengang eingeordnet sind. Solche sind ja, wie wir<br />

sahen, unvermeidlich. Vielmehr Hypothesen, welche als Elemente <strong>der</strong> psychologischen Causalerklärung<br />

die Ableitung aller seelischen Erscheinungen ermöglichen <strong>und</strong> an ihnen sich bewähren<br />

sollen." 106<br />

Dilthey hat damit denselben psychologisch-wissenschaftlichen Zeitgeist näher skizziert, den<br />

Steiner in den Gr<strong>und</strong>linien einer Erkenntnistheorie <strong>der</strong> Goetheschen Weltanschauung (GA-2)<br />

im Kapitel 18. Psychologisches Erkennen auf S. 79 ff weit weniger ausführlich, aber ebenso<br />

kritisch erläutert. Auf den er auch in <strong>der</strong> Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) immer wie<strong>der</strong> kritisch<br />

zu sprechen kommt. Den auch Oswald Külpe 1912 mit einem beson<strong>der</strong>en Augenmerk<br />

auf die zeitgenössische Psychologie des Denkens dem Leser vor Augen führt. 107 Es ist <strong>der</strong><br />

psychologische Zeitgeist, <strong>der</strong> Steiner zwecks Klärung zahlreicher Einzelfragen <strong>und</strong> Entwickelung<br />

<strong>der</strong> "besten Gr<strong>und</strong>lage" vorschwebt, wenn er in <strong>der</strong> Schrift Von Seelenrätseln auf S. 171<br />

so eindringlich hervorhebt: "Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> auf dem anthroposophischen Gesichtspunkt steht,<br />

sehnt sich ebenso wie Brentano, in einem echten psychologischen Laboratorium arbeiten zu<br />

können, ...".<br />

106<br />

Ebd., S. 1312 ff.<br />

107<br />

Oswald Külpe, Über die mo<strong>der</strong>ne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,<br />

Kunst <strong>und</strong> Technik, 6, 1912. Wie<strong>der</strong>abdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung<br />

des Ichs, Springerverlag, Wien, New York, 1999, S. 44-67.

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