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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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71<br />

mer systematisirbaren Unterarten dieser Urform. Diese Urform hat in <strong>der</strong> Psychologie <strong>der</strong> meisten<br />

Philosophen noch keineswegs ihre verdiente Beachtung gef<strong>und</strong>en." 97<br />

Mit dem von Hartmann dort (S. 138) als wegweisend vorgestellten Psychologen Lazarus mit<br />

seiner Verdichtungstheorie des Denkens hat sich unter an<strong>der</strong>em Karl Bühler in seinen denkpsychologischen<br />

Untersuchungen von 1907/1908 auseinan<strong>der</strong>gesetzt, <strong>und</strong> dem Assoziationismus<br />

in <strong>der</strong> Denkpsychologie eine klare Absage erteilt. 98 Deswegen ist es ebenso erhellend zu<br />

sehen, dass <strong>der</strong> idealistisch verwurzelte Assoziationismus <strong>der</strong> Denkpsychologie Hartmanns<br />

vor allem innerhalb dieser Psychologie empirisch ernsthaft infrage gestellt worden ist, etwa<br />

durch die Würzburger Schule Külpes. So sehr hängen die erhabenen ideengeschichtlichen<br />

Geist-Konzepte <strong>und</strong> Weltentwürfe <strong>der</strong> deutschen Idealisten mit ihren freiheitsphilosophischen<br />

Folgewirkungen an scheinbar ganz profanen Prüfinstanzen in Form von Untersuchungen in<br />

denkpsychologischen Laboratorien des beginnenden 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Nicht ohne guten Gr<strong>und</strong> äussert Steiner folglich in <strong>der</strong> Schrift Von Seelenrätseln (GA-21) den<br />

Wunsch in einem psychologischen Laboratorium arbeiten zu können. "Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> auf dem anthroposophischen<br />

Gesichtspunkt steht," so sagt er dort S. 171, "sehnt sich ebenso wie Brentano,<br />

in einem echten psychologischen Laboratorium arbeiten zu können, was durch die heute<br />

noch gegen die Anthroposophie herrschenden Vorurteile unmöglich ist." Äusserst schlecht beraten<br />

ist daher, wer das nicht <strong>zur</strong> Kenntnis nimmt <strong>und</strong> dem nicht nachgeht.<br />

Andreas Nei<strong>der</strong> hat 1984 in einem sehr lesenswerten Beitrag die Beziehungen Rudolf <strong>Steiners</strong><br />

zu Eduard von Hartmann nebst Hartmanns Kommentaren <strong>zur</strong> Erstausgabe <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> beleuchtet. 99 Die damalige Betrachtungsperspektive Nei<strong>der</strong>s ist allerdings fast<br />

ausnahmslos biographisch <strong>und</strong> philosophisch. Sie ist nicht psychologisch orientiert. Und ich<br />

meine, dass sie unbedingt schon aus sachlichen Gründen, um Steiner <strong>und</strong> Hartmann zu verstehen,<br />

um die zeitgenössische psychologische Perspektive zu ergänzen ist. Denn im Kern geht<br />

es zwischen Steiner <strong>und</strong> Hartmann um eine psychologische Frage, wenn auch mit ausserordentlichen<br />

philosophischen Konsequenzen für die Frage <strong>der</strong> menschlichen <strong>Freiheit</strong>. Es ist also<br />

vor allem ein empirisches Problem, das zwischen Hartmann <strong>und</strong> Steiner verhandelt wird.<br />

Und erst aus <strong>der</strong> empirischen Sicht <strong>der</strong> Psychologie des Denkens wird offenbar, warum es damals<br />

die Verständnisschwierigkeiten um das Denken zwischen beiden gab, die sich nicht allein<br />

nur aus divergierenden philosophischen Verständnisansätzen bezüglich Wille <strong>und</strong> Idee erklären<br />

lassen, son<strong>der</strong>n massgeblich auch aus dem Forschungsstand <strong>und</strong> <strong>der</strong> methodischen Verfasstheit<br />

<strong>der</strong> damaligen Psychologie des Denkens. Wie gesagt, Hartmann war nicht nur <strong>der</strong><br />

Philosoph des Unbewussten, er war auch energischer, idealistisch verankerter Anhänger <strong>der</strong><br />

damaligen Assoziationspsychologie.<br />

Beson<strong>der</strong>e Beachtung verdienen Hartmanns Worte: "Zusammenhänge werden niemals erfahren,<br />

son<strong>der</strong>n immer nur durch Ausdeutung des Erfahrenen hinzugedacht. Erlebt werden allerdings<br />

diese Zusammenhänge, aber nur unbewusst, indem die eigene unbewusst psychische<br />

Thätigkeit es ist, die sie unbewusst setzt; aber bewusst erfahren werden sie nicht, weil sie in<br />

den phänomenalen Produkten <strong>und</strong> Resultaten <strong>der</strong> unbewusst psychischen Thätigkeit nicht<br />

mehr als thätige, lebendige Beziehungen, son<strong>der</strong>n nur noch als aufgehobene Momente o<strong>der</strong><br />

toter Nie<strong>der</strong>schlag enthalten sind." Nicht nur über das kausale Hervorbringen (ein Spezialfall<br />

von Zusammenhängen), son<strong>der</strong>n auch über das bewusste Erleben von sonstigen Zusammenhängen<br />

herrscht ein ausgesprochen krasser Dissens zwischen Steiner <strong>und</strong> Hartmann. (Darin<br />

97<br />

Zum assoziationspsychologischen Hintergr<strong>und</strong> Hartmanns siehe den Ergänzungsband <strong>zur</strong> <strong>Philosophie</strong> des Unbewussten,<br />

Das Unbewußte vom Standpunkt <strong>der</strong> Physiologie <strong>und</strong> Descendenztheorie, 2. Aufl, Berlin 1877. Darin<br />

die Abschnitte VIII., Die Abkürzung <strong>der</strong> Ideenassociation <strong>und</strong> die Vererbung <strong>der</strong> Denkformen, S. 137 ff.<br />

98<br />

Karl Bühler, Tatsachen <strong>und</strong> Probleme einer Psychologie <strong>der</strong> Denkvorgänge. I. Über Gedanken. Wie<strong>der</strong> abgedruckt<br />

in: Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung des Ichs, Springerverlag, Wien<br />

New York, 1999, S. 157 ff<br />

99<br />

Andreas Nei<strong>der</strong>: Rudolf Steiner <strong>und</strong> Eduard von Hartmann. In: Beiträge <strong>zur</strong> Rudolf Steiner Gesamtausgabe.<br />

Veröffentlichungen aus dem Archiv. Heft Nr. 85/136 Michaeli 1984, S. 74 ff.

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