Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
70<br />
Substanz <strong>und</strong> Glaubwürdigkeit, während die reine Logik jedem beliebigen Herren dient. Darin<br />
stimmt er mit Dilthey vermutlich überein.<br />
Die von Dilthey angedeuteten Grenzen <strong>der</strong> voraussetzungslosen Erkenntnistheorie, desgleichen<br />
die Verbindungen <strong>zur</strong> Psychologie, werden nur allzubald augenfällig, wenn man wie<br />
Steiner in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> das F<strong>und</strong>ament des Erkennens auf die "allerwichtigste<br />
Beobachtung" baut, die man machen kann: Auf das Hervorbringen des Gedankens. Und das<br />
ist, wie schon gezeigt, die alles entscheidende psychologische Beobachtung. An <strong>der</strong> es laut<br />
Steiner überhaupt keinen Zweifel darüber geben kann, dass ich es bin, <strong>der</strong> den Gedanken jeweils<br />
hervor- bzw <strong>zur</strong> Erscheinung bringt. Sie ist in seinen Augen mindestens so apodiktisch<br />
gewiss wie das Wissen <strong>der</strong> Mathematik o<strong>der</strong> Logik, sonst wäre es nämlich nicht möglich, darin<br />
das F<strong>und</strong>ament <strong>der</strong> Welterklärung zu sehen.<br />
Mit an<strong>der</strong>en Worten: Steiner f<strong>und</strong>iert die Welterklärung auf einem erlebbaren <strong>und</strong> untrüglich<br />
erkennbaren Kausalverhältnis zwischen meiner Tätigkeit <strong>und</strong> dem Erscheinen des Gedankens.<br />
Während Eduard von Hartmann exakt das Gegenteil behauptet. Dahingehend, dass es zwischen<br />
je zwei Bewusstseinstatsachen gr<strong>und</strong>sätzlich kein konstatierbares Kausalverhältnis gibt.<br />
(Siehe oben). "Wissenschaft wird die Psychologie erst dann, wenn sie <strong>zur</strong> Feststellung gesetzmässiger<br />
Zusammenhänge fortschreitet, also über die Erfahrung zu Hypothesen weitergeht,<br />
durch welche die Erfahrung erklärt wird." sagt Hartmann an an<strong>der</strong>er Stelle. Und weiter: "Hier<br />
lässt die Beschreibung völlig im Stich; denn Zusammenhänge werden niemals erfahren, son<strong>der</strong>n<br />
immer nur durch Ausdeutung des Erfahrenen hinzugedacht. Erlebt werden allerdings diese<br />
Zusammenhänge, aber nur unbewusst, indem die eigene unbewusst psychische Thätigkeit<br />
es ist, die sie unbewusst setzt; aber bewusst erfahren werden sie nicht, weil sie in den phänomenalen<br />
Produkten <strong>und</strong> Resultaten <strong>der</strong> unbewusst psychischen Thätigkeit nicht mehr als thätige,<br />
lebendige Beziehungen, son<strong>der</strong>n nur noch als aufgehobene Momente o<strong>der</strong> toter Nie<strong>der</strong>schlag<br />
enthalten sind. Substantialität, Kausalität, Finalität, Entwickelung vom Nie<strong>der</strong>en zum<br />
Höheren sind sämtlich Beziehungen, die im gegebenen Bewusstseinsinhalt we<strong>der</strong> vorkommen<br />
noch vorkommen können. [...] Die reine Erfahrung zeigt wohl Koexistenz <strong>und</strong> Succession, <br />
aber we<strong>der</strong> Substanz <strong>und</strong> Accidens, noch Ursache <strong>und</strong> Wirkung, noch Mittel <strong>und</strong> Zweck, noch<br />
Nie<strong>der</strong>es <strong>und</strong> Höheres, sie zeigt nicht einmal Einheit, Allheit <strong>und</strong> Ganzheit. Es ist eine naivrealistische<br />
Selbsttäuschung, wenn man solche Zusammenhänge im Bewusstsein zu erfahren<br />
glaubt, während man sie doch nur zu dem Erfahrenen als seine es erzeugenden Antezedentien<br />
<strong>und</strong> Zwischenglie<strong>der</strong> hinzudenkt." 95 Dass dies freiheitsphilosophisch nicht folgenlos bleibt,<br />
liegt auf <strong>der</strong> Hand.<br />
Man muss sich bei dieser Gelegenheit vor allem vergegenwärtigen, wer dieses Unbewusste<br />
bei Hartmann letztinstanzlich eigentlich ist: Es ist <strong>der</strong> agierende Weltgeist höchstpersönlich!<br />
Denn <strong>der</strong> Philosoph Hartmann kommt ideengeschichtlich aus dem selben deutschen Idealismus<br />
wie Rudolf Steiner, <strong>der</strong> durch Hegel, Fichte, Schelling <strong>und</strong> Schopenhauer repräsentiert<br />
wird. In dieser Beziehung hat er durchaus vergleichbare Wurzeln. 96 Aber im Gegensatz zu<br />
Steiner ist das menschliche Individuum laut Hartmann gegenüber diesem Weltgeist vollkommen<br />
chancenlos. Nicht einmal sein eigenes Denken hat es in <strong>der</strong> Hand, geschweige denn seine<br />
sonstigen Taten.<br />
Es ist also sehr erhellend, sich vor Augen zu führen was geschieht, wenn dieser deutsche Idealismus<br />
in eine Allianz mit einer unausgegorenen empirischen Psychologie des Denkens eintritt,<br />
die sich Assoziationspsychologie nannte, seinerzeit das wissenschaftliche Feld dominierte,<br />
<strong>und</strong> sich bei Hartmann in Sätzen wie diesen nie<strong>der</strong>schlug: "Die Ideenassociation ist die allgemeingültige,<br />
ewig unersetzliche Urform, in welcher je<strong>der</strong> Vorstellungsprocess verläuft, <strong>und</strong><br />
alle Regeln <strong>der</strong> Methodik des Denkens sind doch nichts als Abstractionen von gewissen beque<br />
95<br />
Eduard von Hartmann, Die mo<strong>der</strong>ne Psychologie, Leipzig 1901, S. 23.<br />
96<br />
Siehe zu den ideengeschichtlichen Hintergründen bei Hartmann, Johannes Volkelt, Das Unbewusste <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Pessimismus. <strong>Studien</strong> <strong>zur</strong> mo<strong>der</strong>nen Geistesbewegung. Berlin 1873.