Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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laut Eduard von Hartmann nur scheinbar willkürlich, in Wirklichkeit aber nach <strong>der</strong> "Notwendigkeit<br />
unserer charakterologischen Veranlagung."<br />
Psychologisch <strong>und</strong> wissenschaftsgeschichtlich ist es ausserordentlich spannend zu sehen, wie<br />
die beiden (Steiner <strong>und</strong> Hartmann) angesichts ihres freiheitsphilosophischen Vorhabens zu<br />
vollkommen entgegengesetzten Beurteilungen kommen konnten. Man muss sich dazu die nähere<br />
Begründung ansehen, die Hartmann für diese seine Überzeugung anführt, dann wird man<br />
auch manche Erklärung dafür erhalten, warum Steiner so viel Wert darauf legt, den Ursprung<br />
des Denkens zu erhellen, <strong>und</strong> das dritte Kapitel <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> mit Blick auf die<br />
innere Tätigkeit des Menschen entsprechend zu veranlagen. Hartmann, <strong>der</strong> Philosoph des Unbewussten,<br />
siedelt nämlich sämtliche Motivierungsvorgänge einschliesslich aller Willens- <strong>und</strong><br />
Denkprozesse des Menschen - auch <strong>der</strong>jenigen, die dem willentlich-bewussten Denken zugr<strong>und</strong>e<br />
liegen - im unerreichbar Unbewussten an. Und seine Phänomenologie des sittlichen<br />
Bewusstseins, gewissermassen ein Gegenentwurf zu <strong>Steiners</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>, erhebt<br />
auf S. VIII, darin vergleichbar mit <strong>Steiners</strong> seelischer Beobachtung, den Anspruch, auf empirischem<br />
Boden gewachsen zu sein, bzw eine "empirische Ausgangsbasis" (Hartmann) <strong>zur</strong><br />
Klärung ihrer Fragen zu besitzen. So schreibt Hartmann auf S. 457 f:<br />
"Als den eigentlichen Gr<strong>und</strong> für die Unmöglichkeit, die Frage, ob <strong>der</strong> Wille determinirt sei<br />
o<strong>der</strong> nicht, durch das unmittelbare Zeugniss des Bewusstseins zu entscheiden, haben wir also<br />
die Unbewusstheit des Motivationsprocesses erkannt (vgl. Ph. d. Unb. I S. 226-228). Diese<br />
Unbewusstheit <strong>der</strong> Vorgänge, aus denen das Wollen hervorgeht, muss nun aber auch als das<br />
wichtigste Hilfsmittel für das Zustandekommen <strong>der</strong> Selbsttäuschung <strong>der</strong> indeterministischen<br />
<strong>Freiheit</strong> anerkannt werden. Das Gefühl <strong>der</strong> Selbstthätigkeit heim Handeln ist überall ebenso<br />
instinctiv gegeben, wie das Selbstgefühl des Individuums überhaupt; das Wollen, <strong>der</strong> innere<br />
Repräsentant <strong>der</strong> That, erscheint zweifellos als ein selbstgesetztes. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite fehlt<br />
jedes Bewusstsein über die Art <strong>und</strong> Weise <strong>der</strong> Setzung des Wollens, <strong>und</strong> das eigentlich Setzende,<br />
<strong>der</strong> Charakter, bleibt noch weit mehr als <strong>der</strong> Motivationsprocess für die innere Selbstwahrnehmung<br />
auf ewig in die Nacht des Unbewussten versenkt. Was W<strong>und</strong>er, wenn da das<br />
Selbstgefühl zu dem voreiligen Fehlschuss gelangt, dass das selbstgesetzte Wollen, dessen ursächliche<br />
Genesis sich dem Bewusstsein entzieht, ein unmittelbar gesetztes, d. h. ohne solche<br />
causale Vermittelung gesetztes o<strong>der</strong> freies sei! Dies scheint mir die letzte <strong>und</strong> tiefste Wurzel<br />
des indeterministischen Vorurtheils zu sein, [...] <strong>und</strong> alle sonstigen Verwechselungen mit an<strong>der</strong>en<br />
Formen <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> so wie die angeführten Willensinteressen an dieser Selbsttäuschung<br />
können im Vergleich zu jener als sec<strong>und</strong>äre Momente gelten. Hier liegt jener Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>sillusion,<br />
<strong>der</strong> ebenso für den fallenden Stein gelten würde, wenn er Bewusstsein hätte, wie<br />
für den wollenden Menschen."<br />
Für Hartmann kann die Frage, ob <strong>der</strong> menschliche Wille determiniert sei o<strong>der</strong> nicht, - dies<br />
im völligen Gegensatz zu Steiner - durch ein unmittelbares Zeugnis des Bewusstseins in<br />
gar keiner Weise entschieden werden, weil <strong>der</strong> gesamte Motivierungsvorgang mitsamt dem<br />
Willen auf immer in einem unzugänglich Unbewussten liegt. Es gibt laut Hartmann keinen<br />
Zugang dorthin. Wer also glaubt, er selbst sei <strong>der</strong> kausale Urheber seiner vermeintlich freien<br />
Beschlüsse, unterliegt lediglich einer <strong>Freiheit</strong>sillusion wie <strong>der</strong> fallende Stein, <strong>der</strong> da<br />
meint, <strong>der</strong> Vorgang des Fallens basiere auf seiner freien Entscheidung.<br />
Wer noch tiefer in Hartmanns erkenntnistheoretischen Ansichten graben möchte, <strong>der</strong> kann<br />
dies, wenn er Hartmanns obigem Hinweis im Zitat auf seine <strong>Philosophie</strong> des Unbewussten<br />
in <strong>der</strong> Ausgabe von 1878 (S. 225 ff) nachgeht, <strong>und</strong> dort das nähere <strong>und</strong> weitere Umfeld etwas<br />
sondiert. Es gibt nach Hartmann keinen unmittelbar erfahrbaren ursächlichen Zusammenhang<br />
in den Tatsachen des Bewusstseins, wie er auch in <strong>der</strong> Schrift Mo<strong>der</strong>ne Psychologie,<br />
Leipzig 1901 auf S. 30 ausdrücklich betont: "Ursächlicher Zusammenhang zwischen je<br />
zwei Bewusstseinsinhalten ist niemals unmittelbar gegeben, son<strong>der</strong>n, so weit er besteht, allemal<br />
durch nicht bewusste (sei es materielle, sei es unbewusstpsychische) Zwischenglie<strong>der</strong><br />
vermittelt." Hartmann behauptet nicht nur einen fehlenden bewussten Zusammenhang