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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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62<br />

sches Fachbuch - eine genaue "textkritische Analyse" gar (Traub S. 21 ) - eigentlich auszeichnen<br />

sollte. Massive Entgleisungen wie diese degradieren nicht nur sein Buch auf das<br />

Niveau einer philosophischen Bildzeitung herab, son<strong>der</strong>n seinen renommierten Wissenschaftsverlag<br />

Kohlhammer gleich mit. Aber dies hier nur nebenbei.<br />

Kommen wir wie<strong>der</strong> mehr zum eigentlichen Thema dieses Kapitels. Es soll in <strong>der</strong> anthroposophischen<br />

Bewegung womöglich heute noch die Meinung anzutreffen sein, die Unterscheidung<br />

von Denkakt <strong>und</strong> Denkinhalt gehe auf Herbert Witzenmann <strong>zur</strong>ück. Vor kurzer<br />

Zeit hat mir erst wie<strong>der</strong> ein Leser darüber berichtet. Mir persönlich ist diese Auffassung ge ­<br />

legentlich in den 1990er Jahren begegnet. Ich weiss allerdings nicht, wer von Witzenmanns<br />

Anhängern o<strong>der</strong> Lesern diesen ausgemachten Humbug in die Welt gesetzt hat. Ebenso wenig<br />

wüsste ich zu sagen, was mehr dafür verantwortlich ist: die Unbelesenheit mancher Anhänger<br />

<strong>Steiners</strong>, o<strong>der</strong> Witzenmanns Art, über die Erkenntnistheorie <strong>Steiners</strong> zu publizieren.<br />

Eine entsprechende explizite Behauptung Witzenmanns ist mir jedenfalls nie in die Hände<br />

gekommen, aus <strong>der</strong> man hätte entnehmen können, die Unterscheidung von Denkakt <strong>und</strong><br />

Denkinhalt gehe auf ihn persönlich <strong>zur</strong>ück. Wahrscheinlich muss man zumindest in dieser<br />

Frage auch Witzenmann ebenso vor seinen eigenen Anhängern <strong>und</strong> Lesern schützen wie<br />

Steiner vor den seinigen.<br />

Um es kurz zu machen: Die Unterscheidung zwischen dem (begrifflichen) Inhalt des Denkens<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> individuellen Aktivität, durch die er hevorgebracht respektive <strong>zur</strong> Erscheinung<br />

gebracht wird, ist eine so gr<strong>und</strong>legende philosophische Position <strong>Steiners</strong>, dass man<br />

sie mit grosser Betonung in all seinen philosophischen Frühschriften antrifft. Angefangen<br />

von den Gr<strong>und</strong>linien einer Erkenntnistheorie <strong>der</strong> Goetheschen Weltanschauung (GA-2),<br />

über Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft (GA-3) bis hin <strong>zur</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> (GA-4), um<br />

nur die wichtigsten Stationen zu nennen. Und wie Sie <strong>der</strong> oben erläuterten Passage aus<br />

Goethes Weltanschauung (GA-6) entnehmen konnten, ist sie von sehr weitreichen<strong>der</strong> Bedeutung<br />

für das kausale Naturverständnis im allgemeinen.<br />

In dieser letzteren Frage, das sei hier nur vorab erwähnt, gibt es auch einen bezeichnenden,<br />

aber gr<strong>und</strong>sätzlichen Dissens zwischen Rudolf Steiner <strong>und</strong> Johannes Volkelt. Bei aller An ­<br />

regung, die <strong>Steiners</strong> seitens Volkelt genossen hat, darf man einige schwerwiegende Differenzen<br />

nicht übersehen. Zum Beispiel die, dass Volkelt den von Steiner hervorgehobenen<br />

ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Wirkenden <strong>und</strong> Bewirkten, wie es Steiner sah,<br />

im Seelenleben nicht erkennen zu können glaubte. Volkelt teilte in dieser Frage eher die<br />

Auffassung Eduard von Hartmanns, wonach das Wirkende im unerreichbaren Unbewussten<br />

liegt. Wir werden das weiter unten noch näher betrachten. Hier soll nur auf den bemerkenswerten<br />

Umstand hingewiesen sein, dass in gr<strong>und</strong>legenden erkenntnistheoretischen Ansichten<br />

offenbar auch <strong>der</strong> zeitgenössische Stand <strong>der</strong> psychologischen Wissenschaft eine grosse<br />

Rolle spielte. Mittelbar deutet Steiner dies in <strong>der</strong> vorhin zitierten Passage aus den Gr<strong>und</strong>linien<br />

... von 1886 an. Denn dass man Denkakte (das Wirkende) tatsächlich auch empirisch<br />

beobachten könne, war keineswegs herrschende Meinung unter den psychologisch orientierten<br />

Philosophen damals. Das Gegenteil trifft eher zu: Erst Oswald Külpe näherte sich,<br />

weil er einen Forschungsschwerpunkt in dieser Frage hatte, einer Auffassung an, die <strong>der</strong><br />

Einschätzung <strong>Steiners</strong> nahe kam. Und Külpe macht bezeichnen<strong>der</strong>weise das Unvermögen<br />

seiner Zeit, faktische Denkakte zu beoachten, sowohl an methodischen Fragen, als auch am<br />

Entwicklungsstand <strong>der</strong> Psychologie im allgemeinen fest. In dem oben schon erwähnten<br />

Überblicksartikel Külpes können Sie das nachlesen. 89 Zu jenen Psychologen, die sich mit<br />

<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Beobachtung von seelischen Akten ebenfalls (auch unter philosophiegeschichtlichen<br />

Aspekten) auseinan<strong>der</strong>gesetzt haben, zählt auch Franz Brentano. In seiner Psychologie<br />

89<br />

Oswald Külpe, Über die mo<strong>der</strong>ne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,<br />

Kunst <strong>und</strong> Technik, 6, 1912. Wie<strong>der</strong>abdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung<br />

des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S.45, insbes. S. 53 ff.

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