Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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58 massgeblich wurden. Deswegen in der Schrift Von Seelenrätseln sein dringlicher Wunsch in einem psychologischen Laboratorium arbeiten zu können, um endlich die "beste Grundlage" zu schaffen. Das wäre zur Zeit von Goethe, Kant und Fichte nur ein abstruses Anliegen gewesen, weil dergleichen damals noch gar nicht vorstellbar war. Die erste, und notwendige Bedingung jeder Wissenschaft ist für Steiner im Gegensatz zu Kant die (innere) menschliche Tätigkeit. Und zwar keine abstrakt gedachte, sondern eine wirkliche, erlebbare und psychologisch in Einzelheiten aufweisbare und zu beschreibende. Die empirische Untersuchung dessen, was beim Denken im Innern wirkt, und was das Bewirkte ist. Und daran macht Steiner letzten Endes nicht nur die Freiheitsfrage, sondern speziell in der Philosophie der Freiheit im dritten Kapitel die gesamte Welterklärung fest. Was, wenn man dies mit Kants Forderung an eine Wissenschaft vergleicht, eigentlich nur gelingen kann, wenn die Beobachtung des Denkens, von Wirkendem und Bewirktem, annähernd dieselbe apodiktische Gewissheit bei sich führt wie Logik und Mathematik. Genau das aber behauptet Steiner im dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit. Wer da glaubt, weil beide, Steiner und Kant ja das Denken untersuchen mit dem Ziel der Vernunfterkenntnis, und insofern verfolge Steiner auch methodisch denselben Weg wie Kant, - bei Hartmut Traub klingt das wiederholt an -, der könnte sich gründlicher kaum irren. Übrigens kann ich bei dieser Gelegenheit dem Leser nur wärmstens empfehlen, sich selbst einmal dieser Sachlage auszusetzen, und sich zu fragen, was am Denken das Wirkende und was das Bewirkte ist. Und anschliessend versuchen Sie dasselbe noch einmal mit der Beobachtung des Denkens. Und suchen Sie ruhig bei dieser Gelegenheit nach ähnlichen Erscheinungen im Seelenerleben, wo Sie den Eindruck haben, hier läge Wirkendes und Bewirktes vor. Dazu werden Sie nämlich bei ersterem reichlich Anlass und Möglichkeiten haben. Es kann Ihnen das Verständnis unserer Abhandlung nur erleichtern. Sollten Sie mit dem Beobachten Schwierigkeiten haben, dann schauen Sie einmal in die Arbeit von Merijn Fagard Praktische Einführung in die Beobachtung des Denkens auf dieser Website. Da erhalten Sie sehr brauchbare Hilfestellungen zum Beobachtungsverfahren. k) Der Zipfel des Weltgeschehens. In den Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung von 1886 schreibt Rudolf Steiner im Kapitel 18. Psychologisches Erkennen auf S. 79: "Die erste Wissenschaft, in der es der Geist mit sich selbst zu tun hat, ist die Psychologie. Der Geist steht sich betrachtend selbst gegenüber." Weiter führt er dann auf S. 81 f aus: "Man ersieht aus alledem, daß man eine wahrhafte Psychologie nur gewinnen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht. Man hat in unserer Zeit an die Stelle dieser Methode eine andere setzen wollen, welche die Erscheinungen, in denen sich der Geist darlebt, nicht diesen selbst, zum Gegenstande der Psychologie macht. Man glaubt die einzelnen Äußerungen desselben ebenso in einen äußerlichen Zusammenhang bringen zu können, wie das bei den unorganischen Naturtatsachen geschieht. So will man eine «See ­ lenlehre ohne Seele» begründen. Aus unseren Betrachtungen ergibt sich, daß man bei dieser Methode gerade das aus dem Auge verliert, auf das es ankommt. Man sollte den Geist von seinen Äußerungen loslösen und auf ihn als den Produzenten derselben zurückgehen. Man beschränkt sich auf die ersteren und vergißt den letzteren. Man hat sich eben auch hier zu jenem falschen Standpunkt verleiten lassen, der die Methoden der Mechanik, Physik usw. auf alle Wissenschaften anwenden will." Steiner nennt hier keine Namen, aber der Ausdruck "Seelenlehre ohne Seele" verweist klar auf zwei bedeutende Grössen seiner Zeit: Auf Friedrich Albert Lange, den Urheber dieses

59 Ausdrucks in seiner Geschichte des Materialismus. 81 Und auf Wilhelm Wundt, der sich als ein damals nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit führender experimenteller Psychologe diesen Terminus Langes zu eigen gemacht hatte. In durchaus verständlicher Weise, weil dieser Ausdruck ihm vor allem für die Abwendung der aufkommenden empirischen Psychologie von ihren älteren Vorgängern stand, die sich um empirische Methoden und Befunde wenig scherten, sondern vor allem aus der theoretisch orientierten Theologie und Philosophie ihr Material saugten. 82 Wenn Steiner hier von einem "falschen Standpunkt" spricht, "der die Methoden der Mechanik, Physik usw. auf alle Wissenschaften anwenden will", dann nimmt er weiter Bezug auf die Entwicklung der modernen experimentellen Psychologie, die zunächst ganz und gar (von Franz Brentano einmal abgesehen) unter dem Eindruck der neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Erfolgsgeschichte versuchte, an diese anzuknüpfen und sie auf das Seelenle ­ ben zu übertragen. Ausdrücke wie Psychophysik und Namen wie Weber und Fechner stehen für diese Anlehnung. Und mit ihnen haben Mathematik und Experimentierkunst weit schneller in die Psychologie Eingang gefunden, als es sich Kant jemals hätte träumen lassen können. Einzelheiten über diese Entwicklungsgeschichte und die weitgehende Prägung der damaligen Seelenwissenschaft durch die Naturwissenschaft können Sie auch in dem oben schon erwähnten Aufsatz von Oswald Külpe nachlesen 83 , der ähnlich wie Steiner die Vereinseitigung der Psychologie infolge dieser Prägung beklagte. Und weiter betont, dass aus dieser Prägung eine weitgehende Blindheit gegenüber essentiellen Tatsachen des Seelenlebens folgte, und zwar gegen jede Evidenz der inneren Erfahrung. Letzteres vor allem hinsichtlich der geistigen/seelischen Aktivität des Menschen, von der Steiner oben spricht. Die, so Külpe, von der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie regelmässig wegerklärt worden sei. 84 Wir haben über diese Abhängigkeit und ihre Folgen schon oben von Wilhelm Dilthey gehört. Und Külpe wusste ebenfalls, wovon er redet, denn er begann in der fraglichen Zeit seine psychologische und philosophische Laufbahn als Assistent bei Wilhelm Wundt. Ich will Ihnen damit nur verdeutlichen, wie nahe Steiners obige Bemerkungen über die Psychologie wirklich am Puls seiner Zeit waren. Und dass Steiner hier wirklich von der Psychologie seiner Zeit spricht. Wer sich weiter darüber hinaus über diese Strömungen ein Bild aus der Sicht eines Philosophen machen möchte, der in grundlegenden Ansichten Steiner recht nahe stand, dem empfehle ich Wilhelm Diltheys Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie von 1894. 85 Auch wenn man Steiners spätere Anmerkungen zur Auflage von 1924 berücksichtigt, wonach der Ausdruck von 1886 Psychologie eigentlich bei einer Neuveranlagung der Schrift durch Anthroposophie ersetzt werden müsste, 86 bleibt die bemerkenswerte Tatsache beste­ 81 Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus, Bd. 1, 3. Aufl. Iserlohn 1876 Friedrich Alber Lange, Geschichte des Materialismus, Bd. 2, 2. Aufl. Iserlohn 1877 . Zum Ausdruck "Psychologie ohne Seele" siehe Bd. 2, S. 381 82 Wilhelm Wundt, Essays, 2. Aufl. Leipzig 1906, S. 187 ff Der Aufsatz Die Aufgaben der experimentellen Psychologie stammt aus dem Jahr 1882. Über Lange, Fechner und Wundt schreibt Steiner auch 1901 in dem Aufsatz "Moderne Seelenforschung" in GA 30, Dornach 1989, S. 462 ff. 83 Oswald Külpe, Über die moderne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 6, 1912. Wiederabdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte zur Selbstwahrnehmung des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S. 44-67 84 Oswald Külpe, Über die moderne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 6, 1912. Wiederabdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte zur Selbstwahrnehmung des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S.45, insbes. S. 53 ff. 85 Wilhelm Dilthey, Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie, in Sitzungsberichte der königl preuss. Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1894, zweiter Halbband S. 1309 ff 86 In der Neuauflage von 1924 dieser Schrift (GA-2, Dornach 2003, S. 144) erläutert Steiner seine Bemerkun­

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Ausdrucks in seiner Geschichte des Materialismus. 81 Und auf Wilhelm W<strong>und</strong>t, <strong>der</strong> sich als<br />

ein damals nicht nur in Deutschland, son<strong>der</strong>n auch weltweit führen<strong>der</strong> experimenteller Psychologe<br />

diesen Terminus Langes zu eigen gemacht hatte. In durchaus verständlicher Weise,<br />

weil dieser Ausdruck ihm vor allem für die Abwendung <strong>der</strong> aufkommenden empirischen Psychologie<br />

von ihren älteren Vorgängern stand, die sich um empirische Methoden <strong>und</strong> Bef<strong>und</strong>e<br />

wenig scherten, son<strong>der</strong>n vor allem aus <strong>der</strong> theoretisch orientierten Theologie <strong>und</strong> <strong>Philosophie</strong><br />

ihr Material saugten. 82<br />

Wenn Steiner hier von einem "falschen Standpunkt" spricht, "<strong>der</strong> die Methoden <strong>der</strong> Mechanik,<br />

Physik usw. auf alle Wissenschaften anwenden will", dann nimmt er weiter Bezug auf<br />

die Entwicklung <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen experimentellen Psychologie, die zunächst ganz <strong>und</strong> gar<br />

(von Franz Brentano einmal abgesehen) unter dem Eindruck <strong>der</strong> neuzeitlichen naturwissenschaftlichen<br />

Erfolgsgeschichte versuchte, an diese anzuknüpfen <strong>und</strong> sie auf das Seelenle ­<br />

ben zu übertragen. Ausdrücke wie Psychophysik <strong>und</strong> Namen wie Weber <strong>und</strong> Fechner stehen<br />

für diese Anlehnung. Und mit ihnen haben Mathematik <strong>und</strong> Experimentierkunst weit<br />

schneller in die Psychologie Eingang gef<strong>und</strong>en, als es sich Kant jemals hätte träumen lassen<br />

können. Einzelheiten über diese Entwicklungsgeschichte <strong>und</strong> die weitgehende Prägung<br />

<strong>der</strong> damaligen Seelenwissenschaft durch die Naturwissenschaft können Sie auch in dem<br />

oben schon erwähnten Aufsatz von Oswald Külpe nachlesen 83 , <strong>der</strong> ähnlich wie Steiner die<br />

Vereinseitigung <strong>der</strong> Psychologie infolge dieser Prägung beklagte. Und weiter betont, dass<br />

aus dieser Prägung eine weitgehende Blindheit gegenüber essentiellen Tatsachen des Seelenlebens<br />

folgte, <strong>und</strong> zwar gegen jede Evidenz <strong>der</strong> inneren Erfahrung. Letzteres vor allem<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> geistigen/seelischen Aktivität des Menschen, von <strong>der</strong> Steiner oben spricht.<br />

Die, so Külpe, von <strong>der</strong> naturwissenschaftlich orientierten Psychologie regelmässig wegerklärt<br />

worden sei. 84 Wir haben über diese Abhängigkeit <strong>und</strong> ihre Folgen schon oben von<br />

Wilhelm Dilthey gehört. Und Külpe wusste ebenfalls, wovon er redet, denn er begann in<br />

<strong>der</strong> fraglichen Zeit seine psychologische <strong>und</strong> philosophische Laufbahn als Assistent bei<br />

Wilhelm W<strong>und</strong>t. Ich will Ihnen damit nur verdeutlichen, wie nahe <strong>Steiners</strong> obige Bemerkungen<br />

über die Psychologie wirklich am Puls seiner Zeit waren. Und dass Steiner hier<br />

wirklich von <strong>der</strong> Psychologie seiner Zeit spricht. Wer sich weiter darüber hinaus über diese<br />

Strömungen ein Bild aus <strong>der</strong> Sicht eines Philosophen machen möchte, <strong>der</strong> in gr<strong>und</strong>legenden<br />

Ansichten Steiner recht nahe stand, dem empfehle ich Wilhelm Diltheys Ideen über<br />

eine beschreibende <strong>und</strong> zerglie<strong>der</strong>nde Psychologie von 1894. 85<br />

Auch wenn man <strong>Steiners</strong> spätere Anmerkungen <strong>zur</strong> Auflage von 1924 berücksichtigt, wonach<br />

<strong>der</strong> Ausdruck von 1886 Psychologie eigentlich bei einer Neuveranlagung <strong>der</strong> Schrift<br />

durch Anthroposophie ersetzt werden müsste, 86 bleibt die bemerkenswerte Tatsache beste­<br />

81<br />

Friedrich Albert Lange, Geschichte des Materialismus, Bd. 1, 3. Aufl. Iserlohn 1876<br />

Friedrich Alber Lange, Geschichte des Materialismus, Bd. 2, 2. Aufl. Iserlohn 1877 .<br />

Zum Ausdruck "Psychologie ohne Seele" siehe Bd. 2, S. 381<br />

82<br />

Wilhelm W<strong>und</strong>t, Essays, 2. Aufl. Leipzig 1906, S. 187 ff<br />

Der Aufsatz Die Aufgaben <strong>der</strong> experimentellen Psychologie stammt aus dem Jahr 1882.<br />

Über Lange, Fechner <strong>und</strong> W<strong>und</strong>t schreibt Steiner auch 1901 in dem Aufsatz "Mo<strong>der</strong>ne Seelenforschung"<br />

in GA 30, Dornach 1989, S. 462 ff.<br />

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Oswald Külpe, Über die mo<strong>der</strong>ne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,<br />

Kunst <strong>und</strong> Technik, 6, 1912. Wie<strong>der</strong>abdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung<br />

des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S. 44-67<br />

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Oswald Külpe, Über die mo<strong>der</strong>ne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,<br />

Kunst <strong>und</strong> Technik, 6, 1912. Wie<strong>der</strong>abdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung<br />

des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S.45, insbes. S. 53 ff.<br />

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Wilhelm Dilthey, Ideen über eine beschreibende <strong>und</strong> zerglie<strong>der</strong>nde Psychologie, in Sitzungsberichte <strong>der</strong> königl<br />

preuss. Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften, Jahrgang 1894, zweiter Halbband S. 1309 ff<br />

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In <strong>der</strong> Neuauflage von 1924 dieser Schrift (GA-2, Dornach 2003, S. 144) erläutert Steiner seine Bemerkun­

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