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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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digkeit haben wir nur von den nothwendigen Bedingungen unseres Denkens selbst. Wissenschaften<br />

im strengsten Sinne wären demgemäss nur die Mathematik, Logik, Metaphysik <strong>und</strong><br />

Ethik. In diesen Wissenschaften, welche Erkenntnisse a priori enthalten, giebt es kein Meinen,<br />

son<strong>der</strong>n Wissen [...]. Natürlich gilt dies nur von <strong>der</strong> reinen Logik, welche es mit <strong>der</strong> blossen<br />

apriorischen Form des Denkens zu thun hat, ebenso nur von <strong>der</strong> reinen Moral, welche blos die<br />

nothwendigen sittlichen Gesetze eines freien Willens überhaupt enthält."<br />

Eigentliche Wissenschaft kann in Kants Augen nur diejenige sein, die apodiktische Gewissheit<br />

bei sich führt, so erläutert Bona Meyer Kant auf S. 286. Erkenntnis aber, die nur empirische<br />

Gewissheit bei sich führt, sei ein "nur uneigentlich sogenanntes Wissen". Diese Bewertung<br />

<strong>und</strong> Bevorzugung <strong>der</strong> theoretischen Wissenschaft wie Logik <strong>und</strong> Mathematik führt bei<br />

Kant <strong>zur</strong> weitestgehenden Ablehnung <strong>der</strong> Psychologie, die ja als empirische Wissenschaft in<br />

seinen Augen noch nicht einmal dem ohnehin schon fragwürdigen Ansehen <strong>der</strong> Chemie auch<br />

nur entfernt nahe kam. Strenge Wissenschaft ist demgemäss für Kant nur Mathematik, Logik,<br />

Metaphysik <strong>und</strong> Ethik (letztere in <strong>der</strong> von Kant verstandenen Weise muss man dazu sagen). 80<br />

Man könnte keinen schärferen Gegensatz zu Steiner ausfindig machen als diesen methodischen.<br />

Denn Steiner f<strong>und</strong>iert die von Kant gefor<strong>der</strong>te Gewissheit geradewegs auf jenem Proze<strong>der</strong>e,<br />

das für Kant noch nicht einmal in den Vorgarten <strong>der</strong> Wissenschaft gehört, geschweige<br />

denn in den Innenhof o<strong>der</strong> gar in ihren Tempel - <strong>der</strong> empirischen Beobachtung von ganz konkreten<br />

seelischen Ereignissen.<br />

<strong>Steiners</strong> prägen<strong>der</strong> zeitgenössischer Vorläufer, <strong>der</strong> auch diesen Weg beschritten hat, dies ist<br />

mir ausgesprochen wichtig hier zu erwähnen, war Johannes Volkelt mit seiner Schrift<br />

Erfahrung <strong>und</strong> Denken, für den in <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> Gewissheit das Kernanliegen einer Erkenntnistheorie<br />

lag. Und <strong>der</strong> sich, für Steiner beispielgebend, desselben Verfahrens bediente<br />

wie Steiner: <strong>der</strong> psychologischen Beobachtung. Keiner Psychologie als Wissenschaft, aber als<br />

erkenntnistheoretischer Methode. Man kann, das ist meine volle Überzeugung, <strong>Steiners</strong> erkenntniswissenschaftliche<br />

Verfahrensweise, ihre Begründung <strong>und</strong> auch ihre Differenz zu Kant<br />

überhaupt nicht philosophisch verstehen, wenn man wie Hartmut Traub diesen Johannes Volkelt<br />

in keiner Weise <strong>zur</strong> Kenntnis nimmt, <strong>und</strong> sich mit dessen Rechtfertigung seines empirisch<br />

psychologischen Vorgehens auseinan<strong>der</strong>setzt. In dieser Beziehung scheint mir Hartmut Traub,<br />

das muss ich sagen, wirklich von völliger Blindheit geschlagen. Aber mancher anthroposophische<br />

Autor <strong>und</strong> Diskursteilnehmer lei<strong>der</strong> mindestens ebenso. Deswegen sind auch anthroposophische<br />

Literaturerzeugnisse zum Verständnis <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen Erkenntnistheorie oftmals so<br />

weitgehend fruchtlos <strong>und</strong> wirklichkeitsfremd.<br />

Klassiker wie Goethe o<strong>der</strong> Fichte waren für Steiner unbestritten wichtige Impulsgeber <strong>und</strong> Inspiratoren.<br />

Doch für die konkrete Umsetzung dieser Impulse <strong>und</strong> von <strong>Steiners</strong> zentralem Anliegen<br />

waren sie in Wirklichkeit wenig brauchbar. Goethes Beispiel aus dem <strong>Steiners</strong>chen Zitat<br />

von oben demonstriert dies in aller Deutlichkeit: Was ihn am allerwenigsten interessierte,<br />

das interessierte Steiner am allermeisten. Um das eigene philosophische Anliegen in konkretes<br />

Leben zu überführen nützten Steiner die Klassiker wie Goethe o<strong>der</strong> Fichte also kaum etwas,<br />

son<strong>der</strong>n nur die eigenen Zeitgenossen wie Volkelt o<strong>der</strong> Brentano <strong>und</strong> wohl auch Dilthey.<br />

Wobei sich die Auswahl ja kaum eingrenzen lässt. Den klassischen Ideengebern standen all<br />

die wissenschaftlichen Wege <strong>und</strong> philosophischen Denkmöglichkeiten <strong>der</strong> Steinerzeit, die <strong>zur</strong><br />

methodischen Umsetzung ihrer Impulse zwecks Erkenntnis des menschlichen Innenlebens nötig<br />

gewesen wären, gar nicht <strong>zur</strong> Verfügung, weil es sie noch nicht gab. Die aber für Steiner<br />

80<br />

Siehe dazu die von Steiner in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> Kap. IX, S. 153 f beson<strong>der</strong>s hervorgehobene Studie<br />

von Johannes Kreyenbühl: Die ethische <strong>Freiheit</strong> bei Kant, Eine kritisch - spekulative Studie über den wahren<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kant'schen <strong>Philosophie</strong>, in: Philosophische Monatshefte, 18. Bd., 3. Heft, Heidelberg 1882, S. 129-<br />

161.

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