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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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Die Idee <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> gewinnt man aber nur durch die Anschauung des Denkens. An dem<br />

Zustandekommen aller übrigen Anschauungen ist <strong>der</strong> Mensch unbeteiligt. In ihm leben die<br />

Ideen dieser Anschauungen auf. Diese Ideen würden aber nicht da sein, wenn in ihm nicht die<br />

produktive Kraft vorhanden wäre, sie <strong>zur</strong> Erscheinung zu bringen. Wenn auch die Ideen <strong>der</strong><br />

Inhalt dessen sind, was in den Dingen wirkt; zum erscheinenden Dasein kommen sie durch die<br />

menschliche Thätigkeit. Die eigene Natur <strong>der</strong> Ideenwelt kann also <strong>der</strong> Mensch nur erkennen,<br />

wenn er seine Thätigkeit anschaut. Bei je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Anschauung durchdringt er nur die wirkende<br />

Idee; das Ding, in dem gewirkt wird, bleibt als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes.<br />

In <strong>der</strong> Anschauung <strong>der</strong> Idee ist Wirkendes <strong>und</strong> Bewirktes ganz in seinem Innern enthalten. Er<br />

hat den ganzen Prozeß restlos in seinem Innern gegenwärtig. Die Anschauung erscheint nicht<br />

mehr von <strong>der</strong> Idee hervorgebracht; denn die Anschauung ist jetzt selbst Idee. Diese Anschauung<br />

des sich selbst Hervorbringenden ist aber die Anschauung <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. Bei <strong>der</strong> Beobachtung<br />

des Denkens durchschaut <strong>der</strong> Mensch das Weltgeschehen. Er hat hier nicht nach einer<br />

Idee dieses Geschehens zu forschen: denn dieses Geschehen ist die Idee selbst. Der Mensch,<br />

<strong>der</strong> diese in sich selbst ruhende Thätigkeit anschaut, fühlt die <strong>Freiheit</strong>. Goethe hat diese Empfindung<br />

zwar erlebt, aber nie in <strong>der</strong> höchsten Form. Er übte in seiner Naturbetrachtung eine<br />

freie Thätigkeit; aber sie wurde ihm nie gegenständlich. Er hat nie hinter die Kulissen des<br />

menschlichen Erkennens geschaut, <strong>und</strong> deshalb die Idee des Weltgeschehens in dessen ureigenster<br />

Gestalt, in seiner höchsten Metamorphose nie in sein Bewufstsein aufgenommen."<br />

Wie Sie sehen, hat Steiner das <strong>Freiheit</strong>smotiv hier unmittelbar mit dem Gedanken des Wirkenden<br />

<strong>und</strong> Bewirkten verknüpft. Es ist auf seelischer Ebene das, was auf <strong>der</strong> naturwissenschaftlichen<br />

Ebene dem verengten Begriff <strong>der</strong> Kausalität entspricht. Dass Steiner diesen engen naturwissenschaftlichen<br />

Ausdruck <strong>der</strong> Kausalität nicht verwendet, hat vermutlich seinen guten<br />

Gr<strong>und</strong> darin, dass dieser eben für Seelisches o<strong>der</strong> gar Geistiges gar nicht mehr brauchbar ist.<br />

Wir haben das oben anhand <strong>der</strong> Dissertation Wimmenauers etwas erläutert.<br />

Das Wirkende selbst ist, <strong>und</strong> darauf bitte ich zu achten, nur erkenntnismässig greifbar, wenn<br />

<strong>der</strong> Mensch seine eigene Tätigkeit anschaut - in <strong>der</strong> Beobachtung des Denkens. Der Blick in<br />

die äussere Natur, worauf Goethe sich richtet, bietet nichts Wirkendes, weil "das Ding, in dem<br />

gewirkt wird ... als Wahrnehmung außerhalb seines Geistes" bleibt. In dieser Beziehung ist<br />

Goethe bei aller individuellen <strong>und</strong> wissenschaftsmethodischen Exklusivität gegenüber dem<br />

Rest <strong>der</strong> Naturwissenschaftler seiner Zeit gr<strong>und</strong>sätzlich in einer vergleichbaren Lage wie diese.<br />

Der einzige Ort, wo Wirkendes <strong>und</strong> Bewirktes gemeinsam <strong>und</strong> unmittelbar auch in ihrem<br />

Zusammenhang zugänglich <strong>und</strong> durchsichtig sind, ist das menschliche Innere des Denkens.<br />

Und darauf, so Steiner, habe Goethe den Blick nie gerichtet. Womit er sich nicht nur um den<br />

entscheidenden Aspekt <strong>der</strong> Welterklärung gebracht hat, son<strong>der</strong>n auch um ein f<strong>und</strong>iertes Verständnis<br />

<strong>der</strong> menschlichen <strong>Freiheit</strong>. Dass Goethe infolgedessen in seiner Haltung gegenüber<br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> keine wirkliche innere Sicherheit hatte, demonstriert Steiner in den nachfolgenden<br />

Passagen im Anschluss des obigen Zitats, wie <strong>der</strong> Leser dort nachprüfen kann.<br />

Das alles demonstriert zugleich die Grenzen einer Weltanschauung, die sich ganz ausschliesslich<br />

an Goethes Gedanken orientiert. Infolgedessen hatte Steiner alle sachliche Veranlassung,<br />

schon in <strong>der</strong> Schrift Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft seine Eigenständigkeit gegenüber Goethe zu<br />

betonen. Denn was er dort <strong>und</strong> in <strong>der</strong> nachfolgenden <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> schwerpunktmässig<br />

verhandelt, lag allenfalls im weiteren Sinne, nicht aber im unmittelbaren Fokus des<br />

Goetheschen Interesses. Wirklich systematisch aufbauen auf Goethe in dem, was ihm selbst<br />

(Steiner) am allermeisten angelegen war, konnte er nicht. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt: Goethes Weltanschauung<br />

weist zwar viele essentielle Parallelen <strong>und</strong> Gemeinsamkeiten auf zu <strong>Steiners</strong> Intentionen<br />

<strong>und</strong> Ansätzen. Aber um daraus ein Zentrum <strong>der</strong> Welt- <strong>und</strong> Naturerklärung zu entwickeln,<br />

dafür liefert sie nur sehr bedingt das erfor<strong>der</strong>liche gedankliche Ausgangsmaterial. Und<br />

in den wirklich entscheidenden Aspekten gar keines. Das zeigt sich nicht zuletzt sehr deutlich<br />

bei <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Kausalität respektive <strong>der</strong> von Wirkendem <strong>und</strong> Bewirktem.

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