Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich»<br />
nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. Man muß sogar sagen,<br />
wegen <strong>der</strong> hier geltend gemachten Wesenheit des Denkens erscheint dieses dem Beobachter<br />
als durch <strong>und</strong> durch gewollt." dann haben Sie einen unmittelbaren Bezug auf diesen<br />
Sachverhalt. Angesichts <strong>der</strong> ungeheuren Bedeutung, die das Kausalitätsverständnis in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Naturwissenschaft <strong>und</strong> Metaphysik seinerzeit hatte, leuchtet es ein, wenn Steiner<br />
das so sehr akzentuiert. Mehr vielleicht als alles an<strong>der</strong>e. Übrigens durchgängig durch alle seine<br />
philosophisch gehaltenen Frühschriften.<br />
j) Wirkendes <strong>und</strong> Bewirktes <strong>und</strong> <strong>Steiners</strong> Differenz zu Goethe <strong>und</strong> Kant.<br />
Jetzt sind wir so weit, nach diesen längeren Umwegen erst einmal den unterbrochenen Faden<br />
zu Goethe wie<strong>der</strong> aufzunehmen, <strong>und</strong> <strong>Steiners</strong> Kritik an Goethe <strong>und</strong> auch an Kant noch einmal<br />
etwas ins Auge zu fassen. Ich empfehle Ihnen, sich dazu <strong>Steiners</strong> Schrift Goethes<br />
Weltanschauung (1897) in <strong>der</strong> Ursprungsausgabe aus dem Internet herunterzuladen. Ich beziehe<br />
mich nämlich hier auf die Erstauflage von 1897, weil die in relativer zeitlicher Nähe <strong>zur</strong><br />
Erstauflage <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> (1894) steht.<br />
Weiter oben hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, dass Rudolf Steiner bei aller geistigen<br />
Verwandtschaft zu Goethe bei diesem ein erhebliches Defizit konstatiert. Dieses bezieht<br />
sich auf die Tatsache des Denkens <strong>und</strong> die daraus sich ergebenden Folgen für das <strong>Freiheit</strong>sverständnis<br />
des Menschen. Was Goethe in <strong>Steiners</strong> Augen nie getan hat, war, dem Denken<br />
selbst beobachtend nachzugehen, <strong>und</strong> infolgedessen sei ihm nicht nur ein wesentlicher Einblick<br />
in die <strong>Freiheit</strong>sfähigkeit des Menschen entgangen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> direkte empirische<br />
Zugang zu den schöpferischen Mächten <strong>der</strong> Natur. So kommt Goethe nur zu ideellen Abbil<strong>der</strong>n<br />
dieser schöpferischen Mächte, nicht aber unmittelbar zu diesen Mächten selbst. All dies<br />
hat viel mit dem Kausalitätsverständnis zu tun, das wir auf den vorangehenden Seiten etwas<br />
beleuchtet haben. So schreibt Steiner in <strong>der</strong> Schrift Goethes Weltanschauung, Weimar 1897,<br />
S.69 ff:<br />
"Zu <strong>der</strong> unmittelbaren Anschauung des Befreiungsaktes hat es aber Goethe nie gebracht. Diese<br />
Anschauung kann nur <strong>der</strong>jenige haben, <strong>der</strong> sich selbst bei seinem Erkennen belauscht. Goethe<br />
hat zwar die höchste Erkenntnisart ausgeübt; aber er hat diese Erkenntnisart nicht an sich<br />
beobachtet. Gesteht er doch selbst:<br />
«Wie hast du's denn so weit gebracht?<br />
Sie sagen, du habest es gut vollbracht!»<br />
Mein Kind! Ich hab' es klug gemacht;<br />
Ich habe nie über das Denken gedacht.<br />
Aber so wie die schöpferischen Naturkräfte „nach tausendfältigen Pflanzen" noch eine machen,<br />
worin „alle übrigen enthalten" sind, so bringen sie auch nach tausendfältigen Ideen noch<br />
eine hervor, worin die ganze Ideenwelt enthalten ist. Und diese Idee erfaßt <strong>der</strong> Mensch, wenn<br />
er über sein Denken nachdenkt. Eben weil Goethes Denken stets mit den Gegenständen <strong>der</strong><br />
Anschauung erfüllt war, weil sein Denken ein Anschauen, sein Anschauen ein Denken war:<br />
deshalb konnte er nicht dazu kommen, das Denken selbst zum Gegenstande des Denkens zu<br />
machen.