Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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auf vernunftkritischer Ebene ansiedelte, <strong>und</strong> fernab von je<strong>der</strong> seelischen Empirie zu klären<br />
unternahm. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt: Er macht aus einem empirischen Problem irrtümlich ein metaphysisches<br />
<strong>der</strong> apriorischen Denkvoraussetzungen, weil ihm <strong>der</strong> empirische Zugang <strong>zur</strong> seelischen<br />
Ebene fehlt, auf <strong>der</strong> es lösbar ist.<br />
Auch an dieser Stelle stossen Sie sachlich sofort auf <strong>Steiners</strong> Vorhaltungen gegenüber Kant,<br />
dass dieser sich nicht vorrangig gefragt habe, was Erkenntnis eigentlich sei (siehe oben).<br />
Denn für Steiner hat Erkenntnis als faktischer Prozess sehr viel mit erlebter Kausalität zu tun.<br />
Ein Sachverhalt, <strong>der</strong> gar nicht aufzufinden ist, wenn man diesem Was <strong>der</strong> Erkenntnis nicht<br />
ernsthaft seelisch beobachtend mit empirischen Mitteln nachgeht, son<strong>der</strong>n nur mit logischen<br />
Mitteln den vermeintlichen apriorischen Bedingungen des Vernunftgebrauchs nachspürt. Sehen<br />
Sie sich in <strong>Steiners</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> - das gilt jetzt nur für die Zweitauflage von<br />
1918 - einmal an, wie sehr er in den Überarbeitungen von 1918 im dritten Kapitel Wert darauf<br />
legt, das tätige Denken von den rein passiven Seelenerscheinungen, etwa unwillkürlichen Gedankenbil<strong>der</strong>n<br />
<strong>und</strong> Gefühlsäusserungen, abzugrenzen. Immer geht es dort darum, das verursachende<br />
<strong>und</strong> aktiv Tätige beim Denken psychologisch erlebnismässig in den Blick zu bekommen.<br />
Was diesen Charakter <strong>der</strong> durchgehenden Aktivität nicht hat, ist in seinen Augen gar<br />
kein Denken. Und das sind ja, obgleich sehr zentrale <strong>und</strong> wichtige, dennoch erst relativ bescheidene<br />
Anfänge einer weit tiefer reichenden psychologischen Charakterisierung des Denkens.<br />
Verursachung im Seelenleben ist eben nur zu konstatieren, wenn man sich beobachtend den<br />
Erscheinungen des Seelenlebens auch zuwendet. Ein Philosoph, <strong>der</strong> die Methode <strong>der</strong> inneren<br />
Beobachtung von vornherein skeptisch bis ablehnend beurteilt wie Kant, weil er aus mancherlei<br />
Gründen nichts davon hält, nimmt sich damit auch von vorn herein jede Möglichkeit, diesem<br />
begrifflichen Ursprung <strong>und</strong> einem möglichen unmittelbaren Kausalitätserlebnis auf den<br />
Gr<strong>und</strong> zu gehen. Das heisst, er verstellt sich den Weg einer natürlichen, objektangemessenen<br />
Erklärung <strong>und</strong> Aufhellung von Humes Problem. Und er wird eben wie Kant den Weg in die<br />
allgemeine Vernunft- <strong>und</strong> Metaphysikkritik wählen, ohne den genetischen <strong>und</strong> natürlichen<br />
Aspekt jemals ernsthaft ins Auge zu fassen <strong>und</strong> ihm nachzugehen. Wie weit die Zeitverhältnisse<br />
bei Kant <strong>und</strong> Hume zudem überhaupt die Möglichkeiten <strong>und</strong> methodischen Mittel bereit<br />
hielten, <strong>zur</strong> Klärung solcher Problemstellungen beobachtend in das Innere des menschlichen<br />
Seelenlebens einzudringen, ist eine ganz an<strong>der</strong>e, aber verständlicherweise ebenfalls sehr entscheidende<br />
Frage. Für Kant haben wir das oben schon wie<strong>der</strong>holt angedeutet. Für Hume gilt<br />
vergleichbares. In <strong>der</strong> unten angegebenen Literaturliste finden Sie in <strong>der</strong> ausgedehnten Studie<br />
von Jürgen Bona Meyer (Kants Psychologie, Berlin 1870) einige Kant betreffende<br />
Erklärungen dazu, warum Kant die Psychologie so gering schätzte, <strong>und</strong> von ihr auch keinen<br />
energischen Gebrauch machen wollte.<br />
Auf welche Psychologie Hume bei seinen Untersuchungen über den menschlichen Verstand<br />
<strong>zur</strong>ückgriff, können Sie diesem Werk selbst entnehmen. 76 Diltheys Charakteriserung dessen,<br />
die zugleich eine Art exemplarischen Fall beschreibt, wie sich Philosophen <strong>und</strong> Psychologen<br />
einen <strong>der</strong> Naturwissenschaft entlehnten Mechanismus des seelischen <strong>und</strong> geistigen Lebens bis<br />
in die nahe Gegenwart hinein vorstellten, <strong>und</strong> woran sie sich dabei orientierten, sieht folgen<strong>der</strong>massen<br />
aus:<br />
"David Hume, welcher über zwei Generationen nach Spinoza dessen Werk fortsetzte, verhält<br />
sich zu Newton genau so wie Spinoza zu Galilei <strong>und</strong> Descartes. Seine Assoziationstheorie ist<br />
ein Versuch, nach dem Vorbild <strong>der</strong> Gravitationslehre Gesetze des Aneinan<strong>der</strong>haftens von Vorstellungen<br />
zu entwerfen. «Die Astronomen», so erklärt er, «hatten sich lange begnügt, aus den<br />
sichtbaren Erscheinungen die wahren Bewegungen, die wahre Ordnung <strong>und</strong> Größe <strong>der</strong> Him<br />
76<br />
Siehe David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, in <strong>der</strong> Übersetzung von C. Nathansohn,<br />
Leipzig 1893. Im Internet erreichbar unter:<br />
http://archive.org/stream/eineuntersuchun00humegoog#page/n2/mode/2up