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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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5<br />

Ohne Zweifel lässt sich sachlich begründet darüber debattieren, ob Steiner das von Traub genannte<br />

Zentrum <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> Kants, dessen Ich denke, in seinen philosophischen Frühschriften<br />

hinreichend sorgfältig in den Blick genommen hat. Nicht debattieren lässt sich meiner<br />

Meinung nach allerdings darüber, wie die von Traub kritisch hervorgehobenen Gedanken<br />

<strong>Steiners</strong> aus <strong>der</strong> GA-18 in dieser Frage zu gewichten sind. - Sie sind wenig brauchbar, um für<br />

das aufgeworfene Problem - hat Kant nach <strong>Steiners</strong> Einschätzung eine lebendige Erkenntnistheorie<br />

konzipiert o<strong>der</strong> nicht? - argumentativ in Stellung gebracht zu werden. Denn Steiner<br />

behandelt in dem von Traub wie<strong>der</strong>gegebenen Text nicht die Frage, ob Kants Erkenntnistheorie<br />

in irgend einem Sinne einen lebendigen Charakter hat o<strong>der</strong> nicht, son<strong>der</strong>n es geht ihm<br />

ganz gr<strong>und</strong>sätzlich um die philosophische respektive wissenschaftliche Erkenntnis <strong>und</strong> Erklärung<br />

des Lebendigen bzw leben<strong>der</strong> Wesen.<br />

Noch im Absatz vor dem von Traub aufgenommenen Text macht Steiner in GA-18 auf S. 169<br />

f dies deutlich unter Hinweis auf Kants Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft (nachfolgend abgekürzt mit<br />

KrdU), aus <strong>der</strong>en einleitenden Worten zum § 78 er Kant mit folgenden Worten zitiert: "Es<br />

liegt <strong>der</strong> Vernunft unendlich viel daran, den Mechanismus <strong>der</strong> Natur in ihren Erzeugungen<br />

nicht fallen zu lassen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong>selben nicht vorbeizugehen; weil ohne diesen<br />

keine Einsicht in die Natur <strong>der</strong> Dinge erlangt werden kann.", so Kant dort auf S. 276 seiner<br />

Schrift. Und weiter: "Wenn man uns gleich einräumt: daß ein höchster Architekt die Formen<br />

<strong>der</strong> Natur, so wie sie von jeher da sind, unmittelbar geschaffen, o<strong>der</strong> die, so sich in ihrem Laufe<br />

kontinuierlich nach eben demselben Muster bilden, prädeterminiert habe, so ist doch dadurch<br />

unsere Erkenntnis <strong>der</strong> Natur nicht im mindesten geför<strong>der</strong>t; weil wir jenes Wesens Handlungsart<br />

<strong>und</strong> die Ideen desselben, welche die Prinzipien <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Naturwesen enthalten<br />

sollen, gar nicht kennen, <strong>und</strong> von demselben als von oben herab die Natur nicht erklären<br />

können." 4<br />

In <strong>der</strong> Frage einer Erkenntnis des Lebendigen steht Kant in gewisser Hinsicht vor einem doppelten<br />

Dilemma. Irgendwie scheinen Lebewesen nach Vernunft- <strong>und</strong> Zweckprinzipien organisiert<br />

zu sein, die auf einen höheren Architekten in Form eines göttlichen Wesens hinweisen.<br />

Um aber von einem wirklichen Naturzweck zu sprechen ist nötig "die Erkenntnis des Endzwecks<br />

(scopus) <strong>der</strong> Natur, welches eine Beziehung desselben auf etwas Übersinnliches bedarf,<br />

die alle unsere teleologische Naturerkenntnis weit übersteigt; denn <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> Natur<br />

selbst muß über die Natur hinaus gesucht werden." (KrdU, § 67, S. 241) Die Absichten <strong>und</strong><br />

zweckvolle Gestaltungsprinzipien des göttlichen Architekten zu erraten erscheint Kant ein<br />

aussichtsloses Geschäft. Um die mechanistische Erklärung des Lebendigen - in Kants Augen<br />

die Erkenntnisart, die dem Menschen zukommt - ist es allerdings nicht besser bestellt, wie er<br />

an mancher an<strong>der</strong>en Stelle seines Werkes deutlich macht. So auch in <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft<br />

selbst, im § 75, S. 265 (von Steiner auf S. 158 von GA-18 ebenfalls zitiert): "«Es ist<br />

nämlich ganz gewiß, daß wir die organisierten Wesen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en innere Möglichkeit nach bloß<br />

mechanischen Prinzipien <strong>der</strong> Natur nicht einmal <strong>zur</strong>eichend kennen lernen, viel weniger uns<br />

erklären können; <strong>und</strong> zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann, es ist für den Menschen ungereimt,<br />

auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, o<strong>der</strong> zu hoffen, daß noch etwa <strong>der</strong>einst<br />

ein Newton aufstehen könne, <strong>der</strong> auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen,<br />

die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde; son<strong>der</strong>n man muß diese Einsicht<br />

dem Menschen schlechthin absprechen.»<br />

Für Kant geht es hier um die Frage, wie <strong>und</strong> nach welchen Prinzipien das höchste Wesen<br />

(Gott) als eine Art geistiger Architekt die Formen des Lebendigen (etwa Pflanzen <strong>und</strong> Tiere)<br />

geschaffen hat. Und wie <strong>der</strong> Mensch dies erkennen könne. Kants Meinung dazu könnte eindeutiger<br />

nicht ausfallen. Sie lautet: Die Handlungsart jenes höchsten Wesens <strong>und</strong> seine Ideen<br />

4<br />

Immanuel Kant, Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft, fünfte Auflage, herausgegeben von Karl Vorlän<strong>der</strong>, Leipzig 1922, § 78,<br />

S. 276 f. Im Internet frei erhältlich unter:<br />

http://ia700409.us.archive.org/24/items/kritik<strong>der</strong>urteils00kantuoft/kritik<strong>der</strong>urteils00kantuoft.pdf

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