Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ... Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

studienzuranthroposophie.de
von studienzuranthroposophie.de Mehr von diesem Publisher
24.11.2013 Aufrufe

48 schen Zusammenhang darbietet. Diesem Sachverhalt zufolge können wir nicht umhin, ungeachtet der Tatsache, dass die Welt für unser Vorstellen blosses Phänomen ist, den Erscheinungen ein festes Substrat, eine Substanz zu Grunde zu legen, die sich unserer Kenntnis entzieht. Und nun fragen wir: Kann dieser für das Verständnis der Natur wohl begründete Begriff irgend welche Anwendung finden auf das Seelische? Hier ist alles primär als lebendige Erfahrung gegeben, wir treffen nirgends auf ein zu Grunde liegendes Festes, das nicht direkt erfasst werden könnte. So kann unsere Frage nur auf das entschiedenste verneint werden. [] Die gleiche Herkunft wie der Begriff der Substanz hat derjenige der Kausalität. Er bezeichnet vorstellungsmässig den Tatbestand, wonach die Veränderung, das Geschehen in der Natur genau so unabhängig von unserm Willen ist wie das ruhende Sein. Das innere Band, die von einem zum andern Zustand wirkende Kraft ist in unserer Vorstellung, die nur zusammenhangslose Sukzession der Phänomene besitzt, nicht enthalten; demnach muss sie in dem ausser uns sich vollziehenden Vorgang gesucht werden. In dem Zwiespalt zwischen dem Befund hinsichtlich des Verhältnisses des Aussengeschehens zu unserm Willen auf der einen, und dem tatsächlichen Inhalt unseres Vorstellens auf der anderen Seite liegt der Anreiz zu allen Bemühungen, dem inneren Verhältnis der Naturvorgänge einen vorstellungsmässigen Ausdruck zu geben, also zur Ausbildung des Kausalitätsbegriffs. Die in dem Naturvorgang wirkende Kraft entzieht sich nun aber genau wie das Substantielle unserer unmittelbaren Erfassung. Nach den vergeblichen Bemühungen der Metaphysik, ihrer habhaft zu werden, begnügen wir uns mit folgender Erkenntnis: Die Natur gestattet uns, die Vorgänge und Veränderungen in ihr dadurch zu begreifen dass wir einen denknotwendigen Zusammenhang auf sie übertragen. Dies ermöglicht uns, sie zu beherrschen. Als ein Postulat unseres Willens zur Naturerkenntnis gilt uns sonach der strenge Satz der Kausalität. [] So gelangen wir zu dem Ergebnis: Das Kausalitätsbewusstsein ist begründet in einem Erlebnis des Willens; und der Wille zur Erkenntnis hat ihm eine den Anforderungen der Natur entsprechende Ausprägung gegeben in dem strengen Satz der Kausalität. [] Auch hier ist eines ohne weiteres einleuchtend: Der Kausalitätsbegriff, der mit seinen Wurzeln in den Willen hinabreicht und seine bestimmte Formulierung für das Naturerkennen vom Willen zu Lehen trägt, kann nicht in dieser seiner Ausprägung schlechthin auf das Seelische angewandt werden." Ich hoffe der Leser wird bei der Lektüre der vorangehenden Zeilen Wimmenauers gemerkt haben, welch gewaltiger Umschwung sich hier bei Dilthey im Vergleich zu Kant abzeichnet. Mit der Aufnahme der psychologisch-genetischen Perspektive beginnt sich aus dem abstrakten Nebel des verdünnten Saftes von Vernunft als bloßer Denktätigkeit ein lebendiges denkendes, fühlendes und wollendes menschliches Wesen abzuzeichnen. Damit rückt bei Dilthey vorrangig die Frage nach dem Urprung des Denkens, speziell die nach dem Ursprung der Begriffe in das philosophische Interesse. Dass Steiner dem nicht ohne Sympathie begegnet, ist angesichts seiner Kernfrage aus der Philosophie der Freiheit nachvollziehbar. Nach Diltheys Auffassung, so wie sie Wimmenauer oben referriert, sind die Begriffe von Substanz und Kausalität ursprünglich begründet in einem komplexen Strukturzusammenhang des menschlichen Seelenlebens. Dort liegen ihre Wurzeln. Der Begriff der Kausalität - wir bleiben der Übersicht halber bei diesem - trägt seine Formulierung für das Naturgeschehen vom Willen zu Lehen, wie er sagt. Er stammt nämlich aus dem Erlebnis des eigenen Willens in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen der Aussenwelt. Mit dem Widerstand, den diese ihm entgegensetzen. Die Aussenwelt wirkt und ragt über das gesamte menschliche Seelenleben in den Menschen hinein. Rudolf Steiner spricht in der Schrift Von Seelenrätseln (GA-21, S. 158) davon, dass die Aussenwelt "wie in Golfen" in den Menschen hineinragt: "Was im Sinn geschieht ist etwas, das gar nicht unmittelbar dem Organismus angehört. In die Sinne erstreckt sich die Außenwelt wie in Golfen hinein in das Wesen des Organismus. Indem die Seele das im Sinne vor sich gehende Geschehen umspannt, nimmt sie nicht an einem inneren organischen Geschehen teil, sondern an der Fortsetzung des äußeren Geschehens in den Orga­

49 nismus hinein." Ich schätze, Sie erkennen die allgemeine Verwandtschaft dieser Gedankengänge Diltheys und Steiners. In der Naturwissenschaft hat der Begriff der Kausalität nach Dilthey dann eine sehr spezialisierte, veränderte und verengte Form angenommen, die jetzt nicht wieder rückwärts auf das menschliche Seelenleben übertragen werden kann, weil er in dieser naturwissenschaftlich verengten und spezialisierten Form darauf gar nicht mehr anwendbar ist. Woraus zu entnehmen ist, seelische Verursachung im menschlichen Seelenleben ist mit rein naturwissenschaftlichen Begriffen gar nicht mehr zu fassen. Es müssen dazu eigene und andere her. Bei Steiner geht das bezeichnenderweise so weit, dass er den Ausdruck der Kausalität, der ja einen naturwissenschaftlichen Akzent hat, für vergleichbare Verhältnisse des Seelenlebens meines Wissens nie anwendet. So spricht er in der Philosophie der Freiheit im dritten Kapitel von einem Hervorbringen. Und in der Schrift Goethes Weltanschauung von Wirkendem und Bewirktem. Nie explizit von Kausalität. Was angesichts der von Wimmenauer beschriebenen Verhältnisse durchaus Sinn macht. Wir werden das weiter unten noch verhandeln. Eine Frage, die sich weiter aus Wimmenauers Text ergibt ist: Setzt sich der menschliche Wille nur mit der sinnlichen Aussenwelt auseinander, oder nicht auch mit den Erscheinungen seines übrigen Seelenlebens? Gibt es da nicht ebenso Widerständiges, gegen das der Wille mal erfolgreich und mal weniger erfolgreich oder auch völlig machtlos anrennt? Innere Tatsachen, die er vergleichsweise biegen, dehnen, strecken, verdünnen, auflösen oder schaffen kann? Die er modifizieren, bewirken oder auch gar nicht verwandeln kann? Tatsachen, die sich als instabil und variabel oder auch als völlig unbeeinflussbar erweisen? Und zwar ausnamslos ebenso eingebettet in den komplexen Strukturzusammenhang seines gesamten Seelenlebens, mit Fühlen, Wollen und Denken, Erinnern, Hoffen, Wünschen, Erwarten, Tun und Leiden, Lust und Trauer, Freude und Schmerz? So dass eventuell nicht nur, um mit Steiner zu sprechen, die gewöhnliche sinnliche Aussenwelt wie in Golfen in das menschliche Seelenleben hineinragt, sondern auch eine andere, seelische und geistige, wenn man nur den Begriff der Sinne anders fasst, als er gebräuchlich ist? In seiner beispielhaften Abhandlung Beiträge zur Lösung der Frage vom Ursprung unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt und seinem Recht; (Sitzungsberichte der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1890, S. 977 ff) hat Dilthey vorrangig den Glauben an die sinnliche Aussenwelt auf den komplexen Strukturzusammenhang des menschlichen Seelenlebens gegründet und in ihm verankert gesehen. Nun ist eben das menschliche Seelenleben durchaus kein homogenes Feld, und was Dilthey zu unserem Glauben an die äusseren Gegenstände in mustergültiger psychologischer Analyse anführt, das lässt sich wie schon gesagt vergleichbar ebenso gegenüber den übrigen Gegebenheiten des menschlichen Seelenlebens zur Geltung bringen, mit der Frage: Können wir nur von einer sinnlichen Aussenwelt sprechen, oder nicht auch von einer seelischen und geistigen? So dass die sinnliche Aussenwelt nur eine von drei sehr verschiedenen wäre, denen das gemeinsam wäre, gegenüber unserem Ich und unserem Willen unabhängig zu sein. Das setzt natürlich voraus, dass eine vergleichbare Auseinandersetzung mit den Erfahrungen und Erlebnissen unseres Willens, wie Dilthey sie für den Glauben an die sinnliche Aussenwelt mustergültig darlegt, auch für den Bereich des restlichen Innenlebens stattfindet. Eben dies aber vollzieht sich im Rahmen dessen, was Steiner später als seinen anthroposophischen Übungsweg bezeichnet, wie er ihn im Skizzenhaften Ausblick (der Link führt zur Ausgabe von 1914) am Ende der Schrift Die Rätsel der Philosophie (GA-18) überblicksartig darlegt. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie dort vom Menschen willentlich gesucht und herbeigeführt werden muss, während sie sich für die sinnliche Aussenwelt in aller Regel in ganz naturgegebener Weise, und ohne bewusste und willentliche Entscheidung dazu, im Verlauf seiner natürlichen Entwicklung ergibt.

48<br />

schen Zusammenhang darbietet. Diesem Sachverhalt zufolge können wir nicht umhin, ungeachtet<br />

<strong>der</strong> Tatsache, dass die Welt für unser Vorstellen blosses Phänomen ist, den Erscheinungen<br />

ein festes Substrat, eine Substanz zu Gr<strong>und</strong>e zu legen, die sich unserer Kenntnis entzieht.<br />

Und nun fragen wir: Kann dieser für das Verständnis <strong>der</strong> Natur wohl begründete Begriff irgend<br />

welche Anwendung finden auf das Seelische? Hier ist alles primär als lebendige Erfahrung<br />

gegeben, wir treffen nirgends auf ein zu Gr<strong>und</strong>e liegendes Festes, das nicht direkt erfasst<br />

werden könnte. So kann unsere Frage nur auf das entschiedenste verneint werden. [] Die gleiche<br />

Herkunft wie <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Substanz hat <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong> Kausalität. Er bezeichnet vorstellungsmässig<br />

den Tatbestand, wonach die Verän<strong>der</strong>ung, das Geschehen in <strong>der</strong> Natur genau so<br />

unabhängig von unserm Willen ist wie das ruhende Sein. Das innere Band, die von einem zum<br />

an<strong>der</strong>n Zustand wirkende Kraft ist in unserer Vorstellung, die nur zusammenhangslose Sukzession<br />

<strong>der</strong> Phänomene besitzt, nicht enthalten; demnach muss sie in dem ausser uns sich<br />

vollziehenden Vorgang gesucht werden. In dem Zwiespalt zwischen dem Bef<strong>und</strong> hinsichtlich<br />

des Verhältnisses des Aussengeschehens zu unserm Willen auf <strong>der</strong> einen, <strong>und</strong> dem tatsächlichen<br />

Inhalt unseres Vorstellens auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite liegt <strong>der</strong> Anreiz zu allen Bemühungen,<br />

dem inneren Verhältnis <strong>der</strong> Naturvorgänge einen vorstellungsmässigen Ausdruck zu geben,<br />

also <strong>zur</strong> Ausbildung des Kausalitätsbegriffs. Die in dem Naturvorgang wirkende Kraft entzieht<br />

sich nun aber genau wie das Substantielle unserer unmittelbaren Erfassung. Nach den<br />

vergeblichen Bemühungen <strong>der</strong> Metaphysik, ihrer habhaft zu werden, begnügen wir uns mit<br />

folgen<strong>der</strong> Erkenntnis: Die Natur gestattet uns, die Vorgänge <strong>und</strong> Verän<strong>der</strong>ungen in ihr dadurch<br />

zu begreifen dass wir einen denknotwendigen Zusammenhang auf sie übertragen. Dies ermöglicht<br />

uns, sie zu beherrschen. Als ein Postulat unseres Willens <strong>zur</strong> Naturerkenntnis gilt<br />

uns sonach <strong>der</strong> strenge Satz <strong>der</strong> Kausalität. [] So gelangen wir zu dem Ergebnis: Das Kausalitätsbewusstsein<br />

ist begründet in einem Erlebnis des Willens; <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wille <strong>zur</strong> Erkenntnis hat<br />

ihm eine den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Natur entsprechende Ausprägung gegeben in dem strengen<br />

Satz <strong>der</strong> Kausalität. [] Auch hier ist eines ohne weiteres einleuchtend: Der Kausalitätsbegriff,<br />

<strong>der</strong> mit seinen Wurzeln in den Willen hinabreicht <strong>und</strong> seine bestimmte Formulierung für das<br />

Naturerkennen vom Willen zu Lehen trägt, kann nicht in dieser seiner Ausprägung schlechthin<br />

auf das Seelische angewandt werden."<br />

Ich hoffe <strong>der</strong> Leser wird bei <strong>der</strong> Lektüre <strong>der</strong> vorangehenden Zeilen Wimmenauers gemerkt<br />

haben, welch gewaltiger Umschwung sich hier bei Dilthey im Vergleich zu Kant abzeichnet.<br />

Mit <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> psychologisch-genetischen Perspektive beginnt sich aus dem abstrakten<br />

Nebel des verdünnten Saftes von Vernunft als bloßer Denktätigkeit ein lebendiges denkendes,<br />

fühlendes <strong>und</strong> wollendes menschliches Wesen abzuzeichnen. Damit rückt bei Dilthey<br />

vorrangig die Frage nach dem Urprung des Denkens, speziell die nach dem Ursprung <strong>der</strong> Begriffe<br />

in das philosophische Interesse. Dass Steiner dem nicht ohne Sympathie begegnet, ist<br />

angesichts seiner Kernfrage aus <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> nachvollziehbar.<br />

Nach Diltheys Auffassung, so wie sie Wimmenauer oben referriert, sind die Begriffe von Substanz<br />

<strong>und</strong> Kausalität ursprünglich begründet in einem komplexen Strukturzusammenhang des<br />

menschlichen Seelenlebens. Dort liegen ihre Wurzeln. Der Begriff <strong>der</strong> Kausalität - wir bleiben<br />

<strong>der</strong> Übersicht halber bei diesem - trägt seine Formulierung für das Naturgeschehen vom Willen<br />

zu Lehen, wie er sagt. Er stammt nämlich aus dem Erlebnis des eigenen Willens in <strong>der</strong><br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Gegenständen <strong>der</strong> Aussenwelt. Mit dem Wi<strong>der</strong>stand, den diese<br />

ihm entgegensetzen. Die Aussenwelt wirkt <strong>und</strong> ragt über das gesamte menschliche Seelenleben<br />

in den Menschen hinein. Rudolf Steiner spricht in <strong>der</strong> Schrift Von Seelenrätseln (GA-21,<br />

S. 158) davon, dass die Aussenwelt "wie in Golfen" in den Menschen hineinragt: "Was im<br />

Sinn geschieht ist etwas, das gar nicht unmittelbar dem Organismus angehört. In die Sinne erstreckt<br />

sich die Außenwelt wie in Golfen hinein in das Wesen des Organismus. Indem die Seele<br />

das im Sinne vor sich gehende Geschehen umspannt, nimmt sie nicht an einem inneren organischen<br />

Geschehen teil, son<strong>der</strong>n an <strong>der</strong> Fortsetzung des äußeren Geschehens in den Orga­

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!