Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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38 Sie Steiners Verehrung für Brentano verstehen, die nicht nur aus obigem Zitat, sondern auch an anderes Stellen von GA-21 hervortritt. f) Ein Zwischenresümee: Der Entwurfscharakter der Philosophie der Freiheit und die Einlösung ihres freiheitsphilosophischen Programms in der anthroposophischen Geisteswissenschaft. Um das bislang in diesem Kapitel Dargelegte etwas zusammenzuführen lässt sich folgendes grob resümieren: In der Philosophie der Freiheit geht es nicht um eine, sondern um zwei massgebliche Problemstellungen. Um ein entscheidendes Kernproblem, das im Titel nicht auftaucht. Und um ein von diesem unmittelbar abhängiges, das aber im Titel der Schrift zum Hauptthema gemacht ist. Die Kernfrage zielt auf den Ursprung des Denkens. Und erst wenn dieser (empirisch) geklärt ist, lässt sich eine verbindliche Auskunft auch über die Freiheitsfrage, das Titelthema, anvisieren. 58 Dass diese Strategie Steiners, zwei Forschungsziele gleichzeitig in Angriff zu nehmen, deren primäres (Ursprung des Denkens) schon allergrösste Schwierigkeiten bereiten würde, problembehaftet ist, liegt auf der Hand. Was erreicht worden ist lässt sich, gemessen an der Problemstellung, allenfalls als Zwischenziel bezeichnen. Oder, wenn man so will: als Projektentwurf. Im Prinzip ist dieser Entwurf schon 1886 in Steiners Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA-2) in seinem erkenntnistheoretischen Resumee vom Denken als Wesen der Welt angelegt. 59 Einzelne Stationen dessen: Der "Zipfel des Weltgeschehens" aus dem dritten Kapitel der Philosophie der Freiheit, den wir beim Denken in der Hand halten, stellt eine Art allgemeinen Orientierungspunkt oder Lageerfassung dar, wie das ganze dritte Kapitel mit ihrem Archimedischen Hebel der Weltauffassung ebenfalls dem Typ Basislager für den weiteren Fortgang entspricht. Der Nachweis der generellen Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens im dritten Kapitel ist dabei die massgebliche Grösse, auf dem alles weitere aufbaut. Steiners Verweis auf den intuitiven Ursprung des sinnlichkeitsfreien Gedankens im fünften Kapitel visiert dann einen entscheidenden Zielpunkt des weiteren Routenverlaufs an, auf den hin marschiert werden soll. Genauer betrachtet steht dahinter die Frage: Wo kommt der reine Gedanke eigentlich her, den wir bewegen? Welche Qualitäten und Eigenschaften hat dieser Herkunftsort? Alles wichtige Stationen, aber eine gesättigte Klärung des Ursprungs des Denkens ist das alles bei weitem noch nicht, sondern erst ein wichtiger und notwendiger Schritt dorthin; eine Bestimmung von elementaren Ausgangsgrössen, ihn zu erreichen. Wer glauben wollte, dass diese philosophische Grundlegung einer Wissenschaft, beziehungsweise der Suche nach dem Ursprung des Denkens bereits deren abschliessende Resultate zu liefern zu vermag, der befände sich gewaltig im Irrtum. Die wirklich eingehende empirische Aufdeckung des komplexen Wechselverhältnisses von Gedanke, Wollen und Gefühlsleben erst, also des gesamten Seelenlebens mit dem Denken, inklusive unbewusster (sic!) Anteile, die von diesem Basislager ihren Ausgang nimmt, ist imstande, diesen Ursprung substantiell zu erhellen; das Vorangehende zeigt bestenfalls dorthin und sichert ein Stück weit den Weg. Der weitere Fortgang verläuft so, wie es Steiner im Skizzenhaften Ausblick formuliert: "Man wird sich gestehen müssen, daß der Weg «ins Innere der Seele» ein ganz anderer sein muß als derjenige, den manche Weltanhttp://archive.org/details/psychologievome00brengoog 58 Dass es in der Philosophie der Freiheit natürlich um sehr viel mehr Problemstellungen geht, ist klar. Zum Beispiel um die dortige Grundlegung des Erkennens in Kapitel III., den archimedischen Hebel des Weltverständnisses. Mir geht es hier nicht um Details, sondern um die beiden Kernfragen. Dass ich andere ausgelassen habe, muss der Leser mir an dieser Stelle nach ­ sehen. 59 In der im Internet erhältlichen Originalausgabe von 1886 hier zu finden: http://archive.org/stream/grundlinieneine00steigoog#page/n61/mode/2up In der Dornacher Ausgabe von 2003 (GA-2) auf S. 79: "Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist. Eine bloße formale Erkenntniswissenschaft kann das nicht, sie bleibt ewig unfruchtbar."

39 schauungen der neueren Zeit wählen. - Solange man die Seelenerlebnisse nimmt, wie sie sich dem gewöhnlichen Bewußtsein darbieten, solange kommt man nicht in die Tiefen der Seele. Man bleibt bei dem stehen, was diese Tiefen hervortreiben." 60 Die Philosophie der Freiheit aber nimmt die Seelenerlebnisse noch so, "wie sie sich dem gewöhnlichen Bewußtsein darbieten". Was soll sie als empirisches Einstiegswerk auch anderes tun, ohne gleich in bodenlose Spekulation zu verfallen? Sie kann ja zunächst nur beim gewöhnlichen Bewusstsein ihren sicheren Ausgang nehmen. Ohne spezifische methodische Vorkehrungen und Mittel aber - sprich den angedeuteten Übungsweg aus dem Sizzenhaften Ausblick - ist dieser anschliessende und abschliessende Schritt, sprich: das ausgedehnte Hauptuntersuchungsverfahren, dann nicht mehr zu leisten. Und das ist es ja, was Steiner nachfolgend im spezifisch geisteswissenschaftlichen Rahmen in Angriff nimmt und seinem Leser vorstellt. Nicht vorgeht wie Kant, indem er sich feinsinnig irgend etwas schlüssig erscheinendes ausdenkt über apriorische Erkenntnisbedingungen und dergleichen, und es dann dabei bewenden lässt. Der nur logisch getragen wird und in keiner Weise von den psychologischen Fakten, denen er möglichst aus dem Wege geht. Sondern forschend in das faktische Geschehen des Seelenlebens selbst eintaucht und dort den Dingen auf den Grund geht. Somit ziemlich genau das tut, wovor Kant einen regelrechten Horror zu haben schien (siehe oben). Zu überlegen ist also, ob die formulierten Forschungsfragen in der Erstausgabe der Schrift von 1894 überhaupt eingelöst werden konnten. Bei nüchterner Betrachtung eindeutig nicht. Steiner hätte grosse Teile seiner späteren Anthroposophie, die sich auf das Wesen und den Ursprung des Denkens beziehen, dann nämlich samt methodischer Einzelheiten schon in der Philosophie der Freiheit unterbringen müssen. Anders herum: Wirklich eingelöst wird Steiners Fragestellung nach dem Ursprung des Denkens erst mit dem methodischen Instrumentarium seiner Anthroposophie. Einige der Defizite, die Hartmut Traub auf S. 233 ff und andernorts in seiner Schrift thematisiert, sind aus dieser Sicht heraus vielleicht verständlich zu machen. Das erklärte Forschungsziel in allen wesentlichen Aspekten erfolgreich umzusetzen war von vornherein wegen des enormen wissenschaftlichen Aufwandes und aus mancherlei anderen Gründen unmöglich. Die späteren Zusätze zur Philosophie der Freiheit von 1918 mit ihren wiederholten Verweisen auf Steiners Geistesforschung zeigen auch unverkennbar an, dass Steiners Programm in der Schrift für ihn selbst nicht vollständig und realistisch zu verwirklichen war. Nur ein realitätsferner Schwärmer und Utopist hätte dies glauben können - Steiner war beides nicht, sonst wäre er mit seiner wissenschaftlichen Goethe-Herausgabe wohl schnell gescheitert. Deswegen seine wiederholten Bemühungen später (1918) diese Verbindung zur Anthroposophie im Text deutlicher kenntlich zu machen, die in der Erstausgabe nicht so unmittelbar sichtbar war. Nur Sachkenner von Steiners Intentionen hätten dies anhand der Erstausgabe bereits erkennen können. Einer von ihnen war Walther Johannes Stein, der sich in seiner Dissertation an einigen Stellen auch entsprechend äussert. Den methodischen Zusammenhang zwischen dem Skizzenhaften Ausblick am Ende der Steinerschen Schrift Die Rätsel der Philosophie und der Philosophie der Freiheit hat Stein klar erkannt und in seiner Dissertation auch entsprechend aufgenommen. 61 Vollständig und realistisch heisst in diesem Zusammenhang auch: Unter Be­ 60 Rudolf Steiner, Die Rätsel der Philosophie, GA-18, Dornach 1985, S. 603 f In der Ausgabe von 1914 hier zu finden: http://archive.org/stream/diertselderphi00steiuoft#page/234/mode/2up 61 Siehe dazu: Thomas Meyer (Hgr), Walter Johannes Stein - Rudolf Steiner. Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens. Dornach 1985. So schreibt Stein in seiner Dissertation (Meyer, S. 190 f): "Die Selbstbeobachtung, deren das gewöhnliche Bewußtsein fähig ist, lehrt darüber nur, daß wir - wenn wir denken -, ehe der Gedanke klar vor uns steht, uns anstrengen müssen, daß wir tätig sein müssen. Erst nachdem diese Tätigkeit von uns ausgeübt worden ist, steht der Gedanke klar und deutlich vor uns. Der Beobachtung der meisten Menschen entgeht aber diese vorbereitende Tätigkeit fast ganz. Ihre Aufmerksamkeit ist, während sie denken, ganz auf das gerichtet, was als Gedanke aufleuchtet, sobald die vorbereitende Tätigkeit abgelaufen ist. Sie wissen nur dumpf,

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Sie <strong>Steiners</strong> Verehrung für Brentano verstehen, die nicht nur aus obigem Zitat, son<strong>der</strong>n auch<br />

an an<strong>der</strong>es Stellen von GA-21 hervortritt.<br />

f) Ein Zwischenresümee: Der Entwurfscharakter <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> <strong>und</strong> die<br />

Einlösung ihres freiheitsphilosophischen Programms in <strong>der</strong> anthroposophischen Geisteswissenschaft.<br />

Um das bislang in diesem Kapitel Dargelegte etwas zusammenzuführen lässt sich folgendes<br />

grob resümieren: In <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> geht es nicht um eine, son<strong>der</strong>n um zwei<br />

massgebliche Problemstellungen. Um ein entscheidendes Kernproblem, das im Titel nicht<br />

auftaucht. Und um ein von diesem unmittelbar abhängiges, das aber im Titel <strong>der</strong> Schrift zum<br />

Hauptthema gemacht ist. Die Kernfrage zielt auf den Ursprung des Denkens. Und erst wenn<br />

dieser (empirisch) geklärt ist, lässt sich eine verbindliche Auskunft auch über die <strong>Freiheit</strong>sfrage,<br />

das Titelthema, anvisieren. 58 Dass diese Strategie <strong>Steiners</strong>, zwei Forschungsziele gleichzeitig<br />

in Angriff zu nehmen, <strong>der</strong>en primäres (Ursprung des Denkens) schon allergrösste<br />

Schwierigkeiten bereiten würde, problembehaftet ist, liegt auf <strong>der</strong> Hand. Was erreicht worden<br />

ist lässt sich, gemessen an <strong>der</strong> Problemstellung, allenfalls als Zwischenziel bezeichnen. O<strong>der</strong>,<br />

wenn man so will: als Projektentwurf. Im Prinzip ist dieser Entwurf schon 1886 in <strong>Steiners</strong><br />

Gr<strong>und</strong>linien einer Erkenntnistheorie <strong>der</strong> Goetheschen Weltanschauung (GA-2) in seinem erkenntnistheoretischen<br />

Resumee vom Denken als Wesen <strong>der</strong> Welt angelegt. 59<br />

Einzelne Stationen dessen: Der "Zipfel des Weltgeschehens" aus dem dritten Kapitel <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>, den wir beim Denken in <strong>der</strong> Hand halten, stellt eine Art allgemeinen<br />

Orientierungspunkt o<strong>der</strong> Lageerfassung dar, wie das ganze dritte Kapitel mit ihrem Archimedischen<br />

Hebel <strong>der</strong> Weltauffassung ebenfalls dem Typ Basislager für den weiteren Fortgang<br />

entspricht. Der Nachweis <strong>der</strong> generellen Selbsterklärungsfähigkeit des Denkens im dritten Kapitel<br />

ist dabei die massgebliche Grösse, auf dem alles weitere aufbaut. <strong>Steiners</strong> Verweis auf<br />

den intuitiven Ursprung des sinnlichkeitsfreien Gedankens im fünften Kapitel visiert dann<br />

einen entscheidenden Zielpunkt des weiteren Routenverlaufs an, auf den hin marschiert werden<br />

soll. Genauer betrachtet steht dahinter die Frage: Wo kommt <strong>der</strong> reine Gedanke eigentlich<br />

her, den wir bewegen? Welche Qualitäten <strong>und</strong> Eigenschaften hat dieser Herkunftsort? Alles<br />

wichtige Stationen, aber eine gesättigte Klärung des Ursprungs des Denkens ist das alles bei<br />

weitem noch nicht, son<strong>der</strong>n erst ein wichtiger <strong>und</strong> notwendiger Schritt dorthin; eine Bestimmung<br />

von elementaren Ausgangsgrössen, ihn zu erreichen. Wer glauben wollte, dass diese<br />

philosophische Gr<strong>und</strong>legung einer Wissenschaft, beziehungsweise <strong>der</strong> Suche nach dem Ursprung<br />

des Denkens bereits <strong>der</strong>en abschliessende Resultate zu liefern zu vermag, <strong>der</strong> befände<br />

sich gewaltig im Irrtum. Die wirklich eingehende empirische Aufdeckung des komplexen<br />

Wechselverhältnisses von Gedanke, Wollen <strong>und</strong> Gefühlsleben erst, also des gesamten Seelenlebens<br />

mit dem Denken, inklusive unbewusster (sic!) Anteile, die von diesem Basislager ihren<br />

Ausgang nimmt, ist imstande, diesen Ursprung substantiell zu erhellen; das Vorangehende<br />

zeigt bestenfalls dorthin <strong>und</strong> sichert ein Stück weit den Weg. Der weitere Fortgang verläuft so,<br />

wie es Steiner im Skizzenhaften Ausblick formuliert: "Man wird sich gestehen müssen, daß <strong>der</strong><br />

Weg «ins Innere <strong>der</strong> Seele» ein ganz an<strong>der</strong>er sein muß als <strong>der</strong>jenige, den manche Weltanhttp://archive.org/details/psychologievome00brengoog<br />

58 Dass es in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> natürlich um sehr viel mehr Problemstellungen geht, ist klar. Zum Beispiel um die<br />

dortige Gr<strong>und</strong>legung des Erkennens in Kapitel III., den archimedischen Hebel des Weltverständnisses. Mir geht es hier nicht<br />

um Details, son<strong>der</strong>n um die beiden Kernfragen. Dass ich an<strong>der</strong>e ausgelassen habe, muss <strong>der</strong> Leser mir an dieser Stelle nach ­<br />

sehen.<br />

59 In <strong>der</strong> im Internet erhältlichen Originalausgabe von 1886 hier zu finden:<br />

http://archive.org/stream/gr<strong>und</strong>linieneine00steigoog#page/n61/mode/2up<br />

In <strong>der</strong> Dornacher Ausgabe von 2003 (GA-2) auf S. 79: "Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis,<br />

daß das Denken das Wesen <strong>der</strong> Welt ist <strong>und</strong> daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses<br />

Wesens ist. Eine bloße formale Erkenntniswissenschaft kann das nicht, sie bleibt ewig unfruchtbar."

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