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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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37<br />

Seine Übungsbeispiele dort sind ein exzellentes Hilfsmittel, sich das ganz konkret einmal vor<br />

Augen zu führen. Das Entscheidende ist eben, was man aus dieser Datensammlung o<strong>der</strong> dem<br />

Eisbohrkern an Einsichten herausholt, <strong>und</strong> wie man das macht. Es steckt schon einiges an gedanklicher<br />

Arbeit mehr in dem Methodischen, als innere Wahrnehmungen bloss tagebuchartig<br />

aufzuschreiben.<br />

Wie weit Kant dies alles klar war ist hier nicht zu beantworten, aber eine nähere Untersuchung<br />

wert. 53 Damit allerdings wären sich Kant <strong>und</strong> Steiner dann wenigstens in dieser wichtigen<br />

Frage um einiges näher gekommen, nämlich bei <strong>der</strong> empirischen Selbsterklärung <strong>und</strong><br />

Selbstbeschreibung des Denkens.<br />

Die Beobachtung von faktischen Denkakten galt in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> nahezu uneingeschränkt als unmöglich. Ausnahmen davon bestätigen wie immer,<br />

so auch hier, die Regel. Karl Bühler jedenfalls sah sich angesichts seiner Würzburger Denkversuche<br />

noch 1908 mit <strong>der</strong> bissigen Bemerkung Wilhelm W<strong>und</strong>ts konfrontiert, er habe wohl<br />

vor den actus purus <strong>der</strong> Scholastiker zu beobachten. 54 Wer sich über die entsprechende wissenschaftliche<br />

Atmosphäre <strong>und</strong> den Forschungsstand in Fragen <strong>der</strong> empirischen Beobachtung<br />

des Denkens in jener Zeit ein realistisches Bild machen möchte, dem empfehle ich sehr den<br />

Sammelband von Paul Ziche. 55 Insbeson<strong>der</strong>e dort den Überblicksartikel von Oswald Külpe, 56<br />

einem Pionier <strong>der</strong> empirischen Denkbeobachtung, etablierter Professor <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>und</strong><br />

Psychologie <strong>und</strong> Leiter <strong>der</strong> sogenannten Würzburger Schule. Ein gut informierter Zeitgenosse<br />

<strong>Steiners</strong> also. Er berichtet gewissermassen aus dem akademischen Nähkästchen, wie es um<br />

diese Dinge damals in <strong>der</strong> Forschung bestellt war. Ein Steiner jedenfalls, <strong>der</strong> 1894 mit dem<br />

Wissenschaftsziel antrat, den Ursprung des Denkens empirisch aufzuklären, <strong>der</strong> hatte allen<br />

Anlass, nicht darauf zu bauen, dass ihm die akademische Welt begeistert den roten Teppich<br />

ausrollt. Wenn Steiner, wie oben in <strong>der</strong> Fussnote gezeigt, in seinem - Aufruf möchte ich sagen<br />

- in <strong>der</strong> Schrift Von Seelenrätseln schreibt: "Will man nämlich die beste Gr<strong>und</strong>lage schaffen<br />

zu anthropologisch-psychologischen Ergebnissen, die bis an die «Erkenntnis-Grenzorte» gehen,<br />

an denen sich Anthropologie mit Anthroposophie treffen muß, so kann dieses durch ein<br />

psychologisches Laboratorium geschehen ...", dann heisst das nichts weiter als: die beste diesbezügliche<br />

Gr<strong>und</strong>lage ist bei ihm nicht vorhanden. Die passende Gelegenheit sie zu erarbeiten<br />

war nicht gegeben. Wer sich mit den wissenschaftlichen Zeitverhältnissen <strong>Steiners</strong> etwas vertraut<br />

gemacht hat, <strong>der</strong> kann dem nur zustimmen. Wen diese nicht interessieren, <strong>der</strong> wird das<br />

nicht verstehen.<br />

Als kleines persönliches Forschungsprojekt möchte ich dem Leser sehr ans Herz legen, sich<br />

einmal in GA-21 genauer anzusehen, wo sich Anthropologie <strong>und</strong> Anthroposophie nach <strong>Steiners</strong><br />

Auffassung treffen, damit er das konkrete Forschungsfeld in den Blick bekommt, von<br />

dem die Rede ist. Und wenn Sie noch etwas Zeit mehr investieren können, dann schauen Sie<br />

einmal in Franz Brentanos Schrift Psychologie vom empirischen Standtpunkt. 57 Dann werden<br />

53<br />

Siehe, Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 2. Auflage, Königsberg 1800. Im Internet erreichbar<br />

unter:<br />

http://archive.org/details/anthropologiein02kantgoog<br />

54<br />

Karl Bühler, Antwort auf die von W. W<strong>und</strong>t erhobenen Einwände gegen die Methode <strong>der</strong> Selbstbeobachtung an<br />

experimentell erzeugten Erlebnissen. In, Paul Ziche (Hgr), Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung des<br />

Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S. 227 f.<br />

55<br />

Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung des Ichs, Springerverlag, Wien New<br />

York, 1999<br />

56<br />

Oswald Külpe, Über die mo<strong>der</strong>ne Psychologie des Denkens. In, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft,<br />

Kunst <strong>und</strong> Technik, 6, 1912. Wie<strong>der</strong>abdruck in Paul Ziche, Herausgeber, Instrospektion, Texte <strong>zur</strong> Selbstwahrnehmung<br />

des Ichs, Springerverlag, Wien New York, 1999, S. 44-67<br />

57<br />

Franz Brentano Psychologie vom empirischen Standtpunkt, Bd 1, Leipzig 1874<br />

Im Internet erreichbar unter:

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