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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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35<br />

gagierten <strong>und</strong> absolut gegenstandsorientierten Naturforscher wie Goethe völlig verrückt erscheinen.<br />

Man stelle sich vor, Goethe hätte seine Idee <strong>der</strong> Urpflanze nicht anhand des Studiums<br />

zahlloser wirklicher Pflanzenexemplare, son<strong>der</strong>n ausschliesslich anhand eines allgemeinen<br />

Pflanzenbegriffs seiner Zeit entwickelt, den er dem Studium <strong>der</strong> zeitgenössischen Literatur<br />

verdankt. Mit wirklichen Pflanzen hätte er sich dazu nie beschäftigt. Womöglich, weil Mathematik<br />

darauf nicht anwendbar ist, um einen Gedanken Kants aufzunehmen. Ein unmöglicher<br />

Gedanke. Er würde auch das Wesen <strong>der</strong> Erfahrung natürlich innerhalb <strong>und</strong> anhand <strong>der</strong><br />

vielfältigen konkreten Erfahrungsgegebenheiten selbst suchen, aber niemals einzig <strong>und</strong> allein<br />

aus einem blossen allgemeinen Begriff erschliessen wollen. Das setzt aber in beträchtlichem<br />

Umfang innere, seelische (siehe Volkelt!) Beobachtung 48 voraus - etwas, was Johannes Volkelt<br />

in seinem Buch Erfahrung <strong>und</strong> Denken exemplarisch durchexerziert, <strong>und</strong> den psychologischen<br />

Charakter dieser erkenntnistheoretischen Untersuchung auch ausdrücklich dabei betont.<br />

49<br />

Dass Steiner seine diesbezügliche Kritik an Kant - Vor <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Möglichkeit von<br />

Erkenntnis ist die nach ihrem Was zu stellen! - vor allem im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Darstellung<br />

von Goethes Weltanschauung vorbringt, ist vor diesem Hintergr<strong>und</strong> allzu verständlich.<br />

Entsprechend ist Steiner in den Gr<strong>und</strong>linien einer Erkenntnistheorie <strong>der</strong> Goetheschen<br />

Weltanschauung von 1886 vor allem dem Wesen <strong>der</strong> Erfahrung ganz goetheanistisch auf empirischem<br />

Wege nachgegangen, insbeson<strong>der</strong>e dem Denken als höhere Erfahrung innerhalb <strong>der</strong><br />

Erfahrung. Übrigens dabei schon massgeblich gestützt auf Johannes Volkelt, <strong>der</strong> ihm dazu die<br />

entscheidende Kategorie <strong>der</strong> reinen Erfahrung an die Hand gegeben hat. Möglicherweise auch<br />

die ebenso entscheidende Kategorie <strong>der</strong> Beobachtung, die später in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

zum Tragen kommt. Und zwar weit über dieses Werk hinaus bis in methodische Einzelheiten<br />

<strong>der</strong> späteren anthroposophischen Geisteswissenschaft <strong>Steiners</strong> hinein. Denn bei Volkelt<br />

liegt wie bei Steiner die Betonung darauf, dass das Bewusstsein von etwas noch kein Wissen<br />

von etwas ist.<br />

Wie man darüberstehend in das Wesen <strong>der</strong> Erfahrung eindringen kann, ohne vorher erlebend<br />

<strong>und</strong> beobachtend in sie eingetaucht zu sein, das wird wohl für immer das Geheimnis des<br />

Kantschen Kritizismus bleiben. O<strong>der</strong> um es etwas bildhafter in den Worten Wilhelm Diltheys<br />

zum Ausdruck zu bringen: "In den A<strong>der</strong>n des erkennenden Subjektes, das Locke, Hume <strong>und</strong><br />

Kant konstruierten, rinnt nicht wirkliches Blut, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> verdünnte Saft von Vernunft als<br />

48<br />

Volkelt trifft darin auch die sehr bezeichnende Unterscheidung zwischen dem einfachen Erleben o<strong>der</strong> Haben<br />

von inneren Vorkommnissen des Bewusstseins <strong>und</strong> ihrer Beobachtung, die manche Parallele aufzeigt zu <strong>der</strong>jenigen<br />

Kants, die wir weiter unten etwas erläutern werden. So sagt er S. 56 von Erfahrung <strong>und</strong> Denken: "Das einfache<br />

Haben von Bewufstseinsvorgängen ist noch nicht das Wissen von ihnen. Alle Vorgänge, die nur so nebenher,<br />

ohne Gegenstand <strong>der</strong> Aufmerksamkeit zu sein, durch mein Bewußtsein laufen, sind zwar selbstverständlich bewußst,<br />

wenn auch in dunkler Weise; darum aber sind sie nicht auch schon gewußt. [...] Aber auch das aufmerksame<br />

Betrachten des Bewußstseinsinhaltes ist noch nicht notwendig ein absolut gewisses Wissen. Wieviel Unbestimmtes,<br />

Unentwickeltes, Anklingendes, Flüchtiges taucht in meinem Bewußtsein auf, das, so sehr ich auch<br />

meine Aufmerksamkeit darauf lenke, doch nicht von mir in unbezweifelbarer Weise gewußt wird. Es muß zu<br />

dem aufmerksamen Haben von Bewußtseinsvorgängen noch dies dazu kommen, daß es mir gelingt, mittels meiner<br />

Aufmerksamkeit dieselben in ihren Unterschieden <strong>und</strong> Abgrenzungen zu fixieren. Man nennt dieses unterscheidende<br />

Aufmerken in <strong>der</strong> Regel Beobachten." Ob ich innere Vorgänge <strong>und</strong> Ereignisse nur habe, o<strong>der</strong> ob ich<br />

von ihnen deutlich weiss, macht für Volkelt einen erheblichen Unterschied aus. Ein Unterschied, den auch die<br />

meisten anthroposophischen Interpreten <strong>Steiners</strong>, wie etwa Renatus Ziegler o<strong>der</strong> Herbert Witzenmann respektive<br />

<strong>der</strong>en Anhänger, tragischerweise bis heute nicht verstanden haben, mit allen daraus resultierenden Folgen für das<br />

Verständnis von <strong>Steiners</strong> Geistesforschung. Nun ist dieses "unterscheidende Aufmerken" natürlich eine Leistung<br />

des Denkens, um mit <strong>Steiners</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> zu sprechen, die ohne Begriffsbildung nicht auskommt.<br />

Denn das Unterscheidende <strong>und</strong> Abgrenzende muss ja begrifflich fixiert werden, um sie nicht nur zu erleben, son<strong>der</strong>n<br />

davon auch zu zu wissen.<br />

49<br />

Siehe dazu <strong>und</strong> zu den Abgrenzungsfragen von <strong>der</strong> Psychologie Johannes Volkelt, Erfahrung <strong>und</strong> Denken, S.<br />

42 ff. Im Internet unter:<br />

http://archive.org/stream/ErfahrungUndDenken/Johannes_Volkelt_Erfahrung_<strong>und</strong>_Denken#page/n63/mode/2up

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