Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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26 Steiner ging jetzt in der Philosophie der Freiheit allerdings wesentlich langsamer und bedächtiger voran als in den Grundlinien ... von 1886. So langsam, dass selbst Anthroposophen sich oft schwer damit tun, den Zielpunkt genauer zu lokalisieren und Übersicht darin zu finden. Und selbst das war bei realistischer Betrachtung noch bei weitem zu schnell. Dafür gab es durchaus harte sachliche Gründe. Programmatisch aufgenommen wird jedenfalls der erste an Goethe angelehnte Kerngedanke - Überwindung der Entfremdung zwischen Ich und Natur - schon am Ende des zweiten Kapitels (S. 34): "Wir haben uns zwar losgerissen von der Natur; aber wir müssen doch etwas mit herübergenommen haben in unser eigenes Wesen. Dieses Naturwesen in uns müssen wir aufsuchen, dann werden wir den Zusammenhang auch wieder finden. ... " (In der Erstauflage von 1894 in Kap. III, S. 28 f) Dass mit dem Aufsuchen und Wiederfinden der Natur in uns auch dasselbe Thema anklingt wie in den Rätseln der Philosophie, haben wir oben schon erwähnt. (Vergleichbares liesse sich von den Grundlinien ... sagen mit ihrem Fazit vom Denken als Wesen der Welt 24 ) In dieser Beziehung folgt Steiner in der Philosophie der Freiheit ganz derselben Problemstellung, wie er sie in den Rätseln der Philosophie (GA-18) aus etwas anderer, philosophiegeschichtlicher Perspektive entwirft: Die zunehmende Entfremdung von Ich und Natur im Laufe der historischen Bewusstseinsentwicklung, sowie Möglichkeiten und Wege, das Wesen des Menschen im gegenwärtigen Naturbild wiederzufinden. Und die dort (GA-18) einmündet in das Schlusskapitel des Skizzenhaften Ausblicks. In beiden Schriften, ich sagte es oben auch schon, geht es aber im selben Anlauf auch um die Freiheitsfrage, weil der Gedanke und mit ihm das menschliche Selbstbewusstsein nicht nur für die Entfremdung von Ich und Natur, sondern auch für die Entwicklung der menschlichen Autonomie die entscheidende Grösse ist. Und um die Rolle des Gedankens für die Freiheit des Menschen und sein Selbstbewusstsein dreht es sich eben auch in der Philosophie der Freiheit. Wenn man so will, dann sind die Rätsel der Philosophie mit ihrem philosophischen Anliegen eine direkte logischsachliche Verlängerung oder Erweiterung der Philosophie der Freiheit. Das ist wohl kaum zu übersehen. Der zweite auf Goethe verweisende Grundgedanke - das Erkennen ist als schöpferischer Bildeprozess der Geist-Natur zu verstehen - taucht programmatisch auf in der Steinerschen Frage nach dem Ursprung des Denkens im Kapitel I. (Zu betonen ist: auch dies in der Erstauflage von 1894 schon. Dort im Kapitel II, S. 19 f) Eingebettet in eine freiheitsphilosophische Problemstellung auf S. 24 f: "Das führt uns auf die Frage: welches ist der Ursprung und die Bedeutung des Denkens? Denn ohne die Erkenntnis der denkenden Betätigung der Seele ist ein Begriff des Wissens von etwas, also auch von einer Handlung nicht möglich. Wenn wir erkennen, was Denken im allgemeinen bedeutet, dann wird es auch leicht sein, klar darüber zu werden, was für eine Rolle das Denken beim menschlichen Handeln spielt." Die Frage nach dem Ursprung des Denkens ist genetischer Natur und gerichtet auf die "denkende Betätigung der Seele". Von ihrem Ansatz, von ihrer Gesamtanlage her, zielt sie ganz naturgemäss und zwangsläufig in die Richtung der schöpferischen Bildekräfte der Natur und ihrer weiteren Freilegung. So, wie ich im vorangehenden Kapitel schon angedeutet habe: Denn im Erkennen des Menschen liegt nach Goethes Auffassung, - dahingehend versteht ihn Steiner -, derselbe schöpferische Prozess vor, den auch die Natur vollbringt, wenn sie ihre Wesen und Gestaltungen hervorbringt. Und entsprechend fasst er dort Goethes Ansicht zusammen: "Wenn es dem Menschen wirklich gelingt, sich zu der Idee zu erheben, und von der Idee aus die Einzelheiten der Wahrnehmung zu begreifen, so vollbringt er dasselbe, was die Natur vollbringt, indem sie ihre Geschöpfe aus dem geheimnisvollen Ganzen hervorgehen läßt." (siehe oben) Darauf zielt jetzt die Frage nach dem Ursprung des Denkens bei der "denkenden Betäti­ 24 Siehe GA-2, Dornach, 1979, S. 79: "Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken das Wesen der Welt ist und daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses Wesens ist."

27 gung der Seele" mit der weitergehenden Intention die Natur in uns wiederzufinden. Folglich richtet sich die Philosophie der Freiheit im Rahmen ihres freitsphilosophischen Anliegens primär auf eben jenes, was die Natur vollbringt, "wenn sie ihre Wesen und Gestaltungen hervorbringt". Das alles innerhalb des menschlichen Seelenlebens, nicht draussen in der Natur wie bei Goethe. Darin liegt bei aller inneren Verwandtschaft zu Goethe eine fundamentale Differenz zu ihm: "Wir können die Natur außer uns nur finden, wenn wir sie in uns erst kennen." (Philosophie der Freiheit, Kap II, S. 34) - Das hätte Goethe in Steiners Augen so nicht gesehen oder sehen können. (Siehe unten) Der Frage nach dem Ursprung des Denkens ordnet sich erklärtermassen der gesamte gedankliche Verlauf der Philosophie der Freiheit unter. Das ist Steiners zentrales Anliegen, und entsprechend unterstreicht er das ausdrücklich noch einmal am Ende von Kapitel I., S. 25: "Wir mögen die Sache anfassen wie wir wollen: immer klarer muß es werden, daß die Frage nach dem Wesen des menschlichen Handelns die andere voraussetzt nach dem Ursprunge des Denkens." Damit aber zielt er bei Lichte besehen und wenn man die Angelegenheit unvoreingenommen beurteilt, programmatisch in die später so genannte Geisteswissenschaft - dies 1894 schon in Kapitel II., S. 21. Öffentlich und eingehend dargestellt wird die konkrete methodische Einlösung dieses Programms freilich erst später in Steiners Geistesforschung. Dass dieser sachliche Zusammenhang zwischen Philosophie der Freiheit und Steiners Geistesforschung in der Tat besteht, haben wir bereits mehrfach erwähnt. Auch in dem weiter oben genannten Aufsatz Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von 1916 weist Steiner darauf hin mit den Worten: "Der Weg in die geistige Welt wird also zurückgelegt durch die Bloßlegung dessen, was im Denken und im Wollen enthalten ist." 25 Letzten Endes ist das die Fortführung dessen, was in der Philosophie der Freiheit allgemein veranlagt ist. Es empfiehlt sich sehr, den genannten Aufsatz darauf hin einmal anzusehen. Mit der freiheitsphilosophischen Leitfrage nach dem Ursprung des Denkens - man muss sie nur ernst genug nehmen und unterstellen, dass Steiner dies auch tat - formuliert Steiner bei nüchterner Betrachtung in der Philosophie der Freiheit ein gewaltiges, umfangreiches Wissenschafts- und Forschungsprogramm mit zahllosen inhaltlichen und methodischen Detailfragen, die abzuarbeiten sind. Anders gesagt - sein eigentliches anthroposophisch-geisteswissenschaftliches Forschungsprogramm. Zumindest den Grundstock dieses Mammutprojektes. Ein Programm, das dem Zeitgeist zwar nicht gänzlich widersprach - siehe etwa Johannes Volkelt, siehe auch Wilhelm Dilthey, siehe Eduard von Hartmann, und siehe auch Karl Bühler und Oswald Külpe - ihm darin aber auch nicht unbedingt entgegenkam, und auf energischen Widerstand zu rechnen hatte. Exemplarisch steht dafür Kants Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft. Kants Einschätzung hatte sich in mancherlei Hinsicht zwar stark überlebt, weil die Wissenschaftsentwicklung nicht ganz so zurückhaltend verlief, wie er sich das darin vorstellte. In Fragen der seelischen Beobachtung allerdings, der empirischen Wissenschaft von der (denkenden) Seele, lag er mit seiner pessimistischen Prognose nicht ganz so gründlich daneben wie im Fall der Chemie. 26 Vollkommen abenteuerlich wäre es infolgedessen, zu erwarten, dass die von Steiner 1894 programmatisch erhobene Frage nach dem Ursprung des Denkens in einer einzigen 330 Seiten starken freiheitsphilosophischen Grundschrift abgehandelt und abgearbeitet werden könnte - und wäre sie noch weit umfangreicher. Nur ein ahnungsloser geistiger Desperado und Glücksritter könnte dies glauben und behaupten. Ein ernsthafter Philosoph, der selbst auch ernst genommen werden möchte und mit den philosophischen Problemstellungen und den Forschungsusancen seiner Zeit einigermassen vertraut ist, wohl auch noch akademische Berufspläne hegt wie der Steiner um 1894, 25 Siehe Steiners Aufsatz von 1916, Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, in GA-35, Dornach 1984, S. 283. 26 Siehe Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, herausgegeben von Alois Höfler, Leipzig 1900,Vorrede. Im Internet frei zugänglich unter: http://archive.org/details/metaphysischeanf00kantuoft

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Steiner ging jetzt in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> allerdings wesentlich langsamer <strong>und</strong> bedächtiger<br />

voran als in den Gr<strong>und</strong>linien ... von 1886. So langsam, dass selbst Anthroposophen sich<br />

oft schwer damit tun, den Zielpunkt genauer zu lokalisieren <strong>und</strong> Übersicht darin zu finden.<br />

Und selbst das war bei realistischer Betrachtung noch bei weitem zu schnell. Dafür gab es<br />

durchaus harte sachliche Gründe.<br />

Programmatisch aufgenommen wird jedenfalls <strong>der</strong> erste an Goethe angelehnte Kerngedanke -<br />

Überwindung <strong>der</strong> Entfremdung zwischen Ich <strong>und</strong> Natur - schon am Ende des zweiten Kapitels<br />

(S. 34): "Wir haben uns zwar losgerissen von <strong>der</strong> Natur; aber wir müssen doch etwas mit herübergenommen<br />

haben in unser eigenes Wesen. Dieses Naturwesen in uns müssen wir aufsuchen,<br />

dann werden wir den Zusammenhang auch wie<strong>der</strong> finden. ... " (In <strong>der</strong> Erstauflage von<br />

1894 in Kap. III, S. 28 f) Dass mit dem Aufsuchen <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>finden <strong>der</strong> Natur in uns auch<br />

dasselbe Thema anklingt wie in den Rätseln <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, haben wir oben schon erwähnt.<br />

(Vergleichbares liesse sich von den Gr<strong>und</strong>linien ... sagen mit ihrem Fazit vom Denken als Wesen<br />

<strong>der</strong> Welt 24 ) In dieser Beziehung folgt Steiner in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> ganz <strong>der</strong>selben<br />

Problemstellung, wie er sie in den Rätseln <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> (GA-18) aus etwas an<strong>der</strong>er,<br />

philosophiegeschichtlicher Perspektive entwirft: Die zunehmende Entfremdung von Ich <strong>und</strong><br />

Natur im Laufe <strong>der</strong> historischen Bewusstseinsentwicklung, sowie Möglichkeiten <strong>und</strong> Wege,<br />

das Wesen des Menschen im gegenwärtigen Naturbild wie<strong>der</strong>zufinden. Und die dort (GA-18)<br />

einmündet in das Schlusskapitel des Skizzenhaften Ausblicks. In beiden Schriften, ich sagte es<br />

oben auch schon, geht es aber im selben Anlauf auch um die <strong>Freiheit</strong>sfrage, weil <strong>der</strong> Gedanke<br />

<strong>und</strong> mit ihm das menschliche Selbstbewusstsein nicht nur für die Entfremdung von Ich <strong>und</strong><br />

Natur, son<strong>der</strong>n auch für die Entwicklung <strong>der</strong> menschlichen Autonomie die entscheidende<br />

Grösse ist. Und um die Rolle des Gedankens für die <strong>Freiheit</strong> des Menschen <strong>und</strong> sein Selbstbewusstsein<br />

dreht es sich eben auch in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. Wenn man so will, dann<br />

sind die Rätsel <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> mit ihrem philosophischen Anliegen eine direkte logischsachliche<br />

Verlängerung o<strong>der</strong> Erweiterung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. Das ist wohl kaum zu<br />

übersehen.<br />

Der zweite auf Goethe verweisende Gr<strong>und</strong>gedanke - das Erkennen ist als schöpferischer Bildeprozess<br />

<strong>der</strong> Geist-Natur zu verstehen - taucht programmatisch auf in <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen Frage<br />

nach dem Ursprung des Denkens im Kapitel I. (Zu betonen ist: auch dies in <strong>der</strong> Erstauflage<br />

von 1894 schon. Dort im Kapitel II, S. 19 f) Eingebettet in eine freiheitsphilosophische Problemstellung<br />

auf S. 24 f: "Das führt uns auf die Frage: welches ist <strong>der</strong> Ursprung <strong>und</strong> die Bedeutung<br />

des Denkens? Denn ohne die Erkenntnis <strong>der</strong> denkenden Betätigung <strong>der</strong> Seele ist ein<br />

Begriff des Wissens von etwas, also auch von einer Handlung nicht möglich. Wenn wir erkennen,<br />

was Denken im allgemeinen bedeutet, dann wird es auch leicht sein, klar darüber zu werden,<br />

was für eine Rolle das Denken beim menschlichen Handeln spielt."<br />

Die Frage nach dem Ursprung des Denkens ist genetischer Natur <strong>und</strong> gerichtet auf die "denkende<br />

Betätigung <strong>der</strong> Seele". Von ihrem Ansatz, von ihrer Gesamtanlage her, zielt sie ganz naturgemäss<br />

<strong>und</strong> zwangsläufig in die Richtung <strong>der</strong> schöpferischen Bildekräfte <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> ihrer<br />

weiteren Freilegung. So, wie ich im vorangehenden Kapitel schon angedeutet habe: Denn<br />

im Erkennen des Menschen liegt nach Goethes Auffassung, - dahingehend versteht ihn Steiner<br />

-, <strong>der</strong>selbe schöpferische Prozess vor, den auch die Natur vollbringt, wenn sie ihre Wesen <strong>und</strong><br />

Gestaltungen hervorbringt. Und entsprechend fasst er dort Goethes Ansicht zusammen:<br />

"Wenn es dem Menschen wirklich gelingt, sich zu <strong>der</strong> Idee zu erheben, <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Idee aus<br />

die Einzelheiten <strong>der</strong> Wahrnehmung zu begreifen, so vollbringt er dasselbe, was die Natur vollbringt,<br />

indem sie ihre Geschöpfe aus dem geheimnisvollen Ganzen hervorgehen läßt." (siehe<br />

oben) Darauf zielt jetzt die Frage nach dem Ursprung des Denkens bei <strong>der</strong> "denkenden Betäti­<br />

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Siehe GA-2, Dornach, 1979, S. 79: "Unsere Erkenntnistheorie führt zu dem positiven Ergebnis, daß das Denken<br />

das Wesen <strong>der</strong> Welt ist <strong>und</strong> daß das individuelle menschliche Denken die einzelne Erscheinungsform dieses<br />

Wesens ist."

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