Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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24 Wer den Philosophen Steiner gewaltsam trennt von dieser Methode, wie uns dies Hartmut Traub in seinem Buch fast durchgängig vorexerziert, der rennt mit dem Verständnis früher oder später gegen die Wand. Das gilt gleichermassen für Anthroposophen wie für Nichtanthroposophen. Kapitel 5 Wirkendes und Bewirktes und der Zipfel des Weltgeschehens a) Bei aller philosophischen Eigenständigkeit - Goethes Kerngedanken leben bei Steiner weiter. Am Ende der Vorrede zu seiner Schrift Wahrheit und Wissenschaft (S. 13 f) hat Steiner 1892 unter Hinweis auf die spätere Philosophie der Freiheit auf folgendes aufmerksam gemacht: "Mit dieser Schrift hoffe ich aber nun gezeigt zu haben daß mein Gedankengebäude eine in sich selbst begründete Ganzheit ist, die nicht aus der Goetheschen Weltanschauung abgeleitet zu werden braucht." Dass er sich nicht einzig und allein nur an Goethe orientierte, selbst wenn er dessen Erkenntnistheorie zu rekonstruieren suchte, wie in der Schrift Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA-2, Dornach 2003) 21 wird der mit Steiners Grundschriften vertraute Leser hinreichend wissen. In der unter dem Titel Wahrheit und Wissenschaft in Buchform herausgegebenen und geringfügig überarbeiteten Dissertation wird diese Eigenständigkeit ausdrücklich betont. Und man wird sie auch auf das spätere Werk Die Philosophie der Freiheit übertragen dürfen. Ableiten aus der Goetheschen Weltanschauung lässt sich das Steinersche Denken aus Wahrheit und Wissenschaft und dem Nachfolgewerk in der Tat ohnehin nicht, denn dazu war Goethe viel zu wenig systematischer Philosoph. Was indessen nicht heisst, dass Steiner sich in allem von Goethes philosophischen Gedanken gelöst und sie etwa beiseite geschoben hätte. Ganz im Gegenteil: In der Schrift Von Seelenrätseln (GA- 21, S. 59) sagt er nämlich, "daß alle in meiner «Philosophie der Freiheit» vorgebrachten Grundanschauungen bereits in meinen früheren Schriften ausgesprochen und in dem genannten Buche nur in einer zusammenfassenden und sich mit den philosophisch-erkenntnistheoretischen Ansichten vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts auseinandersetzenden Art vorgetragen sind. Ich wollte in dieser «Philosophie der Freiheit» in systematisch-organischer Gliederung zur Darstellung bringen, was ich in den früheren, fast ein ganzes Jahrzehnt umfassenden Veröffentlichungen an erkenntnistheoretischer Grundlegung und an ethisch-philosophischen Folgerungen für eine auf die Erfassung der geistigen Welt zielende Anschauung niedergelegt hatte." Wer Steiners Grundschriften kennt, der wird dem zustimmen. In den Grundansichten hat sich nichts wesentliches geändert. Bei der Darstellung und der Verwendung der gedanklichen Mittel schon. Manche bei Goethe vorherrschenden, ganz zentralen Gedanken, die folglich auch in der Philosophie der Freiheit erscheinen, haben wir vorhin bereits erwähnt. Es ist die in der Jetztzeit anstehende Verknüpfung von menschlichem Selbstbewusstsein und modernem Naturbild, wie sie Steiner in GA-18 vor einem breit entfalteten geistes- und bewusstseinsgeschichtlichen Hintergrund 1914 in erster Auflage zur Sprache bringt. 22 Als deren erfolgreicher und exem­ 21 Die Originalausgabe von 1886 siehe hier: http://archive.org/stream/grundlinieneine00steigoog#page/n7/mode/2up https://ia600201.us.archive.org/1/items/grundlinieneine00steigoog/grundlinieneine00steigoog.pdf 22 Die zweite Auflage erschien 1918. Der erste Teilband der Erstauflage von 1914 ist im Internet leider noch nicht zugänglich. Den zweiten Teilband der ersten Auflage von 1914 finden Sie hier: http://archive.org/details/diertselderphi00steiuoft

25 plarischer moderner Repräsentant dort Goethe genannt wird. Sie lässt sich auch problemlos schon aus den Grundlinien ... von 1886 ablesen, allerdings anders formuliert und entwickelt als in den beiden übrigen Schriften. Und vor allem auch Goethes Verständnis vom Erkennen als einem geistigen (Natur) Geschehen, das nach demselben Muster verläuft wie die geistigschöpferischen Bildevorgänge der Natur (siehe oben), greift Steiner in der Philosophie der Freiheit auf. Für die Philosophie der Freiheit sind das ganz richtungweisende Gedanken. Es ist also keineswegs so, wie Hartmut Traub auf S. 211 seines Buches anlässlich der Emanzipation Steiners von Goethe vermerkt: "Und tatsächlich wird Goethe dann in der angekündigten Philosophie der Freiheit wenn auch nicht völlig ausgeblendet, so doch überhaupt nur zweimal, und das an nicht unbedingt zentralen Stellen der Arbeit, erwähnt." 23 So urteilen kann man wohl nur, wenn man vorrangig und vordergründig an der Oberfläche und an Namen haftet. Explizit erwähnt wird Goethe dort vielleicht nicht so oft, seine Gedanken leben aber in der Schrift aus guten Gründen in höchster Virulenz weiter. Und es ist eine Sache, Überzeugungen Goethes zu teilen, und eine andere sie zu begründen und für ein spezifisches Forschungsfeld wissenschaftlich fruchtbar zu machen, das Goethe nach Steiners Auffassung so gut wie nie beackert hat, wie wir unten sehen werden, nämlich das der Beobachtung des Denkens und die Freiheitsphilosophie - im Prinzip beides auch aus den Grundlinien ... schon bestens bekannt. Wer sich vornehmlich an Sachfragen orientiert und die Verhältnisse einigermassen kennt, der hat alle Veranlassung Steiners eigener Einschätzung oben aus der Schrift Von Seelenrätseln zu folgen, die wesentlich zutreffender ist und den Realitäten weit mehr gerecht wird als Hartmut Traub. Und tatsächlich sind die Kernfragen aus den früheren an Goethe orientierten Schriften und Veröffentlichungen Steiners ganz dieselben geblieben, wie es aus Steiners persönlichen Worten hervorgeht. Ausgeblendet werden sie sachlich in keiner Weise. Literarisch und philosophisch sind sie in mancher Hinsicht allerdings anders eingekleidet - vielleicht sogar bis zur scheinbaren Unsichtbarkeit. Neu indessen ist Steiners Versuch einer wissenschaftlichen Fruchtbarmachung Goethescher Ideen anhand modernerer Gedankengänge der Steinerzeit wahrhaftig nicht. Bei flüchtigem Hinsehen hatte schon in den Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung von 1886 ein Johannes Volkelt mit seiner reinen Erfahrung mit Goethe nicht viel zu tun, ein Richard Wahle auch nicht, und ebenso wenig ein Wilhelm Wundt. Bisweilen fragten sich selbst gut informierte Anthroposophen schon öffentlich, wo da eigentlich der Bezug zu Goethe liege. Aber es demonstriert letztlich doch nur, dass es Steiner in diesen Schriften nie darauf ankam philologische Beiträge zur Goetheforschung zu liefern, sondern wissenschaftliche Grundideen der Goetheschen Weltanschauung, die er seinem eigenen Selbstverständnis nach für tragfähig und zukunftsweisend hielt, mit moderneren Mitteln seinen eigenen Erkenntniszielen und dem Weltverständnis dienstbar zu machen. Allen voran das forschende Interesse Goethes an einer Welt, "die den Sinnen unzugänglich ist". Und das zieht sich hin von den Grundlinien ... und den Einleitungen in Goethes Naturwissenschaftliche Schriften über die Philosophie der Freiheit bis zu den Rätseln der Philosophie mit ihrem Skizzenhaften Ausblick und darüber hinaus. Dass er bei all dem Goethe irgendwo ausgeblendet habe, kann man bei aller Emanzipation wahrlich nicht behaupten. Weder implizit noch explizit. Dies alles scheint Hartmut Traub nicht zu bemerken, der sich, - ich bitte um Verzeihung, doch man möchte manchmal meinen: emsig wie ein Maulwurf, aber auch ebenso blind für Steiners Intentionen - durch Steiners Texte gräbt, und kaum eine Wahrnehmung für dessen eigentliches Kernanliegen hat. b) Die Frage nach dem Ursprung des Denkens: Freiheitsphilosophische Kernfrage und geisteswissenschaftlicher Programmentwurf der Philosophie der Freiheit 23 Hartmut Traub, Philosophie und Anthroposophie, Stuttgart 2011, S. 211.

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Wer den Philosophen Steiner gewaltsam trennt von dieser Methode, wie uns dies Hartmut<br />

Traub in seinem Buch fast durchgängig vorexerziert, <strong>der</strong> rennt mit dem Verständnis früher<br />

o<strong>der</strong> später gegen die Wand. Das gilt gleichermassen für Anthroposophen wie für Nichtanthroposophen.<br />

Kapitel 5<br />

Wirkendes <strong>und</strong> Bewirktes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zipfel des Weltgeschehens<br />

a) Bei aller philosophischen Eigenständigkeit - Goethes Kerngedanken leben bei Steiner<br />

weiter.<br />

Am Ende <strong>der</strong> Vorrede zu seiner Schrift Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft (S. 13 f) hat Steiner 1892<br />

unter Hinweis auf die spätere <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> auf folgendes aufmerksam gemacht:<br />

"Mit dieser Schrift hoffe ich aber nun gezeigt zu haben daß mein Gedankengebäude eine in<br />

sich selbst begründete Ganzheit ist, die nicht aus <strong>der</strong> Goetheschen Weltanschauung abgeleitet<br />

zu werden braucht."<br />

Dass er sich nicht einzig <strong>und</strong> allein nur an Goethe orientierte, selbst wenn er dessen Erkenntnistheorie<br />

zu rekonstruieren suchte, wie in <strong>der</strong> Schrift Gr<strong>und</strong>linien einer Erkenntnistheorie<br />

<strong>der</strong> Goetheschen Weltanschauung (GA-2, Dornach 2003) 21 wird <strong>der</strong> mit <strong>Steiners</strong> Gr<strong>und</strong>schriften<br />

vertraute Leser hinreichend wissen. In <strong>der</strong> unter dem Titel Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

in Buchform herausgegebenen <strong>und</strong> geringfügig überarbeiteten Dissertation wird diese<br />

Eigenständigkeit ausdrücklich betont. Und man wird sie auch auf das spätere Werk Die <strong>Philosophie</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> übertragen dürfen. Ableiten aus <strong>der</strong> Goetheschen Weltanschauung lässt<br />

sich das <strong>Steiners</strong>che Denken aus Wahrheit <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> dem Nachfolgewerk in <strong>der</strong><br />

Tat ohnehin nicht, denn dazu war Goethe viel zu wenig systematischer Philosoph. Was indessen<br />

nicht heisst, dass Steiner sich in allem von Goethes philosophischen Gedanken gelöst <strong>und</strong><br />

sie etwa beiseite geschoben hätte. Ganz im Gegenteil: In <strong>der</strong> Schrift Von Seelenrätseln (GA-<br />

21, S. 59) sagt er nämlich, "daß alle in meiner «<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>» vorgebrachten<br />

Gr<strong>und</strong>anschauungen bereits in meinen früheren Schriften ausgesprochen <strong>und</strong> in dem genannten<br />

Buche nur in einer zusammenfassenden <strong>und</strong> sich mit den philosophisch-erkenntnistheoretischen<br />

Ansichten vom Ende des neunzehnten Jahrh<strong>und</strong>erts auseinan<strong>der</strong>setzenden Art vorgetragen<br />

sind. Ich wollte in dieser «<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>» in systematisch-organischer Glie<strong>der</strong>ung<br />

<strong>zur</strong> Darstellung bringen, was ich in den früheren, fast ein ganzes Jahrzehnt umfassenden<br />

Veröffentlichungen an erkenntnistheoretischer Gr<strong>und</strong>legung <strong>und</strong> an ethisch-philosophischen<br />

Folgerungen für eine auf die Erfassung <strong>der</strong> geistigen Welt zielende Anschauung nie<strong>der</strong>gelegt<br />

hatte." Wer <strong>Steiners</strong> Gr<strong>und</strong>schriften kennt, <strong>der</strong> wird dem zustimmen. In den Gr<strong>und</strong>ansichten<br />

hat sich nichts wesentliches geän<strong>der</strong>t. Bei <strong>der</strong> Darstellung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Verwendung <strong>der</strong><br />

gedanklichen Mittel schon.<br />

Manche bei Goethe vorherrschenden, ganz zentralen Gedanken, die folglich auch in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> erscheinen, haben wir vorhin bereits erwähnt. Es ist die in <strong>der</strong> Jetztzeit<br />

anstehende Verknüpfung von menschlichem Selbstbewusstsein <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>nem Naturbild, wie<br />

sie Steiner in GA-18 vor einem breit entfalteten geistes- <strong>und</strong> bewusstseinsgeschichtlichen<br />

Hintergr<strong>und</strong> 1914 in erster Auflage <strong>zur</strong> Sprache bringt. 22 Als <strong>der</strong>en erfolgreicher <strong>und</strong> exem­<br />

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Die Originalausgabe von 1886 siehe hier:<br />

http://archive.org/stream/gr<strong>und</strong>linieneine00steigoog#page/n7/mode/2up<br />

https://ia600201.us.archive.org/1/items/gr<strong>und</strong>linieneine00steigoog/gr<strong>und</strong>linieneine00steigoog.pdf<br />

22<br />

Die zweite Auflage erschien 1918. Der erste Teilband <strong>der</strong> Erstauflage von 1914 ist im Internet lei<strong>der</strong> noch<br />

nicht zugänglich. Den zweiten Teilband <strong>der</strong> ersten Auflage von 1914 finden Sie hier:<br />

http://archive.org/details/diertsel<strong>der</strong>phi00steiuoft

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