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Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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19<br />

für das selbstbewußte Ich dasjenige gef<strong>und</strong>en, was es als wirkliches Wesen erscheinen läßt.<br />

Goethe hat eine Vorstellung entwickelt, durch welche das selbstbewußte Ich sich belebt erfühlen<br />

kann, weil es sich mit den schaffenden Naturwesenheiten eins fühlt. Die neueren Weltanschauungen<br />

suchten das Rätsel des selbstbewußten Ich zu bewältigen; Goethe versetzt in dieses<br />

Ich die lebendige Idee; <strong>und</strong> mit dieser in ihm waltenden Lebenskraft erweist sich dieses<br />

Ich selbst als lebensvolle Wirklichkeit. Die griechische Idee ist mit dem Bilde verwandt; sie<br />

wird betrachtet wie das Bild. Die Idee <strong>der</strong> neueren Zeit muß mit dem Leben, dem Lebewesen<br />

selbst verwandt sein; sie wird erlebt. Und Goethe wußte davon, daß es ein solches Erleben <strong>der</strong><br />

Idee gibt. Er vernahm im selbstbewußten Ich den Hauch <strong>der</strong> lebendigen Idee." 18<br />

Goethe ist in den Augen <strong>Steiners</strong> dabei ein empirisches Naturbild zu gewinnen, in dem auch<br />

die geistige Seite <strong>der</strong> Natur, die "den Sinnen unsichtbare Welt" ihren gebührenden Platz erhält.<br />

Damit löst Goethe ein Naturbild ab, in <strong>der</strong> die Seele des Menschen "von sich selbst<br />

nichts finden" kann, durch ein solches, in dem sie "mit ihrem wahren Wesen wurzelt". O<strong>der</strong><br />

wie Steiner im Skizzenhaften Ausblick (GA-18, S. 610) zusammenfasst: "Goethe strebte in<br />

dem selbstbewußten Ich nach solchen Erlebnissen, die, indem sie von <strong>der</strong> Menschenseele erarbeitet<br />

werden, zugleich diese Seele in den Bereich <strong>der</strong>jenigen Wirklichkeit stellen, welche<br />

den Sinnen unzugänglich ist. Wenn er nach einer solchen Idee <strong>der</strong> Pflanze strebt, die nicht mit<br />

Sinnen geschaut werden kann, die jedoch das übersinnliche Wesen aller Pflanzen so enthält,<br />

daß man, von ihr ausgehend, Pflanzen ersinnen kann, die lebensmöglich sind, so steht Goethe<br />

mit solcher Geistesart auf dem hier angezeigten Boden." Der angezeigte "Boden" ist <strong>der</strong> des<br />

Skizzenhaften Ausblicks. Dort siedelt Steiner Goethe an, weil dieser sich nach <strong>Steiners</strong> Auffassung<br />

um das Erleben <strong>und</strong> Erkennen jener Welt bemüht, die auch im Fokus <strong>Steiners</strong> liegt. Und<br />

so das Naturbild um einen lebenswichtigen Bestandteil erweitert. Womit die Seele bei Goethe<br />

jenen entscheidenden Anteil <strong>zur</strong>ückerhält, <strong>der</strong> ihr im mo<strong>der</strong>nen Naturbild, <strong>und</strong> auch bei Kant<br />

abhanden gekommen ist (siehe oben).<br />

Der grössere Teil <strong>der</strong> <strong>Steiners</strong>chen Bemerkung im oben zitierten Resumee von S. 170 f <strong>der</strong><br />

GA-18 besteht in einer knappen Interpretation <strong>und</strong> perspektivischen Erläuterung von Goethes<br />

eigenen Worten aus <strong>der</strong> italienischen Reise, die er anfangs zitiert. (Siehe dazu unsere obige<br />

Fussnote mit dem ausführlicheren Originaltext Goethes.) Die <strong>Steiners</strong>che Interpretation bindet<br />

Goethes persönlichen Bericht in den von Steiner in GA-18 entwickelten, <strong>und</strong> im Kapitel Zur<br />

Orientierung über die Leitlinien <strong>der</strong> Darstellung dem Buch vorangestellten philosophiegeschichtlichen<br />

Entwicklungsgang ein. Mit den Worten "Damit ist er auf dem Wege, in dem<br />

selbstbewußten Ich nicht nur die wahrnehmbare, die gedachte, son<strong>der</strong>n die lebendige Idee zu<br />

finden" rekurriert Steiner direkt auf den in unserem Exkurs oben erläuterten geistes- <strong>und</strong> bewusstseinsgeschichtlichen<br />

Werdegang, <strong>und</strong> platziert Goethe etwas holzschnittartig, aber prin­<br />

18<br />

Mit den Ausdrücken: konsequent sein, keine malerischen o<strong>der</strong> dichterischen Schatten <strong>und</strong> Scheine, innere<br />

Wahrheit <strong>und</strong> Notwendigkeit, lässt Steiner eingangs, mit Blick auf den wissenschaftlichen Anspruch Goethes,<br />

diesen selbst reden, <strong>und</strong> nimmt Goethes Worte aus <strong>der</strong> italienischen Reise (Neapel, den 17. Mai 1787) auf. Siehe<br />

Johann Wolfgang von Goethe, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, herausgegeben von Erich Trunz, Band 11,<br />

München 1978, S. 323 f<br />

Siehe diesen Text aus <strong>der</strong> italienischen Reise auch im Internet:<br />

http://gutenberg.spiegel.de/buch/3682/63<br />

Bei Goethe heisst es: "Ferner muß ich dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis <strong>der</strong> Pflanzenzeugung <strong>und</strong><br />

-organisation ganz nahe bin, <strong>und</strong> daß es das Einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel<br />

kann man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo <strong>der</strong> Keim steckt, habe ich ganz klar <strong>und</strong><br />

zweifellos gef<strong>und</strong>en, alles übrige seh' ich auch schon im ganzen, <strong>und</strong> nur noch einige Punkte müssen bestimmter<br />

werden. Die Urpflanze wird das w<strong>und</strong>erlichste Geschöpf von <strong>der</strong> Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden<br />

soll. Mit diesem Modell <strong>und</strong> dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden,<br />

die konsequent sein müssen, das heißt: die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten <strong>und</strong> nicht<br />

etwa malerische o<strong>der</strong> dichterische Schatten <strong>und</strong> Scheine sind, son<strong>der</strong>n eine innerliche Wahrheit <strong>und</strong> Notwendigkeit<br />

haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen."

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