Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...
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art <strong>und</strong> die Ideen desselben, welche die Prinzipien <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Naturwesen enthalten<br />
sollen, gar nicht kennen, <strong>und</strong> von demselben als von oben herab die Natur nicht erklären können.»"<br />
Anschliessend zitiert Steiner aus Goethes Essay Anschauende Urteilskraft den abgrenzend<br />
auf Kant verweisenden Passus <strong>und</strong> lässt Goethe erwi<strong>der</strong>n: "«Wenn wir ja im Sittlichen,<br />
durch Glauben an Gott, Tugend <strong>und</strong> Unsterblichkeit uns in eine obere Region erheben <strong>und</strong> an<br />
das erste Wesen annähern sollen, so dürfte es wohl im Intellektuellen <strong>der</strong>selbe Fall sein, daß<br />
wir uns durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur <strong>zur</strong> geistigen Teilnahme an ihren<br />
Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt <strong>und</strong> aus innerem Trieb auf jenes<br />
Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung<br />
aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhin<strong>der</strong>n, das Abenteuer <strong>der</strong><br />
Vernunft, wie es <strong>der</strong> Alte vom Königsberge selbst nennt, mutig zu bestehen.»" 14<br />
Daran endlich schliesst sich bei Steiner weiter an, woraus Hartmut Traub einen angeblichen<br />
Beleg dafür entnommen hat, Steiner habe Kant unberechtigterweise eine unlebendige Erkenntnistheorie<br />
zugeschrieben. Tatsächlich aber handelt es sich bei Steiner um eine Art Resumee<br />
aus den vorangehenden r<strong>und</strong> zehn Seiten, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> kontrastierenden Gegenüberstellung<br />
Kants <strong>und</strong> Goethes auf den Seiten 169f kulminiert. Dieses <strong>Steiners</strong>che Resumee bestätigt die<br />
Auffassung Goethes, <strong>und</strong> dessen in <strong>Steiners</strong> Augen nicht nur berechtigte, son<strong>der</strong>n in den vorangehenden<br />
Seiten von Steiner auch belegte Abgrenzung von Kant. Zeigt aber auch Grenzen<br />
darin auf, insofern Steiner (GA-18, S. 170) hervorhebt, dass Goethe auf einem Wege gewesen<br />
sei, <strong>und</strong> zwar auf dem Wege, eine lebendige Idee zu finden.<br />
Steiner nämlich: "Goethe hatte in <strong>der</strong> «Urpflanze» eine Idee erfaßt, «mit <strong>der</strong> man ... Pflanzen<br />
ins Unendliche erfinden» kann, die «konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch<br />
nicht existieren, doch existieren könnten, <strong>und</strong> nicht etwa malerische o<strong>der</strong> dichterische Schatten<br />
<strong>und</strong> Scheine sind, son<strong>der</strong>n eine innerliche Wahrheit <strong>und</strong> Notwendigkeit haben». Damit ist<br />
er auf dem Wege, in dem selbstbewußten Ich nicht nur die wahrnehmbare, die gedachte, son<strong>der</strong>n<br />
die lebendige Idee zu finden."<br />
In <strong>Steiners</strong> Augen besteht ein Ziel, buchstäblich eine philosophische Zeitfor<strong>der</strong>ung darin, die<br />
lebendige Idee zu finden. Eine Idee, die nicht nur wahrgenommen, o<strong>der</strong> gedacht wird, son<strong>der</strong>n<br />
selbst lebendig ist. O<strong>der</strong> wie er (S. 171) sagt: "Die griechische Idee ist mit dem Bilde verwandt;<br />
sie wird betrachtet wie das Bild. Die Idee <strong>der</strong> neueren Zeit muß mit dem Leben, dem<br />
Lebewesen selbst verwandt sein; sie wird erlebt." Und auf diesem Wege sei Goethe gewesen -<br />
was eben einschränkend heisst: er ist zwar auf dem (aus <strong>Steiners</strong> Sicht richtigen) Wege, aber<br />
auch noch nicht ganz angekommen. Goethes Urpflanze ist aus diesem Blickwinkel gewissermassen<br />
ein Etappenerfolg mit zwar sehr begrüssenswerten Implikationen. Aber noch kein abschliessen<strong>der</strong><br />
F<strong>und</strong> <strong>der</strong> wirklich lebendigen Idee, die nicht nur gedacht o<strong>der</strong> wahrgenommen<br />
wird, son<strong>der</strong>n selber Leben hat o<strong>der</strong> ist.<br />
14<br />
Zum Ausdruck "Abenteuer <strong>der</strong> Vernunft" siehe Kants Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft, § 80, S. 286.<br />
Im Internet zu erreichen unter<br />
http://ia700409.us.archive.org/24/items/kritik<strong>der</strong>urteils00kantuoft/kritik<strong>der</strong>urteils00kantuoft.pdf<br />
Obwohl Kant bemerkenswert viele <strong>der</strong> morphologischen Gr<strong>und</strong>gedanken Goethes in diesem Paragraphen<br />
80 erkennen lässt, wird gerade hier auch offensichtlich, dass <strong>und</strong> in welchem Punkt sich Goethe von ihm<br />
absetzt. An dieser Stelle wird auch noch einmal hervorgehoben, dass Kant eine übersinnliche Erkenntnis <strong>der</strong> Bildungsprinzipien<br />
zwar für angemessen, aber unmöglich hält, wie er sagt: "Es ist daher vernünftig, ja verdienstlich,<br />
dem Naturmechanism zum Behuf einer Erklärung <strong>der</strong> Naturproducte soweit nachzugehen, als es mit Wahrscheinlichkeit<br />
geschehen kann, ja diesen Versuch nicht darum aufzugeben, weil es an sich unmöglich sei auf seinem<br />
Wege mit <strong>der</strong> Zweckmäßigkeit <strong>der</strong> Natur zusammenzutreffen, son<strong>der</strong>n nur darum, weil es für uns als Menschen<br />
unmöglich ist; indem dazu eine an<strong>der</strong>e als sinnliche Anschauung <strong>und</strong> ein bestimmtes Erkenntniß des intelligibelen<br />
Substrats <strong>der</strong> Natur, woraus selbst von dem Mechanism <strong>der</strong> Erscheinungen nach beson<strong>der</strong>n Gesetzen<br />
Gr<strong>und</strong> angegeben werden könne, erfor<strong>der</strong>lich sein würde, welches alles unser Vermögen gänzlich übersteigt." (S.<br />
285)