Bildende Kräfte und Steiners Philosophie der Freiheit - Studien zur ...

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10 nis nach) für Goethe, wie Steiner sich in GA-18 bemüht zu demonstrieren. Das alles hängt bei Kant zwar im weitesten Sinne (auch) mit dessen Gedankenbildung in der Kritik der reinen Vernunft zusammen, was Steiner im Zusammenhang seiner Ausführungen auch durchblicken lässt. Primär aber geht es Steiner dort nicht um das letztere Werk Kants, sondern um die Frage: Was organisiert lebendige Wesen, und wie ist eine Erkenntnis dieser das Leben organisierenden bildenden Kräfte möglich, von denen Kant spricht? Wie also ist eine Erkenntnis dieser übersinnlichen Tatsachen möglich? Exemplarisch im Text dargestellt wird dies von Steiner recht ausführlich am Beispiel Goethes und dessen Entdeckung der Urpflanze, die sich dem Verständnis Goethes nach als ein übersinnliches Gebilde versteht. Wobei sich Goethe in dem kleinen Aufsatz Anschauende Urteilskraft mit Nachdruck auf Kants Kritik der Urteilskraft bezieht. So sagt Goethe in seinem Essay, folgende Stelle aus Kants Kritik der Urteilskraft sei für ihn höchst bedeutsam gewesen, und zitiert respektive paraphrasiert aus § 77, S. 273 f der Kritik der Urteilskraft: «Wir können uns einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom synthetisch Allgemeinen, der Anschauung eines Ganzen als eines solchen, zum Besondern geht, das ist, von dem Ganzen zu den Teilen. - Hierbei ist gar nicht nötig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, sondern nur, daß wir in der Dagegenhaltung unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee eines intellectus archetypus geführt werden, diese auch keinen Widerspruch enthalte.» Bemerkt anschliessend mit Bezug darauf: "Zwar scheint der Verfasser [Kant, MM] hier auf einen göttlichen Verstand zu deuten, allein wenn wir ja im sittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterblichkeit uns in eine obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürft' es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt und aus innerem Trieb auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhindern, das Abenteuer der Vernunft, wie es der Alte vom Königsberge selbst nennt, mutig zu bestehen. 9 Was Kant zwar für theoretisch möglich, aber nicht für menschenmöglich hält, das nimmt Goethe für sich persönlich in Anspruch, indem er darauf verweist, er selbst habe auf das Urbildliche und Typische - sprich auf das von Kant gemeinte Übersinnliche, Urbildliche - stets und auch erfolgreich hingearbeitet. Goethes Urpflanze, um es noch einmal zu betonen, wenn man sie auf Kants bildende Kräfte in der Kritik der Urteilskraft bezieht, ist zu verstehen als eben jenes von Kant postulierte organisierende Prinzip der bildenden Kräfte, das den Lebenserscheinungen, und speziell in Goethes Fall der Pflanze, urbildhaft zugrunde liegt. 10 Dies alles stellt Steiner dar, bzw es lässt sich über seine Darstellung hinaus mittelbar oder unmittelbar aus seiner Besprechung des Goetheschen Verhältnisses zu Kant ablesen, wenn man den Quellen etwas nachgeht, insbesondere Kants Kritik der Urteilskraft. Nun zielt bekanntlich auch Steiner, und zwar ganz unabhängig von Goethe, auf bildende Kräfte, die den Lebenserscheinungen zugrunde liegen. Steiners methodischer Weg dorthin unterscheidet sich gar sehr vom Goetheschen, und ebenso sehr von Kants. Von Goethes unterscheidet er sich, weil Steiner die bildenden Kräfte auf dem Wege der Beobachtung des Denkens findet. Er studiert keine Pflanzen- oder Tierindividuen nach der naturwissenschaftlichen 9 Siehe dazu Johann Wolfgang von Goethe, Anschauende Urteilskraft, Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, herausgegeben von Erich Trunz, Band 13, München 1975, S. 30 f auch im Internet unter: http://www.merke.ch/goethe/wissenschaft/anschauende.php 10 Siehe zu dieser Frage auch die Dissertation von Jost Schieren, Anschauende Urteilskraft. Methodische und philosophische Grundlagen von Goethes naturwissenschaftlichem Erkennen. Düsseldorf und Bonn 1998.

11 Art Goethes, sondern Denkprozesse. Insbesondere das Willenshafte am Denken. 11 Und dort findet er nicht nur das, was Kant philosophisch noch vage und schlussfolgernd postuliert, sondern - Zufall oder nicht? - er nennt es auch so wie Kant, nämlich Bilde(nde) Kräfte. Bildende Kräfte geistiger Natur, die das Leben (des menschlichen Organismus) ermöglichen. Ohne die der Leib jederzeit zerfallen müsste, da er ohne sie nur noch den (in der Ausdrucksweise Kants: blinden) chemischen oder physikalischen Kräften folgt, und der organische Lebenszusammenhang infolgedessen aufhört. Dieser Zusammenhang deckt sich nicht nur mit dem, was Kant von den organisierenden bildenden Kräften philosophisch erwartet. Sondern Steiner verwendet in seinem Aufsatz S. 292 wie gesagt auch den selben Ausdruck wie Kant und spricht in GA 35, S. 296 von einem erlebten Übersinnlichen, "das als geistige Bilde-Kräfte dem Leibesleben zugrunde liegt." 12 Zwischen diesen erlebten Bildekräften Steiners und den postulierten bildenden Kräften Kants liegt freilich methodisch und philosophisch ein Abgrund. Denn Kant wäre nicht im Traum darauf verfallen, sich einen Erfahrungszugang zu den von ihm geforderten geistigen Bildekräften dieser Art zu verschaffen, weil er das, - und das begegnet dem Leser bei Kant auf Schritt und Tritt -, für gänzlich ausgeschlossen hielt. Nicht einmal die elementarste Stufe von Steiners methodischem Weg dorthin hätte er für praktikabel gehalten, die im Erleben und wissenschaftlichen Beobachten von empirischen Denkakten, von denkerischen Willenshandlungen besteht. 13 Und doch muss man sagen, ist die Analogie zwischen dem, was Steiner der Erlebnislage nach beschreibt, und dem, was Kant philosophisch postuliert, in gewisser Hinsicht geradezu schlagend - sogar bis in den sprachlichen Ausdruck hinein. Zwischen beiden steht Goethe, der sich an Kant orientierend und von diesem gleichzeitig abgrenzend aufmacht, mittels eines urbildlichen Verstandes (siehe Kant) Bildekräfte zu entdecken, und zu einer Urpflanze, bzw einem Urtier gelangt. Ein Zusammenhang, den Steiner in GA-18 auf S. 169 f, unmittelbar vor der von Traub paraphrasierten Textstelle unübersehbar deutlich herausstellt, indem er zunächst (S. 169) Kants Kritik der Urteilskraft zu Wort kommen lässt mit seinem bezeichnenden Eingang von § 78 und anschliessend (S. 170) Goethes Replik mit dessen Resumee aus dem Aufsatz Anschauende Urteilskraft. So lässt Steiner zunächst Kant sagen: "«Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Mechanismus der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen und in der Erklärung derselben nicht vorbeizugehen; weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur der Dinge erlangt werden kann. Wenn man uns gleich einräumt: daß ein höchster Architekt die Formen der Natur, so wie sie von jeher da sind, unmittelbar geschaffen, oder die, so sich in ihrem Laufe kontinuierlich nach eben demselben Muster bilden, prädeterminiert habe, so ist doch dadurch unsere Erkenntnis der Natur nicht im mindesten gefördert; weil wir jenes Wesens Handlungs­ 11 Siehe Steiners Aufsatz von 1916, Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, in GA-35, Dornach 1984, S. 269-306. Dieser Aufsatz Steiners ist vor allem erhellend, weil er sehr eingehend das methodische Prozedere hin zu diesen Bildekräften beschreibt. Dort wird sehr deutlich wie ausgehend vom Denken als Willenshandlung bei Austilgung des Gedankeninhaltes (S. 276) in eine erlebte geistige Willenswirklichkeit eingetaucht wird hin zu lebendigen Gedankengebilden (289), die einerseits den menschlichen Leib vor dem Zerfall bewahren (S. 291), aber eben ihrer eigenen Natur nach lebendige Gedanken sind (289), und nicht etwa vom Menschen bloss gedachte. 12 Siehe dazu sehr ausführlich den Zusammenhang mit dem Denken erläutert in: Rudolf Steiner, Drei Schritte der Anthroposophie: Philosophie, Kosmologie, Religion. Zehn Autoreferate zum französischen Kurs am Goetheanum, Dornach, 6. bis 15. September 1922,= GA-25, Dornach 1999. In diesem französischen Kurs spricht Steiner vom Ätherischen oder Ätherleib, was gleichbedeutend ist mit den Bildekräften bzw dem Bildekräfteleib. Siehe dazu auch den Hinweis weiter unten auf GA-21, Von Seelenrätseln, wo Steiner diesen abweichenden Sprachgebrauch näher erläutert. 13 Siehe dazu etwa Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede. Im Internet frei zugänglich unter: http://archive.org/details/metaphysischeanf00kantuoft

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Art Goethes, son<strong>der</strong>n Denkprozesse. Insbeson<strong>der</strong>e das Willenshafte am Denken. 11 Und dort<br />

findet er nicht nur das, was Kant philosophisch noch vage <strong>und</strong> schlussfolgernd postuliert, son<strong>der</strong>n<br />

- Zufall o<strong>der</strong> nicht? - er nennt es auch so wie Kant, nämlich Bilde(nde) <strong>Kräfte</strong>. <strong>Bildende</strong><br />

<strong>Kräfte</strong> geistiger Natur, die das Leben (des menschlichen Organismus) ermöglichen. Ohne die<br />

<strong>der</strong> Leib je<strong>der</strong>zeit zerfallen müsste, da er ohne sie nur noch den (in <strong>der</strong> Ausdrucksweise<br />

Kants: blinden) chemischen o<strong>der</strong> physikalischen <strong>Kräfte</strong>n folgt, <strong>und</strong> <strong>der</strong> organische Lebenszusammenhang<br />

infolgedessen aufhört. Dieser Zusammenhang deckt sich nicht nur mit dem, was<br />

Kant von den organisierenden bildenden <strong>Kräfte</strong>n philosophisch erwartet. Son<strong>der</strong>n Steiner verwendet<br />

in seinem Aufsatz S. 292 wie gesagt auch den selben Ausdruck wie Kant <strong>und</strong> spricht<br />

in GA 35, S. 296 von einem erlebten Übersinnlichen, "das als geistige Bilde-<strong>Kräfte</strong> dem Leibesleben<br />

zugr<strong>und</strong>e liegt." 12<br />

Zwischen diesen erlebten Bildekräften <strong>Steiners</strong> <strong>und</strong> den postulierten bildenden <strong>Kräfte</strong>n Kants<br />

liegt freilich methodisch <strong>und</strong> philosophisch ein Abgr<strong>und</strong>. Denn Kant wäre nicht im Traum<br />

darauf verfallen, sich einen Erfahrungszugang zu den von ihm gefor<strong>der</strong>ten geistigen Bildekräften<br />

dieser Art zu verschaffen, weil er das, - <strong>und</strong> das begegnet dem Leser bei Kant auf<br />

Schritt <strong>und</strong> Tritt -, für gänzlich ausgeschlossen hielt. Nicht einmal die elementarste Stufe von<br />

<strong>Steiners</strong> methodischem Weg dorthin hätte er für praktikabel gehalten, die im Erleben <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />

Beobachten von empirischen Denkakten, von denkerischen Willenshandlungen<br />

besteht. 13 Und doch muss man sagen, ist die Analogie zwischen dem, was Steiner <strong>der</strong> Erlebnislage<br />

nach beschreibt, <strong>und</strong> dem, was Kant philosophisch postuliert, in gewisser Hinsicht<br />

geradezu schlagend - sogar bis in den sprachlichen Ausdruck hinein.<br />

Zwischen beiden steht Goethe, <strong>der</strong> sich an Kant orientierend <strong>und</strong> von diesem gleichzeitig abgrenzend<br />

aufmacht, mittels eines urbildlichen Verstandes (siehe Kant) Bildekräfte zu entdecken,<br />

<strong>und</strong> zu einer Urpflanze, bzw einem Urtier gelangt. Ein Zusammenhang, den Steiner in<br />

GA-18 auf S. 169 f, unmittelbar vor <strong>der</strong> von Traub paraphrasierten Textstelle unübersehbar<br />

deutlich herausstellt, indem er zunächst (S. 169) Kants Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft zu Wort kommen<br />

lässt mit seinem bezeichnenden Eingang von § 78 <strong>und</strong> anschliessend (S. 170) Goethes<br />

Replik mit dessen Resumee aus dem Aufsatz Anschauende Urteilskraft.<br />

So lässt Steiner zunächst Kant sagen: "«Es liegt <strong>der</strong> Vernunft unendlich viel daran, den Mechanismus<br />

<strong>der</strong> Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu lassen <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong>selben<br />

nicht vorbeizugehen; weil ohne diesen keine Einsicht in die Natur <strong>der</strong> Dinge erlangt werden<br />

kann. Wenn man uns gleich einräumt: daß ein höchster Architekt die Formen <strong>der</strong> Natur,<br />

so wie sie von jeher da sind, unmittelbar geschaffen, o<strong>der</strong> die, so sich in ihrem Laufe<br />

kontinuierlich nach eben demselben Muster bilden, prädeterminiert habe, so ist doch dadurch<br />

unsere Erkenntnis <strong>der</strong> Natur nicht im mindesten geför<strong>der</strong>t; weil wir jenes Wesens Handlungs­<br />

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Siehe <strong>Steiners</strong> Aufsatz von 1916, Die Erkenntnis vom Zustand zwischen dem Tode <strong>und</strong> einer neuen Geburt, in<br />

GA-35, Dornach 1984, S. 269-306. Dieser Aufsatz <strong>Steiners</strong> ist vor allem erhellend, weil er sehr eingehend das<br />

methodische Proze<strong>der</strong>e hin zu diesen Bildekräften beschreibt. Dort wird sehr deutlich wie ausgehend vom Denken<br />

als Willenshandlung bei Austilgung des Gedankeninhaltes (S. 276) in eine erlebte geistige Willenswirklichkeit<br />

eingetaucht wird hin zu lebendigen Gedankengebilden (289), die einerseits den menschlichen Leib vor dem<br />

Zerfall bewahren (S. 291), aber eben ihrer eigenen Natur nach lebendige Gedanken sind (289), <strong>und</strong> nicht etwa<br />

vom Menschen bloss gedachte.<br />

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Siehe dazu sehr ausführlich den Zusammenhang mit dem Denken erläutert in: Rudolf Steiner, Drei Schritte <strong>der</strong><br />

Anthroposophie: <strong>Philosophie</strong>, Kosmologie, Religion. Zehn Autoreferate zum französischen Kurs am Goetheanum,<br />

Dornach, 6. bis 15. September 1922,= GA-25, Dornach 1999.<br />

In diesem französischen Kurs spricht Steiner vom Ätherischen o<strong>der</strong> Ätherleib, was gleichbedeutend ist<br />

mit den Bildekräften bzw dem Bildekräfteleib. Siehe dazu auch den Hinweis weiter unten auf GA-21, Von Seelenrätseln,<br />

wo Steiner diesen abweichenden Sprachgebrauch näher erläutert.<br />

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Siehe dazu etwa Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe <strong>der</strong> Naturwissenschaft, Vorrede.<br />

Im Internet frei zugänglich unter:<br />

http://archive.org/details/metaphysischeanf00kantuoft

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