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Nr. 121 Januar 2013<br />

Im Abonnement inkl. Kunstmagazin artensuite<br />

Schweiz sFr. 7.90,<br />

Deutschland, Österreich,<br />

Frankreich, Italien € 7.50<br />

ensuite<br />

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Mit übersichtlicher Kulturagenda<br />

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einen Verkaufspreis von CHF 59 900.–. Monatsrate CHF 622.–, 1. grosse Leasingrate 20%, Laufzeit 48 Monate, 10 000 km/Jahr. Zins nominal 3,9%, Zins effektiv 3,98%. Restwert gemäss<br />

Richtlinien von Volvo Car Financial Services (BANK-now AG). Obligatorische Vollkaskoversicherung nicht inbegriffen. Die Kreditvergabe ist verboten, falls sie zur Überschuldung des Konsumenten<br />

führt (Art. 3 UWG). Angebot gültig bis auf Widerruf auf Volvo XC70 Husky Edition des Modelljahres 2013. Treibstoff-Normverbrauch gesamt (nach Richtlinie 1999/100/EU): 6,8 l/100 km.<br />

CO2-Emissionen: 179 g/km (159 g/km: Durchschnitt aller verkauften Neuwagen-Modelle). Energieeffi zienz-Kategorie: D. Volvo Swiss Premium ® Gratis-Service bis 10 Jahre/150 000 Kilometer,<br />

Werk<strong>sg</strong>arantie bis 5 Jahre/150 000 Kilometer und Verschleissreparaturen bis 3 Jahre/150 000 Kilometer (es gilt das zuerst Erreichte). Nur bei teilnehmenden Vertrete<strong>rn</strong>.<br />

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Januar 2013<br />

Materialität mit Jonas Etter<br />

im Kunsthaus Langenthal<br />

Schnaps und Schnitzereien<br />

von Jean-Frédéric Schnyder<br />

im Museum im Bellpark Kriens<br />

Andrea Heller und Druckgrafik<br />

in der BINZ39<br />

ensuite<br />

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Essays<br />

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Echte<br />

Kulturmagazine<br />

im Abonnement<br />

www.ensuite.ch<br />

Nr. 121 JANuAr 2013<br />

Im Abonnement inkl. Kunstmagazin artensuite<br />

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Au<strong>sg</strong>abe Zürich<br />

Mit übersichtlicher Kulturagenda<br />

ensuite<br />

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10<br />

10artensuite<br />

Schweizer Kunstmagazin<br />

Nr. 121 JANuAr 2013<br />

Im Abonnement inkl. Kunstmagazin artensuite<br />

Schweiz sFr. 7.90,<br />

Deutschland, Österreich,<br />

Frankreich, Italien € 7.50<br />

Gepresst<br />

Geschnitzt<br />

Gedruckt<br />

ISSN 1663-652X<br />

Editorial<br />

10 Jahre Kulturdialog<br />

Vor über einem Jahr fragte ich einmal hier<br />

im Editorial, was eigentlich mit Ideen<br />

geschehe, die nicht umgesetzt werden. Gehen<br />

diese einfach verloren? Albert le Vice nahm<br />

den Ball auf und hielt für ensuite ganz viele<br />

dieser Ideen in seiner Serie «Ein Leben aus<br />

Ideen» fest. Er ist damit nicht alleine – alle, die<br />

im ensuite mitarbeiten, schreiben mit der gleichen<br />

Motivation. Ich erinnere mich an die ersten<br />

Au<strong>sg</strong>aben von unserem Magazin, als mich<br />

fremde Menschen auf der Strasse anfragten,<br />

was man tun müsse, um bei ensuite mitschreiben<br />

zu können. Oder aber da sind jene LeserInnen,<br />

welche mir Artikeltexte zitierten, die wir<br />

teils fünf Jahre zuvor veröffentlicht hatten. Das<br />

ensuite ist unterdessen für viele LeserInnen<br />

zur Selbstverständlichkeit geworden.<br />

«Kulturpolitik» macht auch vermehrt<br />

Schlagzeilen in der Medien. Ein Teil geht wohl<br />

auf meine Kappe. Es ist mein Anliegen, dass<br />

wir gemeinsam über kulturelle Konzepte nachdenken<br />

und die Begriffe neu definieren. Geta<strong>rn</strong>t<br />

als Provokateur, wie ein Hofnarr läste<strong>rn</strong>d,<br />

war mein Ziel, Emotionen für die Kulturpolitik<br />

zu gewinnen. In einigen Fällen hatte ich tolle<br />

Erfolge – vieles blieb irgendwo unbeachtet<br />

hängen.<br />

Trotzdem, ensuite hat in zehn Jahren gezeigt,<br />

dass «Kultur» und «Kunst» durchaus<br />

noch «mediale Werte» sind – auch ohne «Ewigi<br />

Liebi», Robbie Williams und die Massen-Kommerz-Kultur.<br />

Ich lasse mich nicht irritieren,<br />

wenn, wie neulich, die Postfinance bekannt<br />

gibt, nur noch «Kommerzkultur» sponse<strong>rn</strong> zu<br />

wollen, und sogar die eigene klassische Konzerte-Serie<br />

aufgibt. Es passt zur Zeit: «Kultur»<br />

wird in der Politik und Wirtschaft nur noch als<br />

Geldmaschine wahrgenommen – unsere Gesellschaft<br />

wird nur noch als Geldmaschine wahrgenommen.<br />

Und wer nicht über kulturellen Inhalt<br />

nachdenkt, der bleibt in der Tat bei den Zahlen<br />

hängen. Das erleben wir zur Zeit bei vielen Kultursekretariaten,<br />

Kulturförderstellen und Behörden.<br />

Für die Politik ist das super, denn über<br />

Zahlen kann man debattieren, über kulturellen<br />

Inhalt nicht: Die kulturelle Wah<strong>rn</strong>ehmung ist<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

immer eine persönliche, emotionale und stimmungsabhängige<br />

Empfindung, immer individuell.<br />

Kultur ist nicht lösungsorientiert, ist nicht<br />

ökonomisch, wissenschaftlich, und direkt wirtschaftlich<br />

gewinnbringend. Aber auch. Und<br />

Kultur hat mit «gesellschaftlicher Verantwortung»<br />

ganz viel zu tun. Doch das sind schwierige<br />

Themen, und denkbar schlechte Diskussion<strong>sg</strong>rundlagen<br />

zu einem Bier.<br />

Die Kultur hat immer auf<br />

die Politik gewartet – die<br />

Politik nicht auf die Kultur.<br />

Erstaunlicherweise aber habe ich in den<br />

letzten Jahren festgestellt, dass kulturpolitische<br />

Veranstaltungen oftmals mehr Besucher–<br />

Innen anzogen, als Konzert-, Theater- oder<br />

Tanzvorstellungen. Diese Zeichen sind oft ignoriert<br />

worden – auch von der öffentlichen<br />

Hand. Erst jetzt wächst das Bewusstsein, dass<br />

sich die öffentlichen Kulturverantwortlichen<br />

und VerwalterInnen nicht hinter Dossiers verstecken<br />

dürfen. «Kultur» fordert immer Dialog<br />

und dieser muss mit der Öffentlichkeit geführt<br />

werden – vor allem, solange die Definitionen<br />

von «Kultur» so weit auseinanderklaffen.<br />

Deswegen hat ensuite - kulturmagazin zum<br />

10jährigen Jubiläum auf ein Fest oder eine Spezialau<strong>sg</strong>abe<br />

verzichtet. Dafür haben wir 490<br />

Kulturabos an Stadt-, Gemeinde-, Kantons-PolitikerInnen<br />

von Be<strong>rn</strong> und Zürich verschenkt.<br />

Die Kultur hat immer auf die Politik gewartet<br />

– die Politik nicht auf die Kultur. Ich glaube<br />

wir setzen mit unserer Aktion ein klares Signal.<br />

Sie als LeserInnen können dabei mithelfen:<br />

Übe<strong>rn</strong>ehmen Sie eine Patenschaft für ein solches<br />

«politisches Abo». Sie setzen damit selber<br />

ein Zeichen, helfen uns, diese Schnittstelle und<br />

den öffentlichen Kulturdialog auszubauen.<br />

Infos dazu finden Sie per Anfrage oder auf unserer<br />

Webseite: www.ensuite.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 3


permanent<br />

9 Filosofenecke<br />

Von Ueli Zingg<br />

Januarloch?<br />

Selber schuld.<br />

16 Das andere Kino / Programm<br />

www.be<strong>rn</strong>erkino.ch<br />

18 Insomnia<br />

Von Eva Pfirter<br />

22 Literatur-Tipps<br />

Von Simone Wahli<br />

Mit einem Abonnement von<br />

ensuite - kulturmagazin beweist Du Dein<br />

Verständnis der Kausalität von Medien und<br />

Gesellschaft. Wir brauchen mehr<br />

AbonnentInnen, welche sich beim Wort<br />

Kultur nicht gleich langweilen.<br />

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<br />

Ja, ich will ab sofort ensuite abonnieren und den kleinen Verlag unterstützen.<br />

Im Abo inklusive ist das Schweizer Kunstmagazin artensuite.<br />

Pro Jahr 11 Au<strong>sg</strong>aben (Juni/Juli ist eine Doppelnummer).<br />

Preis pro Jahr: 77 Franken / AHV und Studierende 52 Franken (A. Kopie)<br />

Ich wünsche o Au<strong>sg</strong>abe Be<strong>rn</strong> o Au<strong>sg</strong>abe Zürich<br />

23 Kulturagenda<br />

Der Veranstaltungskalender<br />

54 Senioren im Web<br />

Von Willy Vogelsang, Senior<br />

55 Impressum<br />

ensuite<br />

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Wir offerieren<br />

- Sie profitie<strong>rn</strong><br />

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Gute Sichtbarkeit kostet auch im Jahr<br />

2013 Geld. Werbung macht man immer<br />

noch mit klassischer Werbung, Facebook<br />

& Co. sind nur Teilkonzepte. Und Erfolg<br />

kommt auch nur durch Ihren Einsatz:<br />

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Telefon 031 318 60 50<br />

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Ein Abonnement ist ab Rechnungsdatum für ein Jahr gültig. Ohne Kündigung<br />

wird das Abo um ein Jahr verlängert. Eine Kündigung ist jeweils<br />

jährlich, 2 Monate vor Ablauf des Abonnements, möglich.<br />

Ausschneiden und Einsenden an:<br />

ensuite - kulturmagazin | Sandrainstrasse 3 | 3007 Be<strong>rn</strong><br />

Titelbild:<br />

Der Künstler Yue Minjun vor «Sunrise»<br />

(1998), aus der M+ Sigg Collection (Seite 7)<br />

Foto: Lukas Vogelsang<br />

4


Inhalt<br />

▲<br />

15<br />

18<br />

49<br />

43<br />

7 Kulturessays<br />

7 «Wir wollen kein Lesemagazin!»<br />

Von Lukas Vogelsang - Die Jubiläumsrede, die nie<br />

gehalten wird<br />

11 Medienvielzahl statt Medienvielfalt<br />

Von Lukas Vogelsang Cartoon: Bruno Fauser<br />

13 Kino & Film<br />

13 Vergiss mein nicht<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

14 End of watch<br />

Von Sonja Wenger<br />

15 Broken<br />

Von Sonja Wenger<br />

15 DFL-Dead Fucking Last<br />

Von Sonja Wenger<br />

18 Searching for Sugar Man<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

19 Literatur & Essays<br />

19 Der Pfeifenraucher<br />

Von Michael Zwicker<br />

21 Das Kostbare erhält<br />

Von Peter J. Betts<br />

41 Tanz & Theater<br />

41 Alles hat ein Ende<br />

Von Fabienne Naegeli<br />

42 Music & Sounds<br />

42 «Als Label bieten wir Aufmerksamkeit»<br />

Interview: Luca D‘Alessandro<br />

43 «Globale Musik: Hedonistisches Copy<br />

Paste»!<br />

Von Walter Rohrbach<br />

47 Alltagskultur<br />

47 Der Sri Lanker, der Ski lenkte<br />

Von Luca Zacchei<br />

49 Den eigenen Stil prägen<br />

Von Thomas Kohler Foto: T. Kohler<br />

50 Ein Leben aus Ideen - und jetzt?<br />

Von Albert le Vice<br />

54 Was die Welt zusammenhält<br />

Von Barbara Roelli<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 5


★★★★★<br />

“ L O N G T I M E , N O S E E , R O D R I Q U E Z ! ”<br />

NIKOL AJ NØRLUND, FILMMAG A SINET EKKO<br />

SEARCHING FOR<br />

SUGAR MAN<br />

E I N F I L M V O N M A L I K B E N D J E L L O U L<br />

EIN FILM VON ROLANDO COLLA<br />

Das Leben schreibt die unglaublichsten Geschichten.<br />

Ein Film von fast physischer Intensität.<br />

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG<br />

AB ENDE DEZEMBER IM KINO!<br />

AB 31. JANUAR IM KELLERKINO<br />

Cantonale<br />

Be<strong>rn</strong>eJura<br />

1 CentrePasquArt, Biel-Bienne 9.12.12 – 20.1.13<br />

2 Kunsthaus Interlaken 9.12.12 – 27.1.13<br />

3 Musée jurassien des Arts, Moutier 9.12.12 – 27.1.13<br />

4 Kunstmuseum Thun 16.12.12 – 27.1.13<br />

5 La Nef, Le Noirmont 16.12.12 – 27.1.13<br />

6 Kunsthalle Be<strong>rn</strong> 21.12.12 – 20.1.13<br />

7 Stadtgalerie im PROGR, Be<strong>rn</strong> 21.12.12 – 26.1.13<br />

Weihnachtsausstellung / Exposition de Noël www.cantonale.ch<br />

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Billette ab Fr. 25.- (Schüler/Studenten/AHV ab Fr. 15.- an der Abendkasse).<br />

Vorverkauf: Migros City, Billett-Service, Tel. 044 221 16 71;<br />

Tonhalle, Billettkasse, Tel. 044 206 34 34,<br />

und übliche Vorverkaufsstellen.<br />

www.migros-kulturprozent-classics.ch<br />

Emmanuel Pahud<br />

ORCHESTRE DE LA SUISSE ROMANDE<br />

Dienstag, 15. Januar 2013, 19.30 Uhr,<br />

Tonhalle Zürich, Grosser Saal<br />

Charles Dutoit (Leitung)<br />

Emmanuel Pahud (Flöte)*<br />

*Schweizer Solist<br />

Hector Berlioz: Ouvertüre «Le Corsaire»<br />

Wolfgang Amadeus Mozart: Flötenkonzert Nr. 2 D-Dur KV 314<br />

Frank Martin: Ballade Nr. 2 für Flöte und Orchester<br />

Modest Mussorgski: «Bilder einer Ausstellung»


Kulturessays<br />

▲<br />

«Wir wollen kein Lesemagazin!»<br />

Von Lukas Vogelsang - Die Jubiläumsrede, die nie gehalten wird Foto: L. Vogelsang<br />

Als Jugendlicher bin ich über den<br />

Kalenderspruch von Sol LeWitt, einem<br />

amerikanischen Künstler gestossen,<br />

und dieser wurde zu meinem zentralen<br />

Lebensbegleiter: «Ideen kann<br />

man nicht besitzen, sie gehören<br />

dem, der sie versteht.» So ist das<br />

auch mit dem ensuite - kulturmagazin.<br />

Das war im Jahr 2002 eine<br />

Idee, und daraus wuchsen durch<br />

ganz viele Menschen die Magazine,<br />

wie wir sie heute produzieren.<br />

Ich muss immer grinsen, wenn man mir fehlende<br />

Kooperationsbereitschaft oder die<br />

«Unmöglichkeit, mit mir zusammenzuarbeiten»<br />

unterstellt. ensuite existiert nur durch die Zusammenarbeiten<br />

von vielen Menschen – das<br />

war von Anfang an Konzept. Ich habe vor 10<br />

Jahren nur eine Plattform ins Leben gerufen<br />

und versucht, diese durch Motivation und Finanzierbarkeit<br />

am Leben zu halten. Alleine<br />

kann man keine Zeitung produzieren. Natürlich<br />

ist es immer schmeichelnd, wenn man mir<br />

Superman-Fähigkeiten attestiert. Allerdings<br />

braucht es ziemlich viel Naivität, so über einen<br />

Menschen zu urteilen.<br />

Ich stand von den ersten Stunden an in der<br />

Kritik. Zwar schrieb ich Einladungen an alle<br />

VeranstalterInnen und an viele Jou<strong>rn</strong>laistInnen<br />

in Be<strong>rn</strong> – doch diese glaubten nicht an ensuite.<br />

Man kannte mich nicht und hielt mich deswegen<br />

für unfähig. Nun, diese «Unfähigkeit» hat<br />

immerhin drei KultursekretärInnen in Be<strong>rn</strong><br />

überlebt, und drei Amt für Kultur-LeiterInnen<br />

des Kantons Be<strong>rn</strong>. Auch in Zürich gab es inzwischen<br />

einen Wechsel. Von den Kollegen aus<br />

der Kulturjou<strong>rn</strong>alisten-Zunft bei den Tageszeitungen<br />

gibt es nur wenige, die noch dabei sind.<br />

In vielen Institutionen hat die Leitung und das<br />

Personal gewechselt. Es fällt mir auf, dass ich<br />

mich daue<strong>rn</strong>d vorstellen muss. Das «Kulturbusiness»<br />

ist für viele ein temporärer Lebensabschnitt,<br />

ein Projekt. Und dann sind sie weg.<br />

ensuite ist noch da. Zehn Jahre haben wir<br />

durchgehalten, unter widrigsten Umständen.<br />

Es grenzt an Dummheit, wenn eine Stadt eine<br />

Gruppe von Menschen daran hinde<strong>rn</strong> will,<br />

auf privater Basis ein Kulturmagazin zu bauen<br />

– aber selber dann mit viel Kultur- und Steuergeld<br />

aktiv wird, um die private Initiative zu<br />

konkurrieren. Das macht weder politisch, wirtschaftlich,<br />

noch gesellschaftlich Sinn. In Zürich<br />

wurde im Dezember 2012 zum zweiten Mal das<br />

stadteigene Online-Kulturportal in den Wind<br />

geworfen. Diesmal mit der korrekten Begründung:<br />

«Eine Kulturagenda ist keine städtische<br />

Aufgabe.» Dafür ist man in Be<strong>rn</strong> taub. Im kleinen<br />

Be<strong>rn</strong> hätte es eigentlich keinen Platz für<br />

mehrere Kulturmagazine oder Kulturagenden.<br />

Der städtische Poker ist klar: Man geht davon<br />

aus, dass ich irgendwann einmal aufgeben werde.<br />

Darauf wartet Be<strong>rn</strong>. Die Schadenfreude sitzt<br />

hier locker auf der Zunge. Und es ergeht nicht<br />

nur mir so. Den blöden Spruch: «Wer sich einsetzt,<br />

setzt sich aus», kann ich nicht mehr hören<br />

– aber er trifft zu. Kultur ist ein Schlachtfeld<br />

– das habe ich oft wiederholt. Sicher, es war naiv<br />

von mir anzunehmen, dass Kultur etwas mit<br />

der «Gesellschaft» zu tun hätte – zumindest aus<br />

der Sicht der Kulturabteilungen von Be<strong>rn</strong> und<br />

Zürich. Aber ich halte an dieser Definition fest.<br />

Und schlussendlich kritisieren ja alle Jou<strong>rn</strong>is<br />

genau dies an mir: Ich bin stur - weil ich nicht<br />

aufgebe, das aus meiner Sicht Richtige zu tun.<br />

«Wir wollen kein Lesemagazin!» An den ersten<br />

Sitzungen in den Anfängen, als die Stadt<br />

Be<strong>rn</strong>, einige Kulturveranstalter und Kulturpublizisten<br />

an einem Tisch «brainstormten», fiel<br />

dieser Satz vom damaligen Leiter des Be<strong>rn</strong>er<br />

Ko<strong>rn</strong>hausforums und prägte jede weitere Diskussion.<br />

Die VeranstalterInnen wollten ihre<br />

Veranstaltungen möglichst günstig bewerben,<br />

eine vollständige Kulturagenda sollte diese Aufgabe<br />

übe<strong>rn</strong>ehmen. Niemand wollte analysieren<br />

und Fakten sammeln, diese Sitzungen wurden<br />

von Wünschen geleitet, und je länger der Denkprozess<br />

dauerte, umso mehr «Profis» gaben auf.<br />

Da waren VertreterInnen der Tageszeitungen,<br />

Jou<strong>rn</strong>alistInnen, zwei Kulturmagazin-Produzenten<br />

anwesend – zum Schluss war ich alleine mit<br />

den VeranstalterInnen und dem Kultursekretär.<br />

Ich wurde ebenfalls verjagt. Schlussendlich<br />

beauftragte die Stadt eine PR-Agentur mit der<br />

Produktion – niemand sonst wollte unter diesen<br />

Umständen arbeiten. Und auch die PR-Agentur<br />

gab auf.<br />

Interessanterweise ist seit Jahren bekannt,<br />

dass ein Kulturagenda-Eintrag nur einen<br />

Bruchteil der Werbung ausmacht – der redaktionelle<br />

Artikel aber den Saal füllen kann. Das<br />

Dumme: Den jou<strong>rn</strong>alistischen, redaktionellen<br />

Artikel kann man nicht beeinflussen, den<br />

Eintrag in die Kulturagenda schon. Deswegen<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 7


▲<br />

11<br />

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13 14 15 16 17 18 19<br />

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9<br />

71<br />

66<br />

61<br />

60<br />

21<br />

8<br />

75 74 73 72 65 64 63 62 59<br />

22 23 24 25<br />

7<br />

26<br />

6<br />

27<br />

4<br />

5<br />

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43<br />

42<br />

41<br />

58<br />

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55<br />

28<br />

29<br />

30<br />

3<br />

2 1<br />

40<br />

39 38 37 36 35 34<br />

33<br />

32<br />

31<br />

45<br />

49<br />

50<br />

54<br />

46<br />

47<br />

48<br />

51<br />

52<br />

53<br />

Leisten Sie sich eine eigene Meinung.<br />

8


formieren sich VeranstalterInnen fast weltweit<br />

und produzieren selber in ihren Städten Promotions-Kulturmagazine.<br />

Niemand scheint zu<br />

bedenken, dass dadurch die Berichterstattung<br />

der Tageszeitungen reduziert werden könnte<br />

und das Geld falsch zu fliessen beginnt. Nur<br />

ein veranstalterunabhängiger Medienbetrieb<br />

hat hier einen positiven Einfluss: Er konkurriert<br />

den Tagesjou<strong>rn</strong>alismus auf der gleichwertigen<br />

Bühne. Oder anders herum: Die Eigenleistung<br />

der Stadt Be<strong>rn</strong> mit der Finanzierung der eigenen<br />

Kulturagenda hat vor allem den Tagesmedien<br />

Geld gebracht (Verkauf von Leistungen,<br />

Druckaufträgen, etc.). Dadurch konnte man im<br />

Ressort Kultur Einsparungen machen – mit dem<br />

Verweis auf das Engagement der öffentlichen<br />

Hand. Mit ensuite - kulturmagazin konkurrieren<br />

wir aber die Tagesmedien. Bringen wir zum<br />

Beispiel ein kulturelles Thema, wie etwa kürzlich<br />

die Geschichte über einen dubiosen Kulturproduzenten,<br />

so werden die Tagesredaktionen<br />

selber ebenfalls aktiv (NZZ). Selbst ein offener<br />

Brief von einem Veranstalter – der zuvor in den<br />

Redaktionen nicht beachtet wurde – löst ein<br />

mediales Echo aus, wenn wir ihn auf unserer<br />

Webseite publizieren (Jou<strong>rn</strong>al-B, Der BUND).<br />

Es sind absurderweise gerade die «Lesemagazine»,<br />

welche selber zu kulturellen News-<br />

Quellen für die Branche werden. Und damit<br />

helfen die unabhängigen Kulturmedien eben<br />

der Kultur überproportional. Deswegen ist die<br />

Einmischung der öffentlichen Hand durch eigene<br />

Presseprodukte verwerflich – die finanzielle<br />

Unterstützung und der Erhalt privater Initiativen<br />

aber ganz wichtig.<br />

Kultur wird immer individuell wahrgenommen<br />

und definiert. Kultur, als Oberbegriff des<br />

Wortstamms, lässt zu viel Spielraum zu – wir<br />

brauchen Regeln und Definitionen. ensuite -<br />

kulturmagazin hat in seinen zehn Jahren sehr<br />

viele kulturelle Themen aufgebracht. Es ist unser<br />

Konzept, die Begriffe «Kultur» und «Kunst»<br />

in den alltäglichen Sprachgebrauch zurück zu<br />

bringen. Nur durch die provokative und aufmüpfige<br />

Haltung war dies möglich – eben oft<br />

über meine Editorials. Sport in den Medien ist<br />

ein dankbares Thema, weil es emotionalisiert.<br />

Politik ist als mediales Thema dankbar, weil es<br />

emotionalisiert. Kultur ist schrecklich, weil die<br />

Argumentationen der emotionellen Lager beim<br />

«Einsparen!» und «Kultur ist ganz wichtig!» stehen<br />

geblieben sind.<br />

Über kulturellen Inhalt wird nicht laut gedacht<br />

– über dessen Sinn und Unsinn auch nicht.<br />

Die Feuilletons in den Tageszeitungen sind eingespart<br />

worden, Kulturkolumnen müssen lustig<br />

und unterhaltend sein. Als unabhängiges, meinungsbildendes<br />

Blatt haben wir die Freiheit,<br />

Themen und Fragen in den öffentlichen Raum<br />

zu stellen. Das ist der Freiraum, den wir im Medienbetrieb<br />

nutzen müssen: Es ist allgemein<br />

die wichtigste Aufgabe der Medien in einer Demokratie.<br />

Und so hat beispielsweise ein kritischer<br />

Text im ensuite - kulturmagazin über die<br />

kulturEssays<br />

Abteilung Kulturelles (August 2011) den Chefredaktor<br />

der Tageszeitung «Der Bund» dazu bewogen,<br />

in der Stadtredaktion einem Mitarbeiter<br />

offiziell «Kulturpolitik» ins Pflichtenheft zu<br />

schreiben. Unter den Tageszeitungen hat dies<br />

zu einem neuen Wettbewerb in der kulturellen<br />

Berichterstattung geführt, und damit zu mehr<br />

kulturellen Schlagzeilen in der Tagespresse.<br />

Ein ganz spitzfindiger Jou<strong>rn</strong>alist von «Der<br />

Bund» meinte einmal, ensuite sei ein «eher<br />

dürftiges, kritischen Jou<strong>rn</strong>alismus kleinschreibendes<br />

Produkt». Der gleiche Jou<strong>rn</strong>i kopierte<br />

übrigens vom Mode- und Trendmagazin Vogue<br />

die People-Rubrik «15 Fragen an…» – also, auch<br />

die Fragen kopiert er! Ich glaube nicht, dass der<br />

je eine ensuite-Au<strong>sg</strong>abe gelesen hat, zumindest<br />

nicht weiter als ein Editorial zu überfliegen,<br />

oder versteht, was wir eigentlich tun. Diese<br />

Qualität von jou<strong>rn</strong>alistischer Kritik begleitet<br />

und irritiert mich seit Anbeginn. Vielen Leser-<br />

Innen ist es vielleicht nie aufgefallen, doch<br />

ensuite wurde inhaltlich nie kritisiert, unsere<br />

Kulturdatenbank ist in den Medien inexistent,<br />

und das Kunstmagazin artensuite wurde kaum<br />

je in einem Artikel erwähnt. Der oder das Einzige,<br />

was im Zusammenhang mit ensuite Erwähnung<br />

fand, war ich, «der Vogelsang». Das<br />

ist ziemlich lächerlich. In solchen Momenten<br />

bin ich froh, meinen eigenen Weg gegangen zu<br />

sein. Meine kritischen Meinungen in den Editorials<br />

waren jeweils kalkuliert. Deswegen bin ich<br />

sehr erstaunt, dass die Kollegen nie direkt bei<br />

mir nachgefragt haben. Ein grobes jou<strong>rn</strong>alistisches<br />

Vergehen – oder eben eine «eher dürftige,<br />

kritischen Jou<strong>rn</strong>alismus kleinschreibende Haltung».<br />

Soviel zum Thema Qualität.<br />

Mit Katzenvideos, Babyfotos, Sex und Peoplejou<strong>rn</strong>alismus<br />

hätte ich hundertmal die besseren<br />

Möglichkeiten gehabt, als Verleger berühmt<br />

und reich zu werden. Ich bin also auch<br />

kein «Kulturhasser», wie mir ein paar eigenwillige<br />

KommentatorInnen im Inte<strong>rn</strong>et unterstellen<br />

wollen. Ebenso wenig ist «kulturelles Engagement»<br />

eine Krankheit, und muss auch nicht<br />

bekämpft werden. Selbst der Stadtpräsident<br />

Alexander Tschäppät wirkte etwas überfordert<br />

mit seiner öffentlichen Kritik über den «selbste<strong>rn</strong>annten<br />

Heftlimacher» – vor allem, weil er<br />

mich nicht einmal kennt. Kritik hat mich nie<br />

zum Verstummen gebracht, und meine Arbeit<br />

einstellen werde ich auch nicht. Gehört habe<br />

ich alles und reflektiert auch. Aber die teils absurd<br />

heftigen Angriffe auf mich beweisen, dass<br />

dem ensuite - kulturmagazin mehr Respekt zukommt<br />

und Gefährlichkeit zugetraut wird, als<br />

ich das je selber wahrgenommen habe.<br />

Ich bin sehr stolz auf die vergangenen 10<br />

Jahre, die über 150 aktiven und ehemaligen<br />

MitarbeiterInnen, auf über 227 produzierte Magazine,<br />

zwei Bücher, mehrere Webseiten – aber<br />

vor allem danke ich den über 100’000 zu uns<br />

monatlich wiederkehrenden und uns bestätigenden<br />

LeserInnen!<br />

Filosofenecke<br />

Von Ueli Zingg<br />

Weisheit<br />

Wenig verbindet Menschen mehr als die<br />

Gewissheit, älter zu werden, hin zum<br />

finalen Au<strong>sg</strong>ang ins Ungewisse. Alte<strong>rn</strong> heisst<br />

Erfahrungen sammeln, die sich in vergleichbarer<br />

Form wiederholen, bis sich Strukturen, Gesetzmässigkeiten,<br />

Prinzipien abzeichnen. Da<br />

kommen die Einzelerfahrungen zu allgemeiner<br />

Bedeutung. Individuelles Sein begreift sich als<br />

Gegenüber zu einem allgemeinen Sein, je nach<br />

Weltbild auch als nicht abgetrenntes Element<br />

dieses Allgemeinen. So oder so ist diese Erkenntnis<br />

eine Voraussetzung auf dem Weg zur<br />

Weisheit, denn das Einzelne kommuniziert nur<br />

über das Allgemeine mit einem anderen Einzelnen.<br />

Wer sein Handeln allein aus der Sicht seines<br />

Einzelseins versteht und rechtfertigt, entbehrt<br />

nicht nur der Empathie, er ist auch nicht<br />

weise. Weisheit weiss: Jede Situation kann auch<br />

anders aufgefasst werden; Individualität, das Situative<br />

des Moments, soziale Relationen lassen<br />

stets unterschiedliche Interpretationen zu. Das<br />

Verständnis des Allgemeinen, zwar einziger Ort<br />

der Verständigung, ist unter Einzelnen nie deckung<strong>sg</strong>leich.<br />

Wer diese Existenzbedingung erkennt, läuft<br />

kaum Gefahr, das Relative seines Urteils absolut<br />

zu setzen und damit mögliche Weisheit arrogant<br />

zu verspielen. Im Zustand der Weisheit akzeptiert<br />

der Einzelne seine Relativierung durch<br />

das Allgemeine. So gelingt es, damit umzugehen,<br />

dass das Eigene eine Ausnahme zum Allgemeinen<br />

darstellt: Wir sind nicht das Allgemeine,<br />

nicht in der Leistung, die wir erbringen, nicht<br />

in der Gerechtigkeit, die uns selbst meist als<br />

Ungerechtigkeit wiederfährt, nicht in der Fortpflanzung<br />

als romantisiertes Prinzip Liebe. Und<br />

doch messen wir uns selbst und andere an unserer<br />

eigenen Vorstellung des Allgemeinen, im<br />

ungünstigeren Fall nur an uns selbst. Weisheit<br />

ist der schmale Grat, auf dem unsere Werturteile<br />

und Handlungsentscheide zwischen Eigeninteressen<br />

und dem Bewusstsein dieses Algemeinen,<br />

das wir nicht sind, aber mit ande<strong>rn</strong> teilen,<br />

gefällt werden.<br />

Wir sprechen von Altersweisheit, weil die<br />

Erfahrungsmenge mit dem Alter zunimmt, was<br />

allerdings nur dann wirksam ist, wenn aus den<br />

Einzelerfahrungen eine Gesetzmässigkeit entsteht,<br />

die sich in Vorsichtigkeit, Zurückhaltung<br />

und Toleranz unserer Urteile zeigt. Doch wäre<br />

es ein Zeichen mangelnder Weisheit, würden<br />

wir diese jungen Menschen nicht zubilligen.<br />

Sind Sie weise? ueli.zingg@ensuite.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 9


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Oper von Giuseppe Verdi<br />

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umso mehr haben<br />

wir alle davon.<br />

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Studiengang 2013 - 2015, Beginn Oktober 2013<br />

Informationsveranstaltung<br />

Dienstag, 22. Januar 2013, 18.30 bis 20 Uhr<br />

Alte Universität, Rheinsprung 9, Hörsaal 118<br />

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cartoon<br />

▲<br />

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Von Menschen und Medien<br />

Medienvielfalt statt Medienvielzahl<br />

Von Lukas Vogelsang Cartoon: Bruno Fauser<br />

Weniger ist nicht mehr, sonde<strong>rn</strong> weniger.<br />

Wenig kann gut sein, zum Beispiel im<br />

Design, im Strassenverkehr, im Stromverbrauch<br />

– im Jou<strong>rn</strong>alismus ist es das aber bestimmt<br />

nicht. Fehlende Recherchen sind schlecht, zu<br />

wenig jou<strong>rn</strong>alistische MitarbeiterInnen sind<br />

schlecht, zu wenig LeserInnen sind schlecht.<br />

Wer das Gegenteil behauptet, liest keine Zeitungen<br />

oder gehört in die Chefetagen der Medienunte<strong>rn</strong>ehmen:<br />

Diese Manager wollen mit weniger<br />

Aufwand viel verdienen. In der Sparwut<br />

haben sich die Tageszeitungen zu Tode gespart.<br />

Am Sonntag spüren wir das besonders. Die<br />

Sonntagspresse bringt oft Themen, welche die<br />

SDA (Schweizerischen Depeschenagentur) nicht<br />

schon vorgekaut hat. Das heisst, die «unter-der-<br />

Woche»-Tageszeitungen hatten keine Ahnung,<br />

und schreiben deswegen aufgrund der Sonntagsartikel<br />

ihre Artikel dazu erst am Montag<br />

in ihren Blätte<strong>rn</strong>. Netterweise oft mit dem Hinweis,<br />

wer das Thema gefunden hatte. Die Sonntagspresse<br />

publiziert daraufhin eine Woche später<br />

noch mehr spannende Themen, denn während<br />

die Tageszeitungen mit der Aufarbeitung<br />

und mit den verzweifelten Recherchen beginnen,<br />

sind die Sonntagsjou<strong>rn</strong>alistInnen bereits<br />

an neuen Geschichten. Das ist ganz einfach der<br />

Grund, warum die Sonntagszeitungen – oder<br />

generell die Wochenzeitungen – in den letzten<br />

Jahren mehr LeserInnenzuwachs vorweisen<br />

können. Das mit der Medienvielfalt haben die<br />

Ringiers, Tamedias, NZZs, AZ-Medien und der<br />

Rest nicht wirklich begriffen. Nur in den Sonntagsau<strong>sg</strong>aben:<br />

Nach den au<strong>sg</strong>iebigen Recherchen<br />

servieren die Jou<strong>rn</strong>is eine gute Geschichte<br />

nach der anderen, gut aufgearbeitet einen Knüller,<br />

halbe Spionagegeschichten ans sonntägliche<br />

Frühstücksbuffet, und wir bleiben bildlich an<br />

der Zeitung kleben. Intelligenterweise will jeder<br />

Verlag seine eigene Tageszeitung (die anderen<br />

haben das ja auch!) und eine Sonntagszeitung<br />

(die anderen haben das auch!). Anstatt zum Beispiel<br />

das Geld in besseren Tagesjou<strong>rn</strong>alismus<br />

zu investieren, sich auf etwas zu spezialisieren<br />

und der Sonntagspresse die Themen wegzufressen,<br />

rennen alle wie Lemminge hintereinander<br />

her und kopieren einander gegenseitig die<br />

Presseerzeugnisse. Saublöd. Es ist schlicht und<br />

ergreifend nicht spannend, wenn alle Tageszeitungen<br />

alle Themen gleich ablichten. Egal welche<br />

Zeitung ich zur Hand nehme – ich habe alle<br />

Themen bereits irgendwo mitbekommen. Wieso<br />

sollte ich also noch eine Tageszeitung abonnieren?<br />

Da sitzen also an der Pressekonferenz 20<br />

Jou<strong>rn</strong>is, und alle berichten am nächsten Tag,<br />

was die Presseverantwortlichen ihnen am Vortag<br />

zum Frass vorgelegt haben. Warum noch<br />

20 Personen hingehen ist mir ein Rätsel – die<br />

Textversionen unterscheiden sich schlussendlich<br />

nicht gross. Um Fragen stellen zu können<br />

muss man dazwischen noch denken können. Im<br />

redaktionellen Alltag ist das kaum mehr möglich.<br />

Die au<strong>sg</strong>edünnten Redaktionen sind bereits<br />

am hyperventilieren, um das tägliche Pensum<br />

einigermassen befriedigend über die Runde<br />

zu bringen. Die echten Geschichten bleiben<br />

liegen – die Sonntagspresse wird diese Themen<br />

übe<strong>rn</strong>ehmen. Und so verlieren die Tageszeitungen<br />

täglich an Erfolg, Selbstbewusstsein, Relevanz,<br />

und ersticken sich selber.<br />

Medienvielfalt ist nicht Medienvielzahl. Die<br />

Medienvielzahl ist nur da, um die Konkurrenz<br />

zu schwächen und um die Werbemärkte zu<br />

destabilisieren – ein anderer Vorteil ist darin<br />

nicht zu erkennen. Denn ob das Layout grün,<br />

blau oder rot ist, spielt keine grosse Rolle. Es<br />

ginge um den Inhalt.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 11


Peter Aerschmann<br />

Leyla Goormaghtigh<br />

Ausstellung: 12. 1. - 8. 2. 2013<br />

Ve<strong>rn</strong>issage: Sa. 12. 1. ab 11 h<br />

GALERIE BEATRICE BRUNNER<br />

Nydeggstalden 26. 3011 Be<strong>rn</strong><br />

T +41 (0) 31 312 40 12.<br />

www.beatricebrunner.ch<br />

Mi – Fr 14 – 18 h. Sa 11 – 16 h<br />

ewz konstruktiv und konkret dabei.<br />

Freier Eintritt am 13. Januar 2013<br />

ins Haus Konstruktiv.<br />

ewz und das Museum Haus Konstruktiv offerieren Ihnen am Sonntag,<br />

13. Januar 2013, von 11 bis 18 Uhr, freien Eintritt zur Kunstausstellung<br />

von Jakob Bill «Eine Retrospektive» und zwei weiteren.<br />

Nutzen Sie die Gelegenheit, allein, mit Freundinnen und Freunden oder<br />

Familie, die Retrospektive des Schweizer Künstlers zu besuchen.<br />

Zwei kostenlose Führungen – «powered by ewz».<br />

11.15 Uhr und 14.15 Uhr (Dauer je 1 Stunde)<br />

ewz-Unterwerk Selnau<br />

Museum Haus Konstruktiv<br />

Selnaustrasse 25<br />

8001 Zürich<br />

www.ewz.ch<br />

www.hauskonstruktiv.ch


Kino & Film<br />

▲<br />

Kurz vor Weihnachten ist meine<br />

Großmutter gestorben. Sie war<br />

89 Jahre alt und seit einigen Jahren<br />

etwas verwirrt – ich hatte sie lange<br />

nicht mehr gesehen. Die Erinnerungen<br />

an sie sind aber alle noch<br />

wach. Die Bilder, Gerüche, und<br />

viele Situationen, welche ich als<br />

Kind mit ihr erlebt hatte – sogar an<br />

ihre Stimme kann ich mich erinne<strong>rn</strong>.<br />

Meine Grossmutter hätte sich aber<br />

nicht an mich erinne<strong>rn</strong> können.<br />

Der deutsche Filmregisseur David Sieveking<br />

hat mit seinen Filmen inte<strong>rn</strong>ationalen<br />

Erfolg und könnte sich um grosse Projekte<br />

kümme<strong>rn</strong>. Doch sein Vater braucht ihn<br />

jetzt. Die Mutter, Gretel, einst eine wunderschöne<br />

Lebefrau mit revolutionärem Geist,<br />

ist dement und verwirrt. Für die Familie und<br />

für alle Beteiligten keine einfache Sache: Alzheimer.<br />

David Sieveking geht nach Hause und<br />

nimmt sich vor, sich um Gretel zu kümme<strong>rn</strong><br />

– jene Frau, die ihn einst erzogen hatte und<br />

Vergiss mein nicht<br />

Von Lukas Vogelsang Bild: Der Vater, Gretel und David / zVg.<br />

die er bewundert. Wir begleiten die Familie<br />

in verschiedenen Stadien, gehen mit zurück<br />

in die Vergangenheit, erleben Teile aus ihrer<br />

Geschichte, und begleiten die Mutter in ihrer<br />

Verwirrtheit ein letztes Stück. Es ist eine ganz<br />

private Familiengeschichte, die hier erzählt<br />

wird. Doch die Geschichte kann sich in jeder<br />

anderen Familie auch abspielen. Was David<br />

Sieveking mit seinem Dokumentarfilm erreicht<br />

hat, ist mehr als eine grossartige Würdigung<br />

seiner Mutter. Jede Familie, in welcher ein Mitglied<br />

an Alzheimer erkrankt, wird für die offene<br />

und ehrliche Darstellung, die Gedanken, die<br />

Bewältigung und Aufarbeitung der Geschichte,<br />

und das Abschiednehmen (von) der Mutter<br />

dankbar sein.<br />

Ein Glück, dass der Filmnarr die Kamera<br />

ebenfalls mitlaufen liess, und die Tage und Monate<br />

mit seiner Mutter filmte. Entstanden ist<br />

ein wundervolles Werk über Alzheimer und<br />

über einen Menschen, der langsam in eine andere<br />

Welt abtaucht. Die Erzählstimme fällt als<br />

erstes auf: David Sieveking spricht wie in einem<br />

«Fünf-Freunde»-Kinderfilm. Er wäre als<br />

Erzähler sonst denkbar ungeeignet. Diesem<br />

Film aber verleiht er die Lockerheit, die es<br />

braucht, um die Emotionen ertragen zu können.<br />

Je länger wir eintauchen, umso dankbarer<br />

werden wir David dafür. Er schafft es, dem Film<br />

die Tragik zu nehmen, und bringt so viel Leichtigkeit<br />

rein, dass die Krankheit Alzheimer fast<br />

schön und lieb wirkt – ohne aber beschönigen<br />

zu wollen. Alles ist real, ehrlich und unaufhaltsam.<br />

Und darin ist die Erzählweise des Films,<br />

die Dokumentation einfach hervorragend gelungen.<br />

Wir nehmen Anteil, versuchen zu verstehen,<br />

und sind als Zuschauer eigentlich immer<br />

mit den gleichen Fragen konfrontiert wie<br />

die betroffene Familie. Und obwohl das Thema<br />

an und für sich traurig wäre schwingt der Film<br />

darüber hinweg, ohne despektierlich zu sein,<br />

ohne den Blick verschleie<strong>rn</strong> zu wollen. Statt<br />

traurig, gehen wir befreit und gestärkt aus dem<br />

Kino. David Sieveking hat es ganz richtig formuliert:<br />

«Aus der Tragödie meiner Mutter ist<br />

kein Krankheits- sonde<strong>rn</strong> ein Liebesfilm entstanden,<br />

den ich mit melancholischer Heiterkeit<br />

erfüllt sehe.» – Besser kann man diesen<br />

Film nicht beschreiben.<br />

Der Film läuft zur Zeit in den Kinos.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 13


▲<br />

Kino & Film<br />

Kein Vorspann, kein langsamer Einstieg<br />

und kaum eine ruhige Minute ist dem<br />

Publikum von «End of Watch» gegönnt. Der<br />

Film beginnt mit einer hochdramatischen Verfolgungsszene<br />

über die Strassen von Los Angeles,<br />

die in einer Schiesserei endet, und die sogleich<br />

den Ton des Films angibt: schmerzhaft<br />

authentisch, mittendrin, kompromisslos.<br />

Das Kinojahr hat gerade erst begonnen,<br />

doch «End of Watch» dürfte mit zum Besten<br />

gehören, was im Genre des Polizeifilms für<br />

lange Zeit zu sehen sein wird. Protagonisten<br />

sind die Polizisten Brian Taylor (Jake Gyllenhaal)<br />

und Miguel Zavala (Michael Peña), enge<br />

Freunde und Partner auf Streife im berüchtigten<br />

Stadtteil von South Central Los Angeles,<br />

in dem Bandenkriege und Drogenexzesse zum<br />

Alltag gehören. Taylor, ein ehemaliger Soldat,<br />

hält ihren Alltag für ein Filmprojekt auf Videokamera<br />

fest, sehr zum Verdruss von Zavala und<br />

den Kollegen auf dem Revier.<br />

Wie ein Videotagebuch ist auch der Film<br />

aufgebaut. Episodenhaft begleitet man die<br />

beiden bei ihren Einsätzen, bei denen jede<br />

Routinekontrolle eskalieren und jede noch<br />

so banal wirkende Situation ausser Kontrolle<br />

geraten kann. Taylors Aufnahmen sind im<br />

Film integriert, und verstärken zusätzlich die<br />

semidokumentarische und teils experimentelle<br />

Bildsprache von Regisseur David Ayer und Kameramann<br />

Roman Vasyanov.<br />

«End of Watch» scheint zudem über keine<br />

feste Dramaturgie zu verfügen, ist mehr Chronologie<br />

denn Erzählung. Doch der Film braucht<br />

auch keine: Die Darstellung der Realität ist<br />

packend genug, das Leben passiert, und nur<br />

der alltägliche Irrsinn einer endlosen Gewaltspirale<br />

zieht sich wie ein roter Faden durch<br />

End of watch<br />

Von Sonja Wenger Bild: zVg.<br />

das Geschehen des Films, durch das Leben der<br />

beiden Polizisten und das ihrer Familien.<br />

Man könnte «End of Watch» als eine Hommage<br />

an die Polizei von South Central Los Angeles<br />

bezeichnen, die allerdings nichts verklärt<br />

oder beschönigt. Doch ganz genau genommen,<br />

ist es ein Film über Freundschaft, Liebe<br />

und Familie, gegenseitiges Vertrauen und den<br />

Sinn des Lebens – allerdings versteckt hinter<br />

einer grenzwertig realistischen Darstellung<br />

menschlicher Grausamkeit und seelischer Abgründe.<br />

Entsprechend muss gesagt sein, dass «End<br />

of Watch» streckenweise nichts für Zartbesaitete<br />

ist. Die Bilder des Films, respektive die<br />

Situationen, mit denen Taylor und Zavala konfrontiert<br />

sind, könnten direkt aus den aktuellen<br />

mexikanischen Mainstreammedien stammen,<br />

die gefangen in einem masochistischen Extremvoyeurismus<br />

über jedes abartige Verbrechen<br />

der Drogenkartelle berichten.<br />

Umso erstaunlicher ist, dass sich Taylor und<br />

Zavala ihre Menschlichkeit, ihre Betroffenheit<br />

und Empörung bewahrt haben, und sich deshalb<br />

auf Dauer nicht damit begnügen mögen,<br />

die kleinen Fische von der Strasse zu holen.<br />

Doch wenn man zu lange in einen Abgrund<br />

blickt, blickt dieser irgendwann zurück: Als<br />

die beiden bei einer Kontrolle Drogen sowie<br />

diamantenbesetzte Waffen finden, führen sie<br />

ihre weiteren Ermittlungen mitten in die Hölle<br />

des Drogenhandels und Menschenschmuggels<br />

– und somit ins Visier eines mexikanischen<br />

Kartells, das sich in Los Angeles niedergelassen<br />

hat.<br />

«End of Watch» ist ein packender Film, ja<br />

eine Offenbarung – wenn man sich ihm stellt.<br />

Tragisch, verstörend, berührend, aber auch<br />

witzig und warmherzig, getragen von sensationellen<br />

schauspielerischen Leistungen zeichnet<br />

er ein Bild der rauen Realität und der Polizei,<br />

wie man es lange nicht gesehen hat, und das<br />

so nichts mit den markigen Sprüchen und dem<br />

Hauruck-Humor der manchmal unsäglichen<br />

«Buddy-Filme» zu tun hat, die das Genre so oft<br />

prägen.<br />

Wenig wundert deshalb das Lob der Polizisten<br />

aus South Central Los Angeles, die sich<br />

und ihre Arbeit erstmals realistisch dargestellt<br />

sahen, wie einer der Produzenten von «End of<br />

Watch» am Zürich Filmfestival 2012 erzählte,<br />

bei dem das Darstellerensemble eine besondere<br />

Erwähnung erhielt. Und nicht nur dort: Für<br />

den Film wie für die beiden Hauptdarsteller –<br />

die vor dem Dreh ein monatelanges Training<br />

bei der Polizei von Los Angeles absolviert hatten<br />

und bei vielen Patrouillen mit dabei waren<br />

– regnet es inzwischen Nominationen für Filmpreise.<br />

Zu recht – nicht nur, was die Qualität des<br />

Films angeht. Denn «End of Watch» ist mehr<br />

als nur der Versuch, mit ungewohnten Bilde<strong>rn</strong><br />

und Erzählweisen die Sehgewohnheiten eines<br />

manchmal übersättigten Publikums zu durchbrechen.<br />

Der Film ist auch ein Plädoyer für<br />

mehr Menschlichkeit, Ve<strong>rn</strong>unft und Inspiration<br />

im Umgang mit Gewalt. Denn selbst wenn Taylor<br />

und Zavala prinzipiell mit gezogener Waffe<br />

in ein Haus gehen, würden sie eine andere<br />

Form der Konfliktlösung zweifellos vorziehen.<br />

«End of Watch», USA 2012. Regie: David Ayer. Länge:<br />

109 Minuten. Ab dem 3. Januar 2013 in den Kinos.<br />

14


Kino & Film<br />

▲<br />

Broken<br />

Von Sonja Wenger<br />

Der britische Independent-Film «Broken»<br />

ist ein feingliedriges Kammerspiel, ein<br />

filmisches Kleinod voller Überraschungen und<br />

berührender Momente um das Erwachsenwerden<br />

der elfjährigen Skunk (Eloise Laurence).<br />

Das Mädchen leidet an Diabetes und lebt in<br />

einem Vorort von London, in einer Sackgasse<br />

mit drei Wohnhäuse<strong>rn</strong> und drei Familien, wie<br />

sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Seit<br />

ihre Mutter die Familie verlassen hat, kümmert<br />

sich neben ihrem Vater Archie (Tim Roth), einem<br />

Anwalt, das Au-Pair Mädchen Kasia (Zana<br />

Marjanovic) um die zurückhaltende, schwierig<br />

wirkende Skunk und ihren älteren Bruder.<br />

Einer ihrer wenigen Freunde ist der scheue<br />

Nachbarssohn Rick (Robert Emms). Doch als<br />

dieser vom dritten Nachba<strong>rn</strong> Mr. Oswald (Rory<br />

Kinnear) krankenhausreif geschlagen wird,<br />

weil eine seiner drei missratenen Töchter Rick<br />

fälschlicherweise der Vergewaltigung beschuldigte,<br />

scheint auch in Skunks Leben plötzlich<br />

alles schief zu laufen. Kasia trennt sich von<br />

ihrem Freund Mike (Cillian Murphy), der gleichzeitig<br />

Skunks Lieblingslehrer ist; ihr erster<br />

Freund muss von London wegziehen; und ihr<br />

Vater scheint immer weniger Zeit für sie zu<br />

haben. Als Rick, der inzwischen in der Psychiatrie<br />

lebt, für ein Wochenende nach Hause<br />

kommt, und Skunk ihn heimlich besuchen will,<br />

eskaliert die Situation.<br />

«Broken» ist erst der zweite Film des<br />

britischen Regisseurs Rufus Norris. Doch er<br />

hat das intelligente Drehbuch um eine ganze<br />

Reihe äusserst komplexer Charaktere mit einer<br />

verblüffenden Leichtigkeit umgesetzt. Mit<br />

enormer Einfühlsamkeit führt er die – teils<br />

sehr jungen – Schauspieler zu souveränen<br />

darstellerischen Leistungen, die ihre<strong>sg</strong>leichen<br />

suchen. Sein präziser Blick schafft zudem eine<br />

grosse Nähe, die aber immer respektvoll bleibt<br />

und zeigt, wie Teenager ticken, wie sie mit<br />

äusseren Zwängen, inneren Konflikten und<br />

ihren Träumen umgehen.<br />

Dabei gelingt es Norris stets, Klein und<br />

Gross, Schock und Erlösung, Verdorbenheit<br />

und Reinheit, Unschuld und Schuld in Balance<br />

zu halten, und dem Publikum keine leichten Lösungen<br />

oder Urteile zu präsentieren. Eine aussergewöhnliche<br />

Leistung bei einer Geschichte,<br />

in der auch der Tod eine wichtige Rolle spielt.<br />

«Broken», Grossbritannien 2012. Regie:<br />

Rufus Norris. Länge: 90 Minuten. Ab<br />

dem 17. Januar 2013 in den Kinos.<br />

DFL – Dead Fucking<br />

Last<br />

Von Sonja Wenger Bild: zVg.<br />

Die Letzten werden die Ersten sein – oder:<br />

Wer zuletzt radelt, steckt die Konkurrenz<br />

in den Sack. So oder ähnlich dürfte das<br />

Motto der Filmemacher von «Dead Fucking<br />

Last – DFL» gewesen sein, einer «Velokurier-<br />

Komödie» von Regisseur Walter Feistle, einer<br />

«verspielten Hommage an die Zürcher Velokurierdienste,<br />

die immer wieder gekonnt den<br />

Trend verpassen und sich dennoch eise<strong>rn</strong> seit<br />

über zwei Jahrzehnten über Wasser halten».<br />

Tatsächlich scheint die Geschichte um die<br />

Velokurier-Genossenschaft dreier Freunde authentisch,<br />

und ist in punkto Detailverliebtheit<br />

durchaus gelungen. Dass die Darsteller beim<br />

Dreh Spass und einen grossen Zusammenhalt<br />

hatten, ist dem Film stark anzumerken. Dass<br />

die Crew unter enormem Zeitmangel gedreht<br />

habe, und der Film mit einem Gesamtbudget<br />

von nur 1,6 Millionen Franken auskommen<br />

musste wiederum weniger. Da zieht man glatt<br />

den Velohelm.<br />

Auch die Au<strong>sg</strong>angslage ist bestens. Die drei<br />

Velokuriere und dicken Freunde Tom (Michael<br />

Neuenschwander), Andi (Mike Müller) und Ritzel<br />

(Markus Merz) sind zwar nicht mehr die<br />

Fittesten – bei einem Kurierrennen zu Beginn<br />

des Films erhalten sie den Pokal für die «Dead<br />

Fucking Last» –, aber dennoch seit über zwanzig<br />

Jahren die unangefochtenen Platzhirsche<br />

in Zürich und im Geschäft. Zumindest bis zu<br />

jenem Tag, als sie plötzlich Konkurrenz durch<br />

die Girls-Messengers erhalten. Die «Mädels»<br />

steigen mit mode<strong>rn</strong>er Ausrüstung und klassisch<br />

kurzen Röckchen ins Geschäft ein, und<br />

fuchsen den Alteingesessenen einen Kunden<br />

nach dem ande<strong>rn</strong> ab.<br />

Die Vorschläge der drei variieren von aussitzen<br />

über verhandeln bis abfackeln, und ihre<br />

Freundschaft gerät gewaltig unter Druck, als<br />

sich Tom auch noch in Nina (Orana Schrage),<br />

die Chefin der Girls-Messengers verguckt.<br />

Widerwillig einigen sich die drei auf eine mode<strong>rn</strong>ere<br />

Strategie, bei der Fat Frank (Roeland<br />

Wiesnekker), ein ehemaliger Genossenschafter<br />

und heute erfolgreicher Geschäftsmann, sprich<br />

Klassenfeind, eine unfreiwillige wenn auch<br />

schön fiese Rolle spielt.<br />

Doch trotz der vielen bekannten – und beliebten<br />

– Gesichter, die ihre Rollen mit Verve<br />

spielen, trotz der vielen Kreativität und dem<br />

Improvisation<strong>sg</strong>eschick, das die Macher in<br />

den Film gesteckt haben, und trotz einer mehr<br />

als berechtigten Portion Sozialkritik über verlorene<br />

solidarische Werte, vermag DFL nur<br />

selten zu begeiste<strong>rn</strong>, verleiten nur sehr wenige<br />

Szenen zu herzhaftem Lachen. Wohl zu verbissen<br />

und aufgesetzt polemisch wird im Film<br />

an den Idealen der achtziger Jahre und die<br />

Bewegung um «Züri brännt» festgehalten. Zu<br />

konstruiert wirken einige Wendungen der Geschichte,<br />

damit das obligate Happyend der Verliebten<br />

mit den gekitteten Freundschaften der<br />

Genossenschafter zusammengeht. Und zu sehr<br />

nervt auf Dauer das mit Leidenschaft zu Tode<br />

gerittene Klischee des ohne Unterlass rauchenden,<br />

biersaufenden und Reden schwingenden<br />

Genossenschaftsmenschen, der sich aber immer<br />

und prinzipiell um den Abwasch drückt –<br />

Mal abgesehen davon, dass dieser letzte Punkt<br />

den harten Fakten entspricht.<br />

Das ist schade, denn der Film verfügt über<br />

viel Herzblut und zeigt eine Szene, zu der<br />

man als Mensch des öffentlichen Verkehrs nur<br />

wenig Zugang hat, zeigt eine Seite von Zürich,<br />

wie man sie im Schweizer Kino selten sieht.<br />

Oder, um es wie die Protagonisten im Film «fadegrad»<br />

heraus zu sagen: Sozialsatire und Nostalgie<br />

können ihren Charme haben, manchmal<br />

gehen sie aber auch in die Hose.<br />

«DFL – Dead Fucking Last», Schweiz 2012. Regie:<br />

Walter Feistle. Länge: 95 Minuten. Seit<br />

dem 27. Dezember 2012 in den Kinos.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 15


▲<br />

Das andere Kino - Werbung<br />

www.cinematte.ch /<br />

Telefon 031 312 45 46 www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05 www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99<br />

Musikfilme & Konzerte mit Gus McGregor<br />

Wir servieren stimmige Klänge in<br />

gemütlichem Ambiente und schaffen dem puren<br />

Musikgenuss seine Bühne. In angenehmer<br />

Wohnzimmer-Atmosphäre präsentieren wir<br />

Gus MacGregor in der Cinématte. Der gebürtige<br />

Engländer folgte vor Jahren seiner Liebe<br />

in unsere Hauptstadt, wo er als Strassenmusiker<br />

entdeckt wurde. Tiefgründige Texte treffen<br />

dabei auf wunderbare Melodien im Stile eines<br />

Paul Simon, James Taylor oder Jim Croce. Begleitet<br />

wird er dabei von einem stimmgewaltigen<br />

Special-Guest. Als Rahmenprogramm<br />

zeigen wir Shine a Light, den Doku von Martin<br />

Scorsese über die Rolling Stones, Walk the<br />

Line über Johnny Cash, Ray über Ray Charles,<br />

und den charmanten Film Once von John Ca<strong>rn</strong>ey,<br />

dessen Held der Geschichte ein Strassenmusiker<br />

ist. Konzerte vom 1. bis 4. Februar.<br />

Kino Polska<br />

Cinélibre und Cinématte präsentieren 5<br />

neue polnische Filme in Schweizer Kinopremiere.<br />

Am 14. Januar findet die Eröffnung mit<br />

dem vielgelobten Film Courage von Greg Zglinski<br />

statt. Der Regisseur wird anwesend sein.<br />

Song & Dance Men<br />

Vorpremiere am 7. Januar: Searching for Sugar<br />

Man von Malik Bendjelloul. Die Dokumentation<br />

über den Singer-Songwriter Sixto Rodriguez,<br />

der in Südafrika den Status eines Bob<br />

Dylan hat.<br />

Zum Runden Leder<br />

Wir präsentieren am 10. Januar den nächsten<br />

Fussball-Dokumentarfilm. Tom Meets Zizou<br />

– Kein Sommermärchen: Der Filmemacher<br />

Aljoscha Pause begleitete während 10 Jahren<br />

die ungewöhnliche Karriere des Fussballers<br />

Thomas Broich.<br />

Neujahrsfilme<br />

Wiederum zeigen wir zum Jahreswechsel<br />

eine kleine Auswahl an cineastischen Leckerbissen<br />

(Casablanca, Der Himmel über Berlin,<br />

Gainsbourg – Vie Héroïque und The Artist).<br />

Wir wünschen ein schönes neues Jahr mit vielen<br />

tollen Kinoerlebnissen.<br />

Weiterhin: Elena von Andrej Zvyagintsev.<br />

Elena ist weder Sozialdrama noch<br />

Thriller – obwohl Zvyagintsev alle Register<br />

zieht, die den Film in beiden Genres weit aus<br />

dem Mittelmass herausragen lassen –, sonde<strong>rn</strong><br />

faszinierende Innensicht einer Frau, die von der<br />

Spaltung, die die russische Gesellschaft durchzieht,<br />

förmlich zerrissen und zu einer extremen<br />

Tat getrieben wird. Dabei verweigert der Film<br />

jede moralische Wertung, denn darum geht es<br />

nicht, sonde<strong>rn</strong> um Leben und Tod, Liebe und<br />

Verrat, Schuld und Sühne – und das mit Bilde<strong>rn</strong><br />

eines Kameramanns, Mikhail Krichman,<br />

von dem Zvyagintsev sagt: «Er hat einzigartige<br />

Augen, welche das Unsichtbare sehen.» Bei fast<br />

jedem anderen Filmschaffenden würden solche<br />

Worte befremdlich pathetisch wirken. Doch zu<br />

Zvyagintsev, der alle seine Filme zusammen mit<br />

diesem Bildermagier geschaffen hat, passen sie,<br />

denn seine Werke verkörpe<strong>rn</strong> nicht weniger als<br />

das. (Geri Krebs, NZZ)<br />

Ab 3. Januar im Kino Kunstmuseum, ab 10.<br />

Januar im Kellerkino The Woman in the Septic<br />

Tank von Marlon N. Rivera – Komödien über<br />

das Filmbusiness sind stets ein riskantes Unterfangen.<br />

Der freche, brillant unterhaltsame und<br />

zugleich düstere soziale Kommentar, der den<br />

philippinischen Film The Woman in the Septic<br />

Tank prägt, machten diesen zu einer der provokativsten<br />

Überraschungen am Filmfestival Hong<br />

Kong. (Los Angeles Times)<br />

Ab 17. Januar: Shanghai, Shimen Road von<br />

Haolun Shu – Shanghai, Shimen Road ist ein berührender<br />

Film über China, das riesige Reich mit<br />

den kleinen Gassen, ein Film über das Erwachsenwerden<br />

und die Träume junger Menschen,<br />

die hier noch mehr als anderswo mit Widersprüchen<br />

umgehen müssen. In China erscheinen sie<br />

besonders intensiv. Der Dokumentarfilmer Haolun<br />

Shu steht mit seinem Spielfilmerstling in<br />

der Bewegung des jungen chinesischen Kinos,<br />

das den Alltag sucht, er ist aber auch ein Filmemacher,<br />

der der schrillen Mode<strong>rn</strong>e nicht erliegt<br />

und in seiner kleinen Strasse bleibt, die immer<br />

noch typisch ist in der Grossstadt. Mit Augenmerk<br />

auf sie bringt er uns den Wandel nahe und<br />

hält fest, was schwindet. (Walter Ruggle)<br />

P<br />

remieren: Mit einer Satire hat der philippinische<br />

Regisseur Marlon N. Rivera<br />

in seiner Heimat einen Kassenhit gelandet:<br />

The Woman in the Septic Tank (ab 5. Januar)<br />

erzählt von zwei Regisseuren, die mit einem<br />

Spielfilm über Slums und Prostitution die Festivals<br />

erobe<strong>rn</strong> wollen. Mal ungemein zart, dann<br />

wieder ruppig, immer aber poetisch: Rufus<br />

Norris fängt in Broken (ab 17.1.) überzeugend<br />

das überreizte Klima der Adoleszenz ein. Im<br />

Zentrum seines Films, der in Cannes für Aufsehen<br />

sorgte und am Zurich Film Festival als<br />

bester Spielfilm au<strong>sg</strong>ezeichnet wurde, steht die<br />

elfjährige Skunk, grossartig gespielt von Eloise<br />

Laurence, in der Rolle ihres Vaters überzeugt<br />

Tim Roth. In seinem Essayfilm Le sommeil d’or<br />

(ab 5. Januar) erinnert Davy Chou an die goldenen<br />

Jahre des kambodschanischen Kinos,<br />

bevor das Terrorregime der Roten Khmer die<br />

Filmkultur des Landes zerstörte.<br />

Surrealismus: Zur Ausstellung «Merets Funken»<br />

im Kunstmuseum Be<strong>rn</strong> verfolgt das Kino<br />

Kunstmuseum die Einflüsse des Surrealismus<br />

auf die Filmgeschichte. Die Reihe schlägt den<br />

Bogen von den Klassike<strong>rn</strong> in die Gegenwart:<br />

von Buñuels und Dalís Un chien andalou sowie<br />

Filmen von Man Ray, Hans Richter oder Maya<br />

Deren zu Werken von David Lynch (Mulholland<br />

Drive), David Cronenberg (Naked Lunch) oder<br />

Lars von Trier (Antichrist). Ebenfalls im Programm:<br />

Flaming Creatures von Jack Smith, El<br />

Topo von Alejandro Jodorowksy, Auch Zwerge<br />

haben klein angefangen von We<strong>rn</strong>er Herzog.<br />

Kunst und Film: Die Reihe kreist diesen<br />

Monat um Meret Oppenheim. Zum einen ist der<br />

Dokumentarfilm Imago – Meret Oppenheim zu<br />

sehen, zum ande<strong>rn</strong> ein TV-Dokument von 1983:<br />

Die Künstlerin im Gespräch mit Frank A. Meyer<br />

in der Sendung «Vis-à-vis» des Schweizer<br />

Fe<strong>rn</strong>sehens (Einführung: Franticek Klossner).<br />

Filmgeschichte: Diesen Monat: Der blaue<br />

Engel (1930) von Josef von Ste<strong>rn</strong>berg (8.1., Einführung:<br />

Stephan Schoenholtz) und Vampyr<br />

(1932) von Carl Theodor Dreyer (22.1., Einführung:<br />

Andreas Berger).<br />

16


Das andere Kino - Werbung<br />

▲<br />

K I O<br />

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www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69 www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05 www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01<br />

Norient organisiert vom Donnerstag, 10. Januar<br />

bis Sonntag, 13. Januar 2013 die 4. Au<strong>sg</strong>abe<br />

des Norient Musikfilm Festivals. Das Festival<br />

zeigt au<strong>sg</strong>ewählte Filme, Konzerte, DJ-Sets aus<br />

den USA, aus Bulgarien, Norwegen, Zimbabwe, Israel,<br />

Äthiopien und der imaginären Republik Kadebostan.<br />

Der geographische Fokus liegt auf New<br />

Orleans – mit drei Filmen, einer Tanzstunde und<br />

Auftritten der Queer-Rap Königin Big Freedia,<br />

Jazzmusike<strong>rn</strong>, Poeten und einer Spitzenköchin.<br />

New Orleans! Ein multi-sinnlicher New-Orleans-<br />

Abend im Kino und im «Rössli» der Reitschule<br />

Be<strong>rn</strong> macht am Donnerstag den Anfang: Nach der<br />

Buchve<strong>rn</strong>issage Out of the Absurdity of Life – Globale<br />

Musik startet das Festival mit der Langzeit-<br />

Dokumentation Bury the Hatchet.<br />

Religion, Metal und Satanismus! Im Film<br />

Children of the Bible am Freitag diskutiert der israelisch-äthiopische<br />

Rapper Jeremy Cool Habasch<br />

über Diskriminierungen in Israel und über äthiopisch-jüdische<br />

Identität. Until the Light Takes<br />

Us zeigt anschliessend in eindrücklichen Bilde<strong>rn</strong><br />

die Verstrickungen von Black Metal, brennenden<br />

Kirchen und einem Musikermord in Norwegen.<br />

Zum Abschluss des Abends präsentiert der Musiksoziologe<br />

und Kurator Peter Kraut Trouvaillen<br />

aus der Geschichte des Videoclips.<br />

Queer, «Geschmack», Trash und Kitsch! Der<br />

Film Little-Big inszeniert am Samstag eine skurrile<br />

Liebe<strong>sg</strong>eschichte zwischen der Chalga-Pop-<br />

Prinzessin Desi Slava und dem Thrash-Metal Gitarristen<br />

Boris Red – zwei Künstler von zwei Rände<strong>rn</strong><br />

der bulgarischen Gesellschaft. Der Film Almost Famous<br />

zeigt danach ein Porträt über die Rapperin<br />

Big Freedia, Königin der schwulen und transsexuellen<br />

Sissy-Bounce-Szene in New Orleans.<br />

Mehr zum Programm und weite<strong>rn</strong> Veranstaltungen<br />

in Rössli, Bonsoir und Tu<strong>rn</strong>halle unter:<br />

http://musikfilmfestival.norient.com/<br />

Und wie jeden Monat nicht zu verpassen:<br />

- Mellow Mélange: am 17.1. Robert Zimmermann<br />

wundert sich über die Liebe, 31.1. Léon<br />

- Kinderfilm am Flohmi-Sonntag, 6.1. De<br />

Hamschter Etienne!<br />

- Uncut: am 15.1. Alle Tijd – Alle Zeit der Welt,<br />

am 22.1. Skinny, am 29.1. Frauensee<br />

Kinder-Filmnachmittage In Zusammenarbeit<br />

mit dem Quartierverein Marzili gibt<br />

es im Januar jeden Sonntagnachmittag Kinderfilme<br />

zu entdecken (Filmbeginn jeweils 16 Uhr).<br />

Zuerst begleiten wir die kleine Heidi aus den<br />

Bergen zu Clara nach Frankfurt (6.1.). In Kiriku<br />

und die Zauberin stellt sich ein kleiner Junge<br />

und grosser Läufer der bösen Zauberin Kiriku<br />

entgegen, die alle Wasserquellen au<strong>sg</strong>etrocknet<br />

hat (13.1.). Um eine andere Freundschaft<br />

als zwischen dem Bergmädchen Heidi und dem<br />

Stadtkind Clara geht es in Luc Jacquets Der<br />

Fuchs und das Mädchen: Aus einer erst zaghaften,<br />

dann immer intensiveren Beziehung zwischen<br />

dem Kind und dem Tier entwickelt sich<br />

eine fabelhafte Geschichte zweier ungleicher<br />

Gefährten, die gemeinsam in ihrer Welt nach<br />

Abenteue<strong>rn</strong> jagen (20.1.). Schliesslich durchforsten<br />

wir unser Archiv nach lustigen Filmen,<br />

in denen Lausmädchen, Bengel und Ganoven<br />

die Hauptrolle spielen (27.1.).<br />

Sortie du Labo Sigfrit Steiner erzählt in Steibruch<br />

die Geschichte eines Mannes, der nach<br />

langjähriger Haft in Amerika in sein Heimatdorf<br />

Langnach zurückkehrt. Dort richtet er sich am<br />

Rand des Dorfes in einem Steinbruch ein. Erst<br />

die Entdeckung zweier unverhoffter Vaterschaften<br />

erweicht den bärbeissigen Aussenseiter<br />

allmählich. Ein Kauz bleibt er aber, und Steiner<br />

verzichtet auch darauf, die Gegensätze der<br />

Nachba<strong>rn</strong> restlos aufzulösen (9.1).<br />

Filmgeschichte Der blaue Engel war der<br />

letzte Film, in dem Marlene Dietrich vor ihrer<br />

Emigration nach den USA spielte; als wahrlich<br />

betörende Nachtclubsängerin Lola Lola hinterliess<br />

sie als filmisches Erbe unter anderem die<br />

Figur des Vamps (16.1.); mit echten Vampiren<br />

bekommt es ein Okkultist in Theodor Dreyers<br />

erstem Tonfilm Vampyr zu tun, einem Film, der<br />

einen wesentlichen Beitrag zu einem ganzen<br />

Genre leistete (30.1.)<br />

CinemAnalyse Im Rahmen des Zyklus zu<br />

Traum und Film zeigen wir Fritz Langs Der müde<br />

Tod; eine junge Frau ringt dem erschöpften<br />

Tod das Versprechen ab, ihren toten Geliebten<br />

wiedersehen zu dürfen – wenn sie dafür ein anderes<br />

Leben retten kann (31.1.).<br />

M<br />

arley (4.-7.1.) Dokumentation über den<br />

Reggae-Musiker Bob Marley (1945-<br />

1981). Aus teils bisher unveröffentlichtem Archivmaterial<br />

sowie Interviews entsteht ein facettenreiches<br />

Bild, das die Leben<strong>sg</strong>eschichte<br />

Marleys, seine Rolle als Identifikationsfigur<br />

politischer Befreiungsbewegungen und seine<br />

Musik beleuchtet. Auch musikgeschichtliche<br />

Kontexte und Hintergründe zu Marleys Heimat<br />

Jamaika werden nicht au<strong>sg</strong>espart. Ein differenziertes<br />

Porträt, das Marleys Bedeutung als ikonische<br />

Figur nicht demontiert, aber durchaus<br />

Brüche zwischen Person und Image zu Tage<br />

treten lässt.<br />

Halt auf freier Strecke (11.-12.1.) Ein Familienvater<br />

erkrankt unheilbar an einem Hi<strong>rn</strong>tumor<br />

und hat nur noch wenige Wochen zu leben.<br />

Eindringlicher Film über die körperlichen und<br />

emotionalen Auswirkungen eines Krankheitsverlaufs<br />

und Sterbeprozesses, dem mit mobiler<br />

Handkamera und einem aus Schauspiele<strong>rn</strong> und<br />

Laien bestehenden Ensemble eine realistische<br />

Annäherung an sein Thema gelingt. Ohne Beschönigung<br />

und Rührseligkeit werden die ZuschauerInnen<br />

mit den Tatsachen dieses Sterbens<br />

konfrontiert, wobei dessen Ungeheuerlichkeit<br />

Schritt für Schritt abgebaut wird.<br />

Was bleibt (13.-14.1.) Ein junger Berliner<br />

Schriftsteller reist mit seinem kleinen Sohn<br />

zu Elte<strong>rn</strong> und Bruder. Während des Sommerwochenendes<br />

gerät das Familiengefüge aus<br />

der Balance, als die seit Jahren seelisch labile<br />

Mutter ankündigt, keine Psychopharmaka<br />

mehr zu nehmen. Subtiles Kammerspiel, das<br />

ein schmerzhaftes Panorama des deutschen<br />

Bürgertums entwirft, hinter dessen Fassade<br />

Generationsbrüche und seelische Nöte schlumme<strong>rn</strong>.<br />

Ein schnörkelloses, eindringliches Drama<br />

als leises Gruppenbild mit implodierender<br />

Kettenreaktion, die das Unglück der Figuren<br />

trotz flacher Bilder ganz nah heranrücken lässt.<br />

Der Berg ruft! ist Thema des Filmzyklus<br />

vom 18.1.-18.2.2013.<br />

Für das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Inte<strong>rn</strong>et www.be<strong>rn</strong>erkino.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 17


insomnia<br />

Kino & Film<br />

Willkommenes<br />

Januarloch<br />

Von Eva Pfirter<br />

Als Kind war die Zeit nach Weihnachten<br />

immer auch ein bisschen eine traurige<br />

Zeit: Die schönsten Tage im Jahr gehörten der<br />

Vergangenheit an, die Geschenke waren au<strong>sg</strong>epackt,<br />

die Lieder gesungen und der Weihnachtsbaum<br />

stand traurig in einer Ecke, die Äste voller<br />

kalter Kerzenwachstropfen. Alle weihnachtliche<br />

Magie war der typischen Januarleere gewichen<br />

und man hatte als Kind Lust, die Bettdecke über<br />

den Kopf zu ziehen und die Zeit wie ein Tonband<br />

zurückzuspulen.<br />

Mit fortschreitendem Alter und exponentiell<br />

zunehmenden Dezember-Verpflichtungen finde<br />

ich inzwischen jedes Jahr mehr Gefallen an<br />

der Januar-Leere. Nach viel zu vollen Festtagen<br />

strahlt das Januarloch am Horizont der Silveste<strong>rn</strong>acht<br />

eine geradezu wohlige Ruhe aus. Endlich<br />

ist es vorbei mit der grossen Weihnachtshektik<br />

in der Zürcher Innenstadt, als man befürchten<br />

musste, die Menschenmassen könnten das Tram<br />

zum Umkippen bringen, oder man werde von<br />

den zahlreichen herumgeschwungenen Edelboutique-Taschen<br />

auf dem Weg Richtung Bahnhof<br />

erschlagen. Manchmal tickt Zürich schon etwas<br />

anders – oder ist es die ganze (urbane) Schweiz?<br />

In Europa herrscht Krise und in der grössten<br />

Schweizer Stadt wird geshoppt, was das Zeug<br />

hält. Dunkel gekleidete Menschen hetzen einem<br />

entgegen, e<strong>rn</strong>ste Gesichter blicken einen<br />

an, herau<strong>sg</strong>eputzte Geschäftsmänner schieben<br />

ihre piekfeinen Mappen durch die Menschenmasse.<br />

Wären wir Zugvögel und könnten die Innenstadt<br />

von weit oben betrachten, würden wir<br />

sehen, dass die Menschen schwarzen Ameisen<br />

gleich umherrennen, unkoordiniert Häuser betreten<br />

und wieder verlassen, und immer mehr<br />

kleine und grosse bunte Tütchen mit sich herumtragen.<br />

Das hat auch etwas Lächerliches,<br />

nicht wahr? Als wäre die Schweiz wahrhaftig eine<br />

Insel, glauben wir weiterhin fest daran, dass<br />

uns kaum je etwas passieren kann, dass unsere<br />

Konti immer voll sein werden...<br />

Nach der grossen Weihnachtshektik kommt<br />

wohl kaum das langersehnte, wohlig-ruhige Januarloch,<br />

sonde<strong>rn</strong> der Ausverkauf, in dem es zu<br />

horten gilt, was man horten kann. Dabei würde<br />

gerade der Schweiz ein Januarloch unglaublich<br />

guttun.<br />

Searching for Sugar Man<br />

Von Lukas Vogelsang Bild: zVg.<br />

Jetzt wirds absurd: Sixto Rodriguez? Kennen<br />

wir wohl nicht, und es geht ganz vielen so.<br />

Zwar wurde 1970 ein Album produziert, und<br />

man setzte grosse Stücke auf den mexikanischstämmigen<br />

Singer-Songwriter. Er wurde zu dieser<br />

Zeit mit Bob Dylan verglichen – der Produzent<br />

war voller Hoffnungen. 1971 produzierte<br />

man ein zweites Album – Sixto Rodriguez<br />

machte eigentlich alles richtig. Detroit war ein<br />

gutes Pflaster, politische Songs, eine Kultfigur,<br />

charismatische Stimme… Aber es reichte nicht.<br />

Die Musikbranche verschluckte ihn. Das zweite<br />

Album erschien im November 1971 – zwei<br />

Wochen vor Weihnachten schmiss man ihn aus<br />

dem Label raus und stellte ihn auf die Strasse.<br />

Es war ein Fiasko. Zu Unrecht.<br />

Auf irgendeine dubiose Weise gelangte ein<br />

Album nach Südafrika. Es wurde kopiert und<br />

verteilte sich in Windeseile. Sixto wurde zu<br />

einem musikalischen Rebellen, seine Musik<br />

passte perfekt in das Timing und die politische<br />

Situation von Südafrika. In Südafrika gehörten<br />

die Platten von Sixto Rodriguez zum Besten,<br />

was damals erhältlich war. Jeder und jede hörte<br />

diese Musik. Seine Stimme wurde die Stimme<br />

der Revolution. Auf Radiostationen wurden<br />

seine Songs verboten – was dem Erfolg nichts<br />

anhaben konnte.<br />

Das eigentliche Absurde aber ist, dass<br />

der Rest der Welt und damit Detroit und<br />

schlussendlich eben Sixto Rodriguez nichts davon<br />

wussten. Ein südafrikanischer Musikjou<strong>rn</strong>alist<br />

und sein Freund machten sich auf die<br />

Suche nach diesem Sixto Rodriguez, der sich<br />

auf den Platten auch Jesus Rodriguez oder Sixto<br />

Prince nannte. Über den Sänger war nichts<br />

bekannt – man erzählte sich, dass er vor Publikum<br />

auf der Bühne Selbstmord verübte habe.<br />

Das stärkte den Kult natürlich nur noch mehr.<br />

Selbst die Rolling Stones hatten das Nachsehen<br />

zu der Zeit. Die Industrie schien zu funktionieren<br />

– selbst die Urheberrechtsabgeltungen<br />

wurden bezahlt. Über eine halbe Million Platten<br />

wurden verkauft. Legal. Allerdings kam das<br />

Geld nie zu Rodriguez. Eine wahre Odyssee<br />

führte schlussendlich die zwei Schnüffler 1997<br />

zum Künstler. Er lebt, jobbte die ganz Zeit als<br />

Working-Class-Hero in Dearbo<strong>rn</strong>, in der Nähe<br />

von Detroit – ohne zu wissen, dass er in Südafrika<br />

ein grösserer Musikstar als Elvis war. Bei<br />

seinem Auftritt in Südafrika rief er dem Publikum<br />

zu: «Thanks for keeping me alive!» Und<br />

da steht er im Film: Ein echter Working-Class-<br />

Hero. Es ist unglaublich.<br />

Im Hintergrund der Filmdokumentation<br />

läuft die Musik von Sixto Rodriguez. Man verlässt<br />

den Film selig, irritiert – und als ein weiterer<br />

Fan von «Sugar Man».<br />

Der Film läuft jetzt im Kino.<br />

18


Literatur & Essays<br />

▲<br />

Nein, das ist keine Pfeife, genauso wenig<br />

wie da ein Pfeifenraucher ist. Es ist ein<br />

Bild einer Pfeife; ein Bild, oder besser noch,<br />

mein Bild des Pfeifenrauchers. Mein Pfeifenraucher<br />

wird diese Pfeife niemals anzünden,<br />

und niemals wird Rauch durch ihren Körper<br />

strömen. Sollte es in der Brennkammer trotzdem<br />

glimmen, so pass mir lieber auf, denn<br />

dann wird in Kürze die Pfeife brennen, das<br />

Feuer wird auf den Pfeifenraucher übergreifen,<br />

und schlussendlich wird das Kulturmagazin in<br />

Flammen aufgehen.<br />

Vor wenigen Stunden folgte ich einer Strasse.<br />

Vor mir ging ein Pfeifenraucher. In kurzen<br />

Abständen entwichen seiner Mundhöhle<br />

Rauchwolken. Wie eine mit Dampf betriebene<br />

Lokomotive bewegte er sich mit beinahe unmerklichen<br />

Stossbewegungen gemächlich vorwärts.<br />

Er legte eine Spur. Ihr Duft entzückte<br />

meine Nase und verdrängte meine Gedanken.<br />

Ich schnüffelte wie ein Süchtiger und war nicht<br />

gewillt, die Fährte grundlos aufzugeben. Der<br />

Pfeifenraucher bog rechts ab. Ich folgte ihm,<br />

obwohl ich eigentlich nicht in diese Richtung<br />

gehen wollte. Plötzlich bremste er langsam ab<br />

Der Pfeifenraucher<br />

Von Michael Zwicker Bild: Maler René Magritte / zVg.<br />

und kam neben einem Bücherantiquariat zum<br />

Stillstand. Er dampfte weiter. Vor dem Antiquariat<br />

stand ein Herr, ein weiterer Pfeifenraucher.<br />

Der Herr, hielt einen Radiergummi in<br />

der Hand, mit dem er Bleistift-Gekritzel aus<br />

einem mit der anderen Hand umfassten und<br />

leicht vergilbten Buch radierte: Auf seiner Nasenspitze<br />

sass eine Lesebrille, und in seinem<br />

Mundwinkel hing eine Pfeife. Die Pfeife hatte<br />

sich, wie mir schien, über die Jahre hinweg in<br />

seine Zähne eingeschliffen. Die beiden Pfeifenraucher<br />

gaben sich die Hand und ich musste,<br />

um nicht aufzufallen, noch einen letzten Blick<br />

auf die beiden werfend, an ihnen vorbeiziehen.<br />

Ich hörte, wie sie hinter meinem Rücken<br />

Luft durch ihre Dampfdruckpfeifen jagten.<br />

Meine Nase schnüffelte weiter. Sie beruhigte<br />

sich erst als sie, aus ihr unbekannten Gründen,<br />

nichts Süssliches mehr wah<strong>rn</strong>ahm. Ich ging<br />

weiter. Nach einigen unbedeutenden Passagen<br />

erreichte ich die Bahnhofshalle. Chaos. Die<br />

Passanten strebten geradlinig, sofe<strong>rn</strong> ihnen<br />

niemand in die Quere kam, auf ihre Ziele zu.<br />

Chaos. Ich strebte geradlinig, ging aber auf einer<br />

kaum durch eine Funktion ausdrückbaren<br />

Funktionslinie. Ich zog den Fuss zurück als<br />

ein Rollkoffer ihn bedrohte. Ich legte die Arme<br />

an den Körper und drehte den Oberkörper ab,<br />

als ich in ein Sandwich zu geraten drohte. Ich<br />

duckte mich als ein Vogel knapp über meinen<br />

Kopf hinweg flog. Auf der anderen Seite angekommen,<br />

innerlich zerzaust, blickte ich auf<br />

das Landesmuseum. Pfeifenraucher sind beinahe<br />

so selten wie Dampflokomotiven, dachte<br />

ich. Sie kommen aus einer anderen Zeit. Sie<br />

sind Detektive, ich dachte an Sherlock Holmes,<br />

Schriftsteller, ich dachte an Max Frisch, Philosophen,<br />

ich dachte an Jaques Derrida, und<br />

Künstler, ich dachte an Paul Klee. Sie sind diejenigen,<br />

nach denen ich mich sehne. Ich drehte<br />

mich um, kämpfte mich nochmals durch die<br />

Bahnhofshalle, betrat das Tabakwarengeschäft<br />

an der Bahnhofsstrasse und kaufte mir Tabak<br />

und Pfeife. Als ich zu Hause ankam, stopfte ich<br />

die Pfeife und zündete sie an. Sie schmeckte<br />

mir nicht. Nach wenigen Zügen erlosch die<br />

Glut. Ich legte die Pfeife weg.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 19


Das Zürcher Kammerorchester<br />

gratuliert ensuite ganZ herZlich<br />

Zum runDen geburtstag!<br />

Unsere nächsten Konzerte:<br />

So, 13. Januar 2013, 11 Uhr, Kunsthaus Zürich<br />

ZKO im Kunsthaus:<br />

ausstellung giacOmetti<br />

Zürcher Kammerorchester | Willi Zimmermann Violine und Leitung<br />

Werke von A. Roussel, F. Martin und O. Schoeck<br />

Do, 17. Januar 2013, 20 Uhr, Kaufleuten<br />

«ZKO meets...»<br />

niK Bärtsch<br />

Zürcher Kammerorchester | Nik Bärtsch Klavier<br />

Sha Bassklarinette | Mats Eser Perkussion<br />

Mi, 23. Januar 2013, 19.30 Uhr | Tonhalle | Grosser Saal<br />

sir rOger nOrringtOn & James gilchrist<br />

Zürcher Kammerorchester | Sir Roger Norrington Dirigent | James Gilchrist Tenor<br />

Werke von W.A. Mozart, B. Britten, J. Dowland, J. Haydn<br />

Vorverkauf: 0848 84 88 44 / billettkasse@zko.ch / Besuchen Sie uns auf: www.zko.ch und<br />

Unsere Konzerte werden ermöglicht durch Subventionen der Stadt und des Kantons Zürich sowie durch Beiträge der ZKO-Freunde<br />

und unserer Haupt partner AMAG und Zürcher Kantonalbank.<br />

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«SPRINGEN SIE AUF»<br />

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2. Nachdenken über Medien:<br />

«Fehlende Werbung<br />

tut allen weh: Keine<br />

Werbung - keine Medien.»<br />

Der «Verband Schweizer Werbung» startete eine breit angelegte<br />

Kampagne gegen Werbeverbote. Wenn keine Werbung mehr gemacht<br />

wird, wer soll dann die Medienerzeugnisse bezahlen? Mit<br />

einem Abonnement von ensuite - kulturmagazin und dem Kunstmagazin<br />

artensuite - aber auch anderen Printmedien - nehmen Sie Ihre<br />

soziale Verantwortung wahr und leisten einen wichtigen Beitrag<br />

an unsere Schweizer Demokratie. Die Wirtschaft übe<strong>rn</strong>immt diese<br />

Funktion nicht mehr. Jetzt müssen WIR helfen.<br />

Politische Entscheidungen werden aufgrund unserer «Kultur» gefällt.<br />

Bildung hat mit dieser «Kultur» zu tun. Wir wollen keine Zustände,<br />

wie sie in Russland oder China herrschen. Unterstützen Sie<br />

deswegen kleinere Zeitungen und Magazine in Ihrer direkten Umgebung.<br />

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für eine neutralere, au<strong>sg</strong>ewogenere, kritischere Berichterstattung in<br />

den Medien.<br />

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essays<br />

▲<br />

Das Kostbare erhält in bestimmten Bereichen<br />

immer wieder neue Inhalte und verliert<br />

alte. Gewinnoptimierung? Danach sieht es<br />

aus, sonst würden die Werbestrategen – Frauen<br />

sind diesbezüglich, vermute ich, in der Minderzahl<br />

- diesen Sachverhalt nicht wie ein Mantra<br />

ihrer Kundschaft als lebensbestimmende Zauberformel<br />

erfolgreich suggerieren. Das Wunderbare<br />

daran ist für Sie, dass das Verlorene manchmal<br />

nur scheinbar verloren ist, weil oft beliebig<br />

reproduzierbar. Eine Frage drängt sich auf: war<br />

es je anders als nur scheinbar da? Sie haben eine<br />

Radiosendung verpasst? Kein Problem. Via<br />

Inte<strong>rn</strong>et ist sie jederzeit und überall abrufbar.<br />

Sie haben nicht genau hingehört? «Klick». Wozu<br />

denn überhaupt zuhören? Der gelebte Energieerhaltungssatz?<br />

Sie erinne<strong>rn</strong> sich: «In einem abgeschlossenen<br />

System bleibt die Gesamtenergie<br />

konstant.» Und das unabhängig von der Zeit. Ein<br />

abgeschlossenes System ist ein System ohne Informations-,<br />

Energie- oder Stoffaustausch – und<br />

ohne Wechselwirkung mit der Umgebung. Offenbar<br />

mehrt sich aber das Gespeicherte global<br />

ungebremst, und nichts, was man noch so ge<strong>rn</strong><br />

zum Verschwinden brächte, geht virtuell verloren.<br />

Der Energieerhaltungssatz ausser Kraft gesetzt?<br />

Oder gehört die virtuelle Welt nicht zu<br />

unserem abgeschlossenen System? Wie steht es<br />

hingegen beispielsweise mit einem Geruch, der<br />

in der Kindheit eine ganz besondere Bedeutung<br />

hatte, den Sie seit Jahrzehnten nicht gerochen<br />

haben, und nach dem es jetzt unerwarteterweise<br />

plötzlich so riecht - Sie sich ebenso plötzlich<br />

mitten im Keller Ihres Elte<strong>rn</strong>hauses als Vierjähriger<br />

befinden? Das hat mit der virtuellen<br />

Welt nichts zu tun. Oder denken Sie sich zum<br />

Beispiel in eine Zeit hinein, in der ein Klang<br />

erklang und dann unwiederbringlich verklang.<br />

Als Schubert seine Winterreise den Freunden<br />

vorstellte, geschah etwas mit ihnen, das sie Zeit<br />

ihres Lebens nie mehr vergassen; nicht zuletzt,<br />

weil der Vorgang nicht wiederholbar war: sie<br />

waren selber Teil des Vorganges. Jeder Patzer,<br />

jeder gelungene Lauf, jedes Zeichen von Gerührtsein<br />

des Sängers – oder der Zuhörenden<br />

–, jedes Räuspe<strong>rn</strong> und Rascheln, allenfalls ein<br />

Schluchzer prägte sich allen ein. Wer von ihnen<br />

das Ereignis verpasst hatte, hatte es verpasst.<br />

Definitiv. Die Freunde konnten das Gehörte weitererzählen,<br />

sie konnten darüber schreiben, und<br />

vielleicht gelang es einzelnen, es so darzustellen,<br />

dass auch bei ihren Zuhörenden ein, wenn<br />

auch auf ihre Persönlichkeit abgestimmtes, anderes<br />

Bild erwuchs und dann ebenfalls erhalten<br />

blieb. Der schöne, unwiederbringliche Klang:<br />

Kultur der Politik<br />

Das Kostbare erhält<br />

Von Peter J. Betts<br />

Kostbares, das weder neue Inhalte erhält, noch<br />

die ursprünglichen verliert, in der Erinnerung<br />

aber an Wert gewinnt? Ich hörte Reinhard Mey<br />

bei seinem ersten Auftritt im Zähringerrefugium,<br />

wohl Ende der Sechzigerjahre, «Ich wollte<br />

wie Orpheus singen» und «Ankomme Freitag,<br />

den 13.» singen. Der Zuschauerraum war verraucht,<br />

ob Mey auf der Bühne rauchte, ob er sich<br />

räusperte oder hustete weiss ich nicht mehr.<br />

Nach dem Konzert sass man zusammen und<br />

trank. Mey war einer von uns. Ich habe ihn dann<br />

ziemlich viel später im Be<strong>rn</strong>er Kultur-Casino –<br />

wie es heute heisst - gehört, natürlich auch die<br />

beiden Lieder als Mey-Markenzeichen; nach seinem<br />

Auftritt verzog sich Mey; alles andere wäre<br />

undenkbar gewesen; es hatte auch sehr anders<br />

geklungen. Anders? Lag das an mir? An ihm?<br />

Am Raum? Am Publikum? Natürlich kann ich<br />

mir die beiden Lieder auf Platte oder CD anhören,<br />

immer wieder, stundenlang. Mit Sicherheit<br />

kein Räuspe<strong>rn</strong>, kein Patzer, keine falsche Pause<br />

– nur, glücklicherweise, auf der Platte ein paar<br />

Kratzer. Ich kann mir auch eine ganze Nacht<br />

lang Mozarts Klarinettenquintett anhören, mit<br />

Benny Goodman, oder eben auch die Winterreise<br />

mit Dietrich Fischer-Dieskau. Tolle Interpretationen.<br />

Jeweils mit der dem Produktionsjahr<br />

entsprechenden bestmöglichen Aufnahmetechnik.<br />

Ich kann dazu trinken und, wenn ich will,<br />

paffen. Ich kann mich auf eine Traum-oder Zeitreise<br />

begeben: zurück ins Zähringer-Refugium;<br />

nach Lindfield, wo mich Paul mit Benny Goodmans<br />

Interpretation des Klarinettenquintetts<br />

bekanntmachte; nach Burgdorf, wo mir mein<br />

Deutschlehrer Fischer-Dieskaus Winterreise als<br />

Premierengeschenk zur «Draussen vor der Tür»-<br />

Inszenierung unter meiner Regie in die Hand<br />

drückte. All das hat aber mit meiner persönlichen<br />

Geschichte zu tun, nur in sehr zweiter Linie<br />

mit den Klängen. Bei Radio DRS2 (wenn dieser<br />

Artikel erscheint, ist die Institution mit viel<br />

Grösserem verschmolzen worden: Prost! Oder<br />

mit Mey: «Gute Nacht, Freunde...») herrschte eine<br />

durchaus glaubwürdig wirkende Authentizität<br />

und auch, dies natürlich nur scheinbar, eine<br />

Nähe zu den einzelnen Zuhörenden. Man fühlte<br />

sich von den Moderatoren und Moderatorinnen<br />

in ihre Moderation einbezogen; es gelang ihnen,<br />

den Eindruck zu erwecken, es handle sich um<br />

einen gemeinsamen gedanklichen Prozess, einen<br />

persönlichen Dialog. Vergleichbar mit einer<br />

Live-Show in einem guten Theater, wo man zwar<br />

weiss, dass «die auf der Bühne» in eine Rolle<br />

hineingeschlüpft sind und «die im Zuschauerraum»<br />

nicht oder wenigstens anders. Und bei<br />

der DRS2 Team-Übersicht fand man ihre E-Mail-<br />

Adresse für den virtuellen Direktkontakt. Nun,<br />

die Adressen sind schon vor der Umstrukturierung<br />

verschwunden. Zu viele haben das persönliche<br />

Angebot wohl genutzt: Zeitverlust (weil im<br />

Programm nicht eingeplant und sich die Effizienz<br />

nicht mit Quoten belegen lässt), was einer<br />

klaren Führungsstruktur neoliberaler Prägung<br />

widerspricht. Die strukturellen Hierarchien sind<br />

nun vertikal geordnet: die Spitze wird proportional<br />

zum wachsenden Machteinfluss schmaler;<br />

nur in den einzelnen Fachgebieten gibt es eine<br />

horizontale Führungs- oder vielleicht gar Kommunikationsstruktur.<br />

Die Arbeitseinsätze werden<br />

optimiert. Ob man dabei etwas verliert? So<br />

«neo» ist es natürlich auch wieder nicht: «divide<br />

et impera!» ist ein altes Modell und funktioniert<br />

– damals wie heute - jeweils auch eine Zeitlang<br />

mehr oder weniger gut, wenigstens, bis sich die<br />

geschaffenen Teilbereiche wieder zu autonomisieren<br />

beginnen und auseinander driften, oder<br />

gegeneinander im fröhlich-tödlichen Wettstreit<br />

mit entsprechenden Machtansprüchen antreten:<br />

Grundlage für wiederum ganz neue Strukturen.<br />

Alles im Rahmen des Energieerhaltungssatzes:<br />

das beim E<strong>rn</strong>euerungsprozess Verlorengegangene<br />

wird unmerklich zum integrierten Teil des<br />

Neuen, wie es sich für ein abgeschlossenes System<br />

gehört. Die Feststellungen hier sind übrigens<br />

weder als kulturpessimistische Schelte,<br />

noch als nostalgische Schwärmerei gedacht. Die<br />

Gegenwart kann weder ohne Blick in die Vergangenheit,<br />

noch ohne Tastversuche in die Zukunft<br />

verstanden oder bewusst gelebt werden.<br />

Die Zeit, in der ein Klang erklang und dann<br />

unwiederbringlich verklang... Der verschwundene<br />

Duft aus der Kindheit... Ein Verlust, oder<br />

Futter für die Erinnerung als Leben<strong>sg</strong>rundlage?<br />

Im Winter, wenn man sich einigermassen verantwortungsbewusst<br />

e<strong>rn</strong>ähren will, greift man<br />

vielleicht eher auf Eingefrorenes, Gedörrtes,<br />

auf Konserven zurück, und mit etwas Zurückhaltung<br />

auf das, was auf der Sommererdkugel<br />

im Überfluss (?) wächst. Die Platte mit Dietrich<br />

Fischer-Dieskaus Winterreise, oder die mit Benny<br />

Goodman macht in vielerlei Hinsicht Sinn,<br />

auch die CD mit Liede<strong>rn</strong> von Reinhard Mey. In<br />

einer Schlagzeile behauptet die BZ, die Zeitung<br />

sei kein Auslaufmodell. Vielleicht, falls der lächerlichen<br />

und unmöglichen Aktualität<strong>sg</strong>ier ein<br />

Schwergewicht mit reflektierten Grundsatz-Artikeln<br />

entgegengesetzt wird. Das Kostbare erhält<br />

immer wieder neue Inhalte – und verliert alte,<br />

die möglicherweise in neuer Form und Funktion<br />

ins scheinbar Verlorene einfliessen.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 21


▲<br />

Literatur<br />

Cerha, Ruth: Zehntelbrüder. Roman.<br />

Eichbo<strong>rn</strong>. Köln 2012. ISBN 978 3 8479<br />

0506 6. S. 346.<br />

Hier steckt Musik drin…<br />

Ruth Cerha: Zehntelbrüder. Roman.<br />

Mischa ist ein junger Wiener DJ, der seine<br />

Freundin Hannah an sich über alles liebt.<br />

Mit ihr zusammenzuziehen, Kinder zu haben, auf<br />

immer und ewig, kann er sich aber nicht wirklich<br />

vorstellen, beziehungsweise löst das Wort «Vater»<br />

und «Familie» in ihm Ängste aus. Ängste, die, wenn<br />

man seine Familiengeschichte kennt, durchaus<br />

nachvollziehbar sind.<br />

Seine Mutter Margit wurde mit siebzehn ungewollt<br />

mit ihm schwanger, seinen Vater, einen erfolglosen<br />

Musiker, hat er kaum je gesehen. Gross<br />

geworden ist er die ersten Jahre in der Wirtshausküche<br />

des Wirtepaares Zach, wo seine Mutter als<br />

Köchin arbeitete. Bis sie der erfolgreiche Geschäftsmann<br />

Janek, Vater von Zwillingssöhnen, vom Herd<br />

wegholt. Eine Art Aschenputtel-Geschichte also.<br />

Margit, die nun nichts mehr tun müsste als den<br />

neuen Reichtum geniessen, kann dies aber nicht,<br />

und brät und brutzelt weiter, ungeheure Mengen.<br />

Mit ihren Stiefsöhnen kommt sie nicht wirklich klar,<br />

und auch nicht mit ihrem neuen Leben. Zunächst<br />

verschwindet sie nur stundenweise, später ganze<br />

Tage, mehrere Nächte. Irgendwann kommt der<br />

gemeinsame Sohn Jul zur Welt, ein Schreibaby das<br />

nicht zu beruhigen ist. Bis sie auf einem gemeinsamen<br />

Urlaub mit der Exfrau Gisela und den Zwillingssöhnen<br />

sowie Giselas neuem Freund Norbert<br />

– mit dem sie später Zwillingstöchter haben wird<br />

– deren Jugendfreundin Jenny treffen, die mit homöopathischen<br />

Kügelchen das Wunder vollbringt,<br />

und dem eigentlich rationalen Janek die Tarotkarten<br />

legt.<br />

Margit findet in Jenny die erste und einzige<br />

Freundin ihres Lebens, und als sie diese an einem<br />

Silvester mit Janek in der Küche überrascht, verschwindet<br />

sie endgültig aus dem Leben ihrer Söhne<br />

und überlässt diese Janek und Jenny. Bis Janek<br />

eines Tages aus der gemeinsamen Wohnung auszieht<br />

– zu seiner neuen Freundin Tina, mit der er<br />

einen weiteren Sohn namens Max hat. Janek hält<br />

Mischa für einen Weichling, ein Muttersöhnchen,<br />

dennoch teilen die beiden eine grosse gemeinsame<br />

Liebe – nicht etwa diejenige zu Margit, sonde<strong>rn</strong> zu<br />

Janeks umfangreicher Plattensammlung – die Weichen<br />

für Mischas spätere DJ-Karriere scheinen gestellt.<br />

Inzwischen herrscht Funkstille zwischen Mischa<br />

und Hannah, und er bändelt mit der schönen<br />

und geheimnisvollen Nella an, ohne recht zu wissen<br />

weshalb. Als Jul aber immer wieder in Schwierigkeiten<br />

gerät und alle Halb-, Viertel-, Zehntel- etc.<br />

Geschwister gemeinsam mit Exfrauen und Freundin<br />

zu Janeks neuem Wohnort nach Mallorca aufbrechen,<br />

wird Mischa einiges klarer.<br />

Dohrmann, Ralph: Kronhardt. Roman.<br />

Ullstein. Berlin 2012. ISBN 978<br />

3 550 08878 0. S. 920.<br />

Ein etwas anderer Bildungsroman<br />

Ralph Dohrmann: Kronhardt. Roman.<br />

Der Bremer Ralph Dohrmann legt mit<br />

«Kronhardt» ein ambitioniertes Debüt<br />

von epischen Ausmassen vor, welches ebenfalls<br />

in Bremen angesiedelt ist.<br />

Der Fabrikantensohn Willhelm Kronhardt<br />

kehrt gemeinsam mit seiner Mutter und seinem<br />

Stiefvater ins kriegsversehrte Bremen zurück.<br />

Sein Elte<strong>rn</strong>haus ist durch die für das Wirtschaftswunder<br />

typische Amerikabegeisterung geprägt.<br />

Willhelm wird von Mutter und Stiefvater streng<br />

gehalten, ja geradezu überwacht. Kontakte mit<br />

der einfachen Bevölkerung werden wenn immer<br />

möglich unterbunden, hingegen diejenigen zu linientreuen,<br />

womöglich ebenso amerikabegeisterten,<br />

coca-cola-trinkenden Kinde<strong>rn</strong> aus ebensolchen<br />

Familien gefördert. Willhelm ist bereits während<br />

seiner Kindheit kein Revolutionär, sonde<strong>rn</strong> entzieht<br />

sich der elterlichen Kontrolle eher subversiv.<br />

Später studiert er Betriebswirtschaft, um alsdann<br />

in den Familienbetrieb einzutreten, welcher seit<br />

dem Kaiserreich, über die Nazizeit bis zum Wirtschaftswunder<br />

ungebrochen Erfolg<strong>sg</strong>eschichte<br />

schreibt. Mit der Tuchhändlerin Barbara an seiner<br />

Seite scheint er der perfekte Sohn.<br />

Eines bleibt dem «Power Couple» jedoch versagt:<br />

aufgrund seiner Zeugungsunfähigkeit bleibt<br />

das Ehepaar kinderlos. Dies wertet es jedoch nicht<br />

etwa als negativ, sonde<strong>rn</strong> sie erleben es eher als<br />

Befreiung, insofe<strong>rn</strong> sie dadurch nicht zu Sklaven<br />

des Systems werden, keines Systems wie es<br />

scheint. Vielmehr verlieren sie sich in an die Romantik<br />

angelehnte Naturbetrachtungen.<br />

Der deutsche Bildungsroman, insbesondere<br />

aber Manns «Buddenbrocks», liest sich implizit als<br />

Kontrastfolie, zuweilen auch als Inspiration. Anders<br />

als bei Thomas Buddenbrock sind Willhelms<br />

Unte<strong>rn</strong>ehmen sowie wie dieser selbst aber nicht<br />

von Verfall geprägt, obwohl ihm ein wirklicher<br />

Unte<strong>rn</strong>ehmergeist abgeht. Als die übermächtige<br />

Mutter stirbt, erhält der Roman eine neue Wendung:<br />

Willhelm macht sich auf, mit der Hilfe von<br />

zwei schattenhaften Detektiven die mysteriösen<br />

Todesumstände seines Vaters aufzuklären. Und<br />

begibt sich auf eine Reise durch die neuere deutsche<br />

Geschichte. – Trotz des unzeitgemässen Umfangs<br />

und gewissen Längen handelt es sich hier<br />

um ein herausragendes Erstlingswerk, unter anderem<br />

deshalb, weil der Autor es versteht, die Klaviatur<br />

der literarischen Bezüge überaus originell<br />

zu spielen.<br />

Yan, Geling: Die Mädchen von Nanking.<br />

Roman. Aus dem englischen von Greta<br />

Löns. Knaus. München 2012. ISBN 978 3<br />

8135 0469 9. S. 224.<br />

Filmhafte Beschreibungen<br />

Geling Yan: Die Mädchen von Nanking. Roman.<br />

Aus dem Englischen von Greta Löns.<br />

Nanking 1937. In der amerikanischen Missionskirche,<br />

welcher Pater Engelmann und der<br />

Diakon Fabio Ado<strong>rn</strong>ato vorstehen, werden vierzehn<br />

chinesische Mädchen aus vo<strong>rn</strong>ehmen Familien erzogen.<br />

Die japanische Invasion hat grosse Teile der<br />

Stadt zerstört, die Nahrungsvorräte sind bereits<br />

knapp, als eines Tages eine Gruppe Prostituierter<br />

über die Mauer klettert. Die Kirchenmänner können<br />

die «gefallenen» Frauen nicht zurück in den<br />

sicheren Tod schicken, und lassen sie in den Kellerräumen<br />

der Kirche ihr Lager aufschlagen, sehr zum<br />

Unmut der Schulmädchen, welche dazu erzogen<br />

worden sind, solche Frauen mit Verachtung zu strafen.<br />

Nun sehen sie sich sogar gezwungen, ihre mageren<br />

Vorräte mit ihnen zu teilen. Die Frauen üben<br />

in ihren bunten Gewände<strong>rn</strong> und geschminkten<br />

Gesichte<strong>rn</strong>, teilweise kaum älter als die Mädchen<br />

selbst, eine seltsame Faszination aus. Die schöne<br />

und elegante Yumo könnte eine Frau aus besseren<br />

Kreisen sein. Insbesondere auf die Schülerin Shujan,<br />

die des Nachts immer wieder die Schlafräume<br />

im Dachboden verlässt, um die Prostituierten beobachten<br />

zu können.<br />

Wenige Tage später bitten verletzte chinesische<br />

Soldaten um Einlass; Engelmann und Ado<strong>rn</strong>ato<br />

zöge<strong>rn</strong> lange, ob sie diesen gewähren sollen<br />

und damit die Sicherheit der Mädchen gefährden.<br />

Doch ein weiterer Soldat zwingt sie mit vorgehaltener<br />

Waffe, die Verletzten aufzunehmen. Erst nach<br />

dem ihre Wunden versorgt worden sind, und ihre<br />

Zunge mit Wein gelöst wurde, erzählen sie vom<br />

schrecklichen Massaker der japanischen Armee,<br />

das sie wahrscheinlich als einzige überlebt haben.<br />

Gemeinsam teilen sie nun das Lager mit den Prostituierten,<br />

die Kellerräumlichkeiten lediglich notdürftig<br />

durch einen Vorhang getrennt. Inzwischen<br />

nehmen die Übergriffe auf chinesische Zivilisten<br />

in den Stras-sen der Stadt zu, niemand scheint sicher.<br />

So ist es nicht verwunderlich, dass eines Tages<br />

japanische Soldaten Einlass verlangen, und ihr<br />

Aufenthalt innerhalb der heiligen Maue<strong>rn</strong> nach einigen<br />

Ablenkungsmanöve<strong>rn</strong> mit dem Tod der drei<br />

Soldaten endet. Nur das grosse Opfer, welches die<br />

Prostituierten alsdann erbringen, nämlich anstelle<br />

der Schulmädchen mit den Soldaten mitzugehen, sichert<br />

das Überleben der Zöglinge.<br />

Gelings Roman diente dem Film «Flowers of<br />

War», welcher 2011 in die Kinos kam, mit Christian<br />

Bale in der Hauprolle, als Vorlage. Nicht verwunderlich,<br />

denn bereits die Beschreibungen des Romans<br />

sowie dessen etwas klischierte Figuren scheinen<br />

nach einer Verfilmung geradezu zu verlangen.<br />

22


Tanz & Theater<br />

▲<br />

Alles hat ein Ende<br />

Von Fabienne Naegeli – Der Tod als Rockstar in EberhardGalati’s «I see a darkness»<br />

Eines haben wir alle gemeinsam. Irgendwann<br />

ist Schluss. Das letzte Stündchen<br />

schlägt und das Licht geht für immer aus.<br />

Manche entschlafen sanft und friedlich, andere<br />

treten eine abenteuerliche, letzte Reise an.<br />

So auch ein Musiker, der aufgrund eines Autounfalls<br />

eine Nahtoderfahrung durchlebt. Seine<br />

Vergangenheit zieht in einer blitzlichtartigen<br />

Bilderschau an ihm vorüber, währendem er die<br />

fünf Sterbephasen, wie sie die Schweizer Ärztin<br />

und Forscherin Elisabeth Kübler-Ross definierte,<br />

durchlebt. In dieser Zwischenwelt trifft<br />

der Musiker auf den Tod in Persona, der nicht<br />

etwa in düsterer Sensenmann-Manier auftritt,<br />

sonde<strong>rn</strong> in einem roten Anzug mit Gitarre.<br />

Denn wenn Gott ein DJ ist, muss der Tod, damit<br />

es eine himmlisch schöne Party gibt, natürlich<br />

ein Rockstar sein. Der verunfallte Musiker<br />

kann nicht nachvollziehen, warum au<strong>sg</strong>erechnet<br />

er sterben soll. Er hat Angst davor, will es<br />

nicht wahrhaben, verweigert sich zo<strong>rn</strong>ig dem<br />

Tod und versucht mit ihm zu verhandeln. Doch<br />

am Ende bleibt nur das Einlenken und Zustimmen.<br />

«Is a hope that somehow you, can save<br />

me from this darkness.» Auf der emotionalen<br />

Achterbahnfahrt trifft er neben dem Tod, der<br />

Bild: Maria Ursrung<br />

ihn mit Songs von Joy Division, Queen, At the<br />

Drive In, Townes van Zandt und Radiohead begleitet,<br />

immer wieder auf «The Voice» Frank<br />

S(inatra). Vom einstigen Star der Zwanziger<br />

Jahre ist allerdings nur noch eine ziemlich lädierte<br />

Pappfigur übrig geblieben, ein Abbild,<br />

das Fragmente aus seinen berühmtesten Songs<br />

wiedergibt.<br />

«I see a darkness – If God is a DJ, Death<br />

would be a Rockstar. Eine szenische Nahtoderfahrung»<br />

ist das erste Stück der 2011 gegründeten<br />

Zürcher Theaterformation EberhardGalati.<br />

Der titelgebende Song des amerikanischen<br />

Sängers Bonnie ‚Prince’ Billy, der u. a. von<br />

Johnny Cash gecovert wurde, diente als Inspirationsquelle<br />

für das Stück, das sich mit dem<br />

Grenzbereich unserer Vorstellungskraft, der<br />

Kunst des Sterbens beschäftigt. Was passiert<br />

bei diesem Prozess mit dem Körper, und wie<br />

gehen wir mit der Tatsache um, dass wir alle<br />

sterblich sind? EberhardGalati versuchen mit<br />

fragmentarisch verwendeten Texten, bestehend<br />

aus Erlebnisberichten von Nahtoderfahrungen,<br />

biblischen, mythologischen, philosophischen<br />

und literarischen Betrachtungen, sowie<br />

mit wissenschaftlichem Material wie den<br />

LSD-Sterbebegleitungsexperimenten, und Musiker-Biografien<br />

dem Tod auf die Spur zu kommen.<br />

Der physischen Endlichkeit lässt sich mit<br />

Erinnerungen entgegenwirken. Kunstschaffende<br />

können mit ihren Werken etwas Zeitloses<br />

schaffen, und so zu unsterblichen Idolen werden,<br />

wie beispielsweise Michael Jackson oder<br />

Amy Winehouse. Die musikalischen Passagen<br />

in «I see a darkness», die sich in den Bereichen<br />

Punkrock, Dark Country, New Wave und<br />

Noise bewegen, verbinden die Vergänglichkeit<br />

mit der Ewigkeit. Dem heutzutage vielfach tabuisierten,<br />

e<strong>rn</strong>sten Thema des Sterbens begegnen<br />

EberhardGalati in ihrer Inszenierung mit<br />

einem Spiel voll Unerwartetem und feinfühliger<br />

Komik.<br />

24. - 26. Januar 2013, 20:30 Uhr<br />

im Tojo Theater (Be<strong>rn</strong>)<br />

Spiel, Musik: Stephan Filati, Mauro Galati.<br />

Regie: Eveline Eberhard. Text: EberhardGalati,<br />

Marcel Müller. Dramaturgische Beratung:<br />

Lukas Bangerter. Sound: Rolf Näpfer. Kostüm:<br />

Ursina Schmid. Bühne: Tomas Fetty. Licht,<br />

Technik: Josef Busta.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 41


▲<br />

Music & Sounds<br />

«Als Label bieten wir Aufmerksamkeit»<br />

Interview: Luca D‘Alessandro Bild: zVg. / Sirion Records: v.l. Fedja Haueter alias Feodor, Franco Rüegger alias Frango und Boris Minnig alias Kurz&Knaggisch<br />

Hinter Sirion Records steckt ein<br />

Be<strong>rn</strong>er Elektronik-Kollektiv, das<br />

– obwohl es ganz klein ist – gelegentlich<br />

gross von sich reden macht:<br />

gegenwärtig mit der «Bae<strong>rn</strong> Kompileischn<br />

part 1», einer Momentaufnahme<br />

der lokalen Elektronikszene.<br />

ensuite-kulturmagazin hat<br />

sich mit Label Mitgründer Franco<br />

Rüegger alias Frango getroffen.<br />

Franco Rüegger, als kleines Be<strong>rn</strong>er Label<br />

ist es schon fast eine Sensation, auf dem<br />

inte<strong>rn</strong>ationalen Elektronikparkett mitzumischen.<br />

Euch scheint sie zu gelingen.<br />

Vom elektronischen Bereich bekommt man<br />

als Musikhörer in der Regel nicht viel mit. In<br />

der Branche sind wir aber gut verankert. Wir<br />

werden von DJs inte<strong>rn</strong>ational wahrgenommen.<br />

Wie kommt es, dass ich als Be<strong>rn</strong>er von der<br />

hiesigen Elektronikszene nicht viel mitbekomme?<br />

Unsere Szene ist in ziemlich gross. Allerdings<br />

arbeiten die meisten Musiker für sich<br />

alleine. Sie tüfteln, probieren aus, speiche<strong>rn</strong><br />

ihre Kreationen auf ihren Heimcompute<strong>rn</strong> ab.<br />

Sie machen Musik für sich und gehen damit<br />

nicht an die Öffentlichkeit. Als Label bieten<br />

wir hier eine Schnittstelle: Wir sind offen für<br />

neue Sounds, und wenn aus unserer Sicht die<br />

Qualität stimmt, lassen wir sie in unsere Releases<br />

einfliessen.<br />

So zum Beispiel in die soeben erschienene<br />

Bae<strong>rn</strong> Kompileischn Part 1 …<br />

… genau. Sie beinhaltet ausschliesslich Musik<br />

von Be<strong>rn</strong>er Artists.<br />

Es sind also Produzenten oder Musiker, die<br />

ohne euch nicht wahrgenommen würden.<br />

Das stimmt so nicht. Es gibt ja unzählige<br />

digitale Plattformen, auf denen man ohne Label<br />

eine eigene Produktion publizieren kann.<br />

Technisch gesehen, braucht es uns also nicht.<br />

Als Label bieten wir aber den Vorteil der Aufmerksamkeit<br />

und der Qualität. Letztere garantieren<br />

wir, indem wir die Sounds triagieren<br />

und nur jene Dinge aufnehmen, die unserem<br />

Qualitätsanspruch genügen.<br />

Ein Elektronikliebhaber wird sich eher bei<br />

einem Label nach News umsehen, als irgendwo<br />

im Netz.<br />

Auf jeden Fall. Wir haben eine gewisse Publizität<br />

und auch ein Image. Es freut uns, wenn<br />

die Leute sagen: «Diese Produktion kann nur<br />

gut sein, schliesslich kommt sie von Sirion.»<br />

Ein solches Image ist uns wichtig.<br />

Du hast die Qualität angesprochen: Wie definierst<br />

du diese?<br />

Qualität hat immer mit unserem Bauchgefühl<br />

zu tun. Wir geben den Musike<strong>rn</strong> keine<br />

Vorgaben. Schliesslich sollen sie kreativ und<br />

möglichst ohne unnötige Regeln und Hinde<strong>rn</strong>isse<br />

arbeiten können. Wir von Sirion haben in<br />

den vergangenen Jahren viel Erfahrung gesammelt.<br />

Inzwischen wissen wir haargenau, was<br />

State of the Art ist und was beim Publikum ankommt.<br />

Diesem Instinkt vertrauen wir.<br />

Hat so auch die Triage für die aktuelle Compilation<br />

stattgefunden?<br />

Ja, sicher. Obwohl auch zu sagen ist: Mit den<br />

Jahren haben wir einen Produzenten-Stamm<br />

aufgebaut. Wir wissen, wer uns in etwa was<br />

und in welcher Qualität zukommen lässt. Das<br />

ist sicher ein Vorteil und erleichtert uns die<br />

Arbeit. Was aber nicht heisst, dass wir nicht<br />

auch an Neuem interessiert sind. Im Gegenteil!<br />

Als Neuling habe ich also auch Chancen, gehört<br />

zu werden?<br />

Auf jeden Fall. Ich gebe immer ein Feedback:<br />

Zum Beispiel, ob das Musikalische<br />

stimmt, oder das Arrangement. Ich finde das<br />

wichtig. Schliesslich haben die Leute unter<br />

Umständen viel Zeit und Arbeit in ihre Produktion<br />

gesteckt. Ich finde, sie sollen wissen,<br />

woran sie sind, damit sie ihre Arbeit weiter optimieren<br />

können.<br />

Da spielt aber dein, respektive der Geschmack<br />

eures Kollektivs eine gewichtige Rolle.<br />

Ist das objektiv?<br />

Es gibt natürlich Dinge, die uns weniger<br />

42


▲<br />

gefallen, oder die nicht zu uns passen. Die<br />

nehmen wir nicht auf. Das gehört auch dazu,<br />

schliesslich ist Musik Geschmacksache. Wenn<br />

eine Produktion nicht zu uns passt, heisst das<br />

nicht, dass sie schlecht ist.<br />

Wie kam es eigentlich zur «Bae<strong>rn</strong> Kompileischn»?<br />

In der Elektronikszene kennen wir inzwischen<br />

viele hervorragende Produzenten, mit<br />

denen wir ge<strong>rn</strong>e EP oder Album-Releases machen<br />

würden. Doch ein Release ist immer mit<br />

einem gewissen finanziellen und personellen<br />

Aufwand verbunden – und dieser ist nicht zu<br />

unterschätzen, schliesslich leisten wir alle drei<br />

die Arbeit für das Label ehrenamtlich …<br />

… wie ich ve<strong>rn</strong>ommen habe, befindet sich<br />

das Sirion Studio bei dir zuhause …<br />

Genau, du siehst, wir sind ganz klein. Item:<br />

Um vielen Produzenten die Möglichkeit zu bieten,<br />

auf einem Release mit dabei zu sein, haben<br />

wir uns für das Compilation-Konzept entschieden.<br />

Darauf finden ganz viele Künstler auf einmal<br />

Platz. Die Bae<strong>rn</strong> Kompileischn ist also eine<br />

Momentaufnahme der aktuellen Be<strong>rn</strong>er Elektronikszene.<br />

Sie bietet einen guten Überblick,<br />

obwohl wir den noch erweite<strong>rn</strong> werden. Der<br />

zweite Teil der Compilation wird voraussichtlich<br />

im kommenden Frühjahr erscheinen. Darin<br />

werden all jene vertreten sein, die wir von Sirion<br />

gut finden, allerdings für den ersten Teil<br />

nicht berücksichtigen konnten.<br />

Die Bae<strong>rn</strong> Kompileischn ist nur digital erhältlich.<br />

Im Augenblick schon, obwohl wir den Gedanken<br />

haben, eine Vinyl-Auskoppelung zu<br />

machen. Aber dafür brauchen wir wieder ein<br />

bisschen mehr Zeit. Ich selber arbeite hauptberuflich<br />

etwas ganz Anderes, daher muss ich die<br />

Zeit dafür auch irgendwo he<strong>rn</strong>ehmen.<br />

Lohnt sich dieser Aufwand überhaupt? Irgendwie<br />

scheint er sich nicht auszuzahlen …<br />

Doch, ich finde, er zahlt sich aus. Vielleicht<br />

nicht finanziell, aber kulturell. Wenn ich zum<br />

hiesigen Kulturleben einen Beitrag leisten<br />

kann, ist das für mich sehr viel Wert. Natürlich<br />

wäre es schön, wenn unser Label mit den Jahren<br />

finanziell besser dastünde. Es würden sich<br />

weitere Möglichkeiten eröffnen. Aber das ist<br />

im Augenblick nicht Thema. Solange wir qualitativ<br />

gute Musik produzieren und die Be<strong>rn</strong>er<br />

Elektronikszene inte<strong>rn</strong>ational repräsentieren<br />

können, sind wir mehr als glücklich.<br />

Info: www.sirion-records.ch<br />

norient das 4. Musikfilm Festival<br />

Be<strong>rn</strong>, 10. – bis 13. Januar 2013<br />

«Globale Musik:<br />

Hedonistisches Copy<br />

& Paste»!<br />

Von Walter Rohrbach Bild: zVg. / «Children of the Bible»<br />

Um die Welt des Musikschaffens<br />

mit dem 4. Musikfilm Festival norient.<br />

Die Haltestellen sind unter<br />

anderem: New Orleans, Israel, Bulgarien,<br />

Norwegen und Zimbabwe.<br />

Musik und Geräusche sind etwas Faszinierendes.<br />

Wie klingst du? Wie klingt<br />

das? Wie klingt die Welt? Tickst du noch richtig?<br />

Musik und Rhythmik geben Hinweise auf<br />

unterschiedliche Kulturen, Charakteristiken,<br />

und verweisen auf Bräuche, Lebensstile und<br />

Eigenheiten. Doch was sind eigentlich die Lebens-<br />

und Arbeitsbedingungen der Musikerinnen<br />

und Musiker, und wie unterscheiden sich<br />

diese voneinander in den verschiedenen Regionen<br />

dieser Welt? Wie interagiert und wie<br />

beeinflusst diese riesige Vielfalt an Musikkulturen-,<br />

-stilen und -formen einander in einer<br />

Welt der zunehmenden digitalen Ve<strong>rn</strong>etzung?<br />

Einer Welt der globalen digitalen Nähe mittels<br />

Youtube, Soundcloud und Facebook. Hier ergeben<br />

sich doch neue Einflüsse und Handlungsweisen.<br />

Musikalische und kulturelle Grenzen<br />

werden aufgebrochen, und eine Vermischung<br />

müsste sichtbar werden. Trotzdem: so einfach<br />

ist es nicht. Wenngleich die Bild- und Tondateien<br />

mit Leichtigkeit Grenzen überwinden<br />

können. Einige Musikerinnen und Musiker<br />

können dies nicht. Neben der fiktiven Cyberfreiheit<br />

existieren reale Grenzen und determinieren<br />

und beschränken die reale Teilhabe an<br />

der ve<strong>rn</strong>etzten globalen Musikszene. Dies die<br />

Beobachtung des promovierten Musikethnologen<br />

und Musikjou<strong>rn</strong>alisten Thomas Burkhalter,<br />

Mitorganisator des im Januar stattfindenden<br />

Musikfilm Festivals «norient». Zusammen mit<br />

Michael Spahr, seines Zeichens Historiker, Filmemacher<br />

und Jou<strong>rn</strong>alist, hat er ein Filmprogramm<br />

rund um die Musik in verschiedenen<br />

Regionen dieser Erde au<strong>sg</strong>ewählt. Präsentiert<br />

wird das musikfilmische Schaffen in den Hallen<br />

der Reitschule, wo es ehemals nach Pferdeballen<br />

roch, im als «alte<strong>rn</strong>atives» gepriesenen<br />

Kino. Das Programm setzt nicht auf Quantität,<br />

sonde<strong>rn</strong> es werden klar Schwerpunkte gesetzt.<br />

Filmisch wie auch musikalisch. Neben Filmen<br />

gibt es ebenso Konzerte, DJ Sets und Tanzstunden<br />

in den Räumen des Progr, des Club Bonsoir<br />

und der Reitschule zu rezipieren.<br />

Beispielsweise können wir einen ungewohnten<br />

Blick nach Israel werfen. Den Staat,<br />

der, wie es scheint, die negativen Schlagzeilen<br />

in den Hauptnachrichten seit Jahrzeiten reserviert<br />

hat, und mit Begriffen wie Terror, Konflikten<br />

und Krieg verbunden wird. Nun dürfen<br />

wir dank dem Film «Children of the Bible» von<br />

Nitza Gonen einen neuen Begriff kennenle<strong>rn</strong>en:<br />

Beta Juden. Dies die Benennung der äthiopischen<br />

Juden, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

getrennt von Israelis als Minderheit in der Diaspora<br />

lebten. Gonens Film porträtiert die Leben<strong>sg</strong>eschichte<br />

eines engagierten Rappers und<br />

Beta Juden. So finden wir uns in einem Wohnzimmer<br />

in Israel ein. Ein Zimmer, gefüllt mit<br />

interessierten, weitgeöffneten, dunklen Kinderaugen,<br />

die gebannt zu ihm schauen: Jeremy<br />

Cool Habasch. Der erzählt seine Geschichte.<br />

Nein, nicht nur seine. Die Geschichte steht für<br />

den Weg vieler Beta Juden, die sich Mitte der<br />

80er auf den Weg ins gelobte Land machten.<br />

Mit geschwungenen hebräischen Sätzen skizziert<br />

der Rapper den Exodus. Seinen Exodus. Es<br />

ist mehr als eine Geschichte, wird dem Zuschauer<br />

dieser Szenerie klar. Die Darbietung ähnelt<br />

eher einem Ritual. Mit gekonnten Handbewegungen<br />

und gebets-artigen Formulierungen<br />

wird das Erzählte untermauert, und gewinnt<br />

so an Dramatik. Jeremy erzählt die Geschichte<br />

einer wohlhabenden Familie, die Musik<br />

mochte. Deren Mutter war eine Sängerin, die<br />

ihren Kinde<strong>rn</strong> das Singen beibrachte. Der Vater<br />

dieser Familie indes erzählte die Geschichte<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 43


Verein Be<strong>rn</strong>er Galerien<br />

www.vereinbe<strong>rn</strong>ergalerien.ch – mail@vereinbe<strong>rn</strong>ergalerien.ch<br />

Galerien-Wochenende 12./13. Januar 2013, Samstag und Sonntag, 11–17 Uhr<br />

annex14<br />

Svätopluk Mikyta, Jérôme Leuba<br />

7.12.2012 bis 26.1.2013<br />

Junke<strong>rn</strong>gasse 14<br />

T +41 (0)31 311 97 04<br />

www.annex14.ch<br />

Art+Vision<br />

Bruno Gentinetta<br />

Holzschnitte<br />

12.1. bis 2.2.2013<br />

Junke<strong>rn</strong>gasse 34<br />

T +41 (0)31 311 31 91<br />

www.artvisionbe<strong>rn</strong>.ch<br />

Be<strong>rn</strong>hard Bischoff & Partner<br />

Pascal Danz<br />

„That’s simply not done“<br />

10.1. bis 16.2.2013<br />

Koschka Reist<br />

21.2. bis 23.3.2013<br />

Progr_Zentrum, Waisenhausplatz 30<br />

T +41 (0)31 312 06 66<br />

www.be<strong>rn</strong>hardbischoff.ch<br />

Druckatelier/Galerie Tom Blaess<br />

Dominique Uldry<br />

12.1. und 13.1 2013<br />

Marcin Kuligowski<br />

„Dark Matter“<br />

24.2. bis 24.3.2013<br />

Uferweg 10b<br />

T +41 31 079 222 46 61<br />

www.tomblaess.ch<br />

Christine Brügger<br />

Monika Huber<br />

Caspar Abt<br />

5.1. bis 26.1.2013<br />

Urban Saxer/Paul Louis Meier<br />

1. bis 23.2.2013<br />

Kramgasse 31<br />

T +41 (0)31 311 90 21<br />

www.christinebruegger.ch<br />

Béatrice Brunner<br />

Peter Aerschmann<br />

Leyla Goormaghtigh<br />

12.1. bis 8.2.2013<br />

Esther van der Bie<br />

23.2. bis 23.3.2013<br />

Nydeggstalden 26<br />

T +41 (0)31 312 40 12<br />

www.beatricebrunner.ch<br />

Duflon & Racz<br />

MIMESIS:<br />

Christina Niederberger<br />

Livia Marin, Johannes Maier<br />

12.1. bis 2.3.2013<br />

huber.huber<br />

15.3. bis 19.4.2013<br />

Gerechtikeit<strong>sg</strong>asse 40<br />

T +41 (0)31 311 42 62<br />

www.duflon-racz.ch<br />

Henze & Ketterer<br />

Stadt – Land – Fluss<br />

Die Landschaft vom<br />

Expressionismus bis heute<br />

Im Kunst-Depot<br />

Abstraktion und Informel<br />

Gestische Farbwelten in der<br />

Malerei seit 1930<br />

SKULPTUREN-GARTEN:<br />

Daniel Spoerri – Bronzen<br />

verlängert bis 23.2.2013<br />

3114 Wichtrach/Be<strong>rn</strong><br />

T +41 (0)31 781 06 01<br />

www.henze-ketterer.ch<br />

Ko<strong>rn</strong>feld<br />

Mario Botta:<br />

Skizzen und Modelle<br />

12.1. bis 2.3.2013<br />

Auktionsausstellung<br />

6. bis 12.6.2013<br />

Laupenstrasse 41<br />

T +41 (0)31 381 46 73<br />

www.ko<strong>rn</strong>feld.ch<br />

Martin Krebs<br />

M.S. Bastian/Isabelle L.<br />

Wind, Wellen und Matrosen<br />

9.1. bis 13.3.2013<br />

Münstergasse 43<br />

T +41 (0)31 311 73 70<br />

www.krebs.artgalleries.ch<br />

Krethlow<br />

Till Freiwald, Aquarelle<br />

bis 10.1.2013<br />

James Lee Byars and other<br />

perfect beauties<br />

ab 12.1.2013<br />

Gerechtigkeit<strong>sg</strong>asse 72/74<br />

T +41 (0)31 312 35 01<br />

www.krethlow.ch<br />

Kunstkeller Be<strong>rn</strong><br />

Aurélie Jossen<br />

Lorenzo le kou Meyr<br />

Objekte und Malerei<br />

11.1. bis 9.2.2013<br />

Martin Ziegelmüller<br />

März/April<br />

Gerechtigkeit<strong>sg</strong>asse 40<br />

T +41 (0)31 311 86 30<br />

www.kunstkellerbe<strong>rn</strong>.ch<br />

Kunstraum Oktogon<br />

Claude Hohl<br />

in Fahrt<br />

12.1. bis 9.2.2013<br />

Aarestrasse 96<br />

T +41 (0)31 311 13 30<br />

www.kunstraum-oktogon.ch<br />

Kunstreich<br />

Mumprecht<br />

12.1. bis 23.2.2013<br />

Sophia Gou, China<br />

Choice of Poetic Status<br />

9.3. bis 6.4.2013<br />

Gerechtigkeit<strong>sg</strong>asse 76<br />

T +41 (0)31 311 48 49<br />

www.kunstreich.ch<br />

Rigassi<br />

Steve Miller Steve<br />

HEALTH OF THE PLANET<br />

Markus Graf<br />

IRON SCULPTURE<br />

9.1. bis 20.2.2013<br />

YOUNG POSITIONS Paris/Capital 1<br />

27.2. bis 30.3.2013<br />

Münstergasse 62<br />

T +41 (0)31 311 69 64<br />

www.swissart.ch/rigassi


Musik & Sounds<br />

▲<br />

von Tempeln, vom Glauben, und vom Land der<br />

Vorfahren: von Jerusalem. Einem Ort, der voll<br />

Frieden und frei von Hass sein soll. Gebannt<br />

verfolgen die Kinder Jeremys Erzählungen, vom<br />

Aufbruch und der Beschwerlichkeit der zwei<br />

Jahre daue<strong>rn</strong>den Reise von Äthiopien in den<br />

Sudan, um schliesslich und endlich das gelobte<br />

Land zu erreichen. Tatsächlich machten sich<br />

damals ca. 11’000 Beta Juden auf den Weg in<br />

die sudanesischen Flüchtlingslager. Um die<br />

4’000 allerdings sollten das Ziel nie erreichen.<br />

Heute leben schätzungsweise 135’000 Menschen<br />

von äthiopisch-israelischer Herkunft in<br />

Israel und prägen das Leben der israelischen<br />

Gesellschaft mit. Hier knüpft der 52-minütige<br />

Film an, begleitet Jeremy Cool Habasch auf der<br />

Suche nach seinen Wurzeln nach Äthiopien,<br />

und dokumentiert seinen engagierten Kampf<br />

um mehr Rechte für seine Landsleute. Hier<br />

spielt der Rap als Ausdrucksform und Instrument<br />

ebenso eine identifikationsstiftende wie<br />

bindende Komponente für viele junge Mitglieder<br />

der äthiopisch-jüdischen Gemeinschaft.<br />

Schliesslich fühlen sich viele immer noch au<strong>sg</strong>egrenzt<br />

und marginalisiert von der jüdischen<br />

Mehrheit.<br />

Weitere interessante Einblicke in das<br />

Musikschaffen können durch dieses Festival<br />

gewonnen werden. Vor allem aber auch durch<br />

das Buch: «Out of the Absurdity of Live – Globale<br />

Musik», welches am Festival vorgestellt<br />

und im Traversion Verlag im Dezember erschienen<br />

ist. In spannenden Artikeln werden<br />

Zeitfragen und Trends des globalisierten<br />

Musikschaffens diskutiert und durchleuchtet.<br />

Eine durchaus spannende Thematik, und wer<br />

sich für die in der Einleitung gestellten Fragen<br />

bezüglich Wirkungsweisen der Globalisierung<br />

auf das Musikschaffen interessiert, kann auf<br />

das 327 Seiten umfassende Buch mit gutem<br />

Gewissen verwiesen werden. In welchem nicht<br />

nur die Seiten farbenfroh gestaltet sind. Denn:<br />

«Globales Musikschaffen ist hedonistisches<br />

«Copy and Paste». Sounds, Stile, Ideen und<br />

ihre Bedeutungen werden frisch durcheinandergewirbelt<br />

und frei in neue Kontexte übersetzt».<br />

Eine spannende Sache!<br />

Der inte<strong>rn</strong>ational tätige Verein norient – Network<br />

for Local and Global Sounds and Media<br />

Culture – versteht sich als Schnittstelle von<br />

Musik, Gesellschaft, Wissenschaft, Jou<strong>rn</strong>alismus<br />

und Blogkultur. norient produziert, neben<br />

dem norient-magazin, zudem eine monatliche<br />

Radiosendung auf Radio Be<strong>rn</strong> RaBe.<br />

www.norient.com<br />

Festival: 10. bis 13. Januar. Die Veranstaltungsorte<br />

sind die Reitschule, der Club Bonsoir und<br />

der Progr. Weitere Infos finden sich unter:<br />

musikfilmfestival.norient.com<br />

Buch: Out of the Absurdity of Life – Globale<br />

Musik. Herau<strong>sg</strong>egeben von Theresa Beyer und<br />

Thomas Burkhalter. Traversion Verlag.<br />

buch2012.norient.com<br />

norient – das 4. Musikfilm Festival Be<strong>rn</strong><br />

10. – bis 13. Januar 2013<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 45


nuevo mundo antiguo<br />

24. bis 26. Januar 2013<br />

INNOVANTIQUA WINTERTHUR - das andere Alte Musik Festival<br />

Schweiz SFr. 4.00,<br />

Deutschland, Österreich,<br />

Frankreich, Italien € 6.00<br />

Januar 2013<br />

artensuite<br />

S c h w e i z e r K u n s t m a g a z i n<br />

ISSN 1663-652X<br />

Gepresst<br />

Materialität mit Jonas Etter<br />

im Kunsthaus Langenthal<br />

Geschnitzt<br />

Schnaps und Schnitzereien<br />

von Jean-Frédéric Schnyder<br />

im Museum im Bellpark Kriens<br />

Gedruckt<br />

Andrea Heller und Druckgrafik<br />

in der BINZ39<br />

Grupo Anima (Brasilien)<br />

Ensemble Turicum mit Luiz Alves da Silva (Schweiz)<br />

Cecilia Arellano & Band (Brasilien)<br />

Ensemble La Chimera (Argentinien, Europa)<br />

Roland Fink Singers (Schweiz)<br />

Workshops<br />

Podium<strong>sg</strong>espräche<br />

www.innovantiqua.ch<br />

Vorverkauf ab 1. Dez. 2012<br />

Winterthur Tourismus<br />

im Hauptbahnhof<br />

www.ticket.winterthur.ch<br />

Tel. 052 267 67 00<br />

Erhältlich im Abo oder in<br />

ihrer nächsten Galerie.<br />

Online-Galerie für Schweizer Top-Produkte<br />

Gutes<br />

www . macht sichtbar!<br />

bestswiss.ch bebildert und beschreibt<br />

tolle Produkte aus der Schweiz.<br />

Informationen, Bilder, Bezugsquellen<br />

erfolgen über die Online-Galerie<br />

das Beste aus der Schweiz<br />

46


Alltagskultur<br />

▲<br />

Secondo un Secondo<br />

Der Sri Lanker, der Ski lenkte<br />

Diese Erzählung beginnt wie ein Witz:<br />

«Ein Türke, ein Italiener und ein Tamile<br />

gehen zum ersten Mal zusammen Skifahren...»<br />

Die Geschichte ereignete sich vor zirka zwanzig<br />

Jahren in der Lenk-Region. Der Italiener<br />

war ich. Es war mein erstes Skilager überhaupt.<br />

Bis zur 7. Klasse hatte ich italienische Schulen<br />

in Be<strong>rn</strong> und in Italien besucht, und Skier<br />

waren mir fremd. Ich kannte sie nur aus dem<br />

Fe<strong>rn</strong>sehen, als sich Tomba la bomba mit Paul<br />

Accola duellierte. Unser Klassenlehrer hatte<br />

die Gruppen nach Geschicklichkeit unterteilt.<br />

Mesut, Kanaan und meine Wenigkeit waren die<br />

blutigen Anfänger. Ich erinnere mich noch gut<br />

daran, wie der mutige Schüler aus Sri Lanka<br />

die erste Talfahrt antrat, noch bevor der Lehrer<br />

uns den Stemmbogen zum Bremsen erklärt<br />

hatte. Lustig, wie wir Kanaan aus dem Tiefschnee<br />

gefischt haben. Schön gepudert war er.<br />

Er liess sich aber nicht einschüchte<strong>rn</strong>, und am<br />

Ende der Woche konnte er die schwarze Piste<br />

wie ein Weltmeister herunterbrette<strong>rn</strong>: Der Sri<br />

Lanker in der Lenk wurde somit zum Sri Lenker.<br />

Das Schullager war bis ins kleinste Detail<br />

organisiert. Alles klappte perfekt. Festgelegte<br />

Termine wurden minutengenau eingehalten,<br />

und am Schluss schrubbten die Putzequipen<br />

der Schüler das Chalet picco bello. Nur das Essen<br />

liess jeweils zu wünschen übrig. Aber ich<br />

war kulinarisch von zuhause aus verwöhnt, und<br />

Pizza mit Blätterteig kannte ich bis zu diesem<br />

Zeitpunkt noch nicht.<br />

Zwischen den schweizerischen und italienischen<br />

Schulen gab es durchaus noch weitere<br />

Unterschiede. In der Schweiz waren Computer<br />

vorhanden. Und die ganze Zeit strömte die<br />

Elektrizität, damit diese auch funktionierten.<br />

Von Luca Zacchei Bild: zVg.<br />

Und es gab Drucker. Mit Papier im entsprechenden<br />

Fach dazu. Und eine mode<strong>rn</strong>e Tu<strong>rn</strong>halle,<br />

welche mit Sportgeräten und Bällen bestückt<br />

war. Und die Kreiden (sogar farbige) fehlten im<br />

Schulzimmer ebenfalls nicht. Die Lehrer waren<br />

auf ihren Schlachtfelde<strong>rn</strong>, noch bevor die Glocke<br />

gebimmelt hatte. Diese Ordnung war für<br />

einen Schweizer Schüler eine Selbstverständlichkeit,<br />

für mich hingegen nicht.<br />

Die 5. und 6. Klasse besuchte ich in Italien.<br />

Es war abenteuerlich und hat meinen Horizont<br />

nachhaltig erweitert. In der Grundschule holte<br />

uns jeweils ein verbeulter Bus ab. Er war selten<br />

pünktlich. Unser Haus war nämlich am Ende<br />

der Strecke, und unterwegs gab es immer einen<br />

schläfrigen Schüler, welcher sich morgens<br />

verspätet hatte. Oder es war der grimmige Busfahrer,<br />

der es am Morgen mit den Abfahrtszeiten<br />

nicht so genau nahm. Oder der alte Bus<br />

streikte beim Anlassen. So genau weiss ich es<br />

nicht mehr. Rechtzeitig kamen wir auf alle Fälle<br />

selten an. Das wussten wiederum die Lehrer<br />

bereits im Voraus. Deshalb rechneten sie zur<br />

Sicherheit ein Zeitpolster ein und erschienen<br />

mindestens eine Viertelstunde später in der<br />

Klasse…<br />

Wir hatten damals keine Schulmappen,<br />

sonde<strong>rn</strong> Rucksäcke. In der Schweiz wurde ich<br />

wegen meines überdimensionierten Invicta gehänselt.<br />

Aber wir mussten Rucksäcke tragen:<br />

In Italien wurden nämlich die Bücher von zuhause<br />

aus mitgeschleppt und nicht in der Schule<br />

deponiert. Das Durchschnitt<strong>sg</strong>ewicht eines<br />

Rucksackes betrug 10 Kilos, je nach Schüler im<br />

schlimmsten Fall somit bis ein Drittel des eigenen<br />

Körpergewichtes. Ich fand übrigens meinen<br />

Invicta schöner als diese schweizerischen<br />

Schulmappen, welche mit Kuhfell bezogen waren.<br />

Eine tote Kuh so sichtbar zur Schau zu tragen<br />

scheint mir noch heute makaber.<br />

Für die Znüni-Pause, welche in Italien die<br />

Zehni-Pause war, nahmen wir Panini von zuhause<br />

mit. Unter den Schüle<strong>rn</strong> gab es einen<br />

Wettbewerb, wer die leckersten Brötchen<br />

hatte: Panino mit Spanferkel, mit ungarischer<br />

Salami oder mit frittierten Auberginen waren<br />

hoch im Kurs. Wer mit Pizzaresten vom Vortag<br />

kam, war ausser Konkurrenz. Das schwere<br />

Essen blieb einem im Magen stecken. Aber wir<br />

mussten uns stärken, weil die Mittagspause<br />

erst um 13.30 Uhr begann. Damit wir die Kost<br />

besser verdauen konnten, spielten wir während<br />

des Sportunterrichts meistens Fussball. Die<br />

Spielstätte war aber mehr Acker als Fussballfeld:<br />

das Unkraut wuchs in die Höhe und wir<br />

mussten die Pflanzen ausdribbeln. So kombinierten<br />

wir Sport- mit Pflanzenkunde.<br />

Obwohl die Italiener in der Regel viel und<br />

ge<strong>rn</strong>e reden, heisst das noch lange nicht, dass<br />

sie gut kommunizieren. Als unser Rektor beispielsweise<br />

im Winter die Fenster der Schule<br />

ersetzen wollte, wurden die alten zwar wie<br />

geplant entfe<strong>rn</strong>t, aber aufgrund eines Missverständnisses<br />

verspätete sich die Lieferung der<br />

neuen um eine Woche. Während den Lektionen<br />

haben wir wegen der Kälte unsere Mäntel und<br />

Winterkappen getragen. Da es mit Handschuhen<br />

schwierig war, einigermassen leserlich zu<br />

schreiben, erhielten wir schliesslich ein paar<br />

Tage frei. Wie heisst es doch so schön: Jedes<br />

Unglück hat auch sein Gutes! Nur mit dieser<br />

Einstellung kann man in Italien gut leben. Und<br />

dies ist kein Witz, sonde<strong>rn</strong> die ungeschminkte<br />

Realität.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 47


▲<br />

Alltagskultur<br />

NinetyNineYears<br />

- Leica<br />

Ein Jubiläumsbuch über eine Kamera –<br />

klingt abgedroschen. Die Gefahr, allzu<br />

technisch zu werden, ist gegeben. Doch die<br />

Leica ist eine Legende. Entsprechend ist das<br />

Buch über 99 Jahre Leica bereits eine Legende,<br />

bevor es gedruckt wurde.<br />

Wer einen langweiligen Bildband mit ein<br />

paar schönen Bildli erwartet hat sich im Regal<br />

geirrt. NINETYNINEYEARS ist unkonventionell,<br />

radikal, und überraschend anders. Wenn<br />

Sie noch nie eine Leica in den Händen hatten,<br />

schauen sie sich das Buch an – sie werden im<br />

Anschluss eine Leica-Kamera kaufen wollen.<br />

Die Autoren Reiner Schillings, Till Schaffarczyk<br />

und An<strong>sg</strong>ar Pudenz nehmen uns auf eine<br />

fantastische, grafische, nicht chronologische<br />

Geschichtesreise mit, und lassen uns die Leica<br />

der letzten 99 Jahre erleben. Viele AutorInnen<br />

haben bereits über die Leica berichtet. Dieses<br />

Team hat sich dem Thema neu angenommen<br />

und versucht, alles umzukrempeln was wir kennen,<br />

und eine neue Erzählform zu finden. Viele<br />

unkonventionelle Bilder, und, vor allem, eine<br />

wahnwitzige Gestaltung des Layouts machen<br />

jede Seite zu einem Feuerwerk. Alles, was über<br />

die Leica erzählt wurde, wird in den Schatten<br />

gestellt, die Perspektive gewechselt, und<br />

irgendwie werden wir zu AkteurInnen oder<br />

zu Beobachteten. Zwar ist man auch etwas irritiert<br />

über diese experimentelle Form, jedoch<br />

hebt dies nur den Wert des Buches und macht<br />

das eigene Forschen umso spannender. Es gibt<br />

sogar «verschlossene» Seiten, die mit der Bitte<br />

«Do not open» eine fiese Neugierde wecken.<br />

Dieses Buch ist mit all seinen Kilos ebenso für<br />

GrafikerInnen und LayouterInnen wärmstens<br />

zu empfehlen. LeicaianerInnen werden wohlig<br />

seufzen. (vl)<br />

99pages Verlag GmbH, Hamburg<br />

ISBN 978-3-942518-32-1<br />

www.99pages.de<br />

Parkführer Be<strong>rn</strong><br />

Ein Wegweiser<br />

Be<strong>rn</strong> ist eine grüne Stadt. Die Lebensqualität<br />

hat viel mit dieser Verbindung von Natur<br />

und Stadtleben zu tun. Aus unerfindlichem Grund<br />

werden zur Zeit viele neue Be<strong>rn</strong>-Führer geschrieben<br />

– so auch dieser «Parkführer». Praktisch zum<br />

Mitnehmen, ohne grossen Schnickschnack. Von<br />

den rund 130 Parks in Be<strong>rn</strong> werden 38 Ruhepole<br />

beschrieben, welche an schönen Tagen aufzusuchen<br />

sind. Bei der Durchsicht kommen aber<br />

bald einmal Fragen auf, nach welchen Kriterien<br />

selektiert wurde. Der Florapark als Ruhepol zwischen<br />

all den Botschaften und den Hauptstrassen<br />

ist etwas fragwürdig – zudem – wenn man<br />

weiss, dass an diesem Tatort vor einigen Jahren<br />

auf Menschen geschossen wurde... Auch ist der<br />

Glasbrunnen nicht erwähnt, und den kleinen See<br />

im Neufeld kennt der Führer ebensowenig. Die<br />

Elfenau aber ist fast überdimensional aufgeführt,<br />

und der Rosengarten natürlich auch – wie in allen<br />

Reiseführe<strong>rn</strong>. Die Stadtgrenzen hätte man ruhig<br />

etwas flexibler auslegen können.<br />

In dieser Form zusammengestellt ist der Führer<br />

aber einzigartig, und man fragt sich, warum<br />

nicht schon früher jemand auf die Idee kam.<br />

Die «Grünräume» sind nach Quartier geordnet,<br />

mit Fotos und Lageplänen ergänzt. Die meisten<br />

Anlagen kennt man, oder sie sind gar etwas<br />

klein für einen Spaziergang. Zum Teil sind es<br />

einfach Pflanzeninseln in Mitten von Strassen,<br />

wie zum Beispiel auf dem Breitenrainplatz. Vielleicht<br />

hätte man sich bei der Gestaltung und<br />

bei den Fotos etwas kreativer zeigen können, das<br />

Büchlein wirkt etwas trocken und und irgendwie<br />

nüchte<strong>rn</strong>. Es fehlt an der Mystik, welche oftmals<br />

in Parks mitschwingt. So wird nicht ganz klar,<br />

für wen das Büchlein erstellt wurde, wie es verwendet<br />

werden soll, oder welchen Zweck es hat.<br />

Dafür inspiriert es, weitere Orte zu entdecken –<br />

und wer weiss, vielleicht kommt schon bald das<br />

nächste Büchlein... (vl)<br />

Haupt Verlag<br />

ISBN 978-3-258-07762-8<br />

www.haupt.ch<br />

Einfach Be<strong>rn</strong><br />

Die Perlen der Stadt<br />

Sicher, Be<strong>rn</strong> ist klein und man meint, die<br />

Stadt innerhalb knapp dreier Stunden zu<br />

kennen. So ein überschaubares Hauptstädtchen.<br />

Auch das «Shopping» kann nicht wirklich<br />

mit den Weltmetropolen konkurrieren. Wer jedoch<br />

in Be<strong>rn</strong> auf die Suche geht und in diese<br />

kleinen Ecken rein sieht, findet Erstaunliches.<br />

So hat sich Stefan Buck auf den Weg gemacht,<br />

und das Gefundene unter dem Titel «Einfach<br />

Be<strong>rn</strong> – die Perlen der Stadt Be<strong>rn</strong>» in einem<br />

Buch zusammengestellt. Das Be<strong>rn</strong>, welches<br />

wir hier vorfinden, überrascht – und ist erfrischend<br />

anders, als wir es kennen. Buck hat die<br />

Gastronomie, Läden, Kultur- und Kunst-Orte<br />

aufgesucht und sie in ein neues Licht gerückt.<br />

Sicher, die Vorgestellten haben mitgeholfen,<br />

auch bei der Finanzierung. Aber Buck und sein<br />

Team waren frei und konnten selber die Texte<br />

und Bilder erstellen. Auf diesem Weg ist eines<br />

der spannendsten Stadt-Be<strong>rn</strong>-Bücher entstanden,<br />

welches stundenlang fesselt und immer<br />

wieder von neuem inspiriert. Die Fotos sind<br />

allesamt überragend. Es ist der Blick auf die<br />

Details und die Inszenierung, welche hier auffallen.<br />

Wir entdecken Be<strong>rn</strong> ganz neu, wir sehen<br />

Dinge, die wir früher nie wahrgenommen<br />

haben. Und ganz unverhofft stellt sich beim<br />

Lesen und Durchblätte<strong>rn</strong> ein Gefühl des Stolzes<br />

ein: Das ist unsere Hauptstadt! Lebendig,<br />

experimentierfreudig, designed mit Stil, farbig<br />

und trotzdem nicht hippig oder «langweilig<br />

öko», frisch und so gar nicht sandsteinlastig,<br />

wie man immer meint. «Be<strong>rn</strong> einfach» zeigt ein<br />

Be<strong>rn</strong> in dem wir leben wollen und dürfen. Das<br />

Buch gibt es in vier verschiedenen Umschlägen,<br />

es ist mehrsprachig (D, f, e) und empfiehlt<br />

sich nicht nur für Be<strong>rn</strong>erInnen, sonde<strong>rn</strong> auch<br />

für alle Be<strong>rn</strong>-Gäste. (vl)<br />

bucksedition<br />

ISBN 978-3-9522959-8-4<br />

www.bucks-edition.ch<br />

48


Alltagskultur<br />

▲<br />

Den eigenen Stil prägen<br />

Von Thomas Kohler Foto: T. Kohler<br />

Message tippen. @-Adresse eingeben.<br />

Enter drücken – und ab die Post. So<br />

flink geht das mit schriftlichen Mitteilungen<br />

in der virtuellen Welt. Aber<br />

Stil hat es nicht. Wer persönlichere<br />

Botschaften versenden will, sollte zur<br />

Feder greifen – und auf elegante Verschönerung<br />

des Briefes Wert legen.<br />

Wer Festtag<strong>sg</strong>rüsse und Neujahrswünsche<br />

per E-Mail verschickt, kann sich<br />

mit Kosten- und Zeiterspa<strong>rn</strong>is gerade noch so<br />

heraus reden. Aber Schreibtischtäter, die Liebesbriefe<br />

elektronisch in den Orbit schicken, haben<br />

keinerlei Schliff. Diesen Mangel sollten die<br />

Angeschriebenen niemals mit einer Antwort auf<br />

solch schnöde Botschaften adeln.<br />

Schande auch über alle, die einer Freundin oder<br />

einem Freund per SMS zur bestandenen Prüfung<br />

gratulieren. Nieder mit den Schreib-Plebeje<strong>rn</strong>,<br />

die statt Bleistift, Füllfeder oder Kugelschreiber<br />

nur die Tastatur als tauglich erachten, um<br />

ihre Gedanken zu formulieren. Den Briefträger<br />

mit Briefen in gleich dreifach versiegelten Kuverts<br />

zu verblüffen, mag übertrieben sein. Aber<br />

eine persönliche Note sollten die Verfasserin oder<br />

der Verfasser wichtigen Briefen schon mit auf<br />

den Weg geben. Diese Note ist weitaus einfacher<br />

zu bewerkstelligen, als unbedarfte SMSlerinnen<br />

und E-Mail-Katapultierer ahnen mögen.<br />

Früher, als Briefpapier noch vorzugsweise<br />

von Hand geschöpft zu sein hatte, legten Menschen<br />

mit Stil Wert auf eingegossene Wasserzeichen.<br />

Solche Papiere gibt es auch heute<br />

noch zu kaufen. Aber zunehmend versiegen die<br />

entsprechenden Quellen. Eine Adresse für die<br />

seltene Bild: (von Ware links) ist Catalin, das Sonu, Papiermuseum Iasmina / zVg. in Basel.<br />

Das Museum, in dem Papier nicht au<strong>sg</strong>estellt,<br />

sonde<strong>rn</strong> unter kundiger Anleitung von Fachleuten<br />

von Besuchergruppen selbst hergestellt wird,<br />

verkauft in seinem Shop eine grosse Auswahl an<br />

Papieren, die mit diversen Wasserzeichen geschmückt<br />

sind.<br />

Aber es geht noch einfacher. Wer seine Briefe<br />

mit einem unverkennbaren Zeichen versehen<br />

möchte, wird im Geschäft der Firma Schlüssel<br />

Be<strong>rn</strong> in der Neuengasse 5 fündig. Das Geschäft<br />

ist eine der in der Schweiz sehr raren Anlaufstellen<br />

für Prägestempel, auch Prägezangen<br />

genannt. Es handelt sich dabei um ein nachgerade<br />

geniales Gerät. Prägestempel unterscheiden<br />

sich zwar je nach Ausführung technisch<br />

ein wenig von einander. Aber das Prinzip ist allen<br />

gemein: In zwei runde Metallplatten werden<br />

die Initialen der Kundin oder des Kunden eingearbeitet.<br />

Zwischen diese Platten lassen sich<br />

Papiere aller Art einfügen. Wenn der Stempel<br />

niedergedrückt wird, entsteht ein ins Papier geprägtes<br />

Monogramm, das unauffällig genug ist,<br />

um elegant zu sein, das aber dennoch für das<br />

Auge der Empfängerin oder des Empfängers des<br />

Schreibens unübersehbar bleibt.<br />

Dass die Firma in der Neuengasse die Prägestempel<br />

noch immer anbietet mag erstaunen.<br />

Ahmet Mersin, Inhaber des Unte<strong>rn</strong>ehmens,<br />

bestätigt denn auch: «Geld verdienen kann man<br />

damit nicht.» Mersin, ursprünglich gele<strong>rn</strong>ter<br />

Buchdrucker und Kunstdrucker, stellte früher<br />

Stahlstichdrucke her. Deshalb hängt er an den<br />

alten Stempeln. Er ist nicht der Einzige: «Es gibt<br />

immer noch Leute, die diese Geräte schätzen.»<br />

Abwegig ist das nicht. Mit einem Prägestempel<br />

lassen sich Briefe auf sehr edle Weise<br />

verschöne<strong>rn</strong>. Er taugt aber auch, um dünnere<br />

Kartons zu bearbeiten. So lassen sich damit<br />

etwa Visitenkarten sehr eindrücklich verzieren.<br />

Auf der ersten Seite eines Buches weisen<br />

die eingeprägten Initialen ebenso imposant<br />

auf die Besitzerin oder den Besitzer hin. Hinzu<br />

kommt, dass die Prägestempel nicht nur von hohem<br />

Nutzwert sind. Sie sind auch beeindruckend<br />

schöne Werkzeuge. Es gibt sie in Handversionen,<br />

die einer Zange ähneln, oder als Tischvarianten,<br />

die entfe<strong>rn</strong>t an das Mobiliar eines<br />

Kontors aus dem 18. Jahrhundert erinne<strong>rn</strong>. Die<br />

Prägestempel in Tischausführung verstärken<br />

diesen Eindruck noch, wenn sie in Goldlackierung<br />

und mit glänzendem Holzknauf geordert<br />

werden. Zu bedienen sind die Tischgeräte ähnlich<br />

wie ein Bostitch.<br />

Grosse Mengen der Stempel setzt Ahmet Mersin<br />

freilich nicht ab. «Pro Monat verkaufen wir<br />

eines, höchstens zwei solche Geräte», sagt er.<br />

Preislich liegen die Prägestempel zwischen 100<br />

bis 200 Franken.<br />

Prägestempel sind auch in der mode<strong>rn</strong>en Zeit<br />

nicht wirklich neu. In den 70er Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts bot der Fotopapier-Hersteller<br />

Ilford solche Geräte an. Auf deren Platten<br />

standen zwar keine Initialen. Dafür konnten<br />

die Kundinnen und Kunden Ihre Namen und das<br />

Wort «copyright» einarbeiten lassen. Wer seine<br />

Fotos beim Vergrösse<strong>rn</strong> mit einem breiten, unbelichteten<br />

Rand versah, konnte darauf mit dem<br />

Stempel seine Rechte am Bild unmissverständlich<br />

als Prägung anbringen. Das Foto an sich<br />

blieb unversehrt, der Hinweis dezent. Aber Leute<br />

wie Bildredaktoren oder Werber wussten ohne<br />

zeitraubende Nachforschungen stets, an wen die<br />

entsprechenden Bildhonorare zu entrichten waren.<br />

Zu Beginn der 80er Jahre verschwanden die<br />

Prägestempel aber leider wieder aus dem Angebot<br />

des Filmherstellers.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 49


▲<br />

Alltagskultur<br />

Ein Leben aus Ideen<br />

Ein Leben aus Ideen - und jetzt?<br />

Von Albert le Vice Bilder: Albert le Vice<br />

Seit September 2011 habe ich an dieser Stelle<br />

zu erzählen versucht, was es eigentlich<br />

heisst, hierzulande – und heute – ein ganzes Leben<br />

von Ideen abhängig zu machen. Ideen. Darunter<br />

versteht man ja landläufig irgendwelche<br />

Einfälle, die irgendwem per Zufall durch den<br />

Kopf geiste<strong>rn</strong>. Und wer von Ideen leben will gilt<br />

als Spinner, allenfalls als bunter Vogel, der sich<br />

zwar recht hübsch ausnimmt im Grau unseres<br />

Alltags, welcher mittlerweile zu einem Büroalltag<br />

geworden ist. Dass aber Ideen, auf die<br />

dieser bunte Papagei zu bauen vorgibt, sogar<br />

selbst für einen grauen Alltag von Bedeutung<br />

sein könnten, wollen wir schon gar nicht gelten<br />

lassen. Darauf sagt dann jeder und jede ziemlich<br />

schnell und überzeugt, solches sei zwar<br />

schön und gut, aber... Und bald kommt dann<br />

auch die Begründung des «Aber»: Man sei halt<br />

Realist und stünde mit beiden Beinen auf dem<br />

Boden der Wirklichkeit. Und schon klebt dem<br />

Ideenmensch die berühmte «Zwei» am Rücken,<br />

er muss sich rechtfertigen und hat zu beweisen,<br />

dass seine Vorstellungen durchaus Hand und<br />

Fuss haben. Gelingen wird ihm das nie, denn<br />

was der sagt – egal was es ist – betrachtet man<br />

skeptisch, um nicht zu sagen ablehnend.<br />

Natürlich, es gibt auch Leute, die etwas differenzierter<br />

in die Welt schauen; und diese differenzierte<br />

Sicht will ich jetzt, in meiner letzten<br />

ensuite-Geschichte, zum Thema machen.<br />

In einer Art kritischer Bilanz will ich das, was<br />

ich Ihnen, liebe Leserin, erzählt habe, zu werten<br />

versuchen: Ideen in der Schweiz, unter welchen<br />

Umständen werden sie Realität, unter welchen<br />

verschwinden sie sang- und klanglos in<br />

irgendwelchen Schubladen? Generell gesehen<br />

ist die Antwort relativ einfach: Ideen, privat<br />

entwickelt, privat umgesetzt und wirtschaftlich<br />

erfolgreich, sind in der Schweiz akzeptiert,<br />

manchmal sogar geschätzt. Überschreiten sie<br />

aber den Rahmen des Privaten, also: kosten sie<br />

beispielsweise mehr, als die Einzelne aufzubringen<br />

vermag, wird es schwierig – eigentlich<br />

fehlt dafür schlagartig das öffentliche Interesse,<br />

zumindest im Normalfall.<br />

Dazu mein erstes konkretes Beispiel: Das<br />

schiefe Theater. Das schiefe Theater war ein<br />

Erfolg: Über 1’100 Vorstellungen europaweit,<br />

mehr als hunderttausend Zuschauer auf einer<br />

Tou<strong>rn</strong>ee von sieben Jahren in über sechzig<br />

Städten. Dieses schiefe Theater wäre nie entstanden,<br />

wenn es da nicht zwei Typen (später<br />

kamen noch zwei Typinnen dazu) gegeben hätte,<br />

die davon überzeugt waren, dass das, was<br />

sie zu bieten hatten, auch öffentlich gut, also<br />

berechtigt war. Wären sie also nicht bereit gewesen,<br />

Kopf und Kragen aufs Spiel zu setzen,<br />

wäre dieses kleine, fahrende Theaterhaus nie<br />

gebaut worden, und nie auf eine so lange Tou<strong>rn</strong>ee<br />

gegangen. Es wäre aber auch nie entstanden,<br />

wenn da nicht im Hintergrund ein Vater<br />

und eine Mutter Bürgschaft geleistet, also der<br />

Idee dieser jungen Typen vertraut und ein beträchtliches<br />

Risiko mitgetragen hätten. Und es<br />

wäre ebenfalls nicht entstanden, wenn nicht eine<br />

Bank (mit eben der erwähnten Bürgschaft<br />

im Hintergrund) das nötige Geld, das eine solche<br />

Idee zwangsläufig nötig hat, vorgeschossen<br />

hätte. Trotzdem und in einem Wort: Eine Idee,<br />

die mit privaten Mitteln realisiert werden kann,<br />

hat in der Schweiz eine Chance.<br />

Doch damit ist noch nicht alles gesagt, was<br />

in dieser Frage auch gesagt werden muss. Trotz<br />

des privaten Engagements hat auch diese Geschichte<br />

ihre öffentliche Seite, die weder in den<br />

zuständigen öffentlichen Instanzen noch in den<br />

Medien zur Kenntnis genommen und e<strong>rn</strong>sthaft<br />

diskutiert wird, die Frage nämlich nach dem<br />

öffentlichen Interesse an einem solchen Unterfangen.<br />

Wie ist das nun genau mit diesem Interesse<br />

einer Stadt, die sowas braucht, damit<br />

sie lebendig wird, respektive lebendig bleibt?<br />

Liegt es dann nicht in ihrem ureigenen Interesse,<br />

dass so etwas wie ein schiefes Theater überhaupt<br />

entstehen kann? Unsere konkrete Erfahrung:<br />

Jede öffentliche Instanz findet bei einer<br />

handfesten Nachfrage nach Unterstützung für<br />

ein solches Vorhaben vielfältige, schöne Worte,<br />

mutmachende Floskeln und unendlich viele<br />

Gründe fürs Abwimmeln solcher Anliegen. Vor<br />

allem natürlich, wenn die Gesuchstellerin noch<br />

keinen Namen hat.<br />

Nein, ein schiefes Theater, das auf Hilfe von<br />

aussen gesetzt hätte, wäre nie entstanden – aus<br />

Angst der Angesprochenen vor dem möglichen<br />

Misserfolg – und natürlich aus grundsätzlich<br />

finanzpolitischem Geiz, der bei uns ja System<br />

hat. Geld geht vor in der öffentlichen Schweiz,<br />

selbst wenn es offensichtlich ist, dass eine gute<br />

Idee dem Leben in der Öffentlichkeit gut täte.<br />

Diese Erkenntnis haben wir also mit dem<br />

schiefen Theater gelebt; und wir haben unseren<br />

Weg gefunden. Ihren Weg suchen die Eidgenossen<br />

noch immer, und verpassen beim ewigen<br />

Suchen die grossen Chancen. Also, wie gesagt,<br />

Ideen haben in der Schweiz eine Chance,<br />

wenn sie privat getragen und erfolgreich sind.<br />

Doch wie ergeht es Ideen, die explizit für<br />

die Öffentlichkeit gedacht sind, und deshalb<br />

unverzichtbar auf eine engagierte und kompetente<br />

Öffentlichkeit angewiesen sind? Nach<br />

meiner Erfahrung geht es solchen Ideen ziemlich<br />

eigenartig, nämlich so, wie ich es in meiner<br />

Geschichte über den Be<strong>rn</strong>er Geburtstag erzählt<br />

habe. Diese Geschichte allerdings muss<br />

man, um ihre Brisanz zu verstehen, mit jener<br />

um «Hans Sachs in allen Gassen» vergleichen.<br />

Der Vergleich zeigt nämlich, dass sich in dieser<br />

Geschichte ein Problem manifestiert, welches<br />

mit unserer Auffassung von Demokratie<br />

zusammenhängen muss: «Hans Sachs in allen<br />

Gassen», in Nü<strong>rn</strong>berg, also in Deutschland realisiert,<br />

ist geglückt, «Der Be<strong>rn</strong>er Geburtstag»<br />

in der Schweiz, und vermutlich in den Köpfen<br />

einer Behörde, gescheitert.<br />

Wo liegt der Unterschied? In Nü<strong>rn</strong>berg kam<br />

der Anstoss zum Fest vom Oberbürgermeister,<br />

respektive vom Amt des Oberbürgermeisters.<br />

Er hatte festgelegt, dass die Ehrung von Hans<br />

Sachs die Stadt Nü<strong>rn</strong> berg was anginge, und er<br />

beauftragte den Kulturreferenten, diese Angelegenheit<br />

an die Hand zu nehmen. Mit anderen<br />

Worten: der Auftrag, Hans Sachs zu ehren, war<br />

nicht der Spleen irgendeines Beamten oder Politikers,<br />

sonde<strong>rn</strong> eine Angelegenheit, die die<br />

Stadt etwas anging, und der die Stadt entsprechend<br />

Gewicht geben wollte. Im Gegensatz<br />

dazu spielte sich das Drum und Dran um den<br />

«Be<strong>rn</strong>er Geburtstag» wie eine Geheimoperation<br />

ab: Da meldete sich bei mir der Polizeidirektor,<br />

offenbar für dieses Vorhaben zuständig,<br />

50


Alltagskultur<br />

▲<br />

und erteilte mir den Auftrag, ein Grundkonzept<br />

auszuarbeiten. Keine öffentliche, offizielle Ankündigung<br />

des Vorhabens, keine Medienmitteilung,<br />

keine öffentliche Diskussion. Und am<br />

Ende, als das Konzept vorlag, kein Wort an den<br />

Autor, kein positives, kein negatives, nur Stillschweigen<br />

– und natürlich auch keine offizielle<br />

Äusserung für die Öffentlichkeit.<br />

Was manifestiert sich da?<br />

Zwei Städte. Beide auf der Suche nach einer<br />

guten Idee für einen wichtigen öffentlichen<br />

Anlass. Die eine Stadt führt einen eingehenden<br />

Diskurs mit allen denkbaren Gremien und in allen<br />

verfügbaren Medien, die andere druckst in<br />

Geheimniskrämerei umher, als handle es sich<br />

bei diesem Unterfangen um einen geheimen<br />

Deal mit der Mafia.<br />

Diese beiden Beispiele machen deutlich, wie<br />

die Einen einen ganz natürlichen Umgang mit<br />

Ideen pflegen, während die Anderen geradezu<br />

unter paranoiden Berührungsängsten zu leiden<br />

scheinen, wenn es um Kultur, wenn es um Ideen<br />

geht, mittels derer man einen besonderen<br />

Anlass der Stadt adäquat und vielleicht sogar<br />

unkonventionell feie<strong>rn</strong> könnte. Dies das Eine.<br />

Dazu kommt jetzt aber noch ein weiterer Aspekt<br />

des öffentlichen Umgangs mit Ideen: Bekanntlich<br />

sind Ideen, gerade wenn sie noch<br />

sehr jung sind, ziemlich fragile «Gebilde», und<br />

so kommt es dann halt schon darauf an, wie<br />

wer damit umgeht, wie eine Behörde bei der<br />

Beurteilung vorgeht und die Idee anschliessend<br />

durch die öffentliche Debatte hindurchträgt. In<br />

Nü<strong>rn</strong>berg hatte ich das Glück, auf einen Referenten<br />

zu treffen, der kulturell sehr erfahren<br />

war, und fürs Überraschende, Unkonventionelle<br />

einen au<strong>sg</strong>esprochenen Riecher hatte. Im Gegensatz<br />

dazu mein Gesprächspartner in Be<strong>rn</strong>:<br />

Ein typisch schweizerischer Politiker, ein sogenannter<br />

Generalist, wahrscheinlich Jurist<br />

von Haus aus, theoretisch überall einsetzbar<br />

und kaum geübt im Umgang mit Ideen. Dass so<br />

jemand Mühe hat beim Beurteilen von Gedankengängen,<br />

die das Ungewohnte suchen, liegt<br />

eigentlich auf der Hand. Das heisst aber mit anderen<br />

Worten, dass es ein Zufall ist, wenn so<br />

jemand beim Beurteilen von Ideen innerlich sicher<br />

ist und instinktiv spürt, was mit einer Idee<br />

los ist, und was sie einer Stadt bringen könnte.<br />

Damit will ich sagen, dass unsere politischen<br />

Strukturen, die den Laiengedanken über alles<br />

stellen, denkbar schlecht sind in Auseinandersetzungen<br />

mit Gedanken, die etwas anderes<br />

suchen als die Bestätigung des gemeinhin<br />

Üblichen und Gängigen. Zwangsläufig werden<br />

unter solchen Voraussetzungen Ideen, die weiterführen,<br />

sehr schnell als utopisch (sprich: undurchführbar),<br />

als fremd, als irgendwie störend<br />

empfunden, und deshalb rascher als nötig als<br />

unerwünscht abgetan. So etwas hat aber Auswirkungen<br />

auf unser Zusammenleben in der<br />

Öffentlichkeit, und genau so werden mögliche<br />

Entwicklungen verpasst, die unter Umständen<br />

aus einer verschlafenen eine lebendige Stadt<br />

machen könnten.<br />

In diesem zweiten Abschnitt habe ich jetzt<br />

eine Antwort auf die Frage gesucht, wie es<br />

hierzulande Ideen ergeht, die ausschliesslich<br />

für die Öffentlichkeit gedacht sind. Nach meiner<br />

Erfahrung haben sie es deshalb auffällig<br />

schwer, von den zuständigen Behörden in ihrer<br />

Bedeutung wahrgenommen zu werden, weil<br />

deren Wah<strong>rn</strong>ehmungsfähigkeit für Ungewöhnliches<br />

in der Regel unterentwickelt ist. Generell<br />

haben unsere Behörden Mühe im Umgang mit<br />

Ideen und begegnen ihnen deshalb mit Skepsis,<br />

also meist ablehnend. Dazu kommt, dass in<br />

unseren politischen Strukturen wahrscheinlich<br />

der Chef fehlt, der für die Stadt wichtiges im<br />

Voraus festlegen kann.<br />

Ideen in der Schweiz: Drei Spielarten, drei<br />

Projekte: Das schiefe Theater, der Be<strong>rn</strong>er Geburtstag,<br />

resp. Hans Sachs in allen Gassen, das<br />

kleine Freudenhaus. Jetzt also die dritte Spielart:<br />

Das kleine Freudenhaus. Auch diese Geschichte<br />

habe ich Ihnen, liebe Leser, ausführlich<br />

erzählt. Jetzt geht es mir um jene Realität,<br />

mit der eine ziemlich komplexe Idee fertig<br />

werden muss. Zu Ihrer Erinnerung: Das kleine<br />

Freudenhaus geht ja davon aus, dass Kultur,<br />

wenn sie demokratisch, also von der Mehrheit<br />

einer Stadtbevölkerung, wahrge nommen werden<br />

will, dass also eine solche Kultur nicht eindimensional<br />

in einzelnen Sparten, sonde<strong>rn</strong> in<br />

drei konzentrischen Kreisen agieren soll: In einem<br />

inneren Kreis, einem Kunstwerk, dann in<br />

einem zweiten, in der direkten Umgebung des<br />

Kunstwerks, und von Zeit zu Zeit, das Ganze<br />

erfassend, in der ganzen Stadt. Wie kommt so<br />

etwas in Gang? Wie kann das funktionieren?<br />

Eigentlich ganz einfach: Ein Einzelner, oder<br />

natürlich auch eine Einzelne, der, oder die sich<br />

ein solches Werk vorstellen und es konkret<br />

auch umsetzen kann, lässt zuerst den innersten<br />

Kreis entstehen, also das Kunstwerk. In ihm<br />

soll, für ein aufmerksames Publikum fühl- und<br />

nachvollziehbar werden, was das Gesamtwerk<br />

eigentlich will; wie es von seinem Geist her<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 51


▲<br />

alltagskultur<br />

gemeint ist und was es, konsequent angewendet<br />

und umgesetzt, dem Ganzen, also der Stadt,<br />

bringen kann.<br />

Gleichzeitig überlegt sich der Autor des<br />

Gesamtwerks, wie die direkte Umgebung des<br />

Werks, von dessen Geist geprägt, konkret aussehen<br />

könnte. In der Idee des kleinen Freudenhauses<br />

ist damit so etwas wie ein kultureller<br />

Stadtpark gemeint, also ein Ort, der durch Ideen<br />

von Bürge<strong>rn</strong>, die Hand (und Kopf) anlegen<br />

wollen, geprägt ist – ein poetischer Ort quasi.<br />

Dann, und das betrifft jetzt den dritten<br />

Kreis, wird die Grundidee noch einmal au<strong>sg</strong>edehnt<br />

auf die ganze Stadt, indem von Fall zu<br />

Fall und von Anlass zu Anlass Ideen für aussergewöhnliche<br />

Feste entwickelt werden, die mehr<br />

sind als die üblichen, ideenlosen, sogenannten<br />

Volksbelustigungen. Realisiert wird dies wiederum<br />

durch engagierte Bürger, denen das Zusammenleben<br />

in der Stadt ein Anliegen ist.<br />

Es geht also bei der Idee «kleines Freudenhaus»<br />

ums aktive Heranbilden einer auf eine<br />

bestimmte Stadt bezogenen Kultur, die natürlich<br />

mit der Zeit zum inneren und äusseren<br />

Wahrzeichen dieser einen Stadt wird. Die Idee<br />

«kleines Freudenhaus» ist daher – und dies zu<br />

betonen ist mir sehr wichtig – nicht ein Modell,<br />

überall eins zu eins anwendbar, sonde<strong>rn</strong> eine<br />

Vorgehensweise, die sich nach den verschiedenen<br />

Gegebenheiten vor Ort richtet. Soweit der<br />

gedankliche Hintergrund dieser ziemlich komplexen<br />

Idee.<br />

Und wie sieht nun die konkrete Seite eines<br />

solchen Unterfangens in der Schweiz, und am<br />

Ende in einer wirklichen Schweizer Stadt aus?<br />

Der innerste Kreis, das Kunstwerk (in diesem<br />

Fall ein Theater der Sinne), wurde zu genau<br />

dem, was es nach der Idee werden sollte, und es<br />

wurde zu einem grossen Erfolg.<br />

Im zweiten Kreis (also in der Umgebung des<br />

Sinnentheaters) realisierten sich zwei Werke.<br />

Auch sie waren öffentlich erfolgreich. Allerdings:<br />

als es dann handfest ums Schaffen jenes<br />

oben erwähnten kulturellen Stadtparks, der sogenannten<br />

«Be<strong>rn</strong>torgasse / Kulturgasse» ging,<br />

kam der bis anhin erfreuliche Prozess ins Stocken.<br />

Umliegende Gewerbebetriebe begannen<br />

konkret zu opponieren mit dem Ziel, die Kulturgasse<br />

zu verhinde<strong>rn</strong>. Und genau hier fehlte jetzt<br />

die politische Instanz (im Nü<strong>rn</strong>berger Beispiel<br />

von vorhin waren das der Oberbürgermeister<br />

und der Kulturreferent), es fehlte also die Instanz,<br />

die sich hinter das ganze Projekt stellte<br />

und mit ihrer Autorität für dessen weitere Verwirklichung<br />

einsetzte. Das war das Ende meines<br />

Wirkens in Thun, weil ich eben alleingelassen<br />

war. Und selbstredend kam es auch nie<br />

zu einem für sich sprechenden, grossen Fest in<br />

Thun.<br />

Was geschieht eigentlich mit Ideen in der<br />

Schweiz? Das ist ja die Frage hier. Ist die Idee<br />

«kleines Freudenhaus» in<strong>sg</strong>esamt gelungen?<br />

Zum Teil, würde ich sagen. Gelungen ist, was<br />

ich selbst – und unabhängig – realisieren konnte.<br />

Es ist tatsächlich ein Theater der Sinne entstanden,<br />

das es vorher noch nicht gab. Und es<br />

ist beim Publikum gut angekommen. Es war ein<br />

grosser Erfolg sowohl in Basel, in Thun, und im<br />

Gwatt-Zentrum. Acht Jahre hat dieser Teil der<br />

Idee öffentlich seine Wirkung entfalten können<br />

– und wirtschaftlich ist die Institution «kleines<br />

Freudenhaus» in jener Zeit auch über die Runden<br />

gekommen.<br />

Dieses private Gelingen hatte aber auch seinen<br />

Preis: Dreizehn Jahre vollberuflicher Arbeit<br />

ohne Entgelt waren nötig, um das Theater, also<br />

den innersten Kreis, zu realisieren. Und es kamen<br />

recht hohe Investitionen für die Vorstellung<br />

selber dazu. Möglich war das nur durch<br />

das Engagement meiner Frau, die mir durch ihre<br />

– in diesem Fall bezahlte – Berufsarbeit den<br />

Rücken für meine von niemandem bezahlte Berufsarbeit<br />

freihielt. Das klingt romantisch – ich<br />

würde dem entgegenhalten, das sei schweizerische<br />

Realität.<br />

Ja, und wo war im Entstehungsprozess dieses<br />

letztendlich öffentlichen Werks die öffentliche<br />

Hand, wo war das Engagement einer sich<br />

für so etwas engagierenden Wirtschaft? Es war<br />

vorhanden – aber eigentlich immer erst dann,<br />

52


alltagskultur<br />

▲<br />

wenn im Entstehungsprozess gesichertes Terrain<br />

erreicht war. Im Klartext heisst das: Das<br />

kleine Freudenhaus wäre weder als Konzept<br />

noch als Werk je entstanden, hätte ich auf die<br />

tragende Mithilfe einer Öffentlichkeit oder jene<br />

der Wirtschaft gesetzt. In einem Wort: Die Idee<br />

«kleines Freudenhaus» war zu gross, um in der<br />

reichen Schweiz gefördert zu werden. Sie war<br />

so gross, dass sie nur durch das Engagement<br />

von zwei lächerlich kleinen Leutchen realisiert<br />

werden konnte! Auch das ist helvetische Realität.<br />

Ich sage das nicht bitter oder verbittert.<br />

Aber ich benenne die Realität. Und ich fordere<br />

all jene Menschen, die von sich behaupten, Realisten<br />

zu sein auf, diese Realität auch einmal<br />

zu bedenken – und dann vielleicht auch einmal<br />

entsprechend zu handeln. Wir brauchen ein<br />

neues Denken.<br />

Trotzdem – und das setze ich explizit an<br />

den Schluss –: die Öffentlichkeit engagierte<br />

sich durchaus in dieser Geschichte. Und das<br />

geschah wie durch ein Wunder, nämlich durch<br />

ein öffentliches Bedürfnis nach Kultur. Die eidgenössische<br />

700-Jahrfeier stand bevor. Auf einen<br />

Schlag brauchte es jetzt brauchbare Ideen<br />

– und jetzt war Geld vorhanden (für ein Jahr!).<br />

Und als nach dem Jubiläumsjahr 1991 das Gastspiel<br />

des kleinen Freudenhaus in Basel beendet<br />

(also der Erfolg gesichert) war, engagierte<br />

sich die Stadt Thun, dann gab es auch Gelder<br />

aus der Wirtschaft, um die Infrastruktur für ein<br />

Haus, in dem das kleine Freudenhaus untergebracht<br />

werden konnte, bereitzustellen. (Obwohl<br />

eigentlich, dies nur nebenbei, von der 700-Jahrfeier<br />

ein geeignetes Haus verfüg-, transportier-,<br />

nutzbar und gratis zur Verfügung stand). Also,<br />

hier begann die Öffentlichkeit eine Rolle zu<br />

spielen. Und das funktionierte dann auch, immer<br />

mehr oder weniger, je nach Umständen, bis<br />

zu jenem oben erwähnten Moment, wo die Idee<br />

als Gesamtheit plötzlich, und eigentlich unerwarteterweise,<br />

zurechtgestutzt werden sollte –<br />

einer gewissen Wirtschaftlichkeit wegen. Was<br />

heisst dies nun alles? In knappen Worten dies:<br />

• Ideen sind Privatsache, und wenn sie umgesetzt<br />

werden sollen, ist auch dies eine private<br />

Angelegenheit; sonst bleibt das Ganze<br />

unrealisiert liegen.<br />

• Medien können Ideen zwar aufgreifen, aber<br />

kulturpolitisch e<strong>rn</strong>st genommen werden sie<br />

trotzdem nicht.<br />

• Unterstützung, von wem auch immer, erhalten<br />

Ideen allenfalls als kleine Projekte, die<br />

in ihrer Wirkung klar abgegrenzt und im<br />

Voraus kalkulierbar sind.<br />

• Öffentlich gefragt sind Ideen nur, wenn ein<br />

entsprechender öffentlicher Anlass besteht,<br />

für den im Voraus die nötigen Mittel auch<br />

gleich bereitgestellt sind.<br />

• Nach solchen Anlässen fehlt das öffentliche<br />

Interesse, und natürlich auch das Geld für<br />

Aussergewöhnliches wieder. Die Gewöhnlichkeit<br />

nimmt dann wieder ihren gewöhnlichen<br />

Gang.<br />

• Eine öffentliche Diskussion über Ideen, die<br />

für unsere Kultur auch praktische Konsequenzen<br />

haben könnten, existiert in der<br />

Schweiz offiziell nicht.<br />

• Dass eine gute Kultur mit guten Ideen an<br />

ihrer Basis den Boden für ein gutes Zusammenleben<br />

der Bevölkerung bilden könnte,<br />

und das auch zum Ziel haben, ist der<br />

Schweiz als Gemeinschaft nicht bewusst.<br />

Und als Letztes: In unseren Köpfen ist Kultur<br />

als Hobby eingestuft – nett vielleicht, aber<br />

nicht eigentlich nötig. Ein Leben aus Ideen?<br />

Für viele Menschen in der Schweiz ist das – als<br />

private Meinung – vielleicht eine faszinierende<br />

Option. Sie zu leben wagen sie aber kaum. Und<br />

öffentlich gibt es ein Leben aus Ideen einfach<br />

nicht: Zu unsicher, zu wenig greifbar (im Voraus),<br />

zu abenteuerlich, zu riskant. Der Krämer<br />

in unserer Volksseele sucht das im Voraus Sichere,<br />

nicht das Hi<strong>rn</strong>gespinst.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 53


Senioren im Web<br />

Von Willy Vogelsang, Senior<br />

Alltagskultur<br />

Was verstehen Sie unter «Paradigmenwechsel»?<br />

Ich musste zuerst auf Wikipedia<br />

ausführliche Erklärungen studieren.<br />

Am besten hat mir schlussendlich der Begriff<br />

«Unte<strong>rn</strong>ehmerisches Leitbild» gefallen. Er entspricht<br />

dem Wandel, der sich mit dem neuen<br />

Delegierten des Verwaltungsrates und interimistischen<br />

Vorsitzenden der Geschäftsleitung<br />

von seniorweb.ch, Jürg Bachmann, abzeichnet.<br />

Der erfahrene Medien-Manager weiss was er<br />

will, und an der Mitarbeitertagung Ende November<br />

verkündet hat. «Aufbruch und Umbruch<br />

wird nötig sein, wenn die seit 14 Jahren von<br />

vielen Freiwilligen geführte, grösste Plattform<br />

für die Generation 50+ in der Schweiz weiter<br />

bestehen will.» Er stützte sich dabei auf die Ergebnisse<br />

einer Umfrage, die in den letzten Wochen<br />

auf Seniorweb durchgeführt und von über<br />

630 Personen beantwortet wurde. Diese zeigt<br />

klar auf, dass vorab die Angebote Magazin, Foren<br />

und Infos aus Regionalgruppen, sowie Kurse<br />

und Le<strong>rn</strong>angebote stark beachtet werden. In<br />

den über tausend Kommentaren wurde aber immer<br />

wieder der Wunsch laut, die Struktur von<br />

Seniorweb müsse vereinfacht und verbessert<br />

werden.<br />

Die Ergebnisse der Umfrage und der Besuch<br />

von seniorweb.nl bestärken die Verantwortlichen<br />

von seniorweb.ch, den vorgesehenen Paradigmenwechsel<br />

(siehe oben!) zur Stärkung der<br />

Medienkompetenz von Senioren voranzutreiben.<br />

Im Visier ist ein nachhaltiges Geschäftsmodell,<br />

das eine professionelle Organisation, die Finanzierung<br />

des laufenden Betriebs sowie eine Teilfinanzierung<br />

von geleisteter Arbeit zulässt. Mit<br />

einem vielfältigen Angebot (Kurse, Einkaufsberatung,<br />

Kompetenzzentrum, Weiterbildung,<br />

E-Lea<strong>rn</strong>ing, Support) sollen die digitalen Medien<br />

zum Ke<strong>rn</strong>geschäft von Seniorweb gemacht<br />

werden mit dem Ziel, dass die Besucher von Seniorweb<br />

in Bezug auf elektronische Kommunikation<br />

à jour gehalten werden. Daneben bietet<br />

Seniorweb weiterhin bestehende Angebote wie<br />

Magazin, Foren, Blogs an, die mithelfen sollen,<br />

die mit dem Ke<strong>rn</strong>geschäft angestrebte Medienkompetenz<br />

zu stärken.» (Zitiert aus dem Bericht<br />

zur Mitarbeitertagung).<br />

Unüberhörbar wurden an der Tagung aber<br />

auch die gewachsenen Strukturen der Regional-<br />

und Interessen gruppen mit ihren realen Begegnungsmöglichkeiten<br />

betont, und ihre Bedeutung<br />

für eine lebendige Beteiligungskultur als<br />

hoch gewichtet.<br />

Es wird spannend werden, das neue Jahr. Beobachten<br />

Sie selbst, wie sich der «Paradigmenwechsel»<br />

vollzieht. Er kann sich eigentlich nur<br />

zu Ihren Gunsten entwickeln.<br />

www.seniorweb.ch<br />

unterhält · informiert · verbindet<br />

Was die Welt<br />

zusammenhält<br />

Wir schreiben den 20. Dezember 2012,<br />

einen Tag vor dem Weltuntergang,<br />

vier Tage vor Heilig Abend. Wobei gerade Heilig<br />

Abend keine Rolle mehr spielt, denn die<br />

Welt gibt es dann ja nicht mehr. Und somit ist<br />

auch dieser Artikel überflüssig, denn es wird<br />

ihn keiner mehr lesen, wenn wir uns alle schon<br />

Wochen zuvor, in einem lauten Knall, in Schutt<br />

und Asche aufgelöst haben. Oder wir sind in eine<br />

andere Galaxie katapultiert worden und unser<br />

Hi<strong>rn</strong> kann dort die Fähigkeiten nicht mehr<br />

abrufen, die wir uns einst mit Mühe angeeignet<br />

haben, wie eben das Lesen dieses Artikels.<br />

Auffallend ist trotzdem, mit welcher Sorgfalt<br />

doch die bevorstehenden Festtage vorbereitet<br />

werden; insbesondere das Essen. Das Essen,<br />

das gerade kurz vor dem Untergang eine neue<br />

Bedeutung bekommt – quasi das Gegenteil vom<br />

Untergang ist. Ich stelle mir vor, beim Untergang<br />

zerlegt sich alles in seine Einzelteile; in<br />

Glieder, Fase<strong>rn</strong>, Zellen. Die Einheit bricht auseinander,<br />

als ob man den Urknall zurückspulen<br />

würde. Beim Essen aber nehmen wir Materie<br />

auf, verleiben sie uns ein, damit wir eins werden<br />

mit ihr, sie uns zusammenhält. Und das gemeinsame<br />

Essen an Weihnachten und Silvester<br />

hält uns als Gemeinschaft zusammen. All diese<br />

Familienzusammenkünfte und Firmenanlässe,<br />

Jahresabschlüsse von Clubs und Vereinen<br />

– sie alle zielen darauf ab, die Einheit zu stärken,<br />

die vielen Individuen zusammenzukitten.<br />

Trinken und Essen hilft dabei. Lasst uns anstossen<br />

auf ein neues Jahr! Und der Champagner<br />

perlt die Kehlen hinunter. Frohe Weihnachten!<br />

Von Barbara Roelli Bild: Barbara Roelli<br />

Und jeder steckt seine fleischbestückte Gabel<br />

in den dampfenden Fondue Chinoise-Topf.<br />

Es werden Pläne geschmiedet zum Festtagsschmaus,<br />

Metzger geben Instruktionen, wie die<br />

Kunden ihre Rollbraten füllen sollen, und bei<br />

welcher Temperatur der Truthahn im Ofen gebraten<br />

wird, damit er nicht austrocknet. Lasst<br />

uns geniessen und gesellig sein! Nach diesem<br />

unau<strong>sg</strong>esprochenen Glaubensbekenntnis handeln<br />

wir dieser Tage und verdrängen konsequent<br />

den bevorstehenden Untergang. Zwei<br />

Frauen im Zug: Die eine hat für den Jahresabschluss<br />

des Vereins eine Platte mit drei Kilo<br />

Raclettekäse bestellt. Bei der besten Käserei<br />

von Olten, wie sie sagt. Und dann gebe es noch<br />

eine Fleischplatte, dekoriert mit Co<strong>rn</strong>ichons<br />

und Silberzwiebelchen. Und den Wein lasse sie<br />

aus dem Wallis liefe<strong>rn</strong>. Von Visperterminen,<br />

das sei der höchstgelegene Rebberg der Welt.<br />

«Comme il faut», so die Frau.<br />

Und wie es sich gehört, oder wie wir es ritualisiert<br />

haben, werden auch dieses Jahr kiloweise<br />

Weihnacht<strong>sg</strong>uetzli gebacken, verziert,<br />

in Säckli abgefüllt und verschenkt. Und diese<br />

gebackenen Teigstücke verbinden uns untereinander<br />

und miteinander, und schliesslich sind<br />

wir ja aus ein und demselben Teig. Eine Urmasse<br />

aus Fleisch und Blut, die viel Raum einnimmt<br />

und in einer Zeit lebt, die in ein paar<br />

wenigen Stunden ablaufen wird. Aber bis zum<br />

Weltuntergang stehen wir draussen im Schnee<br />

dicht beieinander, mit roten Wangen vom<br />

Glühwein, und prosten uns zu.<br />

54


Impressum<br />

▲<br />

Herau<strong>sg</strong>eber: interwerk gmbh, Be<strong>rn</strong><br />

Redaktion: Verein WE ARE, Be<strong>rn</strong>: Lukas Vogelsang<br />

(vl); Anna Vogelsang // Peter J. Betts, Luca<br />

D’Alessandro (ld), Frank E. P. Dieve<strong>rn</strong>ich, Morgane<br />

A. Ghilardi, Bettina Hübscher, Thomas<br />

Kohler (tk), Hannes Liechti, Andreas Meier,<br />

Fabienne Nägeli, Eva Pfirter, Salvatore Pinto,<br />

Barbara Roelli, Walter Rohrbach, Karl Schüpbach,<br />

Willy Vogelsang, Simone Wahli (sw), Sonja<br />

Wenger (sjw), Sandro Wiedmer, Ueli Zingg<br />

(uz), Luca Zacchei, Michael Zwicker<br />

Cartoon: Bruno Fauser, Be<strong>rn</strong>; Bundesrat Brändli:<br />

Matthias «Willi» Blaser<br />

Kulturagenda: kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin;<br />

allevents, Biel; Werbe & Verlags AG,<br />

Zürich.<br />

Korrektorat: Sandro Wiedmer (saw)<br />

Abonnemente: 77 Franken für ein Jahr / 11 Au<strong>sg</strong>aben,<br />

inkl. artensuite (Kunstmagazin)<br />

Aboservice: 031 318 60 50 / abo@ensuite.ch<br />

ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich.<br />

Auflage: 10 000 Be<strong>rn</strong>, 10 000 Zürich<br />

Anzeigenverkauf: inserate@ensuite.ch Layout:<br />

Lukas Vogelsang Produktion & Druckvorstufe:<br />

interwerk, Be<strong>rn</strong> Druck: AST & Fischer AG, Wabe<strong>rn</strong><br />

Vertrieb: Telefon 031 318 60 50 / Abonnemente,<br />

Gratisauflage in Be<strong>rn</strong> und Zürich; Web:<br />

interwerk gmbh<br />

Hinweise für redaktionelle Themen erwünscht<br />

bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation<br />

entscheidet die Redaktion. Bildmaterial digital<br />

oder im Original senden. Wir senden kein Material<br />

zurück. Es besteht keine Publikationspflicht.<br />

Agendahinweise bis spätestens am 18. des Vormonates<br />

über unsere Webseiten eingeben. Redaktionsschluss<br />

der Au<strong>sg</strong>abe ist jeweils am 18.<br />

des Vormonates (www.kulturagenda.ch).<br />

Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch,<br />

wirtschaftlich und ethisch unabhängig<br />

und selbständig. Die Texte repräsentieren die<br />

Meinungen der AutorInnen, nicht jene der Redaktion.<br />

Copyrights für alle Informationen und<br />

Bilder liegen beim Verein WE ARE in Be<strong>rn</strong> und<br />

der interwerk gmbh / edition ensuite. «ensuite»<br />

ist ein eingetragener Markenname.<br />

Redaktionsadresse:<br />

ensuite – kulturmagazin<br />

Sandrainstrasse 3; CH-3007 Be<strong>rn</strong><br />

Telefon 031 318 60 50<br />

Fax 031 318 60 51<br />

E-Mail: redaktion@ensuite.ch<br />

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more romance<br />

kulturagenda.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 121 | Januar 2013 55


Burgergemeinde Be<strong>rn</strong><br />

Bürgi-Willert-Stiftung<br />

SUISA-Stiftung für Musik<br />

Thomas LüThis Biwak<br />

Doran-känzig-hemingway<br />

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DeJan Terzic meLanoia<br />

TuesDay Jazz Jam<br />

FLorian Favre Trio<br />

maLcoLm BraFF insiDe<br />

kaos ProTokoLL<br />

chrisToPh sTieFeL<br />

isorhyThm orchesTra<br />

Le rex<br />

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