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Die Anwendung des Tests zur Existentiellen Motivation (TEM) in ...

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EMPIRISCHE FORSCHUNG<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>des</strong> <strong>Tests</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Existentiellen</strong> <strong>Motivation</strong> (<strong>TEM</strong>) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

psychotherapeutischen E<strong>in</strong>richtung<br />

Daniela Grabner<br />

In dieser Pilotstudie wurden kl<strong>in</strong>ische Bilder<br />

daraufh<strong>in</strong> untersucht, ob und wie sie<br />

dem anthropologischen Modell der vier<br />

Grundmotivationen zuordenbar wären. Dazu<br />

wurden Patienten e<strong>in</strong>er psychotherapeutischen<br />

Ambulanz e<strong>in</strong>es städtischen Gesundheitswesens<br />

herangezogen. Sie setzten sich<br />

aus Patienten mit Schizophrenie, mit Persönlichkeitsstörungen<br />

und mit affektiven Störungen<br />

zusammen; die Vergleichsgruppe<br />

stammte aus der Normalbevölkerung.<br />

Grundlage der Untersuchung ist die existenzanalytische<br />

Hypothese, daß sich psychische<br />

Störungen als Störungen der existentiellen<br />

Grundmotivationen verstehen lassen.<br />

In methodischer H<strong>in</strong>sicht wurde der „Test<br />

<strong>zur</strong> <strong>Existentiellen</strong> <strong>Motivation</strong>“ (<strong>TEM</strong>) e<strong>in</strong>gesetzt,<br />

der die existentiellen Dimensionen zu<br />

messen vorgibt. Als Ergebnis fand sich e<strong>in</strong>e<br />

weitgehende Bestätigung der existenzanalytischen<br />

Theorie e<strong>in</strong>er Spezifität der<br />

Störbilder im Zusammenhang mit den existentiellen<br />

Grundmotivationen.<br />

Schlüsselwörter: affektive Störungen, Existenzanalyse,<br />

Grundmotivationen menschlicher<br />

Existenz, Persönlichkeitsstörungen,<br />

Schizophrenie, Test <strong>zur</strong> <strong>Existentiellen</strong> <strong>Motivation</strong><br />

(<strong>TEM</strong>)<br />

The Application of the Test for Existential<br />

<strong>Motivation</strong> (<strong>TEM</strong>) with<strong>in</strong> a<br />

Psychotherapeutic Institution<br />

------------------------<br />

In this pilot study cl<strong>in</strong>ical pictures of mental<br />

disorders were <strong>in</strong>vestigated, if and how they<br />

can be attributed to the anthropological<br />

model of the four fundamental motivations<br />

of human existence. For this purpose<br />

patients of a psychotherapeutic ambulance<br />

of a municipal health system were tested.<br />

They comprised schizophrenic patients,<br />

patients with personality disorder and with<br />

an affective disorder and were compared to<br />

the normal population.<br />

The survey is based on the hypothesis of existential<br />

analysis, that mental disorders can be<br />

understood as dysfunction of the fundamental<br />

motivations of human existence.<br />

With regard to methodology the „Test for Existential<br />

<strong>Motivation</strong>“ (<strong>TEM</strong>) was applied, which<br />

allegedly measures existential dimensions.<br />

The results found are largely <strong>in</strong> accordance<br />

with the theory of existential analysis about<br />

the specificity of mental disorders with respect<br />

to the fundamental motivations.<br />

Keywords: affective disorder, Existential<br />

analysis, fundamental existential motivations,<br />

personality disorder, schizophrenia,<br />

Test for Existential <strong>Motivation</strong> (<strong>TEM</strong>)<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

Der Begriff der Grundmotivationen wurde von Alfried<br />

Längle 1993 <strong>in</strong> die Existenzanalyse e<strong>in</strong>geführt, um die tiefste<br />

<strong>Motivation</strong>sstruktur der Person <strong>in</strong> ihrem wesensmäßigen Streben<br />

nach Existenz zu beschreiben. Dadurch wurde die<br />

Frankl’sche <strong>Motivation</strong>stheorie um drei dem „Willen zum<br />

S<strong>in</strong>n“ vorangehende und ihn bed<strong>in</strong>gende <strong>Motivation</strong>en erweitert.<br />

<strong>Die</strong> Grundmotivationen stellen den theoretischen Rahmen<br />

für die existenzanalytische Nosologie dar.<br />

Der von A. Längle und P. Eckhardt im Jahr 2000 konzipierte<br />

„Test <strong>zur</strong> <strong>Existentiellen</strong> <strong>Motivation</strong>“ (<strong>TEM</strong>) versucht<br />

anhand von 56 Items diese vier existentiellen Grundmotivationen<br />

zu erfassen.<br />

<strong>Die</strong> vorliegende Arbeit versucht der Frage nachzugehen,<br />

wie sich die Ergebnisse <strong>des</strong> <strong>TEM</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>isch auffälligen<br />

Gruppe darstellen. E<strong>in</strong> Anliegen der folgenden Arbeit war,<br />

nicht so sehr die statistische Auswertung der Daten <strong>in</strong> den<br />

Mittelpunkt zu rücken, sondern mehr auf die <strong>in</strong>haltliche Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit dem Konzept der Grundmotivationen und<br />

deren therapeutische Relevanz zu achten.<br />

64 EXISTENZANALYSE 25/1/2008


EMPIRISCHE FORSCHUNG<br />

2. <strong>Die</strong> vier personal-existentiellen Grundmotivationen<br />

2.1 Grundlagen<br />

Frankl verstand das Menschse<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit von drei<br />

wesensmäßig unterschiedlichen Dimensionen:<br />

• <strong>Die</strong> somatische Dimension, die zwischen der Polarität<br />

„Funktionstüchtigkeit“ versus „gestörte Funktion“ steht.<br />

• <strong>Die</strong> psychische Dimension, die zwischen Lust und Unlust<br />

steht und gleichzeitig das B<strong>in</strong>deglied zwischen der personalen<br />

und der somatischen Ebene ist. <strong>Die</strong> Psychodynamik<br />

hat somit auch Wächterfunktion für die Existenz.<br />

• <strong>Die</strong> personal-existentielle (noetische) Dimension, die im<br />

Spannungsfeld „existentielle Erfüllung“ versus „existentielle<br />

Verzweiflung“ steht. In diesem Bereich siedelte Frankl<br />

als zentrale <strong>Motivation</strong> die Fähigkeit der S<strong>in</strong>nverwirklichung<br />

(„Wille zum S<strong>in</strong>n“) an (vgl. Frankl 1987).<br />

Erfahrungen aus der therapeutischen Praxis machten jedoch<br />

deutlich, dass das Konzept der S<strong>in</strong>nverwirklichung alle<strong>in</strong><br />

zu kurz greift. 1993 führte A. Längle daher das Konzept<br />

der personal-existentiellen Grundmotivationen <strong>in</strong> die Existenzanalyse<br />

e<strong>in</strong> und ergänzte somit die Frankl´sche <strong>Motivation</strong>stheorie<br />

um drei den „Willen zum S<strong>in</strong>n“ vorangehende<br />

und ihn bed<strong>in</strong>gende <strong>Motivation</strong>en (vgl. Längle 1994, 118):<br />

1. DASEIN-Können (Streben nach Sicherheit): Hier geht es<br />

um das Erleben von Halt, Raum und Schutz um <strong>in</strong> dieser<br />

Welt se<strong>in</strong> zu können. Induziert wird dies e<strong>in</strong>erseits durch<br />

das Angenommen-Se<strong>in</strong>, (vergleichbar dem Urvertrauen<br />

nach E. Erikson, das aber nach existenzanalytischer Auffassung<br />

durch alle späteren Beziehungserfahrungen überformt<br />

werden kann und somit e<strong>in</strong>e veränderliche Größe<br />

darstellt) und verlangt andererseits das Annehmen-Können<br />

der Bed<strong>in</strong>gungen (Grundvertrauen - GV).<br />

2. LEBEN-Mögen (Streben nach Beziehung): Hier geht es<br />

um das Fühlen von Nähe, Zuwendung und Beziehung. Induziert<br />

wird dies e<strong>in</strong>erseits durch Zuwendung und verlangt<br />

andererseits die Fähigkeit sich Wertvollem zuzuwenden<br />

(Grundwert - GW).<br />

3. SOSEIN-Dürfen (Streben nach Achtung): Es geht um das<br />

Spüren von Wertschätzung, Individualität und Abgrenzung.<br />

Induziert wird dies e<strong>in</strong>erseits durch Gesehen-Werden,<br />

Wertschätzung und Respekt durch andere und verlangt<br />

andererseits die Anerkennung <strong>des</strong> Eigenen durch sich selbst<br />

(Selbstwert - SW).<br />

Als vierte Grundmotivation wurde aus der Frankl’schen Theorie<br />

die Fähigkeit der S<strong>in</strong>nverwirklichung übernommen:<br />

4. Offense<strong>in</strong> für S<strong>in</strong>nvolles (Streben nach S<strong>in</strong>n und Erfüllung)<br />

= Wille zum S<strong>in</strong>n. Induziert wird dies e<strong>in</strong>erseits durch<br />

das Erleben von S<strong>in</strong>nzusammenhängen und verlangt<br />

andererseits e<strong>in</strong> Sich-E<strong>in</strong>lassen auf den S<strong>in</strong>nanspruch der<br />

jeweiligen Situation (S<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Lebens - SdL).<br />

Für jeden Menschen ist das Anliegen, se<strong>in</strong> Leben zum<br />

Gel<strong>in</strong>gen zu br<strong>in</strong>gen wesentlich, und damit ist er ständig mit<br />

diesen vier Grund<strong>in</strong>halten der Existenz beschäftigt, entweder<br />

um sie zu bekommen, zu verstärken, zu erneuern oder<br />

zu erhalten. <strong>Die</strong>se Grundmotivationen liegen somit allen anderen<br />

<strong>Motivation</strong>en <strong>des</strong> Menschen zugrunde:<br />

„Es gibt ke<strong>in</strong> entschiedenes Handeln, ja nicht e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong> Reagieren auf psychodynamischer Ebene, das nicht<br />

m<strong>in</strong><strong>des</strong>tens mit e<strong>in</strong>er der vier Grundmotivationen verbunden<br />

wäre. Denn immer geht es entweder um das direkte Erhalten<br />

dieser existentiellen Inhalte oder um den re<strong>in</strong>en Überlebensschutz<br />

<strong>in</strong> Form von psychodynamischen Cop<strong>in</strong>greaktionen<br />

(Abwehrreaktionen, Schutzreaktionen), die themenbezogen<br />

s<strong>in</strong>d und daher spezifisch für die jeweilige existentielle<br />

Struktur beschrieben werden können.“ (zit. n. Längle<br />

2002a, 4).<br />

<strong>Die</strong> Kenntnis der Grundmotivationen erlaubt e<strong>in</strong> besseres<br />

Verständnis der Psychodynamik, weil die Stimmungen, Affekte,<br />

Cop<strong>in</strong>greaktionen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em existentiellen Kontext gesehen<br />

werden können.<br />

2.2 <strong>Die</strong> therapeutische Relevanz der existentiellen<br />

Grundmotivationen<br />

Störungen der Grundmotivationen stellen den H<strong>in</strong>tergrund<br />

der Psychopathologie dar. Somit bilden die Grundmotivationen<br />

den theoretischen Rahmen für die existenzanalytische Nosologie.<br />

Gel<strong>in</strong>gt das Ausbilden der Grundmotivationen nicht, so<br />

führt dies zu existentiellen Mangelgefühlen, die sich bei weiterer<br />

Fixierung zu psychischen Störungen formieren (siehe<br />

Tabelle 1 auf der nächsten Seite).<br />

Im Zentrum der ersten Grundmotivation steht das „Dase<strong>in</strong>-Können“.<br />

Es ist daher wichtig für die therapeutische<br />

Arbeit dieses Können spürbar zu machen. <strong>Die</strong> Grundfrage <strong>in</strong><br />

der Therapie lautet: „Kann ich se<strong>in</strong> <strong>in</strong> dieser Welt mit ihren<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und me<strong>in</strong>er Ausstattung?“<br />

<strong>Die</strong> Themen <strong>in</strong> dieser Grundmotivation s<strong>in</strong>d Schutz-,<br />

Raum- und Halt-haben-Können. Damit ist das basalste Können<br />

angesprochen, das „Se<strong>in</strong>-Können“, das sich <strong>in</strong> zwei personal-existenzanalytischen<br />

Verarbeitungsformen ausdrückt,<br />

dem „Aushalten“ und dem „Annehmen“.<br />

In der Therapie steht die Wahrnehmung und das genaue<br />

Betrachten <strong>des</strong>sen, was ist und wie es sich auf das eigene<br />

Dase<strong>in</strong> auswirkt, im Mittelpunkt.<br />

Störungen auf dieser Ebene zeigen sich <strong>in</strong> Form von Angststörungen,<br />

Phobien, Panik, Zwängen und den psychogenen<br />

Anteilen der Schizophrenie (vgl. Tab.1).<br />

<strong>Die</strong> zweite Grundmotivation beschäftigt sich mit der<br />

Frage nach dem Wert <strong>des</strong> Lebens und den zugehörigen Themen<br />

Beziehung, Zeit und Nähe. In der therapeutischen Arbeit<br />

steht das „Fühlen“ und „Beziehung-Aufnehmen“ im Zentrum.<br />

Gerade über die therapeutische Beziehung können diese Themen<br />

erstmals reflektierend erfahren werden und e<strong>in</strong> oft notwendiger<br />

Trauerprozess e<strong>in</strong>geleitet werden.<br />

Störungen kommen hier <strong>in</strong> Form von depressiven Gefühlen,<br />

Erschöpfung und Resignation zum Ausdruck (vgl. Tab.1).<br />

In der dritten Grundmotivation steht die Frage „darf ich<br />

so se<strong>in</strong>, wie ich b<strong>in</strong>“, mit den Themen Gerechtigkeit, Ansehen<br />

und Wertschätzung im Blickfeld. <strong>Die</strong>s fordert e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong><br />

„Zu-sich-stehen-Können“ und andererseits e<strong>in</strong> „Sich-zeigen-<br />

Können“ (Intimität versus Öffentlichkeit). <strong>Die</strong> erforderliche<br />

Tätigkeit dafür ist, sich und den anderen aus etwas Distanz<br />

EXISTENZANALYSE 25/1/2008 65


perso-<br />

nales<br />

Gefühl<br />

1.GM:<br />

dase<strong>in</strong><br />

können<br />

2.GM:<br />

leben<br />

mögen<br />

3.GM:<br />

sose<strong>in</strong><br />

dürfen<br />

4.GM:<br />

handeln<br />

sollen<br />

psychisches<br />

Mangelgefühl<br />

(empfundene<br />

Not)<br />

Verunsicherung<br />

Belastung<br />

Innere Hohlheit<br />

(äußeres)<br />

Leeregefühl,<br />

Langeweile<br />

ansehen zu können (Selbstdistanzierungsfähigkeit) und die<br />

darauf aufbauende Stellungnahme (Selbstachtung und Wertschätzung).<br />

Störungen auf dieser Ebene zeigen sich <strong>in</strong> Form von Selbstverlust,<br />

Selbstentfremdung, Scham, hysterischen Entwicklungen<br />

und den meisten Persönlichkeitsstörungen (vgl.<br />

Tab.1).<br />

In der vierten Grundmotivation stehen die Themen<br />

Zusammenhang, Tätigkeitsfeld und Zukunft im Vordergrund.<br />

Sie weisen darauf h<strong>in</strong>, dass menschliches Leben immer vernetzt<br />

ist und dieses E<strong>in</strong>gebundense<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Tätigkeitsfeld eröffnet<br />

(Selbsttranszendenz). <strong>Die</strong>s verlangt <strong>in</strong> der therapeutischen<br />

Arbeit vom Klienten e<strong>in</strong> „Sich-anfragen-Lassen“ und<br />

<strong>in</strong> „Übere<strong>in</strong>stimmung-Br<strong>in</strong>gen“ mit der jeweiligen Situation.<br />

Störungen auf dieser Grundmotivationsebene äußern sich<br />

<strong>in</strong> Form von Leere-, S<strong>in</strong>nlosigkeitsgefühlen, aktivistischer<br />

S<strong>in</strong>nschaffung durch Fanatismus und Idealisierung und Abhängigkeiten<br />

wie die unterschiedlichsten Süchte (vgl. Tab.1).<br />

3. Der Test <strong>zur</strong> existentiellen <strong>Motivation</strong><br />

(<strong>TEM</strong>)<br />

Der von A. Längle und P. Eckhardt im Jahr 2000 konzipierte<br />

„Test <strong>zur</strong> <strong>Existentiellen</strong> <strong>Motivation</strong>“ (<strong>TEM</strong>) versucht<br />

die Ausprägung der vier existentiellen Grundmotivationen zu<br />

erfassen.<br />

EMPIRISCHE FORSCHUNG<br />

psychische<br />

Warnung<br />

Niedergedrücktse<strong>in</strong>,<br />

Vitalitätsverlust<br />

E<strong>in</strong>samkeit,<br />

Beleidigtse<strong>in</strong>,<br />

Kränkung, Ekel<br />

S<strong>in</strong>nzweifel,<br />

S<strong>in</strong>nleere<br />

psychische<br />

Bedrohung<br />

(=Angst)<br />

Ängstlichkeit<br />

beziehungsbezogene<br />

Erwartungsangst<br />

= Angst<br />

vor Beziehungsverlust<br />

/Verlust <strong>des</strong><br />

Lebendigse<strong>in</strong>s<br />

Selbstwertbezogene<br />

Erwartungsangst<br />

= Angst<br />

vor Ansehensverlust/vor<br />

Verlust der<br />

sozialen<br />

Integration<br />

Überflutung<br />

<strong>des</strong> Beobachtetwerdens<br />

(Paranoia)<br />

Schmerzüberflutung<br />

(die häufigsten<br />

Persönlichkeitsstörungen)<br />

Existenzbezogene<br />

Erwartungsangst<br />

=<br />

Angst vor<br />

S<strong>in</strong>nlosigkeit<br />

zunehmende<br />

psychische<br />

Erstarrung<br />

(Fixierung,<br />

neurotische<br />

Ebene)<br />

Grundangst<br />

Phobie<br />

Depression<br />

Resignation<br />

Hysterie<br />

Verletztheit<br />

existentielles<br />

Vakuum,<br />

Apathie<br />

psychische<br />

Substratänderung<br />

(Persönlichkeitsstörungen)<br />

ganzmenschliche<br />

Dekompensation<br />

(Psychosen)<br />

Unruhe,<br />

Unsicherheitsgefühl<br />

Grundangstüberflutung<br />

(ängstliche Persönlichkeitsstörung;<br />

Schizophrenie)<br />

Resignationsüberflutung<br />

(Major<br />

Depression)<br />

Verzweiflung<br />

bei ausweglosem<br />

S<strong>in</strong>nlosigkeitsgefühl<br />

(Sucht,<br />

Suizidalität)<br />

Tab. 1: <strong>Die</strong> Gefühlsketten, die sich aus der Störung der jeweiligen Grundmotivation ergeben, <strong>in</strong> Abhängigkeit von der<br />

Schwere der Störform (vgl. Längle 1994, 124).<br />

Der <strong>TEM</strong> wurde<br />

aus umfangreichen<br />

Fragebögen<br />

durch Itemreduktion<br />

nach <strong>in</strong>haltlichen<br />

und sprachlichen<br />

Gesichtspunkten<br />

entwickelt.<br />

Der so erhaltene<br />

Test be<strong>in</strong>haltet 56<br />

Items. Cronbachs<br />

Ü beträgt 0.97 (vgl.<br />

Eckhardt 2000).<br />

Der <strong>TEM</strong> zeigt<br />

ke<strong>in</strong>e Symptomatik<br />

im herkömmlichen<br />

S<strong>in</strong>n auf, sondern<br />

versucht die personalen<br />

Fähigkeiten<br />

oder auch Ressourcen<br />

e<strong>in</strong>es Menschen<br />

zu erfassen. <strong>Die</strong>ser<br />

Test gibt daher e<strong>in</strong><br />

Maß der strukturellen<br />

Verfasstheit der<br />

Person wieder.<br />

Das Mess<strong>in</strong>strument<br />

besteht aus 56<br />

Items. Jeweils 14<br />

Items bilden e<strong>in</strong>e<br />

der vier existentiellen Grundmotivationen ab. <strong>Die</strong> Items s<strong>in</strong>d<br />

gemäß e<strong>in</strong>er 6-stufigen Skala zu beantworten:<br />

AntwortmöglichkeitErgebniszahl<br />

stimmt nicht 1<br />

stimmt teilweise nicht 2<br />

stimmt eher nicht 3<br />

stimmt im Ansatz 4<br />

stimmt teilweise 5<br />

stimmt 6<br />

Bei der Auswertung <strong>des</strong> <strong>Tests</strong> wird für jede Grundmotivation<br />

e<strong>in</strong> Rohwert ermittelt, <strong>in</strong>dem die Ergebniszahlen<br />

der e<strong>in</strong>zelnen Items aufsummiert werden. E<strong>in</strong> hoher Rohwert<br />

bedeutet somit, dass diese Grundmotivation gut ausgebildet<br />

ist.<br />

4. Das Thema der Untersuchung<br />

4.1 Ziel der Untersuchung<br />

Der <strong>TEM</strong> wurde <strong>in</strong> der Studie von P. Eckhardt (2000) an<br />

1013 Personen aller Alters- und Berufsgruppen der österreichischen<br />

Bevölkerung vorgegeben (Normalbevölkerung).<br />

In der hier vorliegenden Untersuchung sollte e<strong>in</strong> erster<br />

Vergleich der Normalbevölkerung mit e<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>isch auffälligen<br />

Gruppe h<strong>in</strong>sichtlich der existentiellen Grundmotivationen<br />

durchgeführt werden. Dabei sollte auch der Frage nachge-<br />

66 EXISTENZANALYSE 25/1/2008


EMPIRISCHE FORSCHUNG<br />

gangen werden, wie sich verschiedene kl<strong>in</strong>ische Diagnosen<br />

auf die Ergebnisse <strong>des</strong> <strong>TEM</strong> auswirken.<br />

4.2 Untersuchungsablauf<br />

Am Institut für Psychotherapie und psychische Gesundheit<br />

<strong>des</strong> Psychosozialen <strong>Die</strong>nstes <strong>in</strong> Wien, wo diese Untersuchung<br />

durchgeführt wurde, werden schwerpunktmäßig Menschen<br />

mit neurotischen Störungen und Belastungsstörungen<br />

(z.B. Ängste, Panikattacken, Zwänge), sowie affektiven Störungen,<br />

Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenien und wahnhaften<br />

Erkrankungen behandelt. <strong>Die</strong> Klienten, die sich <strong>in</strong> dieser<br />

psychotherapeutischen E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er Behandlung unterziehen,<br />

können sich aufgrund ihrer f<strong>in</strong>anziellen Situation<br />

e<strong>in</strong>e Psychotherapie nicht oder nur schwer leisten. <strong>Die</strong> Klienten<br />

bef<strong>in</strong>den sich entweder <strong>in</strong> kostenloser E<strong>in</strong>zel- oder<br />

Gruppenpsychotherapie.<br />

Den Klienten wurde der <strong>TEM</strong> entweder im Rahmen ihrer<br />

Gruppenpsychotherapie oder während der E<strong>in</strong>zelpsychotherapie<br />

vorgegeben. Sie wurden ersucht möglichst spontan und<br />

ohne viel Überlegung die Testaussagen anzukreuzen. <strong>Die</strong><br />

Dauer der Bearbeitung schwankte zwischen 10 und 20 M<strong>in</strong>uten.<br />

Um die Störvariable „Soziale Erwünschtheit“ möglichst<br />

ger<strong>in</strong>g zu halten, wurden die Klienten darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass es ke<strong>in</strong>e richtigen oder falschen Antworten gibt. Man<br />

kann aber wohl davon ausgehen, dass die Störvariable „Soziale<br />

Erwünschtheit“ eher ger<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>zustufen ist, da sich die<br />

Klienten freiwillig e<strong>in</strong>er Psychotherapie unterziehen und motiviert<br />

s<strong>in</strong>d, sich über sich selbst offen zu äußern.<br />

Der <strong>TEM</strong> wurde 36 Klienten, die <strong>in</strong> psychotherapeutischer<br />

Behandlung stehen, vorgegeben.<br />

Davon befanden sich 19 Klienten <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zel- und 17 <strong>in</strong><br />

Gruppenpsychotherapie. 15 Personen waren männlichen und<br />

21 Personen weiblichen Geschlechts.<br />

<strong>Die</strong> Zugehörigkeit zu den verschiedenen Diagnosen schlüsselte<br />

sich folgendermaßen auf:<br />

Persönlichkeitsstörungen 23 Klienten<br />

Schizophrene Störungen 9 Klienten<br />

Affektive Störungen<br />

4 Klienten<br />

Bei der Erfassung der sozioökonomischen Daten ergab sich<br />

folgen<strong>des</strong> Bild bei der Beschreibung der 36 Klienten:<br />

• 9 Klienten haben e<strong>in</strong>e höhere Ausbildung (Matura bzw.<br />

Studiumsabschluss) oder studieren dzt. an e<strong>in</strong>er Universität.<br />

• 11 Klienten stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Arbeitsverhältnis oder s<strong>in</strong>d ger<strong>in</strong>gfügig<br />

beschäftigt.<br />

• 15 Klienten s<strong>in</strong>d arbeitslos.<br />

• 8 Klienten beziehen e<strong>in</strong>e befristete Pension.<br />

• 2 Klienten beziehen e<strong>in</strong>e reguläre Pension (Alterspension).<br />

Bezüglich der Variable Lebenssituation zeigt sich folgen<strong>des</strong>:<br />

• 27 Klienten leben alle<strong>in</strong>.<br />

• 4 Klienten leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Partnerschaft.<br />

• 4 Klienten leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Trennung bef<strong>in</strong>dlichen Partnerschaft.<br />

• 1 Klient ist verheiratet.<br />

15 Klienten erlitten im Laufe ihres Lebens traumatische<br />

Erlebnisse wie zum Beispiel sexuellen Missbrauch, Gewalttätigkeit,<br />

frühen Verlust der Eltern bzw. wuchsen <strong>in</strong> Waisenhäusern<br />

auf.<br />

18 Klienten leiden an e<strong>in</strong>er chronischen körperlichen Krankheit<br />

(Asthma, Lungenerkrankungen, Rücken-Bandscheibenprobleme,<br />

Krebserkrankung, Schlaganfall, T<strong>in</strong>nitus, Hauterkrankungen).<br />

<strong>Die</strong> Altersstruktur der Klienten stellt sich folgendermaßen dar:<br />

20 - 30 Jahre 7 Klienten<br />

30 - 40 Jahre 15 Klienten<br />

40 - 50 Jahre 6 Klienten<br />

50 - 60 Jahre 6 Klienten<br />

ab 60 Jahre 2 Klienten<br />

5. Auswertung der Untersuchung<br />

5.1Testergebnisse<br />

Da das Skalenniveau <strong>des</strong> <strong>TEM</strong> e<strong>in</strong>er Intervallskala entspricht,<br />

wurden Mittelwerte ermittelt. Um die Ergebnisse mit<br />

den Antwortmöglichkeiten <strong>des</strong> Fragebogens besser vergleichen<br />

zu können, wurden nicht die Rohwerte angegeben, sondern<br />

die durch die Anzahl der Items geteilten Rohwerte. Auf diese<br />

Weise entstehen vier Skalenwerte der jeweiligen Grundmotivation,<br />

die <strong>in</strong> ihrem Wertebereich den Ergebniszahlen der<br />

Items entsprechen. Damit wird erreicht, dass die Ergebnisse<br />

mit den Antwortmöglichkeiten <strong>des</strong> Fragebogens vergleichbar<br />

werden.<br />

Als besonders auffällig s<strong>in</strong>d Skalenwerte anzusehen, die<br />

kle<strong>in</strong>er bzw. gleich 3,5 s<strong>in</strong>d. <strong>Die</strong>s bedeutet nämlich, dass für<br />

die betroffene Grundmotivation hauptsächlich verne<strong>in</strong>ende<br />

Antworten zu den Items abgegeben wurden („stimmt nicht“,<br />

„stimmt teilweise nicht“, „stimmt eher nicht“).<br />

Als erstes Ergebnis fällt die große Diskrepanz der Skalenwerte<br />

der Normalbevölkerung im Vergleich zu den kl<strong>in</strong>isch<br />

auffälligen Personen auf:<br />

GV GW SW SdL<br />

Normalpopulation 4,8 5,3 4,8 5,0<br />

Kl<strong>in</strong>ische Population (n=36) 3,0 3,7 3,2 3,5<br />

<strong>Die</strong> folgende grafische Darstellung (Abb. 1 auf der nächsten<br />

Seite) zeigt den Vergleich zwischen den Skalenwerten<br />

der Normalbevölkerung und der kl<strong>in</strong>ischen Gruppe.<br />

Wenn man nun die unterschiedlichen Diagnosen betrachtet,<br />

zeigt sich, dass bei den Persönlichkeitsstörungen (n=23)<br />

sich dieser Trend fortsetzt. <strong>Die</strong> Skalenwerte beim SW s<strong>in</strong>d<br />

aber noch deutlich niedriger als bei Betrachtung der gesamten<br />

kl<strong>in</strong>ischen Gruppe:<br />

GV GW SW SdL<br />

Persönlichkeitsstörungen (n=23) 2,9 3,6 3,0 3,5<br />

Bei den schizophrenen Patienten zeigen sich <strong>in</strong> allen 4<br />

Dimensionen <strong>des</strong> <strong>TEM</strong> auffällige Werte. Besonders gravierend<br />

aber im GV:<br />

GV GW SW SdL<br />

Schizophrenie (n=9) 2,7 3,3 3,1 3,1<br />

Klienten mit e<strong>in</strong>er affektiven Störung weisen im <strong>TEM</strong><br />

EXISTENZANALYSE 25/1/2008 67


6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

4,83<br />

3<br />

5,29<br />

3,7<br />

deutlich bessere Werte auf, als die beiden anderen Diagnosegruppen.<br />

Aber es handelt sich um e<strong>in</strong>e sehr kle<strong>in</strong>e Stichprobe<br />

(bzw. vgl. Kap. 6 Interpretation der Ergebnisse).<br />

GV GW SW SdL<br />

Affektive Störung (n=4) 4,6 4,8 4,6 4,6<br />

<strong>Die</strong> folgende grafische Darstellung zeigt den Vergleich der<br />

drei Diagnosengruppen mit der Normalbevölkerung:<br />

5.2 Statistische Auswertung<br />

Bei der statistischen Auswertung wurden folgende zwei<br />

Fragestellungen untersucht:<br />

• Zeigt sich e<strong>in</strong> signifikanter Unterschied zwischen den Ergebnissen<br />

<strong>des</strong> <strong>TEM</strong> bei Personen mit psychiatrischer Diagnose<br />

und denen aus der Normalbevölkerung?<br />

• Zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den<br />

Diagnosegruppen bei den Ergebnissen <strong>des</strong> <strong>TEM</strong>?<br />

EMPIRISCHE FORSCHUNG<br />

Grundvertrauen Grundwert Selbstwert S<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Lebens<br />

Normalpopulation<br />

"<strong>TEM</strong>" - Grundmotivationen<br />

kl<strong>in</strong>ische Population (gesamt)<br />

Abb.1: Graphische Darstellung der Skalenmittelwerte der Grundmotivationen <strong>in</strong> der<br />

Normalpopulation und <strong>in</strong> der kl<strong>in</strong>ischen Population<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

4,83<br />

2,9<br />

2,7<br />

4,6<br />

5,29<br />

3,6<br />

3,3<br />

4,81<br />

3,2<br />

"<strong>TEM</strong>" - Grundmotivationen<br />

4,8 4,81<br />

Grundvertrauen Grundwert Selbstwert S<strong>in</strong>n <strong>des</strong> Lebens<br />

Normalpopulation Persönlichkeitsstörung Schizophrenie affektive Störung<br />

Abb.2: Graphische Darstellung der Skalenmittelwerte der Grundmotivationen <strong>in</strong> der Normalpopulation<br />

und <strong>in</strong> den drei Diagnosengruppen<br />

3<br />

3,1<br />

4,6<br />

5,06<br />

3,5<br />

Bezüglich der ersten Fragestellung wurden die<br />

Voraussetzungen für die <strong>Anwendung</strong> <strong>des</strong> t-Test überprüft<br />

und als gegeben angesehen (Intervallskalenniveau<br />

der Daten und Normalverteilung).<br />

In allen vier Skalenbereichen zeigten sich höchst<br />

signifikante Unterschiede bei p


EMPIRISCHE FORSCHUNG<br />

die Ergebnisse positiv bee<strong>in</strong>flusst wurden. Außerdem ist die<br />

Aussagekraft der Daten, durch die Kle<strong>in</strong>heit der Stichprobe<br />

e<strong>in</strong>geschränkt.<br />

Weiters ist zu bedenken, dass es sich bei der kl<strong>in</strong>ischen<br />

Gruppe großteils um Menschen <strong>in</strong> schwierigen wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen handelt. Viele von ihnen s<strong>in</strong>d Notstandshilfebezieher,<br />

arbeitslos oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er befristeten Pension. Auch<br />

mangelnde körperliche Gesundheit ist für diese Patienten bezeichnend.<br />

E<strong>in</strong> großer Prozentsatz von ihnen leidet an chronischen<br />

körperlichen Erkrankungen. Auch Erfahrungen h<strong>in</strong>sichtlich<br />

<strong>des</strong> eigenen Könnens und eigener Fähigkeiten (Arbeitsverlust,<br />

Schul- und Studiumsabbrüche) s<strong>in</strong>d ebenfalls nur selten<br />

vorhanden. Schwierige, traumatisierende Familienverhältnisse<br />

wie z.B. Gewalt- und Missbrauchserfahrungen prägen<br />

außerdem das Bild dieser kl<strong>in</strong>ischen Gruppe (siehe Kap. 4.3).<br />

All diese Faktoren haben e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf alle vier Grundmotivationen.<br />

Vielleicht müssen wir <strong>zur</strong> Kenntnis nehmen, dass psychische<br />

Störungen mit diesem Schweregrad immer auf verschiedenen<br />

Ebenen sichtbar werden (Komorbidität) und e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige<br />

Zuordnung auf e<strong>in</strong>e Diagnose nicht der Wirklichkeit entspricht.<br />

So stellt gerade die Patientengruppe der Persönlichkeitsstörungen<br />

e<strong>in</strong>e sehr <strong>in</strong>homogene Gruppe dar.<br />

In der therapeutischen Arbeit müssen daher alle vier Grundmotivationen<br />

thematisiert werden. Längle (2002b) me<strong>in</strong>t, dass<br />

e<strong>in</strong> wesentlicher E<strong>in</strong>fluss psychotherapeutischer Wirkung auch<br />

über die Vermittlung von Wirk<strong>in</strong>halten zum Tragen kommt,<br />

wie sie sich <strong>in</strong> der zugrunde liegenden Anthropologie, dem<br />

Weltverständnis der Methode und <strong>des</strong> Therapeuten äußert.<br />

Nicht alle<strong>in</strong> die therapeutische Beziehung, das Sett<strong>in</strong>g, die Offenheit<br />

und Reife <strong>des</strong> Patienten (=Wirk<strong>in</strong>strumente, Wirkbed<strong>in</strong>gungen)<br />

s<strong>in</strong>d für den Therapieerfolg wichtig, sondern<br />

auch das F<strong>in</strong>den von haltgebenden Gedanken und bewegenden<br />

Werten (vgl. Längle 2002, 5).<br />

7. Zusammenfassung<br />

<strong>Die</strong> hier vorliegende Studie ist als e<strong>in</strong>e Pilotstudie anzusehen.<br />

Weitere Untersuchungen müssten folgen, um genauere<br />

E<strong>in</strong>blicke zu erhalten. E<strong>in</strong> wesentliches Ziel der Untersuchung<br />

war es festzustellen, wie sich die vier existentiellen Grundmotivationen<br />

(Grundvertrauen, Grundwert, Selbstwert, S<strong>in</strong>n<br />

<strong>des</strong> Lebens) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>isch auffälligen Gruppe darstellen.<br />

<strong>Die</strong> Grundmotivationen s<strong>in</strong>d im existenzanalytischen Verständnis<br />

die strukturgebenden Bauste<strong>in</strong>e, auf der Existenz aufgebaut<br />

werden kann und wo <strong>in</strong> der existenzanalytischen Therapie<br />

versucht wird e<strong>in</strong>e Stabilisierung <strong>in</strong> diesen Themenbereichen<br />

zu erarbeiten. <strong>Die</strong> Grundmotivationen s<strong>in</strong>d somit e<strong>in</strong><br />

Kernstück der <strong>Motivation</strong>slehre und <strong>des</strong> Existenzverständnisses,<br />

aber auch zentral für das Verständnis psychischer Störungen.<br />

Für die Untersuchung wurde der „Test <strong>zur</strong> <strong>Existentiellen</strong><br />

<strong>Motivation</strong>“ (<strong>TEM</strong>), entwickelt von A. Längle und P. Eckhardt,<br />

als Mess<strong>in</strong>strument e<strong>in</strong>gesetzt. Er besteht aus 56 Items, wobei<br />

jeweils 14 Items e<strong>in</strong>e der vier personalen-existentiellen<br />

Grundmotivationen abbilden.<br />

In der vorliegenden Studie konnte die existenzanalytische<br />

Theorie der Grundmotivationen und ihr E<strong>in</strong>fluss auf die entsprechenden<br />

Diagnosen zum Teil bestätigt werden. So zeigte<br />

die schizophrene Patientengruppe besonders deutliche Defizite<br />

<strong>in</strong> der ersten Grundmotivation und die Persönlichkeitsstörungen<br />

<strong>in</strong> der ersten und dritten Grundmotivation. <strong>Die</strong>s<br />

konnte bei den affektiven Störungen nicht festgestellt werden,<br />

doch muss hier e<strong>in</strong>schränkend h<strong>in</strong>zugefügt werden, dass die<br />

lange Therapieerfahrung dieser Klienten e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die<br />

Ergebnisse haben könnte.<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die untersuchte<br />

kl<strong>in</strong>ische Gruppe <strong>in</strong> allen vier existentiellen Grundmotivationen<br />

deutlich niedrigere Werte aufweist als die Normalbevölkerung.<br />

Alle vier Grundmotivationen s<strong>in</strong>d defizitär ausgebildet<br />

und folglich <strong>in</strong> der therapeutischen Arbeit ganz wesentlich<br />

zu bearbeiten. Das könnte e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der engen<br />

Verwobenheit der Grundmotivationen liegen und andererseits<br />

<strong>in</strong> der Komorbidität der Diagnosen begründet se<strong>in</strong> (z.B. <strong>in</strong>homogene<br />

Gruppe der Persönlichkeitsstörungen).<br />

Es wurde <strong>in</strong> der vorliegenden Studie allerd<strong>in</strong>gs auch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong><br />

mehrfacher H<strong>in</strong>sicht benachteiligte Patientengruppe untersucht<br />

(schwierige Familienverhältnisse, niedriger ökonomischer Status,<br />

schlechte gesundheitliche Voraussetzungen, mangelhafte<br />

Ausbildung, etc.). Auch diese Umstände haben e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss<br />

auf alle vier Grundmotivationen.<br />

Weiterführende Studien mit größeren Stichproben und unter<br />

Berücksichtigung von Therapieerfahrungen sowie unter<br />

E<strong>in</strong>beziehung sozioökonomischer Daten wären von Interesse.<br />

Literatur<br />

Eckhardt P (2000) Skalen <strong>zur</strong> Erfassung von existentieller <strong>Motivation</strong>,<br />

Selbstwert und S<strong>in</strong>nerleben. Unveröffentlichte Dissertation,<br />

Universität Wien<br />

Frankl V(1987) Logotherapie und Existenzanalyse. München: Piper<br />

Längle A (1994) Psychodynamik – die schützende Kraft der Seele.<br />

Verständnis und Therapie aus existenzanalytischer Sicht. In<br />

Längle A (Hrsg) Emotion und Existenz. Wien: GLE-Verlag<br />

Längle A (2001) Lehrbuch der Existenzanalyse (Logotherapie). I.Teil:<br />

Grundlagen. Wien: GLE-Verlag<br />

Längle A (2002a) <strong>Die</strong> Grundmotivationen menschlicher Existenz als<br />

Wirkstruktur existenzanalytischer Psychotherapie. In: Psychiatrica<br />

Fundamenta,16,1-8<br />

Längle A (2002b) Lehrbuch der Existenzanalyse (Logotherapie). 3.Teil:<br />

Zweite Grundmotivation. Wien: GLE-Verlag<br />

Längle A (2004) Lehrbuchentwurf der Existenzanalyse (Logotherapie).<br />

II.Teil: <strong>Die</strong> Grundbed<strong>in</strong>gungen der Existenz: Se<strong>in</strong>-Können <strong>in</strong> der<br />

Welt oder <strong>Die</strong> 1. Grundmotivation. Arbeitsmanuskript. Wien:<br />

GLE-Verlag<br />

Längle A (2006) Lernskriptum <strong>zur</strong> Existenzanalyse (Logotherapie).<br />

Dritte Grundmotivation. Wien: GLE-Verlag<br />

Anschrift der Verfasser<strong>in</strong>:<br />

Mag. Dr. Daniela Grabner<br />

Göllnergasse 2-4/2/20<br />

1030 Wien<br />

daniela.grabner@existenzanalyse.org<br />

EXISTENZANALYSE 25/1/2008 69

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