24.11.2013 Aufrufe

"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

über die „Endlösung <strong>der</strong> Judenfrage 44<br />

als auch in ihrer Argumentation über<br />

die Konzentrationslager sucht sie s<strong>ich</strong> diesem Thema <strong>zu</strong> entziehen. Sie scheut<br />

s<strong>ich</strong>, das eigentl<strong>ich</strong> Bedrückende beim Namen <strong>zu</strong> nennen. Um so überraschen<strong>der</strong><br />

ist, daß sie später dieses Thema von s<strong>ich</strong> aus noch einmal <strong>zu</strong>r Sprache<br />

bringt. Frau Heidt schneidet das Thema <strong>der</strong> nationalsozialistischen Verfolgung<br />

und Ermordung jüdischer Mitbürger nach einer relativ langen Pause<br />

scheinbar unver<strong>mit</strong>telt an. Es steht aber im Kontext einer Passage, in <strong>der</strong> es um<br />

ihren Aufenthalt im Schulungslager in Holstein ging, von dem schon oben die<br />

Rede war und in dem sie jenen Aufsatz über die „Endlösung <strong>der</strong> Judenfrage"<br />

schreiben mußte. Es entsteht <strong>der</strong> Eindruck, daß <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Thematisierung <strong>der</strong><br />

politischen Schulung s<strong>ich</strong> ihr auch die Frage nach dem Schicksal <strong>der</strong> jüdischen<br />

Bevölkerung aufdrängt. Frau Heidt we<strong>ich</strong>t also dem Thema <strong>der</strong> Verfolgung<br />

und Vern<strong>ich</strong>tung jüdischer Menschen n<strong>ich</strong>t vollständig aus — es steht für<br />

sie jedoch n<strong>ich</strong>t im Zusammenhang ihres damaligen Wissens über die Konzentrationslager,<br />

die sie als gerechte Strafe für Verräter für gerechtfertigt gehalten<br />

<strong>hatte</strong>:<br />

„(7) und, vielle<strong>ich</strong>t noch, äh, auch ein Thema, unerfreul<strong>ich</strong>, aber, aktuell in <strong>der</strong> Zeit und s<strong>ich</strong>er<br />

auch, wollen Sie da gerne was, von wissen die Juden ((Wechsel <strong>der</strong> Cassettenseite» ... auf <strong>der</strong><br />

Straße diese äh Menschen die da <strong>mit</strong> dem Judenstern warn, die sahn fürchterl<strong>ich</strong> kümmerl<strong>ich</strong> aus<br />

(1) einmal, sahn die alle so, zerlumpt aus man, 1- laß 1- ließ ihnen wohl: n<strong>ich</strong>ts an<strong>der</strong>es, äh das war<br />

ja Abs<strong>ich</strong>t da<strong>mit</strong> die also sollten einen einen, verabscheuenswürdigen Eindruck machen wahrscheinl<strong>ich</strong><br />

und, sie warn furchtbar, scheu (1) näh, und, das war etwas, was <strong>ich</strong> als Kind n<strong>ich</strong>, verstanden<br />

habe, o<strong>der</strong> als Jugendl<strong>ich</strong>er, wo <strong>ich</strong> auch, m<strong>ich</strong>, n<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>zu</strong> Ende auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />

habe, (2) was <strong>ich</strong>, schreckl<strong>ich</strong> fand, was mir, sehr unangenehm war und man vermied, die Leute,<br />

<strong>zu</strong> sehn, an<strong>zu</strong>sehn, o<strong>der</strong> ihnen <strong>zu</strong> begegnen (2) äh, man fühlte s<strong>ich</strong> fürchterl<strong>ich</strong> unbehagl<strong>ich</strong> (2)'*<br />

(45/38)<br />

Frau Heidt s<strong>ich</strong>ert s<strong>ich</strong> <strong>zu</strong>nächst ab, ob die Interviewerinnen etwas über das<br />

Thema <strong>der</strong> Judenverfolgung wissen wollen. Für sie ist es ein unerfreul<strong>ich</strong>es<br />

Thema, ein Thema unter an<strong>der</strong>en zwar, die in jener Zeit aktuell waren, ein<br />

Thema aber, über das sie auch heute nur ungern redet. Ihre Erinnerung, so<br />

spüren wir, ist getragen von dem Gefühl des Peinl<strong>ich</strong>en, ihre Sprechweise ist<br />

stockend. Selbst heute empfindet sie noch das Abgestoßensein und das Unbehagen,<br />

das sie damals bei <strong>der</strong> Begegnung <strong>mit</strong> diesen <strong>zu</strong> gesellschaftl<strong>ich</strong>en Außenseitern<br />

gestempelten Menschen empfand. Sie ist noch von ihrem damaligen<br />

Empfinden als junge JM-Führerin beherrscht, für die diese Menschen<br />

n<strong>ich</strong>t den an Sportl<strong>ich</strong>keit und Vitalität orientierten Kriterien eines attraktiven<br />

Äußeren entsprachen. Heute erklärt sie s<strong>ich</strong> das scheue Auftreten und das ärml<strong>ich</strong>e<br />

Äußere dieser Menschen als bewußte Strategie <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Machthaber, um die jüdischen Bürger <strong>zu</strong> verunglimpfen: „man, 1- laß-1- ließ<br />

ihnen wohl n<strong>ich</strong>ts an<strong>der</strong>es". Doch ist sie s<strong>ich</strong> immer noch uns<strong>ich</strong>er, wie sie dieses<br />

„unerfreul<strong>ich</strong>e" Thema beurteilen soll. Hier drängt s<strong>ich</strong> die Frage auf, wie<br />

Anneliese Heidt im Gespräch <strong>mit</strong> uns <strong>mit</strong> dem weiteren Schicksal <strong>der</strong> jüdischen<br />

Bevölkerung umgeht. Sie setzt ihre Argumentation fort:<br />

95

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!