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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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2.3.6 „Wir haben uns n<strong>ich</strong>t da<strong>mit</strong> auseinan<strong>der</strong>gesetzt"<br />

Im Herbst desselben Jahres begleitete sie, wie schon erwähnt, als JM-Führerin<br />

eine Volksschulklasse in die Kin<strong>der</strong>landverschickung an den Bodensee.<br />

Sie erinnert s<strong>ich</strong>, aus Angst vor einer erneuten Trennung von <strong>der</strong> Familie und<br />

vor <strong>der</strong> neuen Aufgabe krank geworden <strong>zu</strong> sein. Die Mutter habe sie durch<br />

Vorsprechen beim „Bann* 4<br />

von dieser lästigen Pfl<strong>ich</strong>t befreien lassen wollen,<br />

doch die HJ-Führung bestand auf Gehorsam.<br />

Lebhaft und ausführl<strong>ich</strong> erzählt Frau Heidt über ihre Odyssee <strong>zu</strong>m Bestimmungsort<br />

und über ihre eigenmächtige Entscheidung, während <strong>der</strong> Erntezeit<br />

den HJ-Dienst ausfallen und die bei den bäuerl<strong>ich</strong>en Familien <strong>der</strong> Umgebung<br />

einquartierten Mädchen bei <strong>der</strong> Kartoffelernte helfen <strong>zu</strong> lassen. Sie selbst ging<br />

in dieser Zeit <strong>zu</strong>r Schule in die nahe gelegene Kreisstadt. In <strong>der</strong> Vorweihnachtszeit<br />

mußte sie <strong>mit</strong> den ihr anvertrauten Mädchen Spielzeug für das Winterhilfswerk<br />

basteln. Weil Werkzeug fehlte, sägte sie ganz allein Dutzende von<br />

Figuren <strong>mit</strong> <strong>der</strong> einzig vorhandenen Laubsäge aus. Später stellte s<strong>ich</strong> dann<br />

heraus, daß sie die einzige <strong>der</strong> Führerinnen war, die ihr Soll erfüllt <strong>hatte</strong>:<br />

„kein Mensch <strong>hatte</strong> daran gedacht bloß <strong>ich</strong> war so blöd und hab gedacht das wird von dir verlangt<br />

also mußt du es auch machen, und das is auch ganz beze<strong>ich</strong>nend eigentl<strong>ich</strong>, dieses, was uns<br />

so eingeimpft worden is, weiß n<strong>ich</strong> ob das nun, auch von <strong>zu</strong> Hause ode:r durch diese Dienstzeit,<br />

ein, Befe:hl, wurde ausgeführt (1) daß ein Befehl mal n<strong>ich</strong>t ausgeführt wurde, das <strong>hatte</strong> a, Konsequenzen,<br />

meistens, o<strong>der</strong> ((Räuspern)) man mußte das <strong>mit</strong> irgendwelchen Tricks, versuchen so,<br />

daß das n<strong>ich</strong> raus<strong>kam</strong>, äh außerdem, das tat man einfach n<strong>ich</strong>, es, gehörte s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>" (10/9)<br />

Anneliese Heidt <strong>hatte</strong> eine ausgeprägte Autoritätsorientierung ausgebildet,<br />

die sie selbst auf ihre Sozialisation im soldatischen Milieu des Elternhauses,<br />

aber auch auf den Gehorsamsdrill bei <strong>der</strong> HJ <strong>zu</strong>rückführt. Das Sozialisationsmilieu<br />

ihres Elternhauses charakterisiert sie als durch die Maxime „Pfl<strong>ich</strong>terfüllung"<br />

geprägt. Aufgewachsen <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Vorstellung, Pfl<strong>ich</strong>terfüllung und Befehlsgehorsam<br />

seien oberstes Gebot, war Anneliese Heidt offener Wi<strong>der</strong>stand<br />

unmögl<strong>ich</strong>. Einen Befehl verweigern, „das tat man einfach n<strong>ich</strong>". Hinter dieser<br />

Erklärung steht das Eingeständnis eigener Autoritäts- und Befehlsfixierung.<br />

In dem Gespräch <strong>mit</strong> uns scheint sie diesen latenten Bedeutungsgehalt<br />

ihrer Argumentation <strong>zu</strong> erkennen, denn sie versucht — im Anschluß an die<br />

vorhergehende Textpassage — den Befehlgehorsam <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Erklärung <strong>zu</strong><br />

rechtfertigen, daß Befehlsverweigerung im sog. Dritten Re<strong>ich</strong> harte Sanktionen<br />

nach s<strong>ich</strong> zog. So habe <strong>der</strong> Vater einer Schul<strong>kam</strong>eradin, ein Wehrmachtsoffizier,<br />

seine Tochter wegen ihrer schlechten Unterbringung aus <strong>der</strong> KLV<br />

nach Hause geholt. Dieses eigenmächtige Handeln habe ihm ein <strong>Krieg</strong>sger<strong>ich</strong>tsverfahren<br />

eingetragen.<br />

Während <strong>der</strong> Sommerferien 1944 nahm Anneliese Heidt gemeinsam <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Abiturienten an einem politischen Schulungslager in Holstein teil. Welche<br />

Funktion diese Schulung <strong>hatte</strong>, ob sie da<strong>mit</strong> vielle<strong>ich</strong>t <strong>zu</strong>r hauptamtl<strong>ich</strong>en<br />

JM-Führerin ausgebildet werden sollte, bleibt im Interview unklar. Nach Frau<br />

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