"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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draußen bleiben müssen, rechtfertigt sie ihre Hast. Im Bunker hatten bald alle ihre Stammplätze, man saß unbequem, dicht an dicht auf schmalen Holzbänken, und vom Sitzen schwollen die Beine an. Um den Aufenthalt im Bunker überhaupt erträglich zu machen, mußten zwei Männer einen Notstromgenerator bedienen, der für Licht und Belüftung sorgte. Man wartete oder versuchte, die Zeit mit Schlafen oder Lesen totzuschlagen. Endlich kam über Funk die Nachricht über die Lage der alliierten Verbände: „und wenn es dann kam, über Drahtfunk die Meldung, wo die, feindlichen Verbände standen, denn hieß es, größere Verbände über der Nordsee, und denn, Wesermündung Richtung Süden denn wußten wir, in, absehbarer Zeit also sind wir dran, ... und dann ging das also schon los daß man dieses Angstgefühl in der Magengrube hatte denn (1) war einem ganz schlecht vor Angst nich (1) und ahm, diese, wenn dann noch irgendwie son Ding, Luftmine oder was auf den Bunker prallte,... das is ganz furchtbar, wenn da in der, Nähe was runterkommt äh i- ich hab dann immer außen an der, Wand gesessen, kricht man einen SCHLAG von diesen, von dieser Betonwand in η Rücken, wie wie mit so ner Faust (1) und dieser Krach und und das, das is unbeschreiblich nich, diese Angriffe, warn, furchtbar schlimm, und ich habe, wirkliche Todesängste da ausgestanden" (5/42) Die Eingeschlossenen konnten schon aufgrund der Lage der gegnerischen Luftwaffenverbände sagen, ob sie dieses Mal „dran" sein oder verschont werden würden. Anneliese wurde bei einem näherkommenden Angriff immer „schlecht vor Angst", die Angst ergriff von ihrem Körper Besitz. Wenn dann die Geschosse auf die Bunker prallten oder in der Nähe niedergingen, stand sie Todesängste aus, fühlte sich wehrlos ausgeliefert. An anderer Stelle schildert sie ihre Erinnerungen an die Bombenangriffe so plastisch, daß sie fast körperlich erfahrbar werden: „und das Schlimmste is ja, dieses Heulen, /wwwww ((ahmt das Geräusch nach)), und dann diese, der Einschlag, mit diesem, das geht ja, diese diese, Be- diese Wellen, die die spürn Sie ja körperlich, nich nur hörn, Sie spürn es am ganzen Kör- das wackelt ja alles, das kommt durch die Erde, wieder in sie hinein un denn, aber, kaum is dieses, dann mit einem fürchterlichen Getöse natürlich, die, Häuser zusammenfallen und und denn das, Pfeifen, und dieses Durchgeschütteltwerden, das war so schrecklich, da haben wir hat man so gesessen wie den Kopf un so und, unter den, Arm, und ne ne Decke übern Kopf, und denn, falls das so einstürzen würde, daß man vielleicht noch, son bißchen Schutz durch ne Decke hatte daß man dann sich wieder η bißchen ausbuddeln könnte daß man nich gleich den Schutt im Mund hatte (1) das war, sehr schlimm" (32 / 27) Diese Darstellung erinnert an Naturgewalten, denen man — ebenso wie den Bomben — wehrlos und hilflos ausgeliefert ist. Gegen die Gefährdung für Leib und Leben, die von den Bomben ausging, konnte man sich kaum schützen. Anneliese Heidt zog sich die Decke über den Kopf — eine hilflose Geste des Schutzsuchens, die bei einem Treffer wohl kaum eine große Wirkung gehabt hätte. Doch kann dieses Deckung-Suchen als Metapher für die Ohnmacht gelesen werden, mit der Anneliese dem Bombenterror ausgeliefert war. War dann der Angriff vorbei und kam die Entwarnung, „mußte man erst mal sehen, ob man sein Haus noch wiederfand, ob das noch stand". Langsam erwachte auch der Leib wieder aus seiner Starre: 90

„und denn wurde erst mal der Rucksack aufgeschnürt und unsere eiserne Verpflegung eine Mettwurst, oder, was man so hatte, un denn, wurde da was abgeschnitten und denn, aß man das erst man hatte ja Hunger nich" (32/23) Anneliese Heidt lebte in ständiger Angst vor neuerlichen Angriffen und konnte ihre Todesangst nicht unterdrücken. Dennoch gibt es für sie — zumindest in der Retrospektive — auch positive Momente. Frau Heidt erinnert sich an das Solidaritätsgefühl, das zwischen denen entstand, die gemeinsam in dieser bedrohlichen Situation zu überleben suchten. Man unterstützte sich wechselseitig beim Löschen der brennenden Häuser und half sich mit dem Nötigsten aus. In dieser Situation konzentrierte sich Anneliese völlig auf das Überleben: „ich (1) war viel zu sehr in diesem aktuellen Geschehen drin daß ich an, an weiter gar nicht dachte ich dachte bloß ans Leben-Bleiben, und es war mir eigentlich auch ganz egal, wie der Krieg zu Ende ging, es kam nur drauf an, daß man, überlebte und das war also das Hauptziel in der ganzen Zeit, Überleben, und da:, gibts ja ne Menge Tricks, die man sehr / schnell ((lachend)) lernt, schnell sein und und, hören, wenn die Granaten kommen oder sowas" (6/47) Während die Bombenangriffe auf Bremen unvermindert fortgesetzt wurden, nahm die 15jährige als Schülerin gemeinsam mit ihren Klassenkameradinnen vom Herbst 1942 bis zum Frühjahr 1943 an einer Kinderlandverschickung nach Thüringen teil. Zwar entkam sie damit der Bedrohung durch die Bombenangriffe, doch hatte sie großes Heimweh nach ihrer Familie. Obwohl sie schwer erkrankte, wurde ihr eine vorzeitige Rückkehr nicht erlaubt. Sie meint, sie habe damals gelernt, in Situationen zurechtzukommen, „auch wenn sie einem nicht passen". Im Frühjahr 1943 kehrte sie nach Bremen zurück. Frau Heidt erinnert sich, daß in diesem Frühjahr, nach der deutschen Niederlage in Stalingrad im Januar 1943, in der Bevölkerung erste Zweifel an einem deutschen Sieg laut wurden. Sie selbst habe aber die Möglichkeit einer deutschen Niederlage nicht wahrhaben wollen: B: „ich glaube ich wollte das nich wissen daß es auch schiefgehn konnte oder oder, daß wir also, wirklich am Verliern warn, da war ja immer noch dieses Geschwafel von der Wunderwaffe nich, Raketen, hm, un denn war ja auch I: mhm B: da ... die, V2 die nach England schoß, die das konnte man ja sehn am Himmel nich, und denn hieß es ja vielfach ja das is der Anfang aber was da noch geheim: dahinter is und so weiter, JA, IRGENDWIE HAT diese Propaganda, äh, Gott eben uns ((lacht)) äh unbedarften Gemütern auch Wurzel geschlagen, und wir harn das ein bißchen verdrängt, jedenfalls, ich- also ich Sprech jetzt von mir nich von wir" (40/25) Die heranwachsende Anneliese vertraute damals so auf die Propaganda, daß sie der Möglichkeit einer deutschen Niederlage nicht ins Auge sehen konnte. Sie wünschte sich also trotz ihrer Todesängste nicht ein Kriegsende um jeden Preis; die Möglichkeit einer deutschen Niederlage blendete sie aus ihrer Wahrnehmung aus. 91

„und denn wurde erst mal <strong>der</strong> Rucksack aufgeschnürt und unsere eiserne Verpflegung eine<br />

Mettwurst, o<strong>der</strong>, was man so <strong>hatte</strong>, un denn, wurde da was abgeschnitten und denn, aß man das<br />

erst man <strong>hatte</strong> ja Hunger n<strong>ich</strong>" (32/23)<br />

Anneliese Heidt lebte in ständiger Angst vor neuerl<strong>ich</strong>en Angriffen und<br />

konnte ihre Todesangst n<strong>ich</strong>t unterdrücken. Dennoch gibt es für sie — <strong>zu</strong>mindest<br />

in <strong>der</strong> Retrospektive — auch positive Momente. Frau Heidt erinnert s<strong>ich</strong><br />

an das Solidaritätsgefühl, das zwischen denen entstand, die gemeinsam in dieser<br />

bedrohl<strong>ich</strong>en Situation <strong>zu</strong> überleben suchten. Man unterstützte s<strong>ich</strong> wechselseitig<br />

beim Löschen <strong>der</strong> brennenden Häuser und half s<strong>ich</strong> <strong>mit</strong> dem Nötigsten<br />

aus.<br />

In dieser Situation konzentrierte s<strong>ich</strong> Anneliese völlig auf das Überleben:<br />

„<strong>ich</strong> (1) war viel <strong>zu</strong> sehr in diesem aktuellen Geschehen drin daß <strong>ich</strong> an, an weiter gar n<strong>ich</strong>t<br />

dachte <strong>ich</strong> dachte bloß ans Leben-Bleiben, und es war mir eigentl<strong>ich</strong> auch ganz egal, wie <strong>der</strong><br />

<strong>Krieg</strong> <strong>zu</strong> Ende ging, es <strong>kam</strong> nur drauf an, daß man, überlebte und das war also das Hauptziel in<br />

<strong>der</strong> ganzen Zeit, Überleben, und da:, gibts ja ne Menge Tricks, die man sehr / schnell ((lachend))<br />

lernt, schnell sein und und, hören, wenn die Granaten kommen o<strong>der</strong> sowas" (6/47)<br />

Während die Bombenangriffe auf Bremen unvermin<strong>der</strong>t fortgesetzt wurden,<br />

nahm die 15jährige als Schülerin gemeinsam <strong>mit</strong> ihren Klassen<strong>kam</strong>eradinnen<br />

vom Herbst 1942 bis <strong>zu</strong>m Frühjahr 1943 an einer Kin<strong>der</strong>landverschickung<br />

nach Thüringen teil. Zwar ent<strong>kam</strong> sie da<strong>mit</strong> <strong>der</strong> Bedrohung durch<br />

die Bombenangriffe, doch <strong>hatte</strong> sie großes Heimweh nach ihrer Familie. Obwohl<br />

sie schwer erkrankte, wurde ihr eine vorzeitige Rückkehr n<strong>ich</strong>t erlaubt.<br />

Sie meint, sie habe damals gelernt, in Situationen <strong>zu</strong>recht<strong>zu</strong>kommen, „auch<br />

wenn sie einem n<strong>ich</strong>t passen". Im Frühjahr 1943 kehrte sie nach Bremen <strong>zu</strong>rück.<br />

Frau Heidt erinnert s<strong>ich</strong>, daß in diesem Frühjahr, nach <strong>der</strong> deutschen Nie<strong>der</strong>lage<br />

in Stalingrad im Januar 1943, in <strong>der</strong> Bevölkerung erste Zweifel an einem<br />

deutschen Sieg laut wurden. Sie selbst habe aber die Mögl<strong>ich</strong>keit einer<br />

deutschen Nie<strong>der</strong>lage n<strong>ich</strong>t wahrhaben wollen:<br />

B: „<strong>ich</strong> glaube <strong>ich</strong> wollte das n<strong>ich</strong> wissen daß es auch schiefgehn konnte o<strong>der</strong> o<strong>der</strong>, daß wir also,<br />

wirkl<strong>ich</strong> am Verliern warn, da war ja immer noch dieses Geschwafel von <strong>der</strong> Wun<strong>der</strong>waffe<br />

n<strong>ich</strong>, Raketen, hm, un denn war ja auch<br />

I: mhm<br />

B: da ... die, V2 die nach England schoß, die das konnte man ja sehn am Himmel n<strong>ich</strong>, und denn<br />

hieß es ja vielfach ja das is <strong>der</strong> Anfang aber was da noch geheim: dahinter is und so weiter,<br />

JA, IRGENDWIE HAT diese Propaganda, äh, Gott eben uns ((lacht)) äh unbedarften Gemütern<br />

auch Wurzel geschlagen, und wir harn das ein bißchen verdrängt, jedenfalls, <strong>ich</strong>- also <strong>ich</strong><br />

Sprech jetzt von mir n<strong>ich</strong> von wir" (40/25)<br />

Die heranwachsende Anneliese vertraute damals so auf die Propaganda,<br />

daß sie <strong>der</strong> Mögl<strong>ich</strong>keit einer deutschen Nie<strong>der</strong>lage n<strong>ich</strong>t ins Auge sehen<br />

konnte. Sie wünschte s<strong>ich</strong> also trotz ihrer Todesängste n<strong>ich</strong>t ein <strong>Krieg</strong>sende<br />

um jeden Preis; die Mögl<strong>ich</strong>keit einer deutschen Nie<strong>der</strong>lage blendete sie aus<br />

ihrer Wahrnehmung aus.<br />

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