"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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Ohne die Erlaubnis ihrer Eltern streifte Anneliese dann neugierig durch die<br />
Stadt, um <strong>zu</strong> sehen, was passiert war. Der Erkundungsgang ließ sie die gesamte<br />
Bedrohung und das Grauen dieser Bombenangriffe erfahren. Diese Erlebnisse<br />
hätten ihr, so erzählt Frau Heidt heute, einen Schock versetzt. Auf<br />
Nachfrage <strong>der</strong> Interviewerinnen versucht Frau Heidt, die Situation und das<br />
Schockerlebnis <strong>zu</strong> schil<strong>der</strong>n:<br />
„da, bin <strong>ich</strong> in einen Stadtteil gekommen wo also sehr viel los war, wo ganze, Häuserzeilen (1)<br />
teilweise weg, unter so nem Schutthaufen o<strong>der</strong>, und NOCH BRANNTEN, bis unten hin und bloß<br />
diese, rauchgeschwärzten, Mauern da standen die Leute da:, noch versuchten was <strong>zu</strong>, kriegen<br />
o<strong>der</strong> löschen o<strong>der</strong> weiß <strong>ich</strong> was, und denn, das das riecht dann ja so, dieses, dieser, Geruch nach,<br />
<strong>zu</strong>sammenstürzendem Mauerwerk diese nach diesem Mörtel, und dieser, Brandgeruch, und die,<br />
nachher wenn das kalt is, nach dem kalten Brand, das is, auch etwas ganz, äh hat s<strong>ich</strong> sehr eingeprägt<br />
so etwas (1) und als <strong>ich</strong> das Gewirr da gesehn, als <strong>ich</strong> das gesehn hab und denn wie<strong>der</strong> nach<br />
Hause <strong>kam</strong>, da, war <strong>ich</strong> so fix und fertig da könnt <strong>ich</strong> gar n<strong>ich</strong>ts sagen da konnten die erst gar n<strong>ich</strong><br />
rauskriegen was eigentl<strong>ich</strong> los war, und denn könnt <strong>ich</strong> abends nix <strong>mehr</strong> essen (3) ja und dann haben,<br />
die m<strong>ich</strong> gefragt und so weiter da hab <strong>ich</strong> denn, angefangen <strong>zu</strong> heulen (1) und <strong>mehr</strong> war <strong>mehr</strong><br />
könnt <strong>ich</strong> da n<strong>ich</strong>" (36/35)<br />
Anneliese Heidts Schil<strong>der</strong>ung dieses Angriffs läßt ihre Eindrücke von damals<br />
wie<strong>der</strong> erwachen und fast sinnl<strong>ich</strong> erfahrbar werden: es ist <strong>der</strong> Geruch<br />
nach Mörtel und Staub, nach Flammen und endl<strong>ich</strong> nach erkaltendem Brand.<br />
Noch heute läßt die Erinnerung an diesen Angriff sie schließl<strong>ich</strong> verstummen,<br />
wenn sie s<strong>ich</strong> an die Situation, an „das Gewirr da' 4<br />
erinnert. Das eigentl<strong>ich</strong><br />
Traumatische kann sie bis heute n<strong>ich</strong>t erzählen, die Erinnerung macht sie —<br />
wie damals — sprachlos.<br />
Dieses Erlebnis kann als Wendepunkt in Anneliese Heidts <strong>Krieg</strong>serfahrung<br />
gelten: Der <strong>Krieg</strong>, den die Frühadoleszente bisher als interessante Abwechselung<br />
in ihrem Alltag wahrgenommen <strong>hatte</strong>, offenbarte jetzt seine ganze brutale<br />
und todbringende Realität. Anneliese reagierte <strong>mit</strong> einem schweren Schock.<br />
Ihr Zustand war so beunruhigend, daß die Eltern ihre Tochter schließl<strong>ich</strong> nach<br />
Weimar schickten, wo sie s<strong>ich</strong> bei Verwandten erholen sollte. Nach ungefähr<br />
drei Monaten war sie so weit wie<strong>der</strong>hergestellt, daß sie <strong>zu</strong> ihrer Familie nach<br />
Bremen <strong>zu</strong>rückkehren konnte. Sie meint, sie habe den Bombenalltag „dann<br />
nervl<strong>ich</strong> auch wie<strong>der</strong> verkraften können, aber natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t ohne Angst".<br />
Alltag im Bombenhagel<br />
Die Beschreibung <strong>der</strong> Bombenangriffe und <strong>der</strong> da<strong>mit</strong> verbundenen Gefühle<br />
nehmen in diesem Interview einen auffallend breiten Raum ein. Dies ist Ausdruck<br />
des für die Heranwachsende damals alles beherrschenden Lebensgefühls<br />
<strong>der</strong> Todesangst. Anneliese Heidt beschreibt im Interview ausführl<strong>ich</strong><br />
und detailliert, daß sie bei Alarm ihr Luftschutzgepäck „schnappte" und versuchte,<br />
so schnell wie mögl<strong>ich</strong> den Bunker <strong>zu</strong> erre<strong>ich</strong>en. Von ihrer Familie<br />
war sie stets als erste im Bunker. Wegen <strong>der</strong> Druckwellen habe man die Türen<br />
rechtzeitig schließen müssen, und wer dann n<strong>ich</strong>t da gewesen sei, <strong>der</strong> habe<br />
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