"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
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seiner politischen Bedeutung herunterzuspielen. In dem Maße, in dem ihr dies gelingt, gelingt es ihr auch, ihre eigene Rolle in nationalsozialistischen Jugendorganisationen in ihrer Bedeutung abzuschwächen. Losgelöst von ihrer eigenen Vergangenheit ist sie sich andererseits der politischen Bedeutung der HJ-Organisationen und ihrer Funktion als Sozialisationsinstanz durchaus bewußt: „also es war eigentlich, Kinderspielerei nich, aber es hatte eben doch einen ernsten Hintergrund nich, und das war alles die, äh, Vorbild und die Voraussetzung für eben später BDM und danach kam dann die Partei ne" (44/37) Gerade weil sie heute ihr Engagement bei den Jungmädeln in den Kontext der nationalsozialistischen Jugendpolitik zu stellen vermag und die JM- Erziehung als Wegbereitung für BDM und NSDAP versteht, ist sie bemüht — und hier teilt sie ein gängiges Legitimationsmuster der Frauen ihrer Generation — den JM zu entpolitisieren und ihn mit anderen Jugendorganisationen wie z.B. dem CVJM gleichzusetzen bzw. ihn als harmlose „Kinderspielerei 44 abzutun (vgl. Rosenthal u.a. 1986:67f). In ähnlichem Zusammenhang kritisiert Frau Heidt auch die inhaltliche „Entstellung 44 von Liedertexten, an denen sie als junges Mädchen keinen Anstoß genommen habe und die heute in der Öffentlichkeit als Indiz für die negative Beeinflussung durch den NS bewertet würden. Der ursprüngliche Text gebe für ein solches Urteil jedoch keinen Anlaß: „ich muß sagen (1) teilweise ist der Text völlig entstellt worden der war manchmal anders, zum Beispiel dieses Lied, heute GEHÖRT UNS DEUTSCHLAND UND MORGEN DIE GANZE WELT der Text der war nich so, das hieß, und heute hört uns Deutschland, und morgen hört uns die ganze Welt und das find ich also, sehr unangenehm wenn dann heute solche Sachen entstellt werden ... da, haben wir als junge Leute ja auch keinen Anstoß dran genommen war doch nix" (2/54) An dieser Stelle kann man sich wohl fragen, ob denn keine imperiale Konnotation mehr mitschwänge und der Text harmlos wäre, wenn die Strophe „heute hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt 44 hieße. Doch lassen wir diese Frage dahingestellt. Das eigentliche Argument Frau Heidts zielt darauf, daß sie die Sozialisation der Jugend im sog. Dritten Reich in der heutigen Öffentlichkeit ungerecht behandelt findet. Ihre Kritik ließe sich so zusammenfassen: In der Öffentlichkeit wird heute die politisch-ideologische Beeinflussung durch die Hitlerjugend als schwerwiegender dargestellt, als sie in Wirklichkeit war — und zwar mit unlauteren Mitteln. Würde man die Texte nicht verfalschen, wäre der Öffentlichkeit heute klar, daß es sich nicht um Inhalte handelte, an denen Anstoß zu nehmen gewesen wäre, und daß diese Inhalte folglich auch keinen negativen Einfluß ausüben konnten. Resümieren läßt sich, daß Frau Heidt in dem Maße, wie es ihr gelingt, den BDM im Vergleich zum JM als „politisch 44 darzustellen, auch ihre Mitgliedschan im JM vor sich selbst und anderen verharmlost. Sie kann bis heute an 86
ihrer positiven Jugenderinnerung festhalten, vor sich selbst ein Gefühl der Aufrichtigkeit bewahren und sich zu ihrer damaligen Begeisterung offen bekennen: B: „wir warn (1) ich kann also von mir und meinem, Freundeskreis, sprechen, wenn ich wir sage ne I: mhm B: das mag auch andere gegeben haben, aber, äh, wir warn, hundertfünfzigprozentig mit allem einverstanden" (2/3) 2.3.4 Die ersten Kriegserfahrungen Den Kriegsbeginn erlebte die zwölfjährige Anneliese in Bremen. Ihr Bruder war zu diesem Zeitpunkt schon bei der Wehrmacht. Ihre eigene Reaktion und die ihrer (Stief-) Mutter auf die Nachricht vom Beginn des Krieges beschreibt sie gleich zu Anfang des Interviews: „also bei, Ausbruch des Krieges war ich, zwölf Jahre alt, und an und für sich, daß es Krieg geben würde, hat man selber als Kind gar nich so empfunden, ich jedenfalls nich und, ich wüßte auch nich in meiner engen Umgebung ich weiß, allerdings wenn ich mich da, entsinne, daß die Eltern sehr besorgt waren, aber, gut, man war Kind=das: hat einen nich so groß berührt ... als es dann (1) losging, mit dem, Krieg, neununddreißig im August, da kann ich mich entsinnen daß meine, Mutter, fast hysterisch, reagierte dad rauf, und sachte jetzt, is vorbei mit allem=jetzt gehn wir unter und, so weiter aber, wir harn das alles (1) ich jedenfalls auch hauptsächlich, als etwa, hysterischen, Ausbruch, angesehn und gar nich, das nun eigentlich hat mich weiter nich berührt=ich fand das, ich fand das peinlich ja" (112) Und ausführend an späterer Stelle des Interviews: „ja, ich fand das furchtbar übertrieben, nun sie sachte da, a:ch nei:n und jetzt, is Krieg und, da werden wir sehn wir werden alles verliern und das geht, geht alles schief=ich verstand das überhaupt nich, nich, wieso, wieso was hatte das damit zu tun, und jetzt kommen Angriffe und Sirene und, weiß ich nich woher die, das nahm, woher sie das wußte" (28/46) Frau Heidt versetzt sich zurück in die Perspektive des Kindes, für das die politischen Hintergründe des Geschehens noch nicht transparent waren. Die Erzählerin überläßt sich damit dem Strom des Nacherlebens, ohne dieses Erleben heute — aus der Perspektive der durch die späteren Erfahrungen Belehrten — zu modifizieren. Die in der Rassage beschriebene angstvolle Reaktion der Mutter war in den Augen der Zwölfjährigen, „hysterisch", also übertrieben und unverständlich. Sie empfand damals kein Mitgefühl für die Ängste der Mutter. Diese waren ihr „peinlich", lösten also Schamgefühle aus, und sie fragt sich noch heute, „woher sie das wußte". Die Reaktion des Vaters auf die Nachricht vom Beginn des Krieges ist ihr hingegen nicht mehr präsent — vermutlich kam der Beginn des Krieges fur ihn nicht sehr überraschend, war seine Reaktion nicht so heftig: „nee, das weiß ich nich, äh, nun Gott mein Vater war Soldat, nich und der hat den Ersten Weltkrieg mitgemacht und er mußte ja wohl damit rechnen daß als Soldat daß es mal Krieg gibt ich 87
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seiner politischen Bedeutung herunter<strong>zu</strong>spielen. In dem Maße, in dem ihr<br />
dies gelingt, gelingt es ihr auch, ihre eigene Rolle in nationalsozialistischen<br />
Jugendorganisationen in ihrer Bedeutung ab<strong>zu</strong>schwächen.<br />
Losgelöst von ihrer eigenen Vergangenheit ist sie s<strong>ich</strong> an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> politischen<br />
Bedeutung <strong>der</strong> HJ-Organisationen und ihrer Funktion als Sozialisationsinstanz<br />
durchaus bewußt:<br />
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Gerade weil sie heute ihr Engagement bei den Jungmädeln in den Kontext<br />
<strong>der</strong> nationalsozialistischen Jugendpolitik <strong>zu</strong> stellen vermag und die JM-<br />
Erziehung als Wegbereitung für BDM und NSDAP versteht, ist sie bemüht —<br />
und hier teilt sie ein gängiges Legitimationsmuster <strong>der</strong> Frauen ihrer Generation<br />
— den JM <strong>zu</strong> entpolitisieren und ihn <strong>mit</strong> an<strong>der</strong>en Jugendorganisationen<br />
wie z.B. dem CVJM gle<strong>ich</strong><strong>zu</strong>setzen bzw. ihn als harmlose „Kin<strong>der</strong>spielerei 44<br />
ab<strong>zu</strong>tun (vgl. Rosenthal u.a. 1986:67f).<br />
In ähnl<strong>ich</strong>em Zusammenhang kritisiert Frau Heidt auch die inhaltl<strong>ich</strong>e<br />
„Entstellung 44<br />
von Lie<strong>der</strong>texten, an denen sie als junges Mädchen keinen Anstoß<br />
genommen habe und die heute in <strong>der</strong> Öffentl<strong>ich</strong>keit als Indiz für die negative<br />
Beeinflussung durch den NS bewertet würden. Der ursprüngl<strong>ich</strong>e Text<br />
gebe für ein solches Urteil jedoch keinen Anlaß:<br />
„<strong>ich</strong> muß sagen (1) teilweise ist <strong>der</strong> Text völlig entstellt worden <strong>der</strong> war manchmal an<strong>der</strong>s, <strong>zu</strong>m<br />
Beispiel dieses Lied, heute GEHÖRT UNS DEUTSCHLAND UND MORGEN DIE GANZE<br />
WELT <strong>der</strong> Text <strong>der</strong> war n<strong>ich</strong> so, das hieß, und heute hört uns Deutschland, und morgen hört uns<br />
die ganze Welt und das find <strong>ich</strong> also, sehr unangenehm wenn dann heute solche Sachen entstellt<br />
werden ... da, haben wir als junge Leute ja auch keinen Anstoß dran genommen war doch nix"<br />
(2/54)<br />
An dieser Stelle kann man s<strong>ich</strong> wohl fragen, ob denn keine imperiale Konnotation<br />
<strong>mehr</strong> <strong>mit</strong>schwänge und <strong>der</strong> Text harmlos wäre, wenn die Strophe<br />
„heute hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt 44<br />
hieße. Doch lassen<br />
wir diese Frage dahingestellt. Das eigentl<strong>ich</strong>e Argument Frau Heidts zielt darauf,<br />
daß sie die Sozialisation <strong>der</strong> Jugend im sog. Dritten Re<strong>ich</strong> in <strong>der</strong> heutigen<br />
Öffentl<strong>ich</strong>keit ungerecht behandelt findet. Ihre Kritik ließe s<strong>ich</strong> so <strong>zu</strong>sammenfassen:<br />
In <strong>der</strong> Öffentl<strong>ich</strong>keit wird heute die politisch-ideologische Beeinflussung<br />
durch die <strong>Hitler</strong>jugend als schwerwiegen<strong>der</strong> dargestellt, als sie in Wirkl<strong>ich</strong>keit<br />
war — und zwar <strong>mit</strong> unlauteren Mitteln. Würde man die Texte n<strong>ich</strong>t<br />
verfalschen, wäre <strong>der</strong> Öffentl<strong>ich</strong>keit heute klar, daß es s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t um Inhalte<br />
handelte, an denen Anstoß <strong>zu</strong> nehmen gewesen wäre, und daß diese Inhalte<br />
folgl<strong>ich</strong> auch keinen negativen Einfluß ausüben konnten.<br />
Resümieren läßt s<strong>ich</strong>, daß Frau Heidt in dem Maße, wie es ihr gelingt, den<br />
BDM im Vergle<strong>ich</strong> <strong>zu</strong>m JM als „politisch 44<br />
dar<strong>zu</strong>stellen, auch ihre Mitgliedschan<br />
im JM vor s<strong>ich</strong> selbst und an<strong>der</strong>en verharmlost. Sie kann bis heute an<br />
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